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Vertragsstrafen und Beschleunigungsvergütungen - Oeffentliche ...

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Weyand, Praxiskommentar Vergaberecht, 2. Auflage 2007 – Letzte Änderung: 14.02.2010<br />

87. § 12 VOB/A - <strong>Vertragsstrafen</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>Beschleunigungsvergütungen</strong><br />

<strong>Vertragsstrafen</strong> <strong>und</strong> <strong>Beschleunigungsvergütungen</strong><br />

1. <strong>Vertragsstrafen</strong> für die Überschreitung von Vertragsfristen sind nur auszubedingen, wenn<br />

die Überschreitung erhebliche Nachteile verursachen kann. Die Strafe ist in angemessenen<br />

Grenzen zu halten.<br />

2. <strong>Beschleunigungsvergütungen</strong> (Prämien) sind nur vorzusehen, wenn die Fertigstellung vor<br />

Ablauf der Vertragsfristen erhebliche Vorteile bringt.<br />

87.1 Vergleichbare Regelungen<br />

4491<br />

Der Vorschrift des § 12 VOB/A vergleichbar ist im Bereich der VOL § 12 VOL/A. Die<br />

Kommentierung zu dieser Vorschrift kann daher ergänzend zu der Kommentierung des § 12<br />

herangezogen werden.<br />

87.2 Änderungen in der VOB/A 2006<br />

4492<br />

In der VOB/A 2006 erfolgten keine Änderungen.<br />

87.3 Bieterschützende Vorschrift<br />

4492/1<br />

4492/2<br />

§ 12 VOB/A ist bieterschützend. Zwar betrifft § 12 VOB/A den Inhalt des später<br />

abzuschließenden Vertrags. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass die Vorschrift nicht<br />

dem Vergabeverfahrensrecht zuzuordnen ist. Ziel des § 12 VOB/A ist es, in Bezug auf die<br />

<strong>Vertragsstrafen</strong>regelung für einen angemessenen Interessenausgleich zwischen<br />

Auftraggeber <strong>und</strong> Auftragnehmer zu sorgen. Diese Zielsetzung greift bereits während<br />

des Vergabeverfahrens, wenn – was der Regelfall sein dürfte – die späteren<br />

Vertragsbedingungen Bestandteil der Verdingungsunterlagen sind. Hier soll der Bieter nicht<br />

gezwungen sein, sich auf eine vergaberechtswidrige Vertragsklausel einzulassen. Der Bieter<br />

hat deshalb bereits im Vergabeverfahren Anspruch darauf, dass der Auftraggeber<br />

<strong>Vertragsstrafen</strong> nur dann festsetzt, wenn mit der Überschreitung einer Ausführungsfrist<br />

erhebliche Nachteile verb<strong>und</strong>en sind (2. VK B<strong>und</strong>, B. v. 08.02.2008 - VK 2 - 156/07; 3.<br />

VK B<strong>und</strong>, B. v. 07.02.2008 - Az.: VK 3 - 169/07).<br />

Vom bieterschützenden Charakter des § 12 VOL/A ist auszugehen, wenn der<br />

Auftraggeber dem Auftragnehmer bereits in den Vergabeunterlagen diesbezüglich<br />

unangemessen benachteiligende <strong>und</strong> deswegen nicht zumutbare Vertragsbedingungen<br />

stellt. Denn derartige Regelungen können am Auftrag interessierte Unternehmen davon<br />

abhalten, sich mit einem Angebot an der Ausschreibung zu beteiligen, was dem<br />

vergaberechtlichen Wettbewerbsprinzip widerspricht (LSG Hessen, B. v. 15.12.2009 - Az.: L<br />

1 KR 337/09 ER Verg).


Weyand, Praxiskommentar Vergaberecht, 2. Auflage 2007 – Letzte Änderung: 14.02.2010<br />

87.4 Vertragsstrafe<br />

4493<br />

§ 12 VOB/A hat bei Vergaben unterhalb der Schwellenwerte nach §§ 1 a <strong>und</strong> 1 b VOB/A<br />

keine Rechtssatzqualität. Es handelt sich insoweit um eine innerdienstliche<br />

Verwaltungsvorschrift, die unmittelbare Rechtswirkungen im Außenverhältnis nicht<br />

begründen kann. § 12 VOB/A hat damit keine unmittelbare Auswirkung auf das<br />

Vertragsverhältnis zwischen Auftraggeber <strong>und</strong> Auftragnehmer. Die VOB/A enthält kein<br />

zwingendes Vertragsrecht in der Weise, dass statt geschlossener Vereinbarungen das<br />

Vertragsinhalt wird, was der VOB/A entspricht. Das gilt auch für Vorschriften der VOB/A,<br />

die dem Schutz des Bieters dienen sollen (BGH, Urteil vom 30.03.2006 - Az.: VII ZR 44/05).<br />

87.4.1 Sinn <strong>und</strong> Zweck<br />

4494<br />

Die Vertragsstrafe ist einerseits ein Druckmittel, um die termingerechte Fertigstellung des<br />

Bauwerks zu sichern, andererseits bietet sie die Möglichkeit einer erleichterten<br />

Schadloshaltung ohne Einzelnachweis (BGH, Urteil vom 23.1.2003 - Az.: VII ZR 210/01;<br />

BayObLG, B. v. 27.2.2003 - Az.: Verg 1/03).<br />

87.4.2 <strong>Vertragsstrafen</strong> auch für andere Fälle als die Überschreitung<br />

von Vertragsfristen<br />

4495<br />

Unbestritten ist, dass <strong>Vertragsstrafen</strong> auch für andere Fälle als die Überschreitung von<br />

Ausführungsfristen vorgesehen <strong>und</strong> vereinbart werden können. Zwar "sollen"<br />

<strong>Vertragsstrafen</strong> "nur für die Überschreitung von Ausführungsfristen" vereinbart werden <strong>und</strong><br />

somit - auf den objektiven Gehalt der Formulierung abgestellt - für andere Fälle gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

nicht in Betracht kommen. Allerdings hat der für den Wortlaut der VOL/A zuständige<br />

Hauptausschuss für Leistungen (DVAL) in seinen Beratungen erklärt, dass Vertragsfristen<br />

auch für andere Tatbestände der Vertragsverletzung als die Überschreitung von<br />

Ausführungsfristen ausbedungen werden können. Ob dies das Vorliegen zwingender<br />

Gründe voraussetzt oder andere Vereinbarungen nicht durch zwingende Gründe<br />

gerechtfertigt sein müssen, kann dahinstehen. Einem solchen - aus der Interessenlage des<br />

Auftraggebers resultierenden - zwingenden Gr<strong>und</strong> wird man im Sinne eines anderen<br />

Tatbestandes der Vertragsverletzung als der Überschreitung von Ausführungsfristen keine<br />

höhere Interessenwertigkeit als der Fristüberschreitung zumessen dürfen: Ist für den<br />

letztgenannten Fall das Ausbedingen einer Vertragsstrafe im Hinblick auf die darin liegende<br />

Nachteile allein durch die das Interesse des Auftraggebers an der rechtzeitigen<br />

Leistungserbringung gerechtfertigt, sind vergleichbare - durch das Interesse des<br />

Auftraggebers bestimmte - Vertragserfüllungen im Sinne "zwingender Gründe" an eben<br />

diesem Maßstab zu messen <strong>und</strong> zu beurteilen (VK Lüneburg, B. v. 15.05.2008 - Az.: VgK-<br />

12/2008; im Ergebnis ebenso LSG Hessen, B. v. 15.12.2009 - Az.: L 1 KR 337/09 ER Verg).<br />

Das Interesse an der Geheimhaltung von im Vergabeverfahren sowie im<br />

Vertragsabwicklungsverfahren bekannt gewordene bzw. werdender <strong>und</strong> aus Sicht des<br />

Auftraggebers - objektiv nachvollziehbarer - bedeutsamer finanzieller, technischer <strong>und</strong><br />

sozialer Informationen aus seinem Sphärenbereich ist aber im Hinblick auf diese durch<br />

den Auftraggeber zugemessene Wertigkeit zumindest nicht anders zu beurteilen als das


Weyand, Praxiskommentar Vergaberecht, 2. Auflage 2007 – Letzte Änderung: 14.02.2010<br />

Interesse an der rechtzeitigen Leistungserbringung (VK Hessen, B. v. 7.8.2003 - Az.: 69 d<br />

VK - 26/2003).<br />

4495/1<br />

Sehr viel einschränkender ist die Auffassung der VK B<strong>und</strong>. § 12 VOL/A erlaubt eine<br />

Vertragsstrafe gr<strong>und</strong>sätzlich nur im Fall der Überschreitung von Ausführungsfristen. Erfasst<br />

hingegen der Auftraggeber im Wege einer Generalklausel „mehrfache oder besonders<br />

schwerwiegende Verstöße“ als eine Vertragsstrafe auslösende Tatbestände <strong>und</strong> werden<br />

Lieferengpässe – <strong>und</strong> damit in der Sache die von § 12 VOL/A genannte Überschreitung von<br />

Ausführungsfristen - nur beispielhaft genannt, geht diese Regelung über die Vorgaben von §<br />

12 VOL/A hinaus. Auch wenn § 12 VOL/A als Soll-Vorschrift formuliert ist, also<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich auch in anderen Fällen als dem in der Vorschrift genannten <strong>Vertragsstrafen</strong><br />

vergaberechtskonform sein können, muss der Auftraggeber dokumentieren, aus welchem<br />

Gr<strong>und</strong> er eine über § 12 VOL/A hinausgehende <strong>Vertragsstrafen</strong>regelung für<br />

erforderlich hält. Macht er dies nicht, kann die Regelung keinen Bestand haben (3. VK<br />

B<strong>und</strong>, B. v. 03.08.2009 - VK 3 - 145/09).<br />

87.4.3 Forderung nach einer Vertraulichkeitserklärung<br />

4496<br />

Vgl. dazu die Kommentierung zu § 10 VOB/A RZ 4336.<br />

87.4.4 Ziffer 1.7.4 der ZTV-Asphalt-StB 94 als<br />

<strong>Vertragsstrafen</strong>regelung?<br />

4497<br />

Gemäß Ziffer 1.7.4 der ZTV-Asphalt-StB 94 ist der Auftraggeber berechtigt, bei<br />

Nichteinhalten der (vorgegebenen <strong>und</strong> vereinbarten) Grenzwerte für das Einbaugewicht, die<br />

Einbaudicke, den Bindemittelgehalt, den Verdichtungsgrad <strong>und</strong> die Ebenheit Abzüge gemäß<br />

einem gleichfalls vereinbarten Anhang 1 vorzunehmen. Sinn <strong>und</strong> Zweck dieser Klausel ist<br />

nicht die Vereinbarung einer Vertragsstrafe, sondern eine erleichterte Abzugsregelung<br />

zur Durchsetzung von Mängelgewährleistungsansprüchen zu Gunsten des Auftraggebers<br />

(OLG Celle, Urteil vom 6.3.2003 - Az.: 14 U 112/02 - Revision zugelassen).<br />

87.4.5 Vertragsstrafe mit dem Inhalt, dass die Höhe der Vertragsstrafe<br />

im billigen Ermessen des Auftraggebers steht<br />

4498<br />

Gemäß § 12 Nr. 1 Satz 2 VOB/A ist die Strafe in angemessenen Grenzen zu halten. Die<br />

Einhaltung dieser Grenzen ist durch eine Formulierung in der <strong>Vertragsstrafen</strong>klausel,<br />

wonach die Höhe der Vertragsstrafe im billigen Ermessen des Auftraggebers stehe,<br />

welche im Streitfall durch das zuständige Gericht überprüft werden kann,<br />

gewährleistet. Entscheidend für die angemessene Höhe einer Vertragsstrafe sind jeweils die<br />

Umstände des Einzelfalls. Abzuwägen sind dabei die Bedeutung der - von § 12 VOB/A<br />

geregelten - Einhaltung von Ausführungsfristen für den betreffenden öffentlichen<br />

Auftraggeber, das Ausmaß des zu erwartenden Schadens bei einer Fristüberschreitung, der<br />

Wert des rückständigen Teiles der Leistung sowie der wirtschaftlichen Verhältnisse des<br />

Auftragnehmers. Die Festlegung einer angemessenen Vertragsstrafe, sofern sie im Rahmen<br />

des Vertragsverhältnisses zu verhängen ist, wird somit auch durch die vom Auftraggeber<br />

formulierte <strong>Vertragsstrafen</strong>klausel ermöglicht (VK Lüneburg, B. v. 12.11.2001 - Az.: 203-<br />

VgK-19/2001).


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87.4.6 Angemessene Höhe der Vertragsstrafe<br />

4499<br />

Die Strafe ist in angemessenen Grenzen zu halten.<br />

87.4.6.1 Gr<strong>und</strong>satz<br />

4500<br />

Eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbarte Vertragsstrafe muss auch unter<br />

Berücksichtigung ihrer Druck- <strong>und</strong> Kompensationsfunktion in einem angemessen<br />

Verhältnis zu dem Werklohn stehen, den der Auftragnehmer durch seine Leistung<br />

verdient. Die Schöpfung neuer, vom Sachinteresse des Auftraggebers losgelöster<br />

Geldforderungen ist nicht Sinn der Vertragsstrafe. Aus diesem Gr<strong>und</strong> hat der<br />

B<strong>und</strong>esgerichtshof bereits zur Höchstgrenze des Tagessatzes hervorgehoben, dass eine<br />

Vertragsstrafe unangemessen ist, wenn durch den Verzug in wenigen Tagen typischer<br />

Weise der Gewinn des Auftragnehmers aufgezehrt ist. Die Angemessenheitskontrolle von<br />

Vertragsbedingungen über <strong>Vertragsstrafen</strong> hat nach einer generalisierenden<br />

Betrachtungsweise zu erfolgen. Das bedeutet, dass auch die Obergrenze der Vertragsstrafe<br />

sich daran messen lassen muss, ob sie generell <strong>und</strong> typischerweise in Bauverträgen, für die sie<br />

vorformuliert ist, angemessen ist. Dabei ist, soweit sich aus der Vorformulierung nicht etwas<br />

anderes ergibt, eine Unterscheidung zwischen Bauverträgen mit hohen oder niedrigen<br />

Auftragssummen wegen der damit verb<strong>und</strong>enen Abgrenzungsschwierigkeiten nicht<br />

vorzunehmen. Nach diesem Maßstab ist in Bauverträgen eine Vertragsstrafe für die<br />

verzögerte Fertigstellung, deren Obergrenze 5% der Auftragssumme überschreitet,<br />

unangemessen (BGH, Urteil vom 23.1.2003 - Az.: VII ZR 210/01; VK Lüneburg, B. v.<br />

15.05.2008 - Az.: VgK-12/2008; VK Baden-Württemberg, B. v. 07.11.2007 - Az.: 1 VK<br />

43/07).<br />

87.4.6.2 Rechtsfolgen einer unangemessen hohen Vertragsstrafe<br />

4501<br />

Der B<strong>und</strong>esgerichtshof entscheidet in ständiger Rechtsprechung, dass eine<br />

<strong>Vertragsstrafen</strong>vereinbarung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen auch die Interessen<br />

des Auftragnehmers ausreichend berücksichtigen muss. Eine unangemessen hohe<br />

Vertragsstrafe führt zur Nichtigkeit der Vertragsklausel. Eine geltungserhaltende<br />

Reduktion findet nicht statt (BGH, Urteil vom 23.1.2003 - Az.: VII ZR 210/01).<br />

87.4.7 Geltendmachung der Vertragsstrafe nur bei tatsächlichen<br />

Nachteilen für den Auftraggeber<br />

87.4.7.1 Gr<strong>und</strong>satz<br />

4502<br />

4503<br />

Die Rechtsprechung ist nicht einheitlich.<br />

Nach einer Auffassung kann der Vertragspartner eines öffentlichen Auftraggebers davon<br />

ausgehen, dass der Auftraggeber seine innerdienstliche Anweisung befolgen will <strong>und</strong> das<br />

Bauvergabeverfahren nach den Regeln des Teils A der VOB durchführt, auch wenn die


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Ausschreibung dies nicht ausdrücklich zum Ausdruck bringt. Die nach der VOB/A<br />

verfahrenden öffentlichen Auftraggeber erklären ihren Vertragspartnern, dass sie<br />

<strong>Vertragsstrafen</strong> nur ausbedingen, wenn die besonderen Gründe nach § 12 Nr. 1 Satz 1<br />

VOB/A das rechtfertigen. Das bedeutet, dass sie solche Gründe substantiiert<br />

vorzutragen <strong>und</strong> gegebenenfalls zu beweisen haben, wollen sie sich nicht treuwidrig<br />

widersprüchliches Verhalten entgegenhalten lassen (Thüringer OLG, Urteil vom 22.10.1996 -<br />

Az.: 8 U 474/96 - Nichtannahmebeschluss des BGH).<br />

4504<br />

4505<br />

Nach einer anderen Meinung ist eine <strong>Vertragsstrafen</strong>regelung auch dann wirksam, wenn<br />

dem Auftraggeber durch die Überschreitung der Vertragsfrist keine erheblichen Nachteile<br />

im Sinne des § 12 Nr. 1 VOB/A entstanden sind (KG Berlin, Urteil vom 7.1.2002 - Az.: 24<br />

U 9084/00).<br />

Nach Auffassung des BGH steht ein Verstoß gegen § 12 Nr. 1 Satz 1 VOB/A der<br />

Geltendmachung der Vertragsstrafe nach den Gr<strong>und</strong>sätzen von Treu <strong>und</strong> Glauben nur<br />

entgegen, wenn der Auftragnehmer das Verhalten des Auftraggebers bei Abgabe des<br />

Angebots als widersprüchlich werten durfte <strong>und</strong> er in seinem schutzwürdigen Vertrauen<br />

darauf, dass der Auftraggeber sich an die Regelung des § 12 Nr. 1 Satz 1 VOB/A halten<br />

werde, enttäuscht worden ist. Allein der Umstand, dass eine Vertragsstrafe vereinbart<br />

worden ist, ohne dass die Voraussetzungen des § 12 Nr. 1 Satz 1 VOB/A objektiv vorlagen,<br />

rechtfertigt es nicht, der vereinbarten Vertragsstrafe ihre Wirkung zu nehmen. Denn<br />

damit würde der Regelung eine vertragsgestaltende Wirkung zukommen, die nicht zu<br />

rechtfertigen ist. Ein widersprüchliches Verhalten liegt nicht vor, wenn der Auftraggeber<br />

bei seiner Ausschreibung subjektiv <strong>und</strong> nicht unvertretbar zu der Einschätzung<br />

gekommen ist, dass die Überschreitung der Vertragsfrist erhebliche Nachteile<br />

verursachen kann <strong>und</strong> deshalb eine Vertragsstrafe vorsieht. Ein schutzwürdiges Vertrauen<br />

darauf, dass der Auftraggeber sich an § 12 Nr. 1 Satz 1 VOB/A gehalten hat, liegt nicht vor,<br />

wenn dem Auftragnehmer bereits bei Abgabe des Angebots die Umstände bekannt sind oder<br />

er sie bei zumutbarer Prüfung hätte erkennen können, die den Schluss rechtfertigen, dass die<br />

Voraussetzungen für die Vereinbarung einer Vertragsstrafe im konkreten Fall nicht vorliegen<br />

(BGH, Urteil vom 30.03.2006 - Az.: VII ZR 44/05)<br />

87.4.7.2 Zulässigkeit bei abstrakter Möglichkeit eines erheblichen Nachteils<br />

4506<br />

Es kommt nach dem Wortlaut des § 12 Nr. 1 VOB/A ausschließlich darauf an, ob die<br />

abstrakte Möglichkeit besteht, dass der öffentliche Auftraggeber durch die<br />

Terminsüberschreitung einen erheblichen Nachteil erleidet. Es ist dagegen unerheblich,<br />

ob solche Nachteile tatsächlich eingetreten sind. Hat der Auftraggeber im Übrigen dargelegt,<br />

dass ihm bei nicht fristgerechter Fertigstellung der Arbeiten der Verlust von bewilligten<br />

Fördermitteln droht, ist dies ausreichend, um die Möglichkeit eines erheblichen Nachteils<br />

anzunehmen (OLG Naumburg, Urteil vom 8.1.2001 - Az.: 4 U 152/00).<br />

87.4.7.3 Zulässigkeit bei drohenden Ansprüchen eines Nachunternehmers<br />

4507<br />

Für die Zulässigkeit der <strong>Vertragsstrafen</strong>regelung reicht bereits aus, dass dem<br />

Auftraggeber Ansprüche eines Nachunternehmers drohen, der nicht zu dem mit ihm<br />

vereinbarten Termin seine Arbeiten aufnehmen konnte. Nicht erforderlich ist, dass der<br />

mögliche Anspruch des Nachunternehmers in der Höhe die vereinbarte Vertragsstrafe<br />

erreicht. Diese dient gerade dazu, den Mindestschaden nicht konkret nachweisen zu müssen.


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Andernfalls könnte jede Vertragsstrafe mit dem Argument für unwirksam erachtet werden,<br />

der tatsächlich eingetretene Schaden liege unterhalb der Vertragsstrafe (OLG Celle, Urteil<br />

vom 11.7.2002 - Az.: 22 U 190/01).<br />

87.4.8 Richtlinie des VHB 2008<br />

4508<br />

4508/1<br />

4509<br />

4510<br />

Bei der Bemessung von <strong>Vertragsstrafen</strong> ist zu berücksichtigen, dass der Bieter die damit<br />

verb<strong>und</strong>ene Erhöhung des Wagnisses in den Angebotspreis einkalkulieren kann.<br />

Anhaltspunkt für die Bemessung kann das Ausmaß der Nachteile sein, die bei verzögerter<br />

Fertigstellung voraussichtlich eintreten werden.<br />

Sind <strong>Vertragsstrafen</strong> für Einzelfristen zu vereinbaren, so ist nur die Überschreitung solcher<br />

Einzelfristen für in sich abgeschlossene Teile der Leistung unter Strafe zu stellen, von denen<br />

der Baufortschritt entscheidend abhängt.<br />

Die Höhe der Vertragsstrafe ist zu begrenzen. Sie soll 0,1 v. H. je Werktag, insgesamt jedoch<br />

5 v. H. der Auftragssumme nicht überschreiten (Richtlinien zu 214 – Besondere<br />

Vertragsbedingungen – Ziffer 2).<br />

87.4.9 Regelung des HVA B-StB 03/2006 zu <strong>Vertragsstrafen</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>Beschleunigungsvergütungen</strong><br />

4511<br />

4512<br />

4513<br />

<strong>Vertragsstrafen</strong> bei Überschreitung der Vertragsfristen sind nur in begründeten<br />

Ausnahmefällen festzulegen; § 12 VOB/A ist zu beachten.<br />

Eine Vertragsstrafe ist als Betrag pro Werktag festzulegen; dessen Höhe soll 0,1 bis 0,25 v. H.<br />

der voraussichtlichen Auftragssumme nicht überschreiten.<br />

Bei beschleunigten Arbeiten auf BAB-Betriebsstrecken sind für die <strong>Vertragsstrafen</strong> (sowie<br />

gegebenenfalls <strong>Beschleunigungsvergütungen</strong>) gesonderte Regelungen zu treffen.<br />

87.5 Beschleunigungsvergütung<br />

87.5.1 Inhalt<br />

4514<br />

4515<br />

Bei der Beschleunigungsvergütung - als "Gegenteil" der Vertragsstrafe - handelt es sich in der<br />

Sache um einen gesondert geregelten Teil der vom Auftraggeber für die vereinbarte<br />

Leistung zu zahlenden Vergütung. Forderungen des Bauunternehmers, die durch die<br />

Ausführung der vertraglichen Arbeiten entstanden sind, sind ungeachtet ihrer Bezeichnung<br />

(etwa als "Schadensersatz" o.ä.) Teil der geschuldeten Vergütung, wenn sie ein (zusätzliches)<br />

Äquivalent für die Bauleistungen darstellen. Eine vereinbarte Beschleunigungsprämie ist ein<br />

solch zusätzliches Entgelt (OLG Köln, Urteil vom 14.4.2000 - Az.: 11 U 221/99).<br />

Der Wegfall einer Beschleunigungsvergütung stellt sich regelmäßig nicht als entgangener<br />

Gewinn, sondern in gleicher Weise wie bei einer verwirkten Vertragsstrafe als Einbuße des


Weyand, Praxiskommentar Vergaberecht, 2. Auflage 2007 – Letzte Änderung: 14.02.2010<br />

ansonsten voll verdienten Werklohnes dar (Brandenburgisches OLG, Urteil vom 14.1.2003<br />

- Az.: 11 U 74/02).<br />

87.5.2 Umsatzsteuerpflicht<br />

4516<br />

<strong>Beschleunigungsvergütungen</strong> im Sinne von § 12 VOB/A sind Teil der vom Auftraggeber<br />

geschuldeten <strong>und</strong> vertraglich vereinbarten Vergütung. Sie sind daher - wie die übrigen<br />

Teile der Vergütung - umsatzsteuerpflichtig, sodass der Auftraggeber zur Zahlung der<br />

hierauf entfallenden Umsatzsteuer verpflichtet ist, wenn der Auftragnehmer die Umsatzsteuer<br />

geltend macht (OLG Köln, Urteil vom 14.4.2000 - Az.: 11 U 221/99).<br />

87.5.3 Beispiele aus der Rechtsprechung<br />

4517<br />

• "Nebenangebote mit Bauzeitverkürzung sind erwünscht <strong>und</strong> werden mit dem<br />

geldwerten Vorteil gewertet: geldwerter Vorteil/Tag = Vertragsstrafe XXXX<br />

DM/Tag - angebotene Mehrkosten/Tag" (VK Baden-Württemberg, B. v. 8.1.2002 -<br />

Az.: 1 VK 46/01).<br />

87.6 Literatur<br />

4517/1<br />

• Diehr, Uwe, <strong>Vertragsstrafen</strong> nach VOB <strong>und</strong> VOL, ZfBR 2008, 768

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