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Verschleppt und totgeglaubt - Durchblick

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Susanne Krummenacker lebt heute in Siegen<br />

Der Abtransport in Viehwaggons aus dem rumänischen<br />

Heimatort in die Sowjetunion, das war<br />

am Ende des zweiten Weltkriegs ein tiefgreifender<br />

Einschnitt in der Biografie eines 18-jährigen Mädchens.<br />

Susanne Krummenacker, die Lebensgefährtin von<br />

unserem durchblick-Kollegen Fritz Fischer, gehörte zu<br />

den 75 000 volksdeutschen Frauen <strong>und</strong> Männern im sowjetisch<br />

besetzten Rumänien, die kurz vor Kriegsende<br />

1945 von russischen Soldaten mit unbekanntem Ziel nach<br />

Russland verschleppt wurden. Die völlig unvorbereiteten<br />

<strong>Verschleppt</strong> <strong>und</strong> <strong>totgeglaubt</strong><br />

Kein Feinstaubfilter nöti g !<br />

DIREKT VOM HERSTELLER<br />

Lebensgeschichte<br />

Foto: Gottfried Klör<br />

Volksdeutschen wurden - als Folge eines sowjetischen<br />

Regierungsbeschlusses - in den rumänischen Dörfern<br />

ermittelt <strong>und</strong> zu jahrelanger schwerer Zwangsarbeit ins<br />

Land der russischen Siegermacht deportiert. Das galt als<br />

Wiedergutmachung der deutschen Kriegsschuld: Beteiligung<br />

am Wiederaufbau der unter dem Hitlerregime in der<br />

Sowjetunion verursachten Zerstörungen.<br />

Susanne war mit ihren knapp achtzehn Jahren nicht<br />

mehr jung genug, um verschont zu werden. Ihr Name war<br />

in den Listen des russischen Militärs unter dem Jahrgang<br />

1927 registriert. Sie gehörte somit zur Gruppe der jüngsten<br />

Frauen zwischen achtzehn <strong>und</strong> dreißig Jahren, die Opfer<br />

der sowjetischen Willkür wurden.<br />

Zu den Volksdeutschen in Rumänien zählte auch Kollegin<br />

Dorothea Istock aus Siebenbürgen, die in einem<br />

früheren durchblick aus ihrer Vergangenheit berichtet hat.<br />

Sie war damals noch zu jung, um zur Begleichung der absurden<br />

Kriegsschuld herangezogen zu werden. Ihr blieben<br />

die Qualen von Deportation <strong>und</strong> Internierung erspart.<br />

Das Schicksal der <strong>Verschleppt</strong>en wurde in der Weltöffentlichkeit,<br />

auch in Rumänien <strong>und</strong> in der B<strong>und</strong>esrepublik,<br />

jahrzehntelang kaum diskutiert oder dokumentiert, bis in<br />

den neunziger Jahren aufrüttelnde Berichte von Zeitzeugen<br />

darauf aufmerksam machten.<br />

Ein kurzer historischer Rückblick führt bis ins 18.<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert. 1718 kam das Banat, seinerzeit unter Türkenherrschaft,<br />

unter österreichische Militärverwaltung<br />

<strong>und</strong> wurde - wie auch Siebenbürgen - neu besiedelt. Beamte,<br />

Handwerker, Kaufleute, Bauern fanden - vor allem<br />

auf Betreiben von Kaiserin Maria Theresia - als deutsche<br />

Volksgruppe eine neue Heimat <strong>und</strong> neue Aufgaben unter<br />

der ansässigen Bevölkerung.<br />

Die deutschen Siedler haben<br />

die damals in sie gesetzten Erwartungen<br />

nicht enttäuscht. Die<br />

Kolonisation des Banat gehört<br />

zu den bedeutendsten österreichisch-deutschenKulturleistungen<br />

des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts.<br />

Susanne erinnert sich gern an<br />

ihre Kindheit <strong>und</strong> Jugend im fast<br />

ausschließlich von Deutschen<br />

bewohnten Geburtsort Klein<br />

Omor. Sie besuchte dort die<br />

deutsche Gr<strong>und</strong>schule, an der ihr<br />

Vater Lehrer war, anschließend<br />

in der Hauptstadt Temeschburg<br />

das Gymnasium <strong>und</strong> die Pädagogische<br />

Lehranstalt. Der Vater<br />

war zu dieser Zeit Schulinspektor<br />

für das Südbanat, außerdem in<br />

Reserve beim rumänischen Militär.<br />

Geborgenheit in der Familie<br />

30 durchblick 3/2009


<strong>und</strong> reibungslose Integration prägten bis Januar1945<br />

die sorglose Zeit in Rumänien, das<br />

zuvor mit Deutschland verbündet war.<br />

Die Folgen des Beschlusses zur Deportation,<br />

dem sich die rumänische Regierung 1945<br />

unter sowjetischer Kontrolle nur anfänglich<br />

widersetzte, waren katastrophal für die deutschen<br />

Banater. Zwischen Januar <strong>und</strong> Mai 1945<br />

erging Befehl an die in Rumänien einrückende<br />

roteArmee, junge arbeitsfähigeVolksdeutsche<br />

(speziell aus Banat <strong>und</strong> Siebenbürgen) zusammenzutreiben.<br />

Fast eine Million deutsche<br />

Zivilisten aus den als Kriegsfolge besetzten<br />

osteuropäischen Ländern wurden nach Russland<br />

verschleppt, unter ihnen 864.000 Frauen.<br />

Für die betroffenen Deutschen in Rumänien,<br />

<strong>und</strong> so auch für Susanne, wurde der 14. Januar<br />

1945 zum Schicksalstag. Unter schwerer<br />

Strafandrohung wurden die ermittelten Deutschen<br />

mit Straßenappellen zum Sammelplatz beordert, oder<br />

vom rumänischem Militär abgeholt. Sie wurden unschuldige<br />

Opfer der russischen Rache für Naziverbrechen im<br />

Krieg zwischen zwei totalitären Staaten.<br />

Durch den Deportationsbefehl der Sowjets wandelte<br />

sich das Klima in Rumänien, das jetzt - zunächst unter<br />

Zwang - an der Seite Russlands gegen Deutschland Krieg<br />

führte. Alle noch vor Ort gebliebenen deutschen Soldaten<br />

wurden gefangengenommen.<br />

Susanne, die damals schon mit ihren Eltern in die<br />

Hauptstadt Temeschburg gezogen war, erzählt: „Das Militär<br />

kam am 14. Januar in der Nacht. Ich war bei einer<br />

Nachbarin in Klein Omor zu Besuch <strong>und</strong> wurde durch<br />

lautes Klopfen ans Fenster geweckt. Ein rumänischer Soldat<br />

hat uns aufgefordert, ihm ins Gemeindehaus zu folgen,<br />

wo zahlreiche Frauen zwischen 18 <strong>und</strong> 30 Jahren schon<br />

versammelt waren. Dann wurden wir mit Leiterwagen in<br />

eine Schule im nächsten Städtchen gebracht <strong>und</strong> von dort<br />

aus zum Bahnhof, wo wir in Viehwaggons eines Güterzugs<br />

eingepfercht wurden.“ Susanne hatte kein Gepäck,<br />

an Kleidern <strong>und</strong> Wäsche nur, was sie am Leib trug. Ein<br />

Winterdirndl <strong>und</strong> der Mantel der Mutter, das war die Garderobe<br />

für fünf Jahre Zwangsarbeit. Es gab - unter ständiger<br />

Beobachtung - keine Möglichkeit, noch einmal nach<br />

Hause zu den Eltern zu kommen. Das Ziel der Bahnfahrt<br />

<strong>und</strong> ein Gr<strong>und</strong> für das Vorgehen der Sowjets blieb unbekannt.<br />

Es wurde nichts von den Bewachern erklärt, auch<br />

nicht in den folgenden Monaten <strong>und</strong> Jahren. Verschleppung<br />

war bisher für Susanne „nur ein Wort.“<br />

Es folgte die Fahrt ins völlig Ungewisse, in Dunkelheit,<br />

Kälte, Gestank <strong>und</strong> erdrückende Enge. Als Toilette diente<br />

ein Loch im Brett des Holzbodens.<br />

Die Türen blieben tagelang geschlossen. Nach etwa<br />

zwei Wochen, Anfang Februar, folgte dann die Ankunft<br />

im Sammellager Irmino im Dobras-Becken (grenzt ans<br />

Schwarze Meer).<br />

Lebensgeschichte<br />

In solch einem Lager, das der Siegener Architekt Manfred Petrie † aus dem<br />

Gedächtnis nachgezeichnet hat, war Susanne Krummenacker interniert<br />

Susanne denkt im Gespräch mit dem durchblick zurück<br />

an die ersten Wochen des fünfjährigen Lebens in Unfreiheit:<br />

„Es gab in den für die Deportation bestimmten Gebieten,<br />

wie wir später erfahren haben, andere sowjetische<br />

Internierungslager, in denen Willkür <strong>und</strong> brutale Gewalt<br />

unzählige Todesopfer forderten.“<br />

Das bestätigt eine umfangreiche, seit den neunziger Jahren<br />

erschienene Literatur mit erschütternden Zeugenberichten.<br />

„So war das in Irmino nicht“, sagt Susanne: „Keine<br />

Strafen, keine Folter, keine Todesopfer durch Gewalt. Nur<br />

die äußeren Zustände waren vergleichbar, der qualvolle<br />

Hunger, die entwürdigende Arbeit, der totale Verlust der<br />

persönlichen Freiheit. In den fünf Jahren der Verschleppung<br />

war Susanne in sieben Lagern interniert. Dazu ihre<br />

Erfahrung: „Das Verhalten der militärischen Bewacher gegenüber<br />

uns Frauen war auch in den anderen Lagern mit<br />

wenigen Ausnahmen nicht von Gewalt geprägt.“<br />

Susannes Schilderung des Lebens im Lager Irmino<br />

erscheint allerdings auch ohne solche gnadenlose Behandlung<br />

ganz einfach menschenunwürdig: „Wir waren<br />

50 Frauen, eingezäunt hinter Stacheldraht, bewacht von<br />

bewaffneten<br />

Sowjets. Die<br />

Häuserwände<br />

waren nur Fassaden,<br />

hinter<br />

denen die Pritschen<br />

in langer<br />

Reihe für uns<br />

aufgestellt waren.<br />

In der behelfsmäßigen<br />

Kantine gab es<br />

jeden Tag dünne<br />

Sauerkrautsuppe<br />

<strong>und</strong> manch-<br />

Ev. Krankenhaus<br />

Kredenbach<br />

✆ 0 27 32 20 91 25<br />

Schlossberg<br />

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Krankenhaus<br />

✆ 02 71 8 10 88<br />

Ambulante Rehabilitation<br />

durchblick 3/2009 31


In Ihrem Heimatort Voitek im Banat arbeitete Susanne als Kindergärtnerin.<br />

mal Hirsebrei. Die absolute Krönung im Speiseplan war<br />

am Morgen die abgewogene Brotration (500 Gramm). Es<br />

schien mir allerdings oft, als ob das Brot zum größten<br />

Teil aus Sägemehl bestand.“<br />

Jeder Tag begann mit dem Antreten zum Appell, dann<br />

Abmarsch der bewachten Kolonne, zunächst im Bereich<br />

der Landwirtschaft. Da gehörte es zu den ersten Aufgaben,<br />

die festgefrorene Erde aufzulockern, auf der später die für<br />

die Gärtnereien bestimmten Kartoffeln geerntet wurden;<br />

für die Frauen ein fast sinnloses Vorhaben bei eisiger Kälte.<br />

Werkzeuge wie Stemmeisen, Spitzhacke <strong>und</strong> Brechstange<br />

mussten die nicht vorhandenen Gartengeräte ersetzen.<br />

Unzureichend war auch die längst verschlissene Kleidung<br />

aus den Beständen des Lagers. Not macht erfinderisch. Das<br />

verdeutlicht Susanne an Beispielen: „Als die Sohlen des<br />

einzigen Paars Schuhe sich lösten, wurden sie mit Draht<br />

festgeb<strong>und</strong>en. Einige Lagerinsassinnen beherrschten das<br />

Schneiderhandwerk <strong>und</strong> nähten aus den Bettlaken Röcke,<br />

Blusen <strong>und</strong> Kleider.“ Die Landarbeit erstreckte sich über<br />

zwei Jahre, Tag für Tag. Zusätzlich gehörte die Beschaffung<br />

Lebensgeschichte<br />

von Baumaterial, vor allem der<br />

Transport von Zement auf primitiven<br />

Tragen, zur achtstündigen<br />

Schichtarbeit.<br />

Susanne berichtet sachlich<br />

<strong>und</strong> lebendig zugleich, ohne<br />

Emotionen; keine Klage über<br />

verlorene Jahre, kein Vorwurf,<br />

kein Bedauern ist dabei. Sie sagt:<br />

„So war das nun mal, das war<br />

jetzt mein Leben.“ Auflehnung<br />

<strong>und</strong> Verzweiflung gehörten für<br />

sie nicht dazu. Dagegengesetzt<br />

wurde Durchhaltevermögen <strong>und</strong><br />

Hoffnung.<br />

Kraft schöpfte die 18-Jährige<br />

nach der Ankunft im Lager<br />

aus der Gemeinsamkeit mit den<br />

Schicksalsgenossinnen. Unter den<br />

20 Frauen im Schlafraum waren<br />

viele Mütter, die ihre kleinen Kinder im Banat zurücklassen<br />

mussten. Im Kindergarten eines Dorfes, in dem Susanne vor<br />

ihrer Verschleppung gearbeitet hatte, waren auch Jungen <strong>und</strong><br />

Mädchen darunter, die jetzt so schmerzlich von ihren Müttern<br />

vermisst wurden.<br />

Kontakt zu den Familien in Rumänien war untersagt.<br />

„Diese Sorge um ihre Kinder, die Angst, sie vielleicht nie<br />

wiederzusehen, das war für die Mütter, deren Weinen in den<br />

Nächten zu hören war, schlimmer, als alles andere“, sagt<br />

Susanne. Hier wird spürbar, dass die Erinnerung sie immer<br />

noch belastet: „Immer wieder quälte die Frage: Warum wird<br />

das uns, unseren Familien angetan? Begriffe wie Nationalsozialismus<br />

<strong>und</strong> Kommunismus waren Fremdwörter für die<br />

meisten im Lager.“<br />

Im vorletzten Lager meldete sich Susanne freiwillig zur<br />

Arbeit in der Kohlengrube. Sie begründet das:„In den feuchten,<br />

dunklen Schächten war es wärmer, darum erträglicher,<br />

als unter freiem Himmel.“ Aber gefährlicher war es auch.<br />

Susanne musste die beladenen Kipploren im Schacht begleiten,<br />

die manchmal aus den Gleisen kippten. „Wir mussten<br />

die Wagen dann wieder mit Eisenstäben auf die Schienen<br />

heben <strong>und</strong> die verlorene Kohle einsammeln.“ Solche Arbeit<br />

im niedrigen Schacht konnte oft nur gebückt oder sogar nur<br />

im Liegen erledigt werden. Außerdem mussten die Frauen<br />

ständig durch Wassergräben laufen, die rechts <strong>und</strong> links die<br />

Schienen flankierten. Susanne schildert die Folge davon:<br />

„Wenn ich völlig verdreckt <strong>und</strong> durchnässt ins Lager zurück<br />

kam, waren die Hosen vereist.“ Für die acht St<strong>und</strong>en Schichtarbeit<br />

- Frühschicht, Mittagsschicht, Nachtschicht - gab es<br />

einen Lohn, der komplett für Essen, Kleidung, Strom <strong>und</strong><br />

andere Kosten des Lagers einbehalten wurde.<br />

Immer, auch während der Schwerstarbeit, kreisten die<br />

Gedanken ums Essen. Susanne bleibt das unvergesslich:<br />

„Wir haben aus der Erinnerung Rezepte ausgetauscht, auch<br />

aufgeschrieben <strong>und</strong> versucht, uns vorzustellen, wie so et-<br />

32 durchblick 3/2009<br />

Foto: Susanne Krummenacker


was schmecken würde: das köstliche<br />

Essen von Zuhause.“<br />

Ein wohltuender Kontrast zu<br />

der zermürbenden Arbeit in der<br />

Grube war ab 1948 die Lager-Unterkunft,<br />

die Susanne vergleichsweise<br />

fast luxuriös erschienen ist.<br />

In großen hellen Räumen standen<br />

aufgereiht richtige Betten. Es<br />

gab sogar auch noch andere Möbel,<br />

<strong>und</strong> die Wasch- <strong>und</strong> Duschräume<br />

boten die Möglichkeit einer<br />

gründlichen Reinigung vom Grubendreck,<br />

wenn auch immer nur<br />

bis zum nächsten Arbeitsbeginn.<br />

Nach der Arbeit gelang es tatsächlich<br />

an manchen Tagen, so etwas<br />

wie Entspannung <strong>und</strong> Lebensfreude<br />

aufkommen zu lassen. Dem<br />

Parteiprogramm entsprechend,<br />

ermöglichte <strong>und</strong> förderte die Lagerleitung<br />

ein Kulturangebot. Ein<br />

Oberschlesier, überzeugter Kommunist, hatte die künstlerische<br />

Leitung übernommen <strong>und</strong> organisierte Gastspiele<br />

von Orchestern, Kapellen, Schauspielensembles. Kostüme<br />

<strong>und</strong> Requisiten wurden den Lagerinsassen zur Verfügung<br />

gestellt, <strong>und</strong> im großen Saal gab es eine richtige Bühne.<br />

Susanne denkt gern an dieses Kontrastprogramm: „Das<br />

lenkte vom Heimweh ab <strong>und</strong> machte wieder Mut. Wir haben<br />

unter fachlicher Leitung kleine Stücke <strong>und</strong> ein Ballett<br />

einstudiert, Tänze eingeübt <strong>und</strong> im gemischten Chor gesungen.<br />

Das hat uns allen weitergeholfen.“<br />

Sie zieht nüchtern Bilanz: „Die Wohltaten gehörten zwar<br />

in das Parteiprogramm der Sowjets, die uns trotz der katastrophalen<br />

Lebensumstände arbeitswillig <strong>und</strong> leistungsfähig<br />

erhalten wollten. Aber letztlich waren sie im Ergebnis<br />

ein gelungener mitmenschlicher Versuch, uns zu beweisen,<br />

dass Durchhalten lohnt.“<br />

Nachdem das Kriegsende im Mai 1945 im Lager verkündet<br />

wurde, kam zunächst die trügerische Hoffnung auf<br />

sofortige Befreiung <strong>und</strong> Heimkehr auf. Aber dann ging es<br />

weiter mit dem monotonen Arbeitsalltag im Bergwerk, dem<br />

Hunger <strong>und</strong> der quälenden Ungewissheit: Wie lange noch?<br />

Die Antwort der Bewacher war vom ersten Tag an immer die<br />

gleiche: „Das geht bald los, ihr kommt bald nach Hause...“<br />

Im Oktober 1949 kam das Ende der Internierung für<br />

die inzwischen 22-jährige Susanne unerwartet <strong>und</strong> überraschend,<br />

wie der Anfang der Deportation im Banat.<br />

Es ging alles sehr schnell. Der befreiende Beschluss der<br />

Regierung wurde beim Appell von der Lagerleitung verkündet:<br />

„Das Innenministerium hat beschlossen, dass alle<br />

rumänischen Staatsbürger noch im Dezember vom Sammellager<br />

aus in ihre Heimat zurückgeführt werden.“<br />

Wohin nun? Susanne hatte über Umwege <strong>und</strong> über die<br />

Vermittlung von Internierten aus anderen Lagern ein ein-<br />

Lebensgeschichte<br />

Unter Leitung wurde u. a. getanzt <strong>und</strong> im gemischten Chor gesungen. Ein Zugeständnis<br />

der Sowjets, um uns trotz der katastrophalen Lebensumstände arbeitswillig zu halten.<br />

ziges Mal Post von ihrem Vater bekommen. Sie konnte daraufhin<br />

nur vermuten, dass sie ihre Eltern <strong>und</strong> den Bruder<br />

in Sackelhausen wiedersehen würde, dem Ort aus dem ihre<br />

beiden Eltern stammten. Und so kam es dann auch.<br />

Die Bahnfahrt zurück nach Hause verging ohne besondere<br />

Hindernisse, wieder in Viehwagen, aber jetzt mit frischer<br />

Luftzufuhr, ohne erdrückende Enge, <strong>und</strong> vor allem mit bekanntem<br />

Ziel. Die Frage, was Menschen, deren Leben fast<br />

fünf Jahre lang weggesperrt wurde, bei solcher Rückkehr<br />

nach Hause empfinden, bleibt unbeantwortet. Susanne sagt,<br />

was sie während langer Gespräche mehrfach verdeutlicht<br />

hat: „Das lässt sich nicht beschreiben, das kann kein Mensch<br />

verstehen, der das alles nicht selbst erlebt hat.“ Solche Erkenntnis<br />

trifft auch auf das Wiedersehen mit den Eltern zu.<br />

Die Zwei<strong>und</strong>achtzigjährige denkt zurück: „Ich traf in Sackelhausen<br />

auf der Straße einen Onkel, der bei meinem Anblick<br />

fassungslos überrascht war. Er sagte nach einer Pause: „Deine<br />

Eltern haben erfahren, dass Du tot bist, in Russland gestorben.<br />

Ich muss<br />

sie erst vorbereiten.“<br />

Das tat er<br />

auch. Und dann<br />

kam es zum Wiedersehen<br />

mit der<br />

Totgeglaubten:<br />

„Es gab ein Geheule<br />

<strong>und</strong> Gejohle,<br />

die Heimkehr<br />

der verlorenen<br />

Tochter. Das war<br />

eine ganz private<br />

Familienzusammenführung.“<br />

Physiotherapie<br />

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Kredenbach<br />

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Schlossberg<br />

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durchblick 3/2009 33<br />

Foto: Susanne Krummenacker


Der Vater, zuvor selbst interniert, nicht weit entfernt von<br />

der dennoch für ihn unerreichbaren Tochter, die Mutter mit<br />

dem Sohn auf der Flucht nach Deutschland unterwegs - <strong>und</strong><br />

nun alle wieder vereint.<br />

Und dann, nach diesem überwältigenden Wiedersehen,<br />

begann der ganz normale Alltag. Der Vater war inzwischen<br />

Direktor der deutschen Schule in Sackelhausen,<br />

die Mutter dort Lehrerin. Schon nach wenigen Wochen<br />

konnte Susanne an der deutschen Schule eine Stelle als<br />

Hilfslehrerin antreten, die zufällig frei geworden war.<br />

1952 heiratete sie einen deutschen Eisenmechaniker aus<br />

Voiteck, einem Ort, der noch sehr wichtig für sie werden<br />

sollte. Die Großfamilie blieb zusammen im Häuschen in<br />

Sackelhausen. 1953 kam die Tochter Elfriede zur Welt,<br />

zwei Jahre später der Sohn Reinhold. 1961 erbte Susanne<br />

in der Ortschaft Voiteck ein Haus von einem alten Mann,<br />

den sie jahrelang betreut hatte. Die Familie zog nun ins<br />

eigene Haus. Susanne fand zunächst wieder Arbeit im rumänischen<br />

Kindergarten. Von 1965 bis 1973 war sie dann<br />

Hauptkassierin in einem landwirtschaftlichen Staatsunternehmen.<br />

1976 zogen auch ihre Eltern, inzwischen im<br />

Ruhestand, nach Voiteck. Es gab nur noch eine kurze gemeinsame<br />

Zeit für drei Generationen. Der Vater starb noch<br />

im selben Jahr.<br />

Nach fast 30-jähriger Ehe verlor Susanne 1981 ihren<br />

Mann <strong>und</strong> wenig später die Mutter. Sie war nun allein mit<br />

dem Sohn im Haus, die Tochter blieb noch im nahegelegenen<br />

Sackelhausen.<br />

HAUS PATMOS -ein Besuch lohnt sich.<br />

Lebensgeschichte<br />

Haus Patmos liegt in einem parkähnlichen Gelände, mitten im Naturschutzgebiet Langenbachtal.<br />

Ebene Wanderwege laden nicht nur zu erholsamen Spaziergängen ein, sondern sind auch<br />

für sportliche Aktivitäten bestens geeignet.<br />

Es ist das ideale Haus für Einzelübernachtungen, für Familienfeiern, Erholung <strong>und</strong><br />

Entspannung, für Freizeit- <strong>und</strong> Gruppenreisen <strong>und</strong> für Tagungen.<br />

Das Restaurant im Haus Patmos ist täglich geöffnet <strong>und</strong> bietet mittags wechselnde<br />

Tagesmenüs, Kaffee <strong>und</strong> Kuchen am Nachmittag <strong>und</strong> Essen á la carte am Abend.<br />

- Das Restaurant ist barrierefrei erreichbar -<br />

Testen Sie unseren guten <strong>und</strong> preiswerten Mittagstisch täglich von 12.00 - 14.00 Uhr.<br />

Herzlich willkommen im Haus Patmos<br />

- erleben Sie echte Gastfre<strong>und</strong>schaft in natürlicher Umgebung.<br />

Die erste Verbindung mit der Krönchenstadt war für<br />

Susanne bereits 1972 durch die Ausreise ihrer Schwiegermutter<br />

<strong>und</strong> ihrer Schwägerin entstanden. Die Schwägerin,<br />

Anne Engelmann, war von 1972 bis 1988 Lehrerin an der<br />

Diesterweg-Schule. Sie verfasste ein bewegendes Buch<br />

über ihre Heimat „Voiteck“ <strong>und</strong> ihre Zeit in Lagern der<br />

Sowjetunion.<br />

Kontakte zu Angehörigen waren für Susanne, die<br />

nach ihrer Deportation eine Familienzusammenführung<br />

im kleinen Kreis erlebt hatte, ein Gr<strong>und</strong>, die Ausreise zu<br />

planen. Die Zwänge des kommunistischen Systems berührten<br />

sie weniger: „Das lag für mich weit zurück, in<br />

Russland hinter Stacheldraht.“<br />

Die politische Situation in Rumänien, Beschränkung<br />

der persönlichen Freiheiten, die mangelhaften Lebensbedingen<br />

<strong>und</strong> die hohe Anzahl der Enteignungen hatten<br />

inzwischen bei vielen Volksdeutschen den Wunsch aufkommen<br />

lassen, nach Deutschland auszuwandern. Nach<br />

einer Vereinbarung zwischen B<strong>und</strong>eskanzler Helmut<br />

Schmidt <strong>und</strong> dem Präsidenten Ceausescu 1977 war diese<br />

Möglichkeit eingeleitet worden, offiziell als „Familienzusammenführung“.<br />

Aber erst in den achtziger Jahren<br />

wurden die Grenzen durchlässig. Susanne kam 1983 mit<br />

ihrem Sohn nach Siegen.<br />

Ihr geht es gut. Sie hält ständige Verbindung zur Landsmannschaft<br />

der „Banater Schwaben;“ (keiner weiß, warum<br />

sie Schwaben heißen, sie sind keine). Susanne hat<br />

die Dörfer, in denen immer weniger Volksdeutsche leben,<br />

mit Fritz Fischer wieder-<br />

HAUS PATMOS<br />

Hotel & Gästehaus<br />

Patmosweg 60 . 57078 Siegen-Geisweid<br />

Telefon: 02 71 / 77 00 96-0<br />

info@hauspatmos.de www.hauspatmos.de<br />

Ihr Team vom Haus Patmos<br />

holt besucht. Sie hat in<br />

Siegen Menschen um sich,<br />

die zu ihr gehören: Die Familie,<br />

auch die Tochter, die<br />

1988 nachkam <strong>und</strong> „um<br />

die Ecke“ wohnt. Und seit<br />

mehr als 20 Jahren gehört<br />

zu ihr in Lebensgemeinschaft<br />

unser Kollege Fritz<br />

Fischer.<br />

Für die Opfer, die ausersehen<br />

waren, als deutsche<br />

Wiedergutmachung<br />

der Kriegsschuld fünf<br />

Jahre Zwangsarbeit im<br />

tiefen Russland zu leisten,<br />

bleiben viele Fragen<br />

offen. Wer macht das<br />

wieder gut? Warum hat<br />

die Weltöffentlichkeit das<br />

alles kaum gewusst, oder<br />

schnell vergessen? Susanne<br />

kennt solche Fragen<br />

auch, aber sie stellt<br />

sie nicht.<br />

Maria Anspach<br />

34 durchblick 3/2009

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