Ritzen, was nun (Maike Pellarin) - lag-bb.de
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<strong>Ritzen</strong> -<strong>was</strong> <strong>nun</strong>?<br />
Selbstverletzen<strong>de</strong>s Verhalten<br />
o<strong>de</strong>r<br />
Emotional instabile Persönlichkeitsstörung<br />
vom<br />
Bor<strong>de</strong>rline Typ<br />
<strong>Maike</strong> <strong>Pellarin</strong><br />
AHG Klinik für Kin<strong>de</strong>r und Jugendliche<br />
Beelitz-Heilstätten
Inhalt<br />
• Prävalenz<br />
• Anamanese<br />
• Arten <strong>de</strong>r Selbstschädigung<br />
• Funktion <strong>de</strong>s SSV<br />
• Differentialdiagnostik<br />
• Exkurs Bor<strong>de</strong>rline<br />
• Therapieansätze (Workshop)
Prävalenz in Deutschland 15-26%<br />
Beginn meist in <strong>de</strong>r Jugend<br />
ZeitschriftZeitschrift für Kin<strong>de</strong>r- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie HeftVolume 38, Number 2 / 2010
Anamnese <strong>de</strong>r Selbstverletzung<br />
• Erstmalig o<strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rholung?<br />
• Womit? (Werkzeug abgeben)<br />
• Ausmaß <strong>de</strong>r Verletzung (Arme, Beine, Bauch o<strong>de</strong>r noch mehr)<br />
• Aussehen <strong>de</strong>r Verletzung (z.B. Name o<strong>de</strong>r Streifen)<br />
• Alleine o<strong>de</strong>r mit an<strong>de</strong>ren?<br />
• Warum? (Auslöser)<br />
• Innere Span<strong>nun</strong>g
Arten <strong>de</strong>r Selbstschädigung<br />
• <strong>Ritzen</strong><br />
• Kratzen<br />
• Kopfsch<strong>lag</strong>en<br />
• Brennen<br />
• Haarspray<br />
• Beißen<br />
• Schlucken von Scherben<br />
o.ä.<br />
• Wundheilung verhin<strong>de</strong>rn<br />
• Drogen<br />
• Alkohol<br />
• Promiskuitives Verhalten<br />
• Übermäßiges Piercing?<br />
• Verätzungen<br />
• Sch<strong>lag</strong>en
Funktionen selbstverletzen<strong>de</strong>n Verhaltens<br />
• Affektregulation<br />
• Anti-Dissoziation<br />
• Anti-Suizid<br />
• Interpersonelle Beziehung (Autonomie)<br />
• Interpersonelle Beeinflussung (Hilfe suchen)<br />
• Selbstbestrafung<br />
• Sensation-seeking
Differentialdiagnostische Überlegungen<br />
• Emotionale Krise<br />
• PTSD<br />
• Bor<strong>de</strong>rline<br />
• Anorexia Nervosa<br />
• Nachahmung<br />
• Autistische Züge (z.B. Kopf an die Wand sch<strong>lag</strong>en)<br />
• Deprivation<br />
• Zwangsstörungen<br />
• Schizophrenie<br />
• Geistige Behin<strong>de</strong>rung
Bor<strong>de</strong>rline-Störung
Persönlichkeitsstörungen (F60, F61)<br />
Definition<br />
Persönlichkeitsstörungen umfassen<br />
• für das Individuum typische<br />
• stabile und beherrschen<strong>de</strong> (pervasive) Verhaltensweisen,<br />
• die sich als rigi<strong>de</strong> Reaktionsmuster<br />
• in unterschiedlichsten Lebenssituationen manifestieren<br />
• und mit <strong>de</strong>m persönlichen Funktionseinbußen und/o<strong>de</strong>r sozialem Leid<br />
einhergehen.<br />
In <strong>de</strong>r Adoleszenz gebietet sich eine Zurückhaltung mit <strong>de</strong>r Diagnosestellung<br />
wegen Entwicklungsmöglichkeiten. Kontinuum zwischen Verhaltensmustern<br />
in Kindheit und Jugend und Erwachsenenalter.
Leitsymptome<br />
• Beginn in Kindheit und Jugend.<br />
• Manifestation in typischer Form auf Dauer<br />
Erwachsenenalter.<br />
im frühen<br />
• Erst nach Abschluss <strong>de</strong>r Pubertät (16-17<br />
Jahre), wenn Kriterien erfüllt wer<strong>de</strong>n.<br />
• Zustandsbil<strong>de</strong>r dürfen nicht auf<br />
psychiatrische Störung zurückzuführen<br />
sein.
Gekennzeichnet durch:<br />
• Beeinträchtigung mehrere Bereiche wie Affektivität,<br />
Antrieb, Impulskontrolle, Wahrnehmung und <strong>de</strong>nken<br />
sowie soziale Interaktionen,<br />
• Lange zeitliche Dauer <strong>de</strong>r Verhaltensstörung,<br />
• tiefgreifen<strong>de</strong> Verwurzelung <strong>de</strong>r Verhaltensweisen und<br />
situationsübergreifen<strong>de</strong>s Auftreten,<br />
• Einschränkung <strong>de</strong>r sozialen, schulischen und<br />
beruflichen Leistungsfähigkeit,<br />
• persönliches Leid <strong>de</strong>s Betroffenen, das aber in vielen<br />
Fällen erst im Erwachsenenalter auftritt; im Jugendalter<br />
ist eine ego-syntone Symptomatik nicht selten
Emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom<br />
Bor<strong>de</strong>rline-Typ F60.3 / F60.31 (ICD-10)<br />
Emotional-instabile Symptomatik mit min<strong>de</strong>stens zwei Merkmalen:<br />
• mangelhafte o<strong>de</strong>r fehlen<strong>de</strong> Impulskontrolle<br />
• Affektinstabilität<br />
• unzureichen<strong>de</strong> Handlungspla<strong>nun</strong>g<br />
• Neigung zu aggressivem o<strong>de</strong>r streitsüchtigem<br />
Verhalten<br />
• Wutausbrüche, insbeson<strong>de</strong>re wenn impulsives<br />
Verhalten behin<strong>de</strong>rt o<strong>de</strong>r kritisiert wird
Zusätzlich ein weiteres Kriterium für eine<br />
Bor<strong>de</strong>rline-Störung:<br />
• Unsicherheit über das eigene Selbstbild und I<strong>de</strong>ntität<br />
sowie <strong>de</strong>r „inneren Präferenz“ (einschl. <strong>de</strong>r sexuellen<br />
Präferenz)<br />
• intensives unbeständiges Beziehungsverhalten, das nicht<br />
selten Auslöser emotionaler Krisen ist<br />
• parasuizidale o<strong>de</strong>r automutilative Handlungen
Symptomatik<br />
• Interview mit Eltern und Patient getrennt:<br />
• allgemeine Anamnese<br />
spezielle Anamnese:<br />
• Symptomatik schon seit Kindheit/Jugend?,<br />
• typisch für Person <strong>de</strong>s Jugendlichen?,<br />
• tritt in unterschiedlichen Lebenssituationen auf?;<br />
• in <strong>de</strong>r Familie treten evt. ähnliche Persönlichkeitszüge auf.<br />
• Wenn nur Informationen vom Patienten, dann Exploration<br />
zu mehreren Terminen.
Bor<strong>de</strong>rline-Störung<br />
• Instabilität in zwischenmenschlichen Beziehungen,<br />
• impulsives Verhalten, Wut o<strong>de</strong>r aggressive Durchbrüche,<br />
Selbstverletzungen, Suizidversuche,<br />
• extreme, kurzwellige Stimmungsschwankungen,<br />
• I<strong>de</strong>ntitätskrisen bei inkonstanter Lebenspla<strong>nun</strong>g und<br />
häufigem erleben von krisenhaften Situationen,<br />
• Depersonalisationserlebnisse, psychogene Amnesien,<br />
Tranceerlebnisse
• Psychiatrische Komorbidität und Begleitstörung<br />
• Befragung von Eltern und Patient: F1-F50 (prognostisch<br />
ungünstig)<br />
• affektive Störung,<br />
• Alkohol- und Substanzmissbrauch,<br />
• Essstörung,<br />
• dissoziale, histrionische, narzisstische<br />
Persönlichkeitsstörung
Störungsrelevante<br />
Rahmenbedingungen<br />
• mangeln<strong>de</strong> Wärme in <strong>de</strong>n familiären Beziehungen,<br />
• unberechenbares und feindseliges Erziehungsverhalten<br />
• frühe Tren<strong>nun</strong>gserfahrungen<br />
• Erfahrungen durch körperliche Gewalt und/o<strong>de</strong>r sexuellem<br />
Missbrauch<br />
• psychische Auffälligkeiten in <strong>de</strong>r Familie wie schizophrene,<br />
affektive Störungen, Impulskontrollstörungen, Alkohol- und<br />
Drogenmissbrauch, Dissozialität<br />
• d.h. insgesamt ein dysfunktionales Familiensystem…
Differentialdiagnosen<br />
• Schizophrenie,<br />
• affektive Störungen,<br />
• Störung <strong>de</strong>s Sozialverhaltens,<br />
• dissoziative Störung,<br />
• artifizielle Störung (Münchhausen-<br />
Syndrom)
Behandlungssetting<br />
Häufig stationär bei ausgeprägter Symptomatik,<br />
stationäre Behandlung außer<strong>de</strong>m bei:<br />
• Eigengefährdung (Suizidalität),<br />
• selbstverletzen<strong>de</strong>s Verhalten,<br />
• Fremdgefährdung,<br />
• Komorbidität mit psychiatrischen Erkrankungen
Therapie: Psychotherapie<br />
• Dialektisch behaviorale Therapie (DBT) nach Linehan.<br />
• «Verbesserung Selbstwahrnehmung.<br />
• «Erforschung Stimuli,<br />
• «Affektregulieren<strong>de</strong>s Verhalten,<br />
• «Krisenmanagement, Suizidprophylaxe.<br />
• «Selbstkontrollmaßnahmen.<br />
• «A<strong>bb</strong>au dichotomen Denkens.<br />
• «Training sozialer Fertigkeiten<br />
• « Skillstraining
Therapie: Medikamente (eher untergeordnete<br />
Rolle)<br />
• Anti<strong>de</strong>pressiva, SSRI (ausgeprägte affektive Störung,<br />
Impulsivität),<br />
• MAO-Hemmer (Wut, Affekte und Impulskontrollstörungen,<br />
SSRI’s auch darin positiv),<br />
• Carbamazepin (Stimmungsschwankung, Autoaggressivität),<br />
• Neuroleptika,<br />
• niedrigpotente Neuroleptika,<br />
• Lithium, Carbamazepin, Valproat bei ausgeprägt impulshaften und<br />
aggressiven Symptomen
Skills-Training<br />
bei Patienten mit selbstverletzen<strong>de</strong>m Verhalten<br />
Dr. <strong>Maike</strong> <strong>Pellarin</strong><br />
AHG Klinik für Kin<strong>de</strong>r und Jugendliche<br />
Beelitz Heilstätten
Psychotherapie Dialektisch behaviorale Therapie (DBT) nach Linehan.<br />
Schwierigkeiten<br />
☺<br />
☺Fertigkeiten<br />
I<strong>de</strong>ntitätsstörung<br />
(Du weißt nicht, wie Du Dich fühlst)<br />
Impulsivität<br />
(Du han<strong>de</strong>lst, ohne vorher darüber<br />
nachzu<strong>de</strong>nken)<br />
Emotionale Instabilität<br />
(rasche, intensive Stimmungswechsel<br />
ohne viel Kontrolle)<br />
Zwischenmenschliche Probleme<br />
(Schwierigkeiten, mit an<strong>de</strong>ren klar zu<br />
kommen)<br />
Jugendliche- und Familien Dilemmata<br />
(extremes Denken, Fühlen und Han<strong>de</strong>ln, z.B.<br />
„Alles- o<strong>de</strong>r Nichts-Denken“)<br />
➮<br />
➮<br />
➮<br />
➮<br />
➮<br />
Achtsamkeit<br />
Stresstoleranz<br />
Emotionsregulation<br />
Zwischenmenschliche<br />
Fertigkeiten<br />
Walking<br />
the Middle Path
Stresstoleranz Skills
Kurzfristige Stresstoleranzskills<br />
Beispiele:<br />
• Chilli<br />
• Eiswürfel<br />
• Auf Tassen stehen<br />
• Hirn-Flick-Flack<br />
• Und vieles mehr
Notfallkoffer<br />
•Wird individuell zusammengestellt<br />
•Eigene I<strong>de</strong>en und Bil<strong>de</strong>r<br />
•Erinnerungskärtchen
Längerfristige Stresstoleranzskills<br />
• Radikale Akzeptanz: „Im Augenblick kann ich nicht han<strong>de</strong>ln, ich muss die<br />
Situation so gut wie möglich aushalten, bis ich eingreifen kann.“<br />
• Leichtes Lächeln: „Durch das Lächeln verän<strong>de</strong>rt sich mein Körperzustand –<br />
positive Reaktionen und Entspan<strong>nun</strong>g können einsetzen. Ich lächle nur für<br />
mich, hat nichts mit an<strong>de</strong>ren Menschen zu tun!“. Dabei <strong>de</strong>n Kopf<br />
hochnehmen, gera<strong>de</strong> sitzen, tief durchatmen. „Ich kann mir auch vorstellen,<br />
dass z.B. mein Chef eine löchrige Unterhose anhat o<strong>de</strong>r versuchen, die Welt<br />
mit liebevollen, positiven Gedanken zu sehen.“<br />
• Schritte in Richtung angenehmer Gefühle<br />
• Verwundbarkeit verringern: zum Beispiel gute Tagespla<strong>nun</strong>g mit Pausen,<br />
damit man nicht in <strong>de</strong>n Stress kommt und die Span<strong>nun</strong>g dadurch nicht noch<br />
ansteigt.
Umgang mit Gefühlen
Grund<strong>lag</strong>en zu Gefühlen<br />
• Freu<strong>de</strong><br />
• Wut<br />
• Liebe<br />
• Schuld<br />
• Angst<br />
• Scham
Zwischenmenschliche<br />
Fertigkeiten
Beispiele:<br />
Zwischenmenschliche<br />
• Wie sage ich nein<br />
Fertigkeiten<br />
• Wie gestalte ich Interaktionen für mich<br />
besser<br />
• Wie sehr beharre ich auf et<strong>was</strong>
Achtsamkeit
• Achtsam zu sein be<strong>de</strong>utet, ganz in <strong>de</strong>r<br />
Gegenwart, im Hier und Jetzt zu sein und<br />
sich seiner Gefühle, Gedanken und<br />
Handlungen in je<strong>de</strong>m Augenblick voll<br />
bewusst sein.
Die Rolle eines unparteiischen Beobachters<br />
einnehmen
Vergangenheit und Zukunft spielen keine<br />
Rolle mehr
Gedanken und Gefühle wer<strong>de</strong>n klarer gesehen, aber <strong>de</strong>r<br />
Wunsch et<strong>was</strong> ständig verän<strong>de</strong>rn o<strong>de</strong>r zensieren zu<br />
wollen, unterbleibt.<br />
(Kreislauf <strong>de</strong>s unaufhörlichen Denkens wird<br />
unterbrochen)
Gleichgewicht<br />
zwischen<br />
Gefühl und Verstand
Übung<br />
• Atem beobachten ohne ihn zu beeinflussen<br />
• Bis 10 zählen und bei einem stören<strong>de</strong>n Gedanken<br />
wie<strong>de</strong>r bei 1 anfangen<br />
• Fließbandübung (Gedanken, Körpergefühle und<br />
Handlungsimpulse sortieren und in Schachteln packen)
Vielen Dank<br />
für Ihre<br />
Achtsamkeit!