CCC - Das chaos Computer Buch
CCC - Das chaos Computer Buch
CCC - Das chaos Computer Buch
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
<strong>Das</strong> Chaos <strong>Computer</strong> <strong>Buch</strong><br />
<strong>Das</strong> Chaos <strong>Computer</strong> <strong>Buch</strong><br />
meisten vorhersehbaren Umständen zu (funktionieren> scheinen, und<br />
auf anderen Ad-hoc-Mechanismen beruht, die von Zeit zu Zeit<br />
zusätzlich eingebaut werden. Fast alle großen <strong>Computer</strong>programme,<br />
die Tag für Tag in der Industrie, der Administration und den<br />
Universitäten zum Einsatz kommen, gehören dazu. »<br />
«Diese gigantischen <strong>Computer</strong>systeme sind in der Regel von<br />
Programmiererteams zusammengestoppelt worden (man kann wohl<br />
kaum sagen: konstruiert), deren Arbeit sich oft über einen Zeitraum<br />
von mehreren Jahren erstreckt. Wenn das System dann endlich<br />
gebrauchsfertig ist, haben die meisten der ursprünglichen<br />
Programmierer gekündigt oder ihr Interesse anderen Projekten<br />
zugewandt, so daß, wenn diese gigantischen Systeme schließlich<br />
benutzt werden, ihr innerer Ablauf von einem einzelnen oder einem<br />
kleinen Team nicht mehr verstanden werden kann. »<br />
Mit der für die Mikroelektronik typischen Geschwindigkeit entstehen<br />
so in kürzester Zeit Mythen in Gestalt von <strong>Computer</strong>programmen, Er-<br />
Zählungen, deren Effekte jedermann berühren - etwa in Form einer<br />
verrückten Telefonrechnung durch <strong>Computer</strong>irrtum und deren<br />
Ursprünge von niemandem mehr erklärt werden können. Wie es sich<br />
für Mythen gehört, ist es bei großen Programmen nicht mehr ein<br />
Erzähler, der den Text erstellt, sondern es sind viele Autoren, die<br />
einander in der Arbeit am Text ergänzen oder abwechseln. Auch die<br />
Anwender von Programmen arbeiten an der Formung des Textes mit,<br />
indem sie frühzeitig vertriebene Programmversionen (sogenannte<br />
«Bananen-Software», die grün ausgeliefert wird und erst beim<br />
Benutzer reift) durch an die Entwickler gerichtete Beschwerden,<br />
Hinweise und Vorschläge ausschmücken helfen.<br />
Um es noch einmal anders auszudrücken: Begriffe wie «modernste<br />
Hochtechnologie» verstellen den Blick darauf, daß wir uns, jedenfalls<br />
was <strong>Computer</strong> angeht, in einer Vorzeit befinden: im Übergang von der<br />
Eisenzeit (ab ca. 1200 v. Chr.) in die Siliziumzeit (ab ca. 1964, mit der<br />
Herstellung der ersten mikroelektronischen Halbleiter-Schaltungen).<br />
Auch die Elemente der Programmiersprachen als moderner<br />
Zeremonialsprachen weisen auf die Eigenarten digitalen<br />
Frühmenschentums hin. Es ist kein Zufall, daß die Schrift in ältester<br />
Zeit nicht dazu diente, Ideen religiöser oder anderer Art zu vermitteln,<br />
sondern um<br />
im Tempel Aufzeichnungen über Vorräte und Verteilung von<br />
Getreide, Vieh, Töpferwaren und anderen Produkten zu führen, und<br />
daß diese Merkmale nun an jenen modernen künstlichen Sprachen<br />
neuerlich zutage treten, mit denen versucht wird, die Realitäten des<br />
gerade entdeckten Datenlands zu konstituieren.<br />
Neben dem Zählen bestand eine wichtige Funktion archaischer<br />
Jargons darin, bei der gemeinsamen Jagd und auf Kriegszügen die<br />
Obermittlung effizienter Befehle zu ermöglichen, was sich - nicht<br />
zuletzt, da <strong>Computer</strong> ursprünglich aus militärischen Erwägungen<br />
entwickelt «„urden-in den Programmiersprachen als Abfolgen<br />
zahlenflankierter Imperative und variabler Parolen spiegelt.<br />
Ob es nun ein Problem ist, das in Angriff genommen wird, oder ein<br />
leibhaftiger Gegner-die Offensivgeschwindigkeit reduziert den<br />
Ausdruck. Von dem zivilen Ausruf («Sieh nur, dort drüben!») geht die<br />
Verknappung über den nennförmigen Telegrammstil («nach drüben<br />
sehen stop») und das militärische Kommando («Augen rechts!») zum<br />
Programmbefehl («Turn_Camera = ¢S»). Subtilere Stilformen halten<br />
der Geschwindigkeit (noch, wie ich hoffe) nicht stand und - um wieder<br />
mit dem Feuer zu sprechen, das seit der Vorzeit auch im Bewußtsein<br />
des Menschen brennt - sie verlöschen im Fahrtwind der Technologie.<br />
Ihrer Seelenwärme stehen die vermeintlichen Erfordernisse des Kriegs<br />
gegenüber, in dem die Maschine Flammen speien soll wie ein<br />
dressierter Drache: «Feuer frei!».<br />
Allerälteste Sprachfiguren wiederholen sich in den zeitgenössischen<br />
Programmiersprachen: «Die Magie selbst bewahrte lange Zeit ein<br />
noch primitiveres Merkmal der Sprache, das aus dem Ritual stammte:<br />
Ein Großteil aller magischen Formeln besteht aus einer präzisen<br />
Aneinanderreihung sinnloser Silben, die bis zum Überfluß wiederholt<br />
werden» (Mumford). Falls in 2000 Jahren ein Archäologe meine<br />
ersten BASIC-Programme finden sollte, wird ihn das wahrscheinlich<br />
noch mehr Kopfzerbrechen kosten als mich selbst.<br />
Wie gesagt sind in den Programmiersprachen die (Wiederholungen bis<br />
zum Überfluß) verkürzt, respektive verdichtet worden zu Schleifen-<br />
Befehlen. Wem der epische Zeilenfall längerer Algorithmen in einer<br />
höheren Programmiersprache noch nicht ins Auge gesprungen sein<br />
sollte, der wird spätestens, wenn er die LOOPs, FOR-NEXT<br />
Seite 138<br />
Seite 139