CCC - Das chaos Computer Buch
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<strong>Das</strong> Chaos <strong>Computer</strong> <strong>Buch</strong><br />
<strong>Das</strong> Chaos <strong>Computer</strong> <strong>Buch</strong><br />
Erste Fahrten<br />
Kreuzen gegen den Magnetsturm<br />
«With each movement of the sword the adept visualizes himself<br />
drawing a line of pure white light [. . .] His next task will be to vivify<br />
this shape by pointing his hand towards its centre and pronouncing<br />
the word YHVH. »<br />
David Conway, Anweisungen zur Initialisierung des<br />
Kabbalistischen Meister-Rituals<br />
Meine Verwandlung vom analogen Wilden zum digitalen Seefahrer<br />
ging vonstatten, als ich den <strong>Computer</strong> zum erstenmal einschaltete. Ich<br />
wollte programmieren, und ich musste: BASIC meldete sich READY,<br />
und der Cursor blinkte. <strong>Das</strong> schmale Handbuch zu dem Rechner las<br />
sich wie eine aus dem Nubischen ins Deutsche übersetzte<br />
Bedienungsanleitung für ein chinesisches Kofferradio. Meine Intelligenz<br />
war gefordert.<br />
Zwei Kannen Tee später hatte ich die ungefähre Funktionsweise von<br />
acht BASIC-Anweisungen dechiffriert und ein Programm geschrieben,<br />
das ein A auf dem Bildschirm hin und her scheuchte. Ich konnte mich<br />
gar nicht satt sehen daran. So was brachte keine Schreibmaschine<br />
zuwege. Ich bin Schriftsteller, und es kommt durchaus vor, dass ein<br />
einzelnes, gedankenstoffliches A von irgendwoher irgendwohin durch<br />
mein Bewusstsein segelt und dabei in den Monitorbereich der<br />
Aufmerksamkeit gerät. Nun konnte ich diese flüchtige kleine Geistesgeste<br />
direkt darstellen, zumindest ein bisschen, a bit.<br />
Eine Woche nach meinem A-Erlebnis fand die erste einer Reihe von<br />
Lesungen nach Veröffentlichung meines ersten <strong>Buch</strong>s statt. Autorenlesungen<br />
haben gewöhnlich den Unterhaltungswert eines Kirchenbesuchs,<br />
und ich hatte mir Gedanken gemacht, was dagegen zu unternehmen<br />
war. Versuche wie Jazz & Lyrik oder Performance hatten<br />
schon einen Bart, also lud ich eine Funkgruppe zur Zusammenarbeit<br />
ein. Und dann beschloss ich noch, den <strong>Computer</strong> mit auf die Bühne zu<br />
nehmen.<br />
Innerhalb von fünf Tagen stapelte ich emsig wie ein Schiffsjunge<br />
beim Kartoffelschälen meine paar Anweisungen zu einem mehr als<br />
sechshundert Zeilen langen Programm aufeinander, das eine Mischung<br />
aus Kinovorspann, schwingenden Linienschwärmen und Comic auf<br />
dem Bildschirm abspielte. «Lassen Sie sich nicht von der Technik<br />
blenden», programmierte ich in eine Sprechblase, wich versuche nur<br />
die Langeweile wegzurationalisieren».<br />
In der Nacht vor der ersten Veranstaltung bastelte ich immer noch<br />
an dem Programm, das inzwischen POETRONIC hieß. Dann trat ein<br />
Fehler auf, dessen Ursprung ich nicht orten konnte. Ich verhedderte<br />
mich in meinem Programm wie in einem Swimmingpool voller<br />
Blumendraht. Debugging. Gegen vier Uhr morgens warf ich alles über<br />
Bord bis auf einen etwa dreißig Zeilen umfassenden Kern und setzte<br />
die Segel mit zusammengebissenen Zähnen noch mal neu. Learning by<br />
doing nennt man das, oder: Try and furor.<br />
Während der Lesung geriet ich dann in magnetische Stürme. Woran<br />
ich nämlich nicht gedacht hatte, war, dass der <strong>Computer</strong> auf die elektrischen<br />
Streufelder der turmhohen Musikanlage gereizt reagieren<br />
könnte. Ein Videoprojektor strahlte das Monitorbild riesig auf die<br />
Bühne. <strong>Das</strong> Einlesen der Programme von einem Kassettenrecorder in<br />
den <strong>Computer</strong> strapazierte die Geduld des Publikums. Als es endlich<br />
soweit war und ich starten konnte, tauchte aus den Untiefen des Speichers<br />
der Schrecken der sieben Meere auf: SYNTAX ERROR. In der<br />
Hoffnung, die Leute könnten annehmen, das gehöre schon mit zur<br />
Vorführung, programmierte ich mit fliegenden Fingern live.<br />
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