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CCC - Das chaos Computer Buch

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<strong>Das</strong> Chaos <strong>Computer</strong> <strong>Buch</strong><br />

<strong>Das</strong> Chaos <strong>Computer</strong> <strong>Buch</strong><br />

bisher nur als Herrschaftsinstrumente. Hatte nicht sogar kurz zuvor<br />

eine Bundesversammlung der Partei beschlossen, so lange die neue<br />

Technik zu bekämpfen, «bis ihr gesellschaftlicher Nutzen und ihre<br />

soziale Unschädlichkeit eindeutig nachgewiesen sind»?<br />

Wie könnte eine «sozialverträgliche Gestaltungsalternative» für die<br />

Fraktion aussehen? fragten sich listig einige Bundestags-Grüne. <strong>Das</strong><br />

sollten die Hacker aus Hamburg untersuchen. Gar nicht so leicht, denn<br />

schon vor ihrem ersten Auftritt in Bonn schlug ihnen heftiges<br />

Mißtrauen entgegen. Für den Betriebsrat waren sie nichts anderes als<br />

«jungdynamische <strong>Computer</strong>dealer», eine Betriebsversammlung der<br />

Fraktionsmitarbeiter beschloß sogar, «der Akzeptanzförderung durch<br />

die Vergabe der Studie zu widerstehen».<br />

Doch all das konnte die alternativen McKinseys nicht schrecken.<br />

Wochenlang erforschten sie unter der Käseglocke Bonn, welche Auswirkungen<br />

die neue Technik auf die Arbeitsbedingungen in der Fraktion<br />

haben könnte. Dabei blieben ihnen die hierarchischen Betriebsstrukturen<br />

- ganz im Stil der etablierten Parteien - nicht verborgen.<br />

Auch ohne <strong>Computer</strong> hatte es sich längst eingespielt, daß die Damen<br />

und Herren Chefs, die Abgeordneten, unangenehme Arbeiten am<br />

liebsten an ihre Mitarbeiter delegierten. In der Studie hagelte es dann<br />

auch erbarmungslos Kritik. Die Fraktion, bemängelten die Hamburger,<br />

sei gekennzeichnet durch «vertikale und geschlechtsspezifische<br />

Arbeitsteilung (Männer oben/Frauen unten) und traditionelle Arbeitgeber-/Arbeitnehmerkonflikte.»<br />

Ihr boshaftes Fazit: «Die Einführung<br />

der <strong>Computer</strong>technik gestaltet sich für die Grünen so schwer wie für<br />

andere der Ausstieg aus der Atomindustrie. » Weiter wurde in der<br />

Studie mit grüner Medienpolitik abgerechnet - im Rundumschlagverfahren.<br />

«Eine fundamentalistische Ablehnung der Fernmeldetechniken<br />

läßt sich nicht durchhalten und ist anachronistisch. Es gibt<br />

absolut keine Chance, Fernmeldetechniken zu bremsen, zu verhindern<br />

oder gar zu verbieten. » Eine Totalverweigerungspolitik führt letztlich<br />

zu Resignation und Perspektivlosigkeit bei der Auseinandersetzung<br />

um die «Kulturtechnik <strong>Computer</strong>», so das politische Credo der<br />

Daten-Chaoten. APOC-Mitglied Tom Todd: «Moralisierende<br />

Panikmache verhindert progressive Medienpolitik.»<br />

Praktische Ratschläge enthielt die Studie aber auch: Die <strong>Buch</strong>hal-<br />

tung, die Textverarbeitung in der Pressestelle und die Kalkulation der<br />

Haushaltsentwürfe sollten auf <strong>Computer</strong> umgestellt werden. Doch dem<br />

Chaos-Team war klar, daß die neue Technik bei den Grünen nicht<br />

einfach per Erlaß von oben eingeführt werden konnte. Deshalb sollte<br />

zunächst im Abgeordnetenhaus ein <strong>Computer</strong>-Cafe eingerichtet<br />

werden, für erste grüne Begegnungen mit dem Kleinen Bruder. Motto:<br />

«Angstfreie Annäherung an digitale Technik». Mit dieser<br />

«<strong>Computer</strong>-Spielwiese» beriefen sich die Hamburger auf die Tradition<br />

der alternativen Medienläden, die Mitte der siebziger Jahre überall<br />

entstanden. Nun sei es höchste Zeit für Ansätze einer alternativen<br />

<strong>Computer</strong>kultur.<br />

Man stelle sich vor: Ein leichter Duft von Sandino-Dröhnung (Nicaragua-Kaffee)<br />

weht durch den Raum, der in beruhigendes Halbdunkel<br />

getaucht ist. Vom Endlosband ertönt dezent Andreas Vollenweider.Zwei<br />

halbwüchsige Hacker erklären gerade einer Gruppe von<br />

Fraktionsmitarbeitern, wie ein Text in (Wordstar> editiert wird. Otto<br />

Schily sitzt vor einem grünlich schimmernden Monitor und versucht,<br />

die Datenbank des Justizministeriums anzuzapfen. . .<br />

Doch die Bundestagsgrünen, man ahnt es schon, konnten sich mit<br />

solchen Visionen nicht so recht anfreunden. So etwas sei einfach nicht<br />

der Bonner Realität angemessen, war der Tenor. Zum Happening ge<br />

riet die Fraktionssitzung, in der die Chaos-Leute ihre Studie vorstell<br />

ten. Merkwürdig: Zwischen den <strong>Computer</strong>kids, die allerdings auch<br />

nicht mehr in der Pubertät steckten, und den Verwaltern und Verwal<br />

terinnen des grünen Wählerwillens tat sich eine Art Generationenkon<br />

flikt auf. Da half es auch nichts, daß die Hamburger während ihres<br />

Vortrags selbstgemalte Pappschilder zur Untermauerung ihrer The<br />

sen hochhielten (« Je mehr Datenreisende, desto mehr Datenschutz! »<br />

«Ohne Netzwerktechnologie keine Basisdemokratie!»). Schon kurz<br />

nach Beginn der Veranstaltung verließen einige Grüne verstört den<br />

Saal.<br />

Schade eigentlich, daß aus dem <strong>Computer</strong>-Cafe in Bonn nichts geworden<br />

ist. Die Grünen haben damals die Chance verpaßt, von den<br />

Hackern auf spielerische Weise ein bißchen was über die <strong>Computer</strong>ei<br />

zu lernen. Vielen wären vielleicht die Kleinen Brüder danach etwas<br />

weniger gespenstisch erschienen.<br />

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