Synapse 50-neu.pmd - Breite Liste Gesundheit, Fachschaft Medizin ...
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Das SIMAP-Urteil ist ein differenziertes und kluges Urteil, das<br />
der heutigen Arbeitswelt gerecht wird. Es ist keine Entgleisung<br />
eines verwirrten Richters, die man korrigieren müsste. Es schützt<br />
Mitarbeiter vor Übermüdung und Überlastung und schützt damit<br />
auch Patienten – es ist für alle Europäer ein gutes Urteil. Wer aber<br />
hoffte, Bundesregierung und EU-Kommission würden, angeregt<br />
durch die Luxemburger Richter, Visionen für die Menschen in<br />
Europa entwickeln, die zudem mehr Beschäftigung garantieren,<br />
wurde er<strong>neu</strong>t enttäuscht.<br />
Aber schlimmer noch: Die Bundesregierung drängt neben anderen<br />
Nationalstaaten die EU-Kommission, die Regelungen der<br />
Arbeitszeit wieder den Nationalstaaten zu überlassen. Was<br />
zunächst positiv nach „Liberalismus statt Zentralismus“ klingt,<br />
Von:<br />
Datum:<br />
Betreff:<br />
Hi,<br />
Oliver<br />
21.01.2004 11:06<br />
Re: Bereitschaftsdiensturteil<br />
vielen Dank, Thorsten, für diese gute<br />
Übersicht über die (leider etwas desolate)<br />
Lage. Ich glaube, man muss sich gar nicht<br />
wundern, dass doch noch ein Übergangsparagraf<br />
eingeschoben wurde: innerhalb von knapp 10<br />
Tagen hätte man sicherlich nicht <strong>neu</strong>e<br />
Tarifverträge etc. verhandeln können. Nur<br />
die Frist von 2 Jahren macht nachdenklich<br />
(warum nicht 6 Monate) und man wundert sich<br />
schon auch über die EU-Kommissarin, die<br />
plötzlich merkt, dass das (lange erwartete)<br />
EU-Urteil schwer finanzierbar ist ("in<br />
Deutschland würden allein 15.000 <strong>neu</strong>e Ärzte<br />
benötigt"). [1]<br />
Ich möchte eine Formulierung von dir noch<br />
etwas präzisieren - nur damit keine<br />
Mißverständnisse entstehen:<br />
hat nur einen einzigen Zweck: den Nationalstaaten die<br />
Möglichkeit zu eröffnen, das EuGH-Urteil zu umgehen. Nach<br />
vorne von <strong>Gesundheit</strong>sschutz, Innovation und besseren<br />
Arbeitsbedingungen reden, im Hintergrund Druck auf die EU-<br />
Kommission ausüben, die Arbeitszeitrichtlinie 93/104<br />
aufzuweichen – das ist hinterhältig.<br />
Die zuständige EU-Kommissarin Anna Diamantopoulou hat<br />
bereits angekündigt, dem Richterspruch auch weiterhin nicht<br />
folgen zu wollen, sondern die maßgebliche EU-<br />
Arbeitszeitrichtlinie 93/104 zu ändern: Die Mitgliedsstaaten sollen<br />
demnächst selbst entscheiden können, ob sie Bereitschaftsdienste<br />
als Arbeitszeit werten. Das Gerichtsurteil habe große Probleme<br />
ausgelöst. Wenn es akzeptiert würde, würden allein in<br />
Deutschland zusätzlich 15 000 <strong>neu</strong>e Ärzte benötigt, meint die<br />
für Arbeit und Soziales zuständige Kommissarin. Das Urteil drohe<br />
somit, die <strong>Gesundheit</strong>ssicherungssysteme der Mitgliedsstaaten zu<br />
untergraben. Daneben sei die Umsetzung zu teuer.<br />
Aber stellt das SIMAP-Urteil die EU-Mitgliedsstaaten wirklich<br />
vor große Probleme? Sind es nicht vielmehr einzelne Regierungen<br />
und die EU-Kommission, die unwillig scheinen, <strong>neu</strong>e Ideen zu<br />
entwickeln und <strong>neu</strong>e Prioritäten zu setzen?<br />
In Deutschland wurden jahrelang Arbeitszeiten von 24 bis 36<br />
Stunden „am Stück“ von der Bundesregierung und den<br />
Aufsichtsbehörden bagatellisiert oder ignoriert. Erst nach dem<br />
Jäger-Urteil wurde unter Zwang und mit einer mysteriösen<br />
zweijährigen Übergangsfrist für Tarifverträge reagiert – in der<br />
Hoffnung, dass in zwei Jahren die zugrunde liegende europäische<br />
Arbeitszeitrichtlinie geändert sein wird. Die EU-Kommission hat<br />
auf eine 2001 eingereichte Klage bis heute nicht mehr als die<br />
Vergabe eines Aktenzeichens zustande gebracht, kritische<br />
Anfragen werden nichts sagend beantwortet. Den gleichen Stil<br />
pflegen das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit sowie<br />
das Bundesministerium für <strong>Gesundheit</strong> und Soziale Sicherung.<br />
Bundestagsabgeordnete zeigen sich desinteressiert oder<br />
überfordert. Der Ausschuss für <strong>Gesundheit</strong> des Bundestages fühlt<br />
sich nicht zuständig. Der Petitionsausschuss schafft es nicht, mehr<br />
als Eingangsbestätigungen zu verschicken. Zuständig oder gar<br />
verantwortlich sind immer andere.<br />
Recht nach Kassenlage, der Rechtsstaat als Einbahnstraße. Ein<br />
Staat, der peinlich genau die Einhaltung von Bauordnungen,<br />
Vorschriften und Gesetzen verlangt, fühlt sich selbst daran nicht<br />
gebunden – eine beunruhigende Entwicklung.<br />
8<br />
>> Der Marburger Bund vertritt in dem Artikel<br />
>> die Auffassung, dass der Tarifvertrag<br />
>> nicht gegen die Arbeitszeitrichtlinie<br />
>> der EU-Verstoßen kann und damit bei 48<br />
>> Stunden Arbeit in der Woche Schicht ist.<br />
EuGH-Urteil<br />
Kein Anspruch auf mehr Geld<br />
<strong>Synapse</strong> <strong>50</strong> / Juni 2004<br />
synapse@fachschaft-medizin.de<br />
"Kann" hätte ich besser mit "darf"<br />
ausgedrückt, in dem Sinne, dass die<br />
Übergangsfrist in der Sichtweise des MB<br />
nach §25 nur dann auf Tarifverträge<br />
angewandt werden kann, wenn sie auch jetzt<br />
schon der EU-Arbeitszeitrichtlinie genügen.<br />
Insgesamt sieht es ja bei pessimistischer<br />
Perspektive so aus: es ändert sich nichts,<br />
die EU-Kommissarin modifiziert innerhalb<br />
der 2 Jahre die Arbeitszeitrichtlinie (ihre<br />
Vorstellung ist, die Länder selbst<br />
entscheiden zu lassen, ob sie<br />
Bereitschftszeit als Arbeitszeit werten,<br />
oder nicht [1] -- im Prinzip entwertet sie<br />
damit das EUGH-Urteil vollständig) und die<br />
Länder können die Verantwortung dann prima<br />
abschieben - so verlieren sie auch nicht<br />
ihr Gesicht im Zuge jetzt gemachter Zusagen.<br />
Gruss,<br />
Oliver<br />
[1] http://www.ftd.de/pw/eu/<br />
1070545778788.html?nv=se<br />
Die ärztlichen Bereitschaftsdienste gelten zwar jetzt voll als<br />
Arbeitszeit, dürfen aber nach einem Urteil des<br />
Bundesarbeitsgerichts (BAG) geringer bezahlt werden als reguläre<br />
Arbeit. Wie die Erfurter Richter am 28. Januar verkündeten (Az.:<br />
5 AZR 530/02 und 5 AZR <strong>50</strong>3/02), können Ärzte und<br />
Rettungssanitäter aus der Rechtsprechung des Europäischen<br />
Gerichtshofs (EuGH) zur Einstufung von Bereitschaftsdiensten<br />
als Arbeitszeit keinen Anspruch auf höhere Vergütung ableiten.<br />
Bei der maßgeblichen EU-Arbeitszeitrichtlinie 93/104 gehe es<br />
ausschließlich um <strong>Gesundheit</strong>sschutz und nicht um Bezahlung.<br />
Damit wies das Gericht die Klagen eines Krankenhausarztes und<br />
eines Rettungsfahrers ab. Nach den im <strong>Gesundheit</strong>swesen<br />
üblichen Vertragsklauseln sei der Bereitschaftsdienst ausreichend<br />
bezahlt. Der Assistenzarzt hatte in seinem Arbeitsvertrag mit einer<br />
badischen Privatklinik Nachtund Wochenend-Bereitschaften<br />
vereinbart. Als Basis für die Bezahlung eines Bereitschaftsdienstes<br />
von 24 Stunden wurden 13,2 Stunden zugrunde gelegt. Die<br />
Regelung ist mit dem Bundesangestelltentarif vereinbar. Sie<br />
bedeutet nicht, dass etwa bei dem Arzt 10,8 von 24 Stunden<br />
nicht bezahlt würden, betonte das BAG. Vielmehr werde der<br />
Bereitschaftsdienst in voller Länge bezahlt, allerdings zu einem<br />
verringerten Stundensatz. Das sei zulässig, weil auch die<br />
Inanspruchnahme der Arbeitnehmer geringer als im regulären