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CCC - Das chaos Computer Buch

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<strong>Das</strong> Chaos <strong>Computer</strong> <strong>Buch</strong><br />

<strong>Das</strong> Chaos <strong>Computer</strong> <strong>Buch</strong><br />

auf dem man auch rechnen konnte, und ich war sicher, dass sich das<br />

noch kleiner machen ließe, aber schon musste ich die Tasten mit den<br />

Fingernägeln drücken, weil die Fingerspitzen dafür zu voluminös sind.<br />

Ich bemerkte, wie der rasende Umlauf der Daten im Prozessor an den<br />

Peripheriegeräten des <strong>Computer</strong>s wieder gebremst und gestoppt<br />

wurde, um in die menschliche Aufmerksamkeit kriechen zu können.<br />

Auch mein POETRONIC-Programm bestand zu einem Gutteil aus<br />

Verzögerungsschleifen, die dem Zuschauer in dem Schneckentempo<br />

der neuronalen Rezeption Texte und Bilder fassbar machten.<br />

Um die radikale Geschwindigkeit des <strong>Computer</strong>s ungetrübt auskosten<br />

zu können, schrieb ich kurze, gewissermaßen philosophische<br />

Programme. Jeder Programmierneuling schreibt einmal einen Algorithmus<br />

wie<br />

10 GOTO 20<br />

20 GOTO 10<br />

oder er verfasst unabsichtlich ein Programm, das sich in sich selbst<br />

verfährt. Wenn man ein solches Programm startet, passiert scheinbar<br />

nichts. Alle Endgeräte schweigen still, der Bildschirm bleibt dunkel.<br />

Nur ich saß da und wusste: etwas geschieht. Ein aufregendes Gefühl.<br />

Es war, als schwirrte der Mikro-Prozess mitten in meinem Inneren.<br />

Was da durch meine Nerven flitzte, war hochreiner Speed.<br />

Bei einem meiner Black-Box-Programme konnte man im ersten<br />

Augenblick doch noch etwas sehen: einen Kreis, der vom Mittelpunkt<br />

des Bildschirms aus immer größer wurde, bis er schließlich über den<br />

Bildschirmrand hinausgewachsen war. Ich wusste, das das Programm<br />

weiterlief. Wie die Emission einer Radarantenne im Trickfilm sah ich<br />

den Kreis weiterwachsen. Als flüchtige Figur um den Monitor herum<br />

öffnete er sich in mein Zimmer, tauchte mit seinem unteren Bogen in<br />

die Erde, ging durch die Wände und über das Haus hinaus als ein<br />

strichdünner, weißer Regenbogen über der Stadt auf und schnitt<br />

schließlich durch die Atmosphäre in den Weiten Raum.<br />

Der <strong>Computer</strong> war fraglos eine ganz phantastische Maschine. Ich<br />

ließ mich wieder dazu herab, Zeichen auf den Bildschirm zu setzen,<br />

denn das Gefühl der hochreinen Geschwindigkeit blieb. Ich ver-<br />

schwand in diesem wundersamen Land ohne Entfernungen, startete<br />

meine Expeditionen durch den Kontinent der Daten. Die Programme,<br />

die ich schrieb, waren trivial: McLuhan drückt es so aus: «Mit dem<br />

<strong>Computer</strong> lassen sich viele Dinge in atemberaubender Geschwindigkeit<br />

tun, die überhaupt nicht getan werden müssen. » Aber<br />

da war noch anderes als nur Licht und Geschwindigkeit, das mich<br />

gleichermaßen verwirrte und anzog wie Sirenengesang.<br />

Während ich die Entdeckungsreise fortsetzte, befiel meinen Körper<br />

ein Gefühl von Verlorenheit. Die neue Welt war ein Raum ohne<br />

Raum, für einen Körper war darin kein Platz: andererseits konnte man<br />

ohne Körper schlecht <strong>Computer</strong>n. Wenn ich in zwanzig- oder<br />

dreißigstündigen Märschen über die Tastatur durch Haine hell am<br />

Bildschirm aufblühender Kurven wanderte, hing mein Körper wie ein<br />

Rucksack an meinem unermüdlichen Interesse für diese seltsame Tiefe<br />

der Maschine.<br />

Die analogen Medien zollen dem Raum noch offensichtlichen Tribut,<br />

vor allem durch unerwünschte Nebeneffekte. So, wenn bei einem<br />

transkontinentalen Telefongespräch die Entfernung hörbar wird durch<br />

den Fahrtwind der Signale, das Rauschen und Relaisknacken und<br />

durch eine Gegenstimme, die weit weg ist; darüber hinaus, wenn sich<br />

etwa beim Hören einer Wachswalzen-Aufzeichnung von 1907, auf der<br />

Curt Bois «Heinerle, Heinerle» singt, auch noch die vierte<br />

Koordinatenachse des Raums vernehmlich macht, die Zeit, als ein<br />

Rauschen - time to listen -, dessen Intensität Entfernungen durch die<br />

Jahrzehnte fühlbar macht.<br />

<strong>Das</strong> digitale Master-Medium rauscht nicht mehr. An den Signalflanken<br />

der Spannungen, die im Mikroprozessor für null und eins<br />

stehen, scheint der Weite Raum zu Abraum zu zerschwingen. Der<br />

<strong>Computer</strong> hat sein eigenes universelles Ausmaß, den Datenraum, und<br />

macht sich über den Raum der materiellen Welt unausgesetzt lustig in<br />

Form immer subtilerer Parodien, die in der Branche vornehm Simulationen<br />

heißen.<br />

Es dauerte noch eine Weile, bis ich zu ahnen begann, was sich dann<br />

im Lauf der weiteren Monate durch kleine, schmerzliche Ernüchterungen<br />

verdeutlichen sollte: dass das, was den absolut distanzlosen<br />

Raum und die absolute, lichtschnelle Geschwindigkeit verkörperte,<br />

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