CCC - Das chaos Computer Buch

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03.11.2014 Aufrufe

Das Chaos Computer Buch Das Chaos Computer Buch Auf den Bildern der alten Ägypter werfen Menschen und Dinge keine Schatten, und sie zeigen dem Betrachter ihre Partien von jeweils der Seite, die das Wesentliche offenbart, den Kopf im Profil, die Schulterspanne frontal, das Haus im Grundriss. Uns erscheint diese Darstellungsweise heute sonderbar verdreht, ein Eindruck, der zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts neuerlich zu gewinnen war aus den Bildern des Kubismus, welcher auf eigene Art versuchte, Objekte von mehreren Seiten gleichzeitig beobachtbar zu machen. Mehr als 4000 Jahre nach der Auge-Hieroglyphe fand dann neben dem Blick-Speer, der Waffe, endlich auch die List des neolithischen Jägers eine mächtige visuelle Entsprechung: die perspektivische Projektion. Mit der Perspektive wurde über einem versteckten Netz von Fluchtlinien eine überzeugende Illusion des Weiten Raums aufgestellt, der jeder Blick in die Falle gehen musste. Damit wurde Raum auch erstmals miniaturisierbar. Die Täuschung, die nun in Gemälden und Zeichnungen virtuos verfeinert wurde, führte zu einem bemerkenswerten Wandel der Moral: Die Lüge der Fläche, ein Raum zu sein, wurde um so begeisterter aufgenommen, je faustdicker und raffinierter sie war. Jedoch, wer andern eine Perspektive zeichnet, fällt selbst hinein. Auf dem fluchtlinierten Weg vom naturalistischen Ölschinken zum elektronischen Hinterglasgemälde des Fernsehbilds sind wir inzwischen so weit gekommen, dass weltweit die Ansicht als belegt gilt, die Erde sei eine Kugel, da man doch die Filmbilder der Raumfahrer mit eigenen Augen sehen konnte - und niemand mehr daran denken mag, dass jedes TV-Bild eine Fläche ist und bleibt, und dass eine Kugel, die auf dem Bildschirm sichtbar wird, auch wenn sie sich noch so nachdrücklich als plastische Kugel ausgibt, doch niemals mehr sein kann als eine Scheibe. . . Während sich in der Malerei durch Farbgebung und Pinselführung immer auch noch individueller Ausdruck mit in der Perspektiven- Falle fing, wurde von anderer Seite bereits an einem von Persönlichem gesäuberten Raum gearbeitet. Für Galileo Galilei standen die Möglichkeiten der Raum-Bereinigung «in jenem großen Buch geschrieben, das stets offen vor unseren Augen liegt; doch können wir sie nicht verstehen, wenn wir nicht zuvor die Sprache und die Schrift- zeichen erlernen, mit denen es geschrieben ist. Diese Sprache ist Mathematik, und die Schriftzeichen sind Dreiecke, Kreise und sonstige geometrische Figuren. » Mit Rene Descartes' analytischer Geometrie - entworfen, um alle physikalischen Phänomene auf genaue mathematische Beziehungen zurückzuführen - waren dann Erscheinungen wie Farbe, Klang, Geschmack oder Geruch endlich als bloß subjektive Projektionen des Geistes aus dem überlisteten Raum ausgeschlossen, Blickasche, Wahrnehmungsmüll, Rauschen. Auch der digitale Datenraum hat sich gewaschen. Geruch und Geschmack bleiben analog. Wer die - immerhin quietschbunten – Computergrafiken betrachtet, die heute als hochkarätig gelten, spürt einerseits eine reizvolle Leichtigkeit, da auf den Bildern zumeist irgendwelche Dinge in der Luft schweben, andererseits eine eisscharfe Faszination von den metallisch hochglänzenden, gläsernen, auf jeden Fall aber makellos sauberen Oberflächen. Wie Rückprojektionen dieser antiseptischen Bilder in die wirkliche Welt erscheinen dazu die hochreinen Räume der Chip-Fabriken, die Clean Rooms, in denen wie Chirurgen vermummte Arbeiter mit geröteten Augen in Mikroskope starren, und in denen der menschliche Körper wieder einmal als Beeinträchtigung vorhanden ist mit seinen Haaren und Hautschuppen, die wie Felsbrocken auf die empfindlichen Mikrostrukturen der Prozessoren fallen können. Die Bühne des Newtonschen Universums, die einige Zeit nach Descartes eröffnet wurde, war ein ausge(t)räumter Raum, «der dreidimensionale Raum der Euklidischen Geometrie. Es war ein absoluter Raum, ein leerer Behälter, unabhängig von den physikalischen Phänomenen, die sich in seinem Inneren ereigneten (Capra). Und endlich flogen wieder Blick-Schäfte durch den Raum: die Pfeile der Vektor-Geometrie. Mit dem Augpunkt als Ausgangsort vektorieller Projektionsstrahlen - und darüber hinaus als eine Art frei positionierbares fliegendes Auge - gewann die Legende vom Blick, von einer exakten Wissenschaft bestärkt, neue Macht. Der Computer ermöglicht es nun, Blickpfeile in einer Dichte und Repetiergeschwindigkeit zu verschießen, die vordem nicht denkbar war. Zu den zahlenfressendsten und interessantesten Werkzeugen in der Computergrafik gehören Strahlenverfolgungs-Algorithmen, so- Seite 122 Seite 123

Das Chaos Computer Buch Das Chaos Computer Buch genannte Ray-Tracing-Programme. Sie sind so etwas wie Softwarestalinorgeln für Vektorpfeile. Von einem mathematisch festgelegten Augpunkt aus wird der Bildschirm dabei als Projektionsfläche anvisiert und durch jedes einzelne Bildschirmpixel ein sich rasend schnell nach vorn addierender Pfeil geschossen, der durch einen dahinterliegenden geometrischen Raum fliegt. In diesem Datenraum, einem genau begrenzten euklidischen Mini-Universum, kollidiert der Pfeil mit den Oberflächenpunkten eines ebenfalls mathematisch installierten Szenarios oder mit einer Grenzfläche und meldet jeden Treffer als Farbe zurück, in der dann das im Augenblick durchstoßene Pixel aufleuchtet. Objekte, deren Oberflächen als , oder definiert sind, komplizieren die Angelegenheit. Die Schießerei geht so lange, bis alle Pixel - je nach Bildschirm-Auflösung etwa zwischen 60000 und 1000000 - absolviert sind und das Mini-Universum vollständig durchstochert ist. Ich erliege selbst oft der Begeisterung an dieser digitalen Art von Indianerspiel, mit Vektorpfeilen Bilder von seltsamer Schönheit aus einem Raum zu schießen, der dem freien Auge sonst unerreichbar bliebe. Das Machtgefühl, das der Aufbau solcher Mini-Universen verleiht, belegen die Credits der Bilder-Programmierer, die sich mitunter lesen, als wäre ein Lieber-Gott-Team dabei, die Welt in ständig verbesserten Versionen neu zu erschaffen, beispielsweise die Unterzeilen zu einer «Landschaft am Meer» nach einem Regen, die eine Gruppe amerikanischer Spezialisten in George Lucas' Computergrafik-Schmiede «Industrial Light and Magic» (heute «Pixar») konstruiert hat: «Die verschiedenen Elemente des Bildes gestaltete das Team zunächst einzeln, dann kombinierte es sie miteinander. Die einfache Modellierungstechnik nach dem Konzept der Fractalen Geometrie benutzte Loren Carpenter, um die Felsen, die Berge und die Seen zu definieren; ferner schrieb er das Programm zur Ermittlung der verdeckten Flächen und ein «Atmosphären»-Programm für den Himmel und den Dunst. Rob Cook leitete das Projekt, entwarf die Straße, die Hügel, den Zaun und den Regenbogen. Tom Porter stellte die prozedural gezeichnete Textur der Hügel zur Verfügung und schrieb auch die Software zur Kombination der Elemente, um die Bildmontage zu erstellen. Bill Reeves entwarf das Gras mit Hilfe eines selbst entwikkelten Systems

<strong>Das</strong> Chaos <strong>Computer</strong> <strong>Buch</strong><br />

<strong>Das</strong> Chaos <strong>Computer</strong> <strong>Buch</strong><br />

genannte Ray-Tracing-Programme. Sie sind so etwas wie Softwarestalinorgeln<br />

für Vektorpfeile. Von einem mathematisch festgelegten<br />

Augpunkt aus wird der Bildschirm dabei als Projektionsfläche anvisiert<br />

und durch jedes einzelne Bildschirmpixel ein sich rasend schnell<br />

nach vorn addierender Pfeil geschossen, der durch einen dahinterliegenden<br />

geometrischen Raum fliegt.<br />

In diesem Datenraum, einem genau begrenzten euklidischen<br />

Mini-Universum, kollidiert der Pfeil mit den Oberflächenpunkten<br />

eines ebenfalls mathematisch installierten Szenarios oder mit einer<br />

Grenzfläche und meldet jeden Treffer als Farbe zurück, in der dann<br />

das im Augenblick durchstoßene Pixel aufleuchtet. Objekte, deren<br />

Oberflächen als , oder definiert<br />

sind, komplizieren die Angelegenheit. Die Schießerei geht so lange,<br />

bis alle Pixel - je nach Bildschirm-Auflösung etwa zwischen 60000<br />

und 1000000 - absolviert sind und das Mini-Universum vollständig<br />

durchstochert ist.<br />

Ich erliege selbst oft der Begeisterung an dieser digitalen Art von<br />

Indianerspiel, mit Vektorpfeilen Bilder von seltsamer Schönheit aus<br />

einem Raum zu schießen, der dem freien Auge sonst unerreichbar<br />

bliebe. <strong>Das</strong> Machtgefühl, das der Aufbau solcher Mini-Universen<br />

verleiht, belegen die Credits der Bilder-Programmierer, die sich mitunter<br />

lesen, als wäre ein Lieber-Gott-Team dabei, die Welt in ständig<br />

verbesserten Versionen neu zu erschaffen, beispielsweise die Unterzeilen<br />

zu einer «Landschaft am Meer» nach einem Regen, die eine<br />

Gruppe amerikanischer Spezialisten in George Lucas' <strong>Computer</strong>grafik-Schmiede<br />

«Industrial Light and Magic» (heute «Pixar») konstruiert<br />

hat:<br />

«Die verschiedenen Elemente des Bildes gestaltete das Team zunächst<br />

einzeln, dann kombinierte es sie miteinander. Die einfache Modellierungstechnik<br />

nach dem Konzept der Fractalen Geometrie benutzte<br />

Loren Carpenter, um die Felsen, die Berge und die Seen zu<br />

definieren; ferner schrieb er das Programm zur Ermittlung der verdeckten<br />

Flächen und ein «Atmosphären»-Programm für den Himmel<br />

und den Dunst. Rob Cook leitete das Projekt, entwarf die Straße, die<br />

Hügel, den Zaun und den Regenbogen. Tom Porter stellte die prozedural<br />

gezeichnete Textur der Hügel zur Verfügung und schrieb auch<br />

die Software zur Kombination der Elemente, um die Bildmontage zu<br />

erstellen. Bill Reeves entwarf das Gras mit Hilfe eines selbst entwikkelten<br />

Systems

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