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Synapse 50-neu.pmd - Breite Liste Gesundheit, Fachschaft Medizin ...

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Famulissime!<br />

Sylvère Störmann<br />

<strong>50</strong><br />

<strong>Synapse</strong> <strong>50</strong> / Juni 2004<br />

synapse@fachschaft-medizin.de<br />

„So, da bin ich.“ Ein verwirrtes, ja fast schon entsetztes<br />

Oberarzt-Gesicht blickt mir entgegen. „Wie?!“ Kurzes<br />

Schweigen. „Ach ja, der PJler!“ Nun selbst verwirrt,<br />

berichtige ich das Missverständnis. Der hektische<br />

Stationsdienst kann so was schon mal vergessen<br />

machen. „Dann kommen Sie mal schnell mit mir mit.<br />

Dann können wir ja direkt zur Besprechung gehen.“ Im<br />

Eilschritt kämpfen wir uns durch die Station, der Blick<br />

des Arztes schweift auf die Armbanduhr. „Ne, das geht<br />

ja jetzt doch nicht, weil ich auf eine andere Besprechung<br />

muss. Aber Sie gehen mal dahin, OK?“ Ich bin<br />

einverstanden und versuche, dies auch mitzuteilen, doch<br />

noch ehe sich mir die Möglichkeit dazu bietet, fährt die<br />

Hektik fort: „Am besten stellen Sie sich direkt mal beim<br />

Geräte-Arzt vor. Wissen Sie, wer heute Geräte-Arzt ist?“<br />

In der einen Minute, die ich mittlerweile auf Station bin,<br />

habe ich es leider nicht in Erfahrung bringen können.<br />

Nicht einmal, was ein Geräte-Arzt überhaupt sein soll.<br />

Ich verneine also. „Gut. Dann suchen wir den mal.“<br />

Wie immer funktioniert mal gar nichts, so wie man es<br />

sich vorgestellt hat. Ein wunderschöner Morgen, die<br />

Schwestern strahlen, die Ärzte begegnen ihnen mit<br />

Respekt und inmitten dieser imaginären Idylle hockt man<br />

selbst, der frische Famulus. Natürlich wird man erst mal<br />

allen vorgestellt, man steht im Mittelpunkt, man ist das<br />

<strong>neu</strong>e Kind in einer großen Familie. Das Kindchen-<br />

Schema provoziert, dass sich alle um den „Kleinen“<br />

ringen. Er ist ja so putzig. Und man muss ihm die Welt<br />

zeigen. Das ist Verantwortung. Eine, die sie gerne tragen.<br />

Denn sie wollen gerne diejenigen sein, zu denen das<br />

putzigen kleinen Neufamilienmitglied aufschaut.<br />

Nach einer gewissen Weile ist auch mir klar, was ein<br />

Geräte-Arzt sein soll. Irgendwie. Was er tut, verstehe<br />

ich noch immer nicht. Mir fällt es überhaupt schwer,<br />

herauszufinden, was die hier alle tun. Klar, befunden tun<br />

sie alle brav. Und sonst? Und was bleibt dann für mich<br />

zu tun? Und wo kann ich was tun? Und überhaupt?<br />

‚Nadeln’, das ist es. Die vielfältigen Tätigkeiten, die man<br />

hier verrichten kann (Kaffe kochen, Kaffee trinken,<br />

surfen, kalten Kaffee wegkippen, Kaffee nachkochen),<br />

werden immer wieder durch Patienten, denen man bunte<br />

Verweilkanülen in die Arme rammen darf, unterbrochen.<br />

Das bietet Abwechslung und lenkt vom Kaffee ab.<br />

Dieses feine Zusammenspiel verschiedener<br />

Beschäftigungen bietet ihr übriges. Denn Koffein-<br />

Intoxikation und Nadelquote wollen genauestens<br />

koordiniert sein. Je größer der Kaffeekonsum und je<br />

kleiner die Venen, desto geringer die Wahrscheinlichkeit,<br />

den Patienten mit dem Gefühl des Gut-Aufgehoben-Seins<br />

in die Untersuchung zu entlassen.<br />

Damit die Motivation bestehen bleibt, die Ambition, es<br />

wirklich gut zu machen, steigt und der Ehrgeiz greift,<br />

erklärt einer der Ärzte gleich das Geheimnis des Nadelns,<br />

dessen immanente Bedeutung in punkto sozialer Stellung<br />

desjenigen, der sie meistert. „Je besser du nadeln kannst,<br />

desto mehr wirst du bewundert. Das ist doch wie bei<br />

den Frauen: Wenn du ein richtig geiler Stecher bist, dann<br />

bist du einfach der King. Das ist beim Nadeln auch nicht<br />

anders. Da stichst du ja auch!“ Obwohl das sehr griffig<br />

und logisch klingt, bezweifle ich, aus diesem Wissen einen<br />

Nutzen ziehen zu können. Aber die Einstellung, die sie<br />

bewirkt ist gut: cool bleiben und rein damit. Immer locker<br />

bleiben. Das klappt ganz gut.<br />

Ob nun privatversicherte Patientinnen zu keifen<br />

beginnen und vor Wut beinahe schon der Geifer aus den<br />

Mundwinkeln trieft oder einfach nur eine Blutfontäne<br />

aus dem Arm des harmlos wirkenden Patienten die<br />

Einrichtung <strong>neu</strong> dekoriert, die Misserfolge, die man hier<br />

erlebt, sind eher harmlos – und bereiten dennoch gut<br />

darauf vor, sich mit Rückschlägen, wie sie in den<br />

Folgejahren auftreten werden, klar zu kommen. Das gilt<br />

sowohl im Umgang mit Patienten als auch mit dem Team<br />

um einen herum.<br />

So ereignet es sich etwa, dass ein Arzt sich plötzlich<br />

gestört fühlt, wenn sich ein Famulus neben ihn hockt. Er<br />

schickt ihn fort. Am Folgetag ereignet sich wieder das<br />

Gleiche. Und auch ein drittes Mal spielt sich diese Szene<br />

ab. Doch bei diesem dritten Mal setzt unterbricht der<br />

für die Befundung eingeteilte Arzt seine Tätigkeit und<br />

setzt sich zu seinem Kollegen: „Lass uns das mal<br />

gemeinsam durchgehen.“ Da winkt er den Famulus<br />

herüber und deutet ihm, Platz zu nehmen. Zu jedem Tief<br />

gehört auch irgendwann ein Hoch. So ist das Leben.<br />

Ganz besonders im Krankenhaus.<br />

Daher weiß es schon zu ermuntern, wenn plötzlich ein<br />

anderer Arzt, so eine Art „Kumpel-Typ“, philosophiert,<br />

dass sich die Dinge immer ändern und man sie nehmen<br />

soll, wie sie kommen. „Ach ja, der Stress im Studium!<br />

Ich habe während des Präp-Kurses gekifft wie ein<br />

Weltmeister. Aber egal was ist, das legt sich auch<br />

wieder.“<br />

Das Leben im Krankenhaus kann hart sein. So wie auch<br />

das Studium. Eines Tages werden wir so weit sein und<br />

die hütenden Arme der Universität verlassen. Dann sind<br />

wir auf uns alleine gestellt, den Klinikalltag mit all seinen<br />

Höhen und Tiefen erfahren. Es wird manchmal hart, aber<br />

es wird auch seine lichten Momente haben. Es wird gut<br />

sein. Und dann kann man auch mit dem Oberarzt lachen,<br />

wenn er etwas entspannter bei der Befundung sein<br />

diagnostisches Vorgehen kommentiert: „Soso, die hat also<br />

Hepatitis D. Am Alter sehe ich doch, dass die Studentin<br />

ist. Hat was von Russland erzählt. Die Geschichten kenne<br />

ich... ‘Commandant Vladimir hieß er. Aber es war Liebe<br />

- er hat geschworen.’“

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