Synapse 50-neu.pmd - Breite Liste Gesundheit, Fachschaft Medizin ...
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<strong>Synapse</strong> <strong>50</strong> / Juni 2004<br />
synapse@fachschaft-medizin.de<br />
Gibt oder gab es in deinem Umfeld Leute, die dieser Kämpferwille<br />
verlassen hat?<br />
Ja, es gibt schon ein paar. Die meisten haben Depressionen oder<br />
Krisen, wo man nicht mehr aufstehen will oder einfach nur<br />
Zuhause rumhängt und keinen Sinn mehr im Leben sieht. Das<br />
hat eigentlich fast jeder.<br />
Gehen viele so weit und geben auf?<br />
Nein, da ist dann doch der Lebenswille zu groß. Wir reden auch<br />
generell offen darüber. Wenn es einem schlecht geht, dann geht’s<br />
halt schlecht. Es kann einem nicht immer gut gehen. Man muss<br />
das akzeptieren und darüber reden können, dann übersteht man<br />
das auch.<br />
Was wäre gewesen, wenn du niemanden zum reden gehabt hättest?<br />
Dann hätte ich mich längst aufgegeben. Das habe ich auch<br />
gemerkt, als ich meinen Job verloren habe und erstmal keine<br />
Aussicht mehr gesehen habe. Ich weiß nicht, wo ich gelandet<br />
wäre. Da war nur noch der Gedanke an Drogen, Alkohol,<br />
Abhauen, Wegmachen.<br />
Wie schwierig ist es mit HIV einen Job zu finden?<br />
Es ist sehr schwierig. Gerade in meinem Fall. Ich habe eben nur<br />
einen Krankenpflegehelfer und Verletzungspfleger. Das ist schon<br />
ein Problem. Man darf zwar nicht gekündigt werden und es darf<br />
dadurch auch kein Hinderungsgrund entstehen, nicht eingestellt<br />
zu werden, aber in der Praxis ist es eben doch so.<br />
Auch beim Arbeitsamt habe ich versucht eine Umschulung zu<br />
bekommen, die ist aber zweimal abgelehnt worden. Ich habe<br />
zwar jedes Mal einen Widerspruch geschrieben, aber mit HIV<br />
wird man stigmatisiert und abgestempelt. Dann habe ich einen<br />
Schwerbehindertenausweis beantragt. Dann war ich so ehrlich<br />
und habe das beim Arbeitsamt angegeben – und dann war<br />
komplett alles aus. Dann war ich plötzlich schwerstvermittelbar.<br />
Daraufhin habe ich versucht eine berufliche Reha zu beantragen.<br />
Die wurde mir dann verwehrt. Dann habe ich es bei der BfA<br />
(Bundesversicherungsanstalt für Angestellte) versucht. Da war<br />
es eben so, dass es bestimmte Voraussetzungen gab darüber,<br />
wie viel ich gearbeitet haben müsste – und dann ging das eben<br />
auch nicht. Da blieb mir nix anderes übrig, als mich<br />
krankschreiben zu lassen. Dann wollte ich medizinische Reha<br />
beantragen, aber auch das ging nicht. Also habe ich die dreijährige<br />
Rente in Anspruch genommen und will mal sehen, wie ich damit<br />
klar komme. Man kämpft dann schon noch, aber es ist sehr<br />
schwierig. Egal ob man nun Hepatitis oder HIV hat.<br />
Wie hat sich dein Alltag mittlerweile geändert?<br />
Als ich 1999 nach München gezogen bin, habe ich zunächst für<br />
Premiere gearbeitet und dann 2001 meinen Job verloren. Seitdem<br />
bin ich auch arbeitslos. Da ist eine Welt für mich<br />
zusammengebrochen: Ich hatte versucht mir eine <strong>neu</strong>e Existenz<br />
aufzubauen, hatte eine Wohnung in München, aber keinen Job<br />
mehr und sah auch keine Chance, noch einen zu kriegen. Ich<br />
wusste einfach nicht, wie mein Leben weitergehen sollte. Damals<br />
habe ich mich schon unter der Brücke schlafen sehen. Da habe<br />
ich von der Münchner AIDS-Hilfe erfahren, dass es eine<br />
therapeutisch betreute Wohngemeinschaft geht. Zu dem<br />
Zeitpunkt habe ich bemerkt, dass ich einfach Probleme hatte<br />
mit dem Leben klarzukommen, weil ich noch nie Verantwortung<br />
für irgendwas hab übernehmen müssen oder auch nur<br />
erwachsen zu reagieren. Dann habe ich beschlossen in die WG<br />
einzuziehen und habe mich hier auch stabilisieren können. Ich<br />
habe auch so eine Art Tagesstruktur gekriegt durch ehrenamtliche<br />
Aufgaben, die ich übernommen habe. Ich engagiere mich etwa<br />
bei JES (Junkies, Ehemalige und Substituierte), einer Vereinigung,<br />
die sich um die Probleme der Drogenabhängigen kümmert.<br />
Dadurch habe ich auch eine Struktur in meinem Leben langsam<br />
wieder aufgebaut. Langfristig will ich auch einfach wieder<br />
selbständiger werden.<br />
Wie planst du das?<br />
Ich mache derzeit eine ambulante Therapie, zweimal die Woche.<br />
Ich erhalte jetzt eine Rente für drei Jahre. Nebenbei versuche<br />
ich auch einen Job anzufangen, wieder etwas bodenständiger zu<br />
werden. Eine Festanstellung wäre schön – denn seit fast vier<br />
Jahren habe ich ja nicht mehr gearbeitet. Es ist zwar schwierig<br />
Vollzeit zu arbeiten, weil ich schon merke, dass nach fünf<br />
Stunden die Luft raus ist. Dann habe ich<br />
Konzentrationsstörungen und die Arbeit läuft dann auch nicht<br />
mehr so richtig. Aber daran möchte ich auch arbeiten.<br />
Wie wirst du therapiert?<br />
Ganz früher bin ich noch mit Videx, diesen ekelhaften<br />
Schaumtabletten, behandelt worden. Da hat man dann eine<br />
Viertelstunde darauf rumgekaut und es war sehr eklig. Dann<br />
habe ich auch eine Menge anderer Medikamente gekriegt, wobei<br />
die Behandlung wegen Resistenzbildung immer wieder geändert<br />
wurde. Außerdem war ich immer ein schwieriger Patient, weil<br />
ich verdrängt habe und mich nicht an die Dosierung oder<br />
Einnahme hielt. Dementsprechend ging es mit mir dann<br />
gesundheitlich abwärts. Seit letztem Jahr August kriege ich<br />
Kaletra (Handelsname von Lopinavir, einem Protease-Inhibitor)<br />
und Trizivir (Kombipräparat aus dem ältesten AIDS-Medikament<br />
AZT, dem Cytidin-Analogon 3TC und dem Guanosin-Analogon<br />
Abacavir). Seitdem habe ich auch keine Viruslast mehr und ein<br />
sehr gutes Immunsystem. Ich gehe da auch ganz anders ran. Ich<br />
nehme die Medikamente regelmäßig und achte mehr auf meinen<br />
Körper.<br />
Wenn die Psyche nicht funktioniert, dann kann man auch sehr<br />
krank werden. Man muss schon eine gesunde Einstellung haben<br />
und sich nicht ständig nur mit den bedrückenden Tatsachen<br />
auseinandersetzen.<br />
Wie ist die Krankheit verlaufen?<br />
Nun ja, es zeigten sich ständig Durchfälle, Fieberattacken,<br />
Lymphknotenschwellungen überall. Dann habe ich noch zwei<br />
Lungenentzündungen gehabt, eine Bronchitis, eine Gürtelrose<br />
– kaum war man vom einen gesundet, war schon das nächste da.<br />
Je nach Therapieerfolg schwankend.<br />
Wie war das dann, als du dann angefangen hast, die Therapie ernst zu<br />
nehmen?<br />
Es wurde besser. Ich habe gemerkt, dass es trotz der<br />
Nebenwirkungen erheblich besser wurde. Und das gab dann<br />
auch wieder den Trieb, das kontinuierlich zu machen. Man fängt<br />
dann auch an, sich gesund zu ernähren und gibt mehr Acht auf<br />
seinen Körper.<br />
Ich merke so richtig, dass es mir jedes Mal einen Aufschub gibt,<br />
wenn ich vom Arzt höre, die Viruslast sei unter der<br />
Nachweisgrenze.<br />
Würdest du sagen, heute frei von Beschwerden zu sein?<br />
Also ich bin jetzt nicht 100%-ig frei von Beschwerden. Ich habe<br />
immer noch Nachtschweiß, immer wieder Lymphschwellungen,<br />
morgendliche Übelkeit – aber dann lässt sich nie feststellen, ob<br />
es nun Nebenwirkungen sind oder das Virus. Das lässt sich aber<br />
alles aushalten. Ich leb damit.<br />
Verfolgst du auch die aktuelle Forschung?<br />
Ich bin schon daran interessiert, aber ich bin nicht jemand, der<br />
jeden Artikel liest oder jede Sendung schaut, im Internet nachhakt<br />
und quasi jede Etappe verfolgt. Ich würde dann auch irgendwie<br />
verrückt merken, weil ich dann wieder gedanklich zu sehr da<br />
drin wäre und zu sehr an die Krankheit erinnert würde.