Vertragsstrafen und Beschleunigungsvergütungen - Oeffentliche ...
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Weyand, Praxiskommentar Vergaberecht, 2. Auflage 2007 – Letzte Änderung: 14.02.2010<br />
87. § 12 VOB/A - <strong>Vertragsstrafen</strong> <strong>und</strong><br />
<strong>Beschleunigungsvergütungen</strong><br />
<strong>Vertragsstrafen</strong> <strong>und</strong> <strong>Beschleunigungsvergütungen</strong><br />
1. <strong>Vertragsstrafen</strong> für die Überschreitung von Vertragsfristen sind nur auszubedingen, wenn<br />
die Überschreitung erhebliche Nachteile verursachen kann. Die Strafe ist in angemessenen<br />
Grenzen zu halten.<br />
2. <strong>Beschleunigungsvergütungen</strong> (Prämien) sind nur vorzusehen, wenn die Fertigstellung vor<br />
Ablauf der Vertragsfristen erhebliche Vorteile bringt.<br />
87.1 Vergleichbare Regelungen<br />
4491<br />
Der Vorschrift des § 12 VOB/A vergleichbar ist im Bereich der VOL § 12 VOL/A. Die<br />
Kommentierung zu dieser Vorschrift kann daher ergänzend zu der Kommentierung des § 12<br />
herangezogen werden.<br />
87.2 Änderungen in der VOB/A 2006<br />
4492<br />
In der VOB/A 2006 erfolgten keine Änderungen.<br />
87.3 Bieterschützende Vorschrift<br />
4492/1<br />
4492/2<br />
§ 12 VOB/A ist bieterschützend. Zwar betrifft § 12 VOB/A den Inhalt des später<br />
abzuschließenden Vertrags. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass die Vorschrift nicht<br />
dem Vergabeverfahrensrecht zuzuordnen ist. Ziel des § 12 VOB/A ist es, in Bezug auf die<br />
<strong>Vertragsstrafen</strong>regelung für einen angemessenen Interessenausgleich zwischen<br />
Auftraggeber <strong>und</strong> Auftragnehmer zu sorgen. Diese Zielsetzung greift bereits während<br />
des Vergabeverfahrens, wenn – was der Regelfall sein dürfte – die späteren<br />
Vertragsbedingungen Bestandteil der Verdingungsunterlagen sind. Hier soll der Bieter nicht<br />
gezwungen sein, sich auf eine vergaberechtswidrige Vertragsklausel einzulassen. Der Bieter<br />
hat deshalb bereits im Vergabeverfahren Anspruch darauf, dass der Auftraggeber<br />
<strong>Vertragsstrafen</strong> nur dann festsetzt, wenn mit der Überschreitung einer Ausführungsfrist<br />
erhebliche Nachteile verb<strong>und</strong>en sind (2. VK B<strong>und</strong>, B. v. 08.02.2008 - VK 2 - 156/07; 3.<br />
VK B<strong>und</strong>, B. v. 07.02.2008 - Az.: VK 3 - 169/07).<br />
Vom bieterschützenden Charakter des § 12 VOL/A ist auszugehen, wenn der<br />
Auftraggeber dem Auftragnehmer bereits in den Vergabeunterlagen diesbezüglich<br />
unangemessen benachteiligende <strong>und</strong> deswegen nicht zumutbare Vertragsbedingungen<br />
stellt. Denn derartige Regelungen können am Auftrag interessierte Unternehmen davon<br />
abhalten, sich mit einem Angebot an der Ausschreibung zu beteiligen, was dem<br />
vergaberechtlichen Wettbewerbsprinzip widerspricht (LSG Hessen, B. v. 15.12.2009 - Az.: L<br />
1 KR 337/09 ER Verg).
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87.4 Vertragsstrafe<br />
4493<br />
§ 12 VOB/A hat bei Vergaben unterhalb der Schwellenwerte nach §§ 1 a <strong>und</strong> 1 b VOB/A<br />
keine Rechtssatzqualität. Es handelt sich insoweit um eine innerdienstliche<br />
Verwaltungsvorschrift, die unmittelbare Rechtswirkungen im Außenverhältnis nicht<br />
begründen kann. § 12 VOB/A hat damit keine unmittelbare Auswirkung auf das<br />
Vertragsverhältnis zwischen Auftraggeber <strong>und</strong> Auftragnehmer. Die VOB/A enthält kein<br />
zwingendes Vertragsrecht in der Weise, dass statt geschlossener Vereinbarungen das<br />
Vertragsinhalt wird, was der VOB/A entspricht. Das gilt auch für Vorschriften der VOB/A,<br />
die dem Schutz des Bieters dienen sollen (BGH, Urteil vom 30.03.2006 - Az.: VII ZR 44/05).<br />
87.4.1 Sinn <strong>und</strong> Zweck<br />
4494<br />
Die Vertragsstrafe ist einerseits ein Druckmittel, um die termingerechte Fertigstellung des<br />
Bauwerks zu sichern, andererseits bietet sie die Möglichkeit einer erleichterten<br />
Schadloshaltung ohne Einzelnachweis (BGH, Urteil vom 23.1.2003 - Az.: VII ZR 210/01;<br />
BayObLG, B. v. 27.2.2003 - Az.: Verg 1/03).<br />
87.4.2 <strong>Vertragsstrafen</strong> auch für andere Fälle als die Überschreitung<br />
von Vertragsfristen<br />
4495<br />
Unbestritten ist, dass <strong>Vertragsstrafen</strong> auch für andere Fälle als die Überschreitung von<br />
Ausführungsfristen vorgesehen <strong>und</strong> vereinbart werden können. Zwar "sollen"<br />
<strong>Vertragsstrafen</strong> "nur für die Überschreitung von Ausführungsfristen" vereinbart werden <strong>und</strong><br />
somit - auf den objektiven Gehalt der Formulierung abgestellt - für andere Fälle gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
nicht in Betracht kommen. Allerdings hat der für den Wortlaut der VOL/A zuständige<br />
Hauptausschuss für Leistungen (DVAL) in seinen Beratungen erklärt, dass Vertragsfristen<br />
auch für andere Tatbestände der Vertragsverletzung als die Überschreitung von<br />
Ausführungsfristen ausbedungen werden können. Ob dies das Vorliegen zwingender<br />
Gründe voraussetzt oder andere Vereinbarungen nicht durch zwingende Gründe<br />
gerechtfertigt sein müssen, kann dahinstehen. Einem solchen - aus der Interessenlage des<br />
Auftraggebers resultierenden - zwingenden Gr<strong>und</strong> wird man im Sinne eines anderen<br />
Tatbestandes der Vertragsverletzung als der Überschreitung von Ausführungsfristen keine<br />
höhere Interessenwertigkeit als der Fristüberschreitung zumessen dürfen: Ist für den<br />
letztgenannten Fall das Ausbedingen einer Vertragsstrafe im Hinblick auf die darin liegende<br />
Nachteile allein durch die das Interesse des Auftraggebers an der rechtzeitigen<br />
Leistungserbringung gerechtfertigt, sind vergleichbare - durch das Interesse des<br />
Auftraggebers bestimmte - Vertragserfüllungen im Sinne "zwingender Gründe" an eben<br />
diesem Maßstab zu messen <strong>und</strong> zu beurteilen (VK Lüneburg, B. v. 15.05.2008 - Az.: VgK-<br />
12/2008; im Ergebnis ebenso LSG Hessen, B. v. 15.12.2009 - Az.: L 1 KR 337/09 ER Verg).<br />
Das Interesse an der Geheimhaltung von im Vergabeverfahren sowie im<br />
Vertragsabwicklungsverfahren bekannt gewordene bzw. werdender <strong>und</strong> aus Sicht des<br />
Auftraggebers - objektiv nachvollziehbarer - bedeutsamer finanzieller, technischer <strong>und</strong><br />
sozialer Informationen aus seinem Sphärenbereich ist aber im Hinblick auf diese durch<br />
den Auftraggeber zugemessene Wertigkeit zumindest nicht anders zu beurteilen als das
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Interesse an der rechtzeitigen Leistungserbringung (VK Hessen, B. v. 7.8.2003 - Az.: 69 d<br />
VK - 26/2003).<br />
4495/1<br />
Sehr viel einschränkender ist die Auffassung der VK B<strong>und</strong>. § 12 VOL/A erlaubt eine<br />
Vertragsstrafe gr<strong>und</strong>sätzlich nur im Fall der Überschreitung von Ausführungsfristen. Erfasst<br />
hingegen der Auftraggeber im Wege einer Generalklausel „mehrfache oder besonders<br />
schwerwiegende Verstöße“ als eine Vertragsstrafe auslösende Tatbestände <strong>und</strong> werden<br />
Lieferengpässe – <strong>und</strong> damit in der Sache die von § 12 VOL/A genannte Überschreitung von<br />
Ausführungsfristen - nur beispielhaft genannt, geht diese Regelung über die Vorgaben von §<br />
12 VOL/A hinaus. Auch wenn § 12 VOL/A als Soll-Vorschrift formuliert ist, also<br />
gr<strong>und</strong>sätzlich auch in anderen Fällen als dem in der Vorschrift genannten <strong>Vertragsstrafen</strong><br />
vergaberechtskonform sein können, muss der Auftraggeber dokumentieren, aus welchem<br />
Gr<strong>und</strong> er eine über § 12 VOL/A hinausgehende <strong>Vertragsstrafen</strong>regelung für<br />
erforderlich hält. Macht er dies nicht, kann die Regelung keinen Bestand haben (3. VK<br />
B<strong>und</strong>, B. v. 03.08.2009 - VK 3 - 145/09).<br />
87.4.3 Forderung nach einer Vertraulichkeitserklärung<br />
4496<br />
Vgl. dazu die Kommentierung zu § 10 VOB/A RZ 4336.<br />
87.4.4 Ziffer 1.7.4 der ZTV-Asphalt-StB 94 als<br />
<strong>Vertragsstrafen</strong>regelung?<br />
4497<br />
Gemäß Ziffer 1.7.4 der ZTV-Asphalt-StB 94 ist der Auftraggeber berechtigt, bei<br />
Nichteinhalten der (vorgegebenen <strong>und</strong> vereinbarten) Grenzwerte für das Einbaugewicht, die<br />
Einbaudicke, den Bindemittelgehalt, den Verdichtungsgrad <strong>und</strong> die Ebenheit Abzüge gemäß<br />
einem gleichfalls vereinbarten Anhang 1 vorzunehmen. Sinn <strong>und</strong> Zweck dieser Klausel ist<br />
nicht die Vereinbarung einer Vertragsstrafe, sondern eine erleichterte Abzugsregelung<br />
zur Durchsetzung von Mängelgewährleistungsansprüchen zu Gunsten des Auftraggebers<br />
(OLG Celle, Urteil vom 6.3.2003 - Az.: 14 U 112/02 - Revision zugelassen).<br />
87.4.5 Vertragsstrafe mit dem Inhalt, dass die Höhe der Vertragsstrafe<br />
im billigen Ermessen des Auftraggebers steht<br />
4498<br />
Gemäß § 12 Nr. 1 Satz 2 VOB/A ist die Strafe in angemessenen Grenzen zu halten. Die<br />
Einhaltung dieser Grenzen ist durch eine Formulierung in der <strong>Vertragsstrafen</strong>klausel,<br />
wonach die Höhe der Vertragsstrafe im billigen Ermessen des Auftraggebers stehe,<br />
welche im Streitfall durch das zuständige Gericht überprüft werden kann,<br />
gewährleistet. Entscheidend für die angemessene Höhe einer Vertragsstrafe sind jeweils die<br />
Umstände des Einzelfalls. Abzuwägen sind dabei die Bedeutung der - von § 12 VOB/A<br />
geregelten - Einhaltung von Ausführungsfristen für den betreffenden öffentlichen<br />
Auftraggeber, das Ausmaß des zu erwartenden Schadens bei einer Fristüberschreitung, der<br />
Wert des rückständigen Teiles der Leistung sowie der wirtschaftlichen Verhältnisse des<br />
Auftragnehmers. Die Festlegung einer angemessenen Vertragsstrafe, sofern sie im Rahmen<br />
des Vertragsverhältnisses zu verhängen ist, wird somit auch durch die vom Auftraggeber<br />
formulierte <strong>Vertragsstrafen</strong>klausel ermöglicht (VK Lüneburg, B. v. 12.11.2001 - Az.: 203-<br />
VgK-19/2001).
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87.4.6 Angemessene Höhe der Vertragsstrafe<br />
4499<br />
Die Strafe ist in angemessenen Grenzen zu halten.<br />
87.4.6.1 Gr<strong>und</strong>satz<br />
4500<br />
Eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbarte Vertragsstrafe muss auch unter<br />
Berücksichtigung ihrer Druck- <strong>und</strong> Kompensationsfunktion in einem angemessen<br />
Verhältnis zu dem Werklohn stehen, den der Auftragnehmer durch seine Leistung<br />
verdient. Die Schöpfung neuer, vom Sachinteresse des Auftraggebers losgelöster<br />
Geldforderungen ist nicht Sinn der Vertragsstrafe. Aus diesem Gr<strong>und</strong> hat der<br />
B<strong>und</strong>esgerichtshof bereits zur Höchstgrenze des Tagessatzes hervorgehoben, dass eine<br />
Vertragsstrafe unangemessen ist, wenn durch den Verzug in wenigen Tagen typischer<br />
Weise der Gewinn des Auftragnehmers aufgezehrt ist. Die Angemessenheitskontrolle von<br />
Vertragsbedingungen über <strong>Vertragsstrafen</strong> hat nach einer generalisierenden<br />
Betrachtungsweise zu erfolgen. Das bedeutet, dass auch die Obergrenze der Vertragsstrafe<br />
sich daran messen lassen muss, ob sie generell <strong>und</strong> typischerweise in Bauverträgen, für die sie<br />
vorformuliert ist, angemessen ist. Dabei ist, soweit sich aus der Vorformulierung nicht etwas<br />
anderes ergibt, eine Unterscheidung zwischen Bauverträgen mit hohen oder niedrigen<br />
Auftragssummen wegen der damit verb<strong>und</strong>enen Abgrenzungsschwierigkeiten nicht<br />
vorzunehmen. Nach diesem Maßstab ist in Bauverträgen eine Vertragsstrafe für die<br />
verzögerte Fertigstellung, deren Obergrenze 5% der Auftragssumme überschreitet,<br />
unangemessen (BGH, Urteil vom 23.1.2003 - Az.: VII ZR 210/01; VK Lüneburg, B. v.<br />
15.05.2008 - Az.: VgK-12/2008; VK Baden-Württemberg, B. v. 07.11.2007 - Az.: 1 VK<br />
43/07).<br />
87.4.6.2 Rechtsfolgen einer unangemessen hohen Vertragsstrafe<br />
4501<br />
Der B<strong>und</strong>esgerichtshof entscheidet in ständiger Rechtsprechung, dass eine<br />
<strong>Vertragsstrafen</strong>vereinbarung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen auch die Interessen<br />
des Auftragnehmers ausreichend berücksichtigen muss. Eine unangemessen hohe<br />
Vertragsstrafe führt zur Nichtigkeit der Vertragsklausel. Eine geltungserhaltende<br />
Reduktion findet nicht statt (BGH, Urteil vom 23.1.2003 - Az.: VII ZR 210/01).<br />
87.4.7 Geltendmachung der Vertragsstrafe nur bei tatsächlichen<br />
Nachteilen für den Auftraggeber<br />
87.4.7.1 Gr<strong>und</strong>satz<br />
4502<br />
4503<br />
Die Rechtsprechung ist nicht einheitlich.<br />
Nach einer Auffassung kann der Vertragspartner eines öffentlichen Auftraggebers davon<br />
ausgehen, dass der Auftraggeber seine innerdienstliche Anweisung befolgen will <strong>und</strong> das<br />
Bauvergabeverfahren nach den Regeln des Teils A der VOB durchführt, auch wenn die
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Ausschreibung dies nicht ausdrücklich zum Ausdruck bringt. Die nach der VOB/A<br />
verfahrenden öffentlichen Auftraggeber erklären ihren Vertragspartnern, dass sie<br />
<strong>Vertragsstrafen</strong> nur ausbedingen, wenn die besonderen Gründe nach § 12 Nr. 1 Satz 1<br />
VOB/A das rechtfertigen. Das bedeutet, dass sie solche Gründe substantiiert<br />
vorzutragen <strong>und</strong> gegebenenfalls zu beweisen haben, wollen sie sich nicht treuwidrig<br />
widersprüchliches Verhalten entgegenhalten lassen (Thüringer OLG, Urteil vom 22.10.1996 -<br />
Az.: 8 U 474/96 - Nichtannahmebeschluss des BGH).<br />
4504<br />
4505<br />
Nach einer anderen Meinung ist eine <strong>Vertragsstrafen</strong>regelung auch dann wirksam, wenn<br />
dem Auftraggeber durch die Überschreitung der Vertragsfrist keine erheblichen Nachteile<br />
im Sinne des § 12 Nr. 1 VOB/A entstanden sind (KG Berlin, Urteil vom 7.1.2002 - Az.: 24<br />
U 9084/00).<br />
Nach Auffassung des BGH steht ein Verstoß gegen § 12 Nr. 1 Satz 1 VOB/A der<br />
Geltendmachung der Vertragsstrafe nach den Gr<strong>und</strong>sätzen von Treu <strong>und</strong> Glauben nur<br />
entgegen, wenn der Auftragnehmer das Verhalten des Auftraggebers bei Abgabe des<br />
Angebots als widersprüchlich werten durfte <strong>und</strong> er in seinem schutzwürdigen Vertrauen<br />
darauf, dass der Auftraggeber sich an die Regelung des § 12 Nr. 1 Satz 1 VOB/A halten<br />
werde, enttäuscht worden ist. Allein der Umstand, dass eine Vertragsstrafe vereinbart<br />
worden ist, ohne dass die Voraussetzungen des § 12 Nr. 1 Satz 1 VOB/A objektiv vorlagen,<br />
rechtfertigt es nicht, der vereinbarten Vertragsstrafe ihre Wirkung zu nehmen. Denn<br />
damit würde der Regelung eine vertragsgestaltende Wirkung zukommen, die nicht zu<br />
rechtfertigen ist. Ein widersprüchliches Verhalten liegt nicht vor, wenn der Auftraggeber<br />
bei seiner Ausschreibung subjektiv <strong>und</strong> nicht unvertretbar zu der Einschätzung<br />
gekommen ist, dass die Überschreitung der Vertragsfrist erhebliche Nachteile<br />
verursachen kann <strong>und</strong> deshalb eine Vertragsstrafe vorsieht. Ein schutzwürdiges Vertrauen<br />
darauf, dass der Auftraggeber sich an § 12 Nr. 1 Satz 1 VOB/A gehalten hat, liegt nicht vor,<br />
wenn dem Auftragnehmer bereits bei Abgabe des Angebots die Umstände bekannt sind oder<br />
er sie bei zumutbarer Prüfung hätte erkennen können, die den Schluss rechtfertigen, dass die<br />
Voraussetzungen für die Vereinbarung einer Vertragsstrafe im konkreten Fall nicht vorliegen<br />
(BGH, Urteil vom 30.03.2006 - Az.: VII ZR 44/05)<br />
87.4.7.2 Zulässigkeit bei abstrakter Möglichkeit eines erheblichen Nachteils<br />
4506<br />
Es kommt nach dem Wortlaut des § 12 Nr. 1 VOB/A ausschließlich darauf an, ob die<br />
abstrakte Möglichkeit besteht, dass der öffentliche Auftraggeber durch die<br />
Terminsüberschreitung einen erheblichen Nachteil erleidet. Es ist dagegen unerheblich,<br />
ob solche Nachteile tatsächlich eingetreten sind. Hat der Auftraggeber im Übrigen dargelegt,<br />
dass ihm bei nicht fristgerechter Fertigstellung der Arbeiten der Verlust von bewilligten<br />
Fördermitteln droht, ist dies ausreichend, um die Möglichkeit eines erheblichen Nachteils<br />
anzunehmen (OLG Naumburg, Urteil vom 8.1.2001 - Az.: 4 U 152/00).<br />
87.4.7.3 Zulässigkeit bei drohenden Ansprüchen eines Nachunternehmers<br />
4507<br />
Für die Zulässigkeit der <strong>Vertragsstrafen</strong>regelung reicht bereits aus, dass dem<br />
Auftraggeber Ansprüche eines Nachunternehmers drohen, der nicht zu dem mit ihm<br />
vereinbarten Termin seine Arbeiten aufnehmen konnte. Nicht erforderlich ist, dass der<br />
mögliche Anspruch des Nachunternehmers in der Höhe die vereinbarte Vertragsstrafe<br />
erreicht. Diese dient gerade dazu, den Mindestschaden nicht konkret nachweisen zu müssen.
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Andernfalls könnte jede Vertragsstrafe mit dem Argument für unwirksam erachtet werden,<br />
der tatsächlich eingetretene Schaden liege unterhalb der Vertragsstrafe (OLG Celle, Urteil<br />
vom 11.7.2002 - Az.: 22 U 190/01).<br />
87.4.8 Richtlinie des VHB 2008<br />
4508<br />
4508/1<br />
4509<br />
4510<br />
Bei der Bemessung von <strong>Vertragsstrafen</strong> ist zu berücksichtigen, dass der Bieter die damit<br />
verb<strong>und</strong>ene Erhöhung des Wagnisses in den Angebotspreis einkalkulieren kann.<br />
Anhaltspunkt für die Bemessung kann das Ausmaß der Nachteile sein, die bei verzögerter<br />
Fertigstellung voraussichtlich eintreten werden.<br />
Sind <strong>Vertragsstrafen</strong> für Einzelfristen zu vereinbaren, so ist nur die Überschreitung solcher<br />
Einzelfristen für in sich abgeschlossene Teile der Leistung unter Strafe zu stellen, von denen<br />
der Baufortschritt entscheidend abhängt.<br />
Die Höhe der Vertragsstrafe ist zu begrenzen. Sie soll 0,1 v. H. je Werktag, insgesamt jedoch<br />
5 v. H. der Auftragssumme nicht überschreiten (Richtlinien zu 214 – Besondere<br />
Vertragsbedingungen – Ziffer 2).<br />
87.4.9 Regelung des HVA B-StB 03/2006 zu <strong>Vertragsstrafen</strong> <strong>und</strong><br />
<strong>Beschleunigungsvergütungen</strong><br />
4511<br />
4512<br />
4513<br />
<strong>Vertragsstrafen</strong> bei Überschreitung der Vertragsfristen sind nur in begründeten<br />
Ausnahmefällen festzulegen; § 12 VOB/A ist zu beachten.<br />
Eine Vertragsstrafe ist als Betrag pro Werktag festzulegen; dessen Höhe soll 0,1 bis 0,25 v. H.<br />
der voraussichtlichen Auftragssumme nicht überschreiten.<br />
Bei beschleunigten Arbeiten auf BAB-Betriebsstrecken sind für die <strong>Vertragsstrafen</strong> (sowie<br />
gegebenenfalls <strong>Beschleunigungsvergütungen</strong>) gesonderte Regelungen zu treffen.<br />
87.5 Beschleunigungsvergütung<br />
87.5.1 Inhalt<br />
4514<br />
4515<br />
Bei der Beschleunigungsvergütung - als "Gegenteil" der Vertragsstrafe - handelt es sich in der<br />
Sache um einen gesondert geregelten Teil der vom Auftraggeber für die vereinbarte<br />
Leistung zu zahlenden Vergütung. Forderungen des Bauunternehmers, die durch die<br />
Ausführung der vertraglichen Arbeiten entstanden sind, sind ungeachtet ihrer Bezeichnung<br />
(etwa als "Schadensersatz" o.ä.) Teil der geschuldeten Vergütung, wenn sie ein (zusätzliches)<br />
Äquivalent für die Bauleistungen darstellen. Eine vereinbarte Beschleunigungsprämie ist ein<br />
solch zusätzliches Entgelt (OLG Köln, Urteil vom 14.4.2000 - Az.: 11 U 221/99).<br />
Der Wegfall einer Beschleunigungsvergütung stellt sich regelmäßig nicht als entgangener<br />
Gewinn, sondern in gleicher Weise wie bei einer verwirkten Vertragsstrafe als Einbuße des
Weyand, Praxiskommentar Vergaberecht, 2. Auflage 2007 – Letzte Änderung: 14.02.2010<br />
ansonsten voll verdienten Werklohnes dar (Brandenburgisches OLG, Urteil vom 14.1.2003<br />
- Az.: 11 U 74/02).<br />
87.5.2 Umsatzsteuerpflicht<br />
4516<br />
<strong>Beschleunigungsvergütungen</strong> im Sinne von § 12 VOB/A sind Teil der vom Auftraggeber<br />
geschuldeten <strong>und</strong> vertraglich vereinbarten Vergütung. Sie sind daher - wie die übrigen<br />
Teile der Vergütung - umsatzsteuerpflichtig, sodass der Auftraggeber zur Zahlung der<br />
hierauf entfallenden Umsatzsteuer verpflichtet ist, wenn der Auftragnehmer die Umsatzsteuer<br />
geltend macht (OLG Köln, Urteil vom 14.4.2000 - Az.: 11 U 221/99).<br />
87.5.3 Beispiele aus der Rechtsprechung<br />
4517<br />
• "Nebenangebote mit Bauzeitverkürzung sind erwünscht <strong>und</strong> werden mit dem<br />
geldwerten Vorteil gewertet: geldwerter Vorteil/Tag = Vertragsstrafe XXXX<br />
DM/Tag - angebotene Mehrkosten/Tag" (VK Baden-Württemberg, B. v. 8.1.2002 -<br />
Az.: 1 VK 46/01).<br />
87.6 Literatur<br />
4517/1<br />
• Diehr, Uwe, <strong>Vertragsstrafen</strong> nach VOB <strong>und</strong> VOL, ZfBR 2008, 768