CCC - Das chaos Computer Buch

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03.11.2014 Aufrufe

Das Chaos Computer Buch Das Chaos Computer Buch die Situation zu meistern. Die Tatsache, daß die Hackerforderung nach Zugang zum Wissen der Welt in einem großen Netzwerk verwirklicht worden war, erwies sich als außerordentlich heikel. Zudem begannen die Ereignisse, sich zu verselbständigen. Die Presse hatte den Köder angenommen, den Roy Ommond in den internationalen Netzen ausgelegt hatte, und folgte der Fährte. Wir mußten täglich damit rechnen, daß den Maßnahmen, die wir eingeleitet hatten, durch übereilte Veröffentlichungen ein jähes Ende gesetzt wurde. Und den Journalisten würden die Behörden folgen, soviel war klar. Spätestens dann würde es nicht mehr möglich sein, daß alle Betroffenen sich an einen Tisch setzten und gemeinsam Wege diskutierten, das Problem zu beseitigen. Die Systembetreiber und die Herstellerfirma liefen Gefahr, in Mißkredit zu geraten. Den Hackern drohte, in eine kriminelle Ecke gedrängt zu werden. Eile war geboten. Wir nutzten unsere Beziehungen, und ein Fernsehteam bereitete die Hintergründe dieses Hacks für die Sendung «Panorama» auf. Am 11. September platzte die Bombe. Der Agenturjournalist schickte eine erste Meldung über den Äther, die allerdings noch undetailliert war und, wie viele Vorausmeldungen, kaum Beachtung fand. Das Fernsehteam schloß seine Aufnahmen ab, der Beitrag sollte am darauffolgenden Dienstag gesendet werden. Wir erwarteten den eigentlichen BitBang für Anfang der Woche, wenn die Presseagenturen die Hauptmeldung senden würden. Am Wochenende herrschte die Ruhe vor dem großen Sturm. Die letzten Schritte mußten getan werden, und j «der versuchte, noch soviel Schlaf wie möglich zu bekommen, da wir wußten, daß eine unruhige Zeit bevorstand. Zu alledem hatten die meisten von uns ja noch andere sogenannte gesellschaftliche Verpflichtungen wie Schule oder Beruf wahrzunehmen. Ein schmaler Grad Nach eigenen Aussagen hatten die Hacker sich darauf beschränkt, die Rechner nur zu öffnen und die Schwächender Systeme aufzudecken und nachzuvollziehen; andere Ziele verfolgten sie nach eigenem Bekunden nicht. Obwohl hin und wieder in den Datenbeständen gewühlt wurde, hatten die Hacker kein prinzipielles Interesse an den Inhalten der betroffenen Systeme. Durch die über die Datennetze verbreiteten Warnungen Ommonds ergab sich jedoch eine Situation, welche die Hacker für nicht mehr kalkulierbar hielten. Denn nun wäre es jedem gut Informierten möglich gewesen, seinerseits das Generalpaßwort an anderen - möglicherweise betroffenen- Systemen auszuprobieren, ja vielleicht sogar die ganze Vorgehensweise nachzuahmen. Dieses Wissen in falschen Händen befürchten zu müssen gab Anlaß zu höchster Besorgnis. Die Hacker fanden sich plötzlich in einem Spannungsfeld zwischen Industriespionage, Wirtschaftskriminalität, Ost-West-Konflikt, COCOMEmbargo und legitimen Sicherheitsinteressen von High-Tech-Firmen und -Institutionen. Sie zogen die Notbremse. What ever happened to those chromium heroes Young West German Computer Hackers have successfully broken into the top secret worldwide Computer network which connect's the North American Space Agency's scientific centre with its counterparts in Britain, France, Germany, Switzerland and Japan. (The Guardian, 15. 09. 1987) Hamburger Hacker haben die amerikanische Weltraumbehörde NASA geknackt' (Hamburger Abendblatt, r6.oy. 1987) Deutschen Computer-Hackern ist es gelungen, in ein geheimes Computernetz für Weltraumforschung. . . (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16. 09. 1987) Bundesdeutschen Computer-Hackern. . . (Frankfurter Rundschau, 16. 09. 1987) German Computer Hobbyists Rifle NASA's Files ( New York Times, 16. 09. 1987) Seite 42 Seite 43

Das Chaos Computer Buch Das Chaos Computer Buch Eruption Am Dienstag den 15. September, gegen 11.00 Uhr lief die ausführliche Hauptmeldung über die Agentur-Netze. Nachdem ich gegen 14.00 Uhr noch relativ gesund in die Clubräume gekommen war, wurde dieser Dienstag auch für mich zu einem brachialen Stress-Tag. Der am Vortag installierte Anrufbeantworter gab schon Rauchzeichen, die Telefone klingelten ununterbrochen. Gott und die Welt wollten genaue Informationen über den NASA-Hack. Ich schaffte es, trotz unausgesetzten Telefonierens einigermaßen ruhig zu bleiben, bis mir ein Glas Cola ins Terminal kippte, während ich einem Journalisten der Morgenpost weiterzuhelfen versuchte. Es brutzelte ein wenig, und kleine Rauchschwaden stiegen aus dem Gerät auf. Glücklicherweise konnte ich gerade noch rechtzeitig den Stecker ziehen. Die erste Panik-Welle schwappte bis in den Abend hinein. Als dann allmählich die noch uninformierten Co-Chaoten und andere, die über die Situation nicht im Bild waren, zum Club-Treffen kamen, entwic - kelten sich die Gespräche wirrer als je zuvor. Die herrschende Atmosphäre war uns vollkommen neu. Während der Fernseher von oben herab die Hack-Meldung in einer Nachrichtensendung lieferte und aus dem Radio ein Live-Interview mit Steffen Wernery tönte, musste ich einem etwas geplätteten Neuling auseinandersetzen, dass ich mich sofort um ihn kümmern würde, wenn ich die Washington Post am Telefon abgefertigt hätte. Der Neuling arbeitet inzwischen übrigens rege in unserem inneren Kreis mit. Das erste, was er an diesem Tag sagte, war: «Hier gefällt's mir. Ich weiß zwar noch nicht genau, worum es geht, aber es ist mal was anderes . . . » Abends komprimierte sich dann die Club-Besatzung vor dem Fernseher, um zu der «Panorama»-Sendung ein paar Croques zu essen. Für viele war das die erste Mahlzeit an diesem Tag. Später sollte sich herausstellen, dass wir nicht die einzigen waren, die zur Nachtzeit noch mit dem NASA-Hack beschäftigt waren. Auch ein Hamburger Staatsanwalt begann, allerdings aus einer anderen Perspektive, sich Gedanken über Hacker und den Chaos Computer Club zu machen. Lava Nachdem die betroffenen Hacker die Situation und deren Gefahr erkannt hatten, wandten sie sich an den Hamburger Chaos Computer Club e. V. (CCC). Dieser hatte bereits in der Vergangenheit vertrauliche Kontakte zwischen Hackern und betroffenen Rechnerbetreibern vermittelt, um Schäden und mögliche Gefährdungen der Integrität der jeweiligen Rechnersysteme zu entschärfen und eine öffentliche Diskreditierung der Rechnerbetreiber wie auch eine Kriminalisierung der Hacker zu vermeiden. Die Erfahrungen bei der Thematisierung privater Verbraucherinteressen beim Btx-Coup von 1984 zeigen, dass es außerordentlich schwierig ist, komplexe technische Sachverhalte - und sei es nur einer Fachöffentlichkeit - unmissverständlich zu erläutern. Gleichwohl bemüht sich der CCC bei derartigen Hackeraktionen im Wissenschaftsbereich und betroffener Industrie sowie bei Anwendungen der militärischen Forschung um verantwortliche Darstellung und Vermittlung. Die derzeit verbreiteten Informationen des Systemherstellers entschärfen das Problem nur teilweise. Um die betroffenen Sy steme wieder zu sichern, genügt es keinesfalls, das vom Hersteller vertriebene Sicherungsprogramm einzuarbeiten. Die Systeme müssen zudem von den Trojanischen Pferden befreit werden. Der Tag danach Der Dienstag war noch voll Ungewissheit gewesen, in welche Richtung die öffentliche Meinung pendeln würde. Am Mittwoch gab es nichts mehr als harte Arbeit. In Steffens Wohnung in der Eppendorfer Landstraße, die zum provisorischen Informationszentrum umfunktioniert worden war, läuteten alle drei Telefone Sturm, dazu schnarrte kontrapunktisch die Türklingel. Rundfunkleute, Fernsehteams, einzelne Reporter, Nachrichtenjournalisten und Lokalredakteure drängelten sich in den Zimmern. Der Monitor eines unbenutzten Computers war binnen kürzester Zeit zugeklebt mit kleinen gelben Haftzetteln, auf denen Interview-Termine vermerkt wurden. Zeitweilig hatten wir im Arbeitszimmer drei Telefoninterviews gleichzeitig Seite 44 Seite 45

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noch andere sogenannte gesellschaftliche Verpflichtungen wie Schule<br />

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Nach eigenen Aussagen hatten die Hacker sich darauf beschränkt, die<br />

Rechner nur zu öffnen und die Schwächender Systeme aufzudecken und<br />

nachzuvollziehen; andere Ziele verfolgten sie nach eigenem Bekunden nicht.<br />

Obwohl hin und wieder in den Datenbeständen gewühlt wurde, hatten die<br />

Hacker kein prinzipielles Interesse an den Inhalten der betroffenen Systeme.<br />

Durch die über die Datennetze verbreiteten Warnungen Ommonds ergab sich<br />

jedoch eine Situation, welche die Hacker für nicht mehr kalkulierbar hielten.<br />

Denn nun wäre es jedem gut Informierten möglich gewesen, seinerseits das<br />

Generalpaßwort an anderen - möglicherweise betroffenen- Systemen<br />

auszuprobieren, ja vielleicht sogar die ganze Vorgehensweise nachzuahmen.<br />

Dieses Wissen in falschen Händen befürchten zu müssen gab Anlaß zu<br />

höchster Besorgnis. Die Hacker fanden sich plötzlich in einem<br />

Spannungsfeld zwischen Industriespionage, Wirtschaftskriminalität,<br />

Ost-West-Konflikt, COCOMEmbargo und legitimen Sicherheitsinteressen<br />

von High-Tech-Firmen und -Institutionen. Sie zogen die Notbremse.<br />

What ever happened to those chromium heroes<br />

Young West German <strong>Computer</strong> Hackers have successfully broken into the top secret<br />

worldwide <strong>Computer</strong> network which connect's the North American Space Agency's<br />

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Japan. (The Guardian, 15. 09. 1987)<br />

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(Hamburger Abendblatt, r6.oy. 1987)<br />

Deutschen <strong>Computer</strong>-Hackern ist es gelungen, in ein geheimes <strong>Computer</strong>netz für<br />

Weltraumforschung. . . (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16. 09. 1987)<br />

Bundesdeutschen <strong>Computer</strong>-Hackern. . . (Frankfurter Rundschau, 16. 09. 1987)<br />

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