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CCC - Das chaos Computer Buch

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<strong>Das</strong> Chaos <strong>Computer</strong> <strong>Buch</strong><br />

<strong>Das</strong> Chaos <strong>Computer</strong> <strong>Buch</strong><br />

lität»), stimmt diese Vorstellung gegenwärtig leider nicht mehr ganz.<br />

Heute muss niemand, der selbst mit einem <strong>Computer</strong> arbeitet, sofern<br />

er bloß fertige Anwendungen benutzen will, auch nur einen Gedanken<br />

ans Programmieren verschwenden - obwohl es inzwischen<br />

einleuchtende Programmiersprachen gibt. Jeder kann über komfortable<br />

Betriebssystem-Kommandos oder über Piktogramme am Bildschirm<br />

mit dem Mikroprozessor verkehren.<br />

Ich sage < leider», denn es stimmt mich manchmal fast ein wenig<br />

sentimental, wenn ich beispielsweise eine Diskette formatieren will<br />

und nur noch an einem aus der Kopfzeile flippenden Kärtchen « FO<br />

RMATIEREN» abrufen muss, statt wie früher erst einmal<br />

schwungvoll OPEN 1, 8, 15, "N:GAGA,Gr": CLOSE1 einzutippen.<br />

Moderne Betriebssysteme, die zunehmend mit grafischen<br />

Benutzeroberflächen ausgestattet sind, vereinfachen zweifellos den<br />

Umgang mit dem <strong>Computer</strong>, halten einen Newcomer aber gleichzeitig<br />

von einem Verständnis der Maschine ab.<br />

Es liegt mir fern zu fordern, dass nun jeder <strong>Computer</strong>benutzer auch<br />

unbedingt programmieren lernen müsse. Allerdings glaube ich, dass<br />

ein User, der eine Programmierphobie pflegt, seinen <strong>Computer</strong> nutzt<br />

wie jemand, der sich ein Auto kauft und dann aber nicht damit fährt,<br />

sondern sich bloß ab und zu reinsetzt und glücklich ist, weil er den<br />

Motor starten, den Scheibenwischer und das Radio einschalten kann.<br />

Ich kann Leute verstehen, die Vorurteile gegen das Programmieren<br />

haben. Schon im Alten Testament steht: «Und der Satan stand wider<br />

Israel und reizte David, dass er Israel zählen ließe» (i. Chronik, 2r).<br />

Sprachen, in denen vorwiegend in Zahlen gesprochen wird, erwekken<br />

Unbehagen. Abgesehen von den hunderttausend Küssen am Ende<br />

von Briefen gehören Zahlen, vor allem große Zahlen, seit jeher zu den<br />

Insignien der Macht. Um es wieder mit einer Hieroglyphe zu<br />

illustrieren: <strong>Das</strong> höchste Zahl-Zeichen der alten Ägypter, die Million,<br />

stellt einen einfachen Mann dar, der kniet und die Hände über dem<br />

Kopf zusammenschlägt.<br />

Die Erfindung des Telegrafen hat zu ihrer Zeit Begeisterung ausgelöst,<br />

und kein Mensch hat apokalyptische Visionen angesichts des<br />

Morse-Alphabets bekommen. <strong>Computer</strong>codes scheinen vielfach und<br />

nicht unberechtigt - den beklemmenden Eindruck einer Welt zu<br />

vermitteln, in der alles und jedes zu einem einheitlichen Ziffernpulver<br />

zersprengt und zermahlen wird, atomisiert in monotone Bits. Null und<br />

Eins, das ist es, was heute zählt.<br />

Man sollte sich immer in der Erinnerung halten, daß ein <strong>Computer</strong> im<br />

Grunde genommen nicht einmal bis Zwei zählen kann, das allerdings<br />

rasend schnell. Auch die gefürchtete binäre Logik ist so simpel, daß<br />

ich erst dachte, in meinem Handbuch fehlten ein paar Blätter, als die<br />

Ausführungen nach zwei Seiten zu Ende waren.<br />

Mit den Verfahren, die etwa bei der Konstruktion raffinierter Grafiken<br />

helfen, ist es schon schwieriger. Ich bin alles andere als ein begnadeter<br />

Mathematiker und stehe wie vor einem Gebirge, wenn ich eine Formel<br />

vor mir habe, die ein bißchen komplizierter ist als der Satz des<br />

Pythagoras. Weder meine Gefühle noch meine Gedanken finden<br />

rechten Halt daran, und ich habe das Gefühl, in einer präzisen und<br />

gleichzeitig unfaßbaren Gegenwart eingeschlossen zu sein. Es ist die<br />

Mathematik, die Sprache ohne Dinge, die in vielen Menschen dieses<br />

Gefühl von Verstörung weckt - eine Sprache, die keine Mythen kennt<br />

und keine Geschichten erzählt.<br />

Für McLuhan ist die Sprache eine Ausweitung des Gesichtssinns, die<br />

Zahl eine Ausweitung des Tastsinns. Demgemäß hilft mir der<br />

<strong>Computer</strong>, einen Mangel an Tastempfinden zu beheben, indem er mich<br />

die Dinge, die ich nicht begreifen kann, eben besehen läßt. Mir ist in<br />

der Schule nie so richtig klargeworden, was es beim Kreis mit dem<br />

Sinus und dem Cosinus auf sich hat, obwohl ich damit bei<br />

Klassenarbeiten ordnungsgemäß operieren konnte. Erst Jahre später<br />

am <strong>Computer</strong>, wo ich an der Kreisformel wie an einem Stück<br />

Geistesgummi drücken und quetschen und mir immer wieder auf den<br />

Bildschirm zeichnen lassen konnte, was sich dadurch veränderte, ging<br />

mir nach einer Weile der Knopf auf.<br />

Wenn ein ausgebildeter Mathematiker mir beim Programmieren<br />

zusehen könnte, würde es ihm wahrscheinlich manchmal die Schuhe<br />

ausziehen. Wie viele ambitionierte <strong>Computer</strong>freaks, so bin auch ich<br />

ein Mathemusiker. Ich genieße es als einen Zugewinn an<br />

Selbstbewußtsein und kreativem Vergnügen, in kniffligen Formeln,<br />

die Zahlentheoretiker sich in langer, staubtrockener Denkbarbeit<br />

abgerungen haben, unbekümmert herumzukneten und Funktionen und<br />

Werte<br />

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