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Tonsillektomie oder Tonsillotomie – wann ist welche ... - qs- nrw

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Fortbildung<br />

<strong>Tonsillektomie</strong> <strong>oder</strong> <strong>Tonsillotomie</strong> – <strong>wann</strong> <strong>ist</strong> <strong>welche</strong> chirurgische<br />

Therapie der Gaumenmandel indiziert Achim M. Franzen<br />

Einleitung<br />

Operationen an den Gaumenmandeln gehören<br />

zu den am häufigsten in Deutschland<br />

überhaupt durchgeführten operativen Eingriffen.<br />

In den vergangenen Jahrzehnten<br />

erfolgte der Eingriff i.d.R. als <strong>Tonsillektomie</strong>,<br />

also als komplette Entfernung der Tonsille.<br />

Wesentliche Indikation für den Eingriff <strong>ist</strong><br />

die chronische Tonsillitis und Komplikationen,<br />

die daraus resultieren.<br />

Ein großer Teil der ca. 80.000 pro Jahr<br />

in Deutschland tonsillektomierten Patienten<br />

sind Kinder. Insbesondere Kinder im Vorschulalter<br />

werden aber nicht zuletzt wegen<br />

der Obstruktion der oberen Atemwege tonsillektomiert,<br />

die aus einer Hyperplasie der<br />

Tonsillen resultiert (Abb. 1). Chronische Tonsillitiden<br />

spielen naturgemäß in dieser Altersgruppe<br />

eine untergeordnete Rolle. Der<br />

auch aus immunologischer Sicht berechtigte<br />

Wunsch von Patienten (-eltern), Haus- und<br />

Kinderärzten, funktionstüchtiges lymphatisches<br />

Gewebe zu erhalten, aber sicher auch<br />

die Begleiterscheinungen sowie Komplikationen<br />

einer <strong>Tonsillektomie</strong>, führte dazu, dass<br />

die <strong>Tonsillotomie</strong>, also die intrakapsuläre<br />

Teilentfernung der Gaumenmandeln, als alternatives<br />

Verfahren (re-)etabliert wurde.<br />

Abb. 1: hyperplastische Gaumenmandeln.<br />

Gegenstand des vorgelegten Textes <strong>ist</strong> die<br />

Vorstellung und Diskussion der alternativen<br />

Operationsverfahren der Gaumenmandeln.<br />

Besonders berücksichtigt wird dabei die von<br />

vielen immer wieder gestellte Frage, <strong>wann</strong><br />

eine <strong>Tonsillotomie</strong> und unter <strong>welche</strong>n Voraussetzungen<br />

eine <strong>Tonsillektomie</strong> indiziert <strong>ist</strong>.<br />

Operationsverfahren<br />

Bei einer <strong>Tonsillektomie</strong> wird – i.d.R. in einer<br />

Dissektionstechnik – die gesamte Tonsille<br />

einschließlich Kapsel entfernt. Vorderer und<br />

hinterer Gaumenbogen sollten möglichst geschont<br />

werden. Die Absetzung des unteren<br />

Tonsillenpols zum Zungengrund (Zungengrundtonsille)<br />

erfolgt me<strong>ist</strong> scharf.<br />

Bei der <strong>Tonsillotomie</strong> werden lediglich intrakapsuläre<br />

Tonsillenanteile entfernt – Kapsel<br />

wie auch Gaumenbögen – und das Übergangsgewebe<br />

zur Zunge bleibt erhalten. Als<br />

Orientierung für das Ausmaß der Resektion<br />

dient eine gedachte Ebene zwischen vorderem<br />

und hinteren Gaumenbogen: Der Anteil<br />

einer Tonsille, der diese Ebene nach medial<br />

überragt, wird abgetragen (Abb. 2).<br />

Abb. 2: Zustand nach <strong>Tonsillotomie</strong>.<br />

Bis in die 40er Jahre des vorangegangenen<br />

Jahrhunderts wurde die <strong>Tonsillotomie</strong> unter<br />

der Bezeichnung „Tonsillenkappung“ mit einem<br />

eigens hierzu entwickeltem Guillotineartigen<br />

Gerät (z.B. Tonsillotom nach Sluder)<br />

durchgeführt. In den letzten Jahren werden<br />

die me<strong>ist</strong>en <strong>Tonsillotomie</strong>n in Deutschland<br />

unter Anwendung von Lasersystemen, vor<br />

allem dem CO 2<br />

-Laser durchgeführt, mehrere<br />

aktuelle klinische Studien bestätigen die guten<br />

Erfahrungen zahlreicher Operateure.<br />

Darüber hinaus werden aber auch andere<br />

Operationstechniken – wie die HF-Chirurgie,<br />

bipolare Dissektiontechniken <strong>oder</strong> die<br />

Argon-Plasmachirurgie – mit Erfolg eingesetzt.<br />

Inwieweit das chirurgische Verfahren<br />

für das Ergebnis einer <strong>Tonsillotomie</strong> mitverantwortlich<br />

<strong>ist</strong>, <strong>ist</strong> wahrscheinlich letztlich<br />

schwer feststellbar – immerhin scheint es<br />

mehrere suffiziente Techniken zu geben.<br />

Nachdem wir ebenfalls zunächst den Eingriff<br />

mit dem CO 2<br />

-Laser durchführten, setzten<br />

wir seit nunmehr mehr als 3 Jahren und<br />

bei mehr als 200 Kindern das „harmonische<br />

Scalpell“ zur <strong>Tonsillotomie</strong> ein. Bei diesem<br />

Verfahren wird elektrische Energie über ein<br />

piezoelektrisches Kr<strong>ist</strong>all in mechanische<br />

Energie umgewandelt und direkt am Gewebe<br />

appliziert. Vorteile des Verfahrens sind<br />

aus unserer Sicht, dass in Häusern mit mehreren<br />

chirurgisch tätigen Abteilungen das<br />

Gerät fachübergreifend einsetzbar <strong>ist</strong> und<br />

vor allem von endoskopisch tätigen Chirurgen,<br />

Urologen etc. bereits benutzt wird, resterilisierbare<br />

Handstücke benutzt werden<br />

können und kein Laserintubationsmaterial<br />

(kostenintensiv!) erforderlich <strong>ist</strong>.<br />

Ergebnisse, Nebenwirkungen<br />

und Komplikationen<br />

Obligatorische Begleiterscheinung der <strong>Tonsillektomie</strong><br />

sind Schmerzen, die nicht selten<br />

eine analgetische Behandlung über bis zu 2<br />

Wochen erforderlich machen. Vor allem Kinder<br />

verweigern regelmäßig schmerzbedingt<br />

die Nahrungsaufnahme, Begleiterscheinung<br />

<strong>ist</strong> ein postoperativer Gewichtsverlust. Interventionsbedürftige<br />

Nachblutungen treten in<br />

1 bis 5 Prozent der Fälle auf und sind Grund<br />

dafür, dass der Eingriff unter stationären Bedingungen<br />

erfolgt. Die Dauer des Aufenthaltes<br />

liegt in Deutschland derzeit zwischen<br />

5 und 7 Tagen. Die blutungsbedingte Mortalitätsrate<br />

beträgt ca. 1:15.000 – dies bedeutet,<br />

dass auch heute noch 5 bis 10 Patienten<br />

pro Jahr in Deutschland an den Folgen einer<br />

<strong>Tonsillektomie</strong> versterben!<br />

Wie die übereinstimmenden Ergebnisse von<br />

Patientenbefragungen deutlich machen, besserten<br />

sich die präoperativen funktionellen<br />

Probleme der Patienten nach einer <strong>Tonsillotomie</strong><br />

überzeugend. Auch polysomnographische<br />

Untersuchungen vor und nach dem<br />

Eingriff belegen dies. Im Vergleich mit der<br />

<strong>Tonsillektomie</strong> sind die postoperativen<br />

Schmerzen nach einer <strong>Tonsillotomie</strong> in allen<br />

aktuellen Untersuchungen deutlich geringer.<br />

Zwei Drittel unserer Patienten waren am<br />

2. postoperativen Tag bereits weitgehend<br />

schmerzfrei, d.h. es waren keine Schmerzmittel<br />

mehr erforderlich. Postoperative Blutungen<br />

sind eine Rarität – im eigenen Patientengut<br />

kam es zu einer Nachblutung, die<br />

allerdings eine Revision erforderlich machte,<br />

bei mehr als 200 Operierten. Deshalb wird<br />

der Eingriff in vielen Fällen tagesstationär<br />

durchgeführt.<br />

Der Stellenwert, den die <strong>Tonsillotomie</strong> mittlerweile<br />

allgemein in der Therapie der Gaumenmandeln<br />

einnimmt, wird aus unserer<br />

Sicht durch den Umstand deutlich, dass wir<br />

in unserem Haus bei Kindern mittlerweile<br />

häufiger eine <strong>Tonsillotomie</strong> als eine <strong>Tonsillektomie</strong><br />

durchführen. Auch das während<br />

der vergangenen Jahre immer wieder limitierende<br />

Problem der Abrechenbarkeit besteht<br />

seit dem laufenden Jahr nicht mehr:<br />

Für die <strong>Tonsillotomie</strong> wurde eine eigene OPS<br />

(5-281.5), die unter den DRG D30B fällt,<br />

eingerichtet.<br />

358 Brandenburgisches Ärzteblatt 10/2007 · 17. Jahrgang


Fortbildung<br />

Bedeutung der korrekten Indikation zur Operation<br />

Obwohl die Ergebnisse der <strong>Tonsillotomie</strong> aus den letzten Jahren, wie<br />

dargelegt, durchaus überzeugend sind, war der Eingriff über Jahrzehnte<br />

vollkommen von der Bildfläche verschwunden und wurde auch<br />

in den Lehrbüchern des Faches seit den 50er Jahren nicht mehr erwähnt.<br />

Grund hierfür waren vor allem Berichte über tonsillogene Abszesse<br />

infolge von Vernarbungen des Resttonsillengewebes.<br />

Zur Vermeidung solcher Misserfolge und Komplikationen kommt auf<br />

der Grundlage einer Auswertung alter Erfahrungsberichte und aktueller<br />

pathophysiologischer und immunologischer Überlegungen der<br />

strikten Beachtung einer korrekten Indikationsstellung zur Operation<br />

entscheidende Bedeutung zu.<br />

Die mittlerweile auch durch klinische Verlaufsbeobachtungen abgesicherte<br />

Indikation zur <strong>Tonsillotomie</strong> sind allein die Hyperplasie der<br />

Gaumenmandeln und dadurch bedingte Funktionsstörungen. Es sind<br />

dies Nasenatmungsbehinderung, gehäufte Rhinitiden und Bronchitiden,<br />

Tubenventilationsstörungen, aber auch Gedeihstörungen infolge<br />

von Schluckstörungen. Von besonderer Bedeutung für eine Indikation<br />

zur <strong>Tonsillotomie</strong> sind kindliche schlafbezogene Atemstörungen. Im<br />

eigenen Patientengut sehen wir viele Patienten, bei denen die alleinige<br />

Adenotomie keinen ausreichenden <strong>oder</strong> anhaltenden Erfolg gebracht<br />

hat.<br />

Hinweise auf gehäufte, vor allem antibiotikapflichtige Tonsillitiden<br />

<strong>oder</strong> gar tonsillogene Komplikationen, z.B. Abszesse, sind eine<br />

Kontraindikation für eine <strong>Tonsillotomie</strong>! Diese Patienten profitieren<br />

auch nach aktuellen Untersuchungen von einer <strong>Tonsillektomie</strong>.<br />

In gleichem Zusammenhang <strong>ist</strong> auch das Alter des Kindes für die Indikation<br />

von Bedeutung: Eine <strong>Tonsillotomie</strong> wird bei Kindern im Alter<br />

bis zu 6, maximal 8 Jahren indiziert, da in dieser Altersgruppe die<br />

immunologisch verursachte Hyperplasie der Gaumenmandeln einerseits<br />

gehäuft zu funktionellen Problemen führen kann und zum anderen<br />

chronische Tonsillitiden sehr selten sind. Darüber hinaus spricht<br />

auch die stark abnehmende immunologische Bedeutung der Tonsillen<br />

jenseits des sechsten Lebensjahres nicht mehr für die Teilresektion.<br />

8. Ärztlicher Fortbildungskongress<br />

der Landesärztekammer Brandenburg<br />

am 2. und 3.11.2007 in Dahlewitz<br />

Qualifikationskurs Verkehrsmedizinische Begutachtung<br />

(zum Erwerb der verkehrsmedizinischen Qualifikation<br />

für fachärztliche Gutachter, zur Fortbildung für Arbeitsmediziner<br />

und Allgemeinmediziner)<br />

2. und 3. November 2007 (16 Punkte/Kategorie A)<br />

Leitung: Dr. med. Trutz Kayser,<br />

Priv.-Doz. Dr. sc. med. Wolfgang Mattig; Potsdam<br />

Im Rahmen des 8. Ärztlichen Fortbildungskongresses der Landesärztekammer<br />

Brandenburg findet am 2. und 3. November 2007 jeweils<br />

von 10.00 bis 18.00 Uhr der Qualifikationskurs „Verkehrsmedizinische<br />

Begutachtung“ statt.<br />

Probleme der Fahreignung für Pkw, Lkw und Personenbeförderung<br />

als unabdingbares Kriterium für die Berufsausübung und auch für ein<br />

erfülltes Leben im Ruhestand bestimmen heute direkt <strong>oder</strong> indirekt beinahe<br />

jedes ärztliche Handeln. Für die Beantwortung gutachterlicher<br />

Fragestellungen benötigt die Fachärztin/der Facharzt die erfolgreiche<br />

Teilnahme an diesem Qualifikationskurs. Gleichzeitig bietet dieses<br />

Seminar eine gezielte verkehrsmedizinische Fortbildung für Haus- und<br />

Betriebsärzte. Alle relevanten fachlichen, rechtsmedizinischen, jur<strong>ist</strong>ischen<br />

und vergütungsrechtlichen Fragen werden behandelt bzw.<br />

kompetent beantwortet.<br />

Anmeldung zum Kurs:<br />

Landesärztekammer Brandenburg, Referat Fortbildung<br />

Postfach 1014 45, Fax: (0355) 7 80 10 44<br />

E-Mail: akademie@laekb.de.<br />

Anzeige<br />

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen<br />

Überzeugende funktionelle Ergebnisse, eine geringe Nachblutungsfrequenz<br />

und postoperative Schmerzen gepaart mit dem Wunsch,<br />

funktionstüchtiges lymphatisches Gewebe zu erhalten, sind für eine<br />

erneute Hinwendung zur <strong>Tonsillotomie</strong> verantwortlich. Zur Vermeidung<br />

von Komplikationen muss die Indikation unbedingt auf die<br />

symptomatische Hyperplasie der Gaumenmandeln beschränkt werden,<br />

rezidivierende <strong>oder</strong> chronische Tonsillitiden stellen eine Kontraindikation<br />

dar. Dem entsprechend bleibt der Eingriff Kindern bis zum<br />

6., maximal 8. Lebensjahr vorenthalten. Die adäquate Therapie einer<br />

chronischen Tonsillitis <strong>ist</strong> nach wie vor die <strong>Tonsillektomie</strong>.<br />

Literatur beim Verfasser:<br />

Dr. med. Achim M. Franzen<br />

Klinik für HNO-Krankheiten und plastische Operationen<br />

Ruppiner Kliniken GmbH<br />

16816 Neuruppin<br />

Fehrbelliner Straße 38<br />

Tel.: 03391-393601<br />

Fax.: 03391-393609<br />

E-Mail: a.franzen@ruppiner-kliniken.de<br />

Brandenburgisches Ärzteblatt 10/2007 · 17. Jahrgang<br />

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