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CCC - Das chaos Computer Buch

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<strong>Das</strong> Chaos <strong>Computer</strong> <strong>Buch</strong><br />

<strong>Das</strong> Chaos <strong>Computer</strong> <strong>Buch</strong><br />

nicht der reale <strong>Computer</strong> auf meinem Schreibtisch war, sondern sein<br />

Mythos - die phantastische Maschine.<br />

Im Kern der realen Maschine halten sich, allerdings trickreich verborgen,<br />

Entfernung und Raum unausrottbar festgehakt. Strom und<br />

Licht spannen den immateriellen Datenraum am Bildschirm auf. Erst<br />

in den Mikrodistanzen zwischen den winzigen Schaltwegen auf dem<br />

Siliziumchip deuten sich verräterisch die Spurbreiten der materiellen<br />

Welt an.<br />

Die gegenwärtigen Kräfte der Technik und der Wissenschaft sind<br />

bemüht, das Unbezwingbare an äußerste Ränder hinauszudrängen, in<br />

Submikrobereiche oder an die letzten Grenzen der Zeit. Die Quantenphysiker<br />

etwa, die sich heute in der Lage sehen, zu beschreiben, was<br />

Sekundenbruchteile nach dem Big Bang im weiteren vor sich gegangen<br />

ist, haben das Numinose, den Ur-Übergang - wie auch immer man<br />

es bezeichnet - hinausgedrängt auf einen verschwindenden Augenblick<br />

vor 15 Milliardenjahren, der unfassbar bleibt. Die Daten, die das<br />

theoretisch geklärte All der Physiker stützen, werden passenderweise<br />

aus <strong>Computer</strong>kalkulationen gewonnen, wie etwa aus der Urknall-Simulation<br />

von < Abel Image Research», die die Existenz eines<br />

merkwürdigen Elementarteilchens namens Neutrino bestätigte. Im<br />

Gegenzug forcieren die Chip-Designer mit jeder weiteren, noch höher<br />

integrierten Generation von Schaltkreisen den Versuch eines Big<br />

Squeeze - ein synthetisches All auf einen Siliziumpunkt zu verdichten.<br />

Vor dem <strong>Computer</strong> scheint somit auch geklärt: Die Gravitation,<br />

diese rätselhafteste der Gewalten, wird vom Programmierer kontrolliert.<br />

Er ist es, Lenker der Bit-Quanten, der die Strings und die Anziehungs-Felder<br />

im Datenraum ordnet, in denen sie sich fügen zu Systemen<br />

und Formen. Allerdings geht Schwerkraft auch von dem Boden<br />

aus, auf dem der Programmierer sitzt - was nach und nach dazu führte,<br />

dass ich aus dem Datenraum, dieser Fülle ohne Volumen, mit<br />

Frustratiönchen beladen in meinen beschwerlichen, einssiebzig großen<br />

und nicht lichtschnellen Körper zurückkehrte.<br />

<strong>Das</strong> Bedürfnis nach HighSpeed, das <strong>Computer</strong>benutzern im allgemeinen<br />

und Programmierern im besonderen zu eigen ist, zieht extreme<br />

Ungeduld nach sich. Wenn die Hardware schleicht, geht der<br />

Programmierer die Wand hoch. Ladevorgänge von der Diskettensta-<br />

tion, die angeforderte Daten erst nach mehreren Sekunden lieferten,<br />

empfand ich zunehmend als Strapaze. Den Rechner durch das Ausdrucken<br />

mehrerer Seiten Code zu blockieren, ohne spoolen zu können,<br />

also den Druckvorgang im Hintergrund ablaufen zu lassen und im<br />

Vordergrund schon wieder weiterprogrammieren zu können, bedeutete<br />

Ungemach. Ein zäher Compiler - er wandelt in einer höheren<br />

Programmiersprache geschriebene Algorithmen automatisch in blanke<br />

Maschinensprache um - brachte Ed Post, wie er in einem Aufsatz über<br />

«Real Programmers» anmerkt, bisweilen in die Verlegenheit, sein<br />

Mätzchen Schlaf zwischen zwei Compilerdurchläufen zu nehmen».<br />

Einmal startete ich ein Programm, das eine mathematische Funktion<br />

dreidimensional darstellen sollte - eine dieser in der <strong>Computer</strong>werbung<br />

beliebten Abbildungen von etwas, das aussieht wie ein Netz in Form<br />

eines Zuckerhuts oder manchmal wie ein farbenfroher, zerdrückter<br />

Sombrero. Erst kam gar nichts. Dann sah ich einen Punkt am<br />

Bildschirm, bald darauf noch einen und dann noch einen. An genau<br />

diesem Punkt zerbrach meine Illusion vom <strong>Computer</strong> als einer<br />

uneingeschränkten Jetzt-Sofort-Alles-Maschine. Ich war bitter enttäuscht<br />

über dieses elend langsame Gepünktel und ging eine Pizza essen.<br />

Als ich nach einer Stunde zurückkam, war die Maschine immer<br />

noch nicht fertig, und ich musste mich genervt irgendwelchen analogen<br />

Beschäftigungen zuwenden, um die Zeit totzuschlagen.<br />

Später verlegte ich solche Rechenzeit fressenden Programme, sofern<br />

auch durch abgefeimtes Programmieren - und obwohl ich inzwischen<br />

eine leistungsfähigere Kiste habe - kein Geschwindigkeitszuwachs<br />

mehr herauszuholen war, in die Nacht. Genauer gesagt: in die Zeit, in<br />

der ich schlafe, denn die Nacht ist oft die beste Zeit zum Programmieren.<br />

In der Nacht versinken die Entfernungen in der Dunkelheit,<br />

und der Raum schrumpft bis auf die Lichtblasen um die Lampen<br />

herum ein. <strong>Das</strong> ganze Ambiente entspricht mehr den Gegebenheiten<br />

des Datenraums.<br />

In der Zeit, in der ich schlafe, arbeitet der Rechner dann als meine<br />

Traum-Maschine zumeist Bilder aus, fremdartige fraktale Landschaften<br />

oder Szenen, in denen Objekte gewichtlos schweben, von unsichtbaren<br />

Lichtquellen beschienen, und ich liege im Bett, träume da-<br />

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