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CCC - Das chaos Computer Buch

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<strong>Das</strong> Chaos <strong>Computer</strong> <strong>Buch</strong><br />

<strong>Das</strong> Chaos <strong>Computer</strong> <strong>Buch</strong><br />

tärisch umgesetzt werden: Der Widersacher wird ausgezählt und<br />

blitzartig weggezaubert. Ich will keinem Mikrocomputer-Anwender<br />

unterstellen, daß er vom Schreibtisch aus einen thermonuklearen<br />

Weltkrieg führen möchte. Aber in der Idee des <strong>Computer</strong>s sind<br />

steinalte irrationale Kulturmuster eingebettet, die unterschwellig mit<br />

dem Geist der Anwender wechselwirken und sich zu gespenstischen<br />

Interferenzen und Verstärkungseffekten hochschwingen können.<br />

Wie viele Einsteiger, so habe auch ich in den ersten Monaten mit dem<br />

<strong>Computer</strong> einjäh aufflammendes infantiles Allmachtsgefühl erlebt.<br />

Mitten in einem demokratischen Staatswesen des zwanzigsten<br />

Jahrhunderts lockte plötzlich die Möglichkeit, feudal werden zu<br />

können, König der Magnetic Media Metropolis. <strong>Das</strong> Chamäleon<br />

<strong>Computer</strong>, das kein Menschenrecht kennt, bot sich als Sklave an. Ich<br />

verspürte das heftige Bedürfnis zu putschen und in der<br />

Wohngemeinschaft, in der ich lebte, eine Techno-Monarchie zu<br />

installieren. Der <strong>Computer</strong> würde, mit einem Lichtfühler verbunden,<br />

morgens die jalousien hochziehen, die Kaffeemaschine in Gang<br />

setzen, über eine programmgesteuerte Wassserpumpe die Blumen<br />

gießen, den Geldverkehr abwickeln, das Wissen der Welt aus<br />

Datenbanken abrufen, abends, von einem Bewegungsmelder veranlaßt,<br />

das Licht in den Räumen nur dann einschalten, wenn etwas wie ein<br />

Mensch sich darin regte...<br />

Wichtigste Verbündete der Macht waren seit jeher die Priester,<br />

Astrologen und Magier, die Herren des Kryptischen. «Geheimes<br />

Wissen», schreibt Mumford, «ist der Schlüssel zu jedem System<br />

totaler Herrschaft. Bis zur Erfindung der <strong>Buch</strong>druckerkunst blieb das<br />

geschriebene Wort weitgehend ein Klassenmonopol. Heute hat die<br />

Sprache der höheren Mathematik plus <strong>Computer</strong>technik das<br />

Geheimnis wie auch das Monopol wiederhergestellt, mit einer daraus<br />

folgenden Wiedererrichtung totalitärer Kontrolle. » In altägyptischen<br />

Tempeln wurden an Säulen am Ende langer Hallenfluchten Juwelen<br />

angebracht, die zu bestimmten Zeiten, die den Priestern bekannt<br />

waren, durch den Lichteinfall verschiedener heller Sterne<br />

aufleuchteten und als Signale der Götter vorgestellt wurden - ein<br />

probates Mittel, die Massen und bisweilen sogar den Monarchen<br />

fromm zu halten.<br />

Heute sitzt der Magier als Programmierer vor der Monitor-Kri<br />

stallkugel und läßt, wie es seit Jahrtausenden in der Zauberei üblich<br />

ist, mit Hilfe eines undurchsichtigen Brimboriums von<br />

Beschwörungsformeln Schemen, Gelichter und Tele-Visionen auf der<br />

Glasfläche erscheinen, sieht auf wahrscheinlichkeitstheoretisch<br />

fundiertem Wege hell, simuliert Wundersames, verblüfft durch<br />

atemberaubend realistische Illusionen oder zieht sich einen Satz<br />

Ephemeriden aus dem Speicher und läßt den <strong>Computer</strong>, fast ein wenig<br />

anachronistisch, ein klassisches Horoskop rechnen. Ein schnurgerader<br />

Vektorpfeil führt von den Funkelsteinen der altägyptischen<br />

Sakralbauten über die mittelalterlichen Phantasmagorien zu den<br />

Special Effects des Hollywoodkinos und den War Theatres der<br />

modernen Strategen.<br />

Nach Kittler implementiert jeder Mikroprozessor «von der Software<br />

her, was einst die Kabbala erträumte: Daß Schriftzeichen durch<br />

Verzifferung und Zahlenmanipulation zu Ergebnissen und<br />

Erleuchtungen führen, die kein Leserauge gefunden hätte. » Die<br />

Zusammenstellungen und Anhäufungen von Zahlen ergeben die<br />

modernen Höhlenzeichnungen oder Fingermalereien der Statistiken.<br />

Die Kolonnade von Zahlen, ob Programm-Outputs oder die<br />

maschinensprachlichen Binärsäulen der Programme selbst, bringt dem<br />

heutigen Menschen in jeder Hinsicht eine neue Welle primitiver Schau<br />

und magisch unbewußten Innewerdens des Empfindens. «Leibnitz als<br />

Mathematiker sah wirklich in der mystischen Dyadik von o bis i das<br />

Bild der Schöpfung. Die Einheit des höchsten Wesens, das durch<br />

binäre Funktion auf das Nichts wirkt, glaubte er, genüge, um alles<br />

Seiende aus dem Nichts zu schaffen» (McLuhan). Am Ursprung des<br />

Worts Ziffer, auch Chiffre, steht das arabische Wort sifr. Es bedeutet<br />

soviel wie «Lücke» oder «leer».<br />

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