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EVANGELiScHES bERAtUNGSZENtRUM - EBZ München

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22<br />

2.2 Neue Dimensionen der Verunsicherung<br />

Auswirkungen von Arbeitslosigkeit und Armut auf Partnerschafts- und Familiendynamik<br />

Seit der Einführung der „Hartz IV“-Regelungen erleben wir in<br />

der EFL in Neuperlach in der Beratung eine Verschärfung der<br />

Probleme, die sich aus Arbeitslosigkeit und Armut ergeben.<br />

Eine größere Zahl von Menschen ist betroffen und dies mit<br />

größerer Härte, da für viele die soziale Absicherung spürbar<br />

nachgelassen hat. Das bedeutet für viele der Betroffenen auf<br />

materieller Ebene Verlust und Not, auf psychischer Ebene<br />

Ohnmacht und Verzweiflung. Tendenziell erleben wir zwei<br />

grundlegende Reaktionsweisen: die seelischen Auswirkungen<br />

von „Hartz IV“ und Armut.<br />

Bei Klient/innen mit einer eher progressiven Orientierung<br />

wird die Zuschreibung „Hartz IV“ wie eine Stigmatisierung<br />

empfunden gegen die sie ankämpfen möchten. Da es aber<br />

trotz großer Bemühungen oft nicht möglich ist wieder eine<br />

adäquate Beschäftigung zu finden, verfestigen sich Enttäuschung<br />

und Verzweiflung. Die hierbei entstehende Aggression<br />

wird oft gegen sich selbst nach innen gewendet. Dies<br />

kann zu massiven psychosomatischen Beschwerden führen<br />

oder sich als lavierte oder auch offen zutage tretende Depression<br />

äußern. Bei Klient/innen mit einer eher regressiven<br />

Grundstruktur überwiegt das Gefühl ausgeliefert zu sein. Sie<br />

empfinden die Zuschreibung „Hartz IV“ als Festlegung, die<br />

sich nicht mehr ändern lässt. Dieses Grundgefühl der Stagnation<br />

führt zu Resignation oder Aggression. Die aggressiven<br />

Impulse richten sich tendenziell nach außen als Gefühl<br />

im Stich gelassen zu werden und gelten oft dem Staat als<br />

„Elterninstanz“, dem Versagen vorgeworfen wird. Die hierbei<br />

entstehende Wut kann sich als Verweigerung oder in Form<br />

einer einseitigen Versorgungs- und Anspruchshaltung äußern.<br />

Bei beiden Verarbeitungsversuchen können die aggressiven<br />

Impulse schwer in konstruktive Handlungen umgesetzt<br />

werden und stellen ein hohes Spannungspotential dar für die<br />

Partnerschaft und die gesamte Familie.<br />

In der konkreten Arbeit in der Beratungsstelle sind wir v. a.<br />

mit Verlust von Selbstwert sowie innerer und äußerer Struktur<br />

und Grenzen konfrontiert. In unserer Gesellschaft hat der<br />

Beruf einen hohen Stellenwert für die Bildung der eigenen<br />

Identität und den Selbstwert. Geht für einen der Partner,<br />

dieser stabilisierende Faktor durch Arbeitslosigkeit verloren,<br />

verändert sich oft auch das Gleichgewicht in der Beziehung<br />

zu seinen Ungunsten. Der Entwertung im Beruf folgt die Entwertung<br />

zu Hause. Ein Teufelskreis setzt sich in Gang, der nur<br />

schwer zu durchbrechen ist. Die Berufstätigkeit ist ein stark<br />

strukturierendes Element in unserem Alltag. Durch sie wird<br />

nicht nur der Tagesablauf in wesentlichen Teilen vorgegeben,<br />

sondern auch die Unterteilung in Freizeit und Arbeitszeit.<br />

Darüber hinaus reguliert sie auch zu einem gewissen Teil die<br />

Aufgabenverteilung und das Gleichgewicht von Nähe und<br />

Distanz in Partnerschaft und Familie. So belastend diese Bestimmung<br />

von außen oft erlebt wird, so gibt sie doch eine<br />

Struktur vor, die nicht leicht selber zu schaffen ist. Ein Aspekt<br />

der Arbeitslosigkeit, der für Partnerschaft und Familienleben<br />

weit reichende Folgen hat, ist der Wegfall dieser Strukturen<br />

und damit die Notwendigkeit, in Zeiten der Krise viele neue<br />

Regeln des Zusammenlebens erarbeiten zu müssen.<br />

© S. Hofschlaeger / pixelio<br />

In dem folgenden Beispiel aus der Außenstelle der EFL in<br />

Neuperlach wird deutlich, wie die belastende Situation, welche<br />

sich durch Arbeitslosigkeit eingestellt hat, auch dazu<br />

führen kann, dass Grenzen innerhalb eines Familiensystems<br />

durchlässiger werden:<br />

Es handelt sich um eine 41-jährige Frau, die getrennt lebt,<br />

alleinerziehend und arbeitslos ist. Sie hat zwei Kinder (13<br />

und 19 Jahre alt). Der Anmeldegrund bei der telefonischen<br />

Anmeldung lautet: Sie will klare Verhältnisse schaffen mit<br />

dem Ehemann.<br />

Vor mir sitzt eine sehr erschöpfte Frau. Sie ist in Deutschland<br />

als Kind türkischer Eltern geboren, spricht fließend, aber<br />

nicht fehlerfrei Deutsch. Zusammen mit ihren Kindern lebt<br />

sie in einer kleinen 3-Zimmer-Wohnung, seit vielen Jahren<br />

überwiegend von ihrem Mann getrennt. Er ist als Kind italienischer<br />

Eltern ebenfalls in Deutschland geboren. In den<br />

zurückliegenden Jahren verließ er sie häufig wegen anderer<br />

Frauen, kehrte aber phasenweise zu ihr zurück. Nun kann<br />

sie diese Situation nicht mehr ertragen und will sie verändern.<br />

Im Erstgespräch stellt sich allerdings heraus, dass das<br />

Paarproblem von anderen Themen überlagert wird: Migrationshintergrund,<br />

Arbeitslosigkeit und die konflikthafte Beziehung<br />

zum 19-jährigen Sohn erscheinen zusätzlich als drängende<br />

Probleme.

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