Auftrag_277_150dpi.pdf - Gemeinschaft Katholischer Soldaten
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SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK<br />
denke nicht daran, die militärische<br />
Option vom Tisch zunehmen. Der israelische<br />
Premier Benjamin Netanjahu<br />
will seine Kampfjets noch nicht<br />
zu einem gezielten Bombardement der<br />
iranischen Nuklearanlagen losschicken,<br />
aber die Pläne liegen fertig in<br />
den Schubladen der Militärs. Netanjahu<br />
wird eine iranische Atomwaffe<br />
nie akzeptieren. Diesmal würden sich<br />
die Juden „nicht als Opferlämmer zur<br />
Schlachtbank führen lassen“.<br />
Die Bewertung des iranischen<br />
Verhaltens gab den Ausschlag dafür,<br />
dass Strafverschärfungen als unumgänglich<br />
erachtet werden. Im Februar<br />
startete der UN-Sicherheitsrat unter<br />
französischem Vorsitz eine Initiative,<br />
die eine vierte Sanktionsrunde gegen<br />
Teheran zum Ziel hat. Wenn die<br />
Vereinten Nationen zu keinem abgestimmten<br />
Verhalten kommen sollten,<br />
will Deutschland unter „willigen<br />
Partnern“ Verbündete für Sanktionen<br />
suchen und dürfte bei den westlichen<br />
Mächten ein offenes Ohr finden.<br />
Schlagstöcke, Tränengas und<br />
Schauprozesse, Wahlfälschung, vollstreckte<br />
Todesstrafen und Schnüffelaktionen<br />
im Internet. Das ist das<br />
Handwerkszeug des Regimes in Teheran.<br />
Oppositionsführer Mir Hossein<br />
Mussawi hat Recht mit seiner<br />
Forderung nach sofortiger Aufgabe<br />
der Politik der Einschüchterung Andersdenkender.<br />
Doch was tun? Vor dieser Frage<br />
stand die iranische Opposition.<br />
Ihre Anhänger waren wieder mehrfach<br />
massiv auf die Straße gegangen,<br />
nachdem sie von Knüppelgarden am<br />
04.11.09 bei einer Demonstration zum<br />
30. Jahrestag der Besetzung der US-<br />
Botschaft und am 07.12.09, dem „Tag<br />
der Studenten“, verprügelt worden<br />
waren. Seither sind die Universitäten<br />
nicht mehr zur Ruhe gekommen.<br />
Ein weiterer Funke wurde der Tod von<br />
Großayatollah Montazeri, der als ranghöchster<br />
Geistlicher dem iranischen<br />
Revolutionsführer Chamenei die Stirn<br />
geboten und die Wiederwahl Ahmadinedschads<br />
als gefälscht abgelehnt hat.<br />
Bei der Beerdigung Groß-Ayatollah<br />
Montazeri, vor sowie zum Aschura-<br />
Fest nach Weihnachten 2009 formiert<br />
die Opposition sich wieder. Zehntausende<br />
nutzten die Trauerfeier in der<br />
heiligen Stadt und den Aschura-Tag<br />
im ganzen Land, um gegen den erzkonservativen<br />
Präsidenten Ahmadinedschad<br />
und den Geistlichen Führer<br />
Chamenei zu protestieren. Erneut<br />
bot das Regime umfangreich Sicherheitskräfte<br />
und zahlreiche Polizisten<br />
auf, angeblich um Zusammenstöße<br />
zwischen Anhängern der Opposition<br />
und des Präsidenten zu verhindern.<br />
Zum ersten Mal seit Beginn der<br />
Proteste hatten sich die Demonstranten<br />
massiv gegen die Prügelorgien der<br />
Milizen gewehrt. Die Demonstranten<br />
steckten Autos und Motorräder der<br />
Sicherheitskräfte an. Sie entwanden<br />
den Sicherheitskräften Waffen und<br />
Schutzwesten. Diese Entwicklung<br />
lässt die Hoffnung auf eine sanfte<br />
Revolution endgültig gegen Null sinken,<br />
zumal die Reaktionen der Mächtigen<br />
immer panischer wirken. So, als<br />
die iranische Staatsmacht nach den<br />
Demonstrationen des Aschura-Festes<br />
zurück schlägt, indem sie ihre Anhänger<br />
mobilisiert und Zehntausende regierungstreuer<br />
Iraner in Teheran und<br />
anderen Städten zu Massenkundgebungen<br />
auf die Straße bringt. Diese<br />
beschuldigten die Führer der Opposition,<br />
Unruhen in der Islamischen<br />
Republik zu schüren und machten<br />
sie für das Blutvergießen der vergangenen<br />
Tage verantwortlich und<br />
forderten ihre Bestrafung mit dem<br />
Tod. In Sprechchören bekundeten sie<br />
ihre Unterstützung für den Obersten<br />
Führer Ayatollah Ali Chamenei und<br />
trugen Bilder von ihm. Diese Kundgebungen<br />
wurden vom Staatsfernsehen<br />
umfangreich direkt übertragen.<br />
Die Botschaft der Herrschenden an<br />
das Volk war: Wir sind die überwältigende<br />
Mehrheit und haben alles unter<br />
Kontrolle! Der Druck auf die Opposition<br />
wird durch Terrordrohungen<br />
und Schüren von Angst erhöht. In der<br />
Kraftprobe zwischen der iranischen<br />
Opposition und dem Regierungslager<br />
werden die Demonstranten als „Mohareb“<br />
(Feinde Gottes) bezeichnet:<br />
Kritik am und Widerstand gegenüber<br />
dem geistlichen Oberhaupt ist im Iran<br />
ein Tabu – sich Chamenei zu widersetzen<br />
wird damit gleichgesetzt, sich Gott<br />
zu widersetzen. Das ist ein Straftatbestand,<br />
auf dem die Todesstrafe steht.<br />
Ende Januar wurde die Hinrichtung<br />
zweier iranischer Oppositioneller<br />
von der internationalen <strong>Gemeinschaft</strong><br />
scharf verurteilt. Die beiden Dissidenten<br />
waren nach den Massenprotesten<br />
der vergangenen Monate hingerichtet<br />
worden. Neun weitere Demonstranten<br />
wurden zum Tode verurteilt. Der Vorsitzende<br />
des Wächterrates, Ayatollah<br />
Ahmad Dschannati, verteidigte die<br />
Hinrichtungen: „Wir dürfen mit den<br />
Feinden Gottes nicht nachsichtig sein,<br />
sonst steht uns eine schreckliche Zukunft<br />
bevor“.<br />
Die Intelligenz, die Künstler sowie<br />
die Jugend und damit die Zukunft<br />
hat Chamenei verloren. Die Basaris,<br />
die Geschäftsleute in den Städten,<br />
werden unruhig. Wegen der Proteste<br />
verkaufen sie nichts mehr. Die Aufteilung<br />
der staatlichen Ressourcen und<br />
der zur Privatisierung anstehenden<br />
Firmen unter die Revolutionswächter<br />
und andere Stützen der Regierung löst<br />
ihren weiteren Ärger aus. Ebenso die<br />
Tatsache, dass die Macht im Staat zunehmend<br />
in die Hände militärischer<br />
und paramilitärischer Einheiten übergeht.<br />
Das Umschwenken der Basaris<br />
aber hat vor 30 Jahren endgültig den<br />
Sturz des Schah besiegelt. Die Opposition<br />
ist heute damit so vielschichtig<br />
wie jene, die mit Chomeini gegen den<br />
Schah auf die Straße gegangen war.<br />
Nach wie vor wollen Hardliner in<br />
der Justiz und im Parlament Mussawi<br />
verhaften lassen. Da sich die Oppositionsbewegung<br />
inzwischen aber verselbständigt<br />
hat und nicht mehr nur<br />
einem Führer folgt, würde sich für das<br />
Regime hinsichtlich der Proteste vermutlich<br />
nichts Wesentliches ändern,<br />
es würde der Opposition aber einen<br />
Märtyrer liefern und die Proteste nur<br />
weiter anfeuern. So erklärte Mussawi<br />
auf Todesforderungen aus den Reihen<br />
der Herrschenden zum Jahreswechsel,<br />
er sei „zum Märtyrertum“ bereit.<br />
Es werde aber auch dann nicht gelingen,<br />
die Opposition „mit Verhaftungen,<br />
Gewalt und Drohungen“ zum<br />
Schweigen zu bringen.<br />
Im Herbst 2009 hatten die Demonstranten<br />
noch angstvoll von einem<br />
Termin, zu dem sie auf die Straße gehen<br />
konnten, zum nächsten geblickt.<br />
Das war im Auftaktjahr vor der Revolution<br />
nicht anders gewesen. Auch<br />
da lagen zwischen einzelnen Kundgebungen<br />
der Opposition Monate, bis<br />
sich der Rhythmus beschleunigte. Die<br />
Proteste orientierten sich zwar weiter<br />
an festen Terminen. Die nächsten Termine<br />
wären dann logischerweise der<br />
vierzigste Tag nach Montazeris Tod<br />
18 AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010