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CCC - Das chaos Computer Buch

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<strong>Das</strong> Chaos <strong>Computer</strong> <strong>Buch</strong><br />

<strong>Das</strong> Chaos <strong>Computer</strong> <strong>Buch</strong><br />

Megamaschine, das als Argusauge oder Detektiv dient, wie auch als<br />

allgegenwärtiges vollziehendes Auge, das absolute Unterordnung<br />

unter seine Befehle fordert, da ihm kein Geheimnis verborgen bleibt<br />

und kein Ungehorsam der Bestrafung entgeht» (Mumford).<br />

Windstärken<br />

Entfernung und Geschwindigkeit, Raum und Zeit<br />

«Alle Pläne des Königs müssen zu seinen Lebzeiten ausgeführt werden.<br />

Geschwindigkeit an sich ist bei jedem Unternehmen ein Aus-druck<br />

von Macht und wird ihrerseits zu einem Mittel der Machtentfaltung.<br />

Dieses Element des Mythos der Maschine ist so tief in die<br />

Grundvoraussetzungen unserer eigenen Technologie eingedrungen,<br />

daß die meisten von uns seinen Ursprung aus dem Auge verloren<br />

haben.»<br />

Lewis Mumford<br />

Aus den Augen segelt die Aufmerksamkeit voraus. Der Blick ist schon<br />

dort, wo der Körper noch nicht ist. Vom Auge zum Anblick, von hier<br />

nach dort: dazwischen, wie eine unsichtbare Saite, spannt sich<br />

Entfernung. Und es scheint, als schwinge in jeder Entfernung ein<br />

ironischer Unterton des Weiten Raumes mit, der sich über den kleinen,<br />

ortsgebundenen Menschenleib amüsiert. Diesem zarten Spott des<br />

Raumes, der sich seit Einstein wohl manchmal auch vor Vergnügen<br />

krümmt, versucht der Mensch zu entgehen, indem er die Entfernungen<br />

entfernt.<br />

Die Erfahrung, mittels eines Dreirads rasant voranzukommen, war<br />

für mich ein frühkindliches Schlüsselerlebnis. Über Tretroller, Fahrrad,<br />

Moped, Motorrad und Auto nimmt das Tempo dann zu, mit dem<br />

Verkehrsflugzeug ist schließlich die Alltagsobergrenze an öffentlicher<br />

Geschwindigkeit erreicht; weitere Beschleunigung des Körpers ist nur<br />

noch mit einem Kampfjäger oder einer Raumfähre möglich.<br />

Fast alle <strong>Computer</strong>freaks, die ich kenne, lieben Geschwindigkeit<br />

und haben, wie auch ich, eine Neigung für flotte Autos und schnelle<br />

Schnitte im Kino. Zwecke verunreinigen die Freude am Eilen: Die<br />

Bilder im Kino sind bloße Reizbrücken, denn das eigentliche Vergnügen<br />

liegt in jenen Momenten, in denen sie wechseln; gleichermaßen<br />

sind bei einer Autofahrt Abfahrt und Ankunft banal. Der wahre<br />

Genuss ist die pure Geschwindigkeit: «Ich weiß zwar nicht, wo ich<br />

hinwill, aber dafür bin ich schneller dort» (Helmut Qualtinger, «Der<br />

Wilde mit seiner Maschin'»).<br />

Hier trumpft der <strong>Computer</strong> mit seinen Verheißungen auf alles<br />

beiseite zu fegen, was bremst. Der <strong>Computer</strong>, jedermann weiß das, ist<br />

sagenhaft schnell. All die Verzögerungen durch schlechten Straßenzustand,<br />

durch Bilderreihen, die erst wieder im Vierundzwanzigstelsekundentakt<br />

vorübergeführt werden müssen, oder durch<br />

physiologische Einschränkungen wie den Blutsturz des Piloten von<br />

den Fliehkräften, die ein Überschalljäger entwickelt, verschwinden in<br />

dem Moment, in dem der <strong>Computer</strong> sämtliche Entfernungen auf einen<br />

Schlag auslöscht: RUN.<br />

<strong>Computer</strong>geschwindigkeit und -Leistung werden nicht mehr in Kilometern<br />

pro Stunde oder in PS gemessen, sondern in IPS, Instructions<br />

Per Second. Die Reise in die elektronische Welt jenseits der Dinge<br />

verläuft ohne Zeitverlust - jedenfalls hielt ich an dieser Auffassung<br />

während der ersten Wochen, in denen ich programmierte, fest. Endlich<br />

pulsten die Ereignisse als events, weit schneller als alle menschlichen<br />

Wahrnehmungsreflexe, in molekularen Zeitschüben von<br />

Nanosekunden. Wenn der <strong>Computer</strong> rechnet, läuft endlich der Film<br />

ohne Bilder, der nur noch aus Schatten besteht, die endlose Neuigkeit,<br />

die permanente Entdeckung. Über die missliche Tatsache, dass dabei<br />

nichts mehr zu erkennen ist, helfen Anhängsel wie Bildschirm oder<br />

Drucker hinweg, mit denen man Endergebnisse, stabile Benutzeroberflächen<br />

oder einzelne Augenblicke des Entdeckungsflusses wie<br />

Standfotos aus dem Bitgeflitze schießen kann.<br />

In der ersten Zeit hatte ich vor dem <strong>Computer</strong>, obwohl er sich von<br />

mir befehligen ließ, einen übermenschlichen Respekt. <strong>Das</strong> elektronische<br />

Gegenüber vermittelte mir einen Eindruck von biologischen<br />

Unzulänglichkeiten und Einschränkungen. Was der konsequenten<br />

Weiterentwicklung der Technik im Weg steht, ist der menschliche<br />

Körper. Ich hatte eine Armbanduhr mit einem winzigen Tastenfeld,<br />

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