Fräulein Neneh Cherry (Vorschau)

01.11.2014 Aufrufe

<strong>Neneh</strong> <strong>Cherry</strong><br />

Sie stand eine Weile nicht mehr im<br />

Fokus der Öffentlichkeit, doch <strong>Neneh</strong><br />

<strong>Cherry</strong> ist mit ihrem Album „Blank<br />

Project“ musikalisch auf der Höhe<br />

ihrer künstlerischen Ausdruckskraft<br />

angekommen. Diese <strong>Fräulein</strong>-Ausgabe<br />

ist eine Hommage an eine Frau,<br />

die sich nie für den einfachen Weg<br />

entschieden und sich immer zu ihren<br />

Wurzeln bekannt hat.<br />

© Heinz Kristianstad<br />

2<br />

© Ellen von Unwerth


© Jacques Bisceglia<br />

© Jacques Bisceglia<br />

© Marie-Louise De Geer<br />

© Peder Björkegren<br />

© Philippe Gras<br />

1<br />

© Marie-Louise De Geer


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LAPERLA.COM


EDITORIAL<br />

Liebe Leserinnen und Leser,<br />

die 90er-Jahre sind zurück und plötzlich darf man wieder zu<br />

Nirvana tanzen, sagen seltsame Menschen! Durfte man das<br />

irgendwann mal nicht? Schluss mit solchen künstlichen, erfundenen<br />

Hypes. Großartige Bands wie Nirvana konnte man schon<br />

immer hören und wird man immer hören können.<br />

Es kommt einfach auf die Qualität an. Oder wie es unser <strong>Fräulein</strong><br />

<strong>Neneh</strong> <strong>Cherry</strong> sagt: „Hip-Hop, Musik überhaupt, ist eine<br />

Einstellung. Sie kann nicht korrumpiert werden.“ Heißt: Stehen<br />

wir doch zu unseren Wurzeln und Leidenschaften, leben wir unsere<br />

Haltung, lassen wir uns nicht ständig von Internet-Hypes<br />

und kurzlebigen Trends beeinflussen und uns dadurch selbst<br />

verlieren. Auch dafür steht die <strong>Fräulein</strong>, für ein Bewusstsein für<br />

die Tradition bei gleichzeitiger Liebe für das Experiment, das<br />

wirklich Neue, was so selten, dann aber mit aller Wucht über<br />

uns kommt.<br />

<strong>Neneh</strong> <strong>Cherry</strong> verbindet all dies. Sie war eine Heldin meiner Jugend.<br />

Als 1989 ihr Debüt „Raw Like Sushi“ herauskam, war es<br />

der perfekte Mix aus Hip-Hip, Jazz und Disco. <strong>Neneh</strong> sah großartig<br />

aus mit ihrem Afro, dem markanten Gesicht, dem schlauen,<br />

angriffslustigen Blick. Sie war cool, selbstbewusst und sexy<br />

zugleich. <strong>Neneh</strong> <strong>Cherry</strong> war die Apotheose der Frauenbewegung<br />

an der Schwelle zu den 90er-Jahren.<br />

Auch wenn sie seit ihrem Album Man (1996) lange Zeit aus dem<br />

Blick der Öffentlichkeit geraten ist, sie war immer da, kooperierte<br />

mit experimentellen Jazzmusikern, setzte sich still und<br />

heimlich für bessere Bildungschancen für Jugendliche ein. Ihr<br />

aktuelles Album „Blank Project“ ist viel mehr als ein<br />

Comeback. Es ist die Krönung einer langen Karriere und ein guter<br />

Grund, sie wieder oder auch neu zu hören.<br />

Aus diesem Geist entstand die ganze aktuelle <strong>Fräulein</strong>-Ausgabe.<br />

Starke und selbstbewusste Frauen begegnen uns. Die erste Latina<br />

am obersten Gerichtshof der USA, Sonia Sotomayor, erzählt<br />

im Feierabend von ihrem Aufwachsen in der Bronx. Die Performancekünstlerin<br />

Boychild macht ihren Körper zur Projektionsfläche<br />

für digitale Diskurse und antikapitalistische Kritik.<br />

Amber Venz Box revolutioniert mit ihrem Start-up RewardStyle<br />

die Art und Weise, wie die Modeindustrie wirtschaftet, und ein<br />

Essay über Wonder Woman stellt die erste feministische Superheldin<br />

vor.<br />

Diese Herbstausgabe der <strong>Fräulein</strong> ist voller Mode. Mode bedeutet<br />

uns mehr als nur Ornament. Sie ist eine Haltung, eine<br />

bestimmte Art und Weise, der Welt zu begegnen. Starke Frauen<br />

wie Boychild, Amber Venz Box oder <strong>Neneh</strong> <strong>Cherry</strong> drücken sich<br />

in dem, was sie tragen, ebenso aus wie in ihrer Kunst, ihrem<br />

ganzen Tun und Sein. Sie sind authentisch. Und ist es nicht das,<br />

worauf es wirklich ankommt?<br />

Auf die Bereitschaft und den Willen, an uns selbst zu arbeiten<br />

und treu zu bleiben, uns nicht selbst zu verlieren, sondern, egal<br />

was andere sagen, zu unseren Gefühlen, zu unserer Meinung zu<br />

stehen und mit voller Hingabe und Leidenschaft zu leben!<br />

Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen<br />

Ihr<br />

Götz Offergeld<br />

14


FENN UND ALINA, SEIT 1 JAHR EIN PAAR<br />

15


MAXMARA.COM<br />

17


vanessabruno.com


Illustration von Julia Danckwerth<br />

AMBER VENZ BOX<br />

Das Start-up RewardStyle krempelt<br />

die Mode- und Techwelt um<br />

S.142<br />

LEGENDE<br />

Die Erotik-Autorin Anaïs Nin<br />

war eine Venus im Wolfspelz<br />

S.66<br />

PRINCE RAMA<br />

Prince Rama kamen aus einem ganz anderen<br />

Universum auf die Erde, um uns die spacigste<br />

Musik des Jahres zu bringen<br />

S.30<br />

BOYCHILD<br />

Der Körper wird bei Boychild zum<br />

antikapitalistischen Interface<br />

S.150<br />

SACHEN GIBT ES<br />

Feelgood-Manager und Berufsdemonstrant<br />

sind die neuen Dienstleistungen<br />

S.176


NENEH CHERRY<br />

<strong>Neneh</strong> <strong>Cherry</strong> ist zurück – mit aller Wucht<br />

S.80<br />

WONDER WOMAN<br />

All American Girl und feministische Ikone<br />

S.68<br />

21


duvetica.it<br />

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CONTRIBUTORS<br />

JAN LESSNER<br />

So poppig und voller Spaß waren unsere Must-Have-Seiten<br />

noch nie. Dank an Jan für den Zuckerschock!<br />

FABIAN VACCARO<br />

fotografierte die Insassen des Nürnberger Frauengefängnis so zurückhaltend<br />

wie präzise. Diese Reise „down south“ hat sich gelohnt.<br />

AMOS FRICKE<br />

Für <strong>Fräulein</strong> hat Amos die smart-<br />

Chefin Annette Winkler in einem<br />

raren privaten Moment fotografiert.<br />

NATALIA BZDAK<br />

Das <strong>Fräulein</strong>-Horoskop geriet zuletzt ganz<br />

schön auf Abwege. Natalias Illustration ist<br />

dagegen so cool wie verführerisch.<br />

HENDRIK SCHNEIDER<br />

ist ein so sensibler wie akribischer Bildkomponist. In sein<br />

Cover-Foto von <strong>Neneh</strong> <strong>Cherry</strong> sind wir verknallt wie seit<br />

dem ersten Date nicht mehr. Das wird was mit uns.<br />

MAXYME G. DELISLEs<br />

rabenschwarze Modestrecke ist eine<br />

Hommage an die Straße.<br />

KATRIN FUNCKE<br />

Illustration des Anti-<strong>Fräulein</strong><br />

ist ein ganz fester Bestandteil<br />

unseres Magazins und fest eingeschrieben<br />

in die <strong>Fräulein</strong>-ID.<br />

TABASSOM CHARAF<br />

Dass Tabassom das Styling der<br />

<strong>Neneh</strong>-<strong>Cherry</strong>-Strecke übernommen hat, ist<br />

ein großes Glück. Willkommen zurück in der<br />

Familie, Tabi.<br />

JULIA GROSSI<br />

In den Heiligtümern der Moderne hat<br />

Julia einen Wildfang für <strong>Fräulein</strong> in Mode<br />

inszeniert.<br />

PINKI DORNBERGER<br />

mit Verlaub, rattenscharf illustrierte<br />

Regenschirme, machen das Rätsel zu<br />

einem nicht ganz jugendfreien Spaß.<br />

DAVID FISCHER<br />

Ohne David und seinen besten Freund Gecko wäre<br />

das Leben denkbar, aber sinnlos. Davids Boychild-<br />

Strecke in dieser Ausgabe ist Punk 3.0.<br />

KRISTINA WEDEL<br />

Neu dabei ist Kristina, deren<br />

Illustration der „Sachen gibt es“ in<br />

vollen Zügen den Geist modernistischer<br />

Typografie atmet.<br />

LENIA HAUSER<br />

Das Rezept ist ein <strong>Fräulein</strong>-Standard.<br />

Lenias Illustration setzt dem<br />

Ganzen die (kulinarische) Krone auf.<br />

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KEVIN JUNK<br />

„Sexyness“ zu beschreiben ist<br />

echt nicht einfach. Kevins Pin-<br />

Up-Text über Joaquín Phoenix<br />

dagegen ziemlich hot.<br />

WRK DESIGN<br />

Taktile Illustration nennen Andrea Weber,<br />

Damoun Rizai und Eva Klein ihre handgefertigten<br />

und digitalisierten Grafikdesigns. Für<br />

<strong>Fräulein</strong> gestalteten sie das Lesestück.<br />

NEIL GAVINs<br />

Männerstrecke „Faustrecht der Vergangenheit“<br />

ist klassisch und rebellisch<br />

zugleich.<br />

WILLY KATZ<br />

„Always trouble with Willy Katz“ wäre<br />

ein schöner Film von Billy Wilder. Sagt<br />

jedenfalls Willy. Wir denken bei unserem<br />

Kolumnisten eher an F. W. Murnau.<br />

JULIA BARDE<br />

Die Performance-Künstlerin Boychild<br />

war kein leichter Fall. Aber Julia entwickelte<br />

mit ihr einen sensationellen Look.<br />

SEBASTIAN MAYER<br />

ist weit rumgekommen. Seine Fotos und<br />

Geschichten aus („Ein Tag in...“) Tokio sind<br />

so authentisch, dass es schmerzt.<br />

RUTH HIGGINBOTHAMs<br />

PHILIPP KOCH VERHEYEN<br />

Dank an Philipp für seine Haar &<br />

Make-up-Kunst bei <strong>Neneh</strong> <strong>Cherry</strong><br />

melancholische und großstädtische Stylings<br />

impfen der <strong>Fräulein</strong> ordentlich Widerständigkeit<br />

und Street-Credibility ein.<br />

ALEXANDER BATKE-LACHMANN<br />

In unserem INTERSECTION Chefredakteur Alexander steckt ein<br />

ganz schön poetischer Schreiber. Für <strong>Fräulein</strong> hat er die Smart-Chefin<br />

Annette Winkler portraitiert.<br />

DENIS IGNATOV<br />

JULIA DANCKWERTH<br />

Julias Illustration des Inhaltsverzeichnisses<br />

ist ein großartiger<br />

Start in die aktuelle<br />

<strong>Fräulein</strong>.<br />

Auf Denis’ Spaziergang mit Schwesta<br />

Ewa gelang es ihm, die Stimmung des<br />

Frankfurter Rotlichtviertels nahezu<br />

stofflich einzufangen.<br />

ANNA QUADFLIEG<br />

In der Illustration der Netzwerkkarte<br />

von Anna steckt ganz schön viel <strong>Fräulein</strong>:<br />

Sie ist handgemacht, verspielt<br />

und trotzdem elegant.<br />

MARY SCHERPE<br />

Einen Auszug aus Marys Roman über ihr<br />

Leben mit einem hartnäckigen Stalker<br />

findet man in dieser <strong>Fräulein</strong>-Ausgabe.<br />

27<br />

KRISTIINA WILSON<br />

hat in den Straßen von Manhattan die Mode-Unternehmerin<br />

Amber Venz Box wie eine<br />

moderne Alice im Wunderland fotografiert.


FILIPPA-K.COM


TALENT<br />

Von Maja Hoock<br />

Foto von Jj Stratford<br />

prince<br />

rama<br />

PRINCE RAMA AUS NEW<br />

YORK SIND EIN GEWALTIGES,<br />

WAGNERIANISCHES<br />

GESAMTKUNSTWERK<br />

In kürzester Zeit haben Prince<br />

Rama sechs Alben herausgebracht,<br />

dazu eine „Psycho-Oper“ und unzählige<br />

Videos, die 80er-Jahre-Gymnastik-Shows,<br />

Space-Cowboys und mythologische<br />

Blutbäder vereinen. Ihre<br />

Stücke dauern bis zu zwanzig Minuten<br />

und sind aufgebaut wie Symphonien:<br />

Sie beginnen leise und schwellen an<br />

bis zur orgiastischen Explosion. Dazu<br />

singen die Schwestern Taraka and Nimai<br />

Larson sphärisch, lang gezogen im<br />

opernhaften Sopran und wiederholen<br />

sich mantrahaft. Das klingt auf eine<br />

kalifornische Hippie-Art fast spirituell<br />

– etwa in „Suns of Bees“, wo es heißt:<br />

„I’m growing backwards in my time<br />

– uprooting all those limbs of mine.“<br />

Taraka wie Nimai haben in Ashrams<br />

gelebt, daher wohl der Hang zur indischen<br />

Mythologie. Prince Rama heißen<br />

nicht nur wie die siebte Reinkarnation<br />

eines Hindu-Gottes, sie tanzen in<br />

ihren Videos auch wie 70er-Jahre-<br />

Sekten-Anhänger und haben sogar ein<br />

eigenes Manifest verfasst: „The Now<br />

Age“. Darin werden die richtige Ästhetik<br />

(Glitzer), die Art, Konzerte zu spielen<br />

(als Spektakel) und Aufnahmen zu machen<br />

(Schallplatten, genannt „das versteinerte<br />

Ende der Tage“), proklamiert.<br />

Musikalisch merkt man ihnen die Nähe<br />

zu Sun Araw, Ariel Pink und Animal<br />

Collective an. Doch letztendlich komponieren<br />

Prince Rama Musik für eine ganz<br />

eigene, aufregende Welt.<br />

Es lohnt sich ein Blick auf die Facebook-Seite<br />

von Prince Rama. Dort werden täglich neue, verrückte<br />

Beiträge gepostet, zum Beispiel aus dem<br />

Tonstudio.<br />

30


TALENT<br />

Von Revan Baysal<br />

Foto von Sebastian Mayer<br />

isabell<br />

šuba<br />

ISABELL ŠUBAS FILM<br />

„MÄNNER MACHEN FILME<br />

UND FRAUEN ZEIGEN IHRE<br />

BRÜSTE“ FORDERT MIT<br />

LUST DAS MÄNNLICHE<br />

ESTABLISHMENT HERAUS<br />

Je nachdem, welchen Film die<br />

Wahl-Berlinerin Isabell Šuba als Kind<br />

sah, wechselte ihr Berufswunsch. Staranwältin,<br />

Meerjungfrau, Straßenkünstlerin,<br />

Zirkusdirektorin. Dann dachte<br />

sie sich: Ich kann eigentlich alles sein,<br />

wenn ich Regisseurin werde. Irgendwann<br />

bekam ihr Bruder eine Kamera<br />

zum Geburtstag, die riss sie sich direkt<br />

unter den Nagel. Sie filmte und filmte<br />

und filmte. Später studierte sie Regie<br />

an der Filmuniversität Babelsberg. Seit<br />

2012 ist sie dort Meisterschülerin von<br />

Andreas Kleinert und Helke Misselwitz.<br />

2014 dann endlich ihr erster Langspielfilm:<br />

„Männer machen Filme und Frauen<br />

zeigen ihre Brüste“. Der kam bereits<br />

Mitte August in die deutschsprachigen<br />

Kinos und sorgte für großes Aufsehen.<br />

Die Geschichte dahinter: 2012 wurde<br />

Šuba zum Cannes-Festival eingeladen.<br />

Das Ganze wurde zur Steilvorlage des<br />

Films. Die Low-Budget-Mockumentary<br />

erzählt die Geschichte der Nachwuchsregisseurin<br />

Isabell Šuba, wie sie auf<br />

dem größten Filmfest der Welt gegen<br />

ihren sexistischen Produzenten David<br />

und die steinzeitlichen Rollenmuster<br />

in Cannes kämpft. Der Clou: Die wirkliche<br />

Šuba tauscht die Identität mit<br />

Anne Haug, der Hauptdarstellerin. Aber<br />

Steinzeit in Cannes? Ja, schon. Denn tatsächlich<br />

gab es in den ganzen 60 Jahren<br />

nur eine weibliche Filmemacherin, die<br />

die goldene Palme wedeln durfte und<br />

das war Jane Campion für „Das Piano“.<br />

Eine traurige Bilanz, die Šuba glücklicherweise<br />

durcheinander bringen<br />

will. Mit viel Talent und ihrer starken,<br />

charmanten und smarten Attitüde. Für<br />

die junge Filmemacherin gibt es keinen<br />

Beruf, der nicht für beide Geschlechter<br />

infrage kommt. „Das Problem“, sagt sie,<br />

„sind nur die veralteten Konventionen<br />

und Rollenbilder.“ Und die brauchen<br />

jetzt eine Revolution.<br />

Isabell Šuba nutzte die Einladung zu den Filmfestspielen<br />

von Cannes als Kulisse für ihren<br />

Debutfilm „Männer zeigen Filme & Frauen ihre<br />

Brüste“. Ihr nächstes Projekt? Eine Revolution.<br />

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FREJA BY TERRY RICHARDSON<br />

ZADIGETVOLTAIRE.COM<br />

GALERIES LAFAYETTE - B ERLIN / BLEUCHENBRUCKE 1-7 - HAMBURG / NEUTURMSTRASSE 10 - MÜNCHEN / KÖNIGSALLEE 21-23 -DÜSSELDORF (OPENING SOON)


DURCHBRUCH<br />

Von Maja Hoock<br />

Fotos von Denis Ignatov<br />

DREIKLANG<br />

DES<br />

(FRANKFURTER)<br />

BLING<br />

SCHWESTA EWA IST DIE<br />

PERSONIFIKATION EINES<br />

RAP-TEXTES, DENN SIE<br />

LEBT, WORÜBER RAPPER<br />

MEIST NUR FANTASIEREN:<br />

DEN DREIKLANG AUS SEX,<br />

DROGEN UND GELD. EIN<br />

SPAZIERGANG DURCH<br />

FRANKFURT.<br />

34


„All die Reime die ich sage, bezeugen die<br />

Zweifel die mich plagen. Und du fragst<br />

Schwesta Ewa, ob sie glücklich ist? Mein<br />

Herz ist groß, auch wenn ich tödlich spit’.“<br />

(Realität)<br />

Ewa fährt vor. Die Frau, die noch nicht mal 30 Jahre alt ist und schon zehn Jahre Prostituierte<br />

war, steigt im Bahnhofsviertel aus ihrem weißen Mercedes Cabrio. Sie trägt eine<br />

kurze schwarze Lackjacke und passende Armani-Stilettos mit 20-Zentimeter-Absätzen<br />

aus Stahl. Hinter ihr gehen ihr Manager, ein muskulöser Mann mit sehr kurzen Haaren,<br />

und ihre beste Freundin, die passend in Schwarz angezogen ist und heute als Assistentin<br />

den Wagen fährt. Als sie in eine Raucherbar neben dem Roten Haus treten, drehen sich<br />

die Gäste um. Jeder kennt Ewa Müller, die alle Ewa nennen: die Frauen, ihre Freier und<br />

die dealenden Kellner, die so tun, als würden sie nur Tee verkaufen. Nicht nur, weil sie in<br />

so ziemlich jedem Puff des Frankfurter Rotlichtbezirks gearbeitet hat, sondern weil sie<br />

vor zwei Jahren ausgestiegen ist und seitdem als Schwesta Ewa darüber rappt. Sie ist<br />

damit nicht nur eine Frau, die sich in der testosteronlastigen Deutschrap-Szene durchgesetzt<br />

hat, sondern auch die Personifikation ihrer Texte: Während Männer über Geld und<br />

Nutten rappen, ist Ewa eine Ex-Nutte mit mehr Geld, als sie wohl alle zusammen haben.<br />

„Ich versuch mich zu legalisieren, indem ich rappe, wie illegal wir sind. Kurwa, mein BH<br />

ist aus Kevlar, so prallt euer Hass ab an der Schwesta.“ (Realität)<br />

Ewa sitzt an dem klebrigen Tisch der Bar im Rotlichtviertel, ein Mann in Jogginghose<br />

steht am Spielautomaten, man trinkt Pfefferminztee und raucht. Sie bestellt nur Wasser.<br />

Dass sie im Frankfurter Bahnhofsviertel gelandet ist, ist Ergebnis eines milieutypischen<br />

Lebenslaufes: Als sie drei Jahre alt war und mit ihrer Mutter von Polen nach Deutschland<br />

kam, saß ihr Vater wegen Mordes im Gefängnis. Die Mutter arbeitet in Kiel als Putzfrau,<br />

ihr zweiter Mann Günther Müller starb. Es blieben drei Kinder und zu wenig Geld. „Ich<br />

bin mit fünf Jahren schon klauen gegangen. Käse und Wurst. Und in die Altkleidercontainer<br />

geklettert, um Klamotten rauszuholen“, sagt Ewa Müller. Als sie den Barkeeper<br />

ruft, rutscht ihr Ärmel hoch und gibt den Blick auf eine 23.000-Euro-Rolex frei. Im Gegensatz<br />

zu den meisten deutschen Rappern, die von Geld singen, aber im wahren Leben<br />

im Callcenter arbeiten, ist diese Frau wirklich reich. Nicht, weil sie wie ihr Produzent<br />

Xatar einen Goldtransporter überfallen, sondern weil sie ihren Körper verkauft hat. Mit<br />

sechzehn Jahren ging sie von der Schule ab. Sie jobbte in einer Bar, in der Prostituierte<br />

sich mit Freiern trafen, und sah, dass sie das Zehnfache dessen verdienten, was Ewa<br />

machte. Mit 19 ging sie nach Frankfurt, schaffte an in Hotels, Bordellen und auf dem<br />

Straßenstrich, verdiente auf diese Weise zwischen 600 und 1.000 Euro am Tag, 20.000<br />

Euro im Monat – auf Reisen nach Monaco und Norwegen sogar das Dreifache. Ewa investierte<br />

in 200 Paar Schuhe, Autos, Louis Vuitton. Statussymbole sind ihr wichtig, wie<br />

vielen Menschen, die einmal überhaupt nichts hatten. Doch ihr Lieblingskleid hat sie von<br />

ihrer Mutter aus einem Secondhand-Laden bekommen. „Ich habe es noch nie getragen,<br />

weil es total altmodisch aussieht“, sagt sie. „Meine Mutter wollte, dass ich es anziehe,<br />

wenn ich seriös geworden bin. Irgendwann werde ich sie damit überraschen.“ Wir brechen<br />

auf. Ewa bezahlt für alle, dann geht es weiter in Richtung Shisha-Bar. Auf dem Weg<br />

zu den Autos kommt die Gruppe an einer heroinabhängigen Frau vorbei, deren Finger<br />

zu geschwollen sind, um ihren Zigarettenstummel vom Boden aufzuheben. Ein Mann<br />

schreit: „Glotzt nicht so!“ Ein anderer trägt einen Schnuller im Mund und ist verdammt<br />

dreckig. Frankfurt ist gebaut aus Heroin, Sex und Geld. Und das Bahnhofsviertel ist die<br />

Quittung dafür.<br />

„Krank oder? Sag mal! Das ist der Frankfurter Alltag! Tägliche Schellen des Schicksals.<br />

Schwester bitte, geh du den geraden Weg, du weißt doch, ich kann das nicht! Schmerz in<br />

meiner Brust sticht, weil’s ohne Rotlicht, für Frauen wie mich kein Brot gibt!“ (Realität)<br />

Besuch im Bordell, in dem Ewa gearbeitet hat. In einem gekachelten Durchgangszimmer<br />

läuft ein Fernseher. An der Wand hängen ein Brett mit Schlüsseln und eines mit<br />

Lämpchen, die blinken, wenn eine Frau auf ihrem Zimmer den Alarm auslöst. Am Wochenende<br />

passiert das etwa drei Mal am Tag. Um den Wirtschaftsraum herum gibt es<br />

Schaufenster, in denen die Frauen auf Barhockern sitzen und Sudoku spielen, während<br />

sie auf Kundschaft warten. Es ist früher Freitagabend und eine Gruppe junger Türken<br />

steht kichernd davor. Sie wollen ein Autogramm von Schwesta Ewa. Ein älterer Mann<br />

in schwarzem Trenchcoat und Hut steht im schützenden Hauseingang unter der Neonbeleuchtung.<br />

Dahinter führt eine breite Steintreppe im dunklen Aufgang zum Obergeschoss<br />

mit den vielen Zimmern, in die sich die Frauen einmieten. Diese Räume sind<br />

zum Teil gekachelt, auf den Betten liegen Handtücher. Andere wurden dekoriert und sind<br />

seit Jahren in Betrieb. Die älteste Frau ist über 80 und immer ausgebucht, ihr Zimmer<br />

sieht aus wie Omas Wohnstube. Schließlich landen wir in der angrenzenden Bar im<br />

Erdgeschoss, wo die Wirtin stumm Sekt in geeiste Gläser gießt. Das Interieur besteht<br />

aus Spiegeln, Eiche rustikal und einer Deutschlandflagge. Ewa gibt Zigaretten aus, bis<br />

die Schachtel leer ist. Wenn sie nicht diesen verlebten Ausdruck hätte, würde man sie<br />

einfach für eine junge Frau halten, die gerne feiert. Doch da ist ihr „Puffschaden“. Einmal<br />

hat ihr ein Kunde den Lauf einer Pistole in den Mund gesteckt. Ein anderes Mal schlug<br />

ihr ein Freier ihre Waage über den Kopf. „Ich dachte, das hast du jetzt davon, dass du immer<br />

mehr Schuhe wolltest – jetzt musst du sterben“, sagt sie. Sie hat einen psychischen<br />

Knacks davongetragen. Das heißt unter anderem, dass sie Männer verachtet, selbst<br />

wenn sie ihr nur die Türe aufhalten. „Sie sind mit Ring am Finger zu mir auf den Straßenstrich<br />

gekommen und haben noch gesagt, ich soll den Kindersitz von der Rückbank<br />

nehmen. Oder ich habe einen NPD-Politiker getroffen, der bei einer schwarzen Frau einund<br />

ausging. Die Banker kamen in der Pause in den Puff, um ein paar Lines Koks zu<br />

nehmen. Ich hasse sie alle.“ Sie will darum nie wieder in die Prostitution zurück und hat<br />

an dem Tag damit aufgehört, als sie mit der Musik erfolgreich wurde. Die Klickzahlen für<br />

ihr erstes Video „Schwätza“ lagen schnell bei fünfeinhalb Millionen; ihr Publikum zieht<br />

sich quer durch alle Gesellschaftsschichten, von Akademikern, die sich durch das Ungeschliffene<br />

befreit fühlen, bis zu Prostituierten, die ihre Texte auswendig lernen. Jetzt ist<br />

es an der Zeit, ihre Erfahrungen aufzuarbeiten. „Ich werde bald ein Buch schreiben. Das<br />

wird meine Therapie.“ Sie positioniert sich damit selbstbewusst in einer Szene, in der<br />

das Wort Nutte ein ständig gebrauchtes Schimpfwort ist. Ihre Botschaft: Frauen müssen<br />

sich nicht schämen, wenn sie ein uraltes Bedürfnis der Männer bedienen. Und schon gar<br />

nicht beschimpfen lassen. Auf die Frage, was für sie eine schöne Frau ist, antwortet sie:<br />

„Eine, die weiß, was abgeht und sich nicht über einen Mann identifiziert, sondern ihre<br />

Energie in das steckt, was sie will. So viele Mädels nehmen sich einfach einen reichen<br />

Mann. Aber es war nie mein Ding.“ Als wir die Bar verlassen, zieht Ewa im Kofferraum<br />

ihres Cabrios die High Heels aus. In Turnschuhen und Jogginghose auf dem Spielplatz<br />

ihres Viertels fühlt sie sich am wohlsten.<br />

Ewa Müller wurde 1984 im polnischen Koszalin geboren und wuchs in Kiel auf. 2004 zog sie nach<br />

Frankfurt am Main, um als Prostituierte zu arbeiten. 2012 veröffentlichte sie ihr erstes Album „Realität“.<br />

Am 9. Januar folgt ihr zweites Album „Kurwa“.<br />

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ANGEKOMMEN<br />

Von Alexander Batke-Lachmann<br />

Foto von Amos Fricke<br />

Konservativ in<br />

knalligen Farben<br />

DIE SMART-CHEFIN ANNETTE WINKLER IST EINE DER WENIGEN<br />

WEIBLICHEN SPITZENKRÄFTE IN DER AUTOMOBILINDUSTRIE.<br />

Das erste Mal begegne ich ihr auf einer Automesse. Gemeinsamer Gang mit<br />

der Chefin der Daimler-Tochter über den Smart-Stand. Es gibt Häppchen. Der<br />

Hals kratzt etwas von der klimatisierten Luft in der riesigen Halle. Überall blinkt<br />

und wummert es. Sensory Overload. Dann Auftritt Winkler. Händeschütteln,<br />

Blickkontakt mit allen, als kenne sie dich. Freundlich, fokussiert, energisch.<br />

Ein bisschen streng. Wow. So geht das. Charisma. Dazu passend<br />

das eher konservativ geschnittene Kostüm in knalligen Farben.<br />

Die testosterongeladenen Autokollegen wirken neben ihr<br />

wie ausgeblichene Panini-Bildchen. Wo sie geht und<br />

steht, muss sie sich dieselben Fragen anhören, wie<br />

das denn sei als Frau in der Männerdomäne. Und<br />

wahrscheinlich begleitet sie diese Frage schon ein<br />

halbes Leben lang.<br />

Noch keine 30 Jahre alt hatte die gelernte Industriekauffrau<br />

bereits einen Doktor in Betriebswirtschaft<br />

und leitete den Familienbetrieb, ein<br />

Bauunternehmen. Es stand nicht gut, doch die<br />

gebürtige Hessin schaffte die Wende. In wenigen<br />

Jahren stieg der Umsatz auf mehr als das<br />

Zehnfache.<br />

Wenn in den Medien über jene Zeit geschrieben<br />

wird, dann wird immer wieder das klischeebeladene<br />

Bild der in Stöckelschuhen über<br />

Baustellen staksenden Jungmanagerin gezeichnet.<br />

Man kann sich heute kaum vorstellen, dass<br />

sie nicht immer ein zweites Paar Schuhe mit<br />

dabeihatte.<br />

Dann, Mitte 30, in einem Alter, in dem die<br />

meisten gerade mal irgendwo angekommen<br />

sind, krempelt sie ihr Leben komplett<br />

um. Der Baubranche geht es nicht<br />

gut, die Konkurrenz aus Osteuropa<br />

drückt die Preise. Auf einem<br />

Symposium, bei dem sie einen<br />

Vortrag über Unternehmensführung<br />

hält, lernt Sie<br />

den heutigen Daimler-Chef<br />

Dieter Zetsche kennen. Wenig später ist sie Pressesprecherin von Mercedes.<br />

Damit springen beide ins kalte Wasser. Mercedes und Annette Winkler. Die Marke<br />

ist Ende der 90er recht muffig geworden. Doch Annette Winkler ist kein<br />

exotisches Feigenblatt im silbergrauen schwäbischen Weltkonzern. Sie ist<br />

vor allem ein außergewöhnliches Kommunikationstalent, das bei<br />

dem Autobauer seine Berufung gefunden zu haben scheint.<br />

Es ist der Beginn einer außergewöhnlichen Quereinsteigerkarriere,<br />

die sie innerhalb eines Jahrzehnts bis an die<br />

Spitze von Smart bringt. Die Antwort auf die Frage, ob<br />

es ihr schwergefallen sei, von der Chefin in ein Angestelltenverhältnis<br />

zu wechseln, ist typisch für sie.<br />

Sie habe immer Chefs gehabt, die es ihr ermöglicht<br />

haben, als Unternehmerin im Unternehmen zu<br />

agieren. Spricht man mit ihr, merkt man schnell,<br />

dass man es hier mit einer Frau zu tun hat, die<br />

sich nicht für die Schubladen interessiert, in die<br />

sie manche stecken möchten. „Mir war es immer<br />

egal, ob ich eine Frau bin oder nicht.“ Das klingt<br />

trotzig, ist aber pragmatisch: „Ich glaube nicht an<br />

die großen Unterschiede zwischen Männern und<br />

Frauen.“ Ihr Rat gerichtet an uns: „Nehmt Vorurteile<br />

und Klischees einfach nicht zur Kenntnis.“<br />

Und meint damit die Zuschreibung von außen, die<br />

Schubladen, die gesellschaftlichen Rollen, mit denen<br />

viele Frauen konfrontiert sind. Die kann man<br />

annehmen. Oder auch nicht. Annette Winkler ist<br />

ein Vorbild für alle, die Letzteres wollen, sich aber<br />

bisher nicht getraut haben.<br />

2010 schrieb das Branchenblatt „Automotive<br />

News Europe“, Annette Winklers Nominierung<br />

als Smart-Chefin sei „ein bedeutender Sieg<br />

für Frauen in einer von Männern dominierten<br />

Industrie“. Bezeichnenderweise<br />

gibt es bisher keinen deutschen<br />

Wikipedia-Eintrag über sie.<br />

38


German Distribution by BEN AND GmbH · +49 89 323 080 46 · www.sandcopenhagen.com<br />

ANTWERPEN<br />

BARCELONA<br />

BERLIN<br />

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IBIZA<br />

LONDON<br />

LOS ANGELES<br />

MIAMI<br />

MOSCOW<br />

MÜNCHEN<br />

NEW YORK<br />

SEOUL<br />

SYDNEY<br />

39


NETZWERKKARTE<br />

Von Robert Grunenberg<br />

Illustration von Anne Quadflieg<br />

LEIBWÄCHTERINNEN<br />

Sie vereiteln Mordanschläge und schützen vor Paparazzi oder Kidnappern.<br />

Weibliche Bodyguards sind gefragter denn je. Sie arbeiten für Politiker, Unternehmer<br />

oder Popstars und werden oft gegenüber männlichen Bodyguards bevorzugt, weil sie<br />

anpassungsfähiger sind und unauffälliger arbeiten. Sie beherrschen Verteidigungssport<br />

und Terrorbekämpfung, psychologische Kriegsführung, haben Fremdsprachenkenntnisse<br />

und kennen die Etikette bei internationalen Anlässen. Unsere Netzwerkkarte<br />

stellt die bekanntesten vor.<br />

ENGLAND<br />

Sergeant Emma Probert ist Privat-Bodyguard<br />

von Kate Middleton. Zuvor arbeitete<br />

sie für Stars wie Nicole Kidman,<br />

Katie Price und Justin Bieber.<br />

PERU<br />

Die peruanische Polizistin Lady Bardales<br />

war 2005 privater Bodyguard von Alejandro<br />

Toledo, dem ehemaligen Präsidenten<br />

von Peru. Ihre Karriere endete, nachdem<br />

sie beschuldigt wurde, eine Affäre mit Toledo<br />

gehabt zu haben. Für kurze Zeit saß<br />

sie im Gefängnis, die Klage wurde später<br />

zurückgezogen.<br />

40


RUSSLAND<br />

Anna Loginowa (1978 – 2008) war Model<br />

und ausgebildete Personenschützerin. Sie<br />

leitete eine Agentur, die spezialisiert auf<br />

weibliche Bodyguards war. Loginova starb<br />

bei einem Autounfall während eines Einsatzes.<br />

Sie gilt als Russlands bekanntester<br />

weiblicher Bodyguard.<br />

GRIECHENLAND<br />

Denida Zinxhiria ist Leiterin der Athenca<br />

Academy, der ersten Ausbildungsstätte<br />

für Leibwächterinnen und weibliche<br />

Nannyguards. Zinxhiria gilt als Expertin<br />

der Branche und zählt weltweit zu den<br />

Top 20 der weiblichen Bodyguards.<br />

LIBYEN<br />

Libyens ehemaliger Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi<br />

unterhielt eine Elitegruppe von 35 Frauen zu seinem persönlichen<br />

Schutz. Die Amazonengarde bestand offiziell aus<br />

Jungfrauen. Alle hatten ein Nahkampf- und Schusswaffentraining<br />

absolviert. Entgegen dem traditionellen arabischen<br />

Rollenbildes trugen sie Make-up, High Heels und westliche<br />

Frisuren. Nach Gaddafis Flucht löste sich die Truppe auf und<br />

es wurden Vorwürfe der Misshandlung und Vergewaltigung<br />

gegen Gaddafi erhoben.<br />

CHINA<br />

30 Prozent der wohlhabenden Manager<br />

in China sind Frauen. Sie neigen dazu,<br />

weibliche Bodyguards einzustellen und<br />

sorgten so für einen Boom. Laut der Tianjiao<br />

International Security Academy werden<br />

in den kommenden fünf Jahren voraussichtlich<br />

mehr als 600.000 weibliche<br />

Bodyguards in China gefragt sein. (Chen<br />

Yongqing, Präsident TISA) Stand: 2013<br />

41


KOLUMNE<br />

Von Willy Katz<br />

eine<br />

schildkröte<br />

von<br />

mann<br />

DAS MOTTO UNSERES AUTORS WILLY KATZ<br />

LAUTET: „WRITE DRUNK, EDIT WASTED“.<br />

AB DIESER AUSGABE BRINGT FRÄULEIN<br />

SEINE KOMPROMISSLOSE<br />

KOLUMNE FÜR FRAUEN.<br />

Liebe Leserinnen, Sex-Göttinnen, Studentinnen, Arbeiterinnen! Neulich beim Joggen<br />

am Kanal in Neukölln überholte ich leichtfüßig einen dieser cinephilen, schmächtigen<br />

Jungs in rot-orangefarbenen Strumpfhosen. Ihr kennt diesen Typ Mann aus dem<br />

Seminar oder der ayurvedischen Selbsthilfegruppe. Plötzlich sah ich das Filmplakat<br />

des neuen Turtles-Films. Das war ein kathartischer Moment. Die Teenage Mutant<br />

Hero Turtles, das mag euch <strong>Fräulein</strong>-lesender Ponyhof-Fraktion nichts sagen. Sollte<br />

es aber, wenn ihr nicht in ein paar Jahren Jahren katatonisch neben einem dieser<br />

Jungs in Strumpfhosen aufwachen und den Teufel Alkohol bzw. den der Postmoderne<br />

dafür verdammen wollt. Die Turtles sind keine vergessene Beat-Gruppe, sondern<br />

vier mutierte Schildkröten-Nerds aus den 90er-Jahren, die sich (in Abstufungen) für<br />

Pizza, Ninjutsu und Kunstgeschichte begeistern, während sie mit einer ultraheißen<br />

Journalistin abhängen und zurückgebliebene Schlägerbratzen klatschen. Wisst ihr eigentlich,<br />

welchen Trost ein solches Szenario einem Jungen in der Pubertät zu geben<br />

vermag? Aber jetzt das Strickzeug zur Seite gelegt und aufgepasst. Von den Turtles<br />

gibt es vier Stück, benannt nach Künstlern der Renaissance: Leonardo, das ist der<br />

Anführer, dann Donatello, der irgendwie gut mit Technik kann, drittens der Witzbold<br />

Michelangelo und eben, jetzt kommt es, Raphael, der mit den dicken Engeln, hier aber<br />

der Grübler, Zweifler, Existenzialist. Und natürlich wollte jeder Junge damals einer dieser<br />

vier Turtles sein. Mädels, ich wiederhole, JEDER Junge war ein Turtle, JEDER. Ab<br />

jetzt heißt die erste Frage im Club also nicht mehr: Seit wann bist du auf Tinder, Süßer?<br />

Oder: Stehst du auch auf Blümchensex? Sondern: Welcher Turtle warst du? Denn<br />

dann wisst ihr Bescheid: Die Leonardos machen heute irgendwas mit Wirtschaft und<br />

sind schuld an der Finanzkrise (unsexy), die Donatellos hängen am CERN ab oder bei<br />

Siemens in der Produktentwicklung, sind schlau, aber meist auch – unsexy. Michelangelos,<br />

das sind 99 Prozent rote Strumpfhose, 1 Prozent Grimmepreis. Toll, wenn‘s<br />

mal Letzteres wird, aber das Risiko ist zu hoch! Die Raphaels nun, die paar wenigen,<br />

das sind natürlich die Coolen, die machen Kulturkritik, das sind die Schreiber, die Rolf<br />

Dieter Brinkmanns, Rainald Goetzes und Willy Katzes (hüstel). Schnappt euch die,<br />

macht wilde Amore in den Trümmern und träumt! Es lohnt sich. Da habt ihr nun<br />

den Schlüssel zum Verständnis der Männer auf dem Silbertablett geliefert bekommen.<br />

Turtles eins bis vier, that‘s all. Aber ich will keinen geheuchelten Dank, kein: „Oh, Willy<br />

Katz, ich möchte in deiner Unterwäsche schlafen und dich mit zerlaufenem Bio-Honig<br />

für 5,99 Euro (das kleine Glas) liebkosen.“ Ich stelle euch lieber zum Abschluss noch<br />

eine Frage, die mich schon länger umtreibt: Im original Turtles-Film gibt es Dissenz<br />

darüber, ob man seine Freundin lieber Puppe, Perle, Schnecke oder Prinzessin nennen<br />

sollte. Dazu würde ich mir ein paar Leserinnenbriefe wünschen. Muss nicht auf Büttenpapier<br />

und irgendwie mit Buntstift sein. Geht auch per Mail.<br />

Tschaaau, XX,<br />

Willy Katz<br />

42


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KOLUMNE<br />

Von Adrian Fekete<br />

INTERNET<br />

TÖTET<br />

MODE<br />

DIE MODE WIRD<br />

DOMINIERT VON<br />

STREETSTYLE-CLOWNS<br />

UND TITTENWUNDERN,<br />

KLAGT UNSER<br />

KOLUMNIST ADRIAN.<br />

TIME TO KICK SOME ASS.<br />

Noch vor zehn Jahren waren Modenschauen<br />

eine rein interne Angelegenheit<br />

der Industrie. Ab und zu konnten<br />

besonders Interessierte einen Ausschnitt<br />

der Chanel-Schau in den Abendnachrichten<br />

erhaschen oder Zusammenschnitte<br />

per Satellit auf Fashion TV ansehen. Die<br />

Hauptaufgabe der Kritiker war es, die<br />

Kollektion zu beschreiben, damit Kunden<br />

schon im Vorfeld erahnen konnten, was<br />

sie in sechs Monaten in den Boutiquen erwarten<br />

würde. Das Internet brachte diese<br />

Mauer der Exklusivität ziemlich schnell<br />

zum Bröckeln. Es fing an mit Style.com,<br />

der Website, die so gut wie jede Modenschau<br />

festhält und schon Stunden später<br />

öffentlich macht. Es folgten immer mehr<br />

Online-Plattformen, die durch Backstagepässe<br />

und andere Verbindungen immer<br />

mehr Zugang ermöglichten.<br />

Ich wurde zu dieser Zeit das erste Mal<br />

wirklich aufmerksam auf die Hintergründe<br />

dieser Industrie und habe die Möglichkeiten<br />

des Internets ausgeschöpft,<br />

weil ich immer mehr wissen wollte.<br />

Was war die Inspiration hinter der Comme-des-Garçons-Kollektion?<br />

Vielleicht<br />

erfahre ich es auf Cathy Horyns Blog bei<br />

der New York Times. Was hatte Carine<br />

Roitfeld zur Givenchy-Schau an? The Sartorialist<br />

wird sie nicht verpasst haben. Wer<br />

übernimmt Balenciaga nach Nicolas Ghesquières<br />

Rausschmiss? Die Foren glühen<br />

schon vor Gerüchten.<br />

Bis heute verlasse ich mich auf das Internet,<br />

um an die neuesten Informationen<br />

heranzukommen, aber mit den Jahren<br />

ist mir bewusst geworden, wie sehr diese<br />

Demokratisierung der Industrie auch<br />

schadet. Natürlich hilft es einem aufstrebenden<br />

Designer, wenn eine Frau in Kuala<br />

Lumpur bei Susy Bubble seinen Namen<br />

entdeckt und sie seine Ware sofort bei<br />

Net-a-Porter bestellen kann. Und natürlich<br />

hilft es dem jungen Fotografen, wenn<br />

ein Magazinredakteur seine Bilder bei<br />

Tumblr entdeckt und ihn für eine Strecke<br />

bucht. Doch die Negativbeispiele sind<br />

zahllos. Hier sind drei: 1) Wie kann man<br />

von unvoreingenommener Berichterstattung<br />

sprechen, wenn eine einflussreiche<br />

Bloggerin ihren Lesern von einem Label<br />

vorschwärmt, das sie zuvor von Kopf bis<br />

Fuß eingekleidet hat? 2) Welchen Wert hat<br />

die Streetstyle-Fotografie auf den Fashion<br />

Weeks, wenn Redakteurinnen zwischen<br />

jeder Show zum Showroom sprinten, um<br />

wieder in einem neuen (geliehenen) Outfit<br />

so zu tun, als hätten sie keine Zeit für Fotos?<br />

3) Kim Kardashian. Sie ist der lebende<br />

Beweis dafür, dass Mode Entertainment<br />

geworden ist. Ihr Junggesellinnenabschied<br />

fand auf Valentinos Anwesen in Versailles<br />

statt, sie ziert das Cover der amerikanischen<br />

Vogue und ist nichtsdestotrotz ein<br />

Talentvakuum, über das nur als Phänomen<br />

der Popkultur gesprochen wird – begründet<br />

mit 18 Millionen Instagram-Followern<br />

und 1200 ihrer Selfies veröffentlicht<br />

als Fotoband von Rizzoli.<br />

Ich muss gestehen, dass ich sehr wenig<br />

Zeit auf Blogs verbringe. Es fällt mir<br />

schwer, einzugestehen, dass eine Chiara<br />

Ferragni, die toll in Ferragamo-Boots<br />

aussieht, mehr Einfluss auf die Industrie<br />

hat als eine Legende der Modekritik wie<br />

Suzy Menkes. Warum gibt es so wenige<br />

Designer, die Fragen aufwerfen statt zu<br />

versuchen, den größten Oomph durch Instagram<br />

zu verursachen, um Parfüms an<br />

Teenager zu verkaufen? Designer wie Phoebe<br />

Philo bei Céline und der junge Schotte<br />

Christopher Kane sind meine Lichtblicke.<br />

Sie hinterfragen Saison für Saison ihre<br />

eigene Relevanz und machen Vorschläge,<br />

die bei Weitem nicht allen munden, doch<br />

trotzdem mit Verzögerung von allen anderen<br />

kopiert werden. Für alle, die Mode<br />

als etwas mehr sehen als Kleidung, die<br />

uns vor dem Erfrieren bewahrt, ist sie<br />

ein Ausdruck der Persönlichkeit und darf<br />

schon allein deshalb nicht allen gefallen.<br />

Die Industrie braucht mehr Leute, die mit<br />

ihrer Kreativität gegen die zwei eindeutigen<br />

Übel vorgehen können: Streetstyle-Clowns<br />

und Arsch-und-Titten. Lang<br />

lebe die Individualität, mindestens bis zur<br />

nächsten Saison.<br />

44


Fiat mit<br />

MANCHE DESIGNS<br />

SIND EINFACH CULT.<br />

Der Fiat 500 war schon immer<br />

Kult. Bei mir wird Cult aber mit C<br />

geschrieben. Ich bin eben<br />

besonders. Zum Beispiel dank<br />

des weichen Leders meiner Sitze.<br />

Und besonders innovativ: Mein<br />

7˝ -TFT-Farbdisplay zeigt Dir nicht<br />

nur Tacho und Drehzahlmesser,<br />

sondern auch den optimalen<br />

Zeitpunkt zum Hoch- bzw.<br />

Runterschalten. Und wenn es<br />

draußen besonders heiß ist,<br />

bleibst Du dank Klimaautomatik<br />

immer schön cool.<br />

DER NEUE FIAT 500 CULT.<br />

Weitere Informationen findest Du unter fiat.de<br />

simply more<br />

Kraftstoffverbrauch (l/100 km) nach RL 80/1268/EWG: kombiniert 5,1–3,7. CO 2 -Emission (g/km): kombiniert 119–90.


MUST HAVES<br />

Fotos von Jan Philipp Lessner / Styling von Sina Braetz<br />

Fotoassistenz von Nicola Ihde<br />

Sonnebrille Mykita x Bernhard Willhelm, Gürtel By Malene Birger, Schuhe Dries Van Noten, Parfüm „la fumée arabie“ von Miller Harris, Tuch Louis Vuitton<br />

MustHAVES<br />

Tasche Prada, Lippenstift „Hello Sailor 3“ Lipstick Queen über dsq206.com, Brosche Dsquared2, Schuhe Dsquared2, Smartphone Blackberry x Porsche Design, Snowboardbrille<br />

Burton, Kette Dior, Parfüm im Schloss-Flakon „Cadenas“ von Hermès, Clutch Jil Sander, Regenschirm-Fahrradhalter Senz6, Schlüsselanhänger Dsquared2<br />

46


FASANENSTRASSE 22 | 10719 BERLIN<br />

MULACKSTRASSE 35 | 10119 BERLIN<br />

APC.FR


Sneaker<br />

CHANEL<br />

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Snowboardhelm Burton, BH Eres über dsq206.com, iPad-Hülle Iphoria, Füller Lamy<br />

Clutch Saint Laurent by Hedi Slimane über unger-fashion.com, Lippenstift Clarins, Gummistiefel Hunter über dsq206.com, Kette Chanel<br />

Smartphone-Hülle House of Cases über dsq206.com, Schlüsselanhänger, Lili Radu über dsq206.com, Sonnenbrille Ray Ban<br />

Agendamappe Louis Vuitton, Beautytasche Lili Radu über dsq206.com<br />

49


Parfüm Girl<br />

COMME DES<br />

GARÇONS X<br />

PHARRELL<br />

WILLIAMS<br />

50


MUST HAVES<br />

Duftkerze Odin, Sweater Eleven Paris, Sonnenbrille Dolce & Gabbana, Stiefel Isabel Marant über Quartier 206 Berlin<br />

Korrekturbrille Mykita, Puder Tromborg, Parfüm Odin 04, Nagelcreme Londontown, Lippenstift „Flamingo“ Tom Ford, Lederjacke BLK DNM, Bürste Mason Pearson über dsq206.com<br />

Speaker Philips, Parfüm „Bamboo Harmony“ by Kilian, Visitenkarten-Mäppchen PB 0110, Schreiber Louis Vuitton<br />

52


Gürtel Tiger of Sweden, Zahnpasta Marvis, Schnürsenkel Red Wing Shoes, Blazer Agnona<br />

Agendamappe Louis Vuitton, Taillengürtel Olympia Le-Tan über stylebop.com, Motorradhelm Versace, Pinsel Tom Ford, DJ-Kopfhörer Philips, Schiebermütze Uniqlo x Ines de la Fressange<br />

Stiefel Calvin Klein Collection über Quartier 206 Berlin, Tasche Hugo Boss, Smartphone-Hülle Marshall<br />

53


Hut<br />

EMPORIO<br />

ARMANI<br />

54


Sneaker Adidas Originals x Opening Ceremony, Armreifen Marimekko, Hose Altuzarra über matchesfashion.com<br />

Clutch Paul Smith, Schirm Senz6, Schlafbrille Otis Batterbee London über dsq206.com<br />

Clutch Giorgio Armani, Carré Hermès, Korrekturbrille Alain Mikli, Ohrringe Marimekko<br />

Smartphone-Hülle Samsung x Nicholas Kirkwood, Ohrringe Marimekko, Bluse Paul Smith<br />

55


Tasche<br />

AGNONA


AGENDA<br />

AGENDA<br />

KEINEMUSIK<br />

Das Team um Rampa, &ME, Adam Port,<br />

David Mayer, Reznik und Visual Artist<br />

Monja Gentschow feiert sein fünfjähriges<br />

Jubiläum im Rahmen seiner FIVE Tour<br />

durch Europa. 2 Tage nach der Tour, am<br />

17. November, erscheint ein großes Joint-<br />

Venture-Werk von allen Keinemusik-Produzenten.<br />

Tourdaten:<br />

04.10., Torquay, Rivera Center , UK<br />

17.10., Wien, Pratersauna, AT<br />

18.10., Amsterdam , Studio 80, NL<br />

19.10., Hulste, Sondag, BE<br />

24.10., München, Rote Sonne, DE<br />

25.10., Stuttgart, Rocker 33, DE<br />

28.10., Istanbul, Propaganda, TR<br />

31.10., Zürich, Hive, CH<br />

01.11., Köln, Gewölbe, DE<br />

07.11., Oslo, Jager, NO<br />

08.11., Rome, Goa, IT<br />

14.11., Moscow, Madplace, RU<br />

15.11., Berlin, Watergate, DE<br />

HEISSER RENNER!<br />

Lapo Elkann‘s Label Italia Independent<br />

hat mit Adidas kooperiert und eine neue<br />

ZX Flux Kollektion designt.<br />

Unser Favorit: die bunte Version mit Animal-Print.<br />

Die Schuhe sind ab sofort u.a.<br />

in den Adidas Originals Flagship Stores,<br />

und Italia Independent Boutiquen sowie<br />

online erhältlich.<br />

ICALLB<br />

Der ominöse Instagram-Account<br />

„icallb“ (I call bullshit) legt sich<br />

mit den Stars der Kunstwelt an,<br />

beschimpft Kuratoren, Künstler<br />

und das Magazin „Texte zur<br />

Kunst“. Er unterstellt Einfallslosigkeit,<br />

Klüngelei und Mediengeilheit.<br />

Ist das eine neue Form<br />

der Kunstkritik? Einen Dialog<br />

schafft icallb zumindest, denn<br />

Instagram-Begeisterte wie Kurator<br />

Klaus Biesenbach kommentieren<br />

zurück. Doch wer steckt<br />

dahinter? Manche vermuten ein<br />

Fake-Profil von James Franco, der<br />

selbst immer wieder von icallb<br />

attackiert wird. Unbedingt auf Instagram<br />

folgen.<br />

FRÄULEINS<br />

MR. UND MISS A<br />

Macht uns gute Laune: André Saraiva‘s<br />

Mr. und Miss A grinsen jetzt auf exklusiven<br />

Marc O‘Polo T-Shirts und Hoodies<br />

aus Organic Grown Cotton.<br />

Shirt Marc O‘Polo X André Saraiva<br />

SKYY VODKA<br />

Die perfekte Erfrischung auch an herbstlichen<br />

Tagen: Skyy Rosemarie. Der mit<br />

Tonic Water und Rosmarin verfeinerte<br />

Drink von Skyy Vodka ist perfekt gegen<br />

Sommernostalgie. Was braucht‘s? 4cl<br />

Skyy, 16cl Tonic Water, Eiswürfel und einen<br />

Zweig Rosmarin, fertig.<br />

Mit seiner Kreativdirektion für „Balenciaga“ beweist er, dass er die Sprache eines Luxuslabel<br />

für Modekenner spricht, mit der Nebenlinie seines Labels „T By Alexander<br />

Wang“ auch das kommerzielle Handwerk beherrscht. Jetzt hat er mit seiner Kollaboration<br />

mit H&M die Herausforderung angenommen, auch für die Masse zu designen.<br />

Wir sind gespannt! Die Kollektion erscheint am 6. November.<br />

HORST P. HORST<br />

IM V&A<br />

C/O BERLIN IM<br />

AMERIKA HAUS<br />

Ab den 30er-Jahren prägte Horst P.<br />

Horst die Modefotografie. Marlene<br />

Dietrich, Coco Chanel oder Andy<br />

Warhol posierten für den Amerikaner<br />

deutscher Herkunft unter anderem<br />

für Vogue. In London gibt es eine Retrospektive.<br />

Horst: Photographer of Style, vom 6.<br />

September 2014 bis 4. Januar 2015 im<br />

V&A Victoria and Albert Museum.<br />

Summer Fashions, American Vogue Cover, 15. Mai 1941<br />

© Condé Nast / Horst Estate<br />

Das C/O Berlin öffnet endlich wieder<br />

seine Tore. Das Ausstellungshaus für<br />

Fotografie zog aus dem Postfuhramt aus;<br />

nun eröffnet es im umgebauten Amerika<br />

Haus mit gleich vier Ausstellungen neu.<br />

C/O Berlin, Amerika Haus, Berlin. Neueröffnung<br />

am 30. Oktober<br />

© Mila Hacke<br />

58


LASS UNS REDEN – DIE MIRANDA-JULY-APP<br />

Die Handy-App „Somebody“ von Miranda<br />

July übermittelt SMS nicht elektronisch,<br />

sondern sucht sich Fremde in der Nähe,<br />

die die Botschaft mündlich überbringen.<br />

Jemand will also etwas mitteilen, kann<br />

oder will das aber aus irgendeinem Grund<br />

nicht selbst tun. Dann kann er sich mit der<br />

App an einen Dritten wenden, der sich in<br />

der Nähe des Empfängers befindet und<br />

die Nachricht von Angesicht zu Angesicht<br />

überbringen kann. Miranda July ist Autorin,<br />

Schauspielerin und Künstlerin und<br />

hat „Somebody“ mit Unterstützung der<br />

Modemarke Miu Miu verwirklicht.<br />

KARO-FIEBER<br />

URMASS<br />

900 Gramm Platin, gemischt mit 100<br />

Gramm Iridium lagern in einem unteririschen<br />

Tresor im Pavillon de Breteuil, wenige Kilometer vor<br />

Paris. Es ist das Ur-Kilo und wiegt so viel wie ein Liter<br />

Wasser bei vier Grad Celsius. Die Aufständischen der Französischen<br />

Revolution wollten eine neue Ordnung schaffen,<br />

die Woche bekam zehn Tage, der Meter sollte ein Zehnmillionstel<br />

der Strecke Pol -Äquator werden und seit dem 22. Juni<br />

1799 sollte die definitive Gewichtseinheit eben soviel wie ein<br />

Liter Wasser wiegen. Darüber wacht seitdem das Bureau<br />

International des Poids et Mesures. Das Urkilo liegt<br />

unberührt in seinem Tresor. Eventuell verliert es<br />

mit der Zeit Masse. Man weiß es nicht. Keiner<br />

darf da ran um nachzumessen.<br />

Klassische Alltags-Begleiter mit einem<br />

Hauch Chaos für die Augen: Diese Sneaker<br />

von Opening Ceremony machen uns<br />

mit ihrem schwarz-weiß Karo schwach.<br />

Sneaker Opening Ceremony über<br />

dsq206.com<br />

Bon<br />

Voyage!<br />

Wir halten den Sommer ganz doll fest,<br />

mit diesem Kofferanhänger mit poppigem<br />

Blumenprint aus der Capsule Collection<br />

von Tumi. Kofferanhänger Tumi<br />

FOMO<br />

Nachdem #YOLO schon lange in allen<br />

Social Media Känale kursierte, tauchte<br />

plötzlich #FOMO auf. „Fear Of Missing<br />

Out“, beschreibt die soziale Angst, etwas<br />

zu verpassen. Dieses Gefühl ist wohl so<br />

alt wie die Menschheit und eigentlich<br />

könnten Facebook und co. es eliminieren,<br />

denn egal wo man ist, erfährt man, was<br />

gerade passiert. Doch der ständige soziale<br />

Vergleich führt dazu, dass man sieht, was<br />

man gerade nicht hat. Das Problem: Wir<br />

vergessen den Moment. Deshalb sollte<br />

auf jedes FOMO-Gefühl ein YOLO folgen,<br />

damit wir uns klar machen, das wir hier<br />

und jetzt leben.<br />

ANTI-DROHNE<br />

Nachdem Google nun wie auch Amazon<br />

Drohnen in die Welt schicken will, um<br />

Waren auszuliefern, kam ein schlauer<br />

Künstler in Berlin auf die Idee, sich gegen<br />

potentielle Spionageflüge zu wehren:<br />

Er erfand einen kleinen Stecker namens<br />

„Cyborg Unplug“, der einmal in eine<br />

Netzsteckdose gestöpselt die Umgebung<br />

nach unerwünschten Geräten wie Google<br />

Glass oder Drohnen mit Kameras scannt<br />

und automatisch deren W-Lan-Verbindung<br />

zum Hotspot trennt.<br />

GLOW IN THE DARK<br />

Mit Nachtleuchtfarbe bringt man alles bei<br />

Dunkelheit zum Leuchten, was man will:<br />

Ob Holz, Plastik, Metall, Stoff, Papier oder<br />

Keramik, alles ist erleuchtet! Möbel können<br />

genauso leuchten, wie Schuhe oder<br />

Schmuck. Wenn man genug hat, kann die<br />

Farbe auch wieder abgewaschen werden.<br />

Erhältlich bei monsterzeug.de<br />

59


AGENDA<br />

LESEFRÄULEINS<br />

ES IST WIEDER SO WEIT - IM HERBST BLICKEN WIR ÜBER DEN BÜCHERRAND, DENN VOM 8. BIS 12. OKTOBER<br />

FINDET ENDLICH WIEDER DIE FRANKFURTER BUCHMESSE STATT. DIESJÄHRIGER EHRENGAST IST FINNLAND. WIR STELLEN<br />

UNSERE GANZ PERSÖNLICHEN LIEBLINGSBÜCHER VOR, DIE ES AN KEINEM STAND ZU FINDEN GIBT.<br />

DRIVING THE SAUDIS<br />

„Ich fuhr eine saudische Prinzessin, die<br />

sich für einen Schokoriegel interessierte.<br />

Wir kauften mehre Boxen, denn einen<br />

einzigen Riegel zu kaufen wäre nicht<br />

standesgemäß. Sie gab dem Verkäufer<br />

ein paar Hundertdollarscheine und als<br />

der Mann meinte, sie bekäme noch was<br />

raus, war sie erschüttert und weinte fast,<br />

weil sie es nicht geschafft hatte, sich so zu<br />

verhalten, wie man es sollte. Ich bekam<br />

Mitleid.“ Diese und andere Geschichten<br />

aus der Parallelwelt der arabischen Superreichen<br />

beschreibt Jayne Amelia Larson<br />

in Driving the Saudis, das es als Buch<br />

und Webseite gibt.<br />

WE ARE GYPSIES NOW<br />

Danielle de Picciotto hielt ihr Nomadenleben<br />

in der Graphic-Novel We are Gypsies<br />

now fest. Das Buch wurde im Metrolit-Verlag<br />

veröffentlicht; die deutsche<br />

Übersetzung stammt von ihrem Mann Alexander<br />

Hacke, mit dem sie auf Reisen ist.<br />

GEISTERBRÄUTE<br />

Stirbt ein Mann, braucht er im Sarg eine<br />

vernünftige weibliche Begleitung. So will<br />

es eine chinesische Tradition. Deshalb<br />

werden immer noch manchmal Geisterbräute<br />

ausgegraben oder umgebracht. In<br />

der Graphic-Novel The Undertaking of<br />

Lily Chen sucht Deshi eine Bestattungsbraut<br />

für seinen Bruder. Da kommt Lily<br />

ins Spiel, die von Aussehen und Intelligenz<br />

zwar würdig wäre, aber noch am<br />

Leben ist..<br />

Von Danica Novgorodoff, erschienen im<br />

First-Second-Verlag<br />

SEXY WEIMAR<br />

Dass Berlin vor den Nazis wild und sexy<br />

war, ist kein Geheimnis. Dieses Buch<br />

zeigt es allerdings auf eine unbekannte<br />

Weise: Hunderte bislang verborgener Bilder<br />

dokumentieren Cabarets, Filmszene,<br />

Sex, Magie und okkulte Praktiken zu Zeiten<br />

der Weimarer Republik.<br />

Voluptuous Panic: The Erotic World of<br />

Weimar Berlin ist erschienen bei Feral<br />

House<br />

HIGH END<br />

SEX TOYS<br />

Klar fragt man sich, wer 24 Karat Gelbgold-Dildos benötigt. Es gibt sie aber. Grund genug, die teuersten Sex-Spielzeuge<br />

zu zeigen. Im Leben kommt es auf existenzielle Kleinigkeiten an. Damit meinen wir die perfekte Handtasche,<br />

passend für jede Gelegenheit, oder ein Paar Stilettos, das jedes Outfit aufhübscht. Und natürlich darf das<br />

richtige Parfüm auf dem Schminktisch nicht fehlen, das sich wie eine zweite Haut an unseren Körper schmiegt.<br />

Es sind Stücke, die man mit Herz und Leidenschaft sammelt, aufbewahrt und bei sich trägt. Sie sind klassisch,<br />

zeitlos und unkaputtbar. Sie überleben Liebesdramen, Stürme und Generationen. Es sind Dinge, die uns<br />

Freude bereiten und manche Situationen im Leben versüßen. Daher gehört das richtige Sexspielzeug in jede<br />

Schatztruhe. Ob für einsame Momente des Single-Daseins oder für Lustspiele mit dem Liebsten. Sie machen<br />

das Sexleben noch aufregender. Dabei erweist sich die Suche nach dem richtigen Sextoy nicht gerade als leicht,<br />

denn das Angebot ist groß. Es begegnen einem Delphine, Hasen und Raupen. Was aber ist mit den wirklich<br />

selbstbewussten Frauen? Sie haben Spaß am Sex und es erregt sie bestimmt kein geschmackloser Vibrator mit<br />

Tier-Motiv. Sie brauchen etwas Greifbares und Exquisites. Es geht beim Sex um Liebe, Lust und Ästhetik, und<br />

manchmal braucht es etwas Exzess, wie bei diesen Modellen hier. Klar fragt man sich, wer 24 Karat Gelbgold in<br />

phallischer Form benötigt, aber es gibt nichts was es nicht gibt.<br />

Yva Vibrator von Lelo, 2.990 EUR über amorelie.de<br />

60


GANZ KLEINES KINO!<br />

Der Smartphone-Projektor im Retro-Design funktioniert ähnlich<br />

wie eine alte Lochkamera, nur umgekehrt. So können Videos<br />

direkt an die Wand geworfen werden, egal wo man gerade<br />

ist. Die Stadt gehört euch! Ein Gehäuse aus Pappe und eine Linse<br />

sind alles was man braucht. Gibt es auch schon fertig gebaut<br />

für rund 25 Euro von „Luckies“.<br />

DIE ERSTE NACKTE<br />

DER FILMGESCHICHTE<br />

Audrey Munson hat mit fünfzehn als<br />

Aktmodell angefangen und kam so 1915<br />

in den Film Inspiration. Das machte sie<br />

berühmt, ihr Vermieter verliebte sich in<br />

sie und ermordete seine Frau. Mit diesem<br />

Skandal endete Munsons Karriere, sie<br />

zog mit ihrer Mutter nach Mexiko und<br />

verkaufte Küchenutensilien. Aus Verzweiflung<br />

schluckte sie Quecksilber und<br />

verdämmerte fünfundsechzig Jahre in<br />

einer psychiatrischen Anstalt. Sie wurde<br />

105 Jahre alt. In New York stehen heute<br />

noch rund zwanzig Statuen von ihr. Sie<br />

ist der Engel im linken Pfeiler der Manhattan<br />

Bridge, eine weiße Granitfigur vor<br />

dem Brooklyn Museum sowie die Miss<br />

Liberty auf der Halbdollarmünze.<br />

AFFENSTARK<br />

Nim Chimpsky war ein Schimpanse, der<br />

sich äußern konnte wie ein Kleinkind,<br />

denn er wurde in der 70er Jahren von<br />

einer Familie in den USA aufgenommen<br />

und erzogen wie ein Mensch. Im „Project<br />

Nim“ wurden dem Affen mit dem an<br />

Sprachwissenschaftler Noam Chomsky<br />

angelehnten Namen Grammatik und<br />

Laute beigebracht. So konnte er sich artikulieren.<br />

Der längste zitierte Satz war<br />

„Give orange me give eat orange me eat<br />

orange give me eat orange give me you.“<br />

Dass Tiere in die Natur gehören wird in<br />

dem Film zum Projekt ebenso deutlich,<br />

wie dass die Menschen gar nicht zu weit<br />

vom Affen sind, wie sie meinen.<br />

Den vielfach prämierten Doku-Film „Project<br />

Nim“ gibt es auf DVD bei Roadhouse<br />

Productions.<br />

DISARONNO<br />

TRÄGT<br />

VERSACE<br />

Der italienische Likör „Disaronno“<br />

hat einen neuen Look und er kommt<br />

von: Versace! Die exklusive Kooperation,<br />

dessen Ergebnis ein glamouröses Flaschendesign<br />

und ein neuer „Disaronno Versace<br />

Sour“-Cocktail ist, unterstützt zudem die<br />

globale Modeinitiative „Fashion 4 Development“<br />

und trägt somit zur Entwicklungshilfe<br />

in Afrika bei.<br />

ERLEND ØYE<br />

Der norwegische Musiker Erlend Øye erlangte<br />

mit Kings of Convenience und The<br />

Whitest Boy Alive große Popularität. Nun<br />

veröffentlicht er sein neues Soloalbum „Legao“.<br />

Der Wahlsizilianer ist vielseitig. Für die<br />

Platte hat sich der Künstler mit der isländischen<br />

Reggea-Band Hjálmar zusammengetan.<br />

Entstanden ist ein wunderschönes<br />

Album, das mit dem Charme italienischer<br />

Musik der 60er und 70er spielt.<br />

„Legao“ erscheint am 3. Oktober<br />

GLAS, NEIN DANKE …<br />

… weil umweltschonendes Bag-in-Box<br />

im Gegensatz zu Glasverpackungen 73<br />

Prozent weniger Energieverbrauch und<br />

82 Prozent weniger CO2 Ausstoß erzeugt.<br />

Nicht nur gut fürs Gewissen, sondern<br />

auch für die nächste Party: Für circa 18<br />

Euro bekommt man drei Liter Bio-Wein<br />

von regionalen Winzern. Das schmeckt!<br />

Zu bestellen über www.gruene-weinbox.de<br />

HOCH HINAUS!<br />

Ob als Modestatement, Fetischobjekt oder<br />

Kunstgegenstand, der Siegeszug der High<br />

Heels ist längst nicht mehr aufzuhalten.<br />

Jetzt beschäftigt sich die Ausstellung Killer<br />

Heels: The Art of the High-Heeled Shoe<br />

in New York mit ihrer Geschichte, ihren<br />

Einflüssen und Wandlungen. Mehr als<br />

160 Modelle werden gezeigt, darunter<br />

Kreationen von Prada, Chanel, Salvatore<br />

Ferragamo, Manolo Blahnik, Christian<br />

Louboutin und Alexander McQueen. Zudem<br />

sind sechs Kurzfilme von Künstlern<br />

wie Nick Knight, Steven Klein und Zach<br />

Gold zu sehen.<br />

61


HANDTASCHE<br />

Von Revan Baysal<br />

Portrait von Khaled Sufi<br />

AYS<br />

YUVA<br />

1<br />

LIPGLOSS VON YVES SAINT<br />

LAURENT, ZAHNSTOCHER<br />

VON SUPREME UND GOLDENE<br />

RINGE MIT SYMBOLEN – WEM<br />

KÖNNTE DIESE TASCHE WOHL<br />

GEHÖREN? WER SCHON<br />

EINMAL ETWAS VON „ART<br />

YOUTH SOCIETY“ GEHÖRT<br />

HAT, DÜRFTE SPÄTESTENS<br />

BEIM STICHWORT „GOLDENE<br />

RINGE“ HELLHÖRIG WERDEN.<br />

DIE REDE IST VON AYS YUVA,<br />

DER INHABERIN DES NEW<br />

YORKER SCHMUCKLABELS, FÜR<br />

DAS SIE SEIT 2012 FILIGRANE<br />

DESIGNS AUS PUREM<br />

GOLD ENTWIRFT. AYS IST<br />

KOSMOPOLITIN UND MEISTERT<br />

IHR LEBEN ZWISCHEN DREI<br />

KONTINENTEN BESTENS:<br />

IHREN SCHMUCK ENTWIRFT<br />

SIE IN NEW YORK, IN<br />

DEUTSCHLAND BESUCHT<br />

SIE FREUNDE UND FAMILIE<br />

UND PRODUZIERT WIRD IN<br />

ISTANBUL, WO SIE ÜBRIGENS<br />

IHRE WURZELN HAT. WELCHE<br />

FRISCHMACHER SIE WÄHREND<br />

DER LANGEN FLÜGE GEGEN<br />

DEN MÜDEN JETLAG-<br />

LOOK BENUTZT, VERRÄT<br />

DER BLICK IN IHRE TASCHE:<br />

2<br />

3<br />

4<br />

5 6 7<br />

8 9<br />

62


10<br />

Linke Seite:<br />

1. „Wallet on Chain“ von Chanel – Meine<br />

erste Chanel-Tasche. Ich liebe sie und der<br />

Rest erklärt sich von selbst, oder?<br />

2. Schmuckbeutel von AYS – für meinen<br />

eigenen Schmuck von Art Youth Society<br />

3. Ledertäschchen von Rebecca Minkoff<br />

– für den Kleinkram<br />

4. Kartenhalter von Vianel – für meine<br />

Kreditkarten<br />

5. Eine Banane – zwar nicht mein Lieblingsobst,<br />

aber wenn man viel unterwegs<br />

ist, ist sie perfekt für den nötigen Energieschub.<br />

6. Kalender von Moleskine – oder auch:<br />

mein Leben! Ohne meinen Kalender kann<br />

ich nicht reisen. Was andere in ihrem iCal<br />

haben, habe ich schwarz auf weiß, da bin<br />

ich old school<br />

7. Schmuck aus Rosé-Gold von Art Youth<br />

Society – nie ohne meinen Schmuck!<br />

8. Hülle von Incase: Ich liebe Gold und<br />

benutze die Hülle oft als Spiegel.<br />

9. My Grillz – mein sogenanntes „Hood<br />

Accessoire“. Sind immer irgendwo in<br />

meiner Tasche.<br />

Rechte Seite:<br />

11 12 13 14<br />

15<br />

16 17 18<br />

10. Kamera von Nikomat – hatte ich zufällig<br />

dabei, ich liebe es, Bilder zu machen.<br />

11. Concealer Nr. 10 von Chanel – ganz<br />

wichtig, wenn ich müde bin und mich<br />

kurz auffrischen möchte.<br />

12. Baby Doll Kiss & Blush Nr. 12 von Yves<br />

Saint Laurent – ich habe Lippenstift und<br />

Rouge in einem und muss nicht zwei verschiedene<br />

Produkte mitschleppen, zumal<br />

ich mich recht wenig schminke.<br />

13. Nagellack in Mink Brulée von Tom<br />

Ford – gepflegte Fingernägel sind wichtig,<br />

deswegen trage ich immer Nagellack. Dieser<br />

ist momentan mein absoluter Favorit!<br />

14. Tea-Tree-Oil Zahnstocher von<br />

Supreme – eine super Alternative zum<br />

Kaugummi für zwischendurch. Ich bin<br />

süchtig.<br />

15. Sonnenbrille von Seneca Eyewear<br />

– eine ganz neue Marke aus NY, die ich<br />

gerne unterstütze.<br />

16. Der Tangle Teezer ist der Hammer!<br />

Besonders bei langen Haaren wie meinen<br />

– die kämme ich damit ab und zu durch<br />

17. Getönte Feuchtigkeitscreme mit UV-<br />

Schutz von Dermalogica in der Farbe<br />

Sheer Tint – perfekt für mich<br />

18. Feuchtigkeitspendende Handcreme<br />

von Cowshed – ohne geht es nicht<br />

63


DAS BILD<br />

Von Maja Hoock<br />

Illustration von Danielle de Picciotto<br />

64


AUTONOMIE<br />

DIE KÜNSTLERIN DANIELLE DE PICCIOTTO ERFAND ZUSAMMEN MIT DR. MOTTE DIE LOVE PARADE. SEIT JAHREN REIST SIE MIT<br />

IHREM MANN ALEX HACKE OHNE FESTEN WOHNSITZ DURCH DIE WELT. EIN GESPRÄCH ÜBER DIE FREIHEIT.<br />

<strong>Fräulein</strong>: Frau de Picciotto, Sie<br />

haben uns ein Bild zum Begriff Autonomie<br />

gezeichnet. Was ist darauf zu<br />

sehen?<br />

Danielle de Picciotto: Das ist ein Mensch<br />

auf dem Fahrrad, der mit seinem mobilen<br />

Zuhause fährt, also unabhängig von allem<br />

ist und selbstbestimmt seinen Weg geht.<br />

Ist Unabhängigkeit Ihr Lebensprinzip?<br />

Das liegt in der Familie. Mein Vater wurde<br />

auf einem Auswandererschiff von Sizilien<br />

nach Ägypten geboren. Über die Stationen<br />

Kairo und Paris ist er nach Amerika<br />

gekommen und landete in der Army. Er<br />

wurde auch nach meiner Geburt ständig<br />

versetzt. Mit zwölf Jahren war ich schon<br />

zwölfmal umgezogen. 1987, nach meinem<br />

Studium in New York, kam ich dann nach<br />

Berlin. Standhaft und an einem Ort zu<br />

sein, das ist für mich sehr ungewohnt.<br />

Auf Ihrem Bild ist auch eine Burg zu<br />

sehen. Die steht ja schon für Standhaftigkeit.<br />

Das Mobile Home im Bild macht die Frau<br />

gleichzeitig ungebunden, während die<br />

Burg Schutz bietet. So hat man beides.<br />

Was ist Ihre Burg?<br />

Die Beziehung zu meinem Mann Alex<br />

(Hacke, Bassist der Einstürzenden Neubauten).<br />

Wir sind wie eine Einheit, stellen<br />

uns Rücken an Rücken, so wie Tiere in<br />

der Natur das auch machen, um einem<br />

Angreifer immer in die Augen schauen zu<br />

können. Der Rücken ist so gedeckt.<br />

Das zu wissen ist sicher gut ...<br />

Nicht nur, aber doch vor allem als Frau.<br />

Als ich eine Fischvergiftung hatte, lebten<br />

wir gerade in einem Bungalow in Mexiko.<br />

Es war heiß und alles hat geschaukelt,<br />

wenn ein Nachbar vorbeilief, weil das<br />

Haus nicht auf der Erde stand, wie auf<br />

einem Schiff. Mir war schlecht und weit<br />

und breit konnte man nichts einkaufen.<br />

Alex ist mit dem Fahrrad eine Dreiviertelstunde<br />

gefahren, um Cola für mich zu<br />

holen.<br />

Wie haben Sie sich beide kennengelernt?<br />

Als ich nach Berlin gezogen bin, habe<br />

ich in der Fabriketage einer Freundin gewohnt,<br />

wie auch der Keyboarder von Nick<br />

„WO ICH NICHT<br />

ARBEITEN KANN,<br />

KANN ICH NICHT<br />

SEIN“<br />

Cave, Roland Wolf, der inzwischen gestorben<br />

ist. Er war einer der besten Freunde<br />

von Alex. Weil die Bad Seeds und die<br />

Einstürzenden Neubauten viel miteinander<br />

zu tun hatten, haben wir uns schnell<br />

angefreundet.<br />

Aber Sie sind erst sehr viel später zusammengekommen.<br />

Wir sind erst seit 2001 ein Paar. Ich kenne<br />

alle seine Freundinnen und Frauen und<br />

er alle meine Männer. Das ist lustig, man<br />

musste sich nichts erzählen.<br />

Zurück zu Ihrer Zeichnung. Was bedeutet<br />

der Schirm auf dem Gefährt?<br />

Wenn man mit dem Rad fährt, muss man<br />

die ganze Zeit arbeiten, um vorwärts zu<br />

kommen. So ist es auch, wenn man ständig<br />

unterwegs ist. Darum ist es wichtig,<br />

dass man regelmäßig für Entspannung<br />

sorgt. Nachdem wir angefangen hatten,<br />

als Vagabunden zu leben, war ich nach<br />

zwei Jahren so überanstrengt, dass ich<br />

nicht mehr konnte. Wenn man kein Zuhause<br />

hat, hat man eben nie Rückzugsmomente.<br />

Funktioniert Entspannung nicht<br />

auch in Hotelzimmern?<br />

Nein, selbst dann nicht, wenn man bei<br />

jemandem zu Besuch ist, den man gut<br />

kennt. Richtig entspannen kann man nur<br />

umgeben von den eigenen Sachen. Darum<br />

der Schirm. Man muss sich als Ausgleich<br />

ab und zu darunter setzen.<br />

Was ist Ihr persönlicher Schirm?<br />

Yoga machen, laufen und schwimmen<br />

kann man überall. Alex meditiert jeden<br />

Morgen um sieben Uhr. Aber wir experimentieren<br />

auch viel und haben eine<br />

ayurvedische Ärztin kennengelernt, die<br />

Ölgüsse auf die Stirn macht, was extrem<br />

entspannend ist. Und wir gehen oft zur<br />

Thai-Fußmassage, chinesischer Massage<br />

und Akupunktur. Egal wo wir sind, schauen<br />

wir, was es gibt.<br />

Also haben Sie sich trotz des freien<br />

Lebens einige Regeln gesetzt?<br />

Wir haben etwa die Regel, dass wir einmal<br />

in der Woche überhaupt nicht arbeiten.<br />

Das ist eigentlich normal, aber wir haben<br />

die letzten zehn Jahre durchgearbeitet.<br />

An diesem Tag machen wir immer etwas<br />

Ungewohntes. Wir waren im Botanischen<br />

Garten in Detroit. Das war schon sehr<br />

eigenartig, weil er verfallen ist und eingeschlagene<br />

Scheiben hat. In Dortmund<br />

sind wir in eine Kirche mit einer riesigen<br />

Orgel gegangen.<br />

Fühlen Sie sich nicht manchmal<br />

fremd in neuen Städten?<br />

Ich dachte erst: super, jetzt sind wir also<br />

in Dortmund (stöhnt). Aber das Erlebnis,<br />

dort im Theater zu arbeiten, war so genial,<br />

dass ich sofort da geblieben wäre, wenn<br />

sie mich fest angestellt hätten. Solange<br />

ich in meiner Kunst glücklich bin, kann<br />

ich überall etwas entdecken. Man findet<br />

Kleinigkeiten, so wie etwa die beste Bäckerei,<br />

in der ich jemals gewesen bin. Eine<br />

Stadt, in der Kunst aber keine Rolle spielt,<br />

die fände ich schwer zu ertragen. Wo ich<br />

nicht arbeiten kann, kann ich nicht sein.<br />

Wo fühlen Sie sich am wohlsten?<br />

Dadurch, dass wir auf unserer Reise an<br />

verschiedenen Orten relativ lange gewohnt<br />

haben, haben wir statt nur einem<br />

Zuhause zehn. Wir haben jetzt wirklich<br />

gute Freunde auf der ganzen Welt und es<br />

fällt uns immer schwerer, zu entscheiden,<br />

wohin wir gehen.<br />

Wenn Sie bei Freunden übernachten,<br />

müssen Sie ja auch mit Ihnen Zeit<br />

verbringen. Ist das auf Dauer nicht<br />

anstrengend?<br />

Ja, für sie ist es immer eine Ausnahme,<br />

wenn wir zu Besuch sind und sie wollen<br />

mit uns Party machen. Ich bin oft einfach<br />

nur müde und will schlafen, weil wir zwischendurch<br />

die ganze Zeit auftreten und<br />

sowieso immer nachts unterwegs sind.<br />

Das ist erschöpfend.<br />

Haben Sie durch das ungebundene<br />

Leben und ständige Wohnen bei anderen<br />

Leuten ein anderes Verhältnis<br />

zu Menschen bekommen?<br />

Vorher hatten wir dieses unglaubliche<br />

Haus im Berliner Wedding mit fünf Stockwerken<br />

und Garten. Ab und zu haben wir<br />

uns überlegt, einen Untermieter zu nehmen,<br />

fanden es dann aber zu komisch,<br />

einen fremden Menschen im Haus zu<br />

haben. Als wir auf Tour waren, wollte<br />

ich immer meine Ruhe, ins Hotel und nie<br />

privat bei anderen Leuten übernachten.<br />

Inzwischen sind wir es gewöhnt, immer<br />

Leute um uns zu haben. Das stört mich<br />

gar nicht mehr.<br />

Warum ist das so?<br />

Eigentlich ist es ja eine Art Perversion,<br />

wenn jeder in seinem abgeriegelten Zimmerchen<br />

wohnt und niemand seine Nachbarn<br />

kennt. An einem Ort zu sein, wo alle<br />

Leute rein- und rausgehen und miteinander<br />

reden, ist dagegen ein natürliches Leben<br />

und sehr spannend. Man muss sich<br />

nicht verabreden. Ich habe mich da sehr<br />

verändert. Das Äußere hat sich irgendwie<br />

ins Innere umgestülpt und äußere Sachen<br />

stören mich weniger. Viel weniger sogar.<br />

Haben Sie also gelernt, sich in sich<br />

selbst zurückzuziehen?<br />

Auf jeden Fall. Das ist sowieso das, was<br />

auf dieser Reise klar wurde: Sie wurde zu<br />

einer inneren Reise. Es hat sich bei mir<br />

so viel verändert, dass es gar nicht mehr<br />

so wichtig war, was außen passiert. Ich<br />

verstehe inzwischen, warum religiöse<br />

Menschen Pilgerfahrten machen: Sie verändern<br />

wirklich etwas in der Seele und<br />

am Charakter. Das hätte ich nie gedacht.<br />

Fühlen Sie sich nie verloren?<br />

Nein. Ich habe vielleicht Angst, aber ich<br />

bin niemals verloren.<br />

Danielle de Picciotto (49) ist Musikerin und<br />

Künstlerin. Sie zeichnet charakteristische Bilder<br />

in schwarz-weiß und hielt auch ihr Nomadenleben<br />

im Graphic-Novel „We are Gypsies now“<br />

(Metrolit-Verlag) fest.<br />

65


LEGENDE<br />

Von Maja Hoock<br />

Fotos des Anaïs Nin Trust<br />

EINE<br />

FREIE<br />

FRAU<br />

ANAÏS NINS RUHM<br />

BEGRÜNDET SICH AUF<br />

IHREN EROTISCHEN<br />

TAGEBÜCHERN, DIE<br />

ZWISCHEN LÄCHERLICHKEIT<br />

UND VERFÜHRERISCHER<br />

POTENZ SCHWANKEN.<br />

ALS GEGENENTWURF ZUM<br />

ZEITGENÖSSISCHEN FAST-<br />

FOOD-PORNO SOLLTEN SIE<br />

WIEDER GELESEN WERDEN.<br />

66


In einer Nacht im Jahr 1939 hört diese<br />

kleine Frau mit den übergroßen Augen an<br />

Deck eines Dampfers der Schiffsband zu.<br />

Als in der Distanz erste Wolkenkratzer<br />

auftauchen, schreibt sie in ihr Tagebuch:<br />

„Von unserem Platz aus sehen wir ganz<br />

New York. Licht und Lärm, körnig, scharf,<br />

windig und in jeder Hinsicht das Gegenteil<br />

von Paris.“<br />

Die 36-jährige Anaïs Nin lässt zusammen<br />

mit einer ganzen Schar von Exilanten das<br />

von Nationalsozialisten bedrohte Paris<br />

hinter sich. Auf einer Schreibmaschine,<br />

die ihm Nin geschenkt hat, wird Henry<br />

Miller kurze Zeit später dieselbe Szene<br />

beschreiben. Am Horizont New York. Sie<br />

wird in seinem Hauptwerk „Wendekreis<br />

des Krebses“ erscheinen, in dem er auch<br />

die gemeinsame Liebesbeziehung verarbeitet.<br />

Miller hat sich bereits in Paris in sie<br />

verliebt. Dort hatte Anaïs Nin auch eine<br />

Affäre mit Millers drogenaffiner Ehefrau<br />

June. „Ich brauche keine Drogen, keine<br />

künstlichen Erregungen“, schreibt Nin.<br />

Ihr reicht die Libido.<br />

Im Internet findet man zahlreiche Tonbandaufnahmen<br />

von Nins hypnotischer<br />

Stimme, die Teil ihrer enormen Anziehungskraft<br />

gewesen sein muss. Sie hat<br />

diesen seltsamen Akzent mit scharfem R<br />

und lang gezogenen, kehligen Vokalen, der<br />

wohl von ihrem Hang zur Selbstinszenierung<br />

als auch von ihrer Heimatlosigkeit<br />

kommt. Nin war von Geburt an eine Nomadin.<br />

Ihre dänisch-französische Mutter<br />

ist auf Kuba geboren und war Sängerin,<br />

der Vater kubanischer Komponist. Anaïs<br />

Nin wächst unter dem beeindruckenden<br />

Namen Juana Edelmira Antolina Rosa Nin<br />

y Castellanos in einem Pariser Vorort auf.<br />

Bald schon zieht die Familie weiter nach<br />

Berlin, dann nach Brüssel, Barcelona,<br />

Havanna und während des Ersten Weltkriegs<br />

zum ersten Mal nach New York.<br />

Unstetigkeit wird zum Grundprinzip ihres<br />

Lebens.<br />

Und wie das manchmal bei Kindern ist,<br />

die keinen Halt haben, erschafft sie sich<br />

eine eigene Welt, die bald zur Obsession<br />

wird. Als der Vater die Familie für eine Geliebte<br />

verlässt, beginnt Nin als Zehnjährige,<br />

massenhaft Briefe an ihn zu schreiben.<br />

Die schickt sie zwar nie ab, entdeckt aber<br />

das Schreiben als ihr „Opium“. Als man in<br />

der Schule ihren Schreibstil „verfeinern“<br />

will, geht sie trotzig mit sechzehn ab. Im<br />

Laufe ihres Lebens wird sie um die 35.000<br />

Seiten Tagebuch und einige Romane hinterlassen;<br />

meist poetische Überlegungen<br />

zu Verlust und Liebe.<br />

Die Obsession mit ihrem Vater, der sie<br />

als Kind einmal unvorsichtigerweise als<br />

hässlich bezeichnet hat, wird zur Manie.<br />

Bald setzt sie alles daran, schön zu sein<br />

und Anerkennung von Männern zu erhalten.<br />

Sie geht zahlreiche Affären ein.<br />

In ihren Zwanzigern arbeitet Nin in New<br />

York als Model und Tänzerin, beginnt sich<br />

stark zu schminken und sexy zu kleiden.<br />

Später lässt sie sich sogar von einem<br />

Schönheitschirurgen operieren.<br />

1924 kehrt sie nach Paris zurück, frisch<br />

verheiratet mit dem Bankier Hugo Guiler.<br />

Doch sie liebt nicht nur ihren Mann, aus<br />

dem sie stetig versucht, einen Künstler<br />

zu machen – und das schließlich auch<br />

schafft, Guiler dreht später unter dem<br />

Pseudonym Ian Hugo einige Experimentalfilme.<br />

Sie hat unzählige männliche<br />

wie weibliche Geliebte. Für diese lernt<br />

sie sinnlichen Tanz, macht selbst ihren<br />

Tanzlehrer zum Geliebten. Nach einer<br />

missglückten Abtreibung stehen die potenziellen<br />

Väter im Krankenhaus Spalier.<br />

Trotzdem bleiben Nin und Guiler bis zu<br />

ihrem Tod verbunden. Ihren Vater trifft<br />

sie nur noch einmal. 1933, im Jahr der<br />

Machtergreifung der Nazis, verabreden<br />

sie sich in einem Hotel. Nin notiert: „Ich<br />

liebe den Mann, ich liebe ihn mit meiner<br />

Seele … den Mann, den ich überall auf<br />

der ganzen Welt suchte, der meine Kindheit<br />

brandmarkte und mich verfolgt hat.<br />

Es waren Fragmente von ihm, die ich in<br />

anderen Männern liebte – und nun war<br />

das Ganze da.“ Ob die beiden miteinander<br />

schlafen? Das gehört ins Reich der Legenden.<br />

Nins Ruhm begründet sich mehr auf<br />

dem, was man ihr zutraut, als auf belegbaren<br />

Tatsachen. Sie ist eine Kunstfigur.<br />

So weckt Nin bis heute Begehrlichkeiten.<br />

Wie ihr später berühmter Liebhaber Henry<br />

Miller verdient sie Ende der Dreißiger<br />

in New York einen Dollar pro Seite mit<br />

schnell geschriebenen erotischen Geschichten.<br />

Nin verachtet billigen Porno<br />

und teilt das auch ihrem Auftraggeber<br />

mit: „Wir hassen Sie. Das Geschlechtliche<br />

verliert alle Macht und Magie, wenn<br />

es überdeutlich, mechanisch dargestellt<br />

wird. Es wird stumpfsinnig.“<br />

Immer wieder stellt sie klar, dass sie diese<br />

Lohnarbeit als Wegbereiter für Frauen in<br />

der Männerdomäne der Erotika versteht,<br />

nicht als anspruchsvolle Literatur. So<br />

mischt sie explizite Schilderungen mit<br />

Ironie und schreibt Titel wie The House<br />

of Incest und Das Delta der Venus, das<br />

erst 1977 posthum veröffentlicht wird. Es<br />

soll ihr berühmtestes Buch werden. Sie<br />

schreibt darin über Männer, die Männer<br />

lieben, Transsexuelle, Lesben, Prostituierte<br />

und Gruppensex. In einer zeitgenössischen<br />

Kritik heißt es, das Delta sei „das<br />

schönste, was eine Frau je an erotischer<br />

Literatur geschrieben hat“. Auch wenn<br />

Nins Duktus heute manchmal etwas platt<br />

erscheint, gehen diese Texte weit über<br />

das hinaus, was in der Literaturgeschichte<br />

bereits an eindimensional verfassten<br />

Erotikbüchern verbrochen wurde. Ohne<br />

naiv zu klingen, nimmt sie selbst an den<br />

erotischsten Stellen Abstand zu banaler<br />

Körperlichkeit: „Ich werde zeigen, dass<br />

67<br />

Frauen niemals Sex von Gefühl getrennt<br />

haben, von Liebe oder vom ganzen Mann“,<br />

schreibt sie im Vorwort zum Delta.<br />

Ihre Protagonistin Elena realisiert beim<br />

Lesen von Lady Chatterley‘s Lover, dass<br />

sie nie Leidenschaft erlebt hat: „Es war<br />

die in D. H. Lawrences Buch unterdrückte<br />

Frau, die auch in ihr sprungbereit lag,<br />

genauso offen, vibrierend.“ Gut, dass Erlösung<br />

ein paar Seiten später zu finden ist:<br />

„Etwas von einem wilden Tier war auch<br />

in seinen Händen, mit denen er sich im<br />

lockigen Delta ihres Schoßes festgekrallt<br />

hatte. Er war jetzt nackt und hatte sich<br />

in seiner ganzen Länge auf sie gelegt. Sie<br />

fand es herrlich, sein Gewicht zu tragen,<br />

herrlich, unter seinem Körper zermalmt<br />

zu werden.“ Nin schildert Sex souverän<br />

aus weiblicher Sicht, was zu ihrer Zeit<br />

revolutionär ist, und gesteht Frauen abwechselnd<br />

fordernde und hingebungsvolle<br />

Rollen zu. Sie müssen bei ihr nicht nur<br />

selbstbestimmt und stark sein, sondern<br />

können sich auch bewusst unterwerfen.<br />

Darin sieht sie eine Freiheit. Später wird<br />

sie in den USA und Frankreich zur Inspiration<br />

der Fenimnistinnen der zweiten<br />

Welle.<br />

Anaïs Nin führt mehrere Leben parallel,<br />

ist die fürsorgliche Hausfrau genauso wie<br />

die Betrügerin, die im Nachtleben zu Hause<br />

ist. Ihre Ausbildung zur Psychoanalytikerin<br />

macht Nin beim berühmten Therapeuten<br />

Otto Rank sowie beim Begründer<br />

der Societé Française de Psychoanalyse,<br />

René Allendy, die beide ihre Geliebten<br />

werden. Neben ihrer Ehe mit Hugo Guiler<br />

in New York hat sie eine zweite in Los<br />

Angeles. Dort ist der 17 Jahre jüngere Rupert<br />

Pole ihr angetrauter Mann. Angeblich<br />

erfahren die Männer erst nach Nins Tod<br />

1977 aus der Zeitung von diesem Doppelleben.<br />

„Ich erzähle so viele Lügen“, sagt sie<br />

einmal, „dass ich sie aufschreiben und in<br />

einer Schachtel aufbewahren muss, um<br />

sie aufrecht zu erhalten“.<br />

Vielleicht ist dieses volle, egoistische<br />

Auskosten des Lebens sogar die zentrale<br />

Botschaft Anaïs Nins, die an die Macht<br />

der Gedanken glaubte: „Man lebt so dahin<br />

und man glaubt zu leben. Dann liest man<br />

ein Buch oder man macht eine Reise, und<br />

man entdeckt, dass man nicht lebt, sondern<br />

in einem Winterschlaf versunken<br />

ist … Monotonie, Langeweile, Tod“. Anaïs<br />

Nin will davor bewahren. Ihre Texte sind<br />

vielleicht keine große Literatur. Sie haben<br />

aber das Zeug dazu, einen vor diesem<br />

„Winterschlaf “ zu bewahren. Allein aus<br />

diesem Grund lohnt es sich, Nin wiederzuentdecken<br />

und zu lesen.<br />

Anaïs Nins Tagebücher sind erst nach dem Tod<br />

aller Beteiligten 1977 veröffentlicht worden<br />

und auf Deutsch im Christian Wegner Verlag<br />

erschienen. Die Beziehung zum Schriftsteller<br />

Henry Miller und seiner Frau June wurde im<br />

Film „Henry and June“ verarbeitet. Auf YouTube<br />

kann man zahlreiche Tonaufnahmen Anaïs Nins<br />

anhören.


WONDER WOMAN<br />

Von Lorenz Schröter<br />

Fotos aus dem Buch „Wonder Woman – The Complete History“ von Les Daniels, Chronicle Books<br />

Die kämpfende und knutschende Amazone<br />

Wonder Woman ist eine veritable Ikone des<br />

Feminismus<br />

68


„Wonder Woman<br />

war die<br />

erste Superheldin<br />

überhaupt“<br />

Es war einmal eine Prinzessin namens<br />

Diana. Sie lebte auf Paradise Island,<br />

das von Amazonen bewohnt war. Eines<br />

Tages stürzte der gutaussehende Pilot<br />

Steve Trevor dort ab. Prinzessin Diana<br />

pflegte ihn gesund und verliebte sich.<br />

Doch Steve musste zurück in die Männerwelt,<br />

in der die Amerikaner Nazis und<br />

Japaner bekämpften. Um Steve zu helfen,<br />

folgte sie ihm und tarnte sich fortan als<br />

Sekretärin. Sobald Gefahr in Form von<br />

Räubern, Nazis oder anderen Schurken<br />

auftauchte, rannte sie auf die Damentoilette,<br />

um als rot-weiß-blaue Wonder Woman<br />

zurückzukehren. Ihre Waffen waren<br />

kugelabwehrende Armbänder, mit denen<br />

sie Geschosse auf die Gegner zurücklenkte,<br />

und ein magisches Lasso. Jeder Mann,<br />

den sie damit einfing, musste die Wahrheit<br />

sagen.<br />

Der Schöpfer dieses Märchens hieß William<br />

Moulton Marston (toller Name!)<br />

und war ein ziemlich exzentrischer Typ.<br />

Eigentlich studierter Jurist, hatte er einen<br />

Blutdruckmesser erfunden, der die „wahren<br />

Gefühle“ der Menschen messen sollte.<br />

Damit stellte er angeblich fest, dass der<br />

Kuss eines Fremden Frauen heftiger erregt<br />

als ein Kuss ihres Ehemanns. Außerdem<br />

wies Marston nach, dass Brünette<br />

wie Wonder Woman verführerischer und<br />

Blondinen passiver seien. Marston besaß<br />

also auch eine Art Lasso der Wahrheit.<br />

Diese populärwissenschaftlichen Experimente<br />

machten Marston berühmt, beendeten<br />

aber seine akademische Karriere.<br />

Seine Frau Elizabeth Holloway Marston,<br />

eine hochintelligente Psychologin mit<br />

drei Universitätsabschlüssen (und das zu<br />

einer Zeit, in der es überhaupt nur wenige<br />

studierte Frauen gab), sorgte für den<br />

Lebensunterhalt. William versuchte, mit<br />

seinem „Lügendetektor“ Geld zu verdienen,<br />

und versicherte der Firma Gillette,<br />

ihre Klingen würden beim Verbraucher<br />

weit angenehmere Gefühle hervorrufen<br />

als jene der Konkurrenz. Das FBI überprüfte<br />

das und hielt William Marston<br />

für einen Betrüger – nutzte jedoch Jahre<br />

später dessen Erfindung, um Verbrechen<br />

aufzuklären.<br />

Marston wurde zunächst Ratgeberonkel<br />

bei einer Frauenzeitschrift. Dort ließ er<br />

sich des Öfteren von einer gewissen Olive<br />

Byrne interviewen, einer hübschen<br />

Brünetten mit auffälligen Armbändern,<br />

genau solchen, wie sie später Wonder<br />

Woman tragen würde. In einem dieser<br />

Interviews verteidigte er das neue Genre<br />

des Superhelden-Comics und bekam daraufhin<br />

prompt eine Einladung von Max<br />

Gaines, einem berühmten Comic-Verleger.<br />

Elisabeth Marston schlug eine weibliche<br />

Superheldin vor, aber Gaines sträubte<br />

sich zunächst. Das hätte noch nie funktioniert,<br />

da Jungs muskulöse Männer in<br />

hautengen Anzügen sehen wollten. Aber<br />

da William Moulton Marston ein echter<br />

Schriftsteller war – er hatte ein paar seltsame<br />

Romane geschrieben, darunter den<br />

Bondage-Roman „Venus with Us“, und im<br />

Gegensatz zu anderen zeitgenössischen<br />

Superhelden-Autoren studiert –, ließ sich<br />

Gaines überreden.<br />

1941 erschien die erste Ausgabe von Wonder<br />

Woman. Sie war die erste Superheldin<br />

und ist neben Superman und Batman die<br />

einzige Comicfigur aus dem sogenannten<br />

Goldenen Zeitalter, die bis heute überlebt<br />

hat; Spiderman, Hulk, die Fantastischen<br />

Vier – sie alle kamen erst später.<br />

In Wonder Womans Abenteuern kommt<br />

die krude Mischung von William Moultan<br />

Marstons Interessen zum Ausruck: Seine<br />

klassische Bildung in Form antiker Figuren,<br />

seine schrägen Experimente und<br />

Erfindungen sowie seine Beschäftigung<br />

mit den derben Aufnahmeprüfungen der<br />

Schwesternschaften an amerikanischen<br />

Universitäten. Daher stammt der Charakter<br />

der bonbonsüchtigen Etta Candy,<br />

die in Babykleidung herumläuft wie die<br />

Neulinge beim Aufnahmeritual.<br />

Erstaunlicherweise gelingt es den Bösewichtern<br />

(die bei Wonder Woman übrigens<br />

oftmals auch Frauen sind, selbst der<br />

eklige Dr. Poison ist in Wahrheit die wunderschöne<br />

japanische Prinzessin Maru)<br />

in jedem Abenteuer, die Armbänder von<br />

Wonder Woman zusammenzuschließen.<br />

Derart gefesselt verliert die mächtige<br />

Heldin ihre Superkräfte. Wonder Woman<br />

wird überhaupt dauernd gefesselt und es<br />

fliegen sehr viele Peitschenschnüre. Der<br />

Verlag bekam Fanbriefe von Sadomasochisten,<br />

Pädagoginnen kritisierten die<br />

Fesselungen und Gewalt gegen Frauen.<br />

Woraufhin sich Marston verteidigte und<br />

argumentierte, Superhelden müssten<br />

nun mal in Gefahr geraten, Schläge für<br />

weibliche Superhelden seien im Zuge der<br />

Gleichberechtigung unvermeidlich, Fesseln<br />

und Peitschen wenigstens nicht so<br />

brutal wie Kugel und Messer. Außerdem<br />

solle Wonder Woman zeigen, dass Fesselspiele<br />

auch ein Vergnügen sein können,<br />

denn Frauen liebten nunmal die Unterwerfung.<br />

Trotz solcher Thesen war Marston Feminist<br />

und Wonder Woman als feministischer<br />

Erziehungsroman für Jungs wie<br />

auch als Selbstermächtigungsfibel für<br />

Frauen gedacht. Es war Marstons These,<br />

dass die Männer aufgrund ihrer erotischen<br />

Bedürfnisse von der Gunst der<br />

Frauen abhängig seien. Diese würden<br />

daher noch im zwanzigsten Jahrhundert<br />

die Welt beherrschen und mit Liebe regieren.<br />

Frauen hätten nämlich doppelt so<br />

viele liebemachende Organe wie Männer,<br />

es fehle ihnen nur an der Dominanz. Das<br />

meinte Marston ernst. So lautete sein Rat<br />

an die Autoren des Comics: Der Mann,<br />

nicht die Frau, unterwirft sich in der<br />

Liebe (sein Lieblingsfilm war übrigens<br />

„Der Glöckner von Notre Dame“, in dem<br />

die Heldin Esmeralda nur sanft gefesselt,<br />

der bucklige Glöckner aber brutal gebunden<br />

und ausgepeitscht wird).<br />

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs kam<br />

Wonder Woman wie alle Superhelden<br />

in eine Identitätskrise. Bösewichter<br />

wie Captain Nazi und Captain Swastika<br />

waren nicht mehr zeitgemäß. Comics<br />

wurden von einem deutschstämmigen<br />

Psychologen namens Frederic Wertham<br />

für Jugendgewalt und Homosexualität<br />

verantwortlich gemacht. Das Verhältnis<br />

von Batman zu Robin und die Amazonen<br />

aus Wonder Woman, die mehr küssten<br />

als kämpften, waren ihm zu schwul.<br />

Die ganze Zeit über lebte William Moulton<br />

Marston harmonisch mit zwei Frauen<br />

zusammen, mit der blonden Elisabeth,<br />

die Wonder Women miterfunden hatte,<br />

und der brünetten Olive. Mit beiden<br />

hatte er jeweils zwei Kinder. Mit fünfzig<br />

Jahren bekam Marston Kinderlähmung<br />

und starb wenig später an Lungenkrebs.<br />

Beide Frauen lebten auch nach seinem<br />

Tod weiter zusammen. Die Geschichte<br />

von Wonder Woman ging indes weiter.<br />

Die Amazone erschien auf der ersten<br />

Ausgabe des von der amerikanischen<br />

Feministin Gloria Steinem gegründeten<br />

Magazins Ms. In den vergangenen 74 Jahren<br />

durchlief die knapp bekleidete und oft<br />

gefesselte Heldin dann zahlreiche Wandlungen.<br />

Aus der Originalversion, gesetzt<br />

im griechisch-antiken Kosmos, unterlegt<br />

mit der eigenartigen Theorie ihres Schöpfers,<br />

wurde ein romantisches All-American-Girl,<br />

dann eine feministische Ikone.<br />

Das ist das Tolle an Superhelden: je nach<br />

Lesart und Zeitalter lassen sie sich mit<br />

Bedeutung auffüllen, niemand stört sich<br />

an den Widersprüchlichkeiten und jede<br />

Leserin kann ihre Seele in Wonder Woman<br />

entdecken.<br />

Im Hollywood-Blockbuster „Batman vs. Superman:<br />

Dawn of Justice“ (2016) wird Gal Gadot,<br />

Ex-Miss Israel und „Woman of the Israeli Army“,<br />

Wonder Woman spielen.<br />

71


EIN TAG IN …<br />

Von Sebastian Mayer<br />

8<br />

5<br />

6<br />

3 4<br />

7 2<br />

1<br />

72


Der international erfolgreiche Fotograf<br />

Sebastian Mayer zeigt uns Tokio abseits<br />

der Touristenorte:<br />

„Ich bin 2006 nach einer zweijährigen<br />

Odyssee durch die westliche Hemisphäre<br />

über Liverpool, London, Rio und New York<br />

nach Japan gekommen – das Goethe-Institut<br />

hatte mich eingeladen, eine Fotoausstellung<br />

zu machen. Tokio war einfach zu<br />

weird. Ich wollte drei Monate bleiben. Am<br />

Ende wurden es sieben Jahre. Mein Alltag<br />

bestand aus arbeiten, also fotografieren,<br />

denn Tokio ist teuer. Und aus Party. Mein<br />

Freundeskreis bestand aus Expats, die<br />

als Weiße keine Chance hatten, Teil der<br />

japanischen Gesellschaft zu werden, und<br />

aus Creative Outcasts, also Japanern, die<br />

einfach zu durchgeknallt waren, um sich<br />

im System zurechtzufinden. Gemeinsam<br />

organisierten wir Ausstellungen, Konzerte<br />

und Partys auf den Dächern von Nakameguro,<br />

die bis zum Morgengrauen andauerten.<br />

Die Geschichten, die ich dabei erlebte,<br />

habe ich mit meiner Kamera dokumentiert.“<br />

1) Der Baum war vor meinem Haus in<br />

Nakameguro. Die Luftfeuchtigkeit und der<br />

starke Blitz haben kleine sphärische Punkte<br />

gebildet. Manche Leute behaupten, dass<br />

jeder dieser Punkte ein Geist wäre. Ich<br />

glaube das nicht. Mein Nachbarhaus hieß<br />

Fobos, der Gott der Angst. Ich finde es komisch,<br />

ein Haus nach dem Gott der Angst<br />

zu benennen.<br />

2) KING BNE WAS HERE ist im Combine<br />

aufgenommen, einer kleinen Bar in Nakameguro,<br />

die ich als mein zweites Wohnzimmer<br />

bezeichnen würde. Es war frühmorgens<br />

nach einer durchfeierten Nacht.<br />

Der DJ ist Kouji, der sich zwei Jahre später<br />

bei einem Sturz in den Meguro River alle<br />

Knochen gebrochen hat. Links liegt Daishi,<br />

der das beste Curry in Meguro macht, aber<br />

nur kochen kann, wenn er betrunken ist.<br />

3) Das Bild mit den bunten Leuten ist auf<br />

der Party Tokyo Decadance im Trump<br />

Room Shibuya aufgenommen. Es ist eine<br />

schwule Kostümparty, ich habe mal eins<br />

der harmloseren Bilder ausgewählt. Das<br />

Heidi-Mädchen war toll.<br />

4) Die Koi-Fische habe ich im Zen-Garten<br />

in Harajuku von einer Brücke aus fotografiert.<br />

Ich war der einzige Besucher und<br />

sobald ich die Brücke betreten habe, sind<br />

mir die Kois hinterhergeschwommen. Sie<br />

können Personen aus dem Wasser heraus<br />

wahrnehmen, angeblich sogar Gesichtszüge,<br />

sodass sie ihr Herrchen oder Frauchen<br />

erkennen.<br />

5) Der haarige alte Mann ist Hattori-san.<br />

Er muss zwischen Mitte 30 und 70 sein,<br />

so genau kann das keiner sagen. Er<br />

wohnt irgendwo in Shibuya unter einer<br />

Highway-Brücke. Jeder, der öfter in Shibuya<br />

ist, wird ihn früher oder später einmal<br />

treffen. Bevor man ihn trifft, riecht<br />

man ihn. Er stinkt mindestens 100 Meter<br />

gegen den Wind. Er ist der verrückte Geist<br />

von Shibuya, redet mit keinem und lässt<br />

sich auch normalerweise nicht fotografieren.<br />

Die ersten Male, als ich ihn fotografieren<br />

wollte, hat er sich beim Anblick<br />

meiner Kamera immer laut fluchend in<br />

die Neonhölle von Shibuya geflüchtet, aber<br />

irgendwann ließ er sich von mir ablichten,<br />

dafür habe ich ihm immer etwas zu essen<br />

mitgebracht.<br />

6) Die Katze liegt vor dem Tempel, der direkt<br />

gegenüber meines Hauses stand. Der<br />

Tempel war einem Pferdegott gewidmet,<br />

aber statt Pferden gab es immer nur viele<br />

Streunerkatzen um den Tempel.<br />

7) Die Frau am Fenster habe ich in einem<br />

Hotel an der Tokyo Bay fotografiert, sie ist<br />

eine sehr gute Freundin, wir hatten damals<br />

eine Affäre. Ich hatte den ganzen Tag<br />

Shooting für eine Schweizer Bank und als<br />

Location haben wir die teuerste Suite im<br />

fünfunddreißigsten Stock des modernsten<br />

Hotels in Tokio angemietet. Die Nacht lag<br />

bei 4.500 Euro. Nach dem Shooting habe<br />

ich das ganze Team rausgeschmissen und<br />

mit Mademoiselle eine Flasche Champagner<br />

aufgemacht. Aus der Badewanne heraus<br />

hatte man einen unglaublichen Blick<br />

über die Bucht und die Glitzerhölle von<br />

Odaiba auf der anderen Seite.<br />

8) Das Foto von meiner Hand zeigt meinen<br />

Hosentascheninhalt. Ich war zwischendurch<br />

für drei Monate wohnungslos<br />

und habe in Internet-Cafés oder meinem<br />

Office geschlafen, weil die Wohnungen<br />

meiner Freunde zu klein für einen dauerhaften<br />

Aufenthalt gewesen sind, typisch<br />

für Tokio. Ich war pleite und der Totenschädel-Glücksbringer,<br />

angeblich aus<br />

Menschenknochen, ein USB-Stick, ein<br />

Kaugummi und 320 Yen, also zwei Euro,<br />

waren alles, was ich in diesem Moment in<br />

der Tasche hatte. Weit kommt man damit<br />

nicht in Tokio.<br />

73


SCHNITTMUSTER<br />

Von Sina Braetz<br />

DSQUARED2<br />

DSQUARED2 ERINNERT AN NACKTE, HEISSE JUNGS IN BUNTEN BADEHOSEN, AN ÜBERGROSSE HÜTE UND SEXBOMBEN IN<br />

MINIRÖCKEN UND HIGH HEELS. EIN GESPRÄCH ÜBER WAHRE, FEMININE SEXYNESS.<br />

74


„Es gibt keinen<br />

anderen Weg zum Erfolg<br />

als harte Arbeit.“<br />

An einem heißen Sommertag in Mailand<br />

treffen wir die charismatischen<br />

Zwillinge Dean und Dan von Dsquared2<br />

kurz nach ihrer Show auf der Fashion<br />

Week zum Lunch auf der Terrasse ihres<br />

Restaurants. Hinter dem von den Zwillingsbrüdern<br />

gegründeten Label verbirgt<br />

sich eine beeindruckende Entstehungsgeschichte,<br />

die zeigt, was (Mode-)Leidenschaft<br />

wirklich bedeutet.<br />

<strong>Fräulein</strong>: Gratulation zu eurer Show.<br />

Wie fühlt sich dieser After-Show-Moment<br />

für euch an?<br />

Dan: Toll, wir genießen ihn mit unserem<br />

Team, auch wenn nach der Schau vor der<br />

Schau ist (lacht). Wir haben hier Leute<br />

mit uns beim Lunch sitzen, die aus der<br />

Stadt kommen, in der unsere Fabrik ist,<br />

in der Nähe von Vicenza, Partner und<br />

Freunde und unseren Haarstylisten.<br />

Seit etwa 20 Jahren seid ihr nun bereits<br />

mit eurem Label unterwegs.<br />

Hattet ihr immer schon eine große<br />

Leidenschaft für die Mode?<br />

Dean: Ja, es ist wie eine Sucht, die in dir<br />

wächst. Es war alles, von dem wir träumten,<br />

obwohl wir nichts hatten. Unsere Familie<br />

stand unter immensen finanziellen<br />

Belastungen, das machte es recht schwierig<br />

für uns. Aber je weniger du hast, desto<br />

mehr willst du. Je weniger Geld du hast,<br />

desto kreativer wirst du. In unseren Köpfen<br />

schwirrte schon immer der Gedanke:<br />

Fuck everybody, wir können es schaffen.<br />

Wir gingen damals in internationale Bücher-<br />

und Zeitschriftenläden und lasen<br />

all die französischen und italienischen<br />

Magazine.<br />

Dan: Dort sprach man von etwas, das<br />

wir nicht hatten. Wir tauchten in diese<br />

Traumwelt ein, zu der wir uns so verbunden<br />

fühlten. In Kanada konnte man mit<br />

so was nichts anfangen.<br />

Dean: Deshalb fühlten wir uns dort fehl<br />

am Platz, wir wurden dort nicht glücklich.<br />

Dan: Ich denke, dass wir alle unser<br />

Schicksal selbst in den Händen haben.<br />

Wir sind auf dem Land geboren und jeder<br />

war gegen uns. Wir haben das Beste<br />

daraus gemacht und hart gearbeitet. Es<br />

gibt keinen anderen Weg zum Erfolg als<br />

harte Arbeit, Durchhaltevermögen und<br />

die Bereitschaft, all seine Kraft zu sammeln<br />

und einzusetzen.<br />

Umso besser fühlt sich dann der Erfolg<br />

an.<br />

Dan: Ja, man schätzt viel mehr, was man<br />

erreicht hat, denn man hat es aus eigener<br />

Kraft geschafft. Dieses Gefühl kann einem<br />

niemand anderes geben.<br />

Mittlerweile habt ihr viele Leute, die<br />

euch unterstützen. Wie viele sind das<br />

im Designbereich?<br />

Dean: Unser Designteam besteht etwa aus<br />

13 Leuten. Das Designteam ist unterteilt<br />

in Schuhe, Taschen, Womens- and Menswear.<br />

Natürlich kann nicht jeder von ihnen<br />

jetzt hier bei uns sein.<br />

Reist ihr viel mit dem Team zusammen?<br />

Dan: Dean und ich reisen oft drei Mal die<br />

Woche und sind daher viel unterwegs –<br />

natürlich immer im Doppelpack (lacht).<br />

Es ist daher schwierig, große Teamreisen<br />

zu machen, es sei denn, wir haben<br />

eine Trunk-Show, bei der wir etwa eine<br />

Kollektion direkt in einem Laden präsentieren.<br />

Wie geht ihr als Team an eine Kollektion<br />

heran?<br />

Dan: Dean und ich setzen uns meist zu<br />

Hause in Ruhe hin und diskutieren, in<br />

welche Richtung wir gehen wollen, legen<br />

einen Mood für die Saison fest und<br />

recherchieren. Dann kreieren wir meistens<br />

ein Briefing-Board oder die Designer<br />

kommen direkt zu uns und wir besprechen<br />

die Moods. Danach beginnt das<br />

Team mit der Arbeit und wir treffen uns<br />

regelmäßig wieder. Am Ende machen wir<br />

dann die Fittings, um zu sehen, ob unsere<br />

Ideen auch gut realisierbar waren.<br />

Wann und wie kommen Schnittmuster<br />

bei euch zum Einsatz?<br />

Dan: Das ist unterschiedlich. Wir haben<br />

natürlich unsere Schnittmuster, aber<br />

eigentlich starten wir bei dem Designprozess<br />

mit den Silhouetten. Wir setzen<br />

uns zusammen und kreieren neue Formen,<br />

eine neue Version einer Cocoon-Jacke<br />

oder einer Hose beispielsweise. Wir<br />

denken in dieser Phase noch gar nicht an<br />

die Stoffe, sondern vielmehr an Volumen<br />

und Silhouetten. Wenn es uns gefällt,<br />

machen wir uns dann Gedanken über die<br />

Prints und Stoffe. Es ist wichtig für uns,<br />

charakteristische Dsquared2-Schnitte zu<br />

gestalten und dennoch jedes Mal etwas<br />

Neues zu schaffen.<br />

Hab ihr eine bestimmte Frau vor Augen,<br />

wenn ihr designt?<br />

Dan: Eigentlich ist es viel mehr der Mood<br />

und die Inspiration einer Kollektion, die<br />

wir vor Augen haben, wenn wir designen.<br />

Aber natürlich haben wir immer<br />

eine bestimmte Idee einer Frau im Kopf:<br />

Sie ist cool, sexy, tough und clever.<br />

Was macht denn eine Frau sexy?<br />

Dean: Ihre Attitüde, die ist das Wichtigste<br />

(Dan stimmt zu), sowie Charme<br />

natürlich. Ich erinnere mich an eine<br />

kluge Aussage einer Freundin, die mal<br />

sagte: „Wenn du gut aussiehst, solltest<br />

du sichergehen, dass man dich bemerkt.“<br />

Zudem sollte sie ihre Schwächen zu ihrer<br />

Verteidigung nutzen. Und nicht zu vergessen:<br />

Eine gut aussehende Frau sollte<br />

wissen, wie sie sich kleidet. Das ist gar<br />

nicht so einfach, wie alle immer denken.<br />

Das beste Beispiel ist sicher das Szenario,<br />

das sich auf oder besser gesagt<br />

vor der Fashion Week abspielt.<br />

Dean: Ja, viele übertreiben es. Es gibt<br />

eine sehr feine Linie von dem, was daneben<br />

und dem, was süß und stilvoll ist. Ich<br />

habe nichts dagegen, wenn Leute herumexperimentieren,<br />

aber oft greifen sie zum<br />

Falschen. Sie holen dann alle Highlights<br />

der letzten Saisons aus ihrem Schrank<br />

heraus und tragen sie zusammen, das ist<br />

in der Tat grausam. Auf ihrer Stirn steht<br />

geschrieben: „Hey, schaut her, was ich<br />

alles habe.“ Auch wir haben bei unseren<br />

Showlooks Highlights, aber wir entscheiden<br />

uns nur für ein starkes Teil, denn nur<br />

so kommt es richtig zur Geltung und sieht<br />

nicht kitschig oder überladen aus, was<br />

allerdings okay wäre, wenn man provozieren<br />

und etwas Spezifisches aussagen<br />

will. Selbst in Japan, wo die Leute so<br />

viel Energie und Zeit in ihre Outfits stecken,<br />

um die Mode zu zelebrieren, ist es<br />

manchmal wirklich fragwürdig, warum<br />

sie einfach nur cheap und nicht stilvoll<br />

aussehen wollen.<br />

Dan: Amerikaner würden sich einfach<br />

ein T-Shirt überwerfen und in eine Jeans<br />

schlüpfen (lacht).<br />

Das stimmt wohl, aber habt ihr nicht<br />

das Gefühl, dass es in Japan schon<br />

wieder cool ist, so herumzulaufen,<br />

weil die Leute teilweise wirklich verrückt<br />

sind und ihre Outfits somit weniger<br />

eine Kostümierung sind?<br />

Dan: Ja, vielleicht. Ich erinnere mich an<br />

unsere Schulzeit: Dean und ich zogen uns<br />

immer anders an als die anderen und die<br />

Kids reagierten wirklich komisch darauf,<br />

machten sich teilweise lustig über uns.<br />

Aber genau so wurde es zu einer Herausforderung.<br />

Dean: So ist es eben, wenn Mode wirklich<br />

eine Leidenschaft ist. Früher war das<br />

eine ganz andere Zeit. Ich denke gerade<br />

daran, wie ich einen Monat nichts gegessen<br />

habe, um in eine meiner ersten<br />

Designerjacken zu passen. Als ich sie das<br />

erste Mal trug, bekam ich all diese Blicke<br />

zugeworfen. Ich trug sie dann öfter und<br />

öfter, bis sie zu einem Teil von mir wurde<br />

und ich mich vollkommen wohl und<br />

selbstbewusst fühlte. Und darum geht<br />

es doch auch: Sich etwas zu eigen zu machen,<br />

einen Trend, einen Look, ein Designerteil.<br />

Mode kann etwas sein, dass die<br />

Persönlichkeit unterstreicht und einem<br />

Selbstbewusstein schenkt – eine Frau<br />

auf High Heels, die sich sexy fühlt und<br />

das dann auch ausstrahlt. Mode kann<br />

aber auch etwas verstecken, kann ein<br />

Fake sein und kann natürlich auch immer<br />

falsch liegen – Mode sollte in jedem<br />

Falle keine Kostümierung sein, sondern<br />

zu einer Person passen. Ich muss hier<br />

gerade an Hannah Montana denken, die<br />

ein Red-Carpet-Kleid kaufen wollte. Ich<br />

schmunzele noch jetzt – ich fragte sie<br />

damals, ob sie nicht ein bisschen zu jung<br />

sei für solch ein Red-Carpet-Kleid, aber<br />

sie sagte selbstbewusst: „I can rock that<br />

dress“. Nun ja, Realität sollte jedenfalls<br />

immer an erster Stelle kommen, ebenso<br />

die geistige Verfassung.<br />

Das High-Fashion-Label Dsquared2 wurde 1994<br />

in Mailand von den kanadischen Zwillingsbrüdern<br />

Dean und Dan gegründet. Sie entwerfen<br />

seither eine kontrastreiche Herrenkollektion, seit<br />

2004 auch eine Damenlinie sowie Accessoires<br />

und Schuhe. Mit 14 Jahren verließ das Geschwisterduo<br />

die Familie, begann zu reisen und<br />

erkämpfte sich gemeinsam seinen Erfolg in der<br />

Modebranche. Ihr Label verzeichnet heute einen<br />

großen, globalen Erfolg.<br />

75


NETTO<br />

NETTO<br />

Style Name: S75AM0352<br />

Creation Date: 2014-06-25<br />

Creation Time: 14:09:36<br />

Author: LECTRA (SA) CESTAS, FRANCE<br />

Sample Size: 40<br />

Grade Rule Table: S75AM0352<br />

EINHEITEN: METRISCH<br />

NETTO<br />

NETTO<br />

NETTO<br />

16 CM ÜBERLAPPUNG<br />

NETTO<br />

Piece Name: S75AM0352F6<br />

Size: 40<br />

Annotation: OBERER ARMTEIL<br />

Quantity: 1<br />

Category: F6<br />

1,5 cm FALTEN<br />

Piece Name: S75AM035200<br />

Size: 40<br />

Annotation: VORDERTEIL MIT METALLAPPLIKATIONEN<br />

Quantity: 1<br />

Category: 00<br />

SCHLITZ<br />

NETTO<br />

TUTTO NETTO<br />

TUTTO NETTO<br />

NETTO<br />

OBEN<br />

1,5 cm FALTEN<br />

Piece Name: S75AM035230<br />

Size: 40<br />

Annotation: ÄRMEL<br />

Quantity: 1<br />

Category: 30<br />

NETTO<br />

Piece Name: S75AM035240<br />

Size: 40<br />

Annotation: LUNETTA<br />

Quantity: 1<br />

Category: 40<br />

Piece Name: S75AA008760<br />

Size: 40<br />

Annotation: TASCHE<br />

Quantity: 1<br />

Category: 60<br />

NETTO<br />

NETTO<br />

SORMONTO CM 16 TOT<br />

NETTO<br />

Piece Name: S75AM035241<br />

Size: 40<br />

Annotation: UNTERKRAGEN<br />

Quantity: 1<br />

Category: 41<br />

netto<br />

Piece Name: S75AM0352M1<br />

Size: 40<br />

Annotation: VORDERTEIL MIT METALLAPPLIKATIONEN<br />

Quantity: 1<br />

Category: M1<br />

NR. 14<br />

DSQUARED2<br />

netto<br />

ÜBERLAPPUNG CM 16 TOT<br />

NETTO<br />

Piece Name: S75AM0352M4<br />

Size: 40<br />

Annotation: VORDERTEIL MIT METALLAPPLIKATIONEN<br />

Quantity: 1<br />

Category: M4<br />

76


0,5 cm EINBEHALTEN<br />

LORDO LORDO<br />

Piece Name: S75AM0352F5<br />

Size: 40<br />

Annotation: UNTERER ARM TEIL<br />

Quantity: 1<br />

Category: F5<br />

NETTO<br />

1,5 cm FALTEN<br />

Piece Name: S75AM035231<br />

Size: 40<br />

Annotation: UNTERER ARMTEIL<br />

Quantity: 1<br />

Category: 31<br />

0,5 cm EINBEHALTEN<br />

Piece Name: S75AM035211<br />

Size: 40<br />

Annotation: RECHTESVORDERTEIL<br />

Quantity: 1<br />

Category: 11<br />

1,5 cm FALTEN<br />

1,5 cm FALTEN<br />

Piece Name: S75AM035220<br />

Size: 40<br />

Annotation: FLANKE<br />

Quantity: 1<br />

Category: 20<br />

Piece Name: S75AM035210<br />

Size: 40<br />

Annotation: LINKES VORDERTEIL<br />

Quantity: 1<br />

Category: 10<br />

MSK.AL NETTO<br />

NETTO<br />

Piece Name: S75AM0352M5<br />

Size: 40<br />

Annotation: UNTERER HAKEN<br />

Quantity: 1<br />

Category: M5<br />

NETTO<br />

NETTO<br />

NETTO<br />

NETTO<br />

BRUTTO<br />

MSK.AL NETTO<br />

BRUTTO<br />

Piece Name: S75AM035212<br />

Size: 40<br />

Annotation: KRAGEN<br />

Quantity: 1<br />

Category: 12<br />

Piece Name: S75AM0352M2<br />

Size: 40<br />

Annotation: ÄRMEL MIT HAKEN<br />

Quantity: 1<br />

Category: M2<br />

Piece Name: S75AM0352M3<br />

Size: 40<br />

Annotation: ABNÄHER<br />

Quantity: 1<br />

Category: M3<br />

77


PINUP<br />

Von Kevin Junk<br />

Illustration von PepiArt<br />

JOAQUÍN<br />

PHOENIX<br />

78


ZURÜCKHALTUNG KANN SEXY<br />

SEIN, ABER NUR, WENN SIE<br />

ETWAS VERBIRGT, AUF DAS<br />

MAN NEUGIERIG IST. JOAQUÍN<br />

PHOENIX IST EINER DIESER<br />

SELTENEN MÄNNER, DENEN DEMUT<br />

VERDAMMT GUT STEHT.<br />

Schüchternheit steht nicht jedem Mann. Zurückhaltung<br />

kann sexy sein, aber nur, wenn sie etwas verbirgt,<br />

hinter das man gerne schauen möchte. Joaquín<br />

Phoenix ist einer dieser Männer, wenn nicht der Mann<br />

schlechthin, dessen Zurückhaltung und Demut ihn so<br />

verdammt attraktiv machen.<br />

Die aristokratisch gebogene Nase, die hervorstechenden<br />

Augen, der eigentlich ein bisschen zu schmale<br />

Mund: Gerade weil Phoenix kein Durchschnittsgesicht<br />

hat, gerade weil er kantig ist und weder arrogant noch<br />

dick aufgetragen, will man ihm ins Gesicht springen<br />

und ihn küssen. Natürlich darf ich die Hasenscharte<br />

nicht vergessen, aber die hat einen eigenen Satz verdient.<br />

Die zeichnet ihn aus, mehr als zwei Mal in Folge<br />

zum „Sexiest Man Alive“ gewählt zu werden, auch<br />

wenn er das verdient hat.<br />

Tragisches haftet diesem Mann an, ein bisschen wie in<br />

einem amerikanischen Roman aus den 1990ern, der in<br />

den Achtzigern spielt. Da ist zum Beispiel der Drogentod<br />

seines Bruders River Phoenix. River ist mit seiner<br />

Rolle in My Own Private Idaho von Gus Van Sant neben<br />

Keanu Reeves zu einer schwulen Ikone geworden, der<br />

frühe Tod trug dazu bei.<br />

Klar, es ist irgendwie fies, aus den persönlichen Tragödien<br />

eines erwachsenen Mannes Sexkapital zu schlagen.<br />

Im Gegensatz zu vielen anderen Stars wirkt Phoenix<br />

dadurch aber dreidimensionaler, um nicht zu sagen authentischer.<br />

Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich<br />

über diesen weltberühmten Mann schreibe, ohne ihn<br />

zu kennen! Und ich glaube, ich bin nicht der Einzige.<br />

Texte über Phoenix sind oft verhaltener als die über<br />

andere Stars.<br />

Fakten, die mich an anderen stören würden oder wie<br />

ein PR-Gag wirkten, passen bei Joaquín Phoenix. Dass<br />

er seit seinem dritten Lebensjahr vegan lebt zum Beispiel.<br />

Natürlich. Engagement für Peta? Am Set nur pelzund<br />

lederfreie Kleidung? Warum sind es die Kleinigkeiten,<br />

wegen denen ich wuschig werde?<br />

Er sieht ja auch – und das ist eine krasse Ausnahme in<br />

meinem Männergeschmack – ohne Bart gut aus. Er hat<br />

diese schöne, allzu amerikanische Gesichtskontur.<br />

Ich glaube, Joaquín Phoenix ist ein Trojanisches Pferd,<br />

nach Hollywood eingeschleppt, um die Welt mit seinen<br />

wehmütigen Augen zu verändern. Er ist irgendwie<br />

instant-heroisch, weil er tragisch wirkt und dabei so<br />

(hach) stark. Er ist ein verdammt schöner Mann, aber<br />

er ist auch ein irgendwie verdammt cooler Mensch.<br />

Verdammt. Und dabei habe ich eigentlich nie einen<br />

Star-Crush!<br />

Der neue Film mit Joaquín Phoenix , „Inherent Vice“ (Regie: Paul<br />

Thomas Anderson), wurde am 26. September auf dem 52. New<br />

York Film Festival vorgestellt.<br />

79


SIE WAR EINE GANZE WEILE NICHT MEHR IN DER ÖFFENTLICHKEIT PRÄSENT. IHR LETZTES SOLOALBUM VOR DEM AKTUELLEN<br />

BLANK PROJECT IST AUCH SCHON WIEDER 18 JAHRE HER. DOCH NENEH CHERRY IST FÜR UNS DAS PERFEKTE FRÄULEIN. IHR<br />

DEBÜTALBUM RAW LIKE SUSHI VON 1989 WAR STILBILDEND. ES VEREINTE JAZZ, DISKO, POP UND HIP-HOP AUF EINE ART UND<br />

WEISE, DIE ES DEM MAINSTREAM WIE DEN JEWEILIGEN SZENEN MÖGLICH MACHTE, DAMIT DURCH DIE STADT ZU CRUISEN UND<br />

DIE ANLAGE AUFZUDREHEN. CHERRY GING IMMER DEN AUFRECHTEN GANG, IST SEIT BALD 30 JAHREN MIT DEM SELBEN MANN,<br />

DEM PRODUZENTEN CAMERON MCVEY VERHEIRATET. WAS IM SHOWBUSINESS DOCH AUSSERGEWÖHNLICH IST. SIE ENGAGIERT<br />

SICH POLITISCH, OHNE PLUMPE POLITISCHE SLOGANS ZU SINGEN. HAT EINEN INDIVIDUELLEN STIL, DER AUCH NOCH MIT ÜBER<br />

50 JAHREN COOL UND LÄSSIG UND DABEI ELEGANT UND BEWUSST WIRKT. BEWUSST, WEIL SIE BEHUTSAM STIL-CODES WIE ZUM<br />

TURBAN GEWICKELTE TÜCHER EINSETZT UND DAMIT EIN WISSEN UM DIE KULTURELLEN BEWEGUNGEN DES BLACK ATLANTIC<br />

VERRÄT, DIE FUSION VON AFRIKANISCHEN WURZELN MIT AMERIKANISCHER KULTUR- UND MUSIKGESCHICHTE UND DESSEN<br />

WIDERHALL IN EUROPA. CHERRY HAT EINE ÄUSSERST VERWEGENE IDENTITÄT. DIE MUTTER SCHWEDIN, DER VATER AUS SIERRA<br />

LEONE, DER STIEFVATER DER LEGENDÄRE JAZZ-MUSIKER DON CHERRY. DIE JUGEND VERBRACHTE SIE IN DEN USA, EINEN GU-<br />

TEN TEIL IHRES LEBEN AUF TOUR. DIESE FRÄULEIN TITELGESCHICHTE IST EINE HOMMAGE AN EINE ECHTE KOSMOPOLITIN. WIR<br />

WÜNSCHEN UNS, DAS SIE (WIEDER) GEHÖRT WIRD.<br />

Von Ruben Donsbach<br />

Fotos Hendrik Schneider<br />

Styling Tabi Charaf<br />

Stylingassistenz Irina Balzer & Sebastiano Ragusa<br />

Styling & Produktionsassistenz Sina Braetz<br />

Haare & Make-Up Philipp Koch Verheyen mit Produkten von Chanel<br />

Assistenz Anne Timper<br />

Bildbearbeitung PX1 Berlin<br />

80


81<br />

ENEHS INTERNATIONALER<br />

DURCHBRUCH GELANG MIT DEM<br />

ALBUM RAW LIKE SUSHI (1989)<br />

Ohrringe Artist‘s own<br />

Kette Judy Blame<br />

Blazer Hugo Boss


IN FRÜHER FÖRDERER<br />

WAR IHR BERÜHMTER STIEFVATER,<br />

DER JAZZMUSIKER DON CHERRY<br />

Kette Judy Blame<br />

Kleid & Mantel Chanel<br />

82


83<br />

ENEH CHERRY IST IN<br />

STOCKHOLM GEBOREN UND<br />

SCHWEDISCHE STAATSBÜRGERIN<br />

Turban/Carré Hermès<br />

OhrringeArtist‘s own<br />

Bluse & Cardigan Prada<br />

Bomberjacke Dries van Noten


AGLE EYE CHERRY<br />

HEISST DER JÜNGERE HALBBRUDER<br />

VON NENEH<br />

Ohrringe Artist‘s own<br />

Kleid & Mantel Hermès<br />

84


IP-HOP KLANG SELTEN SO FUNKY<br />

WIE AUF IHRER SINGLEAUSKOPPLUNG<br />

BUFFALO STANCE<br />

Jacke & Weste Haider Ackermann<br />

Ring Artist‘s own<br />

85


„Ich will keine<br />

Celebrity Politics betreiben“<br />

<strong>Neneh</strong> <strong>Cherry</strong> ist erkältet, mit vier Stunden Verspätung in Tegel gelandet und dementsprechend<br />

müde. Das wird nichts mit dem <strong>Fräulein</strong> Cover-Shoot morgen, schon<br />

das Konzert heute Abend auf dem Berlin-Festival, sei ein Drama. Sagt zumindest die<br />

Tourmanagerin.<br />

Eine Stunde später trifft <strong>Cherry</strong> in persona ein und versprüht gleich etwas<br />

Street-Glamour. Der Afro sitzt, in blauer Old School Adidasjacke und mit weißen<br />

Sneakern schlendert sie dem Reporter wie zu einem Beat von Run DMC entgegen,<br />

schaut kurz leidend, dann versöhnlich, lächelt cool und lacht. Man weiß jetzt, alles<br />

wird gut. <strong>Neneh</strong> kann trotz belegter Stimme singen, <strong>Neneh</strong> kann morgen zum Cover-Fotoshoot<br />

erscheinen, <strong>Neneh</strong> ist ein Profi und sieht mit 50 Jahren verdammt<br />

noch mal gut aus.<br />

Backstage im Glashaus des Berlin Festivals, jenseits der Mainstage und 20 Minuten<br />

vor Auftritt <strong>Cherry</strong>, regiert die große Unaufgeregtheit. Cool bleibt auch die Entourage.<br />

Ein DJ, 30 Jahre jünger als sie, der von DJ Koze und Ada protegiert im Kölner<br />

Kompakt-Umfeld arbeitet, einiges zu Schwedens Aufstieg als europäischer Rohstofflieferant<br />

nach dem Zweiten Weltkrieg zu sagen hat und uns Bier organisiert. Eine<br />

Visagistin, auf deren iPhone- Display der kleine Sohn leuchtet, deren Mann Sänger<br />

der tollen Band Travis ist, die selbst wahnsinnig entspannt ist und einen nur leicht<br />

tadelnd korrigiert, wenn man Níní statt Nènè sagt.<br />

Weiche, kuratierte Hip-Hop-Bässe klingen nach. In kleinen Grüppchen hängen die<br />

Groupies der Laufsteg- und Couturerapper herum, die gerade auf der Glashaus-Bühne<br />

schaulaufen. Verdrogte verlorene Jungs bieten trüben Gebirgstee aus Kroatien in<br />

alten Coca-Cola-Pfandflaschen an. Man trifft einen berlinernden Stage-Manager im<br />

zu engen T-Shirt, der immer erst mal Nein sagt, doch am Ende dein bester Freund<br />

wird. Mittendrin stehen die Brüder Ben and Tom Page von RocketNumberNine, mit<br />

denen <strong>Cherry</strong> ihr aktuelles Album Blank Project eingespielt hat und durch die Welt<br />

tourt.<br />

Das Album gleicht in seinem roh und perkussiv instrumentalisiertem Minimalismus<br />

einer musikalischen Litanei, in manchen Passagen einem Klagegesang. Spärlich<br />

nutzt <strong>Neneh</strong> <strong>Cherry</strong> darin ihre Stimme, balanciert zwischen Gesang und Sprechakt.<br />

Sprechakt auch, weil das gesprochene Wort hier nicht zum Ornament verklingt, weil<br />

es zum Handeln auffordert, selbst Handlung ist.<br />

Blank Project sei, sagt <strong>Cherry</strong>, „eine sehr persönliche Sammlung von Songs, die ich<br />

und mein Ehemann Cameron (McVey) geschrieben haben. Er brachte mich dazu,<br />

so viel Grundlagenarbeit dafür wie irgend möglich zu leisten. Er tat dies im Wissen<br />

um meinen Beinahezusammenbruch im Jahre 2010, nachdem unsere Mütter<br />

nacheinander gestorben waren, und er wollte, dass ich diesen Verlust künstlerisch<br />

verarbeite. Dann nahm er meine Impulse und Gefühle auf und verdichtete sie zu<br />

Songs.“ Ben and Tom Page von RocketNumberNine, das seien im besten Sinne „Neanderthal<br />

Essex Louts, rüpelhafter Neandertaler aus Essex, die von der Innenseite<br />

ihrer Eingeweide heraus spielen. Sie spucken Blut mit jeder schmerzhaften Note, die<br />

wir hervorbringen, und genau das war es, was diese Songs brauchten.“<br />

Man weiß nicht, wo in dieser ausgeglichenen Frau der Schmerz begraben liegen<br />

mag. Sie sieht, es sei noch einmal wiederholt, verdammt toll aus, hat mit 50 Jahren<br />

ein ganzes Bühnenleben hinter sich und eine große Familie, die zuhause auf sie wartet.<br />

Nur sei genau das nicht immer leicht, sagt <strong>Neneh</strong>, „die so wertvolle Zeit mit der<br />

Familie mit meinem Touralltag in Einklang zu bringen, meine Kinder und meinen<br />

Mann immer wieder alleine lassen zu müssen“.<br />

<strong>Cherry</strong> singt sich warm zu einem Tutorial ihres Gesangslehrers, das über Kopfhörer<br />

läuft, ihre Stimme reflektiert in den engen Korridoren Backstage. Was kurz unwirklich<br />

klingt. Sie war ja mal ein großer Star. Nur kurzzeitig etwas vergessen. Ihr Debüt<br />

Raw Like Sushi mit den Singles Buffalo Stance und Manchild war ein prägendes<br />

Album der späten 80er-Jahre. Sie veröffentlichte die Hitsingles I’ve got you under<br />

my skin mit Afrika Bambaataa (1990), 7 Seconds mit Youssou N’Dour (1994) und<br />

Woman (1996). Nach verschiedenen Kollaborationen und Avantgarde-Projekten, mit<br />

CirKus und der experimentellen Jazz-Gruppe The Thing, ist Blank Project <strong>Cherry</strong>s<br />

erstes Soloalbum seit 18 Jahren. Produziert von Four Tets Kieran Hebden, geschrieben<br />

von <strong>Cherry</strong>, ihrem Mann Cameron sowie Paul Simm. Es wird von der Kritik<br />

86


„Alles ist jetzt Energie,<br />

industriell, roh“<br />

geliebt, der Bandleader und Fernsehmoderator Jools Holland lud <strong>Cherry</strong> in seine<br />

Sendung Later with Jools Holland ein. „Während Blank Project scheinbar perfekt in<br />

das aktuelle 90er-Revival passt, ist das Album tatsächlich der Kulminationspunkt<br />

einer faszinierenden Karriere“ schreibt der Blog des wunderbaren New Public Radio<br />

(NPR), <strong>Neneh</strong> <strong>Cherry</strong>s „Einfluss auf Jugendkultur, Mode und Musik sei größer, als<br />

zu messen wäre“.<br />

Derweil trinkt die so gelobte ein paar Soda-Lemon, lehnt sich an ihrem Schminktisch<br />

zurück, ordnet den Afro und schaltet um auf Angriff. Los geht‘s zum Konzert.<br />

Bässe, die vorher im Glashaus weich summten, klingen nun dröhnend, massig, markerschütternd.<br />

Von Backstage aus zeichnet das grelle, weiße Licht die Konturen der<br />

drei Musiker als geschichtete Schlagschatten ab. Alles ist jetzt Energie, industriell,<br />

roh. Eine Stunde später kommen zwei schweißüberströmte Musiker und eine beinahe<br />

makellose <strong>Neneh</strong> <strong>Cherry</strong> zurück. Sie schnappt sich einen Drink, lehnt sich gegen<br />

die Wand ihrer Umkleide. Ob sie in sich als eine ehrliche Musikerin verstehen würde.<br />

Sie blickt auf, wieder in ihrer blauen Adidasjacke eingepackt, aus einem schönen<br />

Tuch ein Turban um den Kopf gebunden, und sagt: „Hip-Hop, Musik überhaupt, ist<br />

eine Einstellung und kann niemals korrumpiert werden“.<br />

Am nächsten Morgen im Hof des Michelberger Hotels in Friedrichshain. Von hinten<br />

schleicht sich <strong>Neneh</strong> <strong>Cherry</strong> an und sagt „Hi Darling“. Worauf wenig zu erwidern ist.<br />

Noch mal: sie sieht wirklich gut aus, obwohl sie erkältet und verkatert ist, letzteres,<br />

weil sie bis fünf Uhr morgens mit Freunden an der Hotelbar gesessen hat. Sie nimmt<br />

sich an der Rezeption eine Dose Kokoswasser und lächelt, sie lächelt gequält, aber<br />

sie lächelt. Vielleicht liegt es ein wenig an Berlin, am Michelberger Hotel, in dem<br />

zahlreiche bekannte Musiker ein und ausgehen, dass Prominenz zur Nebensache<br />

wird. Aber es liegt auch an <strong>Neneh</strong> <strong>Cherry</strong> selbst. Zusammen mit ihrem Mann Cameron,<br />

Produzent des ersten Massive-Attack-Albums und von Portisheads Dummy,<br />

hat sie sich einem expliziten No-Celebrity-Engagement verschrieben, bei dem Prominenz<br />

nicht vor das eigentliche Thema gestellt werden soll. Anders als bei den so<br />

zahlreichen Charities, auf denen mittelmäßige Künstler ihre eigene Mittelmäßigkeit<br />

vor eine gute Sache stellen. So verliert sich soziales Engagement oftmals in einem<br />

Abhängigkeitssystem aufwändiger Dinner und Sektempfänge.<br />

„Cameron und ich wollen keine Celebrity Politics betreiben“, sagt <strong>Cherry</strong> im Taxi<br />

auf dem Weg zum Fototermin, „öffentlich engagieren wir uns vor allem für Bildung.<br />

Bildung und Information sind die Grundlage der Menschheit, man muss das so groß<br />

sagen. Es ist der Mangel an einer guten, ausgeglichenen und ehrlichen Bildung, welcher<br />

den Status Quo aufrechterhält, der – wie wir alle wissen – mangelhaft und<br />

unfair ist.“ <strong>Neneh</strong> <strong>Cherry</strong> ist im Geiste der Kollaboration aufgewachsen, ihr Stiefvater,<br />

der große Erneuerer des Jazz, Don <strong>Cherry</strong>, hat sie früh mit Miles Davis und<br />

Ornette Coleman bekannt gemacht. In Long Island City wohnte sie mit ihrer Familie<br />

in einem Haus mit den Talking Heads um David Byrne. Sie umgibt sich bis heute,<br />

gleich dem Vorbild Miles Davis, mit jüngeren Musikern, von denen sie lernen kann.<br />

„Meine Wurzeln, meine Sozialisation fordern mich immer wieder heraus, auf das<br />

musikalisch Unerwartete und Außergewöhnliche zu achten“, sagt <strong>Neneh</strong> <strong>Cherry</strong>, als<br />

wir in einem weitläufigen Treppenhaus in Berlin-Kreuzberg zum Studio hinauf laufen:<br />

„So hat mich Don (<strong>Cherry</strong>) erzogen.“ Und so sei auch ihr Mann Cameron „ein<br />

Soldat in vorderster Front, der ruhelos und notorisch nach dem Neuen, Anderen und<br />

dem Mehr sucht“. Als <strong>Neneh</strong> <strong>Cherry</strong> das schöne, helle Studio betritt, stellt sie sich<br />

jedem persönlich vor. Sie legt ihren Mantel ab, dreht sich zum Reporter und strahlt.<br />

<strong>Neneh</strong> <strong>Cherry</strong> ist erkältet, sie ist verkatert und müde, aber sie sieht toll aus und alles<br />

wird gut.<br />

<strong>Neneh</strong> <strong>Cherry</strong>s Album „Blank Project“ ist bereits Anfang des Jahres auf dem Label Smalltown Supersound<br />

(Rough Trade) erschienen. Am 22. November spielt sie zusammen mit Ben and Tom Page von „RocketNumberNine“<br />

als Headliner auf dem „Sonic City Festival“ in Kortrijk, Belgien.<br />

87


RUN<br />

AWAY<br />

GIRL<br />

Fotos Annelise Phillips<br />

Styling Ruth Higginbotham<br />

Haare & Make-up Ivan Mendoza at workgroup<br />

Fotoassistenz Adrian Hallauer<br />

Stylingassistenz Amii McIntosh<br />

Bildbearbeitung Michael Nieland<br />

88


Lederjacke Acne Studios<br />

Bluse Margeret Howell<br />

Rock Buffalo Exchange, Haight Street, San Francisco<br />

Socken Falke<br />

Sneaker New Balance<br />

90


91<br />

Lederjacke Acne Studios<br />

Bluse Margeret Howell


93<br />

Blazer Lanvin<br />

Shirt Margeret Howell<br />

Socken Falke


94<br />

Schlangenleder-Mantel Static Vintage, Haight Street, San Francisco<br />

Bluse Margeret Howell<br />

Jeans Levi‘s


95<br />

Jeansblazer Static Vintage, Haight Street, San Francisco<br />

Jeans Levi‘s


97<br />

Mantel Static Vintage<br />

Bluse Margeret Howell<br />

Jeans Levi‘s


98<br />

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Jumpsuit The 9 th St Haberdashery<br />

Sweater A.P.C.


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Fotos Jai Odell<br />

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Styling Britt Berger<br />

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Model Kelly Mittendorf at The Society Model Management<br />

Set Design Hans Maharawal<br />

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Haare Georgi Sandev<br />

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Make-Up Kayla MiChele at The Wall Group<br />

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Top & Rock Jean Paul Gaultier<br />

Socken Calvin Klein<br />

Sneaker Converse<br />

100


Jacke Stylists Own<br />

Jeans Marques‘ Almeida<br />

101


102


103<br />

Jacke Closed<br />

Hemd A.P.C.<br />

Jeans Closed<br />

Socken Calvin Klein<br />

Sneakers Converse<br />

Tasche Comme des Garçons<br />

von Dover Street Market, New York


104<br />

Jacke Denim Refinery<br />

Jeans BLK DNM<br />

Shirt Obesity and Speed<br />

Shorts Levi‘s<br />

Socken Calvin Klein


105<br />

Tunica Marques‘ Almeida<br />

T-Shirt Calvin Klein


106<br />

Rock getragen als Kleid Closed<br />

Vintage Sweater Sonia Rykiel<br />

Socken Calvin Klein<br />

Sneakers Converse


107<br />

Mantel N. Hollywood<br />

Shirt BLK DNM<br />

Jeans von B Sides von N°. 6 Store, New York<br />

Socken von Calvin Klein<br />

Sneakers von Converse


108<br />

Anzug und Einstecktuch Bottega Veneta<br />

Hemd Ermenegildo Zegna Couture<br />

Boots Alexander McQueen


FAUSTRECHT DER VERGANGENHEIT<br />

Fotos Neil Gavin<br />

Styling Tanja Martin<br />

Grooming Gary Gill for Emotive<br />

benutzt Produkte von Wella Professionals SP for men & MAC Pro<br />

Stylingassistenz Hollie Lacayo<br />

Model Miles Langford at FM London<br />

109


Hemd Prada<br />

Jackett Hermès<br />

Einstecktuch und Anstecker Budd Shirtmakers<br />

110


111<br />

Hemd Hardy Amies<br />

Pullover, Anzug & Krawatte Burberry Prorsum<br />

Einstecktuch Thomas Pink<br />

Anstecker Budd Shirtmakers<br />

Grün-weißer Anstecker Burberry Prorsum<br />

Gürtel Gieves & Hawkes


Hemd Ede & Ravenscroft<br />

Pullover Bosideng<br />

Jacke und Hose Thom Sweeney<br />

Krawatte Emma Willis<br />

Anstecker Budd Shirtmaker<br />

Vintage Einstecktuch Radio Days<br />

Schal Brunello Cucinelli<br />

112


113<br />

Anzug Dolce & Gabbana<br />

Hemd Gieves and Hawkes<br />

Krawatte Ermengildo Zegna Couture<br />

Schuhe Mr Hare<br />

Gürtel Brunello Cucinelli


Kleid Gaetano Navarra<br />

Schuhe The Kooples<br />

114


ILDFANG<br />

Fotos Julia Grossi<br />

Styling Sophia Costima<br />

Haare & Make-up Anna Neugebauer at Bigoudi<br />

mit Produkten von Chanel und Aveda<br />

Model Daria at modelwerk<br />

Fotoassistenz Christian Doppelgatz<br />

Bildretusche KNIV c/o Harling & Darsell<br />

115


Rock Simonetta Ravizza<br />

Schuhe The Kooples<br />

116


Body Stylist‘s own<br />

Mantel Simonetta Ravizza<br />

Schuhe Pierre Hardy<br />

117


118<br />

Kleid Byblos Milano<br />

Clutch Charlotte Olympia<br />

über mytheresa.com


119<br />

Top Stylist‘s own<br />

Rock Balmain über matchesfashion.com<br />

Schuhe Christian Louboutin


Pelzjacke Antik Batik<br />

Ohrringe Louis Vuitton<br />

Slip Elizabeth Hurley Beach<br />

Strümpfe Agent Provocateur<br />

Schuhe Christian Louboutin<br />

120


121<br />

Weste Dior<br />

Top Stylist‘s own<br />

Rock The Kooples


122


123<br />

Bluse Balmain über matchesfashion.com<br />

Rock Saint Laurent by Hedi Slimane über mytheresa.com<br />

Stiefel Casadei


124<br />

Rollkragen Uniqlo<br />

Jacke Miu Miu


RAVEN WING BEAT<br />

Fotos Maxyme G. Delisle<br />

Fotoassistenz Emmet Green<br />

Styling Ruth Higginbotham<br />

Stylingassistenz Amii McIntosh<br />

Haare Anna Chapman<br />

Make-Up Riona O’Sullivan<br />

Model Hannah Cassidy at Storm<br />

125


126<br />

Rollkragen Uniqlo<br />

Kleid Prada


Rollkragen Uniqlo<br />

Regenjacke Christopher Kane<br />

127


128<br />

Jacke Hugo Boss


Top Vintage<br />

Hose Louis Vuitton<br />

Schuhe Marni<br />

129


130<br />

Look Marni


Rollkragen Uniqlo<br />

Mantel Prada<br />

131


DER KÖRPER<br />

Von Lorenz Schröter<br />

Collage von Pinki Dornberger<br />

DIE NACKTE<br />

WAHRHEIT<br />

FRÜHER LEBTE DIE<br />

PROFESSORIN CAMILLE<br />

PAGLIA EINEN RADIKALEN<br />

AMAZONEN-FEMINISMUS,<br />

HEUTE FORDERT SIE FREIHEIT<br />

FÜR DAS LUSTPRINZIP. EIN<br />

GESPRÄCH ÜBER ZUR SCHAU<br />

GESTELLTE KÖRPER UND DIE<br />

MÄNNLICHE LUST.<br />

<strong>Fräulein</strong>: Junge Frauen werden in<br />

Werbeanzeigen oft erotisiert. In den<br />

80er- und 90er-Jahren gab es eine<br />

Riesendebatte darüber, dass Frauen<br />

auf diese Weise zu Sexobjekten degradiert<br />

würden. Ist das immer noch<br />

so oder würden Sie sagen, dass sich<br />

die Art und Weise, wie Männer Frauen<br />

sehen, auch geändert hat? Könnte<br />

man so weit gehen zu sagen, diese<br />

erotisierenden Anzeigen sind Teil der<br />

weiblichen Selbstermächtigung?<br />

Camille Paglia: Seit es Werbung gibt, also<br />

seit der industriellen Revolution, wusste<br />

man, dass hübsche, sexy Frauen direkt<br />

und ohne Umstände die Aufmerksamkeit<br />

von Männern und Frauen auf sich ziehen!<br />

Das belegt die magische Ausstrahlung<br />

von Frauen, nicht ihre Passivität oder Unterordnung.<br />

Wie für meinen Helden Andy<br />

Warhol ist moderne Werbung für mich<br />

Kunst. Ich lehne die ganze feministische<br />

Ideologie über Frauen und Sexobjekte als<br />

kurzsichtigen Puritanismus ab. Im Gegenteil,<br />

es ist eine wunderbare Eigenschaft<br />

unserer Spezies, dass sie aus Menschen<br />

Sexobjekte machen kann. Das sage ich<br />

schon in meinem Buch Sexual Personae.<br />

Nur durch diese Möglichkeit zur Abstraktion<br />

ist Philosophie und Kunst überhaupt<br />

möglich.<br />

Aus Männerperspektive ist die weibliche<br />

Schönheit überall und unvermeidlich:<br />

auf der Straße, im Fernsehen,<br />

in Zeitschriften, aber wo in<br />

unserer Gesellschaft ist der Ort für<br />

männliche Schönheit?<br />

Die Anbetung männlicher Schönheit<br />

geschieht ständig, etwa im Sport. Und<br />

durch die Kraft des TV hat diese Form<br />

der Anbetung den gesamten Planeten<br />

erfasst. Die überwiegende Mehrheit will<br />

Männer im Sport sehen, und zwar junge<br />

Männer auf dem Höhepunkt ihrer Perfektion.<br />

Das Interesse für Frauentennis, das<br />

es gibt, nimmt sich gegen die irren Zuschauermassen<br />

aus allen sozialen Gruppen,<br />

die die Fußballweltmeisterschaft gucken,<br />

verschwindend gering aus. Frauen<br />

mögen beklagen, dass sie an Status verlieren,<br />

je älter sie werden. Aber dasselbe<br />

grausame Gesetz trifft auch auf männliche<br />

Athleten zu, deren Kraft, Fähigkeiten<br />

und Sozialwert rapide versickert, wenn<br />

sie über 30 sind.<br />

Warum interessieren Sie sich eigentlich<br />

für Pornografisches, etwa für die<br />

Zeichnungen des Tom of Finland?<br />

Pornografie sagt uns die nackte Wahrheit<br />

über Sexualität. Pornos offenbaren<br />

unsere ursprüngliche Animalität, die wir<br />

hinter dem Schild der Zivilisation verbergen.<br />

Die Grenze zwischen Pornografie<br />

und Kunst ist ziemlich verwischt, zum<br />

Beispiel in Donatellos homoerotischer<br />

Bronzeskulptur David oder bei Michelangelos<br />

Sterbendem Sklaven, mit seiner<br />

sadomasochistischen Fesselung. Ich bewundere<br />

Tom of Finland, weil er so offen<br />

den Phallus anbetet und diese vorwitzige<br />

Schadenfreude in seinen Orgien durchkommt.<br />

Toms Welt ist ein Zyklon reinster<br />

Sex-Energie.<br />

Hardcore-Feministinnen in den<br />

80er- und 90er-Jahren haben Geschlechtsverkehr<br />

als gewaltsame<br />

Eroberung von Frauen abgewertet.<br />

Die Penetration befürwortende, lesbische<br />

Kritik an dieser Sichtweise<br />

wurde lange Zeit erfolgreich ignoriert.<br />

Aber was heißt es eigentlich<br />

für einen Mann, seinen sensibelsten<br />

Körperteil, den Penis, einer Frau und<br />

ihrer Lust zu überlassen?<br />

Dieser obsessive Männerhass ist einer<br />

der wesentlichen Gründe, der mich bereits<br />

in den späten 1960er-Jahren der<br />

Frauenbewegung entfremdet hat. Zu<br />

viele verletzte Frauen begriffen den Feminismus<br />

als neue Religion, als simples<br />

Dogma, mit dem sie ihr Unglücklichsein<br />

erklären konnten, das aus einer instabilen<br />

Kindheit herrührte. Die giftigste Antimännerhaltung<br />

kam damals von Andrea<br />

Dworkin, einer morbiden Hysterikerin,<br />

deren Einfluss mit dem Pro-Sex-Feminismus<br />

der 1990er-Jahre zum Glück verblasste.<br />

Außerdem fanden immer mehr<br />

lesbische Frauen Gefallen an Dildos und<br />

Sex-Toys, was auch die Feindseligkeit<br />

gegenüber der Penetration reduzierte.<br />

Die meisten Feministinnen haben nie<br />

verstanden, dass der Penis ein zerbrechliches<br />

Wesen ist und dass jedes Eindringen<br />

in eine Frau auch ein Risiko bedeutet.<br />

Die Literatur ist voll von albtraumhaften<br />

männlichen Visionen von Kastrationsangst<br />

und dem Identitätsverlust, der mit<br />

der zwangsweisen Rückkehr in die Gebärmutter<br />

einhergeht.<br />

Sie werden viel im Internet zitiert,<br />

manchmal nur sehr kurz, etwa:<br />

„Weibliche Genitalien sind grotesk.“<br />

Stimmt das?<br />

Von Oscar Wilde habe ich gelernt, wie<br />

man Epigramme formt – der scharfe, fein<br />

geschliffene eine Satz, in dem eine ganze<br />

Weltanschauung steckt. Deswegen bin<br />

ich eine der am meisten zitierten Autorinnen.<br />

Die Intellektuellen, die hundert Wörter<br />

brauchen, wo zehn reichen, belegen<br />

bloß ihre eigene Schwäche und Anmaßung.<br />

Ja, klar, weibliche Genitalien sind<br />

grotesk – das heißt, sie kommen aus der<br />

Urgrotte, der archaischen Höhle der Mutter<br />

Erde. Aber ich habe auch geschrieben,<br />

dass das gummiartige Baumeln männlicher<br />

Genitalien ulkig anmutet, wird es<br />

an gemessen künstlerischen Maßstäben<br />

gemessen. In Sexual Personae, übrigens<br />

inspiriert von der Nietzsche-Unterteilung<br />

ins Dionysische und Appolinische, stelle<br />

ich fest, dass die Zivilisation eine Reise<br />

ist, die aus einem dunklen, sumpfigen,<br />

urzeitlichen Terrain in das strenge Konturen<br />

zeichnende, scharfe und idealisierende<br />

Auge der Kunst führt.<br />

An anderer Stelle sagen Sie: „Männliche<br />

Lust erregt Frauen.“ Und was<br />

ist mit Männern, die von weiblicher<br />

Lust erregt werden, nicht unbedingt<br />

von Pornografie?<br />

Indem männliche Lust so gravierend verteufelt<br />

wurde, hat der Feminismus Frauen<br />

zu ihren eigenen Feindinnen gemacht.<br />

Aber es sind meistens weiße, berufstätige<br />

Mittelklassefrauen, die zum Opfer des<br />

feministischen Puritanismus wurden.<br />

Ich hingegen bin eine Gleiche-Chancen-für-alle-Feministin:<br />

das heißt, ich<br />

fordere die Abschaffung sämtlicher Karrierehindernisse<br />

für Frauen in Beruf und<br />

Politik. Trotz allem bestehen wir Menschen<br />

aus mehr als Arbeit. Emotionen<br />

und Instinkte bestimmen unser Privatleben.<br />

Männliche Lust gehört weder an den<br />

Arbeitsplatz, der mit dieser asexuellen,<br />

technologischen Neutralität behaftet ist,<br />

noch in öffentliche Bereiche wie Schulen<br />

oder Einkaufszentren. Aber es liegt doch<br />

im Interesse der Frauen, Männer und ihre<br />

Lust zu ermutigen, statt sie zu verspotten<br />

oder zu ersticken. Egal wie intensiv Frauen<br />

Lust verspüren, ihre Lust wird nie das<br />

männliche Level erreichen – Männer haben<br />

zehn Mal mehr Testosteron.<br />

Postfeminismus scheint das neue<br />

Ding in den Kulturwissenschaften zu<br />

sein: Was hat es in dem Zusammenhang<br />

mit sogenannten Körperpolitiken<br />

auf sich und wie würden Sie<br />

beides – Postfeminismus und Körperpolitiken<br />

– Ihren StudentInnen<br />

erklären?<br />

Postfeminismus ist ein völlig unsinniger<br />

Begriff, den ich ebenso wenig verwende<br />

wie den komplett langweiligen Jargon der<br />

Körperpolitiken. Feminismus ist wiederkehrend.<br />

Es gab drei wichtige Wellen der<br />

Frauenbewegung in den letzten 150 Jahren.<br />

Der organisierte Feminismus ist gerade<br />

nicht en vogue, die westlichen Frauen<br />

sind gut etabliert, haben Karrieren.<br />

Aber er wird wiederkommen, wenn die<br />

historischen Bedingungen es erfordern.<br />

Unser Hauptaugenmerk sollte jetzt darauf<br />

liegen, Frauen in der Dritten Welt und<br />

ihre Bemühungen für eine wirkungsvolle<br />

Bewegung zu unterstützen, etwa in Indien<br />

und im ländlichen Afrika, wo Frauen<br />

haarsträubenden Grausamkeiten ausgesetzt<br />

sind.<br />

Ganz allgemein: Was können westliche<br />

Männer aus Ihren Überlegungen<br />

zu Sexualität und Gender mitnehmen?<br />

Und gibt es Unterschiede, etwa<br />

nach Alter, sexueller Orientierung,<br />

soziokultureller Herkunft?<br />

Es gibt von Natur aus einen starken Sexualtrieb,<br />

der ursprünglich der Vermehrung<br />

dienen sollte. Aber was und wen<br />

wir sexuell anziehend finden, das richtet<br />

sich nach Laune und kulturellem Setting.<br />

Sex ist eine vertrackte Überschneidung<br />

von Natur und Kultur. Als denkende Wesen<br />

haben wir aber das Recht, sogar die<br />

Pflicht, den Naturgesetzen zu trotzen.<br />

Ich glaube, dass Heterosexualität, von<br />

Hormonen angetrieben, die überwiegende<br />

Norm ist. Norm ist ein sinnvoller<br />

Begriff, der zu Unrecht von den relativistischen<br />

Poststrukturalisten abgelehnt<br />

wird. Trotzdem denke ich, dass jeder und<br />

jede potentiell bisexuell ist. Das hängt von<br />

Situation und Gelegenheit ab. Ich glaube<br />

aber nicht, dass irgendjemand schwul<br />

geboren wird, sondern eher, dass Homosexualität<br />

etwas Angenommenes ist,<br />

hervorgerufen von anderen angeborenen<br />

Eigenschaften, die mit sozialem Druck<br />

kollidieren. Ich fordere die Freiheit für<br />

das Lustprinzip, aber ebenso die Rückkehr<br />

zu gegenseitigem Respekt in sexuellen<br />

Beziehungen. Männer dürfen Frauen<br />

nicht missbrauchen und Frauen müssen<br />

aufhören, von Männern weibliches Verhalten<br />

zu fordern. Je mehr sich Männer<br />

ändern, um Frauen zu gefallen, umso<br />

weniger werden die Frauen diese Männer<br />

wollen.<br />

Camille Paglia ist Professorin an der University<br />

of the Arts in Philadelphia. Sie schreibt über<br />

Hitchcock, Schwulenpornos, Nofretete und Madonna.<br />

Mit dem Mainstream-Feminismus und<br />

dem Strukturalismus legt sie sich regelmäßig<br />

an. Ihr Buch „Sexual Personae“ (Deutsch: Die<br />

Masken der Sexualität) war ein Bestseller.<br />

132


133


SO STELL’ ICH MIR DIE LIEBE VOR<br />

Von Robert Grunenberg<br />

Foto von Bettina Rheims aus der Serie „Rose – c’est Paris“<br />

134


„ICH HABE<br />

IMMER DIE<br />

SORGE,<br />

VERLASSEN<br />

ZU WERDEN“<br />

DIE LIEBE SEI IMMER AUCH EIN KAMPF, EINE „DELIKATE<br />

BALANCE AUS NÄHE UND DISTANZ“, SAGT BETTINA RHEIMS.<br />

TROTZ IHRER VERLUSTÄNGSTE WÜRDE SIE NIE DARAUF<br />

VERZICHTEN. EINE BEICHTE.<br />

135<br />

Es klingt wie ein Klischee, aber ich<br />

könnte mir ein Leben ohne Liebe nicht<br />

vorstellen. Liebe ist das, was mich morgens<br />

aus dem Bett treibt. Liebe ist mein<br />

Motor, der mich und meine Arbeit voranbringt.<br />

Sie bedeutet für mich, das Leben<br />

mit anderen zu teilen. Mit meiner Arbeit<br />

möchte ich Menschen, die ich liebe, stolz<br />

auf mich machen. Das ging mir schon bei<br />

meinem Vater so.<br />

Dabei hatte ich eine merkwürdige Kindheit<br />

und eine ungewöhnliche Ausbildung.<br />

Das war in den 50er- und 60er-Jahren. Ich<br />

wuchs in den privilegierten Verhältnissen<br />

der französischen Oberschicht nahe Paris<br />

auf. Um uns Kinder kümmerte sich eine<br />

Nanny, denn es gab nicht viel Liebe in unserer<br />

Familie. Oder besser, meine Eltern<br />

waren nicht in der Lage, Liebe zu zeigen.<br />

Sie hatten keine Zeit, sie waren ständig<br />

beschäftigt; mit der Arbeit, mit sozialen<br />

Anlässen, sich mit ihren Freunden zu<br />

treffen. Wir Kinder kamen zu kurz. Meine<br />

Lebensrealität ist heute ganz anders. Liebe<br />

ist überall um mich herum, auch wenn<br />

mich ihre Symbole nicht interessieren.<br />

Ich vergesse immer wieder Geburtstage,<br />

der Valentinstag ist mir egal. Liebe ist<br />

etwas, das tiefer sitzt. Für mich bedeutet<br />

sie, für seine Nächsten da zu sein, wenn<br />

diese einen brauchen.<br />

Ich liebe verschiedene Arten der Liebe:<br />

Ich liebe meinen Sohn, meinen Mann,<br />

mein Enkelkind. Ich gebe Liebe an die<br />

Leute, die ich fotografiere. Auch wenn<br />

nur für ein paar Stunden auf einem Fotoshoot.<br />

Deshalb bekomme ich so viel<br />

von meinen Modellen zurückgeschenkt.<br />

Das ist wie eine kurze, intensive Liebesaffäre<br />

zwischen uns. Ich kann gar nicht<br />

anders. Darum habe ich alle kommerzielle<br />

Arbeit schon vor Jahren aufgegeben.<br />

Seine Modelle zu lieben birgt natürlich<br />

auch die Gefahr, dass man sich gehen<br />

lässt, weil man dem Gegenüber schmeicheln,<br />

es erfreuen will. Am Ende hat man<br />

nicht das Foto, das man haben wollte. Es<br />

ist ein schmaler Grat, denn ich arbeite<br />

bestimmt und zielgerichtet. Zusammenarbeit<br />

ist so immer auch ein Kampf. Bei<br />

der Liebe kommt es überhaupt zu einer<br />

delikaten Balance aus Nähe und Distanz.<br />

Die französisch-bulgarische Philosophin<br />

Julia Kristeva hat diese wundervolle Beziehung<br />

mit dem Autor und Kritiker Philippe<br />

Sollers. Sie sind ein vertrautes Paar,<br />

leben aber getrennt.<br />

Ich selbst besitze keinen Diamantring.<br />

Trotzdem glaube ich an die Ehe. Ich habe<br />

mehrfach geheiratet. Ich mag es, geheiratet<br />

zu werden. Das kommt wahrscheinlich<br />

von meiner Kindheit her. Ich habe<br />

immer die Sorge, verlassen zu werden.<br />

Zwar brauche ich auch Freiheit in einer<br />

Beziehung. Doch diese ist in meinem<br />

Kopf. Ich mag nicht ohne meinen Partner<br />

leben. Ich liebe den Alltag, liebe es, neben<br />

jemandem aufzuwachen, die Zahnbürste<br />

zu teilen. Als Künstlerin habe ich schon<br />

in meiner Arbeit das Privileg, frei zu sein,<br />

Nein zu sagen. Nein zu einer Person, nein<br />

zu Dingen, die ich nicht tun möchte. Das<br />

ist die ultimative Freiheit. Beim Verlieben<br />

aber verliert man auch mal die Selbstbestimmung,<br />

man ist seinen Gefühle<br />

ergeben. Das passiert bei mir in Bruchteilen<br />

einer Sekunde. Jemand kommt in<br />

den Raum und plötzlich kann ich nicht<br />

mehr atmen. Ich verhalte mich dann total<br />

albern. Es ist schon seltsam, warum verliebt<br />

man sich? Es kommt oft vor, dass ich<br />

mich in Stimmen verliebe, in die Art, wie<br />

jemand spricht, die Worte. Ich bin sehr<br />

sensibel, was Sprache angeht. Ich schätze<br />

Worte mehr als alles andere in der Welt,<br />

sogar mehr als Bilder.<br />

Ich liebe Geschichten und Bücher. Ein<br />

Buch, das ich immer wieder lese, ist<br />

Die Schöne des Herren von Albert Cohen.<br />

Wenngleich die Liebesgeschichte tragisch<br />

endet. Mir wurde selbst einmal das<br />

Herz gebrochen. Er war ein Schriftsteller.<br />

Ich verliebte mich sofort, seine Texte<br />

waren virtuos. Für drei Jahre hatte ich<br />

Liebeskummer. Das war das einzige Mal,<br />

dass mir jemand das Herz brach. Normalerweise<br />

breche ich es anderen. Liebeskummer<br />

und Eifersucht sind menschlich.<br />

Sie sind plötzlich da und man muss<br />

damit umgehen. Ich glaube niemandem,<br />

wenn er sagt, oh nein, ich bin gar nicht<br />

eifersüchtig. Natürlich bin ich eifersüchtig.<br />

Man muss irgendwie damit umgehen.<br />

Man kann sich nicht auf den Boden<br />

werfen und schreien wie ein Kind. Mit<br />

meinen 60 Jahren fühle ich mich inzwischen<br />

selbstsicher. Ich weiß, was ich will<br />

und was ich geben kann. Zudem glaube<br />

ich an Vertrauen. Ich habe noch nie die<br />

Leben meiner Partner überwacht, um<br />

zu kontrollieren, ob jemand fremdgeht.<br />

Mein Partner fragt mich nicht, was ich<br />

tagsüber gemacht habe, und ich frage ihn<br />

nicht. Und das ist gut so.<br />

Bettina Rheims‘ Fotografien weiblicher Akte waren<br />

stilbildend. 1994 wurde ihr der „Grand Prix<br />

de la Photographie“ verliehen. Aufgewachsen<br />

in einer großbürgerlichen Pariser Familie, ist<br />

Rheims mittlerweile in vierter Ehe mit dem Anwalt<br />

Jean-Michel Darrois liiert.


LEBENDKONTROLLE<br />

FRAUEN EROBERN DIE GEFÄNGNISSE, OB FREIWILLIG<br />

ODER UNFREIWILLIG. ES GIBT IMMER MEHR WEIBLICHE<br />

GEFANGENE UND BEAMTINNEN – EINE REIHE PERSÖNLICHER<br />

BEGEGNUNGEN.<br />

Von Maja Hoock<br />

Fotos von Fabian Vaccaro<br />

Eine Gefangene bügelt in der Wäscherei (o.l.);<br />

Wegen der Gitter zwischen jeder Etage kommt man nicht weit (o.r.);<br />

Eine neue Insassin wird in die Viererzelle gebracht (u.l.);<br />

Dieser Häftling näht für die Schneiderei Babybettwäsche (u.r.)<br />

136


Seit Orange is the New Black muss<br />

ich jedes Mal, wenn ich eine Zahnbürste<br />

in der Hand halte, daran denken, dass sie<br />

angespitzt auch eine Waffe sein kann. Das<br />

Gefängnis ist in den Alltag gewandert, erst<br />

jetzt, mit dieser amerikanischen Internet-Serie,<br />

die das tägliche Leben im Frauenknast<br />

zeigt. Dabei hat es schon immer<br />

eine Rolle in meinem Leben gespielt: Meine<br />

Mutter ist Gefängnispsychologin für<br />

Frauen und Männer. Weil sie mit Schlägern<br />

im Anti-Gewalt-Training übt nicht<br />

handgreiflich zu werden, steht sie den<br />

Menschen skeptischer gegenüber, als andere.<br />

Sie wurde schon per Post belästigt;<br />

jetzt steht sie nicht mehr im Telefonbuch.<br />

Wenn man mit seinen Stellungnahmen<br />

mit darüber berät, ob jemand vorzeitig<br />

entlassen wird oder Lockerungen bekommt,<br />

wird man angreifbar. Jetzt gibt es<br />

also diese Serie. Und erst dadurch kommt<br />

es zu meinem ersten wirklichen Besuch<br />

im Gefängnis. Dass ihr Büro vergittert ist,<br />

erschreckt mich ein wenig. Es liegt direkt<br />

neben dem Bunker, einer Zelle ohne gefährliche<br />

Gegenstände. Das Büro ist dunkel,<br />

aber mit Bildern dekoriert und ich finde<br />

eine alte Muttertagskarte. Hier spricht<br />

sie mit Leuten, die Gewaltverbrechen begangen<br />

haben, Einbrüche oder Diebstähle,<br />

und die kennen jetzt also meine gelbe<br />

Karte. Das Gefängnis in Nürnberg wurde<br />

1865 gebaut und hat eine bewegte Geschichte,<br />

hier waren zu Zeiten der Nürnberger<br />

Prozesse Nazigrößen inhaftiert.<br />

Der Zellentrakt, in dem sich Hermann<br />

Göring erhängte, ist heute ein Durchgangsflur<br />

zwischen Männer- und Frauengefängnis.<br />

Hier wurden Filme wie Speer<br />

und Er, Bandits, Gier und einige Nazifilme<br />

gedreht. Über das unterirdische Gespinst<br />

aus Gängen kommt man von Trakt zu<br />

Trakt; hier hängen Schilder, an denen sich<br />

jeden Morgen die Arbeiter treffen, die zu<br />

Buchbinderei, Schlosserei und Schneiderei<br />

geführt werden. Alle paar Stunden<br />

ziehen Gefangene laut redend in Kolonnen<br />

vorbei. Insgesamt sitzen auf acht<br />

Hektar über 1.000 Gefangene, davon rund<br />

70 Frauen. Fünf Häuser sind alphabetisch<br />

angeordnet von A bis E; Untersuchungshaft,<br />

Jugendarrest, Frauentrakt und vier<br />

Männerhäuser. Nach jedem Gang muss<br />

eine vergitterte Türe auf- und wieder abgeschlossen<br />

werden. Die, die immer wieder<br />

gewalttätig werden, absolvieren in der<br />

Regel das Anti-Gewalt-Training meiner<br />

Mutter. Zehn Männer kommen einmal<br />

in der Woche zu ihr und sprechen über<br />

ihre Verbrechen, reden mit Opfern und<br />

machen Rollenspiele, um in schwierigen<br />

Situationen nicht mehr brutal, sondern<br />

angemessen reagieren zu können. Peter<br />

Henn* ist ein Teilnehmer des Anti- Gewalt-Trainings.<br />

Der 23-Jährige ist Boxer,<br />

wurde immer wieder von seinem Vater<br />

geschlagen und gab die Gewalt an dritte<br />

weiter. Er saß das erste Mal im Gefängnis,<br />

weil er alleine eine Gruppe von fünf Männern<br />

krankenhausreif geschlagen hat. Bei<br />

meiner Mutter ist er ganz zahm.<br />

Astrid Kerkhoff: Wenn man die Gefangenen<br />

wie Herrn Henn hier in dem Kontext<br />

trifft, sind sie meistens ruhig und nett.<br />

Man kann sich manchmal nicht vorstellen,<br />

dass sie diese Straftaten begangen<br />

haben. Das liegt oft daran, dass sie hier<br />

nüchtern sind und draußen oft auf Drogen<br />

oder Alkohol und ständigen Frustrationen<br />

ausgesetzt sind, die sich in Gewalt entladen.<br />

Hier wird ihnen viel abgenommen,<br />

wie Angelegenheiten mit Behörden, Job<br />

oder Wohnung. Dadurch, dass sie nüchtern<br />

sind, machen sie sich viele Gedanken.<br />

Peter Henn: Einem Psychologen würde ich<br />

nie diese ganzen Dinge erzählen. Bei Frau<br />

Kerkhoff habe ich einiges mitgenommen.<br />

Ich habe früher Kampfsport gemacht und<br />

auch in der Freizeit Herausforderungen<br />

gesucht. Ein kleiner Streit hat gereicht,<br />

dass ich ausgerastet bin. Dann habe ich<br />

für die Hell‘s Angels gearbeitet und einige<br />

schlimme Sachen gemacht. Damit bin ich<br />

durch. Ich habe eine Firma gegründet und<br />

bin straffrei, gerade bin ich nur wegen einer<br />

Formsache hier.<br />

Merkt man es den Leuten eigentlich<br />

irgendwie an, dass sie Gewalttäter<br />

sind?<br />

A.K.: Nein, überhaupt nicht. Niemand<br />

wirkt besonders brutal. Es könnte jeder<br />

sein.<br />

<strong>Fräulein</strong>: Hast Du Angst bei Deinem<br />

Job?<br />

A.K.: Nein, weil die Männer sich meistens<br />

nicht gegen Frauen so verhalten. In den<br />

meisten Fällen suchen sie sich niemanden,<br />

den sie als unterlegen betrachten.<br />

Und wenn einer mal ausflippt, würden einem<br />

die anderen neun der Gruppe helfen.<br />

Wenn ich Abends weggehe hast du<br />

aber abends schon eher Angst als andere<br />

Eltern. Ich musste Dich ständig<br />

anrufen.<br />

A.K.: Im Unterbewussten hinterlässt es<br />

vielleicht schon Spuren, hier zu arbeiten.<br />

Der Weg zur Schneiderei im Männergefängnis<br />

scheint nicht enden zu wollen.<br />

Doch dort angekommen löst sich die<br />

drückende Stimmung, die Luft ist frisch,<br />

es läuft Klassikradio und die Insassen arbeiten<br />

ruhig an ihren Nähmaschinen. Das<br />

Besondere ist, dass die sechs Gewalttäter<br />

und Diebe hier für eine Frau Babysachen<br />

nähen. Ulla Mörtel-Then ist eine der wenigen<br />

weiblichen Betriebsleiter in einem<br />

Männerknast und arbeitet seit fast 20<br />

Jahren hier, macht Modenschauen und<br />

Haft-Couture.<br />

War es nicht ungewohnt, so allein unter<br />

Männern zu arbeiten?<br />

Ulla Mörtel-Then: Es war schon merkwürdig.<br />

Ich dachte bis zu diesem Zeitpunkt<br />

immer, dass es schwieriger ist, mit Frauen<br />

zu arbeiten, musste meine Meinung aber<br />

grundlegend revidieren. Ich war eine der<br />

ersten Frauen im männlichen Werkdienst<br />

und die Männer waren einfach nicht darauf<br />

vorbereitet. Sie konnten es sich nicht<br />

vorstellen mit einer Frau im Vollzug. Ja, es<br />

war damals für mich wie der Einbruch ins<br />

tiefste Mittelalter.<br />

Überraschen die Häftlinge Sie auch?<br />

137


Oh ja, oft sind sie auch von sich selber<br />

überrascht. Die meisten kommen in meinen<br />

Betrieb, weil sie wissen, dass das<br />

Arbeitsklima passt. Mit Nähen haben sie<br />

nichts am Hut. Dann stellen sie plötzlich<br />

fest, dass sie total kreativ sind. Andere<br />

wiederum glauben, kreativ zu sein, haben<br />

aber die volle Hirnblockade, wenn es darum<br />

geht, wirklich mal einen Gedanken zu<br />

fassen.<br />

Wer hat sie zuletzt überrascht?<br />

Der Gefangene, mit dem ich zuletzt an<br />

einem Brautkleid genäht habe. Er konnte<br />

sich das nicht vorstellen und war frustriert<br />

bei der Arbeit. Jetzt, da es fertig ist,<br />

findet er es richtig cool. Er hätte ja nicht<br />

gedacht, dass das gut aussieht. Da ist<br />

diese Erfahrung, mal etwas Schönes zu<br />

machen, nicht immer nur der Trottel sein,<br />

der stört.<br />

Ulla Mörtel-Then in<br />

ihrer Schneiderei im<br />

Männertrakt der JVA<br />

(o.l.); Eine Gefangene<br />

raucht auf dem Flur<br />

(u.l.); Marta Haller*<br />

ist mit fast 70 eine der<br />

vielen älteren Frauen,<br />

die spät kriminell<br />

werden (r.);<br />

Wenn in der Viererzelle<br />

die Tür zugeht, ist es<br />

wie ein Stoß in den<br />

Magen. (nächste Seite)<br />

Der Mann, der das Brautkleid genäht hat,<br />

heißt Martin Schneider*, ist 36, gelernter<br />

Stuckateur und sitzt schon das fünfte Mal<br />

im Gefängnis. Dieses Mal ist er seit 20<br />

Monaten wegen Einbruch, Diebstahl und<br />

Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz<br />

in Haft. Er hat noch sieben Monate<br />

vor sich, hat tätowierte Unterarme, wie<br />

alle hier sehr blasse, ungesunde Haut und<br />

trägt die blaue Uniform der Männer.<br />

Woran arbeiten Sie gerade?<br />

Martin Schneider.: An Wickelauflagen<br />

und Babybettwäsche.<br />

Wie ist es für Sie, wenn Sie solche<br />

Dinge für Familien draußen herstellen?<br />

Am Anfang, als ich das erste mal im<br />

Knast war, ist mir das oft durch den Kopf<br />

gegangen. Ich habe am Bau mit Firmen<br />

gearbeitet, die von draußen reinkamen.<br />

Ich war 40 Monate inhaftiert, klar dachte<br />

ich oft daran, dass die Leute Abends wieder<br />

gehen können und ein Leben haben.<br />

Beim zweiten Mal war es schon weniger<br />

schlimm, beim dritten gar kein Problem<br />

mehr, jetzt ist es das fünfte Mal.<br />

138


139


140


Können Sie sich an Ihren allerersten<br />

Tag erinnern?<br />

M.S.: Lebhaft. Ja. Wenn die Zellentüre zugeht,<br />

ist das Gefühl ziemlich heftig. Man<br />

kann sich bis dahin nicht vorstellen, dass<br />

die wirkliche Strafe im Gefängnis der Freiheitsentzug<br />

ist. Man kann nicht mehr machen,<br />

was man will. Man kann nirgends<br />

mehr hin und ist darauf angewiesen, dass<br />

jemand die Türe aufsperrt, um aus dem<br />

Raum zu können. Das ist eine Katastrophe.<br />

Sich am Anfang reinzufinden und<br />

das ganze Theater mitzumachen, diesen<br />

ganzen aufgezwungenen Tagesablauf ...<br />

Wie lange dauert es, bis das nachlässt?<br />

M.S.: Drei bis vier Monate. Danach zählt<br />

man keine Tage mehr und zählt weder<br />

vorwärts noch rückwärts. Dadurch, dass<br />

jeder Tag gleich ist, verliert man das Zeitgefühl<br />

und kann nicht sagen, ob ein Ereignis<br />

eine Woche zurück liegt, zwei Wochen<br />

oder einen Monat. Es gibt keine Anhaltspunkte,<br />

als würde man durch eine Wüste<br />

laufen.<br />

Aus der Schneiderei gehen wir in das<br />

Haus gegenüber. Wieder geht es durch<br />

einen unterirdischen Flur, dann über den<br />

eingezäunten Hof. Dabei rufen und pfeifen<br />

die Gefangenen aus ihren vergitterten<br />

Fenstern. Auf dem Weg begleitet einen<br />

ein permanentes schlechtes Gewissen,<br />

dass man hier am Ende des Tages wieder<br />

raus darf, während die anderen bleiben<br />

müssen. Das Gebäude, in dem die Frauen<br />

untergebracht sind, ist innen in Pastellfarben<br />

gestrichen; die Türe zur Wäscherei<br />

steht offen. Eine drogensüchtige junge<br />

Frau belädt den Trockner mit Gefängnisbettwäsche.<br />

Ihre Beine und der Hals<br />

sind schwarz von den Einstichen. Arbeit<br />

lenkt sie ab; von 70 Frauen, die hier einsitzen,<br />

gibt es aber nur Jobs für zehn. Man<br />

muss sich wie im normalen Leben auf die<br />

Stellen bewerben. Wenn man Pech hat,<br />

sitzt man den ganzen Tag auf der Zelle,<br />

die hier Haftraum genannt wird. Der Tag<br />

sieht dann immer gleich aus. Um sechs<br />

Uhr morgens gibt es die „Lebendkontrolle“,<br />

bei der man sich aufrecht ins Bett<br />

setzen muss, damit die Wärter prüfen,<br />

ob man lebt. Dann werden Medikamente<br />

und Post ausgeteilt, nach dem Frühstück<br />

folgen ein paar Stunden in der Zelle, eine<br />

Stunde Hofgang und ein paar Stunden,<br />

die man in den Fluren verbringen kann.<br />

Die Essen geben den Tagesrhythmus vor<br />

wie im Krankenhaus. Am Wochenende<br />

gibt es schon um drei Uhr Abendessen.<br />

Samstags isst man hier grundsätzlich<br />

Eintopf, am Sonntag Braten und unter<br />

der Woche alles mögliche, aber es soll<br />

immer schrecklich sein. Abends schauen<br />

die Häftlinge fern oder spielen Brettspiele.<br />

Dreimal die Woche ist Besuchszeit. Und<br />

an manchen Tagen kann man zum Arzt<br />

oder zur Psychologin. Das ist das Highlight<br />

der Woche, weil es Abwechslung ist.<br />

Darum grüßen die Frauen meine Mutter<br />

auch, als wir vorbeigehen. Sie wollen einen<br />

Termin. Das geht jetzt aber nicht,<br />

denn sie führt mich zur Insassin Nina<br />

Pauly*. Die 29-Jährige hat hüftlanges Haar,<br />

ist blass und trägt einen braunen Haftanzug,<br />

ganz wie Piper Chapman in der Serie<br />

Orange is the new Black. Auch sie sitzt<br />

wegen Drogen ein.<br />

Sind Sie alleine auf der Zelle?<br />

Nina Pauly: Nein, es ist eine Viererzelle.<br />

Ein Mädchen kenne ich schon lange von<br />

draußen, das ist cool. Bei den Männern<br />

sind es noch mehr; beim Arztbesuch und<br />

der Methadon-Ausgabe sieht man einige<br />

bekannte Gesichter.<br />

Warum sind Sie hier?<br />

Ich hatte zwei Geldstrafen über mehrere<br />

tausend Euro wegen Diebstahl, unerlaubtem<br />

Waffenbesitz, Einbruch in eine<br />

Apotheke und Schwarzfahren. Außerdem<br />

habe ich Chrystal Meth aus Tschechien<br />

geschmuggelt und meine Bewährung<br />

wurde verlängert. Ich habe monatliche<br />

Raten gezahlt, dann wurde ich am Bahnhof<br />

verhaftet, weil das Geld nicht mehr<br />

eingegangen ist.<br />

Eine Beamtin schließt die hellblaue Türe<br />

einer Vierer-Zelle auf. Die Betten stehen<br />

an der Wand, in der Mitte ein Tisch, an<br />

dem eine blonde Frau Briefe schreibt. Sie<br />

wurde erst heute eingesperrt und fährt<br />

sich ständig durch die Haare. Auf dem<br />

Bett sitzt eine Frau mit pinkfarbenem<br />

Zopf und abrasierten Seiten. Alle sind<br />

jung und nach kurzer Zeit könnte man<br />

vergessen, dass sich hier keine Freundinnen<br />

zum Kaffee getroffen haben, sondern<br />

dass die vier wegen Einbruch und Drogendelikten<br />

mehrere Monate in diesem<br />

Zimmer verbringen müssen. Im Regal<br />

steht ein Stapel Margarinepackungen von<br />

den Entlassenen, die sie nicht mehr brauchen.<br />

Man nimmt, was man bekommen<br />

kann, um es einzutauschen gegen Zigaretten<br />

oder Kaffee. Als wir die Zelle wieder<br />

von außen schließen, bleibt ein seltsames<br />

Gefühl. Jetzt sind diese Frauen hinter der<br />

Türe und müssen warten, dass sie wieder<br />

aufgesperrt wird, um ein paar Schritte gehen<br />

zu können.<br />

Über vorzeitige Hafterleichterungen,<br />

Ausgang und Urlaub, Besuch oder Disziplinarverfahren<br />

entscheidet im Gefängnis<br />

die Abteilungsleiterin. Tanja Oberndörfer<br />

ist Juristin und seit 2007 Abteilungsleiterin<br />

des Männer-Traktes. Die 37-Jährige<br />

sagt, früher sei es eine absolute Ausnahme<br />

gewesen, dass jüngere Frauen ein<br />

Männergefängnis führen. Heute würden<br />

es immer mehr.<br />

Inwiefern unterscheidet sich das<br />

Frauen- vom Männer-Gefängnis?<br />

Tanja Oberndörfer: In den Anliegen und<br />

in der Art der Kommunikation. Frauen<br />

haben einen größeren Gesprächsbedarf<br />

und sind in ihren Anliegen oft intensiver.<br />

Das macht die Arbeit mit ihnen oft emotional<br />

sehr anstrengend, das kann auch<br />

auslaugen. Trotzdem habe ich die Arbeit<br />

mit Frauen stets als sehr angenehm empfunden,<br />

schließlich bin ich selbst eine und<br />

damit den weiblichen Inhaftierten näher<br />

als einem männlichen Gefangenen.<br />

Haben die meisten Gefangenen ihr<br />

Leben lang einem bestimmten Milieu<br />

verbracht?<br />

Ja, aber nicht zwingend. Immer wieder<br />

gibt es auch Leute, die waren bis weit<br />

hoch ins Rentenalter völlig unbescholtene<br />

Bürger. Dann kommt ein Schicksalsschlag<br />

und sie geraten auf einmal auf die schiefe<br />

Bahn.<br />

Marta Haller* ist so eine Gefangene. Ihr<br />

ist langweilig. Sie sitzt in einer Einzelzelle,<br />

drei Quadratmeter, ein Bett, ein Tisch,<br />

ein Klo. Sie gehört zu den berühmten<br />

„älteren Ersttäterinnen“. Immer mehr<br />

Frauen werden mit der Rente kriminell,<br />

weil ihre Ehemänner, die in ihrer Generation<br />

oft das Geld nach Hause gebracht<br />

haben, gestorben sind und zu wenig Geld<br />

reinkommt, um einigermaßen gut davon<br />

Leben zu können. Außerdem sind die Alten<br />

immer länger fit. Marta Haller ist fast<br />

70 Jahre alt, war für eine Zeitung tätig und<br />

hat sich nie etwas zu Schulden kommen<br />

lassen, bis das Geld plötzlich nicht mehr<br />

gereicht hat, um Futter für ihre Haustiere<br />

zu kaufen. Darum hat sie kurzentschlossen<br />

angefangen, Handtaschen zu klauen,<br />

Computerbetrug zu begehen und in Wohnungen<br />

einzubrechen.<br />

Marta Haller: Ich hoffe nur, meine Familie<br />

findet eine Unterkunft für die Tiere, sie<br />

sind doch mein ein und alles.<br />

Wie lange sind Sie noch hier?<br />

Ich habe vier Jahre bekommen, mein Anwalt<br />

sagt aber, bei guter Führung komme<br />

ich nach zweien raus. Ich bin aber nicht<br />

mehr lange in diesem Gefängnis, sondern<br />

werde verlegt.<br />

Haben Sie Angst davor?<br />

Nein, ich freue mich. Dort wird viel mehr<br />

angeboten, es gibt Sport- und Kunstgruppen.<br />

Hier bin ich den ganzen Tag in dieser<br />

kleinen Zelle. Ich kann bald nicht mehr.<br />

Wirklich.<br />

*Namen geändert<br />

Die kompletten Interviews und die ganze Bildstrecke<br />

gibt es auf <strong>Fräulein</strong>-Online.<br />

Die Gefangenen werden aus persönlichkeits-rechtlichen<br />

Gründen von hinten gezeigt.<br />

141


FASHION<br />

Von Robert Grunenberg, Fotos von Kristiina Wilson, Styling von Bernat Buscato<br />

Stylingassistenz von Dawn Jackson, Haare & Make-up von Carmen Williamson<br />

VOM BLOG ZUM<br />

AMBER VENZ BOX‘ START-UP<br />

REWARDSTYLE MISCHT DIE<br />

MODEWELT AUF. ZWISCHEN<br />

MAGAZINEN, KUNDEN UND<br />

MARKEN VERMITTELND<br />

VERDIENT SIE MILLIONEN.<br />

WIE GEHT DAS?<br />

Die märchenhafte Erfolgsgeschichte<br />

der Amber Venz Box beginnt in Dallas,<br />

Texas. Der Lone Star State im Süden der<br />

USA ist bekannt für seine Ölmillionäre,<br />

Megakirchen und Rodeoreiter. „Unabhängigkeit<br />

und finanzielle Verantwortung<br />

sind wichtige Werte für Texaner“, sagt<br />

Amber, Tochter einer Stewardess und eines<br />

Versicherungsberaters. „Texas könnte<br />

sich ohne weiteres aus dem Staatenbund<br />

lösen, dafür reicht ein Brief an den Präsidenten“,<br />

fügt die 26-Jährige hinzu. Dieser<br />

Unabhängigkeitsgedanke inspirierte<br />

die junge Unternehmerin, selbstverantwortlich<br />

zu arbeiten. „Als Kind war ich<br />

schüchtern, doch meine Mutter gab mir<br />

Selbstvertrauen, in dem sie mir sagte‚<br />

stille Wasser sind tief ’. Ich musste nicht<br />

die Lauteste oder Beliebteste sein“. Sie<br />

konzentrierte sich auf ihre Interessen.<br />

Kenntnisse und Fähigkeiten waren für<br />

sie wertvoller als sozialer Erfolg. „Ich arbeitete<br />

konstant während des Colleges,<br />

auch im Sommer, erfüllte keine sozialen<br />

Erwartungen. Mein Erfolg von heute<br />

zeigt, dass das für mich ein besseres Investment<br />

war, als Popularität. Meine Eltern<br />

haben mir die soziale Angst genommen,<br />

die Menschen davon abhalten kann,<br />

ihre Träume zu verfolgen.“<br />

Ihre Ziele steckte sich Amber früh. Mit 19<br />

legte sie ihren Eltern einen Karriereplan<br />

auf den Küchentisch. Sie machte Praktika<br />

in Kalifornien als Stylingassistenz, ging<br />

zum Online-Shop Thakoon in New York<br />

und arbeite während des Studiums als<br />

Einkäuferin einer Boutique, in der wohlhabende<br />

Frauen beim Shoppen ihr Geld<br />

ließen – und davon gibt es viele in Dallas.<br />

„Frauen aus Dallas putzen sich gerne<br />

heraus, kleiden sich schick – ihr Haar,<br />

ihr Make-up ist immer gemacht.“ verrät<br />

Amber, die selbst eine perfekte Föhnfrisur<br />

trägt. Das Luxuskaufhaus Neiman<br />

Marcus kommt aus Dallas, deshalb reisen<br />

immer wieder bekannte Modedesigner in<br />

die Stadt. Als Karl Lagerfeld Ende 2013<br />

zu Ehren des Kaufhauses eine exklusive<br />

Chanel-Schau nach Dallas brachte, ist ein<br />

regelrechter Texas-Hype in der trendvernarrten<br />

Modewelt zu spüren.<br />

Auch Amber Venz heizt diesen Kurs an.<br />

Top und Rock Marni<br />

Sonnenbrille Dolce & Gabbana<br />

Schuhe Fendi<br />

142


MILLIONENGESCHÄFT<br />

143


Cape Burberry Prorsum über theoutnet.com<br />

Ringe Model‘s own<br />

Armband Cartier<br />

144


„WIE BITTE VERDIENT MAN GELD MIT EINEM BLOG?“<br />

Gleichzeitig bringt sie ein bisschen Silicon-Valley-Stimmung in die Region, allerdings<br />

ohne das Boys-Club-Siegel, das der Tech-Szene anhaftet. Erfolgreiche Geschäftsfrauen<br />

wie Amber rütteln an diesem Image. Die ersten Schritte in die Fash-Tech machte Amber<br />

mit ihrem Blog, in dem sie wie viele junge Modebegeisterte zur Mitte der Nullerjahre<br />

ein neues Format entdeckte, das rasch das Establishment der Modeindustrie umwälzen<br />

sollte. Die Blogoshphäre hat die elitäre Modewelt ein bisschen demokratisiert, weil sie<br />

Inhalte über kostenlose Onlinekanäle zugänglich machte. Junge, modebegeisterte Blogger<br />

der Generation Y, in deren Kinderzimmern schon Computer standen, hatten zwar<br />

nicht die Expertise oder journalistische Kompetenz der alten Printmedien. Dennoch<br />

hatten sie etwas zu sagen. Und wie sie es sagten: In persönliche, lebensnahe Berichte<br />

mischten sie teure, günstige und sogar No-name-Marken. Sie machten ungewöhnliche<br />

Produktfotos und transformierten sich selbst zu Modellen. Alles wirkte authentisch.<br />

Amber Venz Box verstand den Wunsch nach Authentizität der Generation Y, zu der sie<br />

gehörte. Noch bevor sie bloggte, fertigte sie während ihrer High-School-Zeit Schmuck<br />

an. Nachdem sie einen Abschluss in Corporate Communications und Public Affairs<br />

erlangte, schob sie lange Schichten in einer Designerboutique, in der sie bald ihren<br />

Schmuck verkaufte. In dieser Zeit traf sie ihren späteren Ehemann und Geschäftspartner<br />

Baxter Box. Mit wenig Enthusiasmus hörte er Amber zu, wie sie begeistert über<br />

Mode und ihren Schmuck berichtete. Während einer Reise in Miami sagte Baxter latent<br />

genervt: „Du musst wirklich einen Blog starten, damit Du Leute erreichst, die das tatsächlich<br />

interessiert.“ Kurz darauf war Ambers Blog Venzedits geboren, der Haussegen<br />

bewahrt. Ihr Blog wurde innerhalb weniger Monate populär.<br />

Schließlich stellte Amber sich die Frage, wer die Produkte, die sie bewarb, wo kaufte.<br />

Als Baxter Amber von sogenannten Affiliate Links erzählte – Hyperlinks, die das Kaufverhalten<br />

transparent machen, indem Cookies gespeichert werden – ging beiden ein<br />

Licht auf. Die Idee war so einfach wie genial: Amber versieht ein Produkt auf ihrem<br />

Blog mit einem Affiliate Link, wer es anklickt, wird zu einem Online-Shop weitergeleitet,<br />

wo das Produkt erhältlich ist. Kauft der Leser dieses Produkt, erhält Amber eine<br />

Prämie. Dieses Prinzip gab es bereits in anderen Branchen, doch noch niemand hatte es<br />

für Modeblogs angewendet. Amber und Baxter machten sich daran, eine Plattform zu<br />

entwickeln, die diese Infrastruktur auch für andere Blogs bereitstellte. Sie etablierten<br />

eine Win-win-win-Situation: Händler können mehr verkaufen, Blogger erhalten eine<br />

Kommission und das Unternehmen, dass die Transaktion bereitstellt und die Kommissionen<br />

verhandelt, erhält einen Teil des Verkaufsgeschäfts. Das war Ambers und<br />

Baxters Geschäft – RewardStyle war geboren. 2011 ging eine Testversion an den Start,<br />

finanziert durch Kapital von Freunden und Familie. Amber fragte befreundete Blogger,<br />

ob sie diese Links einbauen würden, sie hätten keine Kosten, keine Verträge, sie sollten<br />

nur schauen, ob sie damit Geld verdienen würden. In wenigen Monaten hatte Amber<br />

einflussreiche Blogs an Bord, Into the Gloss oder Who What Wear – und alle machten<br />

sofort Geld.<br />

Je nach Marke und Produkt erhält der Blogger zehn bis 30 Prozent des Verkaufswerts,<br />

Amber erhält hiervon eine Prämie und eine Kommissionsrate vom Händler. Blogs verdienten<br />

jetzt nicht mehr nur, in dem sie zum Beispiel das Werbebanner einer Marke<br />

auf ihre Seite integrierten, sondern einfach durch das Bereitstellen eines Links. Das<br />

Geld kommt dann einfach durch’s Klicken. Baxter und Amber zogen bald darauf in ihr<br />

erstes Büro und stellten eine Buchhalterin ein. Auf kleine und größere Blogs folgten<br />

schließlich Webseiten der traditionellen Magazine: Vogue, Teen Vogue und Glamour<br />

wurden Kunden. Ambers Unternehmen arbeitet heute mit 14.000 Verlegern aus 72<br />

Ländern, hat über 4.000 registrierte Marken. Es gibt kaum ein Presse-Outlet, das nicht<br />

mit RewardStyle arbeitet. Ein mächtiges, fast monopolartiges Feature in der Modeindustrie.<br />

Die 26-Jährige hat heute 87 Mitarbeiter in ihrem Hauptquartier in Dallas und<br />

einer Zweigstelle in London, jeder Dritte ist unter 30. Sie fügt hinzu: „Ich bin für eine<br />

demokratische, leistungsbasierte Industrie. Herkunft, Abstammung und traditionelle<br />

Bildung werden immer mehr ersetzt durch Kreativität, Talent und Hingabe“. Dabei trifft<br />

RewardStyle einen Zeitnerv. Mehr als eine irgendeine Generation zuvor sind die Millennials<br />

mit Medien ausgestattet, um eigene Inhalte zu kreieren, zu teilen und zusammen<br />

zu führen. „Das Bereicherndste an meinem Job ist, dass wir tausende junger Kreative<br />

mit unserer Technologie befähigen, Geld mit dem zu verdienen, was sie lieben“. Mit<br />

dieser Infrastruktur schafft RewardStyle Jobs auf der ganzen Welt. Auch ihr neuestes<br />

Tech-Produkt wurde unter diesen Vorzeichen designt. Als sich seit letztem Jahr herausstellte,<br />

dass Blogs immer mehr Konkurrenz von Instagram bekommen, entwickelten<br />

Amber und Baxter ein entsprechendes Affiliate-Link-System. Mit LIKEtoKNOW.it<br />

stellten beide im Herbst 2013 einen Service vor, der eine E-Mail an registrierte Benutzer<br />

sendet, sobald sie ein Foto auf Instagram liken. In der E-Mail befinden sich freigestellte<br />

Produktbilder, die sich auf die Instagram-Looks beziehen und Affiliate-Links zu den<br />

entsprechenden Online-Shops enthalten. Im März 2014 kam ihre App auf den Markt<br />

und Vogue.com teilte ihren zwei Millionen Instagram-Followern mit, dass ihre Looks<br />

jetzt über LIKEtoKNOW.it geshoppt werden können. Eine Medienlawine ging los und<br />

RewardStyle landete einen Riesencoup. „In den Kreativindustrien hängt heute alles mit<br />

Strategien des Online-Vertriebs zusammen“, sagt Amber. Und Instagram sind die neuen<br />

Blogs. Der Erfolg von Amber und Baxter gründet in diesem Blick für die technischen<br />

Möglichkeiten des Affiliate-Marketings und einem Jagdinstinkt für die Bedürfnisse der<br />

Generation Y. Mit ihrem Angebot haben sie hunderten unabhängigen Verlegern und<br />

Autoren auf der ganzen Welt eine Plattform gegeben, um Geld mit digitalen Inhalten zu<br />

generieren – etwas das es vor dem Launch von RewardStyle 2011 nicht gab. Mit einem<br />

Umsatz, der 2014 die 200 Millionen-Dollar-Grenze knacken könnte, haben Amber und<br />

Baxter eines der erfolgreichsten Start-ups in der Modewelt etabliert und eine weitere<br />

Brücke zwischen der Mode- und der Tech-Community hergestellt.<br />

Sweater und Rock Valentino<br />

Schuhe Prada<br />

„NUR ÜBER KLICKS“<br />

145


EROTIK<br />

Von Maja Hoock<br />

Foto von Revan Baysal<br />

EROTIC<br />

CRISIS<br />

DIE INSZENIERUNG EROTIC CRISIS VON YAEL RONEN<br />

SIEHT DIE LANGZEITLIEBE IN DER KRISE<br />

146


<strong>Fräulein</strong>: Mal ganz dramatisch<br />

gefragt: Befindet sich die Liebe in einer<br />

Krise?<br />

Yael Ronen: Liebe generell nicht. Sie findet<br />

immer ihren Weg. Was man von einer<br />

Beziehung erwartet, das verändert sich.<br />

Die normative Vorstellung der monogamen<br />

Beziehung befindet sich in einer<br />

Krise und wir müssen einen neuen Umgang<br />

mit Langzeitbeziehungen entwickeln.<br />

Heutzutage haben wir viel größere<br />

Erwartungen daran, wie eine gute Beziehung<br />

sein soll, als früher. Unsere Großeltern<br />

hatten andere Vorstellungen davon,<br />

wie Familie und Ehe funktionieren.<br />

Jetzt erwarten wir, dass wir jemanden<br />

finden, der alles für uns ist. Wir erwarten,<br />

glücklich zu sein und das Gefühl<br />

ewig aufrecht erhalten zu können.<br />

Wahrscheinlich hatte man auch vor<br />

100 Jahren ähnliche Probleme, als es<br />

um die Liebe ging: Eifersucht, Verlustängste<br />

oder das Gefühl, mit dem<br />

Falschen zusammen zu sein.<br />

Aber gleichzeitig hat man aus rationalen<br />

Gründen geheiratet und Liebesehen waren<br />

ein Luxus, den sich die meisten Menschen<br />

nicht leisten konnten. Man hatte<br />

andere Ansprüche.<br />

Sie beschäftigen sich mit dem Sexleben<br />

in langen Beziehungen. Was interessiert<br />

Sie daran?<br />

In der Kunst geht es normalerweise um<br />

die extreme, um die aufregenden Seiten<br />

der Liebe, also wenn Menschen sich gerade<br />

verlieben und entdecken. Darüber<br />

schreibt man Songs und Filme. Ich versuche,<br />

die andere Seite zu thematisieren:<br />

Was passiert mit einem Paar nach<br />

dem ersten Kind oder nach zehn Jahren<br />

Beziehung? Darüber wird wenig gesprochen,<br />

weil diese Themen unsexy sind.<br />

Mir ist dabei aufgefallen, dass eines der<br />

größten Tabus nicht perverser Sex ist,<br />

sondern schlechter oder gar kein Sex;<br />

wenn Menschen lange zusammen sind<br />

und selten miteinander schlafen.<br />

In Ihrem Stück Erotic Crisis geht es<br />

also um das langsame Sterben des<br />

Sex?<br />

Um Menschen, die sich lieben, die zusammen<br />

sein wollen und tief verbunden<br />

sind, aber erfahren, dass etwas nicht<br />

mehr funktioniert.<br />

Haben Sie Langzeitbeziehungen<br />

erlebt und würden sagen, es lohnt<br />

sich?<br />

Ich bin seit acht Jahren verheiratet und<br />

habe ein fünfjähriges Kind. Für mich ist<br />

eine Familie auf jeden Fall etwas, für das<br />

es sich zu kämpfen lohnt. Ich bin persönlich<br />

durch Krisen gegangen und wenn<br />

ich kein Kind gehabt hätte, hätte ich womöglich<br />

aufgegeben. Dass wir eine Familie<br />

sind, hat dazu geführt, dass ich bereit<br />

war, Dinge zu ändern. Es ist eine Herausforderung<br />

und mit einer Krise ist es nicht<br />

erledigt. Man stellt sich der einen, dann<br />

folgt die nächste. Wenn nicht jetzt, dann<br />

kommt sie später. Aber sie kommt.<br />

Fühlen Sie sich in einer Form vollständig,<br />

indem sie mit einem anderen<br />

Menschen leben? Manche Leute<br />

erzählen ja von ihrer zweiten Hälfte,<br />

wenn es um Langzeitbeziehungen<br />

geht.<br />

Ich persönlich habe so etwas nie erlebt<br />

und glaube nicht daran. Es gibt definitiv<br />

mehr als einen Menschen, mit dem<br />

man sein Leben leben könnte. Ich bin<br />

keine Fatalistin und denke nicht, dass<br />

man füreinander geschaffen sein kann.<br />

Menschen suchen einander aus vielerlei<br />

Gründen aus, manchmal sind es<br />

nicht unbedingt die besten. Aber ab dem<br />

Zeitpunkt, ab dem man etwas zusammen<br />

aufgebaut hat, ist der Einsatz höher<br />

und man macht nicht mehr so einfach<br />

Schluss.<br />

Haben Sie sich wegen Ihrer eigenen<br />

Eheerfahrungen dazu entschlossen,<br />

das Stück zu schreiben?<br />

Nicht nur. In meinem Umfeld sind die<br />

meisten Leute verheiratet oder in langen<br />

Beziehungen und werden von Paaren zu<br />

Familien. Ich habe das als einen sehr dramatischen<br />

und spannenden Wandel erlebt,<br />

besonders was das Sexleben angeht.<br />

Als ich das Thema in meinem Freundeskreis<br />

aufgebracht habe, stellte sich heraus,<br />

dass die Fälle im Prinzip ähnlich<br />

sind. Jedes Paar, das lange zusammen ist<br />

und zumindest versucht, monogam zu<br />

leben, wird damit konfrontiert.<br />

Wäre eine ideale Beziehungsform<br />

also Ehe plus Lover?<br />

Für manche Menschen sicher. Wenn<br />

man damit umgehen kann, kann das<br />

bestimmt einige Probleme lösen – wenn<br />

nicht, schafft man dadurch einen Haufen<br />

neuer. Ich glaube nicht, dass es ein ideales<br />

Modell gibt. Doch es ist ziemlich offensichtlich,<br />

dass das bestehende Modell<br />

eine Art Fassade, eine Lüge ist. Das sieht<br />

man daran, dass es nicht oft funktioniert,<br />

in einer langen monogamen Beziehung<br />

zu leben. Es passiert aber nicht bewusst,<br />

denn die Liebenden glauben ja daran und<br />

es gibt auch Zeiten, in denen sie sehr<br />

glücklich und erfüllt sind.<br />

Haben Sie eine offene Beziehung<br />

versucht?<br />

Nein. Theoretisch wirkt das sehr anziehend<br />

auf mich, aber ich kenne nur<br />

ein Paar, bei dem es zu funktionieren<br />

scheint. Oft weiß das Paar selbst nicht,<br />

dass etwas schiefläuft. Einer erlebt etwas,<br />

von dem der andere keine Ahnung<br />

„EINES DER<br />

GRÖSSTEN<br />

TABUS IST NICHT<br />

PERVERSER,<br />

SONDERN<br />

SCHLECHTER<br />

ODER GAR KEIN<br />

SEX“<br />

hat, oder sie gestehen sich Dinge nicht<br />

ein. Darum sind die Leute oft überrascht,<br />

wenn ihre Beziehung dann total zerfällt.<br />

Das passiert also unbewusst?<br />

Ja, es wird viel geleugnet und viele Menschen<br />

verbergen Dinge vor ihren Partnern<br />

und sich selbst. Oft haben sie Angst<br />

davor, zu scheitern, besonders wenn sie<br />

bei Freunden und Familie immer ein<br />

Vorzeigepaar waren. Jede Trennung ist<br />

schmerzhaft.<br />

Wie haben Sie zum Thema Sex in<br />

langen Beziehungen eigentlich recherchiert?<br />

Alles, was wir machen mussten war, die<br />

Menschen um uns herum zu fragen und<br />

auch an unsere eigenen Geschichten zu<br />

denken. Die meisten Leute wollen sich irgendwann<br />

festlegen und Kinder bekommen.<br />

Viele befinden sich im ersten Jahr<br />

nach der Geburt in einer Krise. Meine eigene<br />

Beziehung hat das auf die heftigste<br />

Art und Weise durchgeschüttelt.<br />

Wie würden Sie diese Krise genauer<br />

beschreiben?<br />

Im Leben geht es plötzlich nicht mehr<br />

um dich, sondern um ein Dreiergespann,<br />

da ist immer jemand anderes, wenn man<br />

ein Kind bekommt. Dann wird man mit<br />

all dem konfrontiert, was man selbst mit<br />

den eigenen Eltern erlebt hat – all diese<br />

Dinge, mit denen Psychiater ihr Geld verdienen.<br />

Und, haben Sie noch Sex mit Ihrem<br />

Mann?<br />

Das ist so eine Sache ... In der letzten<br />

Phase der Schwangerschaft und direkt<br />

nach der Geburt kann man keinen Sex<br />

haben. Plötzlich kommt man von einer<br />

sehr intimen Beziehung zu einer körperlichen<br />

Distanz und hat ein halbes Jahr<br />

lang keinen Sex mehr. Man setzt sich als<br />

Frau mit dem Körper und der Tatsache<br />

auseinander, dass dem Baby jetzt ein Teil<br />

davon gehört. Alles muss neu justiert<br />

werden.<br />

Wie kann man nach so einer Phase<br />

die Sexualität neu entdecken?<br />

In meinem Fall war die Geburt ein Auslöser,<br />

der Probleme ans Tageslicht gebracht<br />

hat, die seit Jahren zwischen mir<br />

und meinem Mann standen oder wir aus<br />

der Kindheit mitgebracht haben. Darum<br />

spielte sich unsere Krise vor allem auf<br />

einer psychologischen, nicht nur auf einer<br />

körperlichen Ebene ab. Dazu kommt<br />

die Tatsache, dass man nicht mehr so<br />

zusammen funktioniert wie zuvor. Aber<br />

die gute Nachricht ist: Nach einem Jahr<br />

fängt es an, wesentlich besser zu werden.<br />

Und wenn die Wunde nicht zu tief ist und<br />

das Paar nicht versucht, die Probleme zu<br />

ignorieren, sondern für sich zu kämpfen,<br />

kann es wieder gut werden.<br />

„Erotic Crisis“ läuft aktuell am Maxim Gorki<br />

Theater, Am Festungsgraben 2, 10117 Berlin<br />

147


NATURKUNDE MUSEUM<br />

Von Alina Amato<br />

Fotos: Museum für Naturkunde Berlin<br />

SAMSAS<br />

KÄFER WURDEN IN DER ANTIKE ALS SYMBOL DES<br />

SIND SIE MIT EKEL UND ABSCHEU BELEGT.<br />

Die Eingangshalle des Naturkundemuseums gleicht einem magischen Zeitfenster.<br />

Bis hoch unter die Glaskuppel reichen die Dinosaurierskelette und nehmen einen<br />

in Empfang. Jurassic Park in Berlin. Nach jahrelanger aufwändiger Restaurierung ist<br />

das Museum ein aus der Zeit gefallener Zauberraum, trotzdem modern und dazu gut<br />

besucht. Die physische Begegnung mit jahrtausendealten Exponaten und Artefakten<br />

scheint auch mit dem Internet aufgewachsenen Menschen noch ein Gefühl der Erhabenheit<br />

zu geben. Es gibt also Hoffnung.<br />

Hier läuft seit geraumer Zeit ein Projekt, das vom Umfang her ebenso beeindruckend<br />

ist wie die Sammlung selbst: die Digitalisierung der Bestände und vor allem die der<br />

Kästen mit Insekten. 10.000 davon sollen als hochauflösende Scans online für jedermann<br />

abrufbar werden. Der Digitalisierung gelingt es vielleicht nicht, die Aura der<br />

Exponate und des Museums zu erhalten, doch viele der Insektenkörper sind über<br />

hundert Jahre alt und von Transport und Lagerung gezeichnet. Also ab mit ihnen in<br />

die Cloud.<br />

Das Digitalisierungsprojekt gibt den Blick auf eine unglaubliche Vielfalt frei. Insekten<br />

sind die artenreichste Gruppe aller Lebewesen, Käfer mit rund 350.000 Unterarten<br />

ihre umfangreichste Klasse. Es gibt kleine, schillernde Exemplare, die im Sonnenlicht<br />

ihre giftgrünen Flügel tanzen lassen. Die Großtiere haben prächtige Panzer, die als<br />

Schutzschilde wirken und Spuren von Kämpfen tragen. Ein solches Tier ist der Goliathkäfer,<br />

der bis zu zehn Zentimeter groß werden kann. Der schwarz-weiße Panzer<br />

wirkt hart, bedrohlich, hochmütig und dennoch scheint er so, als hätte ein feiner Farbpinsel<br />

das filigrane Muster gezeichnet.<br />

Käfer waren bei den Pharaonen ein wichtiges kulturelles Symbol. Sie galten als emsig<br />

148


ERBEN<br />

SONNENLAUFES VEREHRT. SEIT DER MODERNE<br />

DER VERSUCH EINER EHRENRETTUNG.<br />

und strebsam. Im alten Ägypten wurde der Pillendreher, der Skarabäus-Käfer, als göttliches<br />

Zeichen gesehen. Aus dem Mist anderer Tiere bastelt er sich eine Kugel zusammen<br />

und schiebt diese vor sich her. Für die Ägypter ein Sinnbild für den Sonnenlauf.<br />

Viel mehr Respekt geht nicht.<br />

Nun soll man der Sonne nicht zu nahe kommen. Mit der Moderne kam der tiefe Fall<br />

des Käfers. Als alles Natürliche zugunsten der Kultivierung und Zivilisierung der Lebensumstände<br />

abgeschafft wurde, blieb auch für Insekten nicht viel mehr als Ekel übrig<br />

– siehe Kafkas berühmte Erzählung Die Verwandlung, in der der Prokurist Gregor<br />

Samsa eines Morgens zum Entsetzen seiner Spießerfamilie als Krabbeltier aufwacht.<br />

Der Ekel vor der eigenen Triebhaftigkeit, liegt dieser Fabel wie der modernen Gesellschaft<br />

zugrunde. Schlechte Karten für Käferfreunde.<br />

Aber nun: Je mehr man auf die wunderbaren Scans des Naturkundemuseums blickt,<br />

desto mehr fragt man sich, ob der Käfer nicht ein Revival verdient hat? Könnte er nicht<br />

auch ein Symbol für das Internetzeitalter sein? Wie Gregor Samsa ist der Käfer ein<br />

ziemlich nerdiges Insekt. Einer, der ohne Freunde in dunklen Ecken hockt und wer<br />

weiß was ausbrütet. Gleichzeitig steckt in seiner schillernden Vielfalt ein großes Potential.<br />

Sind wir nicht alle irgendwie Käfer? Es gibt Millionen von uns, wir alle wollen<br />

individuell sein, sind aber doch nur Variationen. Und sehen Käfer in all ihrer krabbeligen,<br />

gedrungenen Verpeiltheit nicht auch ein wenig aus wie jene Spezies Mensch, die<br />

Sonntag morgens aus der Panoramabar torkelt, oder besser, diese wie Käfer?<br />

Jetzt wird‘s ein wenig zu bunt. Alles, was wir sagen wollen, ist: Schaut euch die Scans<br />

an, oder besser, geht ins Museum. Es lohnt sich. Und wer das nächste Mal einen Käfer<br />

sieht, der erkenne sich selbst!<br />

Museum für Naturkunde<br />

Invalidenstraße 43, Berlin<br />

149


FASHION<br />

Interview Robert Grunenberg<br />

Fotos Tony Cox<br />

Styling Bernat Buscato<br />

Styling-Assistenz Anais Codina<br />

150 Nr. 14<br />

Cape Stylist‘s Own<br />

150


BOY<br />

DIE AUS LOS ANGELES STAMMENDE PERFORMANCEKÜNSTLERIN BOYCHILD TAUCHT SEIT EINIGEN JAHREN IN VERSCHIEDENEN<br />

KONTEXTEN ALS CYBORGARTIGES MISCHWESEN AUF. SIE TOURT MIT DEM MUSIKER MYKKI BLANCO, LÄUFT AUF<br />

MODENSCHAUEN DES LABELS HOOD BY AIR ODER ARBEITET MIT KÜNSTLERN WIE RYAN TRECARTIN UND MIT IHREM<br />

KÜNSTLERISCHEN PARTNER WU TSANG. WER ODER WAS IST BOYCHILD?<br />

CHILD<br />

Von Robert Grunenberg<br />

Fotos von David Fischer<br />

Styling von Sina Braetz & Adrian Fekete<br />

Haare & Make-Up Julia Barde<br />

151


FASHION<br />

Ich erinnere mich an den Moment,<br />

als ich Boychild zum ersten Mal gesehen<br />

habe. Das war in Miami Beach im Dezember<br />

2013. Sie performte auf einer kleinen<br />

Bühne, die über dem Swimming Pool<br />

des Delano Hotels aufgebaut war. Auf<br />

meinem iPhone schaute ich mir hin und<br />

wieder das Video an, das ich damals aufgenommen<br />

habe: flackerndes Neonlicht,<br />

das von einer Nebelwolke reflektiert wird,<br />

geisterhaft erscheint Boychild, nackt, nur<br />

mit zerrissener Schürze, ihr tätowierter<br />

Körper mit bunter Farbe beschmiert. Sie<br />

tanzt, bewegt sich zitternd, hält Pose, fällt<br />

auf den Boden, kriecht, erhebt sich und<br />

verschwindet wieder im Nebel. Dazu läuft<br />

rauschender Hymnengesang, abgemischt<br />

auf harte Hip-Hop-Bässe, Zuschauer tuscheln.<br />

Sie hat keine Angst sich zu entblößen,<br />

sich hinzugeben – den starrenden,<br />

bewundernden, verwirrten Blicken.<br />

Was Boychild ist, kann man nicht genau<br />

bennennen. Sie ist ein Hybrid, ständig in<br />

Bewegung und Transformation. Alles im<br />

Fluss. So wie unsere Gedanken strömen,<br />

die Jahreszeiten zirkulieren oder sich der<br />

nächste virale Hype auf Facebook verbreitet.<br />

Bei dem Ding, das sich Boychild nennt,<br />

ruft unser Verstand Stop!, will begreifen,<br />

was für eine Kreatur das ist, will dem Kind<br />

einen Namen geben, kategorisieren: Frau –<br />

Mann, Mensch – Maschine. Irgendwo dazwischen<br />

liegen auch ihre Performances:<br />

Ihre Performances haben eine ursprüngliche,<br />

animalische Energie und vermitteln<br />

eine Idee von Zukunft – gleichzeitig<br />

repräsentiert Boychild das Hybridhafte<br />

und Dynamische unserer globalisierten,<br />

technologisierten Gegenwart, in dem Geschlechterrollen,<br />

Kunstformen und die<br />

Trennung zwischen Off- und Online-Identitäten<br />

neu erfahren werden. Im Videochat<br />

sprach ich mit Boychild über Performance<br />

als Kunstform, über Social-Media-Avatare<br />

und über die Suche nach einem Platz in<br />

dieser Welt.<br />

<strong>Fräulein</strong>: Wer oder was ist Boychild<br />

und woher kommt sie?<br />

Boychild: Sie kommt aus mir und befindet<br />

sich in ihrem zweiten Leben. Ihre Welt ist<br />

ein magischer Ort, den ich erzeugt habe;<br />

irgendwo zwischen der Welt, in der wir<br />

alle leben, und einem Platz, an dem ich<br />

mich sicher und aufgehoben fühle.<br />

Zu welchem Zeitpunkt wurde<br />

Boychild geboren?<br />

Das Ding, das ich Boychild nenne, enthält<br />

die gleiche Geschichte wie ich. Doch geboren<br />

wurde sie tatsächlich, als ich anfing<br />

zu performen. Damals geschah etwas. Ich<br />

hatte keine Angst mehr, die Person zu<br />

sein, die ich mich nicht traute, als Kind<br />

zu sein.<br />

152


153<br />

Top Bobby Kolade


FASHION<br />

„Performance<br />

ist eine<br />

Reflexion<br />

meiner<br />

Identität“<br />

Links:<br />

Jacke Nhu Duong<br />

Hose & Unterhose Artist‘s own<br />

Rechts:<br />

Brille Stylist‘s Own<br />

Mantel Bottega Veneta<br />

154


War es ein Kampf, Sie selbst zu sein?<br />

Ja und nein. Es gab einen Kampf mit mir<br />

selbst, mit Resten aus meiner Vergangenheit,<br />

meiner Familien- und der Weltgeschichte.<br />

Müssen Sie sich heute anderen immer<br />

noch erklären?<br />

Manchmal, doch früher mehr als heute.<br />

Ich habe verstanden, dass ich niemandem<br />

eine Erklärung schulde. Früher war<br />

es ein Schuldgefühl, das mich glauben<br />

ließ, ich müsse Konventionen folgen.<br />

Dabei musste ich das gar nicht.<br />

Erinnern Sie sich an das erste Mal,<br />

als Sie diese neue Persona leben und<br />

erleben konnten?<br />

Das geschah in Clubs. Beim Tanzen und<br />

Feiern im schwulen Nachtleben. Dort<br />

fühlte ich mich sicher genug, mit meinem<br />

Körper und Bewegungen zu experimentieren.<br />

Wann wurde diese innere Veränderung<br />

sichtbar, wann kamen Ihre ersten<br />

Tattoos, das Make-up, Ihr Look?<br />

Das passierte schleichend mit der Zeit.<br />

Ich habe meine Ästhetik nicht plötzlich<br />

gekauft. Mein Aussehen ist ein Resultat<br />

eines gelebten Lebens.<br />

Inwiefern ist Boychild ein Ausdruck<br />

unserer Zeit, einer globalisierten, digitalen<br />

und komplexeren Welt, in der<br />

sich Kategorien immer mehr auflösen?<br />

Boychild ist beides, unfertig und vollständig,<br />

immer in Bewegung, selbst beim<br />

Stillstand. Es ist nicht meine Interpretation.<br />

Das Thema der Transformation sieht<br />

man auf Ihren Fotos, Videos und Performances.<br />

Wie verhalten sich die<br />

Medien zueinander?<br />

Mein Medium ist eigentlich nur Performance,<br />

die durch Fotos, Video und Zeit<br />

dokumentiert wird. Performance ist eine<br />

Reflexion meiner Identität, die eine Ansammlung<br />

aus Geschichten und Orten<br />

ist; ein Nachdenken über die komplexe<br />

Suche nach einem Platz in der Welt zwischen<br />

all den Dingen.<br />

Neben dem, was Ihre Performance<br />

ausdrückt, können Sie sagen, wie Sie<br />

performen?<br />

Mich interessiert es, wenn die Performance<br />

sich selbst als Performance thematisiert<br />

und hinterfragt, also das Medium<br />

und seine Möglichkeiten. Das ist<br />

essentiell für meine Arbeit, weil ich mich<br />

mit Worten und Sprache schwer tue.<br />

Wörter belasten, das fühle ich bei einer<br />

Performance nicht. Die wichtigsten Elemente<br />

sind Zeit und Raum. Der Moment,<br />

der mit dem Publikum geteilt wird, die<br />

Luft, die gemeinsam ein- und ausgeatmet<br />

wird, das ist magisch.<br />

„Boychild<br />

ist beides,<br />

unfertig und<br />

vollständig“<br />

155


FASHION<br />

„Verletzlichkeit ist alles“<br />

Mich fasziniert an Performance, dass<br />

der Moment, in dem Kunst entsteht,<br />

mit dem Moment, in dem sie präsentiert<br />

wird, identisch ist. Ein klassisches<br />

Gemälde wurde zu einem<br />

früheren Zeitpunkt gemalt, als es in<br />

einer Galerie oder im Museum ausgestellt<br />

wird.<br />

Ja, das interessiert mich auch. Mir gefällt,<br />

dass es deshalb nicht kommodifiziert, zu<br />

einer Ware gemacht werden kann.<br />

Es ist einzigartig in diesem einen<br />

Moment. Es ist zeit- und raumspezifisch,<br />

nur im Hier und Jetzt. Natürlich<br />

kann man es mit Fotos oder Film<br />

dokumentieren.<br />

Ja, das ist etwas völlig anderes, doch genauso<br />

spannend. Sich mit Film der Performance<br />

zu nähern, Kollaborationen<br />

einzugehen, das mache ich gerade in Projekten<br />

mit den Künstlern Wu Tsang und<br />

Korakrit Arunanondchai.<br />

Es kann furchtbar anstrengend sein, zu<br />

performen, wenn die Zuschauer sich<br />

selbst verwirren, in dem sie versuchen,<br />

die Lebendigkeit der Performance durch<br />

ein Foto oder Video einzufangen. Wir leben<br />

in einer Zeit, in der die Sprache des<br />

Bildes lauter spricht als die Sprache der<br />

Worte. Der dokumentierte Moment ist<br />

wichtiger geworden als der gelebte Moment.<br />

Dieses Phänomen sieht man überall,<br />

auf Konzerten, im Fußballstadion<br />

oder auf Partys. Die Smartphone-Kamera<br />

denkt immer mit, projiziert immer<br />

das Hier und Jetzt in die Zukunft.<br />

Was halten Sie von dieser Macht der<br />

Bilder?<br />

Eine Zeit lang habe ich es beklagt, so als<br />

wäre es ein Phänomen meiner Generation.<br />

Dabei gibt es das in ähnlicher Weise<br />

seit der Erfindung der Fotografie im 19.<br />

Jahrhundert, später dann mit den ersten<br />

Handkameras.<br />

Ihre Performances sind gut dokumentiert.<br />

Sie selbst nutzten Instagram, um<br />

diese online auszustellen. Welche Rolle<br />

spielt Instagram als Kommunikationsmedium,<br />

als Marketingwerkzeug<br />

und als demokratische Plattform, um<br />

Kunst zu zeigen?<br />

Ich liebe Instagram. Anfangs nutzte ich<br />

es privat, doch mit der steigenden Populärität<br />

wurde es unpersönlicher, so<br />

löschte ich alle privaten Bilder und habe<br />

jetzt nur Bilder mit Make-up vor und<br />

nach meinen Performances. Ich finde es<br />

wirklich erstaunlich und unterhaltsam,<br />

in welcher Weise man sich auf Instagram<br />

selbstinszenieren kann. Ich versuche zu<br />

verstehen, nach welcher Logik das Insta<br />

Life funktioniert, Hashtags, Selfies und so<br />

weiter. Die Macht dieser Bilder ist faszinierend<br />

und beängstigend. Es ist, als ob man<br />

einen Tornado aus der Ferne sieht und den<br />

Sog spürt. Wenn ich ernsthaft versuche zu<br />

analysieren, wie Instagram und Technologien<br />

innerhalb der Denkströme der Ersten<br />

Welt funktionieren, wie es die Verhältnisse<br />

zwischen Bildern und Sprache, zwischen<br />

Menschen und ihrem Verhalten umdreht,<br />

dann friert mein Gehirn ein.<br />

Ein anderes massives Internetphänomen<br />

ist die Verbreitung von Pornos.<br />

Pornos sind in jeder Facette für jeden<br />

zugänglich. Was bedeuten Pornos für<br />

Sie?<br />

Ich fühle mich davon vielseitig betroffen<br />

und fühle gleichzeitig gar nichts, eine Benommenheit.<br />

Es gibt so viele erschreckende<br />

und wundervolle Dinge, die aus der<br />

Pornowelt kommen, abhängig vom Kontext<br />

und der Absicht.<br />

In Ihren Performances arbeiten Sie<br />

mit starken Effekten, mitunter auch<br />

extremen Darstellungen: Make-up,<br />

Licht, Bewegung und Musik. Inwiefern<br />

reagieren Sie damit auf unsere<br />

beschleunigte und mit Informationen<br />

überladene Gegenwart?<br />

Die Technologien, die wir erschaffen haben,<br />

bewegen sich mit einer exponentiellen<br />

Geschwindigkeit. Wie wir uns selbst<br />

in dieser Welt positionieren, in dem wir<br />

Informationen wie Bilder konsumieren,<br />

das interessiert mich und beeinflusst meine<br />

Arbeit. Ich reagiere auf eine Kultur, die<br />

ich als kapitalistisches Gefängnis erlebe, in<br />

dem alles gefangen und getötet wird, das<br />

nicht innerhalb dieses Rahmenwerks der<br />

Macht existiert. Haben Sie eine Performance<br />

von mir gesehen? Empfinden Sie<br />

diese als extrem?<br />

Ja, ich habe Sie das erstes Mal im Dezember<br />

2013 in Miami während der<br />

Art Basel gesehen. Das war bei einer<br />

Veranstaltung des MoMA PS1. Es war<br />

magisch und auch extrem. Die Farben,<br />

das Licht, die Bewegungen – aus<br />

einer anderen Welt.<br />

Ich konkurriere nicht mit einer mit Bildern<br />

übersättigten Kultur, ich reagiere<br />

auf sie. Ich weiß, dass meine Performances<br />

emotional und visuell intensiv sind.<br />

Es gibt eine Rohheit und Verletzlichkeit,<br />

die für mich erschöpfend sind und<br />

ich stelle mir vor, dass es Zuschauern<br />

ähnlich geht. Doch eigentlich sind meine<br />

Performances simpel. Inzwischen<br />

benutze ich weniger Licht, weniger<br />

Make-up und kaum Kleidung, keine Requisite.<br />

Es ist mein Körper und die Zuschauer.<br />

Neben diesen Entwicklungen, was ist<br />

konstant geblieben in Ihrer Arbeit?<br />

Verletzlichkeit ist alles, so wie Ehrlichkeit.<br />

156


157<br />

Hose Artist‘s own


EINE STIMME<br />

Von Sina Braetz<br />

VON LUXUS<br />

UND LEID<br />

GUYA MERKLE KÄMPFT FÜR EINE NACHHALTIGE<br />

SCHMUCKINDUSTRIE, DEREN ROHSTOFFE UNTER<br />

MENSCHENWÜRDIGEN BEDINGUNGEN<br />

GEFÖRDERT WERDEN.<br />

„Ich habe in meinem Leben Entscheidungen<br />

immer aus dem Bauch heraus<br />

getroffen, denn ich bin ein sehr impulsiver<br />

Mensch. Dadurch habe ich mich oft<br />

in schwierige Situationen gebracht. Aber<br />

meine Erfahrungen lehrten mich, dass<br />

es das Wichtigste ist, auf sich selber zu<br />

hören und sich nicht von anderen verunsichern<br />

zu lassen. Als ich zehn Jahre<br />

alt war und meine Eltern sich trennten,<br />

zog ich mit meiner Mutter nach Berlin,<br />

sie baute dort das Schmuckunternehmen<br />

Bucherer auf. Ich hasste die Stadt am Anfang<br />

– wir kamen ja aus Pforzheim, das<br />

war ein wundervoller Ort für ein Kind:<br />

Man hatte die Natur, den Schwarzwald,<br />

konnte draußen spielen. So musste ich<br />

schneller erwachsen werden als gedacht,<br />

was sich später als Vorteil herausstellen<br />

sollte. Als mein Vater starb, war ich erst<br />

21 Jahre alt und mitten im Studium. Er<br />

vererbte mir unser Familien-Schmuckunternehmen<br />

Vieri, das mein Großvater<br />

in den 30er-Jahren als klassisches<br />

Handelsunternehmen gegründet hatte.<br />

So wurde ich von heute auf morgen ins<br />

kalte Wasser geworfen. Ich weiß selber<br />

nicht, wie ich das alles damals gestemmt<br />

habe. Es war ein Augen-zu-und-durch,<br />

was natürlich am Anfang nicht besonders<br />

gut funktioniert hat. Ich hatte mir mein<br />

Leben ehrlich gesagt anders vorgestellt,<br />

wollte nie etwas mit dem Schmuckbgeschäft<br />

meiner Familie zu tun haben. Bis<br />

vor ein paar Jahren habe ich noch nicht<br />

mal Schmuck getragen, selbst jenen<br />

nicht, den mir mein Vater geschenkt hatte.<br />

Schmuck war mir dennoch immer vertraut.<br />

Ich wuchs mit diesem Luxus auf, er<br />

war für mich etwas Alltägliches, ich habe<br />

mit Edelsteinen gespielt. Luxus hat in<br />

meiner Familie übrigens nie bedeutet,<br />

5-Sterne-Urlaub zu machen. Als wir noch<br />

gemeinsam verreisten, war es meinen Eltern<br />

immer wichtig, dass ich Länder in<br />

ihrer Ursprünglichkeit entdecke. Das hat<br />

mich extrem sensibilisiert. Dinge sind bis<br />

heute für mich nur dann schön, wenn sie<br />

auch in ihrem Ursprung gut sind. Diese<br />

Prämisse leitet mich bei allem, was ich<br />

tue. Nach drei Jahren Pendeln zog ich<br />

nach dem Studium endgültig von Berlin<br />

in die Schweiz. Meine Mutter half mir viel<br />

in dieser Zeit. Später ging ich nach London.<br />

Mir war von Anfang an klar, dass ich<br />

in die Firma ganz viel von mir hineinstecken<br />

wollte, doch ich brauchte Zeit, um<br />

herauszufinden, was es war. Auch wenn<br />

ich wusste, dass ich schon immer einen<br />

starken Gerechtigkeitsdrang verspürte.<br />

Während des Studiums bin ich auf<br />

betterplace.org aufmerksam geworden,<br />

Deutschlands größte Spendenplattform,<br />

die das Internet nutzt, um auch kleinere<br />

Projekte transparenter werden zu lassen.<br />

Hier habe ich viel über soziales Engagement<br />

gelernt, aber auch über die Mängel<br />

unseres Systems: dieser große Bruch<br />

zwischen einer Quelle und dem Endprodukt.<br />

Dafür übernehmen zu wenige<br />

Menschen die Verantwortung. Man will<br />

mit Biegen und Brechen maximalen Profit<br />

aus allem holen. Auf der anderen Seite<br />

sind viele Konsumenten unwissend über<br />

die Herkunft der Produkte, die sie kaufen.<br />

In London beschäftigte ich mich das erste<br />

Mal mit Rohstoffen und Goldminen,<br />

recherchierte ausgiebig, unter welchen<br />

Bedingungen dort gearbeitet und gefördert<br />

wird. Damals war das Thema noch<br />

sehr wenig in der Öffentlichkeit präsent.<br />

Um mir selbst ein Bild vor Ort zu machen,<br />

flog ich nach einer zweiwöchigen<br />

„Crash-Therapie“ gegen meine Flugangst<br />

„ICH WILL,<br />

DASS SICH<br />

DIE ARBEITER<br />

SELBST<br />

ERMÄCHTIGEN“<br />

mit einer Freundin nach Peru. Wir kamen<br />

schweißgebadet an und fuhren direkt zu<br />

den Goldminen. Peru war der härteste<br />

Trip meines Lebens. Ich hatte das alles<br />

total unterschätzt. Die Minen liegen<br />

teils auf 2.500 Metern Höhe. Dort bot<br />

sich mir ein grausames Bild. Ein Quecksilbergeruch<br />

stieg einem in die Nase,<br />

unsere Übersetzerin verlor davon das<br />

Bewusstsein. Es war wirklich heftig und<br />

hat mich zutiefst berührt: Ich hatte viele<br />

Gespräche mit den Minenarbeitern. Sie<br />

konnten die Probleme vor Ort relativ klar<br />

benennen, hatten Lösungsvorschläge. Ich<br />

fragte mich immer und immer wieder:<br />

Warum hört niemand diesen Menschen<br />

zu? Ich wollte den Männern und Frauen<br />

ein Sprachrohr sein, ihnen eine Stimme<br />

geben. So gründete ich die Stiftung Earthbeat.<br />

Das größte Leid der Menschen war<br />

im Grunde genommen eine fehlende<br />

Wertschätzung. Die versuchen wir ihnen<br />

mit unserem Projekt zu geben.<br />

Die Menschen in den Minen arbeiten in<br />

der Regel gerne und mit viel Stolz. Oft<br />

setzen sie die Tradition ihrer Familie fort.<br />

Aber natürlich geht es für sie um das<br />

nackte Überleben. Earthbeat will ihnen<br />

die Mittel in die Hand geben, ihr Leben<br />

erträglicher und selbstbestimmter zu<br />

gestalten. Eines unserer Projekte ist eine<br />

Art Schule für Frauen und Kinder. Auch<br />

sie arbeiten in den Minen, die Schächte<br />

sind oft sehr eng. In unseren Workshops<br />

lernen sie, wie man aus ihrem Rohstoff,<br />

dem Gold, Schmuck macht – so können<br />

sie sich eine weitere Einnahmequelle<br />

schaffen. Unsere Stiftung, die aus einem<br />

etwa zehnköpfigen Team besteht, ist daher<br />

nicht als klassisches Spendenprojekt<br />

zu verstehen. Uns geht es darum, dass<br />

die Menschen sich ein eigenes Geschäft<br />

aufbauen können und lernen, Verantwortung<br />

für sich und andere zu übernehmen.<br />

Natürlich machen wir auch spezifische<br />

Trainings mit den Minenarbeitern, wie<br />

man sich etwa in die Minen vor Unfällen<br />

schützen kann. Ich war oft zu extrem<br />

unterwegs mit meinem Einsatz für Gerechtigkeit.<br />

Ich denke einfach, man muss<br />

irgendwo anfangen, idealerweise bei sich<br />

selbst. Man sollte Leute inspirieren mit<br />

dem, was man tut. Wer mich kennt, weiß,<br />

dass ich all das wirklich lebe – meine Arbeit<br />

ist nicht nur ein vages Projekt. Durch<br />

sie lernte ich Schmuck lieben und habe<br />

mittlerweile eine persönliche Beziehung<br />

zu ihm aufbauen können. Ich denke, Luxus<br />

ist nur dann Luxus, wenn auch die<br />

Bedingungen und Umstände stimmen. Er<br />

bedeutet Wertschätzung und Respekt für<br />

mich. Heute trage ich meinen Schmuck,<br />

selbst den, der mir von meinem Vater<br />

zum 18. Geburtstag oder zur Kommunion<br />

geschenkt wurde.<br />

Guya Merkle übernahm 2007 als 21-jährige Studentin<br />

das Haute-Joaillerie-Unternehmen „Vieri“<br />

und führt so eine 70-jährige Familientradition<br />

weiter. Nach einer Reise nach Peru gründetet sie<br />

die Stiftung „Earthbeat“ und setzt sich seither<br />

für bessere Arbeitsverhältnisse und für eine<br />

Wertschätzung von Goldminenarbeiter ein.<br />

158


DIE LUST AM WIDERSPRUCH:<br />

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T (0 30) 2590 2590


ANTIFRÄULEIN<br />

Von Wäis Kiani<br />

Illustration von Katrin Funcke<br />

PHARRELL IST EVERYBODY’S DARLING, SELBST KINDERGARTENKINDER VERGÖTTERN<br />

IHN. DABEI KLINGT ER MEHR UND MEHR NACH MAINSTREAM. ES REICHT, FINDET<br />

UNSERE AUTORIN WÄIS KIANI.<br />

Es gibt Menschen, die werden von der<br />

ganzen Welt geliebt, wirklich von jedem,<br />

egal ob Spießer, Hipster, Tante, Bitch, Oma<br />

oder Kind. Unser heutiges Antifräulein ist<br />

ein solches Sonnenkind. Pharrell Williams<br />

ist so hip, dass man ihn längst als unerträglichen<br />

Mainstream wahrnimmt.<br />

Damit sind wir auch schon fast bei dem<br />

wahren Grund seines Auftritts hier als<br />

Antifräulein. Eigentlich wäre er eh ein<br />

Antifräulein, er sammelt Hermès-Birkin-Taschen,<br />

und zwar die riesigen<br />

XL-Taschen, vorzugsweise aus Krokoleder<br />

in poppigen Farben. Come on! Das<br />

ist noch nicht genug Beleg für ein Antifräulein-Sein,<br />

als schwarzer Rapper hat er<br />

vielleicht ein anderes Verhältnis zu Mode<br />

und Bling als ein deutscher Eventmarketing-Agentur-Besitzer?<br />

Nun gut! Aber er<br />

wurde zum bestangezogenen Mann der<br />

Welt gekürt, wir wissen, was das bedeutet,<br />

wenn man kein Anziehpüppchen ist<br />

wie David Beckham. Pharrell zieht sich<br />

selbst an. Und das bedeutet, er denkt<br />

sehr viel, viel zu viel, über seine Klamotten,<br />

das Styling und die Looks nach. Das<br />

ist kein Grund? Aber er hat ein eigenes<br />

Modelabel, das ist doch wirklich sehr<br />

antifräuleinhaft, nicht? Auch nicht? Doch<br />

wer in Oprah Winfreys TV-Show vor<br />

millionen Zuschauern zu weinen anfängt,<br />

weil sein Song „Happy“ auf der ganzen<br />

Welt von Menschen nachgesungen und<br />

betanzt wird, die durch seine Musik eben<br />

happy werden, dann ist das doch wirklich<br />

sehr antifräuleinhaft. Nur dumme<br />

Mädchen weinen in der Öffentlichkeit.<br />

Ein Mann darf nur in einer TV-Show<br />

weinen, wenn es um seinen Hund oder<br />

sein Kind geht. Blödsinn? Es ist rührend,<br />

wenn er vor Glück weint, weil es ihm<br />

gelungen ist, so weit zu kommen, dass<br />

ihm die ganze Welt zusingt? Ok! Dann<br />

offenbaren wir jetzt die wahren Gründe,<br />

warum er hier als Antifräulein gestrandet<br />

ist. Verletzter Stolz. Pharrells Hype<br />

hat nicht nur den Mainstream erreicht,<br />

sondern ist zu etwas geworden, das man<br />

einfach nicht mehr gutheißen kann und<br />

darf. Instagram ist voll mit Selfies von<br />

lachenden achtjährigen Berlin-Mitte-Kindern,<br />

die sich während eines Events mit<br />

dem sogar in Kindergartenkreisen populären<br />

Star fotografieren durften. Natürlich<br />

unglaublich nett und menschlich<br />

von Pharrell, er ist trotz seines Ruhms<br />

bodenständig und ein Star zum Anfassen<br />

und hat keine Berührungsängste mit<br />

den Menschen, noch nicht einmal mit<br />

einer Horde Kinder mit verkehrt herum<br />

aufgesetzten Baseballkappen. Nun, wir<br />

mögen keine bodenständigen Stars zum<br />

Anfassen und finden, als Star sollte man<br />

sich zusammenreißen und gefälligst eine<br />

unerreichbare, unnahbare Diva sein. Wir<br />

wollen nicht dieselben Musiker hofieren<br />

wie der komplette Kindergarten nebenan.<br />

Das war schon zu Spice-Girls- und<br />

Take-That-Zeiten so. Die Kids haben<br />

Justin Bieber und Miley Cyrus, das sollte<br />

reichen, und wir haben echte Künstler<br />

wie Pharrell Williams, den wir schon<br />

2012 verehrten, als er noch Produzent<br />

bei The Neptunes war. Davon wissen die<br />

Kids natürlich nichts, und das soll auch<br />

so bleiben. Das Leben ist schließlich kein<br />

Kinderspielplatz.<br />

160


161


PARTY<br />

Fotos von Andreas Kuschner, Jan Lessner und Micki Richter<br />

abc DINNER<br />

Anlässlich der Berlin Art Week feierten <strong>Fräulein</strong> Magazin und L’Officiel Hommes gemeinsam mit Disaronno ein Dinner mit anschliessender Party. Im Tangoloft im Berliner<br />

Stadtteil Wedding sorgten DJ Rolex, Sven Hausherr und DJ IAMKIMKONG für die beste Musik zum Tanzen. Dank der frisch gemixten Drinks von Disaronno, als auch den<br />

Köstlichkeiten von Grey Goose, Bombay Sapphire, Thomas Henry und Beck’s, musste niemand verdursten. Bis in die frühen Morgenstunden wurde geplaudert, getrunken<br />

und gefeiert. Mit Cadillac kamen dann auch alle heil zu Hause an. Großes Danke an BAM Berlin!<br />

162


OFF ONE‘S<br />

ROCKER &<br />

RVCA<br />

VERNISSAGE<br />

In Kooperation mit Off One‘s Rocker Publishing und dem<br />

kalifornischen Skate- und Surflabel RVCA stellten die Künstler<br />

Benjamin JeanJean, Paul Senyol und 44flavours im RVCA<br />

Artspace in Berlin Mitte aus. Die australische Band Ladi6<br />

versüßte den Abend mit einem intimen Gig.<br />

GALLERY<br />

WEEKEND PARTY<br />

<strong>Fräulein</strong>, L‘Officiel Hommes und Intersection feierten gemeinsam zum Auftakt des Gallery Weekend in den<br />

Berliner Opernwerkstätten. Nach einem großartigen Dinner folgte die Party mit 2000 tanzwütigen Gästen,<br />

die zu den Klängen unseres Partners B&O Play die Nacht durchfeierten. Großer Dank gilt auch SKYY Vodka,<br />

Bentley, keinemusik und BAM Berlin für die Organisation dieses einmaligen Abends.<br />

163


LESESTÜCK<br />

Von Mary Scherpe „An jedem einzelnen Tag“, erschienen bei Lübbe<br />

Illustration von WRK-Design<br />

ROMANAUSZUG VON<br />

MARY SCHERPE<br />

AN JEDEM<br />

EINZELNEN TAG<br />

AB DIESER AUSGABE WIRD IN DER FRÄULEIN IMMER EIN AUSZUG AUS EINEM AKTUELLEN ROMAN ODER SACHBUCH<br />

ABGEDRUCKT. LOS GEHT ES MIT MARY SCHERPE, DIE SO MUTIG WIE UNKONVENTIONELL ÖFFENTLICH GEMACHT HAT,<br />

JAHRELANG VON EINEM STALKER VERFOLGT WORDEN ZU SEIN.<br />

Es begann im Juni 2012 mit einem Instagram-Konto, das sich über jedes meiner<br />

eigenen Instagram-Bilder lustig machte. Ich hatte sofort ein komisches Bauchgefühl dabei,<br />

entschied mich jedoch, dem nicht allzu viel Beachtung zu schenken – „dem wird das<br />

schon bald wieder langweilig“, sagten mir meine Freunde, „gib dich damit nicht ab.“ Es<br />

wurde demjenigen aber nicht langweilig, es kamen Konten auf Twitter und Foursquare<br />

dazu, bald bekam ich Post von Schönheitskliniken in mein Büro und Kataloge, Babynahrung<br />

und Vitamine nach Hause. Relativ schnell wurde mir klar, dass derjenige etwas<br />

Schlechteres im Sinn hatte. Dennoch ging ich wirklich lange davon aus, dass der Stalker<br />

irgendwann die Lust verlieren würde; ich war überzeugt, dass es ihm irgendwann<br />

reichen müsste. Viel anderes blieb mir auch nicht übrig. Die Polizei, an die ich mich<br />

noch im Sommer wandte, schien keine Handhabe zu haben und die Social-Media-Anbieter<br />

reagierten nicht auf meine Beschwerden. Erst nach über einem langen Jahr, als<br />

ich begann, seine Taten auf einem Blog dokumentieren, konnte ich dem Spuk zumindest<br />

teilweise ein Ende setzen. Jetzt habe ich ein Buch über diese Erfahrung geschrieben:<br />

An jedem einzelnen Tag. Der folgende Auszug beschreibt die Zeit kurz nach dem Jahreswechsel<br />

auf 2013. Er stalkte mich bereits seit über sechs Monaten und zeigte keine<br />

Anzeichen, dass er bald genug hätte. Im Gegenteil, es wurde immer schlimmer.<br />

Das Jahr 2013 war nicht besonders alt, als ich abermals anonyme Anrufe erhielt und auf<br />

neue Twitter-Konten stieß. Zum Beispiel auf charlottenstil, eventuell als eine Anspielung<br />

darauf, dass ich auf meinem Blog mehrmals über Orte in Charlottenburg geschrieben<br />

hatte. Oder auf irgendwas anderes, es war schon fast egal geworden. Und ab da wurden<br />

es täglich mehr Nachrichten, mit denen er mich belästigte.<br />

Ich weiß nicht mehr, warum, aber ich ging wieder dazu über, seine Twitter-Konten zu<br />

blockieren. Unglücklicherweise brachte das wirklich gar nichts: Sobald ich eines geblockt<br />

hatte, tauchte er mit neuem Namen wieder auf. Immer wieder – ich blockte charlottenstil,<br />

er löschte den und kreierte bloggertun, ich blockte diesen, er legte wasbloggertun<br />

an. Dann machte er sich nicht mal mehr die Mühe, sich neue Namen auszudenken,<br />

164


und führte sein Spiel unter wasbloggertun1, wasbloggertun2, wasbloggertun3, wasbloggertun4,<br />

wasbloggertun5, wasbloggertun6, wasbloggertun7 und wasbloggertun8 fort.<br />

Z. richtete seine Twitter-Nachrichten mittlerweile ausschließlich an mich, denn es ging<br />

nicht mehr darum, Publikum zu finden; Hauptsache, ich las die Texte.<br />

Im Januar sorgten ein Freund und ich bei einer kleinen Feier von Freunden in einer Bar<br />

in Mitte für die Musik und hatten das vorher bei Facebook angekündigt. Während der<br />

Party schrieb Z. unter wasbloggertun5 auf Twitter: Wir kommen auch gleich. Leg doch<br />

zum Üben noch ein bißchen Patrick Wolf auf. Hoffentlich bringt Florian genug Musik<br />

mit. Kurz darauf: Wärst du auch nur ein bißchen cool, würdest du richtige Schallplatten<br />

auflegen und keine MP3s auf dem Computer deines Freundes.<br />

Eine Stunde später: Hätte nicht gedacht, dass du irgendwas noch schlechter kannst als<br />

Schreiben. Das Auflegen solltest du auch lassen.<br />

Ich hatte bis dahin nicht auf mein Telefon geschaut und gar nicht mitbekommen, dass er<br />

mir schrieb. Als ich die Nachrichten sah, blockierte ich wasbloggertun5.<br />

Also kam die nächste Nachricht von wasbloggertun6:<br />

Das war die schlechteste #artistnight ever. Auflegen kannst du also auch nicht. Noch nie<br />

gab’s im King Size so schlechte Musik.<br />

Nächsten Mittwoch gibt’s dann endlich wieder bessere Musik. Schade, dass du dann<br />

nicht da sein kannst.<br />

Schlecht auflegen ist doch keine Arbeit. (Gute DJs machen Gäste glücklich. Wie gute<br />

Blogger Leserinnen.)<br />

Und dieses peinliche Tanzen hättest du dir auch sparen können. Hab nie jemanden gesehen,<br />

der sich so ungelenk bewegt wie du.<br />

Warum gehst du nicht mal wieder zur Maniküre, anstatt Katzenmusik zu machen? Nötiger<br />

wäre es.<br />

Wollte er mir etwa Angst machen? Oder von sich als Verdächtigem ablenken, indem er<br />

mir weismachte, der Stalker käme aus meinem Umfeld? Oder noch schlimmer, es gäbe<br />

mehrere Stalker, die sich ständig unerkannt in meiner Nähe aufhielten? Die sich organisierten,<br />

um mich gemeinsam zu bedrohen? Wie albern, hoffte er wirklich, ich fiele auf<br />

derartig absurde Verschwörungstheorien herein?<br />

Im Prinzip war es mittlerweile egal, was ich tat, ob ich etwas veröffentlichte oder nicht<br />

– Z. fand jeden Tag Sachen, die er kommentieren wollte; ihm fielen zig Belehrungen ein,<br />

und wenn er keine neuen Ideen hatte, wiederholte er einfach alte Beleidigungen. Es war<br />

schrecklich ermüdend. Am meisten fuchste ihn mein Blog, so dass er permanent darauf<br />

herumhackte:<br />

Selten eine so schlechte Berichterstattung gelesen. Das kann jede Modebloggerin aus<br />

der dritten Reihe besser. Verfehlt!<br />

Wen interessiert das noch? Und warum bläst du das Bild gleich zwei Mal über Twitter<br />

und über Facebook raus? Das ist zu viel.<br />

Er fühlte sich berufen, mir die in seinen Augen miese Qualität meiner Arbeit dauernd<br />

vor Augen zu führen. All die Nachrichten zu meinem schlechten Job als DJ und den<br />

schlechten Berichten auf Stil in Berlin stammen von einem einzigen Tag. Und es wurden<br />

täglich mehr.<br />

Ende Januar flog ich für drei Wochen nach Hawaii für einen Werbefilm. Ich war ziemlich<br />

aufgeregt und packte meinen Koffer mit allerlei bunten Sachen – einem grellgelben<br />

Kleid, knallroten Shorts und neongrünen Sneakers. Von diesem Durcheinander machte<br />

ich ein Bild und stellte es auf Instagram, um meine Vorfreude zu teilen. Im Taxi auf dem<br />

Weg zum Flughafen bekam ich dann eine SMS: Hallo Mary, ich wünsche dir eine schöne<br />

Reise und interessante Zeiten. Komm gesund wieder! LG :-)<br />

Die Nummer, von der die Nachricht kam, kannte ich nicht. Und weder klang das Geschriebene<br />

nach einem meiner Freunde oder nach meiner Mutter – ich wusste nicht,<br />

was ich damit anfangen sollte. Aber zu antworten und nachzufragen, traute ich mich<br />

nicht, denn mich erfasste sofort wieder so ein übles Gefühl.<br />

Am nächsten Tag kam eine weitere Nachricht von derselben Nummer: Gute Nacht<br />

Mary! Viel Spass beim Surfen und schöne Träume. LG ;-)<br />

Ich wurde unsicher, waren das harmlose SMS eines Bekannten, der dachte, ich hätte<br />

diese Nummer? Aber das musste jemand sein, der mir nahesteht, wieso würde er mir<br />

sonst zwei Nachrichten innerhalb kurzer Zeit schicken, ohne dass ich antwortete? Das<br />

konnte nur Z. sein.<br />

Einen Tag später kam die SMS: Aloha Mary! Ich wünsche dir so viel Sonne wie möglich!<br />

:-)<br />

»As Sun As Possible« war der Titel des Projekts von Volkswagen, weswegen ich auf<br />

O’ahu, Hawaii, war. Ich hatte darum kein großes Aufhebens gemacht, zwar wussten<br />

meine Freunde und Familie davon, aber die würden ja keine SMS von unbekannten<br />

Nummern schicken. Von meiner Reise konnte ansonsten nur jemand wissen, der viel<br />

Zeit damit verbrachte, meine Spuren im Netz zu verfolgen. Die zuständige Werbeagentur<br />

hatte auf der eigens dafür eingerichteten Website schon ein Video und ein paar Infos<br />

veröffentlicht.<br />

Ich musste mir zum Glück keine weiteren Gedanken über diese merkwürdigen Nachrichten<br />

machen, denn kurz darauf tauschte ich meine SIM-Karte gegen eine amerikanische<br />

und war für den Rest der Reise auf meiner deutschen Nummer nicht mehr<br />

erreichbar.<br />

Allerdings sah ich kurz nach meiner Ankunft auf Hawaii ein neues Twitter-Konto, das<br />

Z.s Handschrift trug – schon der erste Tweet beleidigte mich und meine Arbeit. Es<br />

nannte sich LehMatz, eine Anspielung auf den Namen des damals größten Modeblogs<br />

Les Mads. Z. hatte sich immer gern über den Blog und seinen Namen lustig gemacht, er<br />

nannte sie »die Matzen«.<br />

Nach dem Debakel mit wasbloggertun und der endlosen Schleife an Varianten, blockierte<br />

ich LehMatz nun nicht mehr. Was brachte mir das Ignorieren oder Blockieren schon?<br />

Z. verlor offensichtlich nicht die Lust, nur weil ich eines seiner Twitter-Konten sperrte.<br />

Jetzt wusste ich wenigstens, aus welcher Ecke die Attacken kamen, anstatt wieder auf<br />

neue Konten warten zu müssen. So war es leichter, ihn zu beobachten – ich konnte alle<br />

zwei oder drei Tage Fotos der Tweets machen und hatte damit den Großteil der Twitter-Angriffe<br />

festgehalten. Zumindest ein kleiner Teil des Ganzen war so unter irgendeiner<br />

Art von Kontrolle, fand ich.<br />

Mittlerweile ging es Z. nicht mehr darum, ein Publikum zu erreichen – er abonnierte<br />

keine anderen Konten mehr und hatte keine Abonnenten –, ich aber sollte alles lesen,<br />

was er auf LehMatz schrieb. Deswegen favorisierte, retweetete und beantwortete er<br />

viele meiner Twitter-Nachrichten, damit ich jedes Mal eine Meldung bekam. Seine Aktivitäten<br />

nahmen zu, diese Tweets schickte er mir zum Beispiel an einem einzigen Tag,<br />

dem 1. Februar:<br />

Sesamöl ist das Beste, wo gibt.<br />

Modebloggen wie 2006 – zurück zum Streetstyle. (Ist ja auch noch schneller gemacht<br />

als ein schlechter Text.)<br />

Oh, noch gar kein Streetstyle auf Stil in Berlin heute.<br />

Wasted German Marketing Budget #sovielsonnewiemöglich #stilinberlin<br />

Es gibt einen Urlaubsvertreter, der es besser kann als Mutti. Warum übernimmt Flori<br />

nicht?<br />

Wer bin ich? (Angehängt hatte er ein Bild von mir.)<br />

Ronald Zehrfeld? Just asking. #fernsehen<br />

Langweiliger Spam-Content. Ich bedauere das Land Niedersachsen, das ja großer Aktionär<br />

bei VW ist und deinen Urlaub bezahlen muss.<br />

Hast du mal probiert, dir die Beine zu rasieren? Kommt gerade in den USA besser an?<br />

So ging es die folgenden Tage weiter, entweder verfasste er belehrende Beleidigungen:<br />

Guten Morgen! Schon mal über Absaugen nachgedacht?<br />

Und: Ein Dirndl würde dir bestimmt auch nicht so gut stehen, oder?<br />

Oder er twitterte blöde Belanglosigkeiten: Enjoy the green juice!<br />

Und: You’re my favorite streetstyle photographer! Und: Beware of sharks!<br />

Und, und, und ...<br />

Er konnte nicht aufhören.<br />

Drei Wochen später kam der Tag meiner Rückreise und damit der Zeitpunkt, an dem ich<br />

die amerikanische wieder gegen die deutsche Sim-Karte austauschen musste. Ich ahnte<br />

Böses, wer weiß, wie viele unheimliche SMS in der Zwischenzeit gekommen waren.<br />

Es war nur eine: Handy ist geklaut. Ist die Nummer richtig? Komm ich aus dem Urlaub,<br />

ist mein Türschloss mit Sekundenkleber dichtgemacht. So eine Scheisse!!!<br />

Erst war ich nur verwirrt, aber bald, obwohl ich es nicht wollte, schlug mir das Herz bis<br />

zum Hals. War das ein Witz? Kam das von Z.? Wollte er mich wirklich zu einer Antwort<br />

provozieren? Oder war es eine Drohung? War er mittlerweile in Berlin gewesen und um<br />

meine Wohnung geschlichen? Hatte er mein Türschloss mit Sekundenkleber dichtgemacht?<br />

Oder war gleich in die Wohnung eingebrochen? Hatte sich in mein Bett gelegt?<br />

Alles verwüstet? Oder das Haus abgefackelt? Oder wartete er sogar drinnen auf mich?<br />

Allesamt ziemlich irre Gedanken, die ich da hatte. Als ich zu Hause ankam, war es lediglich<br />

mein Briefkasten, den er terrorisiert hatte. Er quoll über mit Post von Touristenbüros,<br />

Pharmafirmen, politischen Parteien und religiösen Vereinigungen. Dazu kam jede<br />

Menge Informationsmaterial für Schwangere – zu Nabelschnurblutdepots, Schwangerschaftsvitaminen<br />

oder Stammzellen.<br />

Ich schmiss alles in den Müll.<br />

165


FEIERABEND<br />

Von Ruben Donsbach<br />

ALICE AUS<br />

DER BRONX<br />

SONIA SOTOMAYOR WURDE 2009 ALS ERSTE LATINA UND DRITTE FRAU ZUR RICHTERIN AM OBERSTEN<br />

GERICHTSHOF DER USA ERNANNT. IHR AUFSTIEG AUS EINFACHSTEN VERHÄLTNISSEN IST BEISPIELHAFT.<br />

<strong>Fräulein</strong>: Frau Sotomayor, als Sie<br />

von Präsident Obama als Richterin<br />

für den Obersten Gerichtshof nominiert<br />

wurden, mussten Sie sich intensiven<br />

Anhörungen im Senat stellen.<br />

Sonia Sotomayor: Sinn dieser Anhörungen<br />

ist es, einen Kandidaten zu durchleuchten<br />

und herauszufinden, wie er als<br />

Richter in jeder möglichen Situation urteilen<br />

würde. Dabei sollte ein Richter nur auf<br />

Grundlage von Fakten entscheiden, nicht<br />

nach Meinung. Die Öffentlichkeit meint,<br />

Unvoreingenommenheit zu wollen, und<br />

möchte doch am liebsten jemanden am<br />

Gerichtshof sitzen haben, der genau so<br />

denkt wie sie. Das ist ein Paradox (lacht).<br />

Die Anhörungen glichen einem Tribunal.<br />

Sie wurden als aufbrausend<br />

beschrieben, Ihre Herkunft thematisiert,<br />

Ihre Qualifikation infrage gestellt.<br />

Wie ist es, mit diesen Vorurteilen<br />

zu leben?<br />

Das war und ist schwer. Das hat viel mit<br />

den Gender-Klischees zu tun. Menschen,<br />

die selbstbewussten Frauen begegnen,<br />

nehmen diese oftmals als unverhältnismäßig<br />

hart und aggressiv war. Männer,<br />

die sich genau so verhalten, gelten als<br />

selbstbewusst und durchsetzungsstark.<br />

Ihr autobiografisches Buch Meine<br />

geliebte Welt ist vor Kurzem bei C.H.<br />

Beck erschienen. Darin beschreiben<br />

Sie sehr eindrücklich Ihr Aufwachsen<br />

in der South Bronx, damals eine<br />

der ärmsten Nachbarschaften in den<br />

USA. Mit sechs Jahren wurde bei Ihnen<br />

Diabetes diagnostiziert, kurz darauf<br />

starb Ihr Vater an Alkoholmissbrauch.<br />

Das ist wahr.<br />

Wie haben Sie es unter diesen Bedingungen,<br />

gegen alle Widerstände, bis<br />

an den Supreme Court geschafft? Woher<br />

nahmen Sie die Kraft?<br />

Natürlich ist meine Durchsetzungskraft<br />

ein Produkt der Welt, in die ich hineingeboren<br />

wurde. Ich entwickelte die Bereitschaft,<br />

zu sagen: „Wenn mich das nicht<br />

aus der Bahn geworfen hat, dann kann<br />

kommen, was will“.<br />

Von außen betrachtet mag es so<br />

scheinen: Klar, Sonia Sotomayor, das<br />

ist halt der American Dream, only in<br />

America. Übersehen werden dabei<br />

die äußeren Bedingungen der sozialen<br />

Herkunft, und zweitens, dass der<br />

Staat Ihnen Hilfe und Werkzeuge in<br />

die Hand gegeben hat, um Ihr Ziel,<br />

den gesellschaftlichen Aufstieg, zu<br />

erreichen.<br />

Definitiv ...<br />

Könnten Sie in diesem Kontext erklären,<br />

was Affirmative Action bedeutet<br />

und warum sie implementiert wurde?<br />

Ich will es in der Kürze dieses Interviews<br />

versuchen. Als in den 60er-Jahren in den<br />

USA die Bürgerrechtsbewegung erstarkte,<br />

wurde schnell klar, dass die Integration<br />

unserer Gesellschaft nur sehr langsam<br />

vonstattenging. Dies war zumindest<br />

teilweise durch die Diskriminierung von<br />

Minderheiten zu erklären, die selbst das<br />

Ergebnis jahrzehntelanger Segregation<br />

war. Jobs und Aufstiegsmöglichkeiten<br />

und sogar Bildungschancen wurden auf<br />

der Basis von Beziehungen vergeben. Das<br />

beste Beispiel dafür ist das universitäre<br />

Ivy-League-System.<br />

Höhere Bildungseinrichtungen wie<br />

Harvard und Yale waren immer ein<br />

Boys Club, an dem die Söhne bekannter<br />

und erfolgreicher weißer Männer<br />

auf ihresgleichen trafen. Nicht nur<br />

für ethnische Minderheiten, sondern<br />

auch für Frauen war es sehr schwer,<br />

hier Erfolg zu haben.<br />

Ganz richtig. Es war ein Boys Club. Als<br />

ich nach Princeton kam, war es überhaupt<br />

erst der dritte Jahrgang, in dem<br />

Frauen zugelassen wurden. Minderheiten<br />

und Studenten von Schulen aus sozial<br />

schwächeren Milieus gab es wenige.<br />

Durch Affirmative Action wurde diese<br />

Auswahlroutine hinterfragt und flächendeckend<br />

auf der Grundlage von Talent<br />

nach geeigneten Kandidaten gesucht. Ich<br />

kam von einer ganz guten katholischen<br />

Schule aus der Bronx. Ich war dort immer<br />

unter den Besten, wenn auch nicht<br />

den Allerbesten gewesen. Doch neben<br />

der Schule habe ich jedes Wochenende<br />

gearbeitet und mich als Klassensprecher<br />

engagiert. Dies zeigte dem Auswahlgremium,<br />

wie viel Entschlossenheit ich an<br />

den Tag legte, Erfolg zu haben.<br />

Andere Schüler Ihres Jahrgangs blieben<br />

zu Hause und spielten.<br />

Ja, sicher. Diese Aktivitäten machten<br />

mich für Princeton attraktiv. Auch dass<br />

sie überhaupt an unsere Schule kamen,<br />

war der Affirmative Action zu danken.<br />

Es gibt eine Episode aus Ihrer Zeit<br />

in Princeton, die bezeichnend ist. Sie<br />

erzählten einer Kommilitonin, wie<br />

unwillkommen sie sich fühlen. Diese<br />

antwortet: „Oh, du bist wie Alice aus<br />

dem Wunderland.“ Obwohl sie eine<br />

begeisterte Leserin gewesen sind als<br />

Kind, kannten Sie das Buch nicht.<br />

Was erzählt diese Geschichte?<br />

Ausgeschlossen von der Mehrheitskultur<br />

fehlt Ihnen der Hintergrund, zahllose alltägliche<br />

Referenzen zu verstehen, welche<br />

signalisieren würden: „Die ist eine von<br />

uns.“ Jedes amerikanische Kind kennt<br />

Alice im Wunderland, nur nicht jene mit<br />

puerto-ricanischen Wurzeln. Wichtig ist:<br />

Es ist falsch, über das Wissen um gewisse<br />

kulturelle Bezugspunkte auf die Intelligenz<br />

und die individuellen Fähigkeiten<br />

einer Person zu schließen. Die Geschichte<br />

ist eine meiner Schlüsselerfahrungen.<br />

Den nächsten Sommer verbrachte ich<br />

dann damit, all die Bücher zu lesen, die<br />

ich hätte lesen sollen, als ich noch jünger<br />

war.<br />

Als junge Frau schon wurde bei Ihnen<br />

Diabetes diagnostiziert. Damals<br />

war die Krankheit schlecht heilbar,<br />

die Kur experimentell. Sie hätten<br />

sterben könne. Hat Sie diese Konfrontation<br />

mit dem eigenen Tod in<br />

außergewöhnlicher Weise gestärkt?<br />

Oh, ohne Frage. Durch den Diabetes begann<br />

ich, jede Sekunde meines Lebens<br />

wertzuschätzen. Ich werde bald 60 Jahre<br />

alt sein (Anmerkung der Redaktion: Frau<br />

Sotomayor wurde am 25. Juni dieses Jahres<br />

60 Jahre alt), die Angst vor dem Tod<br />

ist nicht mehr so präsent wie damals.<br />

Aber ich glaube fest daran, dass man endlose<br />

Möglichkeiten hat, wenn man bereit<br />

ist, sich voll auf das Leben einzulassen.<br />

An Ihrem ersten Arbeitstag am Supreme<br />

Court sind sie vor Arbeitsbeginn<br />

in das gerichtseigene Fitness-center<br />

gegangen. Ich weiß, dass<br />

Sie nicht viel Fernsehen schauen.<br />

Höchstens die Nachrichten. Was tun<br />

Sie, um nach Feierabend zu entspannen?<br />

Das ist eine gute Frage. Oftmals komme<br />

ich nach Hause und habe noch zu arbeiten.<br />

Meine Tage sind sehr lang. Ich fahre<br />

gerne am Wochenende mit dem Fahrrad<br />

in die Natur hinaus. Nachts lese ich etwas<br />

zum Vergnügen, ich mag es, zu kochen.<br />

Aber ganz ehrlich? Ich liebe es, mit meinen<br />

Freunden Poker zu spielen. Ich liebe<br />

die Mathematik daran.<br />

So wie Ihr Vater, er liebte die Mathematik.<br />

Das stimmt!<br />

Können Sie gut bluffen?<br />

Sagen wir es so: Ich gewinne öfter als ich<br />

verliere.<br />

Muss ein Richter bluffen können?<br />

Nein (lacht). Eher weniger. Es geht immer<br />

nur um das beste Argument!<br />

Sonia Sotomayor, geboren 1954 in New York,<br />

gilt gerade seit dem letzten Zyklus des Supreme<br />

Courts als eine der streitbarsten Stimmen für<br />

die Rechte von Minderheiten in den USA. Ihre<br />

Autobiographie „Meine geliebte Welt“ ist bei C.H.<br />

Beck erschienen.<br />

166


100% FRIENDLY<br />

COLLECTION<br />

NOW IN STORES<br />

AND AT GLORE.DE<br />

ANNE GORKE<br />

167


168


REZEPT<br />

Illustration von Lenia Hauser<br />

Foto von Sabine Volz<br />

*Dieses Rezept<br />

ist lediglich<br />

die Füllung für<br />

„Gefüllter Puter”<br />

169


DAS TRAGE ICH FÜR DIE EWIGKEIT<br />

Von Revan Baysal<br />

SCHMUCK<br />

AUF<br />

NACKTER<br />

HAUT<br />

BEIM BERLINER DESIGNERDUO AUGUSTIN TEBOUL TRIFFT<br />

AVANTGARDISTISCHE COUTURE AUF ROCK-‘N‘-ROLL-CHIC. IN<br />

DER EWIGKEIT GIBT ES FÜR SIE KEINE MATERIALITÄT MEHR.<br />

BEDEUTUNG HAT VOR ALLEM DAS HIER UND JETZT.<br />

„WIR SIND NICHT<br />

GEGEN DAS LEBEN<br />

NACH DEM TOD.“<br />

Odély: Das wirklich Beängstigende am<br />

Tod ist, die Menschen zu verlieren, die<br />

man liebt. Der eigene Tod kann dagegen<br />

ziemlich egoistisch sein, schließlich sind<br />

danach nur noch diejenigen damit konfrontiert,<br />

die du hinterlässt. Gerade wenn<br />

ich mal wieder im Flugzeug sitze, denke<br />

ich besonders oft über den Tod nach. Ich<br />

sage dann manchmal zu mir selbst: Das<br />

wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, zu sterben.<br />

Denn ich habe mein Bestes gegeben und<br />

ich bereue nichts. Das hört sich jetzt an,<br />

als wäre ich komplett furchtlos, aber das<br />

bin ich nicht. Nur in den Momenten, in<br />

denen ich zufrieden mit mir bin, hätte ich<br />

keine Angst vor dem Sterben, davor, das<br />

es enden könnte.<br />

Annelie: In so einem Moment denke ich:<br />

Es gibt nichts, was ich auf die andere Seite<br />

mitnehmen wollen würde. Jedenfalls<br />

nichts von materiellem Wert.<br />

O: Die Vorstellung eines Nach-dem-Tod<br />

ist ein Konzept aus der Welt der Lebenden.<br />

Besonders bin ich daher fasziniert<br />

von Mumien. In erster Linie wurden Tote<br />

mumifiziert, weil man im alten Ägypten<br />

an ein Leben nach dem Tod glaubte. Das<br />

war natürlich auch höchst repräsentativ,<br />

denn nicht jeder konnte sich eine Mumifizierung<br />

leisten. Heute könnte man<br />

sich solch eine Zeremonie nicht wirklich<br />

vorstellen, weil man das Leben nach dem<br />

Tod immerzu infrage stellt. Gibt es das<br />

überhaupt? Ich habe auch keine Vorstellung<br />

davon und deswegen würde ich auch<br />

nichts mit in die Ewigkeit nehmen wollen,<br />

um es dort zu tragen. Das ist ja hier das<br />

Thema. Die ganzen Zeremonien, die sich<br />

um den Tod drehen ... das ist alles nicht<br />

für den Toten gedacht, das ist für die Hinterbliebenen.<br />

Es ist eine Art Abschiedsgeschenk.<br />

Und diese Traditionen führen wir<br />

Lebenden eben weiter ... Für mich ist die<br />

Vorstellung, tot zu sein, wirklich schwer.<br />

Aber jetzt, wo ich darüber nachdenke,<br />

fände ich es schon ziemlich lustig, nackt<br />

da zu liegen, mit ganz viel Schmuck. Stell<br />

dir doch mal vor: du bist alt und reich und<br />

tot. Ich hätte mein Leben lang all diesen<br />

Schmuck gesammelt. Vintage-Schmuck,<br />

Goldschmuck, was von meiner Oma,<br />

was vom Trödel. Und dann kriege ich da<br />

nackte Haut und ganz viel Schmuck – das<br />

wäre ein schönes Bild für die Ewigkeit.<br />

A: Auch wenn ich nichts Materielles wie<br />

Schmuck mit in die Ewigkeit nehmen<br />

wollen würde, glaube ich natürlich an<br />

das Leben nach dem Tod oder sagen wir<br />

besser: ich bin nicht dagegen! Ich denke<br />

da nicht an Engel, die auf Wolken sitzen<br />

und auf ihrer Harfe spielen. Ich stelle mir<br />

das Ganze als einen weiten, hellen Ort vor,<br />

der nach Luft riecht. Es geht dort jedenfalls<br />

nicht um einen Goldring oder mein<br />

Lieblingskleid. Es geht um Seelen und die<br />

sind frei von Materialität.<br />

O: Ich glaube eher an Reinkarnation<br />

und dass das Leben ein Zirkel von vielen<br />

Energien ist. Alles ändert sich ständig; etwas<br />

stirbt, Neues wird geboren – das ist<br />

ein fortwährender Rythmus. Vielleicht<br />

war ich im ersten Leben ein Insekt und<br />

bin als Modedesignerin wiedergeboren<br />

worden. Aber eines ist ganz sicher:<br />

Es gilt, aus dem Leben das Beste zu machen,<br />

schließlich haben wir nur das eine.<br />

Es hängt wahrscheinich davon ab, wie ich<br />

mich jetzt anstelle, als was ich wiedergeboren<br />

werde, welche Chance ich dann<br />

bekomme. Vielleicht reinkarniere ich als<br />

Pflanze, als Baum? Wir Menschen sind<br />

generell viel zu sehr beschäftigt mit uns<br />

selbst. Da fällt mir diese eine lustige und<br />

experimentelle Dokumentation über die<br />

Sprache der Pflanzen ein. Irgendwelche<br />

Menschen, die seltsame Tests durchführen<br />

und behaupten, Pflanzen hätten eine<br />

eigene Sprache. Das sollte man jetzt nicht<br />

so ernst nehmen, aber wenn man überlegt,<br />

wann hat man das letzte Mal Natur<br />

wirklich wahrgenommen? Was ich sagen<br />

will: Wir sollten nicht nur mit uns selbst<br />

beschäftigt sein, sondern mehr unsere<br />

Umwelt beobachten. Schließlich kann<br />

sich das Leben von der einen Minute zur<br />

anderen ändern.<br />

A: Das ist es. Ich fürchte diese Unberechenbarkeit<br />

des Lebens, aber nicht den<br />

Tod. Es gibt zwar kein Leicht oder Schwer,<br />

aber ist ein langsamer Tod in diesem Sinne<br />

nicht besser?<br />

O: Mmh, das würde ich nicht sagen. Vielleicht<br />

für die Menschen, die man verlässt,<br />

aber nicht für einen selbst. Wenn man<br />

das Beste aus jedem Tag macht, kann der<br />

Tod kommen und du wirst nichts vermissen.<br />

Das was zählt, ist das Hier und Jetzt.<br />

Wenn du geliebt hast, was du lieben konntest,<br />

getragen hast, was du tragen wolltest,<br />

getan hast, was du tun konntest und gelebt<br />

hast, wie du leben konntest, was würde<br />

dir am Ende dann fehlen?<br />

Vermutlich nichts.<br />

Schon immer umwehte die beiden Freundinnen<br />

und Absolventinnen der Esmod Paris, Annelie<br />

Augustin und Odély Teboul, ein Hauch des<br />

Makabren. „Starr wie Roboterkriegerinnen<br />

aus einer düsteren Zukunft“ beschrieb die<br />

Süddeutsche Zeitung ATs Modelle der aktuellen<br />

Frühjahrskollektion. Für ihre Schneiderkunst<br />

erhielten sie 2014 den „International Woolmark<br />

Prize“.<br />

170


171


IMPRESSUM<br />

<strong>Fräulein</strong> ist eine<br />

Off One’s Rocker Ltd. Produktion<br />

mit Redaktionssitz:<br />

<strong>Fräulein</strong> Magazin<br />

Kurfürstenstraße 31-32<br />

10785 Berlin<br />

Telefon: +49 (0)30 2888 40 43<br />

Fax: +49 (0)30 2888 40 44<br />

info@fraeulein-magazin.com<br />

www.fraeulein-magazin.com<br />

Chefredakteur und Kreativdirektor<br />

V.i.S.d.P.<br />

Götz Offergeld<br />

Stellvertretender Chefredakteur<br />

Hendrik Lakeberg<br />

Ruben Donsbach<br />

Art-Direktion<br />

Andreas Kuschner<br />

Redaktion:<br />

Redaktionsleitung<br />

Anna Klusmeier<br />

International Fashion Editor<br />

Bernat Buscato<br />

Mode & Beauty<br />

Adrian Fekete<br />

Sina Braetz<br />

Online-Redaktion<br />

Revan Baysal<br />

Fashion Department New York<br />

Leo Saraniecki<br />

Redaktion<br />

Lorenz Schröter, Maja Hoock, Robert Grunenberg<br />

Grafik<br />

Christopher Schmidt<br />

Praktikanten<br />

Alina Amato, Julia Wötzinger<br />

Schlussredaktion<br />

Eckart Eisenblätter<br />

Heinrich Dubel<br />

Autoren<br />

Kevin Junk, Mary Scherpe, Sebastian Mayer, Wäis<br />

Kiani, Willy Katz<br />

Fotografen<br />

Adrien Mowgli, Amos Fricke, Annelise Phillips,<br />

Bettina Rheims, David Fischer, Denis Ignatov, Fabian<br />

Vaccaro, Hendrik Schneider, Jai Odell, Jan Philipp<br />

Lessner, Jj Stratford, Julia Grossi, Khaled Sufi, Kristiina<br />

Wilson, Mareike Seifried, Max Zürker, Maxyme G.<br />

Delisle, Micki Rosi Richter, Nils Krüger, Sabine Volz,<br />

Sebastian Mayer<br />

Illustratoren<br />

Anne Quadflieg, Danielle de Picciotto, Julia<br />

Danckwerth, Katrin Funcke, Kristina Wedel, Lenia<br />

Hauser, Natalia Bzdak, PepiArt, Pinki Dornberger,<br />

WRK-Design<br />

Styling<br />

Britt Berger, Ruth Higginbotham, Sophia Costima,<br />

Tabi Charaf, Tanja Martin<br />

Cover:<br />

Foto<br />

Hendrik Schneider<br />

<strong>Neneh</strong> trägt<br />

Blazer Hugo Boss<br />

Turban/Carré Hermès<br />

<strong>Fräulein</strong> Logo<br />

André Saraiva<br />

Verlag:<br />

Off One‘s Rocker Publishing Ltd.<br />

Kurfürstenstraße 31-32<br />

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Herausgeber: Götz Offergeld<br />

Verlagsleiter: Hannes von Matthey<br />

Idee und Konzept: Götz Offergeld<br />

Vertrieb:<br />

BPV Medien Vertrieb GmbH & Co. KG<br />

Römerstr. 90<br />

79618 Rheinfelden<br />

www.bpv-medien.com<br />

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Dierichs Druck+Media GmbH & Co. KG<br />

Frankfurter Str. 168<br />

34121 Kassel<br />

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Anzeigenverkauf:<br />

Nielsen 1 (Hamburg, Berlin, Schleswig-Holstein,<br />

Niedersachsen)<br />

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Poelchaukamp 8, 22301 Hamburg<br />

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Fax: +49 (0)40 280 580 89<br />

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Nielsen 2 (Nordrhein-Westfalen)<br />

Andreas Fuchs, Medienservice + Beratung<br />

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Nielsen 3a (Hessen, R heinland Pfalz, Saarland)<br />

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61476 Kronberg<br />

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Fax: +49 (0)6173 3259 140<br />

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Nielsen 4 (Bayern), Österreich, Schweiz<br />

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Tel.: +44 - (0)20 - 7403 458 9<br />

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HÄNDLERVERZEICHNIS<br />

A<br />

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Alexander McQueen<br />

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B<br />

Balenciaga<br />

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Bernhard Willhelm<br />

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BlackBerry<br />

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BLK DNM<br />

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Bosideng<br />

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By Malene Birger<br />

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C<br />

Cartier<br />

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Céline<br />

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Chanel<br />

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Christopher Kane<br />

Über net-a-porter.com<br />

Clarins<br />

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Comme des Garçons<br />

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Converse<br />

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D<br />

Dior<br />

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Dolce & Gabbana<br />

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Dries Van Noten<br />

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Dsquared2<br />

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E<br />

Ede & Ravenscroft<br />

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Elevenparis<br />

elevenparis.com<br />

Emma Willis<br />

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Emporio Armani<br />

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Eres<br />

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Ermenegildo Zegna<br />

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Etro<br />

etro.com<br />

F<br />

Falke<br />

falke.com<br />

Fendi<br />

fendi.com<br />

G<br />

Gieves & Hawkes<br />

gievesandhawkes.com<br />

Giorgio Armani<br />

armani.com<br />

H<br />

Haider Ackermann<br />

haiderackermann.com<br />

Hardy Amies<br />

hardyamies.com<br />

Hermès<br />

hermes.com<br />

Hugo Boss<br />

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Hunter<br />

hunter-boot.com<br />

I<br />

Iphoria<br />

iphoria.com<br />

Isabel Marant<br />

isabelmarant.com<br />

J<br />

Jil Sander<br />

jilsander.com<br />

Jil Stuart<br />

jilstuart.com<br />

L<br />

Lanvin<br />

lanvin.com<br />

Lee<br />

lee.com<br />

Levi’s<br />

levi.com<br />

Lili Radu<br />

liliradu.com<br />

Lipstick Queen<br />

lipstickqueen.com<br />

Londontown<br />

londontownusa.com<br />

Louis Vuitton<br />

louisvuitton.de<br />

M<br />

Maison Martin Margiela<br />

maisonmartinmargiela.com<br />

Margaret Howell<br />

margarethowell.co.uk<br />

Marimekko<br />

marimekko.com<br />

Marni<br />

marni.com<br />

Marshall<br />

marshallheadphones.com<br />

Marvis<br />

marvismint.com<br />

Matchesfashion<br />

matchesfashion.com<br />

Michael Kors<br />

michaelkors.com<br />

Miller Harris<br />

millerharris.com<br />

Miu Miu<br />

miumiu.com<br />

Mykita<br />

mykita.com<br />

N<br />

New Balance<br />

newbalance.de<br />

Nixon<br />

nixon.com<br />

O<br />

Odin<br />

odinedt.com<br />

Opening Ceremony<br />

openingceremony.us<br />

Otis Batterbee London<br />

otisbatterbee.com<br />

Olympia Le-Tan<br />

olympialetan.com<br />

P<br />

Paul Smith<br />

paulsmith.co.uk<br />

PB 0110<br />

pb0110.de<br />

Philips<br />

philips.de<br />

Porsche Design<br />

porsche-design.com<br />

Prada<br />

prada.com<br />

Q<br />

Quartier 206<br />

dsq206.com<br />

R<br />

Radio Days Vintage<br />

radiodayvintage.co.uk<br />

Ray Ban<br />

ray-ban.com<br />

Red Wing Shoes<br />

redwingshoes.com<br />

S<br />

Saint Laurent<br />

ysl.com<br />

Salvatore Ferragamo<br />

ferragamo.com<br />

Samsung<br />

samsung.com<br />

Senz6<br />

senz6.com<br />

T<br />

Thom Sweeney<br />

thomsweeney.co.uk<br />

Thomas Pink<br />

thomaspink.com<br />

Tiger of Sweden<br />

tigerofsweden.com<br />

Tom Ford<br />

tomford.com<br />

Tromborg<br />

tromborg.com<br />

U<br />

Uniqlo<br />

uniqlo.com<br />

V<br />

Vans<br />

Vans.de<br />

Valentino<br />

valentino.com<br />

Versace<br />

versace.com<br />

172


RÄTSEL<br />

RÄTSEL<br />

ACHT REGENSCHIRME, DIE FRÄULEIN HABEN<br />

WILL, UND ACHT FEHLER, DIE ZU FINDEN SIND!<br />

173


HOROSKOP<br />

Illustration von Natalia Bzdak<br />

WIR SIND MANCHMAL EINE GANZ SCHÖN DEPRIMIERTE UND DEPRIMIERENDE SPEZIES, WIR<br />

UND TRENNEN UNS, STREITEN UND<br />

MENSCHEN. LEBEN PLANLOS IN DEN TAG HINEIN, LIEBEN<br />

WER WEM WANN ANS BEIN<br />

FETZEN UNS ANSCHLIESSEND UM DIE RICHTIGE ERINNERUNG.<br />

ÖFTER DIE KINDER ZUM SPORT<br />

GEPINKELT, WER IMMER IM CLUB BEZAHLT ODER<br />

GEBRACHT HAT. ALLES QUATSCH, WEISS UNSER THERAPEUTISCHES HOROSKOP. ENTSPANNT<br />

EUCH MAL! OB EIN PROBLEM GELÖST WERDEN KANN ODER NICHT: WELCHEN SINN HAT<br />

ES, STÄNDIG UNGLÜCKLICH ZU SEIN UND ÜBER DAS<br />

WILL BE<br />

LEID DER ERDE ZU KLAGEN? „EVERYTHING<br />

OKAY IN THE END. IF IT‘S NOT OKAY, IT‘S NOT THE END“.<br />

STEINBOCK<br />

22. Dezember – 20. Januar<br />

Die Welt ist leider komplex. Man braucht<br />

ein Dutzend Passwörter. Welche Straßenverkehrsordnung<br />

gilt für Bierbikes? Wer<br />

blickt bei Handy-Tarifen durch? Wir sind<br />

dauernd mit diesem Mist beschäftigt und<br />

versuchen uns die Welt mit Lebenshilfe-<br />

und Zensprüchen wie „Es gibt nichts<br />

Gutes, außer man tut es“ erträglicher zu<br />

machen. Manchmal sollte man das alles<br />

abstellen und es mit eigenen Worten versuchen.<br />

FISCHE<br />

20. Februar – 20. März<br />

Der Neptun ist minus 201 Grad Celsius<br />

kalt und er schweigt. Er lügt nicht, er sagt<br />

nicht die Wahrheit, er löst keine Grenzen<br />

auf, er ist kein Mystiker oder Täuscher. In<br />

165 Jahren umkreist er einmal die Sonne.<br />

Frage nicht den Neptun. Zwischen dir<br />

und der Antwort liegen 4.304 Millionen<br />

Kilometer luftleerer, schallloser Raum.<br />

Das Licht braucht dafür vier Stunden und<br />

zehn Minuten. Du bist ganz allein. Es ist<br />

dein Leben.<br />

WASSERMANN<br />

21. Januar – 19. Februar<br />

Wer ist schuld? Meine Eltern, die Gesellschaft,<br />

mein Ex, das System, die Politiker,<br />

die Umwelt? Alle, nur ich nicht. Ist<br />

das nicht etwas einfach? Wer will schon<br />

sein Leben lang als Opfer herumlaufen?<br />

Ist man es dann nicht auch zu Recht?<br />

Sollte man nicht selbst Verantwortung<br />

übernehmen? Zum Menschsein gehört<br />

nämlich das Selbst-schuld-sein einfach<br />

mal dazu.<br />

WIDDER<br />

21. März – 20. April<br />

Wir haben alle Verletzungen erfahren. Die<br />

Kunst ist es, an ihnen nicht zugrunde zu<br />

gehen. Sie nicht herumzuschleppen als<br />

ewige Bürde, nur weil vor hundert Jahren<br />

irgendjemand irgendwas gesagt oder getan<br />

hat. Manche Wunden heilen, andere<br />

pochen leise im Hintergrund. Liebe sie.<br />

Wenn du verlassen wurdest, genieße die<br />

Freiheit, wenn du zurückgewiesen wurdest,<br />

atme den Schmerz ein und wenn du<br />

arm bist, suche die Zen-Nonne in dir.<br />

174


STIER<br />

21. April – 20. Mai<br />

ZWILLING<br />

21. Mai – 21. Juni<br />

KREBS<br />

22. Juni – 22. Juli<br />

LÖWE<br />

23. Juli – 23. August<br />

Wenn sich Menschen trennen, entwickelt<br />

jeder ein ganz eigenes Narrativ. Und so<br />

spuken sie herum, die Abermillionen getrennt<br />

abgespeicherten Vergangenheiten.<br />

Sehr dienlich für die alltägliche Verständigung<br />

ist es, dies zu akzeptieren. Es hat<br />

sogar etwas Existenzialistisches, wenn<br />

man hinnimmt, dass ein Sofa, du weißt<br />

schon, unser Sofa neben dem Fernseher<br />

damals, zwar eindeutig grün, aber ebenso<br />

blau gewesen ist.<br />

Natürlich ist das Leben lustig. Man sollte<br />

es nicht zu ernst nehmen. Doch Einstein,<br />

Bill Gates und viele andere glückliche<br />

Menschen meinten im hohen Alter: Ich<br />

bereue nichts in meinem Leben, nur<br />

hätte ich mich mehr um meine Zähne<br />

kümmern sollen. Bei aller Nonchalance:<br />

Zahnweh bezwingt jeden Dandy. Irony<br />

is over. Es ist ja nicht so, dass Spaß und<br />

Ernst Gegensätze sein müssen. Machen<br />

Sie morgens Gymnastik und zwanzig<br />

Liegestütze. Lesen Sie Madame Bo.<br />

Gewaltige Kräfte bestimmen unser<br />

Glück. Man kann diese Kräfte Kapitalismus,<br />

Patriarchat, Feminismus,<br />

Schönheitswahn nennen. Egal. Was<br />

kann man schon dagegen machen?<br />

Aber für jede NSA gibt es auch einen<br />

Edward Snowden. Die Videobotschaft<br />

eines indischen Mädchens ist manchmal<br />

mächtiger als die PR-Abteilung<br />

eines Weltkonzerns. Man kann den<br />

großen Kräften trotzen.<br />

Erst streitet man sich darüber, wer den<br />

Wagen fährt, ob der FC Bayern blöd ist<br />

oder super, wer wen wann küsst, ob<br />

man ausschlafen oder wie viel Bier man<br />

trinken soll. Man macht Witze über die<br />

Mama des anderen, diskutiert, wer ans<br />

Handy gehen darf, ob Ringelsocken uncool<br />

sind. Das ist alles harmlos. Denn<br />

kommen die schweren Beziehungshämmer<br />

Ordnung, Geld, Politik, hört der Spaß<br />

auf. Leider.<br />

JUNGFRAU<br />

24. August – 23. September<br />

WAAGE<br />

24. September – 23. Oktober<br />

SKORPION<br />

24. Oktober – 22. November<br />

SCHÜTZE<br />

23. November – 21. Dezember<br />

Wir laden oft einfache Dinge mit Begeisterung<br />

auf, um dieses heilige Etwas zu<br />

spüren. Manche sind gnadenlose Sportfans,<br />

andere essen, als wäre es eine Religion.<br />

Wieder andere stehen Stunden vor<br />

dem Kleiderschrank. Niemand soll einem<br />

anderen diese Manien verbieten. Es gibt<br />

Schlimmeres. Nur wie wär‘s vielleicht<br />

mal mit etwas Humor ein wenig neben<br />

sich treten? Das tut gut. Versprochen.<br />

Die Schlange, in der ich anstehe, ist<br />

immer die längste. Schneide ich mir<br />

die Haare, lerne ich neue Menschen<br />

kennen. Wer Obst isst, bleibt gesund,<br />

Zigaretten helfen beim Denken. Das<br />

sind Beispiele magischen Denkens,<br />

wenn wider jede Vernunft ein Ereignis<br />

mit einem Ergebnis verbunden wird.<br />

Das hilft, durchs Leben zu kommen.<br />

Schaffen wir es aber nicht ohne, dann<br />

wird es ernst. Erkenne dich selbst!<br />

Wenn ich den richtigen Mann, die richtige<br />

Frau finde, dann werde ich ... Sagen<br />

Sie das manchmal? Und schieben damit<br />

etwas auf ? Sex, Babys, Verantwortung,<br />

Liebe? Blicken Sie mal in sich hinein –<br />

sind das nur Ausreden? Ist das nicht zu<br />

viel verlangt von einem, den Sie ja noch<br />

gar nicht kennen? Es ist an der Zeit, dass<br />

Sie der richtige Mann, die richtige Frau<br />

werden, dann kommt das Gegenstück<br />

von alleine.<br />

Es gibt Regeln für unsere Gefühle, die wir<br />

uns selbst auferlegen: Man soll nicht eifersüchtig<br />

sein, nicht nachtragend, nicht<br />

neidisch. Es stört einen nicht, wenn andere<br />

zu laut sind, rauchen, stinken. Passen<br />

Sie auf, dass Sie vor lauter guten Vorsätzen<br />

nicht Ihre eigenen Gefühle niedertrampeln.<br />

Es nervt eben doch. Und langsam<br />

aber sicher wächst der Unmut und<br />

dann kommt es zum Vulkanausbruch.<br />

175


SACHEN GIBT ES<br />

Von Maja Hoock<br />

Illustration von Kristina Wedel<br />

KUSCHELN<br />

FÜR KOHLE<br />

Unsere Autorin hat während des Studiums als Schokoladenüberzieherin in der Keksfabrik, Knödelformerin im Restaurant, Aufräumerin<br />

bei Messis, Modell an der Kunsthochschule und Erschreckerin auf dem Rummel gejobbt. Mehr Geld verdient man allerdings<br />

mit außergewöhnlichen Dienstleistungen, die gerade in wirtschaftlich schwierigen Phasen wieder im Kommen sind. Je größer der<br />

Graben zwischen Arm und Reich wird, desto öfter müssen vereinsamte Arbeiterherzen von Berufskuschlern gestreichelt werden und<br />

desto mehr gute Laune müssen Feelgood-Manager in Büros tragen, um unbezahlte Praktikanten bei der Stange zu halten. Unsere<br />

Übersicht merkwürdiger Dienstleistungen.<br />

1. Umarmer und In-die-Augen-Blicker<br />

Bezahlung: zirka 50 Euro die halbe Stunde<br />

Ausbildung: Emotionale Stabilität<br />

Aufgaben: Kaum ein Job steht so stark in<br />

Verbindung mit dem vereinsamten Großstadtleben<br />

wie dieser: bezahlte Zuwendung.<br />

Und weil nicht jeder dabei gleich an<br />

Sex denkt, gibt es einen Berufszweig, der<br />

sich auf unschuldige Zärtlichkeiten spezialisiert<br />

hat. Das Ganze passiert in Japan in<br />

Kuschel-Cafés oder in Hallen mit vielen<br />

„Kinderzimmern“, in denen pastellfarbene<br />

Betten stehen – provozierte Regression,<br />

die Geborgenheit bietet. In Deutschland<br />

kann man seine warmen Arme auf<br />

kuschel-portal.de anbieten.<br />

2. Feelgood-Manager<br />

Bezahlung: zirka 50.000 Euro brutto im<br />

Jahr, kommt darauf an, ob man für ein<br />

kleines Start-up oder für Google arbeitet<br />

Ausbildung: Workshops dauern berufsbegleitend<br />

15 Monate. Es gibt sie bei speziellen<br />

Instituten wie der Goodplace School.<br />

Aufgaben: Je enger ein Großraumbüro ist,<br />

desto mehr Burnout und Zickenkrieg gibt<br />

es. Das ist wie bei Stachelschweinen, die<br />

sich piksen, wenn sie sich zu nah kommen.<br />

Arbeitsanimateure streicheln die<br />

ausgebrannten Seelen der Arbeitstierchen<br />

mit gemeinsamem Kochen, langen<br />

Gesprächen und Feng-shui, damit sie<br />

wieder vollen Einsatz bringen können.<br />

Denn nur ein glücklicher Arbeiter ist ein<br />

williger Arbeiter.<br />

3. Alibi-Geber<br />

Bezahlung: Je nach Auftrag um 200 Euro<br />

pro Alibi<br />

Ausbildung: Lügen und Betrügen<br />

Aufgaben: Agenturen wie alibi-profi.de<br />

vermitteln Doppelleben. Das bedeutet<br />

zum einen, dass sie Auszeiten geben, indem<br />

sie Clubs und Hobbys mit eigener<br />

Clubkarte, telefonischer Erreichbarkeit<br />

und falschen E-Mails erfinden und so<br />

einmal die Woche einen Tag freischaffen.<br />

Man kann dazubuchen, sich anrufen und<br />

aus einem unangenehmen Meeting holen<br />

lassen oder Alibi-Freunde und -Freundinnen<br />

mieten, um zu vertuschen, dass<br />

man homosexuell ist. So haben einige<br />

Politiker über viele Jahre eine Schauspielerin<br />

zur Frau und leben in Wahrheit mit<br />

jemand völlig anderem zusammen. Alles<br />

für den schönen Schein.<br />

4. Ghostwriter<br />

Bezahlung: 100 bis 600 Euro pro Text<br />

Ausbildung: Uni-Abschluss ist von Vorteil<br />

Aufgaben: Auf Seiten wie lass-andere-schreiben.de<br />

kann man mit Uni-Essays,<br />

Deutschaufsätzen, Bachelor-Arbeiten,<br />

Reden oder Songtexten Geld<br />

verdienen. Wie wir von K.-T. zu Guttenberg,<br />

Jorgo Chatzimarkakis, Annette<br />

Schavan, Silvana Koch-Mehrin und Matthias<br />

Pröfrock gelernt haben, ist dabei<br />

Vorsicht angebracht. Manche Seiten sind<br />

darum schon einen Schritt weiter und<br />

bieten eine Plagiatsprüfung inklusive.<br />

5. Erwachsenen-Amme<br />

Bezahlung: bis zu 10.000 Euro im Monat<br />

Ausbildung: Hausdame, Dienerin<br />

Aufgaben: Ammen für Teenager und<br />

junge Erwachsene geben natürlich nicht<br />

mehr die Brust, sondern sind eher so etwas<br />

wie mütterliche Dienerinnen. Man<br />

sieht sie vor allem auf Empfängen, auf<br />

denen reiche arabische Familien zu Gast<br />

sind. Sie knien vor den Jungen und Mädchen<br />

und füttern sie. So muss der kleine<br />

Prinz (seltener: die kleine Prinzessin)<br />

176


nicht die schwere Gabel selbst zum Mund<br />

führen. Wie sähe das denn auch aus?<br />

6. Ohrenputzer<br />

Bezahlung: 15 bis 30 Euro pro Auftrag<br />

Ausbildung: Hohe Ekelschwelle; die Technik<br />

lernt man beim Heilpraktiker oder<br />

Kosmetiker<br />

Aufgaben: Häufig sind Ohrenputzer auf<br />

öffentlichen Plätzen in China tätig, doch<br />

auch die bereits genannten japanischen<br />

Berufskuschler bieten das Putzen häufig<br />

in Kombination an. Auch in Deutschland<br />

werden immer öfter solche Dienstleistungen<br />

angeboten, allerdings nicht mit<br />

Wattestäbchen, sondern meist von Heilpraktikern<br />

oder Wellness-Tanten mit Hopi-Kerzen,<br />

die ins Ohr gesteckt und angezündet<br />

werden. Durch den Unterdruck<br />

werden Sekrete aus dem Ohr gezogen,<br />

was sehr entspannend sein soll.<br />

7. Butler<br />

Bezahlung: Beim Hauspersonal-Spezialisten<br />

AOG gibt es Inserate mit zirka<br />

2.000 Euro netto bei 40 Arbeitsstunden<br />

in der Woche und freier Kost und Logis,<br />

in guten Hotels bis zu 6.000 Euro<br />

Ausbildung: zum Beispiel an der Internationalen<br />

Butlerakademie in den Niederlanden<br />

oder in guten Hotels<br />

Aufgaben: Es gab einmal Zeiten, da waren<br />

Butler und Butlerinnen Familienmitglieder,<br />

enge Vertraute und beste Freunde<br />

zugleich. Sie organisierten das Leben,<br />

hielten Ärger fern, servierten Speisen,<br />

planten Partys, packten Koffer, kauften<br />

ein, rührten den Tee um und sahen nur<br />

das, was sie sehen sollten. Auf diese Weise<br />

konnte man einen Menschen wirklich<br />

glücklich machen, wie berühmte Butler<br />

der Geschichte immer wieder gezeigt haben.<br />

Während man in Deutschland noch<br />

mit dem Gedanken fremdelt, jemanden in<br />

seine Dienste zu nehmen, sind Butler im<br />

Fernen Osten längst das neue Statussymbol<br />

schlechthin.<br />

8. Berufsdemonstrant<br />

Bezahlung: 30 bis 100 Euro pro Demo<br />

Ausbildung: Schwarzer Block, Parteien<br />

oder beides (ehem. Außenminister)<br />

Aufgaben: Für manche Anliegen will niemand<br />

auf die Straße gehen. Weil sie aber<br />

wirken sollen wie Volkes Wille, gibt es<br />

Berufsdemonstranten. Die stehen mit<br />

brennenden Stars and Stripes irgendwo<br />

im Nahen Osten oder mit Pro-Stuttgart-<br />

21-Bannern in Schwaben. Kommt ein<br />

Nachrichtenteam vorbei, werden diese<br />

Demonstranten zum Gesicht einer Bewegung.<br />

Auftraggeber sind Parteien, Firmen<br />

oder NGOs wie zuletzt mutmaßlich Robin<br />

Wood. Die Seite demonstrantenmieten.de<br />

wurde gerade wegen eines angeblichen<br />

NSA-Angriffs gesperrt, doch auf erento.<br />

de ist bei der Suche nach Demonstranten<br />

zu lesen, „schauen Sie einfach online<br />

nach dem passenden Demonstranten<br />

und schon sind Sie nicht mehr alleine unterwegs!“<br />

Man muss sich nur anmelden<br />

und kann mit erhobener Faust der Wirtschaftskrise<br />

entfliehen!


©T&CO. 2014<br />

INTRODUCING<br />

TIFFANY T<br />

BERLIN DÜSSELDORF FRANKFURT AM MAIN<br />

HAMBURG MÜNCHEN STUTTGART<br />

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