Fräulein Neneh Cherry (Vorschau)
- Seite 2 und 3: Neneh Cherry Sie stand eine Weile n
- Seite 6 und 7: HUGO BOSS AG Phone +49 7123 940
- Seite 12: LAPERLA.COM
- Seite 17: FENN UND ALINA, SEIT 1 JAHR EIN PAA
- Seite 21 und 22: vanessabruno.com
- Seite 23: NENEH CHERRY Neneh Cherry ist zurü
- Seite 28 und 29: CONTRIBUTORS JAN LESSNER So poppig
- Seite 30: FILIPPA-K.COM
- Seite 34 und 35: TALENT Von Revan Baysal Foto von Se
- Seite 36: DURCHBRUCH Von Maja Hoock Fotos von
- Seite 40 und 41: ANGEKOMMEN Von Alexander Batke-Lach
- Seite 42 und 43: NETZWERKKARTE Von Robert Grunenberg
- Seite 44 und 45: KOLUMNE Von Willy Katz eine schildk
- Seite 46 und 47: KOLUMNE Von Adrian Fekete INTERNET
- Seite 48 und 49: MUST HAVES Fotos von Jan Philipp Le
- Seite 50 und 51: Sneaker CHANEL ANZEIGE 48
<strong>Neneh</strong> <strong>Cherry</strong><br />
Sie stand eine Weile nicht mehr im<br />
Fokus der Öffentlichkeit, doch <strong>Neneh</strong><br />
<strong>Cherry</strong> ist mit ihrem Album „Blank<br />
Project“ musikalisch auf der Höhe<br />
ihrer künstlerischen Ausdruckskraft<br />
angekommen. Diese <strong>Fräulein</strong>-Ausgabe<br />
ist eine Hommage an eine Frau,<br />
die sich nie für den einfachen Weg<br />
entschieden und sich immer zu ihren<br />
Wurzeln bekannt hat.<br />
© Heinz Kristianstad<br />
2<br />
© Ellen von Unwerth
© Jacques Bisceglia<br />
© Jacques Bisceglia<br />
© Marie-Louise De Geer<br />
© Peder Björkegren<br />
© Philippe Gras<br />
1<br />
© Marie-Louise De Geer
HUGO BOSS AG Phone +49 7123 940
SHOP ONLINE HUGOBOSS.COM
LAPERLA.COM
EDITORIAL<br />
Liebe Leserinnen und Leser,<br />
die 90er-Jahre sind zurück und plötzlich darf man wieder zu<br />
Nirvana tanzen, sagen seltsame Menschen! Durfte man das<br />
irgendwann mal nicht? Schluss mit solchen künstlichen, erfundenen<br />
Hypes. Großartige Bands wie Nirvana konnte man schon<br />
immer hören und wird man immer hören können.<br />
Es kommt einfach auf die Qualität an. Oder wie es unser <strong>Fräulein</strong><br />
<strong>Neneh</strong> <strong>Cherry</strong> sagt: „Hip-Hop, Musik überhaupt, ist eine<br />
Einstellung. Sie kann nicht korrumpiert werden.“ Heißt: Stehen<br />
wir doch zu unseren Wurzeln und Leidenschaften, leben wir unsere<br />
Haltung, lassen wir uns nicht ständig von Internet-Hypes<br />
und kurzlebigen Trends beeinflussen und uns dadurch selbst<br />
verlieren. Auch dafür steht die <strong>Fräulein</strong>, für ein Bewusstsein für<br />
die Tradition bei gleichzeitiger Liebe für das Experiment, das<br />
wirklich Neue, was so selten, dann aber mit aller Wucht über<br />
uns kommt.<br />
<strong>Neneh</strong> <strong>Cherry</strong> verbindet all dies. Sie war eine Heldin meiner Jugend.<br />
Als 1989 ihr Debüt „Raw Like Sushi“ herauskam, war es<br />
der perfekte Mix aus Hip-Hip, Jazz und Disco. <strong>Neneh</strong> sah großartig<br />
aus mit ihrem Afro, dem markanten Gesicht, dem schlauen,<br />
angriffslustigen Blick. Sie war cool, selbstbewusst und sexy<br />
zugleich. <strong>Neneh</strong> <strong>Cherry</strong> war die Apotheose der Frauenbewegung<br />
an der Schwelle zu den 90er-Jahren.<br />
Auch wenn sie seit ihrem Album Man (1996) lange Zeit aus dem<br />
Blick der Öffentlichkeit geraten ist, sie war immer da, kooperierte<br />
mit experimentellen Jazzmusikern, setzte sich still und<br />
heimlich für bessere Bildungschancen für Jugendliche ein. Ihr<br />
aktuelles Album „Blank Project“ ist viel mehr als ein<br />
Comeback. Es ist die Krönung einer langen Karriere und ein guter<br />
Grund, sie wieder oder auch neu zu hören.<br />
Aus diesem Geist entstand die ganze aktuelle <strong>Fräulein</strong>-Ausgabe.<br />
Starke und selbstbewusste Frauen begegnen uns. Die erste Latina<br />
am obersten Gerichtshof der USA, Sonia Sotomayor, erzählt<br />
im Feierabend von ihrem Aufwachsen in der Bronx. Die Performancekünstlerin<br />
Boychild macht ihren Körper zur Projektionsfläche<br />
für digitale Diskurse und antikapitalistische Kritik.<br />
Amber Venz Box revolutioniert mit ihrem Start-up RewardStyle<br />
die Art und Weise, wie die Modeindustrie wirtschaftet, und ein<br />
Essay über Wonder Woman stellt die erste feministische Superheldin<br />
vor.<br />
Diese Herbstausgabe der <strong>Fräulein</strong> ist voller Mode. Mode bedeutet<br />
uns mehr als nur Ornament. Sie ist eine Haltung, eine<br />
bestimmte Art und Weise, der Welt zu begegnen. Starke Frauen<br />
wie Boychild, Amber Venz Box oder <strong>Neneh</strong> <strong>Cherry</strong> drücken sich<br />
in dem, was sie tragen, ebenso aus wie in ihrer Kunst, ihrem<br />
ganzen Tun und Sein. Sie sind authentisch. Und ist es nicht das,<br />
worauf es wirklich ankommt?<br />
Auf die Bereitschaft und den Willen, an uns selbst zu arbeiten<br />
und treu zu bleiben, uns nicht selbst zu verlieren, sondern, egal<br />
was andere sagen, zu unseren Gefühlen, zu unserer Meinung zu<br />
stehen und mit voller Hingabe und Leidenschaft zu leben!<br />
Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen<br />
Ihr<br />
Götz Offergeld<br />
14
FENN UND ALINA, SEIT 1 JAHR EIN PAAR<br />
15
MAXMARA.COM<br />
17
vanessabruno.com
Illustration von Julia Danckwerth<br />
AMBER VENZ BOX<br />
Das Start-up RewardStyle krempelt<br />
die Mode- und Techwelt um<br />
S.142<br />
LEGENDE<br />
Die Erotik-Autorin Anaïs Nin<br />
war eine Venus im Wolfspelz<br />
S.66<br />
PRINCE RAMA<br />
Prince Rama kamen aus einem ganz anderen<br />
Universum auf die Erde, um uns die spacigste<br />
Musik des Jahres zu bringen<br />
S.30<br />
BOYCHILD<br />
Der Körper wird bei Boychild zum<br />
antikapitalistischen Interface<br />
S.150<br />
SACHEN GIBT ES<br />
Feelgood-Manager und Berufsdemonstrant<br />
sind die neuen Dienstleistungen<br />
S.176
NENEH CHERRY<br />
<strong>Neneh</strong> <strong>Cherry</strong> ist zurück – mit aller Wucht<br />
S.80<br />
WONDER WOMAN<br />
All American Girl und feministische Ikone<br />
S.68<br />
21
duvetica.it<br />
24
CONTRIBUTORS<br />
JAN LESSNER<br />
So poppig und voller Spaß waren unsere Must-Have-Seiten<br />
noch nie. Dank an Jan für den Zuckerschock!<br />
FABIAN VACCARO<br />
fotografierte die Insassen des Nürnberger Frauengefängnis so zurückhaltend<br />
wie präzise. Diese Reise „down south“ hat sich gelohnt.<br />
AMOS FRICKE<br />
Für <strong>Fräulein</strong> hat Amos die smart-<br />
Chefin Annette Winkler in einem<br />
raren privaten Moment fotografiert.<br />
NATALIA BZDAK<br />
Das <strong>Fräulein</strong>-Horoskop geriet zuletzt ganz<br />
schön auf Abwege. Natalias Illustration ist<br />
dagegen so cool wie verführerisch.<br />
HENDRIK SCHNEIDER<br />
ist ein so sensibler wie akribischer Bildkomponist. In sein<br />
Cover-Foto von <strong>Neneh</strong> <strong>Cherry</strong> sind wir verknallt wie seit<br />
dem ersten Date nicht mehr. Das wird was mit uns.<br />
MAXYME G. DELISLEs<br />
rabenschwarze Modestrecke ist eine<br />
Hommage an die Straße.<br />
KATRIN FUNCKE<br />
Illustration des Anti-<strong>Fräulein</strong><br />
ist ein ganz fester Bestandteil<br />
unseres Magazins und fest eingeschrieben<br />
in die <strong>Fräulein</strong>-ID.<br />
TABASSOM CHARAF<br />
Dass Tabassom das Styling der<br />
<strong>Neneh</strong>-<strong>Cherry</strong>-Strecke übernommen hat, ist<br />
ein großes Glück. Willkommen zurück in der<br />
Familie, Tabi.<br />
JULIA GROSSI<br />
In den Heiligtümern der Moderne hat<br />
Julia einen Wildfang für <strong>Fräulein</strong> in Mode<br />
inszeniert.<br />
PINKI DORNBERGER<br />
mit Verlaub, rattenscharf illustrierte<br />
Regenschirme, machen das Rätsel zu<br />
einem nicht ganz jugendfreien Spaß.<br />
DAVID FISCHER<br />
Ohne David und seinen besten Freund Gecko wäre<br />
das Leben denkbar, aber sinnlos. Davids Boychild-<br />
Strecke in dieser Ausgabe ist Punk 3.0.<br />
KRISTINA WEDEL<br />
Neu dabei ist Kristina, deren<br />
Illustration der „Sachen gibt es“ in<br />
vollen Zügen den Geist modernistischer<br />
Typografie atmet.<br />
LENIA HAUSER<br />
Das Rezept ist ein <strong>Fräulein</strong>-Standard.<br />
Lenias Illustration setzt dem<br />
Ganzen die (kulinarische) Krone auf.<br />
26
KEVIN JUNK<br />
„Sexyness“ zu beschreiben ist<br />
echt nicht einfach. Kevins Pin-<br />
Up-Text über Joaquín Phoenix<br />
dagegen ziemlich hot.<br />
WRK DESIGN<br />
Taktile Illustration nennen Andrea Weber,<br />
Damoun Rizai und Eva Klein ihre handgefertigten<br />
und digitalisierten Grafikdesigns. Für<br />
<strong>Fräulein</strong> gestalteten sie das Lesestück.<br />
NEIL GAVINs<br />
Männerstrecke „Faustrecht der Vergangenheit“<br />
ist klassisch und rebellisch<br />
zugleich.<br />
WILLY KATZ<br />
„Always trouble with Willy Katz“ wäre<br />
ein schöner Film von Billy Wilder. Sagt<br />
jedenfalls Willy. Wir denken bei unserem<br />
Kolumnisten eher an F. W. Murnau.<br />
JULIA BARDE<br />
Die Performance-Künstlerin Boychild<br />
war kein leichter Fall. Aber Julia entwickelte<br />
mit ihr einen sensationellen Look.<br />
SEBASTIAN MAYER<br />
ist weit rumgekommen. Seine Fotos und<br />
Geschichten aus („Ein Tag in...“) Tokio sind<br />
so authentisch, dass es schmerzt.<br />
RUTH HIGGINBOTHAMs<br />
PHILIPP KOCH VERHEYEN<br />
Dank an Philipp für seine Haar &<br />
Make-up-Kunst bei <strong>Neneh</strong> <strong>Cherry</strong><br />
melancholische und großstädtische Stylings<br />
impfen der <strong>Fräulein</strong> ordentlich Widerständigkeit<br />
und Street-Credibility ein.<br />
ALEXANDER BATKE-LACHMANN<br />
In unserem INTERSECTION Chefredakteur Alexander steckt ein<br />
ganz schön poetischer Schreiber. Für <strong>Fräulein</strong> hat er die Smart-Chefin<br />
Annette Winkler portraitiert.<br />
DENIS IGNATOV<br />
JULIA DANCKWERTH<br />
Julias Illustration des Inhaltsverzeichnisses<br />
ist ein großartiger<br />
Start in die aktuelle<br />
<strong>Fräulein</strong>.<br />
Auf Denis’ Spaziergang mit Schwesta<br />
Ewa gelang es ihm, die Stimmung des<br />
Frankfurter Rotlichtviertels nahezu<br />
stofflich einzufangen.<br />
ANNA QUADFLIEG<br />
In der Illustration der Netzwerkkarte<br />
von Anna steckt ganz schön viel <strong>Fräulein</strong>:<br />
Sie ist handgemacht, verspielt<br />
und trotzdem elegant.<br />
MARY SCHERPE<br />
Einen Auszug aus Marys Roman über ihr<br />
Leben mit einem hartnäckigen Stalker<br />
findet man in dieser <strong>Fräulein</strong>-Ausgabe.<br />
27<br />
KRISTIINA WILSON<br />
hat in den Straßen von Manhattan die Mode-Unternehmerin<br />
Amber Venz Box wie eine<br />
moderne Alice im Wunderland fotografiert.
FILIPPA-K.COM
TALENT<br />
Von Maja Hoock<br />
Foto von Jj Stratford<br />
prince<br />
rama<br />
PRINCE RAMA AUS NEW<br />
YORK SIND EIN GEWALTIGES,<br />
WAGNERIANISCHES<br />
GESAMTKUNSTWERK<br />
In kürzester Zeit haben Prince<br />
Rama sechs Alben herausgebracht,<br />
dazu eine „Psycho-Oper“ und unzählige<br />
Videos, die 80er-Jahre-Gymnastik-Shows,<br />
Space-Cowboys und mythologische<br />
Blutbäder vereinen. Ihre<br />
Stücke dauern bis zu zwanzig Minuten<br />
und sind aufgebaut wie Symphonien:<br />
Sie beginnen leise und schwellen an<br />
bis zur orgiastischen Explosion. Dazu<br />
singen die Schwestern Taraka and Nimai<br />
Larson sphärisch, lang gezogen im<br />
opernhaften Sopran und wiederholen<br />
sich mantrahaft. Das klingt auf eine<br />
kalifornische Hippie-Art fast spirituell<br />
– etwa in „Suns of Bees“, wo es heißt:<br />
„I’m growing backwards in my time<br />
– uprooting all those limbs of mine.“<br />
Taraka wie Nimai haben in Ashrams<br />
gelebt, daher wohl der Hang zur indischen<br />
Mythologie. Prince Rama heißen<br />
nicht nur wie die siebte Reinkarnation<br />
eines Hindu-Gottes, sie tanzen in<br />
ihren Videos auch wie 70er-Jahre-<br />
Sekten-Anhänger und haben sogar ein<br />
eigenes Manifest verfasst: „The Now<br />
Age“. Darin werden die richtige Ästhetik<br />
(Glitzer), die Art, Konzerte zu spielen<br />
(als Spektakel) und Aufnahmen zu machen<br />
(Schallplatten, genannt „das versteinerte<br />
Ende der Tage“), proklamiert.<br />
Musikalisch merkt man ihnen die Nähe<br />
zu Sun Araw, Ariel Pink und Animal<br />
Collective an. Doch letztendlich komponieren<br />
Prince Rama Musik für eine ganz<br />
eigene, aufregende Welt.<br />
Es lohnt sich ein Blick auf die Facebook-Seite<br />
von Prince Rama. Dort werden täglich neue, verrückte<br />
Beiträge gepostet, zum Beispiel aus dem<br />
Tonstudio.<br />
30
TALENT<br />
Von Revan Baysal<br />
Foto von Sebastian Mayer<br />
isabell<br />
šuba<br />
ISABELL ŠUBAS FILM<br />
„MÄNNER MACHEN FILME<br />
UND FRAUEN ZEIGEN IHRE<br />
BRÜSTE“ FORDERT MIT<br />
LUST DAS MÄNNLICHE<br />
ESTABLISHMENT HERAUS<br />
Je nachdem, welchen Film die<br />
Wahl-Berlinerin Isabell Šuba als Kind<br />
sah, wechselte ihr Berufswunsch. Staranwältin,<br />
Meerjungfrau, Straßenkünstlerin,<br />
Zirkusdirektorin. Dann dachte<br />
sie sich: Ich kann eigentlich alles sein,<br />
wenn ich Regisseurin werde. Irgendwann<br />
bekam ihr Bruder eine Kamera<br />
zum Geburtstag, die riss sie sich direkt<br />
unter den Nagel. Sie filmte und filmte<br />
und filmte. Später studierte sie Regie<br />
an der Filmuniversität Babelsberg. Seit<br />
2012 ist sie dort Meisterschülerin von<br />
Andreas Kleinert und Helke Misselwitz.<br />
2014 dann endlich ihr erster Langspielfilm:<br />
„Männer machen Filme und Frauen<br />
zeigen ihre Brüste“. Der kam bereits<br />
Mitte August in die deutschsprachigen<br />
Kinos und sorgte für großes Aufsehen.<br />
Die Geschichte dahinter: 2012 wurde<br />
Šuba zum Cannes-Festival eingeladen.<br />
Das Ganze wurde zur Steilvorlage des<br />
Films. Die Low-Budget-Mockumentary<br />
erzählt die Geschichte der Nachwuchsregisseurin<br />
Isabell Šuba, wie sie auf<br />
dem größten Filmfest der Welt gegen<br />
ihren sexistischen Produzenten David<br />
und die steinzeitlichen Rollenmuster<br />
in Cannes kämpft. Der Clou: Die wirkliche<br />
Šuba tauscht die Identität mit<br />
Anne Haug, der Hauptdarstellerin. Aber<br />
Steinzeit in Cannes? Ja, schon. Denn tatsächlich<br />
gab es in den ganzen 60 Jahren<br />
nur eine weibliche Filmemacherin, die<br />
die goldene Palme wedeln durfte und<br />
das war Jane Campion für „Das Piano“.<br />
Eine traurige Bilanz, die Šuba glücklicherweise<br />
durcheinander bringen<br />
will. Mit viel Talent und ihrer starken,<br />
charmanten und smarten Attitüde. Für<br />
die junge Filmemacherin gibt es keinen<br />
Beruf, der nicht für beide Geschlechter<br />
infrage kommt. „Das Problem“, sagt sie,<br />
„sind nur die veralteten Konventionen<br />
und Rollenbilder.“ Und die brauchen<br />
jetzt eine Revolution.<br />
Isabell Šuba nutzte die Einladung zu den Filmfestspielen<br />
von Cannes als Kulisse für ihren<br />
Debutfilm „Männer zeigen Filme & Frauen ihre<br />
Brüste“. Ihr nächstes Projekt? Eine Revolution.<br />
32
FREJA BY TERRY RICHARDSON<br />
ZADIGETVOLTAIRE.COM<br />
GALERIES LAFAYETTE - B ERLIN / BLEUCHENBRUCKE 1-7 - HAMBURG / NEUTURMSTRASSE 10 - MÜNCHEN / KÖNIGSALLEE 21-23 -DÜSSELDORF (OPENING SOON)
DURCHBRUCH<br />
Von Maja Hoock<br />
Fotos von Denis Ignatov<br />
DREIKLANG<br />
DES<br />
(FRANKFURTER)<br />
BLING<br />
SCHWESTA EWA IST DIE<br />
PERSONIFIKATION EINES<br />
RAP-TEXTES, DENN SIE<br />
LEBT, WORÜBER RAPPER<br />
MEIST NUR FANTASIEREN:<br />
DEN DREIKLANG AUS SEX,<br />
DROGEN UND GELD. EIN<br />
SPAZIERGANG DURCH<br />
FRANKFURT.<br />
34
„All die Reime die ich sage, bezeugen die<br />
Zweifel die mich plagen. Und du fragst<br />
Schwesta Ewa, ob sie glücklich ist? Mein<br />
Herz ist groß, auch wenn ich tödlich spit’.“<br />
(Realität)<br />
Ewa fährt vor. Die Frau, die noch nicht mal 30 Jahre alt ist und schon zehn Jahre Prostituierte<br />
war, steigt im Bahnhofsviertel aus ihrem weißen Mercedes Cabrio. Sie trägt eine<br />
kurze schwarze Lackjacke und passende Armani-Stilettos mit 20-Zentimeter-Absätzen<br />
aus Stahl. Hinter ihr gehen ihr Manager, ein muskulöser Mann mit sehr kurzen Haaren,<br />
und ihre beste Freundin, die passend in Schwarz angezogen ist und heute als Assistentin<br />
den Wagen fährt. Als sie in eine Raucherbar neben dem Roten Haus treten, drehen sich<br />
die Gäste um. Jeder kennt Ewa Müller, die alle Ewa nennen: die Frauen, ihre Freier und<br />
die dealenden Kellner, die so tun, als würden sie nur Tee verkaufen. Nicht nur, weil sie in<br />
so ziemlich jedem Puff des Frankfurter Rotlichtbezirks gearbeitet hat, sondern weil sie<br />
vor zwei Jahren ausgestiegen ist und seitdem als Schwesta Ewa darüber rappt. Sie ist<br />
damit nicht nur eine Frau, die sich in der testosteronlastigen Deutschrap-Szene durchgesetzt<br />
hat, sondern auch die Personifikation ihrer Texte: Während Männer über Geld und<br />
Nutten rappen, ist Ewa eine Ex-Nutte mit mehr Geld, als sie wohl alle zusammen haben.<br />
„Ich versuch mich zu legalisieren, indem ich rappe, wie illegal wir sind. Kurwa, mein BH<br />
ist aus Kevlar, so prallt euer Hass ab an der Schwesta.“ (Realität)<br />
Ewa sitzt an dem klebrigen Tisch der Bar im Rotlichtviertel, ein Mann in Jogginghose<br />
steht am Spielautomaten, man trinkt Pfefferminztee und raucht. Sie bestellt nur Wasser.<br />
Dass sie im Frankfurter Bahnhofsviertel gelandet ist, ist Ergebnis eines milieutypischen<br />
Lebenslaufes: Als sie drei Jahre alt war und mit ihrer Mutter von Polen nach Deutschland<br />
kam, saß ihr Vater wegen Mordes im Gefängnis. Die Mutter arbeitet in Kiel als Putzfrau,<br />
ihr zweiter Mann Günther Müller starb. Es blieben drei Kinder und zu wenig Geld. „Ich<br />
bin mit fünf Jahren schon klauen gegangen. Käse und Wurst. Und in die Altkleidercontainer<br />
geklettert, um Klamotten rauszuholen“, sagt Ewa Müller. Als sie den Barkeeper<br />
ruft, rutscht ihr Ärmel hoch und gibt den Blick auf eine 23.000-Euro-Rolex frei. Im Gegensatz<br />
zu den meisten deutschen Rappern, die von Geld singen, aber im wahren Leben<br />
im Callcenter arbeiten, ist diese Frau wirklich reich. Nicht, weil sie wie ihr Produzent<br />
Xatar einen Goldtransporter überfallen, sondern weil sie ihren Körper verkauft hat. Mit<br />
sechzehn Jahren ging sie von der Schule ab. Sie jobbte in einer Bar, in der Prostituierte<br />
sich mit Freiern trafen, und sah, dass sie das Zehnfache dessen verdienten, was Ewa<br />
machte. Mit 19 ging sie nach Frankfurt, schaffte an in Hotels, Bordellen und auf dem<br />
Straßenstrich, verdiente auf diese Weise zwischen 600 und 1.000 Euro am Tag, 20.000<br />
Euro im Monat – auf Reisen nach Monaco und Norwegen sogar das Dreifache. Ewa investierte<br />
in 200 Paar Schuhe, Autos, Louis Vuitton. Statussymbole sind ihr wichtig, wie<br />
vielen Menschen, die einmal überhaupt nichts hatten. Doch ihr Lieblingskleid hat sie von<br />
ihrer Mutter aus einem Secondhand-Laden bekommen. „Ich habe es noch nie getragen,<br />
weil es total altmodisch aussieht“, sagt sie. „Meine Mutter wollte, dass ich es anziehe,<br />
wenn ich seriös geworden bin. Irgendwann werde ich sie damit überraschen.“ Wir brechen<br />
auf. Ewa bezahlt für alle, dann geht es weiter in Richtung Shisha-Bar. Auf dem Weg<br />
zu den Autos kommt die Gruppe an einer heroinabhängigen Frau vorbei, deren Finger<br />
zu geschwollen sind, um ihren Zigarettenstummel vom Boden aufzuheben. Ein Mann<br />
schreit: „Glotzt nicht so!“ Ein anderer trägt einen Schnuller im Mund und ist verdammt<br />
dreckig. Frankfurt ist gebaut aus Heroin, Sex und Geld. Und das Bahnhofsviertel ist die<br />
Quittung dafür.<br />
„Krank oder? Sag mal! Das ist der Frankfurter Alltag! Tägliche Schellen des Schicksals.<br />
Schwester bitte, geh du den geraden Weg, du weißt doch, ich kann das nicht! Schmerz in<br />
meiner Brust sticht, weil’s ohne Rotlicht, für Frauen wie mich kein Brot gibt!“ (Realität)<br />
Besuch im Bordell, in dem Ewa gearbeitet hat. In einem gekachelten Durchgangszimmer<br />
läuft ein Fernseher. An der Wand hängen ein Brett mit Schlüsseln und eines mit<br />
Lämpchen, die blinken, wenn eine Frau auf ihrem Zimmer den Alarm auslöst. Am Wochenende<br />
passiert das etwa drei Mal am Tag. Um den Wirtschaftsraum herum gibt es<br />
Schaufenster, in denen die Frauen auf Barhockern sitzen und Sudoku spielen, während<br />
sie auf Kundschaft warten. Es ist früher Freitagabend und eine Gruppe junger Türken<br />
steht kichernd davor. Sie wollen ein Autogramm von Schwesta Ewa. Ein älterer Mann<br />
in schwarzem Trenchcoat und Hut steht im schützenden Hauseingang unter der Neonbeleuchtung.<br />
Dahinter führt eine breite Steintreppe im dunklen Aufgang zum Obergeschoss<br />
mit den vielen Zimmern, in die sich die Frauen einmieten. Diese Räume sind<br />
zum Teil gekachelt, auf den Betten liegen Handtücher. Andere wurden dekoriert und sind<br />
seit Jahren in Betrieb. Die älteste Frau ist über 80 und immer ausgebucht, ihr Zimmer<br />
sieht aus wie Omas Wohnstube. Schließlich landen wir in der angrenzenden Bar im<br />
Erdgeschoss, wo die Wirtin stumm Sekt in geeiste Gläser gießt. Das Interieur besteht<br />
aus Spiegeln, Eiche rustikal und einer Deutschlandflagge. Ewa gibt Zigaretten aus, bis<br />
die Schachtel leer ist. Wenn sie nicht diesen verlebten Ausdruck hätte, würde man sie<br />
einfach für eine junge Frau halten, die gerne feiert. Doch da ist ihr „Puffschaden“. Einmal<br />
hat ihr ein Kunde den Lauf einer Pistole in den Mund gesteckt. Ein anderes Mal schlug<br />
ihr ein Freier ihre Waage über den Kopf. „Ich dachte, das hast du jetzt davon, dass du immer<br />
mehr Schuhe wolltest – jetzt musst du sterben“, sagt sie. Sie hat einen psychischen<br />
Knacks davongetragen. Das heißt unter anderem, dass sie Männer verachtet, selbst<br />
wenn sie ihr nur die Türe aufhalten. „Sie sind mit Ring am Finger zu mir auf den Straßenstrich<br />
gekommen und haben noch gesagt, ich soll den Kindersitz von der Rückbank<br />
nehmen. Oder ich habe einen NPD-Politiker getroffen, der bei einer schwarzen Frau einund<br />
ausging. Die Banker kamen in der Pause in den Puff, um ein paar Lines Koks zu<br />
nehmen. Ich hasse sie alle.“ Sie will darum nie wieder in die Prostitution zurück und hat<br />
an dem Tag damit aufgehört, als sie mit der Musik erfolgreich wurde. Die Klickzahlen für<br />
ihr erstes Video „Schwätza“ lagen schnell bei fünfeinhalb Millionen; ihr Publikum zieht<br />
sich quer durch alle Gesellschaftsschichten, von Akademikern, die sich durch das Ungeschliffene<br />
befreit fühlen, bis zu Prostituierten, die ihre Texte auswendig lernen. Jetzt ist<br />
es an der Zeit, ihre Erfahrungen aufzuarbeiten. „Ich werde bald ein Buch schreiben. Das<br />
wird meine Therapie.“ Sie positioniert sich damit selbstbewusst in einer Szene, in der<br />
das Wort Nutte ein ständig gebrauchtes Schimpfwort ist. Ihre Botschaft: Frauen müssen<br />
sich nicht schämen, wenn sie ein uraltes Bedürfnis der Männer bedienen. Und schon gar<br />
nicht beschimpfen lassen. Auf die Frage, was für sie eine schöne Frau ist, antwortet sie:<br />
„Eine, die weiß, was abgeht und sich nicht über einen Mann identifiziert, sondern ihre<br />
Energie in das steckt, was sie will. So viele Mädels nehmen sich einfach einen reichen<br />
Mann. Aber es war nie mein Ding.“ Als wir die Bar verlassen, zieht Ewa im Kofferraum<br />
ihres Cabrios die High Heels aus. In Turnschuhen und Jogginghose auf dem Spielplatz<br />
ihres Viertels fühlt sie sich am wohlsten.<br />
Ewa Müller wurde 1984 im polnischen Koszalin geboren und wuchs in Kiel auf. 2004 zog sie nach<br />
Frankfurt am Main, um als Prostituierte zu arbeiten. 2012 veröffentlichte sie ihr erstes Album „Realität“.<br />
Am 9. Januar folgt ihr zweites Album „Kurwa“.<br />
37
ANGEKOMMEN<br />
Von Alexander Batke-Lachmann<br />
Foto von Amos Fricke<br />
Konservativ in<br />
knalligen Farben<br />
DIE SMART-CHEFIN ANNETTE WINKLER IST EINE DER WENIGEN<br />
WEIBLICHEN SPITZENKRÄFTE IN DER AUTOMOBILINDUSTRIE.<br />
Das erste Mal begegne ich ihr auf einer Automesse. Gemeinsamer Gang mit<br />
der Chefin der Daimler-Tochter über den Smart-Stand. Es gibt Häppchen. Der<br />
Hals kratzt etwas von der klimatisierten Luft in der riesigen Halle. Überall blinkt<br />
und wummert es. Sensory Overload. Dann Auftritt Winkler. Händeschütteln,<br />
Blickkontakt mit allen, als kenne sie dich. Freundlich, fokussiert, energisch.<br />
Ein bisschen streng. Wow. So geht das. Charisma. Dazu passend<br />
das eher konservativ geschnittene Kostüm in knalligen Farben.<br />
Die testosterongeladenen Autokollegen wirken neben ihr<br />
wie ausgeblichene Panini-Bildchen. Wo sie geht und<br />
steht, muss sie sich dieselben Fragen anhören, wie<br />
das denn sei als Frau in der Männerdomäne. Und<br />
wahrscheinlich begleitet sie diese Frage schon ein<br />
halbes Leben lang.<br />
Noch keine 30 Jahre alt hatte die gelernte Industriekauffrau<br />
bereits einen Doktor in Betriebswirtschaft<br />
und leitete den Familienbetrieb, ein<br />
Bauunternehmen. Es stand nicht gut, doch die<br />
gebürtige Hessin schaffte die Wende. In wenigen<br />
Jahren stieg der Umsatz auf mehr als das<br />
Zehnfache.<br />
Wenn in den Medien über jene Zeit geschrieben<br />
wird, dann wird immer wieder das klischeebeladene<br />
Bild der in Stöckelschuhen über<br />
Baustellen staksenden Jungmanagerin gezeichnet.<br />
Man kann sich heute kaum vorstellen, dass<br />
sie nicht immer ein zweites Paar Schuhe mit<br />
dabeihatte.<br />
Dann, Mitte 30, in einem Alter, in dem die<br />
meisten gerade mal irgendwo angekommen<br />
sind, krempelt sie ihr Leben komplett<br />
um. Der Baubranche geht es nicht<br />
gut, die Konkurrenz aus Osteuropa<br />
drückt die Preise. Auf einem<br />
Symposium, bei dem sie einen<br />
Vortrag über Unternehmensführung<br />
hält, lernt Sie<br />
den heutigen Daimler-Chef<br />
Dieter Zetsche kennen. Wenig später ist sie Pressesprecherin von Mercedes.<br />
Damit springen beide ins kalte Wasser. Mercedes und Annette Winkler. Die Marke<br />
ist Ende der 90er recht muffig geworden. Doch Annette Winkler ist kein<br />
exotisches Feigenblatt im silbergrauen schwäbischen Weltkonzern. Sie ist<br />
vor allem ein außergewöhnliches Kommunikationstalent, das bei<br />
dem Autobauer seine Berufung gefunden zu haben scheint.<br />
Es ist der Beginn einer außergewöhnlichen Quereinsteigerkarriere,<br />
die sie innerhalb eines Jahrzehnts bis an die<br />
Spitze von Smart bringt. Die Antwort auf die Frage, ob<br />
es ihr schwergefallen sei, von der Chefin in ein Angestelltenverhältnis<br />
zu wechseln, ist typisch für sie.<br />
Sie habe immer Chefs gehabt, die es ihr ermöglicht<br />
haben, als Unternehmerin im Unternehmen zu<br />
agieren. Spricht man mit ihr, merkt man schnell,<br />
dass man es hier mit einer Frau zu tun hat, die<br />
sich nicht für die Schubladen interessiert, in die<br />
sie manche stecken möchten. „Mir war es immer<br />
egal, ob ich eine Frau bin oder nicht.“ Das klingt<br />
trotzig, ist aber pragmatisch: „Ich glaube nicht an<br />
die großen Unterschiede zwischen Männern und<br />
Frauen.“ Ihr Rat gerichtet an uns: „Nehmt Vorurteile<br />
und Klischees einfach nicht zur Kenntnis.“<br />
Und meint damit die Zuschreibung von außen, die<br />
Schubladen, die gesellschaftlichen Rollen, mit denen<br />
viele Frauen konfrontiert sind. Die kann man<br />
annehmen. Oder auch nicht. Annette Winkler ist<br />
ein Vorbild für alle, die Letzteres wollen, sich aber<br />
bisher nicht getraut haben.<br />
2010 schrieb das Branchenblatt „Automotive<br />
News Europe“, Annette Winklers Nominierung<br />
als Smart-Chefin sei „ein bedeutender Sieg<br />
für Frauen in einer von Männern dominierten<br />
Industrie“. Bezeichnenderweise<br />
gibt es bisher keinen deutschen<br />
Wikipedia-Eintrag über sie.<br />
38
German Distribution by BEN AND GmbH · +49 89 323 080 46 · www.sandcopenhagen.com<br />
ANTWERPEN<br />
BARCELONA<br />
BERLIN<br />
DUBAI<br />
IBIZA<br />
LONDON<br />
LOS ANGELES<br />
MIAMI<br />
MOSCOW<br />
MÜNCHEN<br />
NEW YORK<br />
SEOUL<br />
SYDNEY<br />
39
NETZWERKKARTE<br />
Von Robert Grunenberg<br />
Illustration von Anne Quadflieg<br />
LEIBWÄCHTERINNEN<br />
Sie vereiteln Mordanschläge und schützen vor Paparazzi oder Kidnappern.<br />
Weibliche Bodyguards sind gefragter denn je. Sie arbeiten für Politiker, Unternehmer<br />
oder Popstars und werden oft gegenüber männlichen Bodyguards bevorzugt, weil sie<br />
anpassungsfähiger sind und unauffälliger arbeiten. Sie beherrschen Verteidigungssport<br />
und Terrorbekämpfung, psychologische Kriegsführung, haben Fremdsprachenkenntnisse<br />
und kennen die Etikette bei internationalen Anlässen. Unsere Netzwerkkarte<br />
stellt die bekanntesten vor.<br />
ENGLAND<br />
Sergeant Emma Probert ist Privat-Bodyguard<br />
von Kate Middleton. Zuvor arbeitete<br />
sie für Stars wie Nicole Kidman,<br />
Katie Price und Justin Bieber.<br />
PERU<br />
Die peruanische Polizistin Lady Bardales<br />
war 2005 privater Bodyguard von Alejandro<br />
Toledo, dem ehemaligen Präsidenten<br />
von Peru. Ihre Karriere endete, nachdem<br />
sie beschuldigt wurde, eine Affäre mit Toledo<br />
gehabt zu haben. Für kurze Zeit saß<br />
sie im Gefängnis, die Klage wurde später<br />
zurückgezogen.<br />
40
RUSSLAND<br />
Anna Loginowa (1978 – 2008) war Model<br />
und ausgebildete Personenschützerin. Sie<br />
leitete eine Agentur, die spezialisiert auf<br />
weibliche Bodyguards war. Loginova starb<br />
bei einem Autounfall während eines Einsatzes.<br />
Sie gilt als Russlands bekanntester<br />
weiblicher Bodyguard.<br />
GRIECHENLAND<br />
Denida Zinxhiria ist Leiterin der Athenca<br />
Academy, der ersten Ausbildungsstätte<br />
für Leibwächterinnen und weibliche<br />
Nannyguards. Zinxhiria gilt als Expertin<br />
der Branche und zählt weltweit zu den<br />
Top 20 der weiblichen Bodyguards.<br />
LIBYEN<br />
Libyens ehemaliger Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi<br />
unterhielt eine Elitegruppe von 35 Frauen zu seinem persönlichen<br />
Schutz. Die Amazonengarde bestand offiziell aus<br />
Jungfrauen. Alle hatten ein Nahkampf- und Schusswaffentraining<br />
absolviert. Entgegen dem traditionellen arabischen<br />
Rollenbildes trugen sie Make-up, High Heels und westliche<br />
Frisuren. Nach Gaddafis Flucht löste sich die Truppe auf und<br />
es wurden Vorwürfe der Misshandlung und Vergewaltigung<br />
gegen Gaddafi erhoben.<br />
CHINA<br />
30 Prozent der wohlhabenden Manager<br />
in China sind Frauen. Sie neigen dazu,<br />
weibliche Bodyguards einzustellen und<br />
sorgten so für einen Boom. Laut der Tianjiao<br />
International Security Academy werden<br />
in den kommenden fünf Jahren voraussichtlich<br />
mehr als 600.000 weibliche<br />
Bodyguards in China gefragt sein. (Chen<br />
Yongqing, Präsident TISA) Stand: 2013<br />
41
KOLUMNE<br />
Von Willy Katz<br />
eine<br />
schildkröte<br />
von<br />
mann<br />
DAS MOTTO UNSERES AUTORS WILLY KATZ<br />
LAUTET: „WRITE DRUNK, EDIT WASTED“.<br />
AB DIESER AUSGABE BRINGT FRÄULEIN<br />
SEINE KOMPROMISSLOSE<br />
KOLUMNE FÜR FRAUEN.<br />
Liebe Leserinnen, Sex-Göttinnen, Studentinnen, Arbeiterinnen! Neulich beim Joggen<br />
am Kanal in Neukölln überholte ich leichtfüßig einen dieser cinephilen, schmächtigen<br />
Jungs in rot-orangefarbenen Strumpfhosen. Ihr kennt diesen Typ Mann aus dem<br />
Seminar oder der ayurvedischen Selbsthilfegruppe. Plötzlich sah ich das Filmplakat<br />
des neuen Turtles-Films. Das war ein kathartischer Moment. Die Teenage Mutant<br />
Hero Turtles, das mag euch <strong>Fräulein</strong>-lesender Ponyhof-Fraktion nichts sagen. Sollte<br />
es aber, wenn ihr nicht in ein paar Jahren Jahren katatonisch neben einem dieser<br />
Jungs in Strumpfhosen aufwachen und den Teufel Alkohol bzw. den der Postmoderne<br />
dafür verdammen wollt. Die Turtles sind keine vergessene Beat-Gruppe, sondern<br />
vier mutierte Schildkröten-Nerds aus den 90er-Jahren, die sich (in Abstufungen) für<br />
Pizza, Ninjutsu und Kunstgeschichte begeistern, während sie mit einer ultraheißen<br />
Journalistin abhängen und zurückgebliebene Schlägerbratzen klatschen. Wisst ihr eigentlich,<br />
welchen Trost ein solches Szenario einem Jungen in der Pubertät zu geben<br />
vermag? Aber jetzt das Strickzeug zur Seite gelegt und aufgepasst. Von den Turtles<br />
gibt es vier Stück, benannt nach Künstlern der Renaissance: Leonardo, das ist der<br />
Anführer, dann Donatello, der irgendwie gut mit Technik kann, drittens der Witzbold<br />
Michelangelo und eben, jetzt kommt es, Raphael, der mit den dicken Engeln, hier aber<br />
der Grübler, Zweifler, Existenzialist. Und natürlich wollte jeder Junge damals einer dieser<br />
vier Turtles sein. Mädels, ich wiederhole, JEDER Junge war ein Turtle, JEDER. Ab<br />
jetzt heißt die erste Frage im Club also nicht mehr: Seit wann bist du auf Tinder, Süßer?<br />
Oder: Stehst du auch auf Blümchensex? Sondern: Welcher Turtle warst du? Denn<br />
dann wisst ihr Bescheid: Die Leonardos machen heute irgendwas mit Wirtschaft und<br />
sind schuld an der Finanzkrise (unsexy), die Donatellos hängen am CERN ab oder bei<br />
Siemens in der Produktentwicklung, sind schlau, aber meist auch – unsexy. Michelangelos,<br />
das sind 99 Prozent rote Strumpfhose, 1 Prozent Grimmepreis. Toll, wenn‘s<br />
mal Letzteres wird, aber das Risiko ist zu hoch! Die Raphaels nun, die paar wenigen,<br />
das sind natürlich die Coolen, die machen Kulturkritik, das sind die Schreiber, die Rolf<br />
Dieter Brinkmanns, Rainald Goetzes und Willy Katzes (hüstel). Schnappt euch die,<br />
macht wilde Amore in den Trümmern und träumt! Es lohnt sich. Da habt ihr nun<br />
den Schlüssel zum Verständnis der Männer auf dem Silbertablett geliefert bekommen.<br />
Turtles eins bis vier, that‘s all. Aber ich will keinen geheuchelten Dank, kein: „Oh, Willy<br />
Katz, ich möchte in deiner Unterwäsche schlafen und dich mit zerlaufenem Bio-Honig<br />
für 5,99 Euro (das kleine Glas) liebkosen.“ Ich stelle euch lieber zum Abschluss noch<br />
eine Frage, die mich schon länger umtreibt: Im original Turtles-Film gibt es Dissenz<br />
darüber, ob man seine Freundin lieber Puppe, Perle, Schnecke oder Prinzessin nennen<br />
sollte. Dazu würde ich mir ein paar Leserinnenbriefe wünschen. Muss nicht auf Büttenpapier<br />
und irgendwie mit Buntstift sein. Geht auch per Mail.<br />
Tschaaau, XX,<br />
Willy Katz<br />
42
since 1963<br />
www .olely n gga a rd. c o m<br />
WWW.OLELYNGGAARD.COM OLE LYNGGAARD COPENHAGEN CORPORATE PAGE OLELYNGGAARDCOPENHAGEN CHARLOTTELYNGGAARD_DK WWW.CHARLOTTELYNGGAARD.DK<br />
welcome to our fl agship stores • c openhagen c it y, ny østergade 4 • c openhagen airport, ny torv<br />
sydney c it y nsw, 89 market street • stoc kholm c it y c entre, hamngatan 11
KOLUMNE<br />
Von Adrian Fekete<br />
INTERNET<br />
TÖTET<br />
MODE<br />
DIE MODE WIRD<br />
DOMINIERT VON<br />
STREETSTYLE-CLOWNS<br />
UND TITTENWUNDERN,<br />
KLAGT UNSER<br />
KOLUMNIST ADRIAN.<br />
TIME TO KICK SOME ASS.<br />
Noch vor zehn Jahren waren Modenschauen<br />
eine rein interne Angelegenheit<br />
der Industrie. Ab und zu konnten<br />
besonders Interessierte einen Ausschnitt<br />
der Chanel-Schau in den Abendnachrichten<br />
erhaschen oder Zusammenschnitte<br />
per Satellit auf Fashion TV ansehen. Die<br />
Hauptaufgabe der Kritiker war es, die<br />
Kollektion zu beschreiben, damit Kunden<br />
schon im Vorfeld erahnen konnten, was<br />
sie in sechs Monaten in den Boutiquen erwarten<br />
würde. Das Internet brachte diese<br />
Mauer der Exklusivität ziemlich schnell<br />
zum Bröckeln. Es fing an mit Style.com,<br />
der Website, die so gut wie jede Modenschau<br />
festhält und schon Stunden später<br />
öffentlich macht. Es folgten immer mehr<br />
Online-Plattformen, die durch Backstagepässe<br />
und andere Verbindungen immer<br />
mehr Zugang ermöglichten.<br />
Ich wurde zu dieser Zeit das erste Mal<br />
wirklich aufmerksam auf die Hintergründe<br />
dieser Industrie und habe die Möglichkeiten<br />
des Internets ausgeschöpft,<br />
weil ich immer mehr wissen wollte.<br />
Was war die Inspiration hinter der Comme-des-Garçons-Kollektion?<br />
Vielleicht<br />
erfahre ich es auf Cathy Horyns Blog bei<br />
der New York Times. Was hatte Carine<br />
Roitfeld zur Givenchy-Schau an? The Sartorialist<br />
wird sie nicht verpasst haben. Wer<br />
übernimmt Balenciaga nach Nicolas Ghesquières<br />
Rausschmiss? Die Foren glühen<br />
schon vor Gerüchten.<br />
Bis heute verlasse ich mich auf das Internet,<br />
um an die neuesten Informationen<br />
heranzukommen, aber mit den Jahren<br />
ist mir bewusst geworden, wie sehr diese<br />
Demokratisierung der Industrie auch<br />
schadet. Natürlich hilft es einem aufstrebenden<br />
Designer, wenn eine Frau in Kuala<br />
Lumpur bei Susy Bubble seinen Namen<br />
entdeckt und sie seine Ware sofort bei<br />
Net-a-Porter bestellen kann. Und natürlich<br />
hilft es dem jungen Fotografen, wenn<br />
ein Magazinredakteur seine Bilder bei<br />
Tumblr entdeckt und ihn für eine Strecke<br />
bucht. Doch die Negativbeispiele sind<br />
zahllos. Hier sind drei: 1) Wie kann man<br />
von unvoreingenommener Berichterstattung<br />
sprechen, wenn eine einflussreiche<br />
Bloggerin ihren Lesern von einem Label<br />
vorschwärmt, das sie zuvor von Kopf bis<br />
Fuß eingekleidet hat? 2) Welchen Wert hat<br />
die Streetstyle-Fotografie auf den Fashion<br />
Weeks, wenn Redakteurinnen zwischen<br />
jeder Show zum Showroom sprinten, um<br />
wieder in einem neuen (geliehenen) Outfit<br />
so zu tun, als hätten sie keine Zeit für Fotos?<br />
3) Kim Kardashian. Sie ist der lebende<br />
Beweis dafür, dass Mode Entertainment<br />
geworden ist. Ihr Junggesellinnenabschied<br />
fand auf Valentinos Anwesen in Versailles<br />
statt, sie ziert das Cover der amerikanischen<br />
Vogue und ist nichtsdestotrotz ein<br />
Talentvakuum, über das nur als Phänomen<br />
der Popkultur gesprochen wird – begründet<br />
mit 18 Millionen Instagram-Followern<br />
und 1200 ihrer Selfies veröffentlicht<br />
als Fotoband von Rizzoli.<br />
Ich muss gestehen, dass ich sehr wenig<br />
Zeit auf Blogs verbringe. Es fällt mir<br />
schwer, einzugestehen, dass eine Chiara<br />
Ferragni, die toll in Ferragamo-Boots<br />
aussieht, mehr Einfluss auf die Industrie<br />
hat als eine Legende der Modekritik wie<br />
Suzy Menkes. Warum gibt es so wenige<br />
Designer, die Fragen aufwerfen statt zu<br />
versuchen, den größten Oomph durch Instagram<br />
zu verursachen, um Parfüms an<br />
Teenager zu verkaufen? Designer wie Phoebe<br />
Philo bei Céline und der junge Schotte<br />
Christopher Kane sind meine Lichtblicke.<br />
Sie hinterfragen Saison für Saison ihre<br />
eigene Relevanz und machen Vorschläge,<br />
die bei Weitem nicht allen munden, doch<br />
trotzdem mit Verzögerung von allen anderen<br />
kopiert werden. Für alle, die Mode<br />
als etwas mehr sehen als Kleidung, die<br />
uns vor dem Erfrieren bewahrt, ist sie<br />
ein Ausdruck der Persönlichkeit und darf<br />
schon allein deshalb nicht allen gefallen.<br />
Die Industrie braucht mehr Leute, die mit<br />
ihrer Kreativität gegen die zwei eindeutigen<br />
Übel vorgehen können: Streetstyle-Clowns<br />
und Arsch-und-Titten. Lang<br />
lebe die Individualität, mindestens bis zur<br />
nächsten Saison.<br />
44
Fiat mit<br />
MANCHE DESIGNS<br />
SIND EINFACH CULT.<br />
Der Fiat 500 war schon immer<br />
Kult. Bei mir wird Cult aber mit C<br />
geschrieben. Ich bin eben<br />
besonders. Zum Beispiel dank<br />
des weichen Leders meiner Sitze.<br />
Und besonders innovativ: Mein<br />
7˝ -TFT-Farbdisplay zeigt Dir nicht<br />
nur Tacho und Drehzahlmesser,<br />
sondern auch den optimalen<br />
Zeitpunkt zum Hoch- bzw.<br />
Runterschalten. Und wenn es<br />
draußen besonders heiß ist,<br />
bleibst Du dank Klimaautomatik<br />
immer schön cool.<br />
DER NEUE FIAT 500 CULT.<br />
Weitere Informationen findest Du unter fiat.de<br />
simply more<br />
Kraftstoffverbrauch (l/100 km) nach RL 80/1268/EWG: kombiniert 5,1–3,7. CO 2 -Emission (g/km): kombiniert 119–90.
MUST HAVES<br />
Fotos von Jan Philipp Lessner / Styling von Sina Braetz<br />
Fotoassistenz von Nicola Ihde<br />
Sonnebrille Mykita x Bernhard Willhelm, Gürtel By Malene Birger, Schuhe Dries Van Noten, Parfüm „la fumée arabie“ von Miller Harris, Tuch Louis Vuitton<br />
MustHAVES<br />
Tasche Prada, Lippenstift „Hello Sailor 3“ Lipstick Queen über dsq206.com, Brosche Dsquared2, Schuhe Dsquared2, Smartphone Blackberry x Porsche Design, Snowboardbrille<br />
Burton, Kette Dior, Parfüm im Schloss-Flakon „Cadenas“ von Hermès, Clutch Jil Sander, Regenschirm-Fahrradhalter Senz6, Schlüsselanhänger Dsquared2<br />
46
FASANENSTRASSE 22 | 10719 BERLIN<br />
MULACKSTRASSE 35 | 10119 BERLIN<br />
APC.FR
Sneaker<br />
CHANEL<br />
ANZEIGE<br />
48
Snowboardhelm Burton, BH Eres über dsq206.com, iPad-Hülle Iphoria, Füller Lamy<br />
Clutch Saint Laurent by Hedi Slimane über unger-fashion.com, Lippenstift Clarins, Gummistiefel Hunter über dsq206.com, Kette Chanel<br />
Smartphone-Hülle House of Cases über dsq206.com, Schlüsselanhänger, Lili Radu über dsq206.com, Sonnenbrille Ray Ban<br />
Agendamappe Louis Vuitton, Beautytasche Lili Radu über dsq206.com<br />
49
Parfüm Girl<br />
COMME DES<br />
GARÇONS X<br />
PHARRELL<br />
WILLIAMS<br />
50
MUST HAVES<br />
Duftkerze Odin, Sweater Eleven Paris, Sonnenbrille Dolce & Gabbana, Stiefel Isabel Marant über Quartier 206 Berlin<br />
Korrekturbrille Mykita, Puder Tromborg, Parfüm Odin 04, Nagelcreme Londontown, Lippenstift „Flamingo“ Tom Ford, Lederjacke BLK DNM, Bürste Mason Pearson über dsq206.com<br />
Speaker Philips, Parfüm „Bamboo Harmony“ by Kilian, Visitenkarten-Mäppchen PB 0110, Schreiber Louis Vuitton<br />
52
Gürtel Tiger of Sweden, Zahnpasta Marvis, Schnürsenkel Red Wing Shoes, Blazer Agnona<br />
Agendamappe Louis Vuitton, Taillengürtel Olympia Le-Tan über stylebop.com, Motorradhelm Versace, Pinsel Tom Ford, DJ-Kopfhörer Philips, Schiebermütze Uniqlo x Ines de la Fressange<br />
Stiefel Calvin Klein Collection über Quartier 206 Berlin, Tasche Hugo Boss, Smartphone-Hülle Marshall<br />
53
Hut<br />
EMPORIO<br />
ARMANI<br />
54
Sneaker Adidas Originals x Opening Ceremony, Armreifen Marimekko, Hose Altuzarra über matchesfashion.com<br />
Clutch Paul Smith, Schirm Senz6, Schlafbrille Otis Batterbee London über dsq206.com<br />
Clutch Giorgio Armani, Carré Hermès, Korrekturbrille Alain Mikli, Ohrringe Marimekko<br />
Smartphone-Hülle Samsung x Nicholas Kirkwood, Ohrringe Marimekko, Bluse Paul Smith<br />
55
Tasche<br />
AGNONA
AGENDA<br />
AGENDA<br />
KEINEMUSIK<br />
Das Team um Rampa, &ME, Adam Port,<br />
David Mayer, Reznik und Visual Artist<br />
Monja Gentschow feiert sein fünfjähriges<br />
Jubiläum im Rahmen seiner FIVE Tour<br />
durch Europa. 2 Tage nach der Tour, am<br />
17. November, erscheint ein großes Joint-<br />
Venture-Werk von allen Keinemusik-Produzenten.<br />
Tourdaten:<br />
04.10., Torquay, Rivera Center , UK<br />
17.10., Wien, Pratersauna, AT<br />
18.10., Amsterdam , Studio 80, NL<br />
19.10., Hulste, Sondag, BE<br />
24.10., München, Rote Sonne, DE<br />
25.10., Stuttgart, Rocker 33, DE<br />
28.10., Istanbul, Propaganda, TR<br />
31.10., Zürich, Hive, CH<br />
01.11., Köln, Gewölbe, DE<br />
07.11., Oslo, Jager, NO<br />
08.11., Rome, Goa, IT<br />
14.11., Moscow, Madplace, RU<br />
15.11., Berlin, Watergate, DE<br />
HEISSER RENNER!<br />
Lapo Elkann‘s Label Italia Independent<br />
hat mit Adidas kooperiert und eine neue<br />
ZX Flux Kollektion designt.<br />
Unser Favorit: die bunte Version mit Animal-Print.<br />
Die Schuhe sind ab sofort u.a.<br />
in den Adidas Originals Flagship Stores,<br />
und Italia Independent Boutiquen sowie<br />
online erhältlich.<br />
ICALLB<br />
Der ominöse Instagram-Account<br />
„icallb“ (I call bullshit) legt sich<br />
mit den Stars der Kunstwelt an,<br />
beschimpft Kuratoren, Künstler<br />
und das Magazin „Texte zur<br />
Kunst“. Er unterstellt Einfallslosigkeit,<br />
Klüngelei und Mediengeilheit.<br />
Ist das eine neue Form<br />
der Kunstkritik? Einen Dialog<br />
schafft icallb zumindest, denn<br />
Instagram-Begeisterte wie Kurator<br />
Klaus Biesenbach kommentieren<br />
zurück. Doch wer steckt<br />
dahinter? Manche vermuten ein<br />
Fake-Profil von James Franco, der<br />
selbst immer wieder von icallb<br />
attackiert wird. Unbedingt auf Instagram<br />
folgen.<br />
FRÄULEINS<br />
MR. UND MISS A<br />
Macht uns gute Laune: André Saraiva‘s<br />
Mr. und Miss A grinsen jetzt auf exklusiven<br />
Marc O‘Polo T-Shirts und Hoodies<br />
aus Organic Grown Cotton.<br />
Shirt Marc O‘Polo X André Saraiva<br />
SKYY VODKA<br />
Die perfekte Erfrischung auch an herbstlichen<br />
Tagen: Skyy Rosemarie. Der mit<br />
Tonic Water und Rosmarin verfeinerte<br />
Drink von Skyy Vodka ist perfekt gegen<br />
Sommernostalgie. Was braucht‘s? 4cl<br />
Skyy, 16cl Tonic Water, Eiswürfel und einen<br />
Zweig Rosmarin, fertig.<br />
Mit seiner Kreativdirektion für „Balenciaga“ beweist er, dass er die Sprache eines Luxuslabel<br />
für Modekenner spricht, mit der Nebenlinie seines Labels „T By Alexander<br />
Wang“ auch das kommerzielle Handwerk beherrscht. Jetzt hat er mit seiner Kollaboration<br />
mit H&M die Herausforderung angenommen, auch für die Masse zu designen.<br />
Wir sind gespannt! Die Kollektion erscheint am 6. November.<br />
HORST P. HORST<br />
IM V&A<br />
C/O BERLIN IM<br />
AMERIKA HAUS<br />
Ab den 30er-Jahren prägte Horst P.<br />
Horst die Modefotografie. Marlene<br />
Dietrich, Coco Chanel oder Andy<br />
Warhol posierten für den Amerikaner<br />
deutscher Herkunft unter anderem<br />
für Vogue. In London gibt es eine Retrospektive.<br />
Horst: Photographer of Style, vom 6.<br />
September 2014 bis 4. Januar 2015 im<br />
V&A Victoria and Albert Museum.<br />
Summer Fashions, American Vogue Cover, 15. Mai 1941<br />
© Condé Nast / Horst Estate<br />
Das C/O Berlin öffnet endlich wieder<br />
seine Tore. Das Ausstellungshaus für<br />
Fotografie zog aus dem Postfuhramt aus;<br />
nun eröffnet es im umgebauten Amerika<br />
Haus mit gleich vier Ausstellungen neu.<br />
C/O Berlin, Amerika Haus, Berlin. Neueröffnung<br />
am 30. Oktober<br />
© Mila Hacke<br />
58
LASS UNS REDEN – DIE MIRANDA-JULY-APP<br />
Die Handy-App „Somebody“ von Miranda<br />
July übermittelt SMS nicht elektronisch,<br />
sondern sucht sich Fremde in der Nähe,<br />
die die Botschaft mündlich überbringen.<br />
Jemand will also etwas mitteilen, kann<br />
oder will das aber aus irgendeinem Grund<br />
nicht selbst tun. Dann kann er sich mit der<br />
App an einen Dritten wenden, der sich in<br />
der Nähe des Empfängers befindet und<br />
die Nachricht von Angesicht zu Angesicht<br />
überbringen kann. Miranda July ist Autorin,<br />
Schauspielerin und Künstlerin und<br />
hat „Somebody“ mit Unterstützung der<br />
Modemarke Miu Miu verwirklicht.<br />
KARO-FIEBER<br />
URMASS<br />
900 Gramm Platin, gemischt mit 100<br />
Gramm Iridium lagern in einem unteririschen<br />
Tresor im Pavillon de Breteuil, wenige Kilometer vor<br />
Paris. Es ist das Ur-Kilo und wiegt so viel wie ein Liter<br />
Wasser bei vier Grad Celsius. Die Aufständischen der Französischen<br />
Revolution wollten eine neue Ordnung schaffen,<br />
die Woche bekam zehn Tage, der Meter sollte ein Zehnmillionstel<br />
der Strecke Pol -Äquator werden und seit dem 22. Juni<br />
1799 sollte die definitive Gewichtseinheit eben soviel wie ein<br />
Liter Wasser wiegen. Darüber wacht seitdem das Bureau<br />
International des Poids et Mesures. Das Urkilo liegt<br />
unberührt in seinem Tresor. Eventuell verliert es<br />
mit der Zeit Masse. Man weiß es nicht. Keiner<br />
darf da ran um nachzumessen.<br />
Klassische Alltags-Begleiter mit einem<br />
Hauch Chaos für die Augen: Diese Sneaker<br />
von Opening Ceremony machen uns<br />
mit ihrem schwarz-weiß Karo schwach.<br />
Sneaker Opening Ceremony über<br />
dsq206.com<br />
Bon<br />
Voyage!<br />
Wir halten den Sommer ganz doll fest,<br />
mit diesem Kofferanhänger mit poppigem<br />
Blumenprint aus der Capsule Collection<br />
von Tumi. Kofferanhänger Tumi<br />
FOMO<br />
Nachdem #YOLO schon lange in allen<br />
Social Media Känale kursierte, tauchte<br />
plötzlich #FOMO auf. „Fear Of Missing<br />
Out“, beschreibt die soziale Angst, etwas<br />
zu verpassen. Dieses Gefühl ist wohl so<br />
alt wie die Menschheit und eigentlich<br />
könnten Facebook und co. es eliminieren,<br />
denn egal wo man ist, erfährt man, was<br />
gerade passiert. Doch der ständige soziale<br />
Vergleich führt dazu, dass man sieht, was<br />
man gerade nicht hat. Das Problem: Wir<br />
vergessen den Moment. Deshalb sollte<br />
auf jedes FOMO-Gefühl ein YOLO folgen,<br />
damit wir uns klar machen, das wir hier<br />
und jetzt leben.<br />
ANTI-DROHNE<br />
Nachdem Google nun wie auch Amazon<br />
Drohnen in die Welt schicken will, um<br />
Waren auszuliefern, kam ein schlauer<br />
Künstler in Berlin auf die Idee, sich gegen<br />
potentielle Spionageflüge zu wehren:<br />
Er erfand einen kleinen Stecker namens<br />
„Cyborg Unplug“, der einmal in eine<br />
Netzsteckdose gestöpselt die Umgebung<br />
nach unerwünschten Geräten wie Google<br />
Glass oder Drohnen mit Kameras scannt<br />
und automatisch deren W-Lan-Verbindung<br />
zum Hotspot trennt.<br />
GLOW IN THE DARK<br />
Mit Nachtleuchtfarbe bringt man alles bei<br />
Dunkelheit zum Leuchten, was man will:<br />
Ob Holz, Plastik, Metall, Stoff, Papier oder<br />
Keramik, alles ist erleuchtet! Möbel können<br />
genauso leuchten, wie Schuhe oder<br />
Schmuck. Wenn man genug hat, kann die<br />
Farbe auch wieder abgewaschen werden.<br />
Erhältlich bei monsterzeug.de<br />
59
AGENDA<br />
LESEFRÄULEINS<br />
ES IST WIEDER SO WEIT - IM HERBST BLICKEN WIR ÜBER DEN BÜCHERRAND, DENN VOM 8. BIS 12. OKTOBER<br />
FINDET ENDLICH WIEDER DIE FRANKFURTER BUCHMESSE STATT. DIESJÄHRIGER EHRENGAST IST FINNLAND. WIR STELLEN<br />
UNSERE GANZ PERSÖNLICHEN LIEBLINGSBÜCHER VOR, DIE ES AN KEINEM STAND ZU FINDEN GIBT.<br />
DRIVING THE SAUDIS<br />
„Ich fuhr eine saudische Prinzessin, die<br />
sich für einen Schokoriegel interessierte.<br />
Wir kauften mehre Boxen, denn einen<br />
einzigen Riegel zu kaufen wäre nicht<br />
standesgemäß. Sie gab dem Verkäufer<br />
ein paar Hundertdollarscheine und als<br />
der Mann meinte, sie bekäme noch was<br />
raus, war sie erschüttert und weinte fast,<br />
weil sie es nicht geschafft hatte, sich so zu<br />
verhalten, wie man es sollte. Ich bekam<br />
Mitleid.“ Diese und andere Geschichten<br />
aus der Parallelwelt der arabischen Superreichen<br />
beschreibt Jayne Amelia Larson<br />
in Driving the Saudis, das es als Buch<br />
und Webseite gibt.<br />
WE ARE GYPSIES NOW<br />
Danielle de Picciotto hielt ihr Nomadenleben<br />
in der Graphic-Novel We are Gypsies<br />
now fest. Das Buch wurde im Metrolit-Verlag<br />
veröffentlicht; die deutsche<br />
Übersetzung stammt von ihrem Mann Alexander<br />
Hacke, mit dem sie auf Reisen ist.<br />
GEISTERBRÄUTE<br />
Stirbt ein Mann, braucht er im Sarg eine<br />
vernünftige weibliche Begleitung. So will<br />
es eine chinesische Tradition. Deshalb<br />
werden immer noch manchmal Geisterbräute<br />
ausgegraben oder umgebracht. In<br />
der Graphic-Novel The Undertaking of<br />
Lily Chen sucht Deshi eine Bestattungsbraut<br />
für seinen Bruder. Da kommt Lily<br />
ins Spiel, die von Aussehen und Intelligenz<br />
zwar würdig wäre, aber noch am<br />
Leben ist..<br />
Von Danica Novgorodoff, erschienen im<br />
First-Second-Verlag<br />
SEXY WEIMAR<br />
Dass Berlin vor den Nazis wild und sexy<br />
war, ist kein Geheimnis. Dieses Buch<br />
zeigt es allerdings auf eine unbekannte<br />
Weise: Hunderte bislang verborgener Bilder<br />
dokumentieren Cabarets, Filmszene,<br />
Sex, Magie und okkulte Praktiken zu Zeiten<br />
der Weimarer Republik.<br />
Voluptuous Panic: The Erotic World of<br />
Weimar Berlin ist erschienen bei Feral<br />
House<br />
HIGH END<br />
SEX TOYS<br />
Klar fragt man sich, wer 24 Karat Gelbgold-Dildos benötigt. Es gibt sie aber. Grund genug, die teuersten Sex-Spielzeuge<br />
zu zeigen. Im Leben kommt es auf existenzielle Kleinigkeiten an. Damit meinen wir die perfekte Handtasche,<br />
passend für jede Gelegenheit, oder ein Paar Stilettos, das jedes Outfit aufhübscht. Und natürlich darf das<br />
richtige Parfüm auf dem Schminktisch nicht fehlen, das sich wie eine zweite Haut an unseren Körper schmiegt.<br />
Es sind Stücke, die man mit Herz und Leidenschaft sammelt, aufbewahrt und bei sich trägt. Sie sind klassisch,<br />
zeitlos und unkaputtbar. Sie überleben Liebesdramen, Stürme und Generationen. Es sind Dinge, die uns<br />
Freude bereiten und manche Situationen im Leben versüßen. Daher gehört das richtige Sexspielzeug in jede<br />
Schatztruhe. Ob für einsame Momente des Single-Daseins oder für Lustspiele mit dem Liebsten. Sie machen<br />
das Sexleben noch aufregender. Dabei erweist sich die Suche nach dem richtigen Sextoy nicht gerade als leicht,<br />
denn das Angebot ist groß. Es begegnen einem Delphine, Hasen und Raupen. Was aber ist mit den wirklich<br />
selbstbewussten Frauen? Sie haben Spaß am Sex und es erregt sie bestimmt kein geschmackloser Vibrator mit<br />
Tier-Motiv. Sie brauchen etwas Greifbares und Exquisites. Es geht beim Sex um Liebe, Lust und Ästhetik, und<br />
manchmal braucht es etwas Exzess, wie bei diesen Modellen hier. Klar fragt man sich, wer 24 Karat Gelbgold in<br />
phallischer Form benötigt, aber es gibt nichts was es nicht gibt.<br />
Yva Vibrator von Lelo, 2.990 EUR über amorelie.de<br />
60
GANZ KLEINES KINO!<br />
Der Smartphone-Projektor im Retro-Design funktioniert ähnlich<br />
wie eine alte Lochkamera, nur umgekehrt. So können Videos<br />
direkt an die Wand geworfen werden, egal wo man gerade<br />
ist. Die Stadt gehört euch! Ein Gehäuse aus Pappe und eine Linse<br />
sind alles was man braucht. Gibt es auch schon fertig gebaut<br />
für rund 25 Euro von „Luckies“.<br />
DIE ERSTE NACKTE<br />
DER FILMGESCHICHTE<br />
Audrey Munson hat mit fünfzehn als<br />
Aktmodell angefangen und kam so 1915<br />
in den Film Inspiration. Das machte sie<br />
berühmt, ihr Vermieter verliebte sich in<br />
sie und ermordete seine Frau. Mit diesem<br />
Skandal endete Munsons Karriere, sie<br />
zog mit ihrer Mutter nach Mexiko und<br />
verkaufte Küchenutensilien. Aus Verzweiflung<br />
schluckte sie Quecksilber und<br />
verdämmerte fünfundsechzig Jahre in<br />
einer psychiatrischen Anstalt. Sie wurde<br />
105 Jahre alt. In New York stehen heute<br />
noch rund zwanzig Statuen von ihr. Sie<br />
ist der Engel im linken Pfeiler der Manhattan<br />
Bridge, eine weiße Granitfigur vor<br />
dem Brooklyn Museum sowie die Miss<br />
Liberty auf der Halbdollarmünze.<br />
AFFENSTARK<br />
Nim Chimpsky war ein Schimpanse, der<br />
sich äußern konnte wie ein Kleinkind,<br />
denn er wurde in der 70er Jahren von<br />
einer Familie in den USA aufgenommen<br />
und erzogen wie ein Mensch. Im „Project<br />
Nim“ wurden dem Affen mit dem an<br />
Sprachwissenschaftler Noam Chomsky<br />
angelehnten Namen Grammatik und<br />
Laute beigebracht. So konnte er sich artikulieren.<br />
Der längste zitierte Satz war<br />
„Give orange me give eat orange me eat<br />
orange give me eat orange give me you.“<br />
Dass Tiere in die Natur gehören wird in<br />
dem Film zum Projekt ebenso deutlich,<br />
wie dass die Menschen gar nicht zu weit<br />
vom Affen sind, wie sie meinen.<br />
Den vielfach prämierten Doku-Film „Project<br />
Nim“ gibt es auf DVD bei Roadhouse<br />
Productions.<br />
DISARONNO<br />
TRÄGT<br />
VERSACE<br />
Der italienische Likör „Disaronno“<br />
hat einen neuen Look und er kommt<br />
von: Versace! Die exklusive Kooperation,<br />
dessen Ergebnis ein glamouröses Flaschendesign<br />
und ein neuer „Disaronno Versace<br />
Sour“-Cocktail ist, unterstützt zudem die<br />
globale Modeinitiative „Fashion 4 Development“<br />
und trägt somit zur Entwicklungshilfe<br />
in Afrika bei.<br />
ERLEND ØYE<br />
Der norwegische Musiker Erlend Øye erlangte<br />
mit Kings of Convenience und The<br />
Whitest Boy Alive große Popularität. Nun<br />
veröffentlicht er sein neues Soloalbum „Legao“.<br />
Der Wahlsizilianer ist vielseitig. Für die<br />
Platte hat sich der Künstler mit der isländischen<br />
Reggea-Band Hjálmar zusammengetan.<br />
Entstanden ist ein wunderschönes<br />
Album, das mit dem Charme italienischer<br />
Musik der 60er und 70er spielt.<br />
„Legao“ erscheint am 3. Oktober<br />
GLAS, NEIN DANKE …<br />
… weil umweltschonendes Bag-in-Box<br />
im Gegensatz zu Glasverpackungen 73<br />
Prozent weniger Energieverbrauch und<br />
82 Prozent weniger CO2 Ausstoß erzeugt.<br />
Nicht nur gut fürs Gewissen, sondern<br />
auch für die nächste Party: Für circa 18<br />
Euro bekommt man drei Liter Bio-Wein<br />
von regionalen Winzern. Das schmeckt!<br />
Zu bestellen über www.gruene-weinbox.de<br />
HOCH HINAUS!<br />
Ob als Modestatement, Fetischobjekt oder<br />
Kunstgegenstand, der Siegeszug der High<br />
Heels ist längst nicht mehr aufzuhalten.<br />
Jetzt beschäftigt sich die Ausstellung Killer<br />
Heels: The Art of the High-Heeled Shoe<br />
in New York mit ihrer Geschichte, ihren<br />
Einflüssen und Wandlungen. Mehr als<br />
160 Modelle werden gezeigt, darunter<br />
Kreationen von Prada, Chanel, Salvatore<br />
Ferragamo, Manolo Blahnik, Christian<br />
Louboutin und Alexander McQueen. Zudem<br />
sind sechs Kurzfilme von Künstlern<br />
wie Nick Knight, Steven Klein und Zach<br />
Gold zu sehen.<br />
61
HANDTASCHE<br />
Von Revan Baysal<br />
Portrait von Khaled Sufi<br />
AYS<br />
YUVA<br />
1<br />
LIPGLOSS VON YVES SAINT<br />
LAURENT, ZAHNSTOCHER<br />
VON SUPREME UND GOLDENE<br />
RINGE MIT SYMBOLEN – WEM<br />
KÖNNTE DIESE TASCHE WOHL<br />
GEHÖREN? WER SCHON<br />
EINMAL ETWAS VON „ART<br />
YOUTH SOCIETY“ GEHÖRT<br />
HAT, DÜRFTE SPÄTESTENS<br />
BEIM STICHWORT „GOLDENE<br />
RINGE“ HELLHÖRIG WERDEN.<br />
DIE REDE IST VON AYS YUVA,<br />
DER INHABERIN DES NEW<br />
YORKER SCHMUCKLABELS, FÜR<br />
DAS SIE SEIT 2012 FILIGRANE<br />
DESIGNS AUS PUREM<br />
GOLD ENTWIRFT. AYS IST<br />
KOSMOPOLITIN UND MEISTERT<br />
IHR LEBEN ZWISCHEN DREI<br />
KONTINENTEN BESTENS:<br />
IHREN SCHMUCK ENTWIRFT<br />
SIE IN NEW YORK, IN<br />
DEUTSCHLAND BESUCHT<br />
SIE FREUNDE UND FAMILIE<br />
UND PRODUZIERT WIRD IN<br />
ISTANBUL, WO SIE ÜBRIGENS<br />
IHRE WURZELN HAT. WELCHE<br />
FRISCHMACHER SIE WÄHREND<br />
DER LANGEN FLÜGE GEGEN<br />
DEN MÜDEN JETLAG-<br />
LOOK BENUTZT, VERRÄT<br />
DER BLICK IN IHRE TASCHE:<br />
2<br />
3<br />
4<br />
5 6 7<br />
8 9<br />
62
10<br />
Linke Seite:<br />
1. „Wallet on Chain“ von Chanel – Meine<br />
erste Chanel-Tasche. Ich liebe sie und der<br />
Rest erklärt sich von selbst, oder?<br />
2. Schmuckbeutel von AYS – für meinen<br />
eigenen Schmuck von Art Youth Society<br />
3. Ledertäschchen von Rebecca Minkoff<br />
– für den Kleinkram<br />
4. Kartenhalter von Vianel – für meine<br />
Kreditkarten<br />
5. Eine Banane – zwar nicht mein Lieblingsobst,<br />
aber wenn man viel unterwegs<br />
ist, ist sie perfekt für den nötigen Energieschub.<br />
6. Kalender von Moleskine – oder auch:<br />
mein Leben! Ohne meinen Kalender kann<br />
ich nicht reisen. Was andere in ihrem iCal<br />
haben, habe ich schwarz auf weiß, da bin<br />
ich old school<br />
7. Schmuck aus Rosé-Gold von Art Youth<br />
Society – nie ohne meinen Schmuck!<br />
8. Hülle von Incase: Ich liebe Gold und<br />
benutze die Hülle oft als Spiegel.<br />
9. My Grillz – mein sogenanntes „Hood<br />
Accessoire“. Sind immer irgendwo in<br />
meiner Tasche.<br />
Rechte Seite:<br />
11 12 13 14<br />
15<br />
16 17 18<br />
10. Kamera von Nikomat – hatte ich zufällig<br />
dabei, ich liebe es, Bilder zu machen.<br />
11. Concealer Nr. 10 von Chanel – ganz<br />
wichtig, wenn ich müde bin und mich<br />
kurz auffrischen möchte.<br />
12. Baby Doll Kiss & Blush Nr. 12 von Yves<br />
Saint Laurent – ich habe Lippenstift und<br />
Rouge in einem und muss nicht zwei verschiedene<br />
Produkte mitschleppen, zumal<br />
ich mich recht wenig schminke.<br />
13. Nagellack in Mink Brulée von Tom<br />
Ford – gepflegte Fingernägel sind wichtig,<br />
deswegen trage ich immer Nagellack. Dieser<br />
ist momentan mein absoluter Favorit!<br />
14. Tea-Tree-Oil Zahnstocher von<br />
Supreme – eine super Alternative zum<br />
Kaugummi für zwischendurch. Ich bin<br />
süchtig.<br />
15. Sonnenbrille von Seneca Eyewear<br />
– eine ganz neue Marke aus NY, die ich<br />
gerne unterstütze.<br />
16. Der Tangle Teezer ist der Hammer!<br />
Besonders bei langen Haaren wie meinen<br />
– die kämme ich damit ab und zu durch<br />
17. Getönte Feuchtigkeitscreme mit UV-<br />
Schutz von Dermalogica in der Farbe<br />
Sheer Tint – perfekt für mich<br />
18. Feuchtigkeitspendende Handcreme<br />
von Cowshed – ohne geht es nicht<br />
63
DAS BILD<br />
Von Maja Hoock<br />
Illustration von Danielle de Picciotto<br />
64
AUTONOMIE<br />
DIE KÜNSTLERIN DANIELLE DE PICCIOTTO ERFAND ZUSAMMEN MIT DR. MOTTE DIE LOVE PARADE. SEIT JAHREN REIST SIE MIT<br />
IHREM MANN ALEX HACKE OHNE FESTEN WOHNSITZ DURCH DIE WELT. EIN GESPRÄCH ÜBER DIE FREIHEIT.<br />
<strong>Fräulein</strong>: Frau de Picciotto, Sie<br />
haben uns ein Bild zum Begriff Autonomie<br />
gezeichnet. Was ist darauf zu<br />
sehen?<br />
Danielle de Picciotto: Das ist ein Mensch<br />
auf dem Fahrrad, der mit seinem mobilen<br />
Zuhause fährt, also unabhängig von allem<br />
ist und selbstbestimmt seinen Weg geht.<br />
Ist Unabhängigkeit Ihr Lebensprinzip?<br />
Das liegt in der Familie. Mein Vater wurde<br />
auf einem Auswandererschiff von Sizilien<br />
nach Ägypten geboren. Über die Stationen<br />
Kairo und Paris ist er nach Amerika<br />
gekommen und landete in der Army. Er<br />
wurde auch nach meiner Geburt ständig<br />
versetzt. Mit zwölf Jahren war ich schon<br />
zwölfmal umgezogen. 1987, nach meinem<br />
Studium in New York, kam ich dann nach<br />
Berlin. Standhaft und an einem Ort zu<br />
sein, das ist für mich sehr ungewohnt.<br />
Auf Ihrem Bild ist auch eine Burg zu<br />
sehen. Die steht ja schon für Standhaftigkeit.<br />
Das Mobile Home im Bild macht die Frau<br />
gleichzeitig ungebunden, während die<br />
Burg Schutz bietet. So hat man beides.<br />
Was ist Ihre Burg?<br />
Die Beziehung zu meinem Mann Alex<br />
(Hacke, Bassist der Einstürzenden Neubauten).<br />
Wir sind wie eine Einheit, stellen<br />
uns Rücken an Rücken, so wie Tiere in<br />
der Natur das auch machen, um einem<br />
Angreifer immer in die Augen schauen zu<br />
können. Der Rücken ist so gedeckt.<br />
Das zu wissen ist sicher gut ...<br />
Nicht nur, aber doch vor allem als Frau.<br />
Als ich eine Fischvergiftung hatte, lebten<br />
wir gerade in einem Bungalow in Mexiko.<br />
Es war heiß und alles hat geschaukelt,<br />
wenn ein Nachbar vorbeilief, weil das<br />
Haus nicht auf der Erde stand, wie auf<br />
einem Schiff. Mir war schlecht und weit<br />
und breit konnte man nichts einkaufen.<br />
Alex ist mit dem Fahrrad eine Dreiviertelstunde<br />
gefahren, um Cola für mich zu<br />
holen.<br />
Wie haben Sie sich beide kennengelernt?<br />
Als ich nach Berlin gezogen bin, habe<br />
ich in der Fabriketage einer Freundin gewohnt,<br />
wie auch der Keyboarder von Nick<br />
„WO ICH NICHT<br />
ARBEITEN KANN,<br />
KANN ICH NICHT<br />
SEIN“<br />
Cave, Roland Wolf, der inzwischen gestorben<br />
ist. Er war einer der besten Freunde<br />
von Alex. Weil die Bad Seeds und die<br />
Einstürzenden Neubauten viel miteinander<br />
zu tun hatten, haben wir uns schnell<br />
angefreundet.<br />
Aber Sie sind erst sehr viel später zusammengekommen.<br />
Wir sind erst seit 2001 ein Paar. Ich kenne<br />
alle seine Freundinnen und Frauen und<br />
er alle meine Männer. Das ist lustig, man<br />
musste sich nichts erzählen.<br />
Zurück zu Ihrer Zeichnung. Was bedeutet<br />
der Schirm auf dem Gefährt?<br />
Wenn man mit dem Rad fährt, muss man<br />
die ganze Zeit arbeiten, um vorwärts zu<br />
kommen. So ist es auch, wenn man ständig<br />
unterwegs ist. Darum ist es wichtig,<br />
dass man regelmäßig für Entspannung<br />
sorgt. Nachdem wir angefangen hatten,<br />
als Vagabunden zu leben, war ich nach<br />
zwei Jahren so überanstrengt, dass ich<br />
nicht mehr konnte. Wenn man kein Zuhause<br />
hat, hat man eben nie Rückzugsmomente.<br />
Funktioniert Entspannung nicht<br />
auch in Hotelzimmern?<br />
Nein, selbst dann nicht, wenn man bei<br />
jemandem zu Besuch ist, den man gut<br />
kennt. Richtig entspannen kann man nur<br />
umgeben von den eigenen Sachen. Darum<br />
der Schirm. Man muss sich als Ausgleich<br />
ab und zu darunter setzen.<br />
Was ist Ihr persönlicher Schirm?<br />
Yoga machen, laufen und schwimmen<br />
kann man überall. Alex meditiert jeden<br />
Morgen um sieben Uhr. Aber wir experimentieren<br />
auch viel und haben eine<br />
ayurvedische Ärztin kennengelernt, die<br />
Ölgüsse auf die Stirn macht, was extrem<br />
entspannend ist. Und wir gehen oft zur<br />
Thai-Fußmassage, chinesischer Massage<br />
und Akupunktur. Egal wo wir sind, schauen<br />
wir, was es gibt.<br />
Also haben Sie sich trotz des freien<br />
Lebens einige Regeln gesetzt?<br />
Wir haben etwa die Regel, dass wir einmal<br />
in der Woche überhaupt nicht arbeiten.<br />
Das ist eigentlich normal, aber wir haben<br />
die letzten zehn Jahre durchgearbeitet.<br />
An diesem Tag machen wir immer etwas<br />
Ungewohntes. Wir waren im Botanischen<br />
Garten in Detroit. Das war schon sehr<br />
eigenartig, weil er verfallen ist und eingeschlagene<br />
Scheiben hat. In Dortmund<br />
sind wir in eine Kirche mit einer riesigen<br />
Orgel gegangen.<br />
Fühlen Sie sich nicht manchmal<br />
fremd in neuen Städten?<br />
Ich dachte erst: super, jetzt sind wir also<br />
in Dortmund (stöhnt). Aber das Erlebnis,<br />
dort im Theater zu arbeiten, war so genial,<br />
dass ich sofort da geblieben wäre, wenn<br />
sie mich fest angestellt hätten. Solange<br />
ich in meiner Kunst glücklich bin, kann<br />
ich überall etwas entdecken. Man findet<br />
Kleinigkeiten, so wie etwa die beste Bäckerei,<br />
in der ich jemals gewesen bin. Eine<br />
Stadt, in der Kunst aber keine Rolle spielt,<br />
die fände ich schwer zu ertragen. Wo ich<br />
nicht arbeiten kann, kann ich nicht sein.<br />
Wo fühlen Sie sich am wohlsten?<br />
Dadurch, dass wir auf unserer Reise an<br />
verschiedenen Orten relativ lange gewohnt<br />
haben, haben wir statt nur einem<br />
Zuhause zehn. Wir haben jetzt wirklich<br />
gute Freunde auf der ganzen Welt und es<br />
fällt uns immer schwerer, zu entscheiden,<br />
wohin wir gehen.<br />
Wenn Sie bei Freunden übernachten,<br />
müssen Sie ja auch mit Ihnen Zeit<br />
verbringen. Ist das auf Dauer nicht<br />
anstrengend?<br />
Ja, für sie ist es immer eine Ausnahme,<br />
wenn wir zu Besuch sind und sie wollen<br />
mit uns Party machen. Ich bin oft einfach<br />
nur müde und will schlafen, weil wir zwischendurch<br />
die ganze Zeit auftreten und<br />
sowieso immer nachts unterwegs sind.<br />
Das ist erschöpfend.<br />
Haben Sie durch das ungebundene<br />
Leben und ständige Wohnen bei anderen<br />
Leuten ein anderes Verhältnis<br />
zu Menschen bekommen?<br />
Vorher hatten wir dieses unglaubliche<br />
Haus im Berliner Wedding mit fünf Stockwerken<br />
und Garten. Ab und zu haben wir<br />
uns überlegt, einen Untermieter zu nehmen,<br />
fanden es dann aber zu komisch,<br />
einen fremden Menschen im Haus zu<br />
haben. Als wir auf Tour waren, wollte<br />
ich immer meine Ruhe, ins Hotel und nie<br />
privat bei anderen Leuten übernachten.<br />
Inzwischen sind wir es gewöhnt, immer<br />
Leute um uns zu haben. Das stört mich<br />
gar nicht mehr.<br />
Warum ist das so?<br />
Eigentlich ist es ja eine Art Perversion,<br />
wenn jeder in seinem abgeriegelten Zimmerchen<br />
wohnt und niemand seine Nachbarn<br />
kennt. An einem Ort zu sein, wo alle<br />
Leute rein- und rausgehen und miteinander<br />
reden, ist dagegen ein natürliches Leben<br />
und sehr spannend. Man muss sich<br />
nicht verabreden. Ich habe mich da sehr<br />
verändert. Das Äußere hat sich irgendwie<br />
ins Innere umgestülpt und äußere Sachen<br />
stören mich weniger. Viel weniger sogar.<br />
Haben Sie also gelernt, sich in sich<br />
selbst zurückzuziehen?<br />
Auf jeden Fall. Das ist sowieso das, was<br />
auf dieser Reise klar wurde: Sie wurde zu<br />
einer inneren Reise. Es hat sich bei mir<br />
so viel verändert, dass es gar nicht mehr<br />
so wichtig war, was außen passiert. Ich<br />
verstehe inzwischen, warum religiöse<br />
Menschen Pilgerfahrten machen: Sie verändern<br />
wirklich etwas in der Seele und<br />
am Charakter. Das hätte ich nie gedacht.<br />
Fühlen Sie sich nie verloren?<br />
Nein. Ich habe vielleicht Angst, aber ich<br />
bin niemals verloren.<br />
Danielle de Picciotto (49) ist Musikerin und<br />
Künstlerin. Sie zeichnet charakteristische Bilder<br />
in schwarz-weiß und hielt auch ihr Nomadenleben<br />
im Graphic-Novel „We are Gypsies now“<br />
(Metrolit-Verlag) fest.<br />
65
LEGENDE<br />
Von Maja Hoock<br />
Fotos des Anaïs Nin Trust<br />
EINE<br />
FREIE<br />
FRAU<br />
ANAÏS NINS RUHM<br />
BEGRÜNDET SICH AUF<br />
IHREN EROTISCHEN<br />
TAGEBÜCHERN, DIE<br />
ZWISCHEN LÄCHERLICHKEIT<br />
UND VERFÜHRERISCHER<br />
POTENZ SCHWANKEN.<br />
ALS GEGENENTWURF ZUM<br />
ZEITGENÖSSISCHEN FAST-<br />
FOOD-PORNO SOLLTEN SIE<br />
WIEDER GELESEN WERDEN.<br />
66
In einer Nacht im Jahr 1939 hört diese<br />
kleine Frau mit den übergroßen Augen an<br />
Deck eines Dampfers der Schiffsband zu.<br />
Als in der Distanz erste Wolkenkratzer<br />
auftauchen, schreibt sie in ihr Tagebuch:<br />
„Von unserem Platz aus sehen wir ganz<br />
New York. Licht und Lärm, körnig, scharf,<br />
windig und in jeder Hinsicht das Gegenteil<br />
von Paris.“<br />
Die 36-jährige Anaïs Nin lässt zusammen<br />
mit einer ganzen Schar von Exilanten das<br />
von Nationalsozialisten bedrohte Paris<br />
hinter sich. Auf einer Schreibmaschine,<br />
die ihm Nin geschenkt hat, wird Henry<br />
Miller kurze Zeit später dieselbe Szene<br />
beschreiben. Am Horizont New York. Sie<br />
wird in seinem Hauptwerk „Wendekreis<br />
des Krebses“ erscheinen, in dem er auch<br />
die gemeinsame Liebesbeziehung verarbeitet.<br />
Miller hat sich bereits in Paris in sie<br />
verliebt. Dort hatte Anaïs Nin auch eine<br />
Affäre mit Millers drogenaffiner Ehefrau<br />
June. „Ich brauche keine Drogen, keine<br />
künstlichen Erregungen“, schreibt Nin.<br />
Ihr reicht die Libido.<br />
Im Internet findet man zahlreiche Tonbandaufnahmen<br />
von Nins hypnotischer<br />
Stimme, die Teil ihrer enormen Anziehungskraft<br />
gewesen sein muss. Sie hat<br />
diesen seltsamen Akzent mit scharfem R<br />
und lang gezogenen, kehligen Vokalen, der<br />
wohl von ihrem Hang zur Selbstinszenierung<br />
als auch von ihrer Heimatlosigkeit<br />
kommt. Nin war von Geburt an eine Nomadin.<br />
Ihre dänisch-französische Mutter<br />
ist auf Kuba geboren und war Sängerin,<br />
der Vater kubanischer Komponist. Anaïs<br />
Nin wächst unter dem beeindruckenden<br />
Namen Juana Edelmira Antolina Rosa Nin<br />
y Castellanos in einem Pariser Vorort auf.<br />
Bald schon zieht die Familie weiter nach<br />
Berlin, dann nach Brüssel, Barcelona,<br />
Havanna und während des Ersten Weltkriegs<br />
zum ersten Mal nach New York.<br />
Unstetigkeit wird zum Grundprinzip ihres<br />
Lebens.<br />
Und wie das manchmal bei Kindern ist,<br />
die keinen Halt haben, erschafft sie sich<br />
eine eigene Welt, die bald zur Obsession<br />
wird. Als der Vater die Familie für eine Geliebte<br />
verlässt, beginnt Nin als Zehnjährige,<br />
massenhaft Briefe an ihn zu schreiben.<br />
Die schickt sie zwar nie ab, entdeckt aber<br />
das Schreiben als ihr „Opium“. Als man in<br />
der Schule ihren Schreibstil „verfeinern“<br />
will, geht sie trotzig mit sechzehn ab. Im<br />
Laufe ihres Lebens wird sie um die 35.000<br />
Seiten Tagebuch und einige Romane hinterlassen;<br />
meist poetische Überlegungen<br />
zu Verlust und Liebe.<br />
Die Obsession mit ihrem Vater, der sie<br />
als Kind einmal unvorsichtigerweise als<br />
hässlich bezeichnet hat, wird zur Manie.<br />
Bald setzt sie alles daran, schön zu sein<br />
und Anerkennung von Männern zu erhalten.<br />
Sie geht zahlreiche Affären ein.<br />
In ihren Zwanzigern arbeitet Nin in New<br />
York als Model und Tänzerin, beginnt sich<br />
stark zu schminken und sexy zu kleiden.<br />
Später lässt sie sich sogar von einem<br />
Schönheitschirurgen operieren.<br />
1924 kehrt sie nach Paris zurück, frisch<br />
verheiratet mit dem Bankier Hugo Guiler.<br />
Doch sie liebt nicht nur ihren Mann, aus<br />
dem sie stetig versucht, einen Künstler<br />
zu machen – und das schließlich auch<br />
schafft, Guiler dreht später unter dem<br />
Pseudonym Ian Hugo einige Experimentalfilme.<br />
Sie hat unzählige männliche<br />
wie weibliche Geliebte. Für diese lernt<br />
sie sinnlichen Tanz, macht selbst ihren<br />
Tanzlehrer zum Geliebten. Nach einer<br />
missglückten Abtreibung stehen die potenziellen<br />
Väter im Krankenhaus Spalier.<br />
Trotzdem bleiben Nin und Guiler bis zu<br />
ihrem Tod verbunden. Ihren Vater trifft<br />
sie nur noch einmal. 1933, im Jahr der<br />
Machtergreifung der Nazis, verabreden<br />
sie sich in einem Hotel. Nin notiert: „Ich<br />
liebe den Mann, ich liebe ihn mit meiner<br />
Seele … den Mann, den ich überall auf<br />
der ganzen Welt suchte, der meine Kindheit<br />
brandmarkte und mich verfolgt hat.<br />
Es waren Fragmente von ihm, die ich in<br />
anderen Männern liebte – und nun war<br />
das Ganze da.“ Ob die beiden miteinander<br />
schlafen? Das gehört ins Reich der Legenden.<br />
Nins Ruhm begründet sich mehr auf<br />
dem, was man ihr zutraut, als auf belegbaren<br />
Tatsachen. Sie ist eine Kunstfigur.<br />
So weckt Nin bis heute Begehrlichkeiten.<br />
Wie ihr später berühmter Liebhaber Henry<br />
Miller verdient sie Ende der Dreißiger<br />
in New York einen Dollar pro Seite mit<br />
schnell geschriebenen erotischen Geschichten.<br />
Nin verachtet billigen Porno<br />
und teilt das auch ihrem Auftraggeber<br />
mit: „Wir hassen Sie. Das Geschlechtliche<br />
verliert alle Macht und Magie, wenn<br />
es überdeutlich, mechanisch dargestellt<br />
wird. Es wird stumpfsinnig.“<br />
Immer wieder stellt sie klar, dass sie diese<br />
Lohnarbeit als Wegbereiter für Frauen in<br />
der Männerdomäne der Erotika versteht,<br />
nicht als anspruchsvolle Literatur. So<br />
mischt sie explizite Schilderungen mit<br />
Ironie und schreibt Titel wie The House<br />
of Incest und Das Delta der Venus, das<br />
erst 1977 posthum veröffentlicht wird. Es<br />
soll ihr berühmtestes Buch werden. Sie<br />
schreibt darin über Männer, die Männer<br />
lieben, Transsexuelle, Lesben, Prostituierte<br />
und Gruppensex. In einer zeitgenössischen<br />
Kritik heißt es, das Delta sei „das<br />
schönste, was eine Frau je an erotischer<br />
Literatur geschrieben hat“. Auch wenn<br />
Nins Duktus heute manchmal etwas platt<br />
erscheint, gehen diese Texte weit über<br />
das hinaus, was in der Literaturgeschichte<br />
bereits an eindimensional verfassten<br />
Erotikbüchern verbrochen wurde. Ohne<br />
naiv zu klingen, nimmt sie selbst an den<br />
erotischsten Stellen Abstand zu banaler<br />
Körperlichkeit: „Ich werde zeigen, dass<br />
67<br />
Frauen niemals Sex von Gefühl getrennt<br />
haben, von Liebe oder vom ganzen Mann“,<br />
schreibt sie im Vorwort zum Delta.<br />
Ihre Protagonistin Elena realisiert beim<br />
Lesen von Lady Chatterley‘s Lover, dass<br />
sie nie Leidenschaft erlebt hat: „Es war<br />
die in D. H. Lawrences Buch unterdrückte<br />
Frau, die auch in ihr sprungbereit lag,<br />
genauso offen, vibrierend.“ Gut, dass Erlösung<br />
ein paar Seiten später zu finden ist:<br />
„Etwas von einem wilden Tier war auch<br />
in seinen Händen, mit denen er sich im<br />
lockigen Delta ihres Schoßes festgekrallt<br />
hatte. Er war jetzt nackt und hatte sich<br />
in seiner ganzen Länge auf sie gelegt. Sie<br />
fand es herrlich, sein Gewicht zu tragen,<br />
herrlich, unter seinem Körper zermalmt<br />
zu werden.“ Nin schildert Sex souverän<br />
aus weiblicher Sicht, was zu ihrer Zeit<br />
revolutionär ist, und gesteht Frauen abwechselnd<br />
fordernde und hingebungsvolle<br />
Rollen zu. Sie müssen bei ihr nicht nur<br />
selbstbestimmt und stark sein, sondern<br />
können sich auch bewusst unterwerfen.<br />
Darin sieht sie eine Freiheit. Später wird<br />
sie in den USA und Frankreich zur Inspiration<br />
der Fenimnistinnen der zweiten<br />
Welle.<br />
Anaïs Nin führt mehrere Leben parallel,<br />
ist die fürsorgliche Hausfrau genauso wie<br />
die Betrügerin, die im Nachtleben zu Hause<br />
ist. Ihre Ausbildung zur Psychoanalytikerin<br />
macht Nin beim berühmten Therapeuten<br />
Otto Rank sowie beim Begründer<br />
der Societé Française de Psychoanalyse,<br />
René Allendy, die beide ihre Geliebten<br />
werden. Neben ihrer Ehe mit Hugo Guiler<br />
in New York hat sie eine zweite in Los<br />
Angeles. Dort ist der 17 Jahre jüngere Rupert<br />
Pole ihr angetrauter Mann. Angeblich<br />
erfahren die Männer erst nach Nins Tod<br />
1977 aus der Zeitung von diesem Doppelleben.<br />
„Ich erzähle so viele Lügen“, sagt sie<br />
einmal, „dass ich sie aufschreiben und in<br />
einer Schachtel aufbewahren muss, um<br />
sie aufrecht zu erhalten“.<br />
Vielleicht ist dieses volle, egoistische<br />
Auskosten des Lebens sogar die zentrale<br />
Botschaft Anaïs Nins, die an die Macht<br />
der Gedanken glaubte: „Man lebt so dahin<br />
und man glaubt zu leben. Dann liest man<br />
ein Buch oder man macht eine Reise, und<br />
man entdeckt, dass man nicht lebt, sondern<br />
in einem Winterschlaf versunken<br />
ist … Monotonie, Langeweile, Tod“. Anaïs<br />
Nin will davor bewahren. Ihre Texte sind<br />
vielleicht keine große Literatur. Sie haben<br />
aber das Zeug dazu, einen vor diesem<br />
„Winterschlaf “ zu bewahren. Allein aus<br />
diesem Grund lohnt es sich, Nin wiederzuentdecken<br />
und zu lesen.<br />
Anaïs Nins Tagebücher sind erst nach dem Tod<br />
aller Beteiligten 1977 veröffentlicht worden<br />
und auf Deutsch im Christian Wegner Verlag<br />
erschienen. Die Beziehung zum Schriftsteller<br />
Henry Miller und seiner Frau June wurde im<br />
Film „Henry and June“ verarbeitet. Auf YouTube<br />
kann man zahlreiche Tonaufnahmen Anaïs Nins<br />
anhören.
WONDER WOMAN<br />
Von Lorenz Schröter<br />
Fotos aus dem Buch „Wonder Woman – The Complete History“ von Les Daniels, Chronicle Books<br />
Die kämpfende und knutschende Amazone<br />
Wonder Woman ist eine veritable Ikone des<br />
Feminismus<br />
68
„Wonder Woman<br />
war die<br />
erste Superheldin<br />
überhaupt“<br />
Es war einmal eine Prinzessin namens<br />
Diana. Sie lebte auf Paradise Island,<br />
das von Amazonen bewohnt war. Eines<br />
Tages stürzte der gutaussehende Pilot<br />
Steve Trevor dort ab. Prinzessin Diana<br />
pflegte ihn gesund und verliebte sich.<br />
Doch Steve musste zurück in die Männerwelt,<br />
in der die Amerikaner Nazis und<br />
Japaner bekämpften. Um Steve zu helfen,<br />
folgte sie ihm und tarnte sich fortan als<br />
Sekretärin. Sobald Gefahr in Form von<br />
Räubern, Nazis oder anderen Schurken<br />
auftauchte, rannte sie auf die Damentoilette,<br />
um als rot-weiß-blaue Wonder Woman<br />
zurückzukehren. Ihre Waffen waren<br />
kugelabwehrende Armbänder, mit denen<br />
sie Geschosse auf die Gegner zurücklenkte,<br />
und ein magisches Lasso. Jeder Mann,<br />
den sie damit einfing, musste die Wahrheit<br />
sagen.<br />
Der Schöpfer dieses Märchens hieß William<br />
Moulton Marston (toller Name!)<br />
und war ein ziemlich exzentrischer Typ.<br />
Eigentlich studierter Jurist, hatte er einen<br />
Blutdruckmesser erfunden, der die „wahren<br />
Gefühle“ der Menschen messen sollte.<br />
Damit stellte er angeblich fest, dass der<br />
Kuss eines Fremden Frauen heftiger erregt<br />
als ein Kuss ihres Ehemanns. Außerdem<br />
wies Marston nach, dass Brünette<br />
wie Wonder Woman verführerischer und<br />
Blondinen passiver seien. Marston besaß<br />
also auch eine Art Lasso der Wahrheit.<br />
Diese populärwissenschaftlichen Experimente<br />
machten Marston berühmt, beendeten<br />
aber seine akademische Karriere.<br />
Seine Frau Elizabeth Holloway Marston,<br />
eine hochintelligente Psychologin mit<br />
drei Universitätsabschlüssen (und das zu<br />
einer Zeit, in der es überhaupt nur wenige<br />
studierte Frauen gab), sorgte für den<br />
Lebensunterhalt. William versuchte, mit<br />
seinem „Lügendetektor“ Geld zu verdienen,<br />
und versicherte der Firma Gillette,<br />
ihre Klingen würden beim Verbraucher<br />
weit angenehmere Gefühle hervorrufen<br />
als jene der Konkurrenz. Das FBI überprüfte<br />
das und hielt William Marston<br />
für einen Betrüger – nutzte jedoch Jahre<br />
später dessen Erfindung, um Verbrechen<br />
aufzuklären.<br />
Marston wurde zunächst Ratgeberonkel<br />
bei einer Frauenzeitschrift. Dort ließ er<br />
sich des Öfteren von einer gewissen Olive<br />
Byrne interviewen, einer hübschen<br />
Brünetten mit auffälligen Armbändern,<br />
genau solchen, wie sie später Wonder<br />
Woman tragen würde. In einem dieser<br />
Interviews verteidigte er das neue Genre<br />
des Superhelden-Comics und bekam daraufhin<br />
prompt eine Einladung von Max<br />
Gaines, einem berühmten Comic-Verleger.<br />
Elisabeth Marston schlug eine weibliche<br />
Superheldin vor, aber Gaines sträubte<br />
sich zunächst. Das hätte noch nie funktioniert,<br />
da Jungs muskulöse Männer in<br />
hautengen Anzügen sehen wollten. Aber<br />
da William Moulton Marston ein echter<br />
Schriftsteller war – er hatte ein paar seltsame<br />
Romane geschrieben, darunter den<br />
Bondage-Roman „Venus with Us“, und im<br />
Gegensatz zu anderen zeitgenössischen<br />
Superhelden-Autoren studiert –, ließ sich<br />
Gaines überreden.<br />
1941 erschien die erste Ausgabe von Wonder<br />
Woman. Sie war die erste Superheldin<br />
und ist neben Superman und Batman die<br />
einzige Comicfigur aus dem sogenannten<br />
Goldenen Zeitalter, die bis heute überlebt<br />
hat; Spiderman, Hulk, die Fantastischen<br />
Vier – sie alle kamen erst später.<br />
In Wonder Womans Abenteuern kommt<br />
die krude Mischung von William Moultan<br />
Marstons Interessen zum Ausruck: Seine<br />
klassische Bildung in Form antiker Figuren,<br />
seine schrägen Experimente und<br />
Erfindungen sowie seine Beschäftigung<br />
mit den derben Aufnahmeprüfungen der<br />
Schwesternschaften an amerikanischen<br />
Universitäten. Daher stammt der Charakter<br />
der bonbonsüchtigen Etta Candy,<br />
die in Babykleidung herumläuft wie die<br />
Neulinge beim Aufnahmeritual.<br />
Erstaunlicherweise gelingt es den Bösewichtern<br />
(die bei Wonder Woman übrigens<br />
oftmals auch Frauen sind, selbst der<br />
eklige Dr. Poison ist in Wahrheit die wunderschöne<br />
japanische Prinzessin Maru)<br />
in jedem Abenteuer, die Armbänder von<br />
Wonder Woman zusammenzuschließen.<br />
Derart gefesselt verliert die mächtige<br />
Heldin ihre Superkräfte. Wonder Woman<br />
wird überhaupt dauernd gefesselt und es<br />
fliegen sehr viele Peitschenschnüre. Der<br />
Verlag bekam Fanbriefe von Sadomasochisten,<br />
Pädagoginnen kritisierten die<br />
Fesselungen und Gewalt gegen Frauen.<br />
Woraufhin sich Marston verteidigte und<br />
argumentierte, Superhelden müssten<br />
nun mal in Gefahr geraten, Schläge für<br />
weibliche Superhelden seien im Zuge der<br />
Gleichberechtigung unvermeidlich, Fesseln<br />
und Peitschen wenigstens nicht so<br />
brutal wie Kugel und Messer. Außerdem<br />
solle Wonder Woman zeigen, dass Fesselspiele<br />
auch ein Vergnügen sein können,<br />
denn Frauen liebten nunmal die Unterwerfung.<br />
Trotz solcher Thesen war Marston Feminist<br />
und Wonder Woman als feministischer<br />
Erziehungsroman für Jungs wie<br />
auch als Selbstermächtigungsfibel für<br />
Frauen gedacht. Es war Marstons These,<br />
dass die Männer aufgrund ihrer erotischen<br />
Bedürfnisse von der Gunst der<br />
Frauen abhängig seien. Diese würden<br />
daher noch im zwanzigsten Jahrhundert<br />
die Welt beherrschen und mit Liebe regieren.<br />
Frauen hätten nämlich doppelt so<br />
viele liebemachende Organe wie Männer,<br />
es fehle ihnen nur an der Dominanz. Das<br />
meinte Marston ernst. So lautete sein Rat<br />
an die Autoren des Comics: Der Mann,<br />
nicht die Frau, unterwirft sich in der<br />
Liebe (sein Lieblingsfilm war übrigens<br />
„Der Glöckner von Notre Dame“, in dem<br />
die Heldin Esmeralda nur sanft gefesselt,<br />
der bucklige Glöckner aber brutal gebunden<br />
und ausgepeitscht wird).<br />
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs kam<br />
Wonder Woman wie alle Superhelden<br />
in eine Identitätskrise. Bösewichter<br />
wie Captain Nazi und Captain Swastika<br />
waren nicht mehr zeitgemäß. Comics<br />
wurden von einem deutschstämmigen<br />
Psychologen namens Frederic Wertham<br />
für Jugendgewalt und Homosexualität<br />
verantwortlich gemacht. Das Verhältnis<br />
von Batman zu Robin und die Amazonen<br />
aus Wonder Woman, die mehr küssten<br />
als kämpften, waren ihm zu schwul.<br />
Die ganze Zeit über lebte William Moulton<br />
Marston harmonisch mit zwei Frauen<br />
zusammen, mit der blonden Elisabeth,<br />
die Wonder Women miterfunden hatte,<br />
und der brünetten Olive. Mit beiden<br />
hatte er jeweils zwei Kinder. Mit fünfzig<br />
Jahren bekam Marston Kinderlähmung<br />
und starb wenig später an Lungenkrebs.<br />
Beide Frauen lebten auch nach seinem<br />
Tod weiter zusammen. Die Geschichte<br />
von Wonder Woman ging indes weiter.<br />
Die Amazone erschien auf der ersten<br />
Ausgabe des von der amerikanischen<br />
Feministin Gloria Steinem gegründeten<br />
Magazins Ms. In den vergangenen 74 Jahren<br />
durchlief die knapp bekleidete und oft<br />
gefesselte Heldin dann zahlreiche Wandlungen.<br />
Aus der Originalversion, gesetzt<br />
im griechisch-antiken Kosmos, unterlegt<br />
mit der eigenartigen Theorie ihres Schöpfers,<br />
wurde ein romantisches All-American-Girl,<br />
dann eine feministische Ikone.<br />
Das ist das Tolle an Superhelden: je nach<br />
Lesart und Zeitalter lassen sie sich mit<br />
Bedeutung auffüllen, niemand stört sich<br />
an den Widersprüchlichkeiten und jede<br />
Leserin kann ihre Seele in Wonder Woman<br />
entdecken.<br />
Im Hollywood-Blockbuster „Batman vs. Superman:<br />
Dawn of Justice“ (2016) wird Gal Gadot,<br />
Ex-Miss Israel und „Woman of the Israeli Army“,<br />
Wonder Woman spielen.<br />
71
EIN TAG IN …<br />
Von Sebastian Mayer<br />
8<br />
5<br />
6<br />
3 4<br />
7 2<br />
1<br />
72
Der international erfolgreiche Fotograf<br />
Sebastian Mayer zeigt uns Tokio abseits<br />
der Touristenorte:<br />
„Ich bin 2006 nach einer zweijährigen<br />
Odyssee durch die westliche Hemisphäre<br />
über Liverpool, London, Rio und New York<br />
nach Japan gekommen – das Goethe-Institut<br />
hatte mich eingeladen, eine Fotoausstellung<br />
zu machen. Tokio war einfach zu<br />
weird. Ich wollte drei Monate bleiben. Am<br />
Ende wurden es sieben Jahre. Mein Alltag<br />
bestand aus arbeiten, also fotografieren,<br />
denn Tokio ist teuer. Und aus Party. Mein<br />
Freundeskreis bestand aus Expats, die<br />
als Weiße keine Chance hatten, Teil der<br />
japanischen Gesellschaft zu werden, und<br />
aus Creative Outcasts, also Japanern, die<br />
einfach zu durchgeknallt waren, um sich<br />
im System zurechtzufinden. Gemeinsam<br />
organisierten wir Ausstellungen, Konzerte<br />
und Partys auf den Dächern von Nakameguro,<br />
die bis zum Morgengrauen andauerten.<br />
Die Geschichten, die ich dabei erlebte,<br />
habe ich mit meiner Kamera dokumentiert.“<br />
1) Der Baum war vor meinem Haus in<br />
Nakameguro. Die Luftfeuchtigkeit und der<br />
starke Blitz haben kleine sphärische Punkte<br />
gebildet. Manche Leute behaupten, dass<br />
jeder dieser Punkte ein Geist wäre. Ich<br />
glaube das nicht. Mein Nachbarhaus hieß<br />
Fobos, der Gott der Angst. Ich finde es komisch,<br />
ein Haus nach dem Gott der Angst<br />
zu benennen.<br />
2) KING BNE WAS HERE ist im Combine<br />
aufgenommen, einer kleinen Bar in Nakameguro,<br />
die ich als mein zweites Wohnzimmer<br />
bezeichnen würde. Es war frühmorgens<br />
nach einer durchfeierten Nacht.<br />
Der DJ ist Kouji, der sich zwei Jahre später<br />
bei einem Sturz in den Meguro River alle<br />
Knochen gebrochen hat. Links liegt Daishi,<br />
der das beste Curry in Meguro macht, aber<br />
nur kochen kann, wenn er betrunken ist.<br />
3) Das Bild mit den bunten Leuten ist auf<br />
der Party Tokyo Decadance im Trump<br />
Room Shibuya aufgenommen. Es ist eine<br />
schwule Kostümparty, ich habe mal eins<br />
der harmloseren Bilder ausgewählt. Das<br />
Heidi-Mädchen war toll.<br />
4) Die Koi-Fische habe ich im Zen-Garten<br />
in Harajuku von einer Brücke aus fotografiert.<br />
Ich war der einzige Besucher und<br />
sobald ich die Brücke betreten habe, sind<br />
mir die Kois hinterhergeschwommen. Sie<br />
können Personen aus dem Wasser heraus<br />
wahrnehmen, angeblich sogar Gesichtszüge,<br />
sodass sie ihr Herrchen oder Frauchen<br />
erkennen.<br />
5) Der haarige alte Mann ist Hattori-san.<br />
Er muss zwischen Mitte 30 und 70 sein,<br />
so genau kann das keiner sagen. Er<br />
wohnt irgendwo in Shibuya unter einer<br />
Highway-Brücke. Jeder, der öfter in Shibuya<br />
ist, wird ihn früher oder später einmal<br />
treffen. Bevor man ihn trifft, riecht<br />
man ihn. Er stinkt mindestens 100 Meter<br />
gegen den Wind. Er ist der verrückte Geist<br />
von Shibuya, redet mit keinem und lässt<br />
sich auch normalerweise nicht fotografieren.<br />
Die ersten Male, als ich ihn fotografieren<br />
wollte, hat er sich beim Anblick<br />
meiner Kamera immer laut fluchend in<br />
die Neonhölle von Shibuya geflüchtet, aber<br />
irgendwann ließ er sich von mir ablichten,<br />
dafür habe ich ihm immer etwas zu essen<br />
mitgebracht.<br />
6) Die Katze liegt vor dem Tempel, der direkt<br />
gegenüber meines Hauses stand. Der<br />
Tempel war einem Pferdegott gewidmet,<br />
aber statt Pferden gab es immer nur viele<br />
Streunerkatzen um den Tempel.<br />
7) Die Frau am Fenster habe ich in einem<br />
Hotel an der Tokyo Bay fotografiert, sie ist<br />
eine sehr gute Freundin, wir hatten damals<br />
eine Affäre. Ich hatte den ganzen Tag<br />
Shooting für eine Schweizer Bank und als<br />
Location haben wir die teuerste Suite im<br />
fünfunddreißigsten Stock des modernsten<br />
Hotels in Tokio angemietet. Die Nacht lag<br />
bei 4.500 Euro. Nach dem Shooting habe<br />
ich das ganze Team rausgeschmissen und<br />
mit Mademoiselle eine Flasche Champagner<br />
aufgemacht. Aus der Badewanne heraus<br />
hatte man einen unglaublichen Blick<br />
über die Bucht und die Glitzerhölle von<br />
Odaiba auf der anderen Seite.<br />
8) Das Foto von meiner Hand zeigt meinen<br />
Hosentascheninhalt. Ich war zwischendurch<br />
für drei Monate wohnungslos<br />
und habe in Internet-Cafés oder meinem<br />
Office geschlafen, weil die Wohnungen<br />
meiner Freunde zu klein für einen dauerhaften<br />
Aufenthalt gewesen sind, typisch<br />
für Tokio. Ich war pleite und der Totenschädel-Glücksbringer,<br />
angeblich aus<br />
Menschenknochen, ein USB-Stick, ein<br />
Kaugummi und 320 Yen, also zwei Euro,<br />
waren alles, was ich in diesem Moment in<br />
der Tasche hatte. Weit kommt man damit<br />
nicht in Tokio.<br />
73
SCHNITTMUSTER<br />
Von Sina Braetz<br />
DSQUARED2<br />
DSQUARED2 ERINNERT AN NACKTE, HEISSE JUNGS IN BUNTEN BADEHOSEN, AN ÜBERGROSSE HÜTE UND SEXBOMBEN IN<br />
MINIRÖCKEN UND HIGH HEELS. EIN GESPRÄCH ÜBER WAHRE, FEMININE SEXYNESS.<br />
74
„Es gibt keinen<br />
anderen Weg zum Erfolg<br />
als harte Arbeit.“<br />
An einem heißen Sommertag in Mailand<br />
treffen wir die charismatischen<br />
Zwillinge Dean und Dan von Dsquared2<br />
kurz nach ihrer Show auf der Fashion<br />
Week zum Lunch auf der Terrasse ihres<br />
Restaurants. Hinter dem von den Zwillingsbrüdern<br />
gegründeten Label verbirgt<br />
sich eine beeindruckende Entstehungsgeschichte,<br />
die zeigt, was (Mode-)Leidenschaft<br />
wirklich bedeutet.<br />
<strong>Fräulein</strong>: Gratulation zu eurer Show.<br />
Wie fühlt sich dieser After-Show-Moment<br />
für euch an?<br />
Dan: Toll, wir genießen ihn mit unserem<br />
Team, auch wenn nach der Schau vor der<br />
Schau ist (lacht). Wir haben hier Leute<br />
mit uns beim Lunch sitzen, die aus der<br />
Stadt kommen, in der unsere Fabrik ist,<br />
in der Nähe von Vicenza, Partner und<br />
Freunde und unseren Haarstylisten.<br />
Seit etwa 20 Jahren seid ihr nun bereits<br />
mit eurem Label unterwegs.<br />
Hattet ihr immer schon eine große<br />
Leidenschaft für die Mode?<br />
Dean: Ja, es ist wie eine Sucht, die in dir<br />
wächst. Es war alles, von dem wir träumten,<br />
obwohl wir nichts hatten. Unsere Familie<br />
stand unter immensen finanziellen<br />
Belastungen, das machte es recht schwierig<br />
für uns. Aber je weniger du hast, desto<br />
mehr willst du. Je weniger Geld du hast,<br />
desto kreativer wirst du. In unseren Köpfen<br />
schwirrte schon immer der Gedanke:<br />
Fuck everybody, wir können es schaffen.<br />
Wir gingen damals in internationale Bücher-<br />
und Zeitschriftenläden und lasen<br />
all die französischen und italienischen<br />
Magazine.<br />
Dan: Dort sprach man von etwas, das<br />
wir nicht hatten. Wir tauchten in diese<br />
Traumwelt ein, zu der wir uns so verbunden<br />
fühlten. In Kanada konnte man mit<br />
so was nichts anfangen.<br />
Dean: Deshalb fühlten wir uns dort fehl<br />
am Platz, wir wurden dort nicht glücklich.<br />
Dan: Ich denke, dass wir alle unser<br />
Schicksal selbst in den Händen haben.<br />
Wir sind auf dem Land geboren und jeder<br />
war gegen uns. Wir haben das Beste<br />
daraus gemacht und hart gearbeitet. Es<br />
gibt keinen anderen Weg zum Erfolg als<br />
harte Arbeit, Durchhaltevermögen und<br />
die Bereitschaft, all seine Kraft zu sammeln<br />
und einzusetzen.<br />
Umso besser fühlt sich dann der Erfolg<br />
an.<br />
Dan: Ja, man schätzt viel mehr, was man<br />
erreicht hat, denn man hat es aus eigener<br />
Kraft geschafft. Dieses Gefühl kann einem<br />
niemand anderes geben.<br />
Mittlerweile habt ihr viele Leute, die<br />
euch unterstützen. Wie viele sind das<br />
im Designbereich?<br />
Dean: Unser Designteam besteht etwa aus<br />
13 Leuten. Das Designteam ist unterteilt<br />
in Schuhe, Taschen, Womens- and Menswear.<br />
Natürlich kann nicht jeder von ihnen<br />
jetzt hier bei uns sein.<br />
Reist ihr viel mit dem Team zusammen?<br />
Dan: Dean und ich reisen oft drei Mal die<br />
Woche und sind daher viel unterwegs –<br />
natürlich immer im Doppelpack (lacht).<br />
Es ist daher schwierig, große Teamreisen<br />
zu machen, es sei denn, wir haben<br />
eine Trunk-Show, bei der wir etwa eine<br />
Kollektion direkt in einem Laden präsentieren.<br />
Wie geht ihr als Team an eine Kollektion<br />
heran?<br />
Dan: Dean und ich setzen uns meist zu<br />
Hause in Ruhe hin und diskutieren, in<br />
welche Richtung wir gehen wollen, legen<br />
einen Mood für die Saison fest und<br />
recherchieren. Dann kreieren wir meistens<br />
ein Briefing-Board oder die Designer<br />
kommen direkt zu uns und wir besprechen<br />
die Moods. Danach beginnt das<br />
Team mit der Arbeit und wir treffen uns<br />
regelmäßig wieder. Am Ende machen wir<br />
dann die Fittings, um zu sehen, ob unsere<br />
Ideen auch gut realisierbar waren.<br />
Wann und wie kommen Schnittmuster<br />
bei euch zum Einsatz?<br />
Dan: Das ist unterschiedlich. Wir haben<br />
natürlich unsere Schnittmuster, aber<br />
eigentlich starten wir bei dem Designprozess<br />
mit den Silhouetten. Wir setzen<br />
uns zusammen und kreieren neue Formen,<br />
eine neue Version einer Cocoon-Jacke<br />
oder einer Hose beispielsweise. Wir<br />
denken in dieser Phase noch gar nicht an<br />
die Stoffe, sondern vielmehr an Volumen<br />
und Silhouetten. Wenn es uns gefällt,<br />
machen wir uns dann Gedanken über die<br />
Prints und Stoffe. Es ist wichtig für uns,<br />
charakteristische Dsquared2-Schnitte zu<br />
gestalten und dennoch jedes Mal etwas<br />
Neues zu schaffen.<br />
Hab ihr eine bestimmte Frau vor Augen,<br />
wenn ihr designt?<br />
Dan: Eigentlich ist es viel mehr der Mood<br />
und die Inspiration einer Kollektion, die<br />
wir vor Augen haben, wenn wir designen.<br />
Aber natürlich haben wir immer<br />
eine bestimmte Idee einer Frau im Kopf:<br />
Sie ist cool, sexy, tough und clever.<br />
Was macht denn eine Frau sexy?<br />
Dean: Ihre Attitüde, die ist das Wichtigste<br />
(Dan stimmt zu), sowie Charme<br />
natürlich. Ich erinnere mich an eine<br />
kluge Aussage einer Freundin, die mal<br />
sagte: „Wenn du gut aussiehst, solltest<br />
du sichergehen, dass man dich bemerkt.“<br />
Zudem sollte sie ihre Schwächen zu ihrer<br />
Verteidigung nutzen. Und nicht zu vergessen:<br />
Eine gut aussehende Frau sollte<br />
wissen, wie sie sich kleidet. Das ist gar<br />
nicht so einfach, wie alle immer denken.<br />
Das beste Beispiel ist sicher das Szenario,<br />
das sich auf oder besser gesagt<br />
vor der Fashion Week abspielt.<br />
Dean: Ja, viele übertreiben es. Es gibt<br />
eine sehr feine Linie von dem, was daneben<br />
und dem, was süß und stilvoll ist. Ich<br />
habe nichts dagegen, wenn Leute herumexperimentieren,<br />
aber oft greifen sie zum<br />
Falschen. Sie holen dann alle Highlights<br />
der letzten Saisons aus ihrem Schrank<br />
heraus und tragen sie zusammen, das ist<br />
in der Tat grausam. Auf ihrer Stirn steht<br />
geschrieben: „Hey, schaut her, was ich<br />
alles habe.“ Auch wir haben bei unseren<br />
Showlooks Highlights, aber wir entscheiden<br />
uns nur für ein starkes Teil, denn nur<br />
so kommt es richtig zur Geltung und sieht<br />
nicht kitschig oder überladen aus, was<br />
allerdings okay wäre, wenn man provozieren<br />
und etwas Spezifisches aussagen<br />
will. Selbst in Japan, wo die Leute so<br />
viel Energie und Zeit in ihre Outfits stecken,<br />
um die Mode zu zelebrieren, ist es<br />
manchmal wirklich fragwürdig, warum<br />
sie einfach nur cheap und nicht stilvoll<br />
aussehen wollen.<br />
Dan: Amerikaner würden sich einfach<br />
ein T-Shirt überwerfen und in eine Jeans<br />
schlüpfen (lacht).<br />
Das stimmt wohl, aber habt ihr nicht<br />
das Gefühl, dass es in Japan schon<br />
wieder cool ist, so herumzulaufen,<br />
weil die Leute teilweise wirklich verrückt<br />
sind und ihre Outfits somit weniger<br />
eine Kostümierung sind?<br />
Dan: Ja, vielleicht. Ich erinnere mich an<br />
unsere Schulzeit: Dean und ich zogen uns<br />
immer anders an als die anderen und die<br />
Kids reagierten wirklich komisch darauf,<br />
machten sich teilweise lustig über uns.<br />
Aber genau so wurde es zu einer Herausforderung.<br />
Dean: So ist es eben, wenn Mode wirklich<br />
eine Leidenschaft ist. Früher war das<br />
eine ganz andere Zeit. Ich denke gerade<br />
daran, wie ich einen Monat nichts gegessen<br />
habe, um in eine meiner ersten<br />
Designerjacken zu passen. Als ich sie das<br />
erste Mal trug, bekam ich all diese Blicke<br />
zugeworfen. Ich trug sie dann öfter und<br />
öfter, bis sie zu einem Teil von mir wurde<br />
und ich mich vollkommen wohl und<br />
selbstbewusst fühlte. Und darum geht<br />
es doch auch: Sich etwas zu eigen zu machen,<br />
einen Trend, einen Look, ein Designerteil.<br />
Mode kann etwas sein, dass die<br />
Persönlichkeit unterstreicht und einem<br />
Selbstbewusstein schenkt – eine Frau<br />
auf High Heels, die sich sexy fühlt und<br />
das dann auch ausstrahlt. Mode kann<br />
aber auch etwas verstecken, kann ein<br />
Fake sein und kann natürlich auch immer<br />
falsch liegen – Mode sollte in jedem<br />
Falle keine Kostümierung sein, sondern<br />
zu einer Person passen. Ich muss hier<br />
gerade an Hannah Montana denken, die<br />
ein Red-Carpet-Kleid kaufen wollte. Ich<br />
schmunzele noch jetzt – ich fragte sie<br />
damals, ob sie nicht ein bisschen zu jung<br />
sei für solch ein Red-Carpet-Kleid, aber<br />
sie sagte selbstbewusst: „I can rock that<br />
dress“. Nun ja, Realität sollte jedenfalls<br />
immer an erster Stelle kommen, ebenso<br />
die geistige Verfassung.<br />
Das High-Fashion-Label Dsquared2 wurde 1994<br />
in Mailand von den kanadischen Zwillingsbrüdern<br />
Dean und Dan gegründet. Sie entwerfen<br />
seither eine kontrastreiche Herrenkollektion, seit<br />
2004 auch eine Damenlinie sowie Accessoires<br />
und Schuhe. Mit 14 Jahren verließ das Geschwisterduo<br />
die Familie, begann zu reisen und<br />
erkämpfte sich gemeinsam seinen Erfolg in der<br />
Modebranche. Ihr Label verzeichnet heute einen<br />
großen, globalen Erfolg.<br />
75
NETTO<br />
NETTO<br />
Style Name: S75AM0352<br />
Creation Date: 2014-06-25<br />
Creation Time: 14:09:36<br />
Author: LECTRA (SA) CESTAS, FRANCE<br />
Sample Size: 40<br />
Grade Rule Table: S75AM0352<br />
EINHEITEN: METRISCH<br />
NETTO<br />
NETTO<br />
NETTO<br />
16 CM ÜBERLAPPUNG<br />
NETTO<br />
Piece Name: S75AM0352F6<br />
Size: 40<br />
Annotation: OBERER ARMTEIL<br />
Quantity: 1<br />
Category: F6<br />
1,5 cm FALTEN<br />
Piece Name: S75AM035200<br />
Size: 40<br />
Annotation: VORDERTEIL MIT METALLAPPLIKATIONEN<br />
Quantity: 1<br />
Category: 00<br />
SCHLITZ<br />
NETTO<br />
TUTTO NETTO<br />
TUTTO NETTO<br />
NETTO<br />
OBEN<br />
1,5 cm FALTEN<br />
Piece Name: S75AM035230<br />
Size: 40<br />
Annotation: ÄRMEL<br />
Quantity: 1<br />
Category: 30<br />
NETTO<br />
Piece Name: S75AM035240<br />
Size: 40<br />
Annotation: LUNETTA<br />
Quantity: 1<br />
Category: 40<br />
Piece Name: S75AA008760<br />
Size: 40<br />
Annotation: TASCHE<br />
Quantity: 1<br />
Category: 60<br />
NETTO<br />
NETTO<br />
SORMONTO CM 16 TOT<br />
NETTO<br />
Piece Name: S75AM035241<br />
Size: 40<br />
Annotation: UNTERKRAGEN<br />
Quantity: 1<br />
Category: 41<br />
netto<br />
Piece Name: S75AM0352M1<br />
Size: 40<br />
Annotation: VORDERTEIL MIT METALLAPPLIKATIONEN<br />
Quantity: 1<br />
Category: M1<br />
NR. 14<br />
DSQUARED2<br />
netto<br />
ÜBERLAPPUNG CM 16 TOT<br />
NETTO<br />
Piece Name: S75AM0352M4<br />
Size: 40<br />
Annotation: VORDERTEIL MIT METALLAPPLIKATIONEN<br />
Quantity: 1<br />
Category: M4<br />
76
0,5 cm EINBEHALTEN<br />
LORDO LORDO<br />
Piece Name: S75AM0352F5<br />
Size: 40<br />
Annotation: UNTERER ARM TEIL<br />
Quantity: 1<br />
Category: F5<br />
NETTO<br />
1,5 cm FALTEN<br />
Piece Name: S75AM035231<br />
Size: 40<br />
Annotation: UNTERER ARMTEIL<br />
Quantity: 1<br />
Category: 31<br />
0,5 cm EINBEHALTEN<br />
Piece Name: S75AM035211<br />
Size: 40<br />
Annotation: RECHTESVORDERTEIL<br />
Quantity: 1<br />
Category: 11<br />
1,5 cm FALTEN<br />
1,5 cm FALTEN<br />
Piece Name: S75AM035220<br />
Size: 40<br />
Annotation: FLANKE<br />
Quantity: 1<br />
Category: 20<br />
Piece Name: S75AM035210<br />
Size: 40<br />
Annotation: LINKES VORDERTEIL<br />
Quantity: 1<br />
Category: 10<br />
MSK.AL NETTO<br />
NETTO<br />
Piece Name: S75AM0352M5<br />
Size: 40<br />
Annotation: UNTERER HAKEN<br />
Quantity: 1<br />
Category: M5<br />
NETTO<br />
NETTO<br />
NETTO<br />
NETTO<br />
BRUTTO<br />
MSK.AL NETTO<br />
BRUTTO<br />
Piece Name: S75AM035212<br />
Size: 40<br />
Annotation: KRAGEN<br />
Quantity: 1<br />
Category: 12<br />
Piece Name: S75AM0352M2<br />
Size: 40<br />
Annotation: ÄRMEL MIT HAKEN<br />
Quantity: 1<br />
Category: M2<br />
Piece Name: S75AM0352M3<br />
Size: 40<br />
Annotation: ABNÄHER<br />
Quantity: 1<br />
Category: M3<br />
77
PINUP<br />
Von Kevin Junk<br />
Illustration von PepiArt<br />
JOAQUÍN<br />
PHOENIX<br />
78
ZURÜCKHALTUNG KANN SEXY<br />
SEIN, ABER NUR, WENN SIE<br />
ETWAS VERBIRGT, AUF DAS<br />
MAN NEUGIERIG IST. JOAQUÍN<br />
PHOENIX IST EINER DIESER<br />
SELTENEN MÄNNER, DENEN DEMUT<br />
VERDAMMT GUT STEHT.<br />
Schüchternheit steht nicht jedem Mann. Zurückhaltung<br />
kann sexy sein, aber nur, wenn sie etwas verbirgt,<br />
hinter das man gerne schauen möchte. Joaquín<br />
Phoenix ist einer dieser Männer, wenn nicht der Mann<br />
schlechthin, dessen Zurückhaltung und Demut ihn so<br />
verdammt attraktiv machen.<br />
Die aristokratisch gebogene Nase, die hervorstechenden<br />
Augen, der eigentlich ein bisschen zu schmale<br />
Mund: Gerade weil Phoenix kein Durchschnittsgesicht<br />
hat, gerade weil er kantig ist und weder arrogant noch<br />
dick aufgetragen, will man ihm ins Gesicht springen<br />
und ihn küssen. Natürlich darf ich die Hasenscharte<br />
nicht vergessen, aber die hat einen eigenen Satz verdient.<br />
Die zeichnet ihn aus, mehr als zwei Mal in Folge<br />
zum „Sexiest Man Alive“ gewählt zu werden, auch<br />
wenn er das verdient hat.<br />
Tragisches haftet diesem Mann an, ein bisschen wie in<br />
einem amerikanischen Roman aus den 1990ern, der in<br />
den Achtzigern spielt. Da ist zum Beispiel der Drogentod<br />
seines Bruders River Phoenix. River ist mit seiner<br />
Rolle in My Own Private Idaho von Gus Van Sant neben<br />
Keanu Reeves zu einer schwulen Ikone geworden, der<br />
frühe Tod trug dazu bei.<br />
Klar, es ist irgendwie fies, aus den persönlichen Tragödien<br />
eines erwachsenen Mannes Sexkapital zu schlagen.<br />
Im Gegensatz zu vielen anderen Stars wirkt Phoenix<br />
dadurch aber dreidimensionaler, um nicht zu sagen authentischer.<br />
Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich<br />
über diesen weltberühmten Mann schreibe, ohne ihn<br />
zu kennen! Und ich glaube, ich bin nicht der Einzige.<br />
Texte über Phoenix sind oft verhaltener als die über<br />
andere Stars.<br />
Fakten, die mich an anderen stören würden oder wie<br />
ein PR-Gag wirkten, passen bei Joaquín Phoenix. Dass<br />
er seit seinem dritten Lebensjahr vegan lebt zum Beispiel.<br />
Natürlich. Engagement für Peta? Am Set nur pelzund<br />
lederfreie Kleidung? Warum sind es die Kleinigkeiten,<br />
wegen denen ich wuschig werde?<br />
Er sieht ja auch – und das ist eine krasse Ausnahme in<br />
meinem Männergeschmack – ohne Bart gut aus. Er hat<br />
diese schöne, allzu amerikanische Gesichtskontur.<br />
Ich glaube, Joaquín Phoenix ist ein Trojanisches Pferd,<br />
nach Hollywood eingeschleppt, um die Welt mit seinen<br />
wehmütigen Augen zu verändern. Er ist irgendwie<br />
instant-heroisch, weil er tragisch wirkt und dabei so<br />
(hach) stark. Er ist ein verdammt schöner Mann, aber<br />
er ist auch ein irgendwie verdammt cooler Mensch.<br />
Verdammt. Und dabei habe ich eigentlich nie einen<br />
Star-Crush!<br />
Der neue Film mit Joaquín Phoenix , „Inherent Vice“ (Regie: Paul<br />
Thomas Anderson), wurde am 26. September auf dem 52. New<br />
York Film Festival vorgestellt.<br />
79
SIE WAR EINE GANZE WEILE NICHT MEHR IN DER ÖFFENTLICHKEIT PRÄSENT. IHR LETZTES SOLOALBUM VOR DEM AKTUELLEN<br />
BLANK PROJECT IST AUCH SCHON WIEDER 18 JAHRE HER. DOCH NENEH CHERRY IST FÜR UNS DAS PERFEKTE FRÄULEIN. IHR<br />
DEBÜTALBUM RAW LIKE SUSHI VON 1989 WAR STILBILDEND. ES VEREINTE JAZZ, DISKO, POP UND HIP-HOP AUF EINE ART UND<br />
WEISE, DIE ES DEM MAINSTREAM WIE DEN JEWEILIGEN SZENEN MÖGLICH MACHTE, DAMIT DURCH DIE STADT ZU CRUISEN UND<br />
DIE ANLAGE AUFZUDREHEN. CHERRY GING IMMER DEN AUFRECHTEN GANG, IST SEIT BALD 30 JAHREN MIT DEM SELBEN MANN,<br />
DEM PRODUZENTEN CAMERON MCVEY VERHEIRATET. WAS IM SHOWBUSINESS DOCH AUSSERGEWÖHNLICH IST. SIE ENGAGIERT<br />
SICH POLITISCH, OHNE PLUMPE POLITISCHE SLOGANS ZU SINGEN. HAT EINEN INDIVIDUELLEN STIL, DER AUCH NOCH MIT ÜBER<br />
50 JAHREN COOL UND LÄSSIG UND DABEI ELEGANT UND BEWUSST WIRKT. BEWUSST, WEIL SIE BEHUTSAM STIL-CODES WIE ZUM<br />
TURBAN GEWICKELTE TÜCHER EINSETZT UND DAMIT EIN WISSEN UM DIE KULTURELLEN BEWEGUNGEN DES BLACK ATLANTIC<br />
VERRÄT, DIE FUSION VON AFRIKANISCHEN WURZELN MIT AMERIKANISCHER KULTUR- UND MUSIKGESCHICHTE UND DESSEN<br />
WIDERHALL IN EUROPA. CHERRY HAT EINE ÄUSSERST VERWEGENE IDENTITÄT. DIE MUTTER SCHWEDIN, DER VATER AUS SIERRA<br />
LEONE, DER STIEFVATER DER LEGENDÄRE JAZZ-MUSIKER DON CHERRY. DIE JUGEND VERBRACHTE SIE IN DEN USA, EINEN GU-<br />
TEN TEIL IHRES LEBEN AUF TOUR. DIESE FRÄULEIN TITELGESCHICHTE IST EINE HOMMAGE AN EINE ECHTE KOSMOPOLITIN. WIR<br />
WÜNSCHEN UNS, DAS SIE (WIEDER) GEHÖRT WIRD.<br />
Von Ruben Donsbach<br />
Fotos Hendrik Schneider<br />
Styling Tabi Charaf<br />
Stylingassistenz Irina Balzer & Sebastiano Ragusa<br />
Styling & Produktionsassistenz Sina Braetz<br />
Haare & Make-Up Philipp Koch Verheyen mit Produkten von Chanel<br />
Assistenz Anne Timper<br />
Bildbearbeitung PX1 Berlin<br />
80
81<br />
ENEHS INTERNATIONALER<br />
DURCHBRUCH GELANG MIT DEM<br />
ALBUM RAW LIKE SUSHI (1989)<br />
Ohrringe Artist‘s own<br />
Kette Judy Blame<br />
Blazer Hugo Boss
IN FRÜHER FÖRDERER<br />
WAR IHR BERÜHMTER STIEFVATER,<br />
DER JAZZMUSIKER DON CHERRY<br />
Kette Judy Blame<br />
Kleid & Mantel Chanel<br />
82
83<br />
ENEH CHERRY IST IN<br />
STOCKHOLM GEBOREN UND<br />
SCHWEDISCHE STAATSBÜRGERIN<br />
Turban/Carré Hermès<br />
OhrringeArtist‘s own<br />
Bluse & Cardigan Prada<br />
Bomberjacke Dries van Noten
AGLE EYE CHERRY<br />
HEISST DER JÜNGERE HALBBRUDER<br />
VON NENEH<br />
Ohrringe Artist‘s own<br />
Kleid & Mantel Hermès<br />
84
IP-HOP KLANG SELTEN SO FUNKY<br />
WIE AUF IHRER SINGLEAUSKOPPLUNG<br />
BUFFALO STANCE<br />
Jacke & Weste Haider Ackermann<br />
Ring Artist‘s own<br />
85
„Ich will keine<br />
Celebrity Politics betreiben“<br />
<strong>Neneh</strong> <strong>Cherry</strong> ist erkältet, mit vier Stunden Verspätung in Tegel gelandet und dementsprechend<br />
müde. Das wird nichts mit dem <strong>Fräulein</strong> Cover-Shoot morgen, schon<br />
das Konzert heute Abend auf dem Berlin-Festival, sei ein Drama. Sagt zumindest die<br />
Tourmanagerin.<br />
Eine Stunde später trifft <strong>Cherry</strong> in persona ein und versprüht gleich etwas<br />
Street-Glamour. Der Afro sitzt, in blauer Old School Adidasjacke und mit weißen<br />
Sneakern schlendert sie dem Reporter wie zu einem Beat von Run DMC entgegen,<br />
schaut kurz leidend, dann versöhnlich, lächelt cool und lacht. Man weiß jetzt, alles<br />
wird gut. <strong>Neneh</strong> kann trotz belegter Stimme singen, <strong>Neneh</strong> kann morgen zum Cover-Fotoshoot<br />
erscheinen, <strong>Neneh</strong> ist ein Profi und sieht mit 50 Jahren verdammt<br />
noch mal gut aus.<br />
Backstage im Glashaus des Berlin Festivals, jenseits der Mainstage und 20 Minuten<br />
vor Auftritt <strong>Cherry</strong>, regiert die große Unaufgeregtheit. Cool bleibt auch die Entourage.<br />
Ein DJ, 30 Jahre jünger als sie, der von DJ Koze und Ada protegiert im Kölner<br />
Kompakt-Umfeld arbeitet, einiges zu Schwedens Aufstieg als europäischer Rohstofflieferant<br />
nach dem Zweiten Weltkrieg zu sagen hat und uns Bier organisiert. Eine<br />
Visagistin, auf deren iPhone- Display der kleine Sohn leuchtet, deren Mann Sänger<br />
der tollen Band Travis ist, die selbst wahnsinnig entspannt ist und einen nur leicht<br />
tadelnd korrigiert, wenn man Níní statt Nènè sagt.<br />
Weiche, kuratierte Hip-Hop-Bässe klingen nach. In kleinen Grüppchen hängen die<br />
Groupies der Laufsteg- und Couturerapper herum, die gerade auf der Glashaus-Bühne<br />
schaulaufen. Verdrogte verlorene Jungs bieten trüben Gebirgstee aus Kroatien in<br />
alten Coca-Cola-Pfandflaschen an. Man trifft einen berlinernden Stage-Manager im<br />
zu engen T-Shirt, der immer erst mal Nein sagt, doch am Ende dein bester Freund<br />
wird. Mittendrin stehen die Brüder Ben and Tom Page von RocketNumberNine, mit<br />
denen <strong>Cherry</strong> ihr aktuelles Album Blank Project eingespielt hat und durch die Welt<br />
tourt.<br />
Das Album gleicht in seinem roh und perkussiv instrumentalisiertem Minimalismus<br />
einer musikalischen Litanei, in manchen Passagen einem Klagegesang. Spärlich<br />
nutzt <strong>Neneh</strong> <strong>Cherry</strong> darin ihre Stimme, balanciert zwischen Gesang und Sprechakt.<br />
Sprechakt auch, weil das gesprochene Wort hier nicht zum Ornament verklingt, weil<br />
es zum Handeln auffordert, selbst Handlung ist.<br />
Blank Project sei, sagt <strong>Cherry</strong>, „eine sehr persönliche Sammlung von Songs, die ich<br />
und mein Ehemann Cameron (McVey) geschrieben haben. Er brachte mich dazu,<br />
so viel Grundlagenarbeit dafür wie irgend möglich zu leisten. Er tat dies im Wissen<br />
um meinen Beinahezusammenbruch im Jahre 2010, nachdem unsere Mütter<br />
nacheinander gestorben waren, und er wollte, dass ich diesen Verlust künstlerisch<br />
verarbeite. Dann nahm er meine Impulse und Gefühle auf und verdichtete sie zu<br />
Songs.“ Ben and Tom Page von RocketNumberNine, das seien im besten Sinne „Neanderthal<br />
Essex Louts, rüpelhafter Neandertaler aus Essex, die von der Innenseite<br />
ihrer Eingeweide heraus spielen. Sie spucken Blut mit jeder schmerzhaften Note, die<br />
wir hervorbringen, und genau das war es, was diese Songs brauchten.“<br />
Man weiß nicht, wo in dieser ausgeglichenen Frau der Schmerz begraben liegen<br />
mag. Sie sieht, es sei noch einmal wiederholt, verdammt toll aus, hat mit 50 Jahren<br />
ein ganzes Bühnenleben hinter sich und eine große Familie, die zuhause auf sie wartet.<br />
Nur sei genau das nicht immer leicht, sagt <strong>Neneh</strong>, „die so wertvolle Zeit mit der<br />
Familie mit meinem Touralltag in Einklang zu bringen, meine Kinder und meinen<br />
Mann immer wieder alleine lassen zu müssen“.<br />
<strong>Cherry</strong> singt sich warm zu einem Tutorial ihres Gesangslehrers, das über Kopfhörer<br />
läuft, ihre Stimme reflektiert in den engen Korridoren Backstage. Was kurz unwirklich<br />
klingt. Sie war ja mal ein großer Star. Nur kurzzeitig etwas vergessen. Ihr Debüt<br />
Raw Like Sushi mit den Singles Buffalo Stance und Manchild war ein prägendes<br />
Album der späten 80er-Jahre. Sie veröffentlichte die Hitsingles I’ve got you under<br />
my skin mit Afrika Bambaataa (1990), 7 Seconds mit Youssou N’Dour (1994) und<br />
Woman (1996). Nach verschiedenen Kollaborationen und Avantgarde-Projekten, mit<br />
CirKus und der experimentellen Jazz-Gruppe The Thing, ist Blank Project <strong>Cherry</strong>s<br />
erstes Soloalbum seit 18 Jahren. Produziert von Four Tets Kieran Hebden, geschrieben<br />
von <strong>Cherry</strong>, ihrem Mann Cameron sowie Paul Simm. Es wird von der Kritik<br />
86
„Alles ist jetzt Energie,<br />
industriell, roh“<br />
geliebt, der Bandleader und Fernsehmoderator Jools Holland lud <strong>Cherry</strong> in seine<br />
Sendung Later with Jools Holland ein. „Während Blank Project scheinbar perfekt in<br />
das aktuelle 90er-Revival passt, ist das Album tatsächlich der Kulminationspunkt<br />
einer faszinierenden Karriere“ schreibt der Blog des wunderbaren New Public Radio<br />
(NPR), <strong>Neneh</strong> <strong>Cherry</strong>s „Einfluss auf Jugendkultur, Mode und Musik sei größer, als<br />
zu messen wäre“.<br />
Derweil trinkt die so gelobte ein paar Soda-Lemon, lehnt sich an ihrem Schminktisch<br />
zurück, ordnet den Afro und schaltet um auf Angriff. Los geht‘s zum Konzert.<br />
Bässe, die vorher im Glashaus weich summten, klingen nun dröhnend, massig, markerschütternd.<br />
Von Backstage aus zeichnet das grelle, weiße Licht die Konturen der<br />
drei Musiker als geschichtete Schlagschatten ab. Alles ist jetzt Energie, industriell,<br />
roh. Eine Stunde später kommen zwei schweißüberströmte Musiker und eine beinahe<br />
makellose <strong>Neneh</strong> <strong>Cherry</strong> zurück. Sie schnappt sich einen Drink, lehnt sich gegen<br />
die Wand ihrer Umkleide. Ob sie in sich als eine ehrliche Musikerin verstehen würde.<br />
Sie blickt auf, wieder in ihrer blauen Adidasjacke eingepackt, aus einem schönen<br />
Tuch ein Turban um den Kopf gebunden, und sagt: „Hip-Hop, Musik überhaupt, ist<br />
eine Einstellung und kann niemals korrumpiert werden“.<br />
Am nächsten Morgen im Hof des Michelberger Hotels in Friedrichshain. Von hinten<br />
schleicht sich <strong>Neneh</strong> <strong>Cherry</strong> an und sagt „Hi Darling“. Worauf wenig zu erwidern ist.<br />
Noch mal: sie sieht wirklich gut aus, obwohl sie erkältet und verkatert ist, letzteres,<br />
weil sie bis fünf Uhr morgens mit Freunden an der Hotelbar gesessen hat. Sie nimmt<br />
sich an der Rezeption eine Dose Kokoswasser und lächelt, sie lächelt gequält, aber<br />
sie lächelt. Vielleicht liegt es ein wenig an Berlin, am Michelberger Hotel, in dem<br />
zahlreiche bekannte Musiker ein und ausgehen, dass Prominenz zur Nebensache<br />
wird. Aber es liegt auch an <strong>Neneh</strong> <strong>Cherry</strong> selbst. Zusammen mit ihrem Mann Cameron,<br />
Produzent des ersten Massive-Attack-Albums und von Portisheads Dummy,<br />
hat sie sich einem expliziten No-Celebrity-Engagement verschrieben, bei dem Prominenz<br />
nicht vor das eigentliche Thema gestellt werden soll. Anders als bei den so<br />
zahlreichen Charities, auf denen mittelmäßige Künstler ihre eigene Mittelmäßigkeit<br />
vor eine gute Sache stellen. So verliert sich soziales Engagement oftmals in einem<br />
Abhängigkeitssystem aufwändiger Dinner und Sektempfänge.<br />
„Cameron und ich wollen keine Celebrity Politics betreiben“, sagt <strong>Cherry</strong> im Taxi<br />
auf dem Weg zum Fototermin, „öffentlich engagieren wir uns vor allem für Bildung.<br />
Bildung und Information sind die Grundlage der Menschheit, man muss das so groß<br />
sagen. Es ist der Mangel an einer guten, ausgeglichenen und ehrlichen Bildung, welcher<br />
den Status Quo aufrechterhält, der – wie wir alle wissen – mangelhaft und<br />
unfair ist.“ <strong>Neneh</strong> <strong>Cherry</strong> ist im Geiste der Kollaboration aufgewachsen, ihr Stiefvater,<br />
der große Erneuerer des Jazz, Don <strong>Cherry</strong>, hat sie früh mit Miles Davis und<br />
Ornette Coleman bekannt gemacht. In Long Island City wohnte sie mit ihrer Familie<br />
in einem Haus mit den Talking Heads um David Byrne. Sie umgibt sich bis heute,<br />
gleich dem Vorbild Miles Davis, mit jüngeren Musikern, von denen sie lernen kann.<br />
„Meine Wurzeln, meine Sozialisation fordern mich immer wieder heraus, auf das<br />
musikalisch Unerwartete und Außergewöhnliche zu achten“, sagt <strong>Neneh</strong> <strong>Cherry</strong>, als<br />
wir in einem weitläufigen Treppenhaus in Berlin-Kreuzberg zum Studio hinauf laufen:<br />
„So hat mich Don (<strong>Cherry</strong>) erzogen.“ Und so sei auch ihr Mann Cameron „ein<br />
Soldat in vorderster Front, der ruhelos und notorisch nach dem Neuen, Anderen und<br />
dem Mehr sucht“. Als <strong>Neneh</strong> <strong>Cherry</strong> das schöne, helle Studio betritt, stellt sie sich<br />
jedem persönlich vor. Sie legt ihren Mantel ab, dreht sich zum Reporter und strahlt.<br />
<strong>Neneh</strong> <strong>Cherry</strong> ist erkältet, sie ist verkatert und müde, aber sie sieht toll aus und alles<br />
wird gut.<br />
<strong>Neneh</strong> <strong>Cherry</strong>s Album „Blank Project“ ist bereits Anfang des Jahres auf dem Label Smalltown Supersound<br />
(Rough Trade) erschienen. Am 22. November spielt sie zusammen mit Ben and Tom Page von „RocketNumberNine“<br />
als Headliner auf dem „Sonic City Festival“ in Kortrijk, Belgien.<br />
87
RUN<br />
AWAY<br />
GIRL<br />
Fotos Annelise Phillips<br />
Styling Ruth Higginbotham<br />
Haare & Make-up Ivan Mendoza at workgroup<br />
Fotoassistenz Adrian Hallauer<br />
Stylingassistenz Amii McIntosh<br />
Bildbearbeitung Michael Nieland<br />
88
Lederjacke Acne Studios<br />
Bluse Margeret Howell<br />
Rock Buffalo Exchange, Haight Street, San Francisco<br />
Socken Falke<br />
Sneaker New Balance<br />
90
91<br />
Lederjacke Acne Studios<br />
Bluse Margeret Howell
93<br />
Blazer Lanvin<br />
Shirt Margeret Howell<br />
Socken Falke
94<br />
Schlangenleder-Mantel Static Vintage, Haight Street, San Francisco<br />
Bluse Margeret Howell<br />
Jeans Levi‘s
95<br />
Jeansblazer Static Vintage, Haight Street, San Francisco<br />
Jeans Levi‘s
97<br />
Mantel Static Vintage<br />
Bluse Margeret Howell<br />
Jeans Levi‘s
98<br />
EB<br />
U<br />
BL<br />
EB<br />
U<br />
BL<br />
EB<br />
U<br />
BL<br />
EB<br />
U<br />
BL<br />
EB<br />
U<br />
BL<br />
EB<br />
U<br />
BL<br />
EB<br />
U<br />
BL<br />
EB<br />
U<br />
BL<br />
EB<br />
U<br />
BL<br />
EB<br />
U<br />
BL<br />
EB<br />
BL<br />
EB<br />
U<br />
BL<br />
EB<br />
U<br />
BL<br />
EB<br />
U<br />
BL<br />
EB<br />
U<br />
BL<br />
EB<br />
U<br />
BL<br />
EB<br />
U<br />
BL<br />
EB<br />
U<br />
BL<br />
EB<br />
U<br />
BL<br />
EB<br />
U<br />
BL<br />
Jumpsuit The 9 th St Haberdashery<br />
Sweater A.P.C.
LUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEB<br />
EBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUE<br />
UEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLU<br />
LUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEB<br />
EBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUE<br />
UEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLU<br />
LUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEB<br />
EBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUE<br />
UEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLU<br />
LUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEB<br />
EBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUE<br />
UEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLU<br />
LUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEB<br />
EBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUE<br />
UEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLU<br />
LUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEB<br />
EBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUE<br />
UEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLU<br />
LUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEB<br />
EBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUE<br />
UEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLU<br />
LUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEB<br />
EBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUE<br />
UEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLU<br />
LUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEB<br />
EBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUE<br />
UEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLU<br />
LUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEB<br />
EBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUE<br />
UEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLU<br />
LUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEJEANSBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUE<br />
UEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLU<br />
LUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEB<br />
EBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUE<br />
UEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLU<br />
LUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEB<br />
EBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUE<br />
UEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLU<br />
LUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEB<br />
EBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUE<br />
UEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLU<br />
LUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEB<br />
EBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUE<br />
UEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLU<br />
LUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEB<br />
EBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUE<br />
UEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLU<br />
LUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEB<br />
EBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUE<br />
UEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLU<br />
LUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEB<br />
EBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUE<br />
Fotos Jai Odell<br />
UEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLU<br />
Styling Britt Berger<br />
LUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEB<br />
Model Kelly Mittendorf at The Society Model Management<br />
Set Design Hans Maharawal<br />
EBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUE<br />
Haare Georgi Sandev<br />
UEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLU<br />
Make-Up Kayla MiChele at The Wall Group<br />
LUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEB<br />
EBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUE<br />
UEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLUEBLU
Top & Rock Jean Paul Gaultier<br />
Socken Calvin Klein<br />
Sneaker Converse<br />
100
Jacke Stylists Own<br />
Jeans Marques‘ Almeida<br />
101
102
103<br />
Jacke Closed<br />
Hemd A.P.C.<br />
Jeans Closed<br />
Socken Calvin Klein<br />
Sneakers Converse<br />
Tasche Comme des Garçons<br />
von Dover Street Market, New York
104<br />
Jacke Denim Refinery<br />
Jeans BLK DNM<br />
Shirt Obesity and Speed<br />
Shorts Levi‘s<br />
Socken Calvin Klein
105<br />
Tunica Marques‘ Almeida<br />
T-Shirt Calvin Klein
106<br />
Rock getragen als Kleid Closed<br />
Vintage Sweater Sonia Rykiel<br />
Socken Calvin Klein<br />
Sneakers Converse
107<br />
Mantel N. Hollywood<br />
Shirt BLK DNM<br />
Jeans von B Sides von N°. 6 Store, New York<br />
Socken von Calvin Klein<br />
Sneakers von Converse
108<br />
Anzug und Einstecktuch Bottega Veneta<br />
Hemd Ermenegildo Zegna Couture<br />
Boots Alexander McQueen
FAUSTRECHT DER VERGANGENHEIT<br />
Fotos Neil Gavin<br />
Styling Tanja Martin<br />
Grooming Gary Gill for Emotive<br />
benutzt Produkte von Wella Professionals SP for men & MAC Pro<br />
Stylingassistenz Hollie Lacayo<br />
Model Miles Langford at FM London<br />
109
Hemd Prada<br />
Jackett Hermès<br />
Einstecktuch und Anstecker Budd Shirtmakers<br />
110
111<br />
Hemd Hardy Amies<br />
Pullover, Anzug & Krawatte Burberry Prorsum<br />
Einstecktuch Thomas Pink<br />
Anstecker Budd Shirtmakers<br />
Grün-weißer Anstecker Burberry Prorsum<br />
Gürtel Gieves & Hawkes
Hemd Ede & Ravenscroft<br />
Pullover Bosideng<br />
Jacke und Hose Thom Sweeney<br />
Krawatte Emma Willis<br />
Anstecker Budd Shirtmaker<br />
Vintage Einstecktuch Radio Days<br />
Schal Brunello Cucinelli<br />
112
113<br />
Anzug Dolce & Gabbana<br />
Hemd Gieves and Hawkes<br />
Krawatte Ermengildo Zegna Couture<br />
Schuhe Mr Hare<br />
Gürtel Brunello Cucinelli
Kleid Gaetano Navarra<br />
Schuhe The Kooples<br />
114
ILDFANG<br />
Fotos Julia Grossi<br />
Styling Sophia Costima<br />
Haare & Make-up Anna Neugebauer at Bigoudi<br />
mit Produkten von Chanel und Aveda<br />
Model Daria at modelwerk<br />
Fotoassistenz Christian Doppelgatz<br />
Bildretusche KNIV c/o Harling & Darsell<br />
115
Rock Simonetta Ravizza<br />
Schuhe The Kooples<br />
116
Body Stylist‘s own<br />
Mantel Simonetta Ravizza<br />
Schuhe Pierre Hardy<br />
117
118<br />
Kleid Byblos Milano<br />
Clutch Charlotte Olympia<br />
über mytheresa.com
119<br />
Top Stylist‘s own<br />
Rock Balmain über matchesfashion.com<br />
Schuhe Christian Louboutin
Pelzjacke Antik Batik<br />
Ohrringe Louis Vuitton<br />
Slip Elizabeth Hurley Beach<br />
Strümpfe Agent Provocateur<br />
Schuhe Christian Louboutin<br />
120
121<br />
Weste Dior<br />
Top Stylist‘s own<br />
Rock The Kooples
122
123<br />
Bluse Balmain über matchesfashion.com<br />
Rock Saint Laurent by Hedi Slimane über mytheresa.com<br />
Stiefel Casadei
124<br />
Rollkragen Uniqlo<br />
Jacke Miu Miu
RAVEN WING BEAT<br />
Fotos Maxyme G. Delisle<br />
Fotoassistenz Emmet Green<br />
Styling Ruth Higginbotham<br />
Stylingassistenz Amii McIntosh<br />
Haare Anna Chapman<br />
Make-Up Riona O’Sullivan<br />
Model Hannah Cassidy at Storm<br />
125
126<br />
Rollkragen Uniqlo<br />
Kleid Prada
Rollkragen Uniqlo<br />
Regenjacke Christopher Kane<br />
127
128<br />
Jacke Hugo Boss
Top Vintage<br />
Hose Louis Vuitton<br />
Schuhe Marni<br />
129
130<br />
Look Marni
Rollkragen Uniqlo<br />
Mantel Prada<br />
131
DER KÖRPER<br />
Von Lorenz Schröter<br />
Collage von Pinki Dornberger<br />
DIE NACKTE<br />
WAHRHEIT<br />
FRÜHER LEBTE DIE<br />
PROFESSORIN CAMILLE<br />
PAGLIA EINEN RADIKALEN<br />
AMAZONEN-FEMINISMUS,<br />
HEUTE FORDERT SIE FREIHEIT<br />
FÜR DAS LUSTPRINZIP. EIN<br />
GESPRÄCH ÜBER ZUR SCHAU<br />
GESTELLTE KÖRPER UND DIE<br />
MÄNNLICHE LUST.<br />
<strong>Fräulein</strong>: Junge Frauen werden in<br />
Werbeanzeigen oft erotisiert. In den<br />
80er- und 90er-Jahren gab es eine<br />
Riesendebatte darüber, dass Frauen<br />
auf diese Weise zu Sexobjekten degradiert<br />
würden. Ist das immer noch<br />
so oder würden Sie sagen, dass sich<br />
die Art und Weise, wie Männer Frauen<br />
sehen, auch geändert hat? Könnte<br />
man so weit gehen zu sagen, diese<br />
erotisierenden Anzeigen sind Teil der<br />
weiblichen Selbstermächtigung?<br />
Camille Paglia: Seit es Werbung gibt, also<br />
seit der industriellen Revolution, wusste<br />
man, dass hübsche, sexy Frauen direkt<br />
und ohne Umstände die Aufmerksamkeit<br />
von Männern und Frauen auf sich ziehen!<br />
Das belegt die magische Ausstrahlung<br />
von Frauen, nicht ihre Passivität oder Unterordnung.<br />
Wie für meinen Helden Andy<br />
Warhol ist moderne Werbung für mich<br />
Kunst. Ich lehne die ganze feministische<br />
Ideologie über Frauen und Sexobjekte als<br />
kurzsichtigen Puritanismus ab. Im Gegenteil,<br />
es ist eine wunderbare Eigenschaft<br />
unserer Spezies, dass sie aus Menschen<br />
Sexobjekte machen kann. Das sage ich<br />
schon in meinem Buch Sexual Personae.<br />
Nur durch diese Möglichkeit zur Abstraktion<br />
ist Philosophie und Kunst überhaupt<br />
möglich.<br />
Aus Männerperspektive ist die weibliche<br />
Schönheit überall und unvermeidlich:<br />
auf der Straße, im Fernsehen,<br />
in Zeitschriften, aber wo in<br />
unserer Gesellschaft ist der Ort für<br />
männliche Schönheit?<br />
Die Anbetung männlicher Schönheit<br />
geschieht ständig, etwa im Sport. Und<br />
durch die Kraft des TV hat diese Form<br />
der Anbetung den gesamten Planeten<br />
erfasst. Die überwiegende Mehrheit will<br />
Männer im Sport sehen, und zwar junge<br />
Männer auf dem Höhepunkt ihrer Perfektion.<br />
Das Interesse für Frauentennis, das<br />
es gibt, nimmt sich gegen die irren Zuschauermassen<br />
aus allen sozialen Gruppen,<br />
die die Fußballweltmeisterschaft gucken,<br />
verschwindend gering aus. Frauen<br />
mögen beklagen, dass sie an Status verlieren,<br />
je älter sie werden. Aber dasselbe<br />
grausame Gesetz trifft auch auf männliche<br />
Athleten zu, deren Kraft, Fähigkeiten<br />
und Sozialwert rapide versickert, wenn<br />
sie über 30 sind.<br />
Warum interessieren Sie sich eigentlich<br />
für Pornografisches, etwa für die<br />
Zeichnungen des Tom of Finland?<br />
Pornografie sagt uns die nackte Wahrheit<br />
über Sexualität. Pornos offenbaren<br />
unsere ursprüngliche Animalität, die wir<br />
hinter dem Schild der Zivilisation verbergen.<br />
Die Grenze zwischen Pornografie<br />
und Kunst ist ziemlich verwischt, zum<br />
Beispiel in Donatellos homoerotischer<br />
Bronzeskulptur David oder bei Michelangelos<br />
Sterbendem Sklaven, mit seiner<br />
sadomasochistischen Fesselung. Ich bewundere<br />
Tom of Finland, weil er so offen<br />
den Phallus anbetet und diese vorwitzige<br />
Schadenfreude in seinen Orgien durchkommt.<br />
Toms Welt ist ein Zyklon reinster<br />
Sex-Energie.<br />
Hardcore-Feministinnen in den<br />
80er- und 90er-Jahren haben Geschlechtsverkehr<br />
als gewaltsame<br />
Eroberung von Frauen abgewertet.<br />
Die Penetration befürwortende, lesbische<br />
Kritik an dieser Sichtweise<br />
wurde lange Zeit erfolgreich ignoriert.<br />
Aber was heißt es eigentlich<br />
für einen Mann, seinen sensibelsten<br />
Körperteil, den Penis, einer Frau und<br />
ihrer Lust zu überlassen?<br />
Dieser obsessive Männerhass ist einer<br />
der wesentlichen Gründe, der mich bereits<br />
in den späten 1960er-Jahren der<br />
Frauenbewegung entfremdet hat. Zu<br />
viele verletzte Frauen begriffen den Feminismus<br />
als neue Religion, als simples<br />
Dogma, mit dem sie ihr Unglücklichsein<br />
erklären konnten, das aus einer instabilen<br />
Kindheit herrührte. Die giftigste Antimännerhaltung<br />
kam damals von Andrea<br />
Dworkin, einer morbiden Hysterikerin,<br />
deren Einfluss mit dem Pro-Sex-Feminismus<br />
der 1990er-Jahre zum Glück verblasste.<br />
Außerdem fanden immer mehr<br />
lesbische Frauen Gefallen an Dildos und<br />
Sex-Toys, was auch die Feindseligkeit<br />
gegenüber der Penetration reduzierte.<br />
Die meisten Feministinnen haben nie<br />
verstanden, dass der Penis ein zerbrechliches<br />
Wesen ist und dass jedes Eindringen<br />
in eine Frau auch ein Risiko bedeutet.<br />
Die Literatur ist voll von albtraumhaften<br />
männlichen Visionen von Kastrationsangst<br />
und dem Identitätsverlust, der mit<br />
der zwangsweisen Rückkehr in die Gebärmutter<br />
einhergeht.<br />
Sie werden viel im Internet zitiert,<br />
manchmal nur sehr kurz, etwa:<br />
„Weibliche Genitalien sind grotesk.“<br />
Stimmt das?<br />
Von Oscar Wilde habe ich gelernt, wie<br />
man Epigramme formt – der scharfe, fein<br />
geschliffene eine Satz, in dem eine ganze<br />
Weltanschauung steckt. Deswegen bin<br />
ich eine der am meisten zitierten Autorinnen.<br />
Die Intellektuellen, die hundert Wörter<br />
brauchen, wo zehn reichen, belegen<br />
bloß ihre eigene Schwäche und Anmaßung.<br />
Ja, klar, weibliche Genitalien sind<br />
grotesk – das heißt, sie kommen aus der<br />
Urgrotte, der archaischen Höhle der Mutter<br />
Erde. Aber ich habe auch geschrieben,<br />
dass das gummiartige Baumeln männlicher<br />
Genitalien ulkig anmutet, wird es<br />
an gemessen künstlerischen Maßstäben<br />
gemessen. In Sexual Personae, übrigens<br />
inspiriert von der Nietzsche-Unterteilung<br />
ins Dionysische und Appolinische, stelle<br />
ich fest, dass die Zivilisation eine Reise<br />
ist, die aus einem dunklen, sumpfigen,<br />
urzeitlichen Terrain in das strenge Konturen<br />
zeichnende, scharfe und idealisierende<br />
Auge der Kunst führt.<br />
An anderer Stelle sagen Sie: „Männliche<br />
Lust erregt Frauen.“ Und was<br />
ist mit Männern, die von weiblicher<br />
Lust erregt werden, nicht unbedingt<br />
von Pornografie?<br />
Indem männliche Lust so gravierend verteufelt<br />
wurde, hat der Feminismus Frauen<br />
zu ihren eigenen Feindinnen gemacht.<br />
Aber es sind meistens weiße, berufstätige<br />
Mittelklassefrauen, die zum Opfer des<br />
feministischen Puritanismus wurden.<br />
Ich hingegen bin eine Gleiche-Chancen-für-alle-Feministin:<br />
das heißt, ich<br />
fordere die Abschaffung sämtlicher Karrierehindernisse<br />
für Frauen in Beruf und<br />
Politik. Trotz allem bestehen wir Menschen<br />
aus mehr als Arbeit. Emotionen<br />
und Instinkte bestimmen unser Privatleben.<br />
Männliche Lust gehört weder an den<br />
Arbeitsplatz, der mit dieser asexuellen,<br />
technologischen Neutralität behaftet ist,<br />
noch in öffentliche Bereiche wie Schulen<br />
oder Einkaufszentren. Aber es liegt doch<br />
im Interesse der Frauen, Männer und ihre<br />
Lust zu ermutigen, statt sie zu verspotten<br />
oder zu ersticken. Egal wie intensiv Frauen<br />
Lust verspüren, ihre Lust wird nie das<br />
männliche Level erreichen – Männer haben<br />
zehn Mal mehr Testosteron.<br />
Postfeminismus scheint das neue<br />
Ding in den Kulturwissenschaften zu<br />
sein: Was hat es in dem Zusammenhang<br />
mit sogenannten Körperpolitiken<br />
auf sich und wie würden Sie<br />
beides – Postfeminismus und Körperpolitiken<br />
– Ihren StudentInnen<br />
erklären?<br />
Postfeminismus ist ein völlig unsinniger<br />
Begriff, den ich ebenso wenig verwende<br />
wie den komplett langweiligen Jargon der<br />
Körperpolitiken. Feminismus ist wiederkehrend.<br />
Es gab drei wichtige Wellen der<br />
Frauenbewegung in den letzten 150 Jahren.<br />
Der organisierte Feminismus ist gerade<br />
nicht en vogue, die westlichen Frauen<br />
sind gut etabliert, haben Karrieren.<br />
Aber er wird wiederkommen, wenn die<br />
historischen Bedingungen es erfordern.<br />
Unser Hauptaugenmerk sollte jetzt darauf<br />
liegen, Frauen in der Dritten Welt und<br />
ihre Bemühungen für eine wirkungsvolle<br />
Bewegung zu unterstützen, etwa in Indien<br />
und im ländlichen Afrika, wo Frauen<br />
haarsträubenden Grausamkeiten ausgesetzt<br />
sind.<br />
Ganz allgemein: Was können westliche<br />
Männer aus Ihren Überlegungen<br />
zu Sexualität und Gender mitnehmen?<br />
Und gibt es Unterschiede, etwa<br />
nach Alter, sexueller Orientierung,<br />
soziokultureller Herkunft?<br />
Es gibt von Natur aus einen starken Sexualtrieb,<br />
der ursprünglich der Vermehrung<br />
dienen sollte. Aber was und wen<br />
wir sexuell anziehend finden, das richtet<br />
sich nach Laune und kulturellem Setting.<br />
Sex ist eine vertrackte Überschneidung<br />
von Natur und Kultur. Als denkende Wesen<br />
haben wir aber das Recht, sogar die<br />
Pflicht, den Naturgesetzen zu trotzen.<br />
Ich glaube, dass Heterosexualität, von<br />
Hormonen angetrieben, die überwiegende<br />
Norm ist. Norm ist ein sinnvoller<br />
Begriff, der zu Unrecht von den relativistischen<br />
Poststrukturalisten abgelehnt<br />
wird. Trotzdem denke ich, dass jeder und<br />
jede potentiell bisexuell ist. Das hängt von<br />
Situation und Gelegenheit ab. Ich glaube<br />
aber nicht, dass irgendjemand schwul<br />
geboren wird, sondern eher, dass Homosexualität<br />
etwas Angenommenes ist,<br />
hervorgerufen von anderen angeborenen<br />
Eigenschaften, die mit sozialem Druck<br />
kollidieren. Ich fordere die Freiheit für<br />
das Lustprinzip, aber ebenso die Rückkehr<br />
zu gegenseitigem Respekt in sexuellen<br />
Beziehungen. Männer dürfen Frauen<br />
nicht missbrauchen und Frauen müssen<br />
aufhören, von Männern weibliches Verhalten<br />
zu fordern. Je mehr sich Männer<br />
ändern, um Frauen zu gefallen, umso<br />
weniger werden die Frauen diese Männer<br />
wollen.<br />
Camille Paglia ist Professorin an der University<br />
of the Arts in Philadelphia. Sie schreibt über<br />
Hitchcock, Schwulenpornos, Nofretete und Madonna.<br />
Mit dem Mainstream-Feminismus und<br />
dem Strukturalismus legt sie sich regelmäßig<br />
an. Ihr Buch „Sexual Personae“ (Deutsch: Die<br />
Masken der Sexualität) war ein Bestseller.<br />
132
133
SO STELL’ ICH MIR DIE LIEBE VOR<br />
Von Robert Grunenberg<br />
Foto von Bettina Rheims aus der Serie „Rose – c’est Paris“<br />
134
„ICH HABE<br />
IMMER DIE<br />
SORGE,<br />
VERLASSEN<br />
ZU WERDEN“<br />
DIE LIEBE SEI IMMER AUCH EIN KAMPF, EINE „DELIKATE<br />
BALANCE AUS NÄHE UND DISTANZ“, SAGT BETTINA RHEIMS.<br />
TROTZ IHRER VERLUSTÄNGSTE WÜRDE SIE NIE DARAUF<br />
VERZICHTEN. EINE BEICHTE.<br />
135<br />
Es klingt wie ein Klischee, aber ich<br />
könnte mir ein Leben ohne Liebe nicht<br />
vorstellen. Liebe ist das, was mich morgens<br />
aus dem Bett treibt. Liebe ist mein<br />
Motor, der mich und meine Arbeit voranbringt.<br />
Sie bedeutet für mich, das Leben<br />
mit anderen zu teilen. Mit meiner Arbeit<br />
möchte ich Menschen, die ich liebe, stolz<br />
auf mich machen. Das ging mir schon bei<br />
meinem Vater so.<br />
Dabei hatte ich eine merkwürdige Kindheit<br />
und eine ungewöhnliche Ausbildung.<br />
Das war in den 50er- und 60er-Jahren. Ich<br />
wuchs in den privilegierten Verhältnissen<br />
der französischen Oberschicht nahe Paris<br />
auf. Um uns Kinder kümmerte sich eine<br />
Nanny, denn es gab nicht viel Liebe in unserer<br />
Familie. Oder besser, meine Eltern<br />
waren nicht in der Lage, Liebe zu zeigen.<br />
Sie hatten keine Zeit, sie waren ständig<br />
beschäftigt; mit der Arbeit, mit sozialen<br />
Anlässen, sich mit ihren Freunden zu<br />
treffen. Wir Kinder kamen zu kurz. Meine<br />
Lebensrealität ist heute ganz anders. Liebe<br />
ist überall um mich herum, auch wenn<br />
mich ihre Symbole nicht interessieren.<br />
Ich vergesse immer wieder Geburtstage,<br />
der Valentinstag ist mir egal. Liebe ist<br />
etwas, das tiefer sitzt. Für mich bedeutet<br />
sie, für seine Nächsten da zu sein, wenn<br />
diese einen brauchen.<br />
Ich liebe verschiedene Arten der Liebe:<br />
Ich liebe meinen Sohn, meinen Mann,<br />
mein Enkelkind. Ich gebe Liebe an die<br />
Leute, die ich fotografiere. Auch wenn<br />
nur für ein paar Stunden auf einem Fotoshoot.<br />
Deshalb bekomme ich so viel<br />
von meinen Modellen zurückgeschenkt.<br />
Das ist wie eine kurze, intensive Liebesaffäre<br />
zwischen uns. Ich kann gar nicht<br />
anders. Darum habe ich alle kommerzielle<br />
Arbeit schon vor Jahren aufgegeben.<br />
Seine Modelle zu lieben birgt natürlich<br />
auch die Gefahr, dass man sich gehen<br />
lässt, weil man dem Gegenüber schmeicheln,<br />
es erfreuen will. Am Ende hat man<br />
nicht das Foto, das man haben wollte. Es<br />
ist ein schmaler Grat, denn ich arbeite<br />
bestimmt und zielgerichtet. Zusammenarbeit<br />
ist so immer auch ein Kampf. Bei<br />
der Liebe kommt es überhaupt zu einer<br />
delikaten Balance aus Nähe und Distanz.<br />
Die französisch-bulgarische Philosophin<br />
Julia Kristeva hat diese wundervolle Beziehung<br />
mit dem Autor und Kritiker Philippe<br />
Sollers. Sie sind ein vertrautes Paar,<br />
leben aber getrennt.<br />
Ich selbst besitze keinen Diamantring.<br />
Trotzdem glaube ich an die Ehe. Ich habe<br />
mehrfach geheiratet. Ich mag es, geheiratet<br />
zu werden. Das kommt wahrscheinlich<br />
von meiner Kindheit her. Ich habe<br />
immer die Sorge, verlassen zu werden.<br />
Zwar brauche ich auch Freiheit in einer<br />
Beziehung. Doch diese ist in meinem<br />
Kopf. Ich mag nicht ohne meinen Partner<br />
leben. Ich liebe den Alltag, liebe es, neben<br />
jemandem aufzuwachen, die Zahnbürste<br />
zu teilen. Als Künstlerin habe ich schon<br />
in meiner Arbeit das Privileg, frei zu sein,<br />
Nein zu sagen. Nein zu einer Person, nein<br />
zu Dingen, die ich nicht tun möchte. Das<br />
ist die ultimative Freiheit. Beim Verlieben<br />
aber verliert man auch mal die Selbstbestimmung,<br />
man ist seinen Gefühle<br />
ergeben. Das passiert bei mir in Bruchteilen<br />
einer Sekunde. Jemand kommt in<br />
den Raum und plötzlich kann ich nicht<br />
mehr atmen. Ich verhalte mich dann total<br />
albern. Es ist schon seltsam, warum verliebt<br />
man sich? Es kommt oft vor, dass ich<br />
mich in Stimmen verliebe, in die Art, wie<br />
jemand spricht, die Worte. Ich bin sehr<br />
sensibel, was Sprache angeht. Ich schätze<br />
Worte mehr als alles andere in der Welt,<br />
sogar mehr als Bilder.<br />
Ich liebe Geschichten und Bücher. Ein<br />
Buch, das ich immer wieder lese, ist<br />
Die Schöne des Herren von Albert Cohen.<br />
Wenngleich die Liebesgeschichte tragisch<br />
endet. Mir wurde selbst einmal das<br />
Herz gebrochen. Er war ein Schriftsteller.<br />
Ich verliebte mich sofort, seine Texte<br />
waren virtuos. Für drei Jahre hatte ich<br />
Liebeskummer. Das war das einzige Mal,<br />
dass mir jemand das Herz brach. Normalerweise<br />
breche ich es anderen. Liebeskummer<br />
und Eifersucht sind menschlich.<br />
Sie sind plötzlich da und man muss<br />
damit umgehen. Ich glaube niemandem,<br />
wenn er sagt, oh nein, ich bin gar nicht<br />
eifersüchtig. Natürlich bin ich eifersüchtig.<br />
Man muss irgendwie damit umgehen.<br />
Man kann sich nicht auf den Boden<br />
werfen und schreien wie ein Kind. Mit<br />
meinen 60 Jahren fühle ich mich inzwischen<br />
selbstsicher. Ich weiß, was ich will<br />
und was ich geben kann. Zudem glaube<br />
ich an Vertrauen. Ich habe noch nie die<br />
Leben meiner Partner überwacht, um<br />
zu kontrollieren, ob jemand fremdgeht.<br />
Mein Partner fragt mich nicht, was ich<br />
tagsüber gemacht habe, und ich frage ihn<br />
nicht. Und das ist gut so.<br />
Bettina Rheims‘ Fotografien weiblicher Akte waren<br />
stilbildend. 1994 wurde ihr der „Grand Prix<br />
de la Photographie“ verliehen. Aufgewachsen<br />
in einer großbürgerlichen Pariser Familie, ist<br />
Rheims mittlerweile in vierter Ehe mit dem Anwalt<br />
Jean-Michel Darrois liiert.
LEBENDKONTROLLE<br />
FRAUEN EROBERN DIE GEFÄNGNISSE, OB FREIWILLIG<br />
ODER UNFREIWILLIG. ES GIBT IMMER MEHR WEIBLICHE<br />
GEFANGENE UND BEAMTINNEN – EINE REIHE PERSÖNLICHER<br />
BEGEGNUNGEN.<br />
Von Maja Hoock<br />
Fotos von Fabian Vaccaro<br />
Eine Gefangene bügelt in der Wäscherei (o.l.);<br />
Wegen der Gitter zwischen jeder Etage kommt man nicht weit (o.r.);<br />
Eine neue Insassin wird in die Viererzelle gebracht (u.l.);<br />
Dieser Häftling näht für die Schneiderei Babybettwäsche (u.r.)<br />
136
Seit Orange is the New Black muss<br />
ich jedes Mal, wenn ich eine Zahnbürste<br />
in der Hand halte, daran denken, dass sie<br />
angespitzt auch eine Waffe sein kann. Das<br />
Gefängnis ist in den Alltag gewandert, erst<br />
jetzt, mit dieser amerikanischen Internet-Serie,<br />
die das tägliche Leben im Frauenknast<br />
zeigt. Dabei hat es schon immer<br />
eine Rolle in meinem Leben gespielt: Meine<br />
Mutter ist Gefängnispsychologin für<br />
Frauen und Männer. Weil sie mit Schlägern<br />
im Anti-Gewalt-Training übt nicht<br />
handgreiflich zu werden, steht sie den<br />
Menschen skeptischer gegenüber, als andere.<br />
Sie wurde schon per Post belästigt;<br />
jetzt steht sie nicht mehr im Telefonbuch.<br />
Wenn man mit seinen Stellungnahmen<br />
mit darüber berät, ob jemand vorzeitig<br />
entlassen wird oder Lockerungen bekommt,<br />
wird man angreifbar. Jetzt gibt es<br />
also diese Serie. Und erst dadurch kommt<br />
es zu meinem ersten wirklichen Besuch<br />
im Gefängnis. Dass ihr Büro vergittert ist,<br />
erschreckt mich ein wenig. Es liegt direkt<br />
neben dem Bunker, einer Zelle ohne gefährliche<br />
Gegenstände. Das Büro ist dunkel,<br />
aber mit Bildern dekoriert und ich finde<br />
eine alte Muttertagskarte. Hier spricht<br />
sie mit Leuten, die Gewaltverbrechen begangen<br />
haben, Einbrüche oder Diebstähle,<br />
und die kennen jetzt also meine gelbe<br />
Karte. Das Gefängnis in Nürnberg wurde<br />
1865 gebaut und hat eine bewegte Geschichte,<br />
hier waren zu Zeiten der Nürnberger<br />
Prozesse Nazigrößen inhaftiert.<br />
Der Zellentrakt, in dem sich Hermann<br />
Göring erhängte, ist heute ein Durchgangsflur<br />
zwischen Männer- und Frauengefängnis.<br />
Hier wurden Filme wie Speer<br />
und Er, Bandits, Gier und einige Nazifilme<br />
gedreht. Über das unterirdische Gespinst<br />
aus Gängen kommt man von Trakt zu<br />
Trakt; hier hängen Schilder, an denen sich<br />
jeden Morgen die Arbeiter treffen, die zu<br />
Buchbinderei, Schlosserei und Schneiderei<br />
geführt werden. Alle paar Stunden<br />
ziehen Gefangene laut redend in Kolonnen<br />
vorbei. Insgesamt sitzen auf acht<br />
Hektar über 1.000 Gefangene, davon rund<br />
70 Frauen. Fünf Häuser sind alphabetisch<br />
angeordnet von A bis E; Untersuchungshaft,<br />
Jugendarrest, Frauentrakt und vier<br />
Männerhäuser. Nach jedem Gang muss<br />
eine vergitterte Türe auf- und wieder abgeschlossen<br />
werden. Die, die immer wieder<br />
gewalttätig werden, absolvieren in der<br />
Regel das Anti-Gewalt-Training meiner<br />
Mutter. Zehn Männer kommen einmal<br />
in der Woche zu ihr und sprechen über<br />
ihre Verbrechen, reden mit Opfern und<br />
machen Rollenspiele, um in schwierigen<br />
Situationen nicht mehr brutal, sondern<br />
angemessen reagieren zu können. Peter<br />
Henn* ist ein Teilnehmer des Anti- Gewalt-Trainings.<br />
Der 23-Jährige ist Boxer,<br />
wurde immer wieder von seinem Vater<br />
geschlagen und gab die Gewalt an dritte<br />
weiter. Er saß das erste Mal im Gefängnis,<br />
weil er alleine eine Gruppe von fünf Männern<br />
krankenhausreif geschlagen hat. Bei<br />
meiner Mutter ist er ganz zahm.<br />
Astrid Kerkhoff: Wenn man die Gefangenen<br />
wie Herrn Henn hier in dem Kontext<br />
trifft, sind sie meistens ruhig und nett.<br />
Man kann sich manchmal nicht vorstellen,<br />
dass sie diese Straftaten begangen<br />
haben. Das liegt oft daran, dass sie hier<br />
nüchtern sind und draußen oft auf Drogen<br />
oder Alkohol und ständigen Frustrationen<br />
ausgesetzt sind, die sich in Gewalt entladen.<br />
Hier wird ihnen viel abgenommen,<br />
wie Angelegenheiten mit Behörden, Job<br />
oder Wohnung. Dadurch, dass sie nüchtern<br />
sind, machen sie sich viele Gedanken.<br />
Peter Henn: Einem Psychologen würde ich<br />
nie diese ganzen Dinge erzählen. Bei Frau<br />
Kerkhoff habe ich einiges mitgenommen.<br />
Ich habe früher Kampfsport gemacht und<br />
auch in der Freizeit Herausforderungen<br />
gesucht. Ein kleiner Streit hat gereicht,<br />
dass ich ausgerastet bin. Dann habe ich<br />
für die Hell‘s Angels gearbeitet und einige<br />
schlimme Sachen gemacht. Damit bin ich<br />
durch. Ich habe eine Firma gegründet und<br />
bin straffrei, gerade bin ich nur wegen einer<br />
Formsache hier.<br />
Merkt man es den Leuten eigentlich<br />
irgendwie an, dass sie Gewalttäter<br />
sind?<br />
A.K.: Nein, überhaupt nicht. Niemand<br />
wirkt besonders brutal. Es könnte jeder<br />
sein.<br />
<strong>Fräulein</strong>: Hast Du Angst bei Deinem<br />
Job?<br />
A.K.: Nein, weil die Männer sich meistens<br />
nicht gegen Frauen so verhalten. In den<br />
meisten Fällen suchen sie sich niemanden,<br />
den sie als unterlegen betrachten.<br />
Und wenn einer mal ausflippt, würden einem<br />
die anderen neun der Gruppe helfen.<br />
Wenn ich Abends weggehe hast du<br />
aber abends schon eher Angst als andere<br />
Eltern. Ich musste Dich ständig<br />
anrufen.<br />
A.K.: Im Unterbewussten hinterlässt es<br />
vielleicht schon Spuren, hier zu arbeiten.<br />
Der Weg zur Schneiderei im Männergefängnis<br />
scheint nicht enden zu wollen.<br />
Doch dort angekommen löst sich die<br />
drückende Stimmung, die Luft ist frisch,<br />
es läuft Klassikradio und die Insassen arbeiten<br />
ruhig an ihren Nähmaschinen. Das<br />
Besondere ist, dass die sechs Gewalttäter<br />
und Diebe hier für eine Frau Babysachen<br />
nähen. Ulla Mörtel-Then ist eine der wenigen<br />
weiblichen Betriebsleiter in einem<br />
Männerknast und arbeitet seit fast 20<br />
Jahren hier, macht Modenschauen und<br />
Haft-Couture.<br />
War es nicht ungewohnt, so allein unter<br />
Männern zu arbeiten?<br />
Ulla Mörtel-Then: Es war schon merkwürdig.<br />
Ich dachte bis zu diesem Zeitpunkt<br />
immer, dass es schwieriger ist, mit Frauen<br />
zu arbeiten, musste meine Meinung aber<br />
grundlegend revidieren. Ich war eine der<br />
ersten Frauen im männlichen Werkdienst<br />
und die Männer waren einfach nicht darauf<br />
vorbereitet. Sie konnten es sich nicht<br />
vorstellen mit einer Frau im Vollzug. Ja, es<br />
war damals für mich wie der Einbruch ins<br />
tiefste Mittelalter.<br />
Überraschen die Häftlinge Sie auch?<br />
137
Oh ja, oft sind sie auch von sich selber<br />
überrascht. Die meisten kommen in meinen<br />
Betrieb, weil sie wissen, dass das<br />
Arbeitsklima passt. Mit Nähen haben sie<br />
nichts am Hut. Dann stellen sie plötzlich<br />
fest, dass sie total kreativ sind. Andere<br />
wiederum glauben, kreativ zu sein, haben<br />
aber die volle Hirnblockade, wenn es darum<br />
geht, wirklich mal einen Gedanken zu<br />
fassen.<br />
Wer hat sie zuletzt überrascht?<br />
Der Gefangene, mit dem ich zuletzt an<br />
einem Brautkleid genäht habe. Er konnte<br />
sich das nicht vorstellen und war frustriert<br />
bei der Arbeit. Jetzt, da es fertig ist,<br />
findet er es richtig cool. Er hätte ja nicht<br />
gedacht, dass das gut aussieht. Da ist<br />
diese Erfahrung, mal etwas Schönes zu<br />
machen, nicht immer nur der Trottel sein,<br />
der stört.<br />
Ulla Mörtel-Then in<br />
ihrer Schneiderei im<br />
Männertrakt der JVA<br />
(o.l.); Eine Gefangene<br />
raucht auf dem Flur<br />
(u.l.); Marta Haller*<br />
ist mit fast 70 eine der<br />
vielen älteren Frauen,<br />
die spät kriminell<br />
werden (r.);<br />
Wenn in der Viererzelle<br />
die Tür zugeht, ist es<br />
wie ein Stoß in den<br />
Magen. (nächste Seite)<br />
Der Mann, der das Brautkleid genäht hat,<br />
heißt Martin Schneider*, ist 36, gelernter<br />
Stuckateur und sitzt schon das fünfte Mal<br />
im Gefängnis. Dieses Mal ist er seit 20<br />
Monaten wegen Einbruch, Diebstahl und<br />
Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz<br />
in Haft. Er hat noch sieben Monate<br />
vor sich, hat tätowierte Unterarme, wie<br />
alle hier sehr blasse, ungesunde Haut und<br />
trägt die blaue Uniform der Männer.<br />
Woran arbeiten Sie gerade?<br />
Martin Schneider.: An Wickelauflagen<br />
und Babybettwäsche.<br />
Wie ist es für Sie, wenn Sie solche<br />
Dinge für Familien draußen herstellen?<br />
Am Anfang, als ich das erste mal im<br />
Knast war, ist mir das oft durch den Kopf<br />
gegangen. Ich habe am Bau mit Firmen<br />
gearbeitet, die von draußen reinkamen.<br />
Ich war 40 Monate inhaftiert, klar dachte<br />
ich oft daran, dass die Leute Abends wieder<br />
gehen können und ein Leben haben.<br />
Beim zweiten Mal war es schon weniger<br />
schlimm, beim dritten gar kein Problem<br />
mehr, jetzt ist es das fünfte Mal.<br />
138
139
140
Können Sie sich an Ihren allerersten<br />
Tag erinnern?<br />
M.S.: Lebhaft. Ja. Wenn die Zellentüre zugeht,<br />
ist das Gefühl ziemlich heftig. Man<br />
kann sich bis dahin nicht vorstellen, dass<br />
die wirkliche Strafe im Gefängnis der Freiheitsentzug<br />
ist. Man kann nicht mehr machen,<br />
was man will. Man kann nirgends<br />
mehr hin und ist darauf angewiesen, dass<br />
jemand die Türe aufsperrt, um aus dem<br />
Raum zu können. Das ist eine Katastrophe.<br />
Sich am Anfang reinzufinden und<br />
das ganze Theater mitzumachen, diesen<br />
ganzen aufgezwungenen Tagesablauf ...<br />
Wie lange dauert es, bis das nachlässt?<br />
M.S.: Drei bis vier Monate. Danach zählt<br />
man keine Tage mehr und zählt weder<br />
vorwärts noch rückwärts. Dadurch, dass<br />
jeder Tag gleich ist, verliert man das Zeitgefühl<br />
und kann nicht sagen, ob ein Ereignis<br />
eine Woche zurück liegt, zwei Wochen<br />
oder einen Monat. Es gibt keine Anhaltspunkte,<br />
als würde man durch eine Wüste<br />
laufen.<br />
Aus der Schneiderei gehen wir in das<br />
Haus gegenüber. Wieder geht es durch<br />
einen unterirdischen Flur, dann über den<br />
eingezäunten Hof. Dabei rufen und pfeifen<br />
die Gefangenen aus ihren vergitterten<br />
Fenstern. Auf dem Weg begleitet einen<br />
ein permanentes schlechtes Gewissen,<br />
dass man hier am Ende des Tages wieder<br />
raus darf, während die anderen bleiben<br />
müssen. Das Gebäude, in dem die Frauen<br />
untergebracht sind, ist innen in Pastellfarben<br />
gestrichen; die Türe zur Wäscherei<br />
steht offen. Eine drogensüchtige junge<br />
Frau belädt den Trockner mit Gefängnisbettwäsche.<br />
Ihre Beine und der Hals<br />
sind schwarz von den Einstichen. Arbeit<br />
lenkt sie ab; von 70 Frauen, die hier einsitzen,<br />
gibt es aber nur Jobs für zehn. Man<br />
muss sich wie im normalen Leben auf die<br />
Stellen bewerben. Wenn man Pech hat,<br />
sitzt man den ganzen Tag auf der Zelle,<br />
die hier Haftraum genannt wird. Der Tag<br />
sieht dann immer gleich aus. Um sechs<br />
Uhr morgens gibt es die „Lebendkontrolle“,<br />
bei der man sich aufrecht ins Bett<br />
setzen muss, damit die Wärter prüfen,<br />
ob man lebt. Dann werden Medikamente<br />
und Post ausgeteilt, nach dem Frühstück<br />
folgen ein paar Stunden in der Zelle, eine<br />
Stunde Hofgang und ein paar Stunden,<br />
die man in den Fluren verbringen kann.<br />
Die Essen geben den Tagesrhythmus vor<br />
wie im Krankenhaus. Am Wochenende<br />
gibt es schon um drei Uhr Abendessen.<br />
Samstags isst man hier grundsätzlich<br />
Eintopf, am Sonntag Braten und unter<br />
der Woche alles mögliche, aber es soll<br />
immer schrecklich sein. Abends schauen<br />
die Häftlinge fern oder spielen Brettspiele.<br />
Dreimal die Woche ist Besuchszeit. Und<br />
an manchen Tagen kann man zum Arzt<br />
oder zur Psychologin. Das ist das Highlight<br />
der Woche, weil es Abwechslung ist.<br />
Darum grüßen die Frauen meine Mutter<br />
auch, als wir vorbeigehen. Sie wollen einen<br />
Termin. Das geht jetzt aber nicht,<br />
denn sie führt mich zur Insassin Nina<br />
Pauly*. Die 29-Jährige hat hüftlanges Haar,<br />
ist blass und trägt einen braunen Haftanzug,<br />
ganz wie Piper Chapman in der Serie<br />
Orange is the new Black. Auch sie sitzt<br />
wegen Drogen ein.<br />
Sind Sie alleine auf der Zelle?<br />
Nina Pauly: Nein, es ist eine Viererzelle.<br />
Ein Mädchen kenne ich schon lange von<br />
draußen, das ist cool. Bei den Männern<br />
sind es noch mehr; beim Arztbesuch und<br />
der Methadon-Ausgabe sieht man einige<br />
bekannte Gesichter.<br />
Warum sind Sie hier?<br />
Ich hatte zwei Geldstrafen über mehrere<br />
tausend Euro wegen Diebstahl, unerlaubtem<br />
Waffenbesitz, Einbruch in eine<br />
Apotheke und Schwarzfahren. Außerdem<br />
habe ich Chrystal Meth aus Tschechien<br />
geschmuggelt und meine Bewährung<br />
wurde verlängert. Ich habe monatliche<br />
Raten gezahlt, dann wurde ich am Bahnhof<br />
verhaftet, weil das Geld nicht mehr<br />
eingegangen ist.<br />
Eine Beamtin schließt die hellblaue Türe<br />
einer Vierer-Zelle auf. Die Betten stehen<br />
an der Wand, in der Mitte ein Tisch, an<br />
dem eine blonde Frau Briefe schreibt. Sie<br />
wurde erst heute eingesperrt und fährt<br />
sich ständig durch die Haare. Auf dem<br />
Bett sitzt eine Frau mit pinkfarbenem<br />
Zopf und abrasierten Seiten. Alle sind<br />
jung und nach kurzer Zeit könnte man<br />
vergessen, dass sich hier keine Freundinnen<br />
zum Kaffee getroffen haben, sondern<br />
dass die vier wegen Einbruch und Drogendelikten<br />
mehrere Monate in diesem<br />
Zimmer verbringen müssen. Im Regal<br />
steht ein Stapel Margarinepackungen von<br />
den Entlassenen, die sie nicht mehr brauchen.<br />
Man nimmt, was man bekommen<br />
kann, um es einzutauschen gegen Zigaretten<br />
oder Kaffee. Als wir die Zelle wieder<br />
von außen schließen, bleibt ein seltsames<br />
Gefühl. Jetzt sind diese Frauen hinter der<br />
Türe und müssen warten, dass sie wieder<br />
aufgesperrt wird, um ein paar Schritte gehen<br />
zu können.<br />
Über vorzeitige Hafterleichterungen,<br />
Ausgang und Urlaub, Besuch oder Disziplinarverfahren<br />
entscheidet im Gefängnis<br />
die Abteilungsleiterin. Tanja Oberndörfer<br />
ist Juristin und seit 2007 Abteilungsleiterin<br />
des Männer-Traktes. Die 37-Jährige<br />
sagt, früher sei es eine absolute Ausnahme<br />
gewesen, dass jüngere Frauen ein<br />
Männergefängnis führen. Heute würden<br />
es immer mehr.<br />
Inwiefern unterscheidet sich das<br />
Frauen- vom Männer-Gefängnis?<br />
Tanja Oberndörfer: In den Anliegen und<br />
in der Art der Kommunikation. Frauen<br />
haben einen größeren Gesprächsbedarf<br />
und sind in ihren Anliegen oft intensiver.<br />
Das macht die Arbeit mit ihnen oft emotional<br />
sehr anstrengend, das kann auch<br />
auslaugen. Trotzdem habe ich die Arbeit<br />
mit Frauen stets als sehr angenehm empfunden,<br />
schließlich bin ich selbst eine und<br />
damit den weiblichen Inhaftierten näher<br />
als einem männlichen Gefangenen.<br />
Haben die meisten Gefangenen ihr<br />
Leben lang einem bestimmten Milieu<br />
verbracht?<br />
Ja, aber nicht zwingend. Immer wieder<br />
gibt es auch Leute, die waren bis weit<br />
hoch ins Rentenalter völlig unbescholtene<br />
Bürger. Dann kommt ein Schicksalsschlag<br />
und sie geraten auf einmal auf die schiefe<br />
Bahn.<br />
Marta Haller* ist so eine Gefangene. Ihr<br />
ist langweilig. Sie sitzt in einer Einzelzelle,<br />
drei Quadratmeter, ein Bett, ein Tisch,<br />
ein Klo. Sie gehört zu den berühmten<br />
„älteren Ersttäterinnen“. Immer mehr<br />
Frauen werden mit der Rente kriminell,<br />
weil ihre Ehemänner, die in ihrer Generation<br />
oft das Geld nach Hause gebracht<br />
haben, gestorben sind und zu wenig Geld<br />
reinkommt, um einigermaßen gut davon<br />
Leben zu können. Außerdem sind die Alten<br />
immer länger fit. Marta Haller ist fast<br />
70 Jahre alt, war für eine Zeitung tätig und<br />
hat sich nie etwas zu Schulden kommen<br />
lassen, bis das Geld plötzlich nicht mehr<br />
gereicht hat, um Futter für ihre Haustiere<br />
zu kaufen. Darum hat sie kurzentschlossen<br />
angefangen, Handtaschen zu klauen,<br />
Computerbetrug zu begehen und in Wohnungen<br />
einzubrechen.<br />
Marta Haller: Ich hoffe nur, meine Familie<br />
findet eine Unterkunft für die Tiere, sie<br />
sind doch mein ein und alles.<br />
Wie lange sind Sie noch hier?<br />
Ich habe vier Jahre bekommen, mein Anwalt<br />
sagt aber, bei guter Führung komme<br />
ich nach zweien raus. Ich bin aber nicht<br />
mehr lange in diesem Gefängnis, sondern<br />
werde verlegt.<br />
Haben Sie Angst davor?<br />
Nein, ich freue mich. Dort wird viel mehr<br />
angeboten, es gibt Sport- und Kunstgruppen.<br />
Hier bin ich den ganzen Tag in dieser<br />
kleinen Zelle. Ich kann bald nicht mehr.<br />
Wirklich.<br />
*Namen geändert<br />
Die kompletten Interviews und die ganze Bildstrecke<br />
gibt es auf <strong>Fräulein</strong>-Online.<br />
Die Gefangenen werden aus persönlichkeits-rechtlichen<br />
Gründen von hinten gezeigt.<br />
141
FASHION<br />
Von Robert Grunenberg, Fotos von Kristiina Wilson, Styling von Bernat Buscato<br />
Stylingassistenz von Dawn Jackson, Haare & Make-up von Carmen Williamson<br />
VOM BLOG ZUM<br />
AMBER VENZ BOX‘ START-UP<br />
REWARDSTYLE MISCHT DIE<br />
MODEWELT AUF. ZWISCHEN<br />
MAGAZINEN, KUNDEN UND<br />
MARKEN VERMITTELND<br />
VERDIENT SIE MILLIONEN.<br />
WIE GEHT DAS?<br />
Die märchenhafte Erfolgsgeschichte<br />
der Amber Venz Box beginnt in Dallas,<br />
Texas. Der Lone Star State im Süden der<br />
USA ist bekannt für seine Ölmillionäre,<br />
Megakirchen und Rodeoreiter. „Unabhängigkeit<br />
und finanzielle Verantwortung<br />
sind wichtige Werte für Texaner“, sagt<br />
Amber, Tochter einer Stewardess und eines<br />
Versicherungsberaters. „Texas könnte<br />
sich ohne weiteres aus dem Staatenbund<br />
lösen, dafür reicht ein Brief an den Präsidenten“,<br />
fügt die 26-Jährige hinzu. Dieser<br />
Unabhängigkeitsgedanke inspirierte<br />
die junge Unternehmerin, selbstverantwortlich<br />
zu arbeiten. „Als Kind war ich<br />
schüchtern, doch meine Mutter gab mir<br />
Selbstvertrauen, in dem sie mir sagte‚<br />
stille Wasser sind tief ’. Ich musste nicht<br />
die Lauteste oder Beliebteste sein“. Sie<br />
konzentrierte sich auf ihre Interessen.<br />
Kenntnisse und Fähigkeiten waren für<br />
sie wertvoller als sozialer Erfolg. „Ich arbeitete<br />
konstant während des Colleges,<br />
auch im Sommer, erfüllte keine sozialen<br />
Erwartungen. Mein Erfolg von heute<br />
zeigt, dass das für mich ein besseres Investment<br />
war, als Popularität. Meine Eltern<br />
haben mir die soziale Angst genommen,<br />
die Menschen davon abhalten kann,<br />
ihre Träume zu verfolgen.“<br />
Ihre Ziele steckte sich Amber früh. Mit 19<br />
legte sie ihren Eltern einen Karriereplan<br />
auf den Küchentisch. Sie machte Praktika<br />
in Kalifornien als Stylingassistenz, ging<br />
zum Online-Shop Thakoon in New York<br />
und arbeite während des Studiums als<br />
Einkäuferin einer Boutique, in der wohlhabende<br />
Frauen beim Shoppen ihr Geld<br />
ließen – und davon gibt es viele in Dallas.<br />
„Frauen aus Dallas putzen sich gerne<br />
heraus, kleiden sich schick – ihr Haar,<br />
ihr Make-up ist immer gemacht.“ verrät<br />
Amber, die selbst eine perfekte Föhnfrisur<br />
trägt. Das Luxuskaufhaus Neiman<br />
Marcus kommt aus Dallas, deshalb reisen<br />
immer wieder bekannte Modedesigner in<br />
die Stadt. Als Karl Lagerfeld Ende 2013<br />
zu Ehren des Kaufhauses eine exklusive<br />
Chanel-Schau nach Dallas brachte, ist ein<br />
regelrechter Texas-Hype in der trendvernarrten<br />
Modewelt zu spüren.<br />
Auch Amber Venz heizt diesen Kurs an.<br />
Top und Rock Marni<br />
Sonnenbrille Dolce & Gabbana<br />
Schuhe Fendi<br />
142
MILLIONENGESCHÄFT<br />
143
Cape Burberry Prorsum über theoutnet.com<br />
Ringe Model‘s own<br />
Armband Cartier<br />
144
„WIE BITTE VERDIENT MAN GELD MIT EINEM BLOG?“<br />
Gleichzeitig bringt sie ein bisschen Silicon-Valley-Stimmung in die Region, allerdings<br />
ohne das Boys-Club-Siegel, das der Tech-Szene anhaftet. Erfolgreiche Geschäftsfrauen<br />
wie Amber rütteln an diesem Image. Die ersten Schritte in die Fash-Tech machte Amber<br />
mit ihrem Blog, in dem sie wie viele junge Modebegeisterte zur Mitte der Nullerjahre<br />
ein neues Format entdeckte, das rasch das Establishment der Modeindustrie umwälzen<br />
sollte. Die Blogoshphäre hat die elitäre Modewelt ein bisschen demokratisiert, weil sie<br />
Inhalte über kostenlose Onlinekanäle zugänglich machte. Junge, modebegeisterte Blogger<br />
der Generation Y, in deren Kinderzimmern schon Computer standen, hatten zwar<br />
nicht die Expertise oder journalistische Kompetenz der alten Printmedien. Dennoch<br />
hatten sie etwas zu sagen. Und wie sie es sagten: In persönliche, lebensnahe Berichte<br />
mischten sie teure, günstige und sogar No-name-Marken. Sie machten ungewöhnliche<br />
Produktfotos und transformierten sich selbst zu Modellen. Alles wirkte authentisch.<br />
Amber Venz Box verstand den Wunsch nach Authentizität der Generation Y, zu der sie<br />
gehörte. Noch bevor sie bloggte, fertigte sie während ihrer High-School-Zeit Schmuck<br />
an. Nachdem sie einen Abschluss in Corporate Communications und Public Affairs<br />
erlangte, schob sie lange Schichten in einer Designerboutique, in der sie bald ihren<br />
Schmuck verkaufte. In dieser Zeit traf sie ihren späteren Ehemann und Geschäftspartner<br />
Baxter Box. Mit wenig Enthusiasmus hörte er Amber zu, wie sie begeistert über<br />
Mode und ihren Schmuck berichtete. Während einer Reise in Miami sagte Baxter latent<br />
genervt: „Du musst wirklich einen Blog starten, damit Du Leute erreichst, die das tatsächlich<br />
interessiert.“ Kurz darauf war Ambers Blog Venzedits geboren, der Haussegen<br />
bewahrt. Ihr Blog wurde innerhalb weniger Monate populär.<br />
Schließlich stellte Amber sich die Frage, wer die Produkte, die sie bewarb, wo kaufte.<br />
Als Baxter Amber von sogenannten Affiliate Links erzählte – Hyperlinks, die das Kaufverhalten<br />
transparent machen, indem Cookies gespeichert werden – ging beiden ein<br />
Licht auf. Die Idee war so einfach wie genial: Amber versieht ein Produkt auf ihrem<br />
Blog mit einem Affiliate Link, wer es anklickt, wird zu einem Online-Shop weitergeleitet,<br />
wo das Produkt erhältlich ist. Kauft der Leser dieses Produkt, erhält Amber eine<br />
Prämie. Dieses Prinzip gab es bereits in anderen Branchen, doch noch niemand hatte es<br />
für Modeblogs angewendet. Amber und Baxter machten sich daran, eine Plattform zu<br />
entwickeln, die diese Infrastruktur auch für andere Blogs bereitstellte. Sie etablierten<br />
eine Win-win-win-Situation: Händler können mehr verkaufen, Blogger erhalten eine<br />
Kommission und das Unternehmen, dass die Transaktion bereitstellt und die Kommissionen<br />
verhandelt, erhält einen Teil des Verkaufsgeschäfts. Das war Ambers und<br />
Baxters Geschäft – RewardStyle war geboren. 2011 ging eine Testversion an den Start,<br />
finanziert durch Kapital von Freunden und Familie. Amber fragte befreundete Blogger,<br />
ob sie diese Links einbauen würden, sie hätten keine Kosten, keine Verträge, sie sollten<br />
nur schauen, ob sie damit Geld verdienen würden. In wenigen Monaten hatte Amber<br />
einflussreiche Blogs an Bord, Into the Gloss oder Who What Wear – und alle machten<br />
sofort Geld.<br />
Je nach Marke und Produkt erhält der Blogger zehn bis 30 Prozent des Verkaufswerts,<br />
Amber erhält hiervon eine Prämie und eine Kommissionsrate vom Händler. Blogs verdienten<br />
jetzt nicht mehr nur, in dem sie zum Beispiel das Werbebanner einer Marke<br />
auf ihre Seite integrierten, sondern einfach durch das Bereitstellen eines Links. Das<br />
Geld kommt dann einfach durch’s Klicken. Baxter und Amber zogen bald darauf in ihr<br />
erstes Büro und stellten eine Buchhalterin ein. Auf kleine und größere Blogs folgten<br />
schließlich Webseiten der traditionellen Magazine: Vogue, Teen Vogue und Glamour<br />
wurden Kunden. Ambers Unternehmen arbeitet heute mit 14.000 Verlegern aus 72<br />
Ländern, hat über 4.000 registrierte Marken. Es gibt kaum ein Presse-Outlet, das nicht<br />
mit RewardStyle arbeitet. Ein mächtiges, fast monopolartiges Feature in der Modeindustrie.<br />
Die 26-Jährige hat heute 87 Mitarbeiter in ihrem Hauptquartier in Dallas und<br />
einer Zweigstelle in London, jeder Dritte ist unter 30. Sie fügt hinzu: „Ich bin für eine<br />
demokratische, leistungsbasierte Industrie. Herkunft, Abstammung und traditionelle<br />
Bildung werden immer mehr ersetzt durch Kreativität, Talent und Hingabe“. Dabei trifft<br />
RewardStyle einen Zeitnerv. Mehr als eine irgendeine Generation zuvor sind die Millennials<br />
mit Medien ausgestattet, um eigene Inhalte zu kreieren, zu teilen und zusammen<br />
zu führen. „Das Bereicherndste an meinem Job ist, dass wir tausende junger Kreative<br />
mit unserer Technologie befähigen, Geld mit dem zu verdienen, was sie lieben“. Mit<br />
dieser Infrastruktur schafft RewardStyle Jobs auf der ganzen Welt. Auch ihr neuestes<br />
Tech-Produkt wurde unter diesen Vorzeichen designt. Als sich seit letztem Jahr herausstellte,<br />
dass Blogs immer mehr Konkurrenz von Instagram bekommen, entwickelten<br />
Amber und Baxter ein entsprechendes Affiliate-Link-System. Mit LIKEtoKNOW.it<br />
stellten beide im Herbst 2013 einen Service vor, der eine E-Mail an registrierte Benutzer<br />
sendet, sobald sie ein Foto auf Instagram liken. In der E-Mail befinden sich freigestellte<br />
Produktbilder, die sich auf die Instagram-Looks beziehen und Affiliate-Links zu den<br />
entsprechenden Online-Shops enthalten. Im März 2014 kam ihre App auf den Markt<br />
und Vogue.com teilte ihren zwei Millionen Instagram-Followern mit, dass ihre Looks<br />
jetzt über LIKEtoKNOW.it geshoppt werden können. Eine Medienlawine ging los und<br />
RewardStyle landete einen Riesencoup. „In den Kreativindustrien hängt heute alles mit<br />
Strategien des Online-Vertriebs zusammen“, sagt Amber. Und Instagram sind die neuen<br />
Blogs. Der Erfolg von Amber und Baxter gründet in diesem Blick für die technischen<br />
Möglichkeiten des Affiliate-Marketings und einem Jagdinstinkt für die Bedürfnisse der<br />
Generation Y. Mit ihrem Angebot haben sie hunderten unabhängigen Verlegern und<br />
Autoren auf der ganzen Welt eine Plattform gegeben, um Geld mit digitalen Inhalten zu<br />
generieren – etwas das es vor dem Launch von RewardStyle 2011 nicht gab. Mit einem<br />
Umsatz, der 2014 die 200 Millionen-Dollar-Grenze knacken könnte, haben Amber und<br />
Baxter eines der erfolgreichsten Start-ups in der Modewelt etabliert und eine weitere<br />
Brücke zwischen der Mode- und der Tech-Community hergestellt.<br />
Sweater und Rock Valentino<br />
Schuhe Prada<br />
„NUR ÜBER KLICKS“<br />
145
EROTIK<br />
Von Maja Hoock<br />
Foto von Revan Baysal<br />
EROTIC<br />
CRISIS<br />
DIE INSZENIERUNG EROTIC CRISIS VON YAEL RONEN<br />
SIEHT DIE LANGZEITLIEBE IN DER KRISE<br />
146
<strong>Fräulein</strong>: Mal ganz dramatisch<br />
gefragt: Befindet sich die Liebe in einer<br />
Krise?<br />
Yael Ronen: Liebe generell nicht. Sie findet<br />
immer ihren Weg. Was man von einer<br />
Beziehung erwartet, das verändert sich.<br />
Die normative Vorstellung der monogamen<br />
Beziehung befindet sich in einer<br />
Krise und wir müssen einen neuen Umgang<br />
mit Langzeitbeziehungen entwickeln.<br />
Heutzutage haben wir viel größere<br />
Erwartungen daran, wie eine gute Beziehung<br />
sein soll, als früher. Unsere Großeltern<br />
hatten andere Vorstellungen davon,<br />
wie Familie und Ehe funktionieren.<br />
Jetzt erwarten wir, dass wir jemanden<br />
finden, der alles für uns ist. Wir erwarten,<br />
glücklich zu sein und das Gefühl<br />
ewig aufrecht erhalten zu können.<br />
Wahrscheinlich hatte man auch vor<br />
100 Jahren ähnliche Probleme, als es<br />
um die Liebe ging: Eifersucht, Verlustängste<br />
oder das Gefühl, mit dem<br />
Falschen zusammen zu sein.<br />
Aber gleichzeitig hat man aus rationalen<br />
Gründen geheiratet und Liebesehen waren<br />
ein Luxus, den sich die meisten Menschen<br />
nicht leisten konnten. Man hatte<br />
andere Ansprüche.<br />
Sie beschäftigen sich mit dem Sexleben<br />
in langen Beziehungen. Was interessiert<br />
Sie daran?<br />
In der Kunst geht es normalerweise um<br />
die extreme, um die aufregenden Seiten<br />
der Liebe, also wenn Menschen sich gerade<br />
verlieben und entdecken. Darüber<br />
schreibt man Songs und Filme. Ich versuche,<br />
die andere Seite zu thematisieren:<br />
Was passiert mit einem Paar nach<br />
dem ersten Kind oder nach zehn Jahren<br />
Beziehung? Darüber wird wenig gesprochen,<br />
weil diese Themen unsexy sind.<br />
Mir ist dabei aufgefallen, dass eines der<br />
größten Tabus nicht perverser Sex ist,<br />
sondern schlechter oder gar kein Sex;<br />
wenn Menschen lange zusammen sind<br />
und selten miteinander schlafen.<br />
In Ihrem Stück Erotic Crisis geht es<br />
also um das langsame Sterben des<br />
Sex?<br />
Um Menschen, die sich lieben, die zusammen<br />
sein wollen und tief verbunden<br />
sind, aber erfahren, dass etwas nicht<br />
mehr funktioniert.<br />
Haben Sie Langzeitbeziehungen<br />
erlebt und würden sagen, es lohnt<br />
sich?<br />
Ich bin seit acht Jahren verheiratet und<br />
habe ein fünfjähriges Kind. Für mich ist<br />
eine Familie auf jeden Fall etwas, für das<br />
es sich zu kämpfen lohnt. Ich bin persönlich<br />
durch Krisen gegangen und wenn<br />
ich kein Kind gehabt hätte, hätte ich womöglich<br />
aufgegeben. Dass wir eine Familie<br />
sind, hat dazu geführt, dass ich bereit<br />
war, Dinge zu ändern. Es ist eine Herausforderung<br />
und mit einer Krise ist es nicht<br />
erledigt. Man stellt sich der einen, dann<br />
folgt die nächste. Wenn nicht jetzt, dann<br />
kommt sie später. Aber sie kommt.<br />
Fühlen Sie sich in einer Form vollständig,<br />
indem sie mit einem anderen<br />
Menschen leben? Manche Leute<br />
erzählen ja von ihrer zweiten Hälfte,<br />
wenn es um Langzeitbeziehungen<br />
geht.<br />
Ich persönlich habe so etwas nie erlebt<br />
und glaube nicht daran. Es gibt definitiv<br />
mehr als einen Menschen, mit dem<br />
man sein Leben leben könnte. Ich bin<br />
keine Fatalistin und denke nicht, dass<br />
man füreinander geschaffen sein kann.<br />
Menschen suchen einander aus vielerlei<br />
Gründen aus, manchmal sind es<br />
nicht unbedingt die besten. Aber ab dem<br />
Zeitpunkt, ab dem man etwas zusammen<br />
aufgebaut hat, ist der Einsatz höher<br />
und man macht nicht mehr so einfach<br />
Schluss.<br />
Haben Sie sich wegen Ihrer eigenen<br />
Eheerfahrungen dazu entschlossen,<br />
das Stück zu schreiben?<br />
Nicht nur. In meinem Umfeld sind die<br />
meisten Leute verheiratet oder in langen<br />
Beziehungen und werden von Paaren zu<br />
Familien. Ich habe das als einen sehr dramatischen<br />
und spannenden Wandel erlebt,<br />
besonders was das Sexleben angeht.<br />
Als ich das Thema in meinem Freundeskreis<br />
aufgebracht habe, stellte sich heraus,<br />
dass die Fälle im Prinzip ähnlich<br />
sind. Jedes Paar, das lange zusammen ist<br />
und zumindest versucht, monogam zu<br />
leben, wird damit konfrontiert.<br />
Wäre eine ideale Beziehungsform<br />
also Ehe plus Lover?<br />
Für manche Menschen sicher. Wenn<br />
man damit umgehen kann, kann das<br />
bestimmt einige Probleme lösen – wenn<br />
nicht, schafft man dadurch einen Haufen<br />
neuer. Ich glaube nicht, dass es ein ideales<br />
Modell gibt. Doch es ist ziemlich offensichtlich,<br />
dass das bestehende Modell<br />
eine Art Fassade, eine Lüge ist. Das sieht<br />
man daran, dass es nicht oft funktioniert,<br />
in einer langen monogamen Beziehung<br />
zu leben. Es passiert aber nicht bewusst,<br />
denn die Liebenden glauben ja daran und<br />
es gibt auch Zeiten, in denen sie sehr<br />
glücklich und erfüllt sind.<br />
Haben Sie eine offene Beziehung<br />
versucht?<br />
Nein. Theoretisch wirkt das sehr anziehend<br />
auf mich, aber ich kenne nur<br />
ein Paar, bei dem es zu funktionieren<br />
scheint. Oft weiß das Paar selbst nicht,<br />
dass etwas schiefläuft. Einer erlebt etwas,<br />
von dem der andere keine Ahnung<br />
„EINES DER<br />
GRÖSSTEN<br />
TABUS IST NICHT<br />
PERVERSER,<br />
SONDERN<br />
SCHLECHTER<br />
ODER GAR KEIN<br />
SEX“<br />
hat, oder sie gestehen sich Dinge nicht<br />
ein. Darum sind die Leute oft überrascht,<br />
wenn ihre Beziehung dann total zerfällt.<br />
Das passiert also unbewusst?<br />
Ja, es wird viel geleugnet und viele Menschen<br />
verbergen Dinge vor ihren Partnern<br />
und sich selbst. Oft haben sie Angst<br />
davor, zu scheitern, besonders wenn sie<br />
bei Freunden und Familie immer ein<br />
Vorzeigepaar waren. Jede Trennung ist<br />
schmerzhaft.<br />
Wie haben Sie zum Thema Sex in<br />
langen Beziehungen eigentlich recherchiert?<br />
Alles, was wir machen mussten war, die<br />
Menschen um uns herum zu fragen und<br />
auch an unsere eigenen Geschichten zu<br />
denken. Die meisten Leute wollen sich irgendwann<br />
festlegen und Kinder bekommen.<br />
Viele befinden sich im ersten Jahr<br />
nach der Geburt in einer Krise. Meine eigene<br />
Beziehung hat das auf die heftigste<br />
Art und Weise durchgeschüttelt.<br />
Wie würden Sie diese Krise genauer<br />
beschreiben?<br />
Im Leben geht es plötzlich nicht mehr<br />
um dich, sondern um ein Dreiergespann,<br />
da ist immer jemand anderes, wenn man<br />
ein Kind bekommt. Dann wird man mit<br />
all dem konfrontiert, was man selbst mit<br />
den eigenen Eltern erlebt hat – all diese<br />
Dinge, mit denen Psychiater ihr Geld verdienen.<br />
Und, haben Sie noch Sex mit Ihrem<br />
Mann?<br />
Das ist so eine Sache ... In der letzten<br />
Phase der Schwangerschaft und direkt<br />
nach der Geburt kann man keinen Sex<br />
haben. Plötzlich kommt man von einer<br />
sehr intimen Beziehung zu einer körperlichen<br />
Distanz und hat ein halbes Jahr<br />
lang keinen Sex mehr. Man setzt sich als<br />
Frau mit dem Körper und der Tatsache<br />
auseinander, dass dem Baby jetzt ein Teil<br />
davon gehört. Alles muss neu justiert<br />
werden.<br />
Wie kann man nach so einer Phase<br />
die Sexualität neu entdecken?<br />
In meinem Fall war die Geburt ein Auslöser,<br />
der Probleme ans Tageslicht gebracht<br />
hat, die seit Jahren zwischen mir<br />
und meinem Mann standen oder wir aus<br />
der Kindheit mitgebracht haben. Darum<br />
spielte sich unsere Krise vor allem auf<br />
einer psychologischen, nicht nur auf einer<br />
körperlichen Ebene ab. Dazu kommt<br />
die Tatsache, dass man nicht mehr so<br />
zusammen funktioniert wie zuvor. Aber<br />
die gute Nachricht ist: Nach einem Jahr<br />
fängt es an, wesentlich besser zu werden.<br />
Und wenn die Wunde nicht zu tief ist und<br />
das Paar nicht versucht, die Probleme zu<br />
ignorieren, sondern für sich zu kämpfen,<br />
kann es wieder gut werden.<br />
„Erotic Crisis“ läuft aktuell am Maxim Gorki<br />
Theater, Am Festungsgraben 2, 10117 Berlin<br />
147
NATURKUNDE MUSEUM<br />
Von Alina Amato<br />
Fotos: Museum für Naturkunde Berlin<br />
SAMSAS<br />
KÄFER WURDEN IN DER ANTIKE ALS SYMBOL DES<br />
SIND SIE MIT EKEL UND ABSCHEU BELEGT.<br />
Die Eingangshalle des Naturkundemuseums gleicht einem magischen Zeitfenster.<br />
Bis hoch unter die Glaskuppel reichen die Dinosaurierskelette und nehmen einen<br />
in Empfang. Jurassic Park in Berlin. Nach jahrelanger aufwändiger Restaurierung ist<br />
das Museum ein aus der Zeit gefallener Zauberraum, trotzdem modern und dazu gut<br />
besucht. Die physische Begegnung mit jahrtausendealten Exponaten und Artefakten<br />
scheint auch mit dem Internet aufgewachsenen Menschen noch ein Gefühl der Erhabenheit<br />
zu geben. Es gibt also Hoffnung.<br />
Hier läuft seit geraumer Zeit ein Projekt, das vom Umfang her ebenso beeindruckend<br />
ist wie die Sammlung selbst: die Digitalisierung der Bestände und vor allem die der<br />
Kästen mit Insekten. 10.000 davon sollen als hochauflösende Scans online für jedermann<br />
abrufbar werden. Der Digitalisierung gelingt es vielleicht nicht, die Aura der<br />
Exponate und des Museums zu erhalten, doch viele der Insektenkörper sind über<br />
hundert Jahre alt und von Transport und Lagerung gezeichnet. Also ab mit ihnen in<br />
die Cloud.<br />
Das Digitalisierungsprojekt gibt den Blick auf eine unglaubliche Vielfalt frei. Insekten<br />
sind die artenreichste Gruppe aller Lebewesen, Käfer mit rund 350.000 Unterarten<br />
ihre umfangreichste Klasse. Es gibt kleine, schillernde Exemplare, die im Sonnenlicht<br />
ihre giftgrünen Flügel tanzen lassen. Die Großtiere haben prächtige Panzer, die als<br />
Schutzschilde wirken und Spuren von Kämpfen tragen. Ein solches Tier ist der Goliathkäfer,<br />
der bis zu zehn Zentimeter groß werden kann. Der schwarz-weiße Panzer<br />
wirkt hart, bedrohlich, hochmütig und dennoch scheint er so, als hätte ein feiner Farbpinsel<br />
das filigrane Muster gezeichnet.<br />
Käfer waren bei den Pharaonen ein wichtiges kulturelles Symbol. Sie galten als emsig<br />
148
ERBEN<br />
SONNENLAUFES VEREHRT. SEIT DER MODERNE<br />
DER VERSUCH EINER EHRENRETTUNG.<br />
und strebsam. Im alten Ägypten wurde der Pillendreher, der Skarabäus-Käfer, als göttliches<br />
Zeichen gesehen. Aus dem Mist anderer Tiere bastelt er sich eine Kugel zusammen<br />
und schiebt diese vor sich her. Für die Ägypter ein Sinnbild für den Sonnenlauf.<br />
Viel mehr Respekt geht nicht.<br />
Nun soll man der Sonne nicht zu nahe kommen. Mit der Moderne kam der tiefe Fall<br />
des Käfers. Als alles Natürliche zugunsten der Kultivierung und Zivilisierung der Lebensumstände<br />
abgeschafft wurde, blieb auch für Insekten nicht viel mehr als Ekel übrig<br />
– siehe Kafkas berühmte Erzählung Die Verwandlung, in der der Prokurist Gregor<br />
Samsa eines Morgens zum Entsetzen seiner Spießerfamilie als Krabbeltier aufwacht.<br />
Der Ekel vor der eigenen Triebhaftigkeit, liegt dieser Fabel wie der modernen Gesellschaft<br />
zugrunde. Schlechte Karten für Käferfreunde.<br />
Aber nun: Je mehr man auf die wunderbaren Scans des Naturkundemuseums blickt,<br />
desto mehr fragt man sich, ob der Käfer nicht ein Revival verdient hat? Könnte er nicht<br />
auch ein Symbol für das Internetzeitalter sein? Wie Gregor Samsa ist der Käfer ein<br />
ziemlich nerdiges Insekt. Einer, der ohne Freunde in dunklen Ecken hockt und wer<br />
weiß was ausbrütet. Gleichzeitig steckt in seiner schillernden Vielfalt ein großes Potential.<br />
Sind wir nicht alle irgendwie Käfer? Es gibt Millionen von uns, wir alle wollen<br />
individuell sein, sind aber doch nur Variationen. Und sehen Käfer in all ihrer krabbeligen,<br />
gedrungenen Verpeiltheit nicht auch ein wenig aus wie jene Spezies Mensch, die<br />
Sonntag morgens aus der Panoramabar torkelt, oder besser, diese wie Käfer?<br />
Jetzt wird‘s ein wenig zu bunt. Alles, was wir sagen wollen, ist: Schaut euch die Scans<br />
an, oder besser, geht ins Museum. Es lohnt sich. Und wer das nächste Mal einen Käfer<br />
sieht, der erkenne sich selbst!<br />
Museum für Naturkunde<br />
Invalidenstraße 43, Berlin<br />
149
FASHION<br />
Interview Robert Grunenberg<br />
Fotos Tony Cox<br />
Styling Bernat Buscato<br />
Styling-Assistenz Anais Codina<br />
150 Nr. 14<br />
Cape Stylist‘s Own<br />
150
BOY<br />
DIE AUS LOS ANGELES STAMMENDE PERFORMANCEKÜNSTLERIN BOYCHILD TAUCHT SEIT EINIGEN JAHREN IN VERSCHIEDENEN<br />
KONTEXTEN ALS CYBORGARTIGES MISCHWESEN AUF. SIE TOURT MIT DEM MUSIKER MYKKI BLANCO, LÄUFT AUF<br />
MODENSCHAUEN DES LABELS HOOD BY AIR ODER ARBEITET MIT KÜNSTLERN WIE RYAN TRECARTIN UND MIT IHREM<br />
KÜNSTLERISCHEN PARTNER WU TSANG. WER ODER WAS IST BOYCHILD?<br />
CHILD<br />
Von Robert Grunenberg<br />
Fotos von David Fischer<br />
Styling von Sina Braetz & Adrian Fekete<br />
Haare & Make-Up Julia Barde<br />
151
FASHION<br />
Ich erinnere mich an den Moment,<br />
als ich Boychild zum ersten Mal gesehen<br />
habe. Das war in Miami Beach im Dezember<br />
2013. Sie performte auf einer kleinen<br />
Bühne, die über dem Swimming Pool<br />
des Delano Hotels aufgebaut war. Auf<br />
meinem iPhone schaute ich mir hin und<br />
wieder das Video an, das ich damals aufgenommen<br />
habe: flackerndes Neonlicht,<br />
das von einer Nebelwolke reflektiert wird,<br />
geisterhaft erscheint Boychild, nackt, nur<br />
mit zerrissener Schürze, ihr tätowierter<br />
Körper mit bunter Farbe beschmiert. Sie<br />
tanzt, bewegt sich zitternd, hält Pose, fällt<br />
auf den Boden, kriecht, erhebt sich und<br />
verschwindet wieder im Nebel. Dazu läuft<br />
rauschender Hymnengesang, abgemischt<br />
auf harte Hip-Hop-Bässe, Zuschauer tuscheln.<br />
Sie hat keine Angst sich zu entblößen,<br />
sich hinzugeben – den starrenden,<br />
bewundernden, verwirrten Blicken.<br />
Was Boychild ist, kann man nicht genau<br />
bennennen. Sie ist ein Hybrid, ständig in<br />
Bewegung und Transformation. Alles im<br />
Fluss. So wie unsere Gedanken strömen,<br />
die Jahreszeiten zirkulieren oder sich der<br />
nächste virale Hype auf Facebook verbreitet.<br />
Bei dem Ding, das sich Boychild nennt,<br />
ruft unser Verstand Stop!, will begreifen,<br />
was für eine Kreatur das ist, will dem Kind<br />
einen Namen geben, kategorisieren: Frau –<br />
Mann, Mensch – Maschine. Irgendwo dazwischen<br />
liegen auch ihre Performances:<br />
Ihre Performances haben eine ursprüngliche,<br />
animalische Energie und vermitteln<br />
eine Idee von Zukunft – gleichzeitig<br />
repräsentiert Boychild das Hybridhafte<br />
und Dynamische unserer globalisierten,<br />
technologisierten Gegenwart, in dem Geschlechterrollen,<br />
Kunstformen und die<br />
Trennung zwischen Off- und Online-Identitäten<br />
neu erfahren werden. Im Videochat<br />
sprach ich mit Boychild über Performance<br />
als Kunstform, über Social-Media-Avatare<br />
und über die Suche nach einem Platz in<br />
dieser Welt.<br />
<strong>Fräulein</strong>: Wer oder was ist Boychild<br />
und woher kommt sie?<br />
Boychild: Sie kommt aus mir und befindet<br />
sich in ihrem zweiten Leben. Ihre Welt ist<br />
ein magischer Ort, den ich erzeugt habe;<br />
irgendwo zwischen der Welt, in der wir<br />
alle leben, und einem Platz, an dem ich<br />
mich sicher und aufgehoben fühle.<br />
Zu welchem Zeitpunkt wurde<br />
Boychild geboren?<br />
Das Ding, das ich Boychild nenne, enthält<br />
die gleiche Geschichte wie ich. Doch geboren<br />
wurde sie tatsächlich, als ich anfing<br />
zu performen. Damals geschah etwas. Ich<br />
hatte keine Angst mehr, die Person zu<br />
sein, die ich mich nicht traute, als Kind<br />
zu sein.<br />
152
153<br />
Top Bobby Kolade
FASHION<br />
„Performance<br />
ist eine<br />
Reflexion<br />
meiner<br />
Identität“<br />
Links:<br />
Jacke Nhu Duong<br />
Hose & Unterhose Artist‘s own<br />
Rechts:<br />
Brille Stylist‘s Own<br />
Mantel Bottega Veneta<br />
154
War es ein Kampf, Sie selbst zu sein?<br />
Ja und nein. Es gab einen Kampf mit mir<br />
selbst, mit Resten aus meiner Vergangenheit,<br />
meiner Familien- und der Weltgeschichte.<br />
Müssen Sie sich heute anderen immer<br />
noch erklären?<br />
Manchmal, doch früher mehr als heute.<br />
Ich habe verstanden, dass ich niemandem<br />
eine Erklärung schulde. Früher war<br />
es ein Schuldgefühl, das mich glauben<br />
ließ, ich müsse Konventionen folgen.<br />
Dabei musste ich das gar nicht.<br />
Erinnern Sie sich an das erste Mal,<br />
als Sie diese neue Persona leben und<br />
erleben konnten?<br />
Das geschah in Clubs. Beim Tanzen und<br />
Feiern im schwulen Nachtleben. Dort<br />
fühlte ich mich sicher genug, mit meinem<br />
Körper und Bewegungen zu experimentieren.<br />
Wann wurde diese innere Veränderung<br />
sichtbar, wann kamen Ihre ersten<br />
Tattoos, das Make-up, Ihr Look?<br />
Das passierte schleichend mit der Zeit.<br />
Ich habe meine Ästhetik nicht plötzlich<br />
gekauft. Mein Aussehen ist ein Resultat<br />
eines gelebten Lebens.<br />
Inwiefern ist Boychild ein Ausdruck<br />
unserer Zeit, einer globalisierten, digitalen<br />
und komplexeren Welt, in der<br />
sich Kategorien immer mehr auflösen?<br />
Boychild ist beides, unfertig und vollständig,<br />
immer in Bewegung, selbst beim<br />
Stillstand. Es ist nicht meine Interpretation.<br />
Das Thema der Transformation sieht<br />
man auf Ihren Fotos, Videos und Performances.<br />
Wie verhalten sich die<br />
Medien zueinander?<br />
Mein Medium ist eigentlich nur Performance,<br />
die durch Fotos, Video und Zeit<br />
dokumentiert wird. Performance ist eine<br />
Reflexion meiner Identität, die eine Ansammlung<br />
aus Geschichten und Orten<br />
ist; ein Nachdenken über die komplexe<br />
Suche nach einem Platz in der Welt zwischen<br />
all den Dingen.<br />
Neben dem, was Ihre Performance<br />
ausdrückt, können Sie sagen, wie Sie<br />
performen?<br />
Mich interessiert es, wenn die Performance<br />
sich selbst als Performance thematisiert<br />
und hinterfragt, also das Medium<br />
und seine Möglichkeiten. Das ist<br />
essentiell für meine Arbeit, weil ich mich<br />
mit Worten und Sprache schwer tue.<br />
Wörter belasten, das fühle ich bei einer<br />
Performance nicht. Die wichtigsten Elemente<br />
sind Zeit und Raum. Der Moment,<br />
der mit dem Publikum geteilt wird, die<br />
Luft, die gemeinsam ein- und ausgeatmet<br />
wird, das ist magisch.<br />
„Boychild<br />
ist beides,<br />
unfertig und<br />
vollständig“<br />
155
FASHION<br />
„Verletzlichkeit ist alles“<br />
Mich fasziniert an Performance, dass<br />
der Moment, in dem Kunst entsteht,<br />
mit dem Moment, in dem sie präsentiert<br />
wird, identisch ist. Ein klassisches<br />
Gemälde wurde zu einem<br />
früheren Zeitpunkt gemalt, als es in<br />
einer Galerie oder im Museum ausgestellt<br />
wird.<br />
Ja, das interessiert mich auch. Mir gefällt,<br />
dass es deshalb nicht kommodifiziert, zu<br />
einer Ware gemacht werden kann.<br />
Es ist einzigartig in diesem einen<br />
Moment. Es ist zeit- und raumspezifisch,<br />
nur im Hier und Jetzt. Natürlich<br />
kann man es mit Fotos oder Film<br />
dokumentieren.<br />
Ja, das ist etwas völlig anderes, doch genauso<br />
spannend. Sich mit Film der Performance<br />
zu nähern, Kollaborationen<br />
einzugehen, das mache ich gerade in Projekten<br />
mit den Künstlern Wu Tsang und<br />
Korakrit Arunanondchai.<br />
Es kann furchtbar anstrengend sein, zu<br />
performen, wenn die Zuschauer sich<br />
selbst verwirren, in dem sie versuchen,<br />
die Lebendigkeit der Performance durch<br />
ein Foto oder Video einzufangen. Wir leben<br />
in einer Zeit, in der die Sprache des<br />
Bildes lauter spricht als die Sprache der<br />
Worte. Der dokumentierte Moment ist<br />
wichtiger geworden als der gelebte Moment.<br />
Dieses Phänomen sieht man überall,<br />
auf Konzerten, im Fußballstadion<br />
oder auf Partys. Die Smartphone-Kamera<br />
denkt immer mit, projiziert immer<br />
das Hier und Jetzt in die Zukunft.<br />
Was halten Sie von dieser Macht der<br />
Bilder?<br />
Eine Zeit lang habe ich es beklagt, so als<br />
wäre es ein Phänomen meiner Generation.<br />
Dabei gibt es das in ähnlicher Weise<br />
seit der Erfindung der Fotografie im 19.<br />
Jahrhundert, später dann mit den ersten<br />
Handkameras.<br />
Ihre Performances sind gut dokumentiert.<br />
Sie selbst nutzten Instagram, um<br />
diese online auszustellen. Welche Rolle<br />
spielt Instagram als Kommunikationsmedium,<br />
als Marketingwerkzeug<br />
und als demokratische Plattform, um<br />
Kunst zu zeigen?<br />
Ich liebe Instagram. Anfangs nutzte ich<br />
es privat, doch mit der steigenden Populärität<br />
wurde es unpersönlicher, so<br />
löschte ich alle privaten Bilder und habe<br />
jetzt nur Bilder mit Make-up vor und<br />
nach meinen Performances. Ich finde es<br />
wirklich erstaunlich und unterhaltsam,<br />
in welcher Weise man sich auf Instagram<br />
selbstinszenieren kann. Ich versuche zu<br />
verstehen, nach welcher Logik das Insta<br />
Life funktioniert, Hashtags, Selfies und so<br />
weiter. Die Macht dieser Bilder ist faszinierend<br />
und beängstigend. Es ist, als ob man<br />
einen Tornado aus der Ferne sieht und den<br />
Sog spürt. Wenn ich ernsthaft versuche zu<br />
analysieren, wie Instagram und Technologien<br />
innerhalb der Denkströme der Ersten<br />
Welt funktionieren, wie es die Verhältnisse<br />
zwischen Bildern und Sprache, zwischen<br />
Menschen und ihrem Verhalten umdreht,<br />
dann friert mein Gehirn ein.<br />
Ein anderes massives Internetphänomen<br />
ist die Verbreitung von Pornos.<br />
Pornos sind in jeder Facette für jeden<br />
zugänglich. Was bedeuten Pornos für<br />
Sie?<br />
Ich fühle mich davon vielseitig betroffen<br />
und fühle gleichzeitig gar nichts, eine Benommenheit.<br />
Es gibt so viele erschreckende<br />
und wundervolle Dinge, die aus der<br />
Pornowelt kommen, abhängig vom Kontext<br />
und der Absicht.<br />
In Ihren Performances arbeiten Sie<br />
mit starken Effekten, mitunter auch<br />
extremen Darstellungen: Make-up,<br />
Licht, Bewegung und Musik. Inwiefern<br />
reagieren Sie damit auf unsere<br />
beschleunigte und mit Informationen<br />
überladene Gegenwart?<br />
Die Technologien, die wir erschaffen haben,<br />
bewegen sich mit einer exponentiellen<br />
Geschwindigkeit. Wie wir uns selbst<br />
in dieser Welt positionieren, in dem wir<br />
Informationen wie Bilder konsumieren,<br />
das interessiert mich und beeinflusst meine<br />
Arbeit. Ich reagiere auf eine Kultur, die<br />
ich als kapitalistisches Gefängnis erlebe, in<br />
dem alles gefangen und getötet wird, das<br />
nicht innerhalb dieses Rahmenwerks der<br />
Macht existiert. Haben Sie eine Performance<br />
von mir gesehen? Empfinden Sie<br />
diese als extrem?<br />
Ja, ich habe Sie das erstes Mal im Dezember<br />
2013 in Miami während der<br />
Art Basel gesehen. Das war bei einer<br />
Veranstaltung des MoMA PS1. Es war<br />
magisch und auch extrem. Die Farben,<br />
das Licht, die Bewegungen – aus<br />
einer anderen Welt.<br />
Ich konkurriere nicht mit einer mit Bildern<br />
übersättigten Kultur, ich reagiere<br />
auf sie. Ich weiß, dass meine Performances<br />
emotional und visuell intensiv sind.<br />
Es gibt eine Rohheit und Verletzlichkeit,<br />
die für mich erschöpfend sind und<br />
ich stelle mir vor, dass es Zuschauern<br />
ähnlich geht. Doch eigentlich sind meine<br />
Performances simpel. Inzwischen<br />
benutze ich weniger Licht, weniger<br />
Make-up und kaum Kleidung, keine Requisite.<br />
Es ist mein Körper und die Zuschauer.<br />
Neben diesen Entwicklungen, was ist<br />
konstant geblieben in Ihrer Arbeit?<br />
Verletzlichkeit ist alles, so wie Ehrlichkeit.<br />
156
157<br />
Hose Artist‘s own
EINE STIMME<br />
Von Sina Braetz<br />
VON LUXUS<br />
UND LEID<br />
GUYA MERKLE KÄMPFT FÜR EINE NACHHALTIGE<br />
SCHMUCKINDUSTRIE, DEREN ROHSTOFFE UNTER<br />
MENSCHENWÜRDIGEN BEDINGUNGEN<br />
GEFÖRDERT WERDEN.<br />
„Ich habe in meinem Leben Entscheidungen<br />
immer aus dem Bauch heraus<br />
getroffen, denn ich bin ein sehr impulsiver<br />
Mensch. Dadurch habe ich mich oft<br />
in schwierige Situationen gebracht. Aber<br />
meine Erfahrungen lehrten mich, dass<br />
es das Wichtigste ist, auf sich selber zu<br />
hören und sich nicht von anderen verunsichern<br />
zu lassen. Als ich zehn Jahre<br />
alt war und meine Eltern sich trennten,<br />
zog ich mit meiner Mutter nach Berlin,<br />
sie baute dort das Schmuckunternehmen<br />
Bucherer auf. Ich hasste die Stadt am Anfang<br />
– wir kamen ja aus Pforzheim, das<br />
war ein wundervoller Ort für ein Kind:<br />
Man hatte die Natur, den Schwarzwald,<br />
konnte draußen spielen. So musste ich<br />
schneller erwachsen werden als gedacht,<br />
was sich später als Vorteil herausstellen<br />
sollte. Als mein Vater starb, war ich erst<br />
21 Jahre alt und mitten im Studium. Er<br />
vererbte mir unser Familien-Schmuckunternehmen<br />
Vieri, das mein Großvater<br />
in den 30er-Jahren als klassisches<br />
Handelsunternehmen gegründet hatte.<br />
So wurde ich von heute auf morgen ins<br />
kalte Wasser geworfen. Ich weiß selber<br />
nicht, wie ich das alles damals gestemmt<br />
habe. Es war ein Augen-zu-und-durch,<br />
was natürlich am Anfang nicht besonders<br />
gut funktioniert hat. Ich hatte mir mein<br />
Leben ehrlich gesagt anders vorgestellt,<br />
wollte nie etwas mit dem Schmuckbgeschäft<br />
meiner Familie zu tun haben. Bis<br />
vor ein paar Jahren habe ich noch nicht<br />
mal Schmuck getragen, selbst jenen<br />
nicht, den mir mein Vater geschenkt hatte.<br />
Schmuck war mir dennoch immer vertraut.<br />
Ich wuchs mit diesem Luxus auf, er<br />
war für mich etwas Alltägliches, ich habe<br />
mit Edelsteinen gespielt. Luxus hat in<br />
meiner Familie übrigens nie bedeutet,<br />
5-Sterne-Urlaub zu machen. Als wir noch<br />
gemeinsam verreisten, war es meinen Eltern<br />
immer wichtig, dass ich Länder in<br />
ihrer Ursprünglichkeit entdecke. Das hat<br />
mich extrem sensibilisiert. Dinge sind bis<br />
heute für mich nur dann schön, wenn sie<br />
auch in ihrem Ursprung gut sind. Diese<br />
Prämisse leitet mich bei allem, was ich<br />
tue. Nach drei Jahren Pendeln zog ich<br />
nach dem Studium endgültig von Berlin<br />
in die Schweiz. Meine Mutter half mir viel<br />
in dieser Zeit. Später ging ich nach London.<br />
Mir war von Anfang an klar, dass ich<br />
in die Firma ganz viel von mir hineinstecken<br />
wollte, doch ich brauchte Zeit, um<br />
herauszufinden, was es war. Auch wenn<br />
ich wusste, dass ich schon immer einen<br />
starken Gerechtigkeitsdrang verspürte.<br />
Während des Studiums bin ich auf<br />
betterplace.org aufmerksam geworden,<br />
Deutschlands größte Spendenplattform,<br />
die das Internet nutzt, um auch kleinere<br />
Projekte transparenter werden zu lassen.<br />
Hier habe ich viel über soziales Engagement<br />
gelernt, aber auch über die Mängel<br />
unseres Systems: dieser große Bruch<br />
zwischen einer Quelle und dem Endprodukt.<br />
Dafür übernehmen zu wenige<br />
Menschen die Verantwortung. Man will<br />
mit Biegen und Brechen maximalen Profit<br />
aus allem holen. Auf der anderen Seite<br />
sind viele Konsumenten unwissend über<br />
die Herkunft der Produkte, die sie kaufen.<br />
In London beschäftigte ich mich das erste<br />
Mal mit Rohstoffen und Goldminen,<br />
recherchierte ausgiebig, unter welchen<br />
Bedingungen dort gearbeitet und gefördert<br />
wird. Damals war das Thema noch<br />
sehr wenig in der Öffentlichkeit präsent.<br />
Um mir selbst ein Bild vor Ort zu machen,<br />
flog ich nach einer zweiwöchigen<br />
„Crash-Therapie“ gegen meine Flugangst<br />
„ICH WILL,<br />
DASS SICH<br />
DIE ARBEITER<br />
SELBST<br />
ERMÄCHTIGEN“<br />
mit einer Freundin nach Peru. Wir kamen<br />
schweißgebadet an und fuhren direkt zu<br />
den Goldminen. Peru war der härteste<br />
Trip meines Lebens. Ich hatte das alles<br />
total unterschätzt. Die Minen liegen<br />
teils auf 2.500 Metern Höhe. Dort bot<br />
sich mir ein grausames Bild. Ein Quecksilbergeruch<br />
stieg einem in die Nase,<br />
unsere Übersetzerin verlor davon das<br />
Bewusstsein. Es war wirklich heftig und<br />
hat mich zutiefst berührt: Ich hatte viele<br />
Gespräche mit den Minenarbeitern. Sie<br />
konnten die Probleme vor Ort relativ klar<br />
benennen, hatten Lösungsvorschläge. Ich<br />
fragte mich immer und immer wieder:<br />
Warum hört niemand diesen Menschen<br />
zu? Ich wollte den Männern und Frauen<br />
ein Sprachrohr sein, ihnen eine Stimme<br />
geben. So gründete ich die Stiftung Earthbeat.<br />
Das größte Leid der Menschen war<br />
im Grunde genommen eine fehlende<br />
Wertschätzung. Die versuchen wir ihnen<br />
mit unserem Projekt zu geben.<br />
Die Menschen in den Minen arbeiten in<br />
der Regel gerne und mit viel Stolz. Oft<br />
setzen sie die Tradition ihrer Familie fort.<br />
Aber natürlich geht es für sie um das<br />
nackte Überleben. Earthbeat will ihnen<br />
die Mittel in die Hand geben, ihr Leben<br />
erträglicher und selbstbestimmter zu<br />
gestalten. Eines unserer Projekte ist eine<br />
Art Schule für Frauen und Kinder. Auch<br />
sie arbeiten in den Minen, die Schächte<br />
sind oft sehr eng. In unseren Workshops<br />
lernen sie, wie man aus ihrem Rohstoff,<br />
dem Gold, Schmuck macht – so können<br />
sie sich eine weitere Einnahmequelle<br />
schaffen. Unsere Stiftung, die aus einem<br />
etwa zehnköpfigen Team besteht, ist daher<br />
nicht als klassisches Spendenprojekt<br />
zu verstehen. Uns geht es darum, dass<br />
die Menschen sich ein eigenes Geschäft<br />
aufbauen können und lernen, Verantwortung<br />
für sich und andere zu übernehmen.<br />
Natürlich machen wir auch spezifische<br />
Trainings mit den Minenarbeitern, wie<br />
man sich etwa in die Minen vor Unfällen<br />
schützen kann. Ich war oft zu extrem<br />
unterwegs mit meinem Einsatz für Gerechtigkeit.<br />
Ich denke einfach, man muss<br />
irgendwo anfangen, idealerweise bei sich<br />
selbst. Man sollte Leute inspirieren mit<br />
dem, was man tut. Wer mich kennt, weiß,<br />
dass ich all das wirklich lebe – meine Arbeit<br />
ist nicht nur ein vages Projekt. Durch<br />
sie lernte ich Schmuck lieben und habe<br />
mittlerweile eine persönliche Beziehung<br />
zu ihm aufbauen können. Ich denke, Luxus<br />
ist nur dann Luxus, wenn auch die<br />
Bedingungen und Umstände stimmen. Er<br />
bedeutet Wertschätzung und Respekt für<br />
mich. Heute trage ich meinen Schmuck,<br />
selbst den, der mir von meinem Vater<br />
zum 18. Geburtstag oder zur Kommunion<br />
geschenkt wurde.<br />
Guya Merkle übernahm 2007 als 21-jährige Studentin<br />
das Haute-Joaillerie-Unternehmen „Vieri“<br />
und führt so eine 70-jährige Familientradition<br />
weiter. Nach einer Reise nach Peru gründetet sie<br />
die Stiftung „Earthbeat“ und setzt sich seither<br />
für bessere Arbeitsverhältnisse und für eine<br />
Wertschätzung von Goldminenarbeiter ein.<br />
158
DIE LUST AM WIDERSPRUCH:<br />
taz.die tageszeitung hat jetzt ein Wochenmagazin.<br />
Jetzt testen:<br />
10 Wochen taz für 10 Euro.<br />
www.taz.de/testabo<br />
abo@taz.de<br />
T (0 30) 2590 2590
ANTIFRÄULEIN<br />
Von Wäis Kiani<br />
Illustration von Katrin Funcke<br />
PHARRELL IST EVERYBODY’S DARLING, SELBST KINDERGARTENKINDER VERGÖTTERN<br />
IHN. DABEI KLINGT ER MEHR UND MEHR NACH MAINSTREAM. ES REICHT, FINDET<br />
UNSERE AUTORIN WÄIS KIANI.<br />
Es gibt Menschen, die werden von der<br />
ganzen Welt geliebt, wirklich von jedem,<br />
egal ob Spießer, Hipster, Tante, Bitch, Oma<br />
oder Kind. Unser heutiges Antifräulein ist<br />
ein solches Sonnenkind. Pharrell Williams<br />
ist so hip, dass man ihn längst als unerträglichen<br />
Mainstream wahrnimmt.<br />
Damit sind wir auch schon fast bei dem<br />
wahren Grund seines Auftritts hier als<br />
Antifräulein. Eigentlich wäre er eh ein<br />
Antifräulein, er sammelt Hermès-Birkin-Taschen,<br />
und zwar die riesigen<br />
XL-Taschen, vorzugsweise aus Krokoleder<br />
in poppigen Farben. Come on! Das<br />
ist noch nicht genug Beleg für ein Antifräulein-Sein,<br />
als schwarzer Rapper hat er<br />
vielleicht ein anderes Verhältnis zu Mode<br />
und Bling als ein deutscher Eventmarketing-Agentur-Besitzer?<br />
Nun gut! Aber er<br />
wurde zum bestangezogenen Mann der<br />
Welt gekürt, wir wissen, was das bedeutet,<br />
wenn man kein Anziehpüppchen ist<br />
wie David Beckham. Pharrell zieht sich<br />
selbst an. Und das bedeutet, er denkt<br />
sehr viel, viel zu viel, über seine Klamotten,<br />
das Styling und die Looks nach. Das<br />
ist kein Grund? Aber er hat ein eigenes<br />
Modelabel, das ist doch wirklich sehr<br />
antifräuleinhaft, nicht? Auch nicht? Doch<br />
wer in Oprah Winfreys TV-Show vor<br />
millionen Zuschauern zu weinen anfängt,<br />
weil sein Song „Happy“ auf der ganzen<br />
Welt von Menschen nachgesungen und<br />
betanzt wird, die durch seine Musik eben<br />
happy werden, dann ist das doch wirklich<br />
sehr antifräuleinhaft. Nur dumme<br />
Mädchen weinen in der Öffentlichkeit.<br />
Ein Mann darf nur in einer TV-Show<br />
weinen, wenn es um seinen Hund oder<br />
sein Kind geht. Blödsinn? Es ist rührend,<br />
wenn er vor Glück weint, weil es ihm<br />
gelungen ist, so weit zu kommen, dass<br />
ihm die ganze Welt zusingt? Ok! Dann<br />
offenbaren wir jetzt die wahren Gründe,<br />
warum er hier als Antifräulein gestrandet<br />
ist. Verletzter Stolz. Pharrells Hype<br />
hat nicht nur den Mainstream erreicht,<br />
sondern ist zu etwas geworden, das man<br />
einfach nicht mehr gutheißen kann und<br />
darf. Instagram ist voll mit Selfies von<br />
lachenden achtjährigen Berlin-Mitte-Kindern,<br />
die sich während eines Events mit<br />
dem sogar in Kindergartenkreisen populären<br />
Star fotografieren durften. Natürlich<br />
unglaublich nett und menschlich<br />
von Pharrell, er ist trotz seines Ruhms<br />
bodenständig und ein Star zum Anfassen<br />
und hat keine Berührungsängste mit<br />
den Menschen, noch nicht einmal mit<br />
einer Horde Kinder mit verkehrt herum<br />
aufgesetzten Baseballkappen. Nun, wir<br />
mögen keine bodenständigen Stars zum<br />
Anfassen und finden, als Star sollte man<br />
sich zusammenreißen und gefälligst eine<br />
unerreichbare, unnahbare Diva sein. Wir<br />
wollen nicht dieselben Musiker hofieren<br />
wie der komplette Kindergarten nebenan.<br />
Das war schon zu Spice-Girls- und<br />
Take-That-Zeiten so. Die Kids haben<br />
Justin Bieber und Miley Cyrus, das sollte<br />
reichen, und wir haben echte Künstler<br />
wie Pharrell Williams, den wir schon<br />
2012 verehrten, als er noch Produzent<br />
bei The Neptunes war. Davon wissen die<br />
Kids natürlich nichts, und das soll auch<br />
so bleiben. Das Leben ist schließlich kein<br />
Kinderspielplatz.<br />
160
161
PARTY<br />
Fotos von Andreas Kuschner, Jan Lessner und Micki Richter<br />
abc DINNER<br />
Anlässlich der Berlin Art Week feierten <strong>Fräulein</strong> Magazin und L’Officiel Hommes gemeinsam mit Disaronno ein Dinner mit anschliessender Party. Im Tangoloft im Berliner<br />
Stadtteil Wedding sorgten DJ Rolex, Sven Hausherr und DJ IAMKIMKONG für die beste Musik zum Tanzen. Dank der frisch gemixten Drinks von Disaronno, als auch den<br />
Köstlichkeiten von Grey Goose, Bombay Sapphire, Thomas Henry und Beck’s, musste niemand verdursten. Bis in die frühen Morgenstunden wurde geplaudert, getrunken<br />
und gefeiert. Mit Cadillac kamen dann auch alle heil zu Hause an. Großes Danke an BAM Berlin!<br />
162
OFF ONE‘S<br />
ROCKER &<br />
RVCA<br />
VERNISSAGE<br />
In Kooperation mit Off One‘s Rocker Publishing und dem<br />
kalifornischen Skate- und Surflabel RVCA stellten die Künstler<br />
Benjamin JeanJean, Paul Senyol und 44flavours im RVCA<br />
Artspace in Berlin Mitte aus. Die australische Band Ladi6<br />
versüßte den Abend mit einem intimen Gig.<br />
GALLERY<br />
WEEKEND PARTY<br />
<strong>Fräulein</strong>, L‘Officiel Hommes und Intersection feierten gemeinsam zum Auftakt des Gallery Weekend in den<br />
Berliner Opernwerkstätten. Nach einem großartigen Dinner folgte die Party mit 2000 tanzwütigen Gästen,<br />
die zu den Klängen unseres Partners B&O Play die Nacht durchfeierten. Großer Dank gilt auch SKYY Vodka,<br />
Bentley, keinemusik und BAM Berlin für die Organisation dieses einmaligen Abends.<br />
163
LESESTÜCK<br />
Von Mary Scherpe „An jedem einzelnen Tag“, erschienen bei Lübbe<br />
Illustration von WRK-Design<br />
ROMANAUSZUG VON<br />
MARY SCHERPE<br />
AN JEDEM<br />
EINZELNEN TAG<br />
AB DIESER AUSGABE WIRD IN DER FRÄULEIN IMMER EIN AUSZUG AUS EINEM AKTUELLEN ROMAN ODER SACHBUCH<br />
ABGEDRUCKT. LOS GEHT ES MIT MARY SCHERPE, DIE SO MUTIG WIE UNKONVENTIONELL ÖFFENTLICH GEMACHT HAT,<br />
JAHRELANG VON EINEM STALKER VERFOLGT WORDEN ZU SEIN.<br />
Es begann im Juni 2012 mit einem Instagram-Konto, das sich über jedes meiner<br />
eigenen Instagram-Bilder lustig machte. Ich hatte sofort ein komisches Bauchgefühl dabei,<br />
entschied mich jedoch, dem nicht allzu viel Beachtung zu schenken – „dem wird das<br />
schon bald wieder langweilig“, sagten mir meine Freunde, „gib dich damit nicht ab.“ Es<br />
wurde demjenigen aber nicht langweilig, es kamen Konten auf Twitter und Foursquare<br />
dazu, bald bekam ich Post von Schönheitskliniken in mein Büro und Kataloge, Babynahrung<br />
und Vitamine nach Hause. Relativ schnell wurde mir klar, dass derjenige etwas<br />
Schlechteres im Sinn hatte. Dennoch ging ich wirklich lange davon aus, dass der Stalker<br />
irgendwann die Lust verlieren würde; ich war überzeugt, dass es ihm irgendwann<br />
reichen müsste. Viel anderes blieb mir auch nicht übrig. Die Polizei, an die ich mich<br />
noch im Sommer wandte, schien keine Handhabe zu haben und die Social-Media-Anbieter<br />
reagierten nicht auf meine Beschwerden. Erst nach über einem langen Jahr, als<br />
ich begann, seine Taten auf einem Blog dokumentieren, konnte ich dem Spuk zumindest<br />
teilweise ein Ende setzen. Jetzt habe ich ein Buch über diese Erfahrung geschrieben:<br />
An jedem einzelnen Tag. Der folgende Auszug beschreibt die Zeit kurz nach dem Jahreswechsel<br />
auf 2013. Er stalkte mich bereits seit über sechs Monaten und zeigte keine<br />
Anzeichen, dass er bald genug hätte. Im Gegenteil, es wurde immer schlimmer.<br />
Das Jahr 2013 war nicht besonders alt, als ich abermals anonyme Anrufe erhielt und auf<br />
neue Twitter-Konten stieß. Zum Beispiel auf charlottenstil, eventuell als eine Anspielung<br />
darauf, dass ich auf meinem Blog mehrmals über Orte in Charlottenburg geschrieben<br />
hatte. Oder auf irgendwas anderes, es war schon fast egal geworden. Und ab da wurden<br />
es täglich mehr Nachrichten, mit denen er mich belästigte.<br />
Ich weiß nicht mehr, warum, aber ich ging wieder dazu über, seine Twitter-Konten zu<br />
blockieren. Unglücklicherweise brachte das wirklich gar nichts: Sobald ich eines geblockt<br />
hatte, tauchte er mit neuem Namen wieder auf. Immer wieder – ich blockte charlottenstil,<br />
er löschte den und kreierte bloggertun, ich blockte diesen, er legte wasbloggertun<br />
an. Dann machte er sich nicht mal mehr die Mühe, sich neue Namen auszudenken,<br />
164
und führte sein Spiel unter wasbloggertun1, wasbloggertun2, wasbloggertun3, wasbloggertun4,<br />
wasbloggertun5, wasbloggertun6, wasbloggertun7 und wasbloggertun8 fort.<br />
Z. richtete seine Twitter-Nachrichten mittlerweile ausschließlich an mich, denn es ging<br />
nicht mehr darum, Publikum zu finden; Hauptsache, ich las die Texte.<br />
Im Januar sorgten ein Freund und ich bei einer kleinen Feier von Freunden in einer Bar<br />
in Mitte für die Musik und hatten das vorher bei Facebook angekündigt. Während der<br />
Party schrieb Z. unter wasbloggertun5 auf Twitter: Wir kommen auch gleich. Leg doch<br />
zum Üben noch ein bißchen Patrick Wolf auf. Hoffentlich bringt Florian genug Musik<br />
mit. Kurz darauf: Wärst du auch nur ein bißchen cool, würdest du richtige Schallplatten<br />
auflegen und keine MP3s auf dem Computer deines Freundes.<br />
Eine Stunde später: Hätte nicht gedacht, dass du irgendwas noch schlechter kannst als<br />
Schreiben. Das Auflegen solltest du auch lassen.<br />
Ich hatte bis dahin nicht auf mein Telefon geschaut und gar nicht mitbekommen, dass er<br />
mir schrieb. Als ich die Nachrichten sah, blockierte ich wasbloggertun5.<br />
Also kam die nächste Nachricht von wasbloggertun6:<br />
Das war die schlechteste #artistnight ever. Auflegen kannst du also auch nicht. Noch nie<br />
gab’s im King Size so schlechte Musik.<br />
Nächsten Mittwoch gibt’s dann endlich wieder bessere Musik. Schade, dass du dann<br />
nicht da sein kannst.<br />
Schlecht auflegen ist doch keine Arbeit. (Gute DJs machen Gäste glücklich. Wie gute<br />
Blogger Leserinnen.)<br />
Und dieses peinliche Tanzen hättest du dir auch sparen können. Hab nie jemanden gesehen,<br />
der sich so ungelenk bewegt wie du.<br />
Warum gehst du nicht mal wieder zur Maniküre, anstatt Katzenmusik zu machen? Nötiger<br />
wäre es.<br />
Wollte er mir etwa Angst machen? Oder von sich als Verdächtigem ablenken, indem er<br />
mir weismachte, der Stalker käme aus meinem Umfeld? Oder noch schlimmer, es gäbe<br />
mehrere Stalker, die sich ständig unerkannt in meiner Nähe aufhielten? Die sich organisierten,<br />
um mich gemeinsam zu bedrohen? Wie albern, hoffte er wirklich, ich fiele auf<br />
derartig absurde Verschwörungstheorien herein?<br />
Im Prinzip war es mittlerweile egal, was ich tat, ob ich etwas veröffentlichte oder nicht<br />
– Z. fand jeden Tag Sachen, die er kommentieren wollte; ihm fielen zig Belehrungen ein,<br />
und wenn er keine neuen Ideen hatte, wiederholte er einfach alte Beleidigungen. Es war<br />
schrecklich ermüdend. Am meisten fuchste ihn mein Blog, so dass er permanent darauf<br />
herumhackte:<br />
Selten eine so schlechte Berichterstattung gelesen. Das kann jede Modebloggerin aus<br />
der dritten Reihe besser. Verfehlt!<br />
Wen interessiert das noch? Und warum bläst du das Bild gleich zwei Mal über Twitter<br />
und über Facebook raus? Das ist zu viel.<br />
Er fühlte sich berufen, mir die in seinen Augen miese Qualität meiner Arbeit dauernd<br />
vor Augen zu führen. All die Nachrichten zu meinem schlechten Job als DJ und den<br />
schlechten Berichten auf Stil in Berlin stammen von einem einzigen Tag. Und es wurden<br />
täglich mehr.<br />
Ende Januar flog ich für drei Wochen nach Hawaii für einen Werbefilm. Ich war ziemlich<br />
aufgeregt und packte meinen Koffer mit allerlei bunten Sachen – einem grellgelben<br />
Kleid, knallroten Shorts und neongrünen Sneakers. Von diesem Durcheinander machte<br />
ich ein Bild und stellte es auf Instagram, um meine Vorfreude zu teilen. Im Taxi auf dem<br />
Weg zum Flughafen bekam ich dann eine SMS: Hallo Mary, ich wünsche dir eine schöne<br />
Reise und interessante Zeiten. Komm gesund wieder! LG :-)<br />
Die Nummer, von der die Nachricht kam, kannte ich nicht. Und weder klang das Geschriebene<br />
nach einem meiner Freunde oder nach meiner Mutter – ich wusste nicht,<br />
was ich damit anfangen sollte. Aber zu antworten und nachzufragen, traute ich mich<br />
nicht, denn mich erfasste sofort wieder so ein übles Gefühl.<br />
Am nächsten Tag kam eine weitere Nachricht von derselben Nummer: Gute Nacht<br />
Mary! Viel Spass beim Surfen und schöne Träume. LG ;-)<br />
Ich wurde unsicher, waren das harmlose SMS eines Bekannten, der dachte, ich hätte<br />
diese Nummer? Aber das musste jemand sein, der mir nahesteht, wieso würde er mir<br />
sonst zwei Nachrichten innerhalb kurzer Zeit schicken, ohne dass ich antwortete? Das<br />
konnte nur Z. sein.<br />
Einen Tag später kam die SMS: Aloha Mary! Ich wünsche dir so viel Sonne wie möglich!<br />
:-)<br />
»As Sun As Possible« war der Titel des Projekts von Volkswagen, weswegen ich auf<br />
O’ahu, Hawaii, war. Ich hatte darum kein großes Aufhebens gemacht, zwar wussten<br />
meine Freunde und Familie davon, aber die würden ja keine SMS von unbekannten<br />
Nummern schicken. Von meiner Reise konnte ansonsten nur jemand wissen, der viel<br />
Zeit damit verbrachte, meine Spuren im Netz zu verfolgen. Die zuständige Werbeagentur<br />
hatte auf der eigens dafür eingerichteten Website schon ein Video und ein paar Infos<br />
veröffentlicht.<br />
Ich musste mir zum Glück keine weiteren Gedanken über diese merkwürdigen Nachrichten<br />
machen, denn kurz darauf tauschte ich meine SIM-Karte gegen eine amerikanische<br />
und war für den Rest der Reise auf meiner deutschen Nummer nicht mehr<br />
erreichbar.<br />
Allerdings sah ich kurz nach meiner Ankunft auf Hawaii ein neues Twitter-Konto, das<br />
Z.s Handschrift trug – schon der erste Tweet beleidigte mich und meine Arbeit. Es<br />
nannte sich LehMatz, eine Anspielung auf den Namen des damals größten Modeblogs<br />
Les Mads. Z. hatte sich immer gern über den Blog und seinen Namen lustig gemacht, er<br />
nannte sie »die Matzen«.<br />
Nach dem Debakel mit wasbloggertun und der endlosen Schleife an Varianten, blockierte<br />
ich LehMatz nun nicht mehr. Was brachte mir das Ignorieren oder Blockieren schon?<br />
Z. verlor offensichtlich nicht die Lust, nur weil ich eines seiner Twitter-Konten sperrte.<br />
Jetzt wusste ich wenigstens, aus welcher Ecke die Attacken kamen, anstatt wieder auf<br />
neue Konten warten zu müssen. So war es leichter, ihn zu beobachten – ich konnte alle<br />
zwei oder drei Tage Fotos der Tweets machen und hatte damit den Großteil der Twitter-Angriffe<br />
festgehalten. Zumindest ein kleiner Teil des Ganzen war so unter irgendeiner<br />
Art von Kontrolle, fand ich.<br />
Mittlerweile ging es Z. nicht mehr darum, ein Publikum zu erreichen – er abonnierte<br />
keine anderen Konten mehr und hatte keine Abonnenten –, ich aber sollte alles lesen,<br />
was er auf LehMatz schrieb. Deswegen favorisierte, retweetete und beantwortete er<br />
viele meiner Twitter-Nachrichten, damit ich jedes Mal eine Meldung bekam. Seine Aktivitäten<br />
nahmen zu, diese Tweets schickte er mir zum Beispiel an einem einzigen Tag,<br />
dem 1. Februar:<br />
Sesamöl ist das Beste, wo gibt.<br />
Modebloggen wie 2006 – zurück zum Streetstyle. (Ist ja auch noch schneller gemacht<br />
als ein schlechter Text.)<br />
Oh, noch gar kein Streetstyle auf Stil in Berlin heute.<br />
Wasted German Marketing Budget #sovielsonnewiemöglich #stilinberlin<br />
Es gibt einen Urlaubsvertreter, der es besser kann als Mutti. Warum übernimmt Flori<br />
nicht?<br />
Wer bin ich? (Angehängt hatte er ein Bild von mir.)<br />
Ronald Zehrfeld? Just asking. #fernsehen<br />
Langweiliger Spam-Content. Ich bedauere das Land Niedersachsen, das ja großer Aktionär<br />
bei VW ist und deinen Urlaub bezahlen muss.<br />
Hast du mal probiert, dir die Beine zu rasieren? Kommt gerade in den USA besser an?<br />
So ging es die folgenden Tage weiter, entweder verfasste er belehrende Beleidigungen:<br />
Guten Morgen! Schon mal über Absaugen nachgedacht?<br />
Und: Ein Dirndl würde dir bestimmt auch nicht so gut stehen, oder?<br />
Oder er twitterte blöde Belanglosigkeiten: Enjoy the green juice!<br />
Und: You’re my favorite streetstyle photographer! Und: Beware of sharks!<br />
Und, und, und ...<br />
Er konnte nicht aufhören.<br />
Drei Wochen später kam der Tag meiner Rückreise und damit der Zeitpunkt, an dem ich<br />
die amerikanische wieder gegen die deutsche Sim-Karte austauschen musste. Ich ahnte<br />
Böses, wer weiß, wie viele unheimliche SMS in der Zwischenzeit gekommen waren.<br />
Es war nur eine: Handy ist geklaut. Ist die Nummer richtig? Komm ich aus dem Urlaub,<br />
ist mein Türschloss mit Sekundenkleber dichtgemacht. So eine Scheisse!!!<br />
Erst war ich nur verwirrt, aber bald, obwohl ich es nicht wollte, schlug mir das Herz bis<br />
zum Hals. War das ein Witz? Kam das von Z.? Wollte er mich wirklich zu einer Antwort<br />
provozieren? Oder war es eine Drohung? War er mittlerweile in Berlin gewesen und um<br />
meine Wohnung geschlichen? Hatte er mein Türschloss mit Sekundenkleber dichtgemacht?<br />
Oder war gleich in die Wohnung eingebrochen? Hatte sich in mein Bett gelegt?<br />
Alles verwüstet? Oder das Haus abgefackelt? Oder wartete er sogar drinnen auf mich?<br />
Allesamt ziemlich irre Gedanken, die ich da hatte. Als ich zu Hause ankam, war es lediglich<br />
mein Briefkasten, den er terrorisiert hatte. Er quoll über mit Post von Touristenbüros,<br />
Pharmafirmen, politischen Parteien und religiösen Vereinigungen. Dazu kam jede<br />
Menge Informationsmaterial für Schwangere – zu Nabelschnurblutdepots, Schwangerschaftsvitaminen<br />
oder Stammzellen.<br />
Ich schmiss alles in den Müll.<br />
165
FEIERABEND<br />
Von Ruben Donsbach<br />
ALICE AUS<br />
DER BRONX<br />
SONIA SOTOMAYOR WURDE 2009 ALS ERSTE LATINA UND DRITTE FRAU ZUR RICHTERIN AM OBERSTEN<br />
GERICHTSHOF DER USA ERNANNT. IHR AUFSTIEG AUS EINFACHSTEN VERHÄLTNISSEN IST BEISPIELHAFT.<br />
<strong>Fräulein</strong>: Frau Sotomayor, als Sie<br />
von Präsident Obama als Richterin<br />
für den Obersten Gerichtshof nominiert<br />
wurden, mussten Sie sich intensiven<br />
Anhörungen im Senat stellen.<br />
Sonia Sotomayor: Sinn dieser Anhörungen<br />
ist es, einen Kandidaten zu durchleuchten<br />
und herauszufinden, wie er als<br />
Richter in jeder möglichen Situation urteilen<br />
würde. Dabei sollte ein Richter nur auf<br />
Grundlage von Fakten entscheiden, nicht<br />
nach Meinung. Die Öffentlichkeit meint,<br />
Unvoreingenommenheit zu wollen, und<br />
möchte doch am liebsten jemanden am<br />
Gerichtshof sitzen haben, der genau so<br />
denkt wie sie. Das ist ein Paradox (lacht).<br />
Die Anhörungen glichen einem Tribunal.<br />
Sie wurden als aufbrausend<br />
beschrieben, Ihre Herkunft thematisiert,<br />
Ihre Qualifikation infrage gestellt.<br />
Wie ist es, mit diesen Vorurteilen<br />
zu leben?<br />
Das war und ist schwer. Das hat viel mit<br />
den Gender-Klischees zu tun. Menschen,<br />
die selbstbewussten Frauen begegnen,<br />
nehmen diese oftmals als unverhältnismäßig<br />
hart und aggressiv war. Männer,<br />
die sich genau so verhalten, gelten als<br />
selbstbewusst und durchsetzungsstark.<br />
Ihr autobiografisches Buch Meine<br />
geliebte Welt ist vor Kurzem bei C.H.<br />
Beck erschienen. Darin beschreiben<br />
Sie sehr eindrücklich Ihr Aufwachsen<br />
in der South Bronx, damals eine<br />
der ärmsten Nachbarschaften in den<br />
USA. Mit sechs Jahren wurde bei Ihnen<br />
Diabetes diagnostiziert, kurz darauf<br />
starb Ihr Vater an Alkoholmissbrauch.<br />
Das ist wahr.<br />
Wie haben Sie es unter diesen Bedingungen,<br />
gegen alle Widerstände, bis<br />
an den Supreme Court geschafft? Woher<br />
nahmen Sie die Kraft?<br />
Natürlich ist meine Durchsetzungskraft<br />
ein Produkt der Welt, in die ich hineingeboren<br />
wurde. Ich entwickelte die Bereitschaft,<br />
zu sagen: „Wenn mich das nicht<br />
aus der Bahn geworfen hat, dann kann<br />
kommen, was will“.<br />
Von außen betrachtet mag es so<br />
scheinen: Klar, Sonia Sotomayor, das<br />
ist halt der American Dream, only in<br />
America. Übersehen werden dabei<br />
die äußeren Bedingungen der sozialen<br />
Herkunft, und zweitens, dass der<br />
Staat Ihnen Hilfe und Werkzeuge in<br />
die Hand gegeben hat, um Ihr Ziel,<br />
den gesellschaftlichen Aufstieg, zu<br />
erreichen.<br />
Definitiv ...<br />
Könnten Sie in diesem Kontext erklären,<br />
was Affirmative Action bedeutet<br />
und warum sie implementiert wurde?<br />
Ich will es in der Kürze dieses Interviews<br />
versuchen. Als in den 60er-Jahren in den<br />
USA die Bürgerrechtsbewegung erstarkte,<br />
wurde schnell klar, dass die Integration<br />
unserer Gesellschaft nur sehr langsam<br />
vonstattenging. Dies war zumindest<br />
teilweise durch die Diskriminierung von<br />
Minderheiten zu erklären, die selbst das<br />
Ergebnis jahrzehntelanger Segregation<br />
war. Jobs und Aufstiegsmöglichkeiten<br />
und sogar Bildungschancen wurden auf<br />
der Basis von Beziehungen vergeben. Das<br />
beste Beispiel dafür ist das universitäre<br />
Ivy-League-System.<br />
Höhere Bildungseinrichtungen wie<br />
Harvard und Yale waren immer ein<br />
Boys Club, an dem die Söhne bekannter<br />
und erfolgreicher weißer Männer<br />
auf ihresgleichen trafen. Nicht nur<br />
für ethnische Minderheiten, sondern<br />
auch für Frauen war es sehr schwer,<br />
hier Erfolg zu haben.<br />
Ganz richtig. Es war ein Boys Club. Als<br />
ich nach Princeton kam, war es überhaupt<br />
erst der dritte Jahrgang, in dem<br />
Frauen zugelassen wurden. Minderheiten<br />
und Studenten von Schulen aus sozial<br />
schwächeren Milieus gab es wenige.<br />
Durch Affirmative Action wurde diese<br />
Auswahlroutine hinterfragt und flächendeckend<br />
auf der Grundlage von Talent<br />
nach geeigneten Kandidaten gesucht. Ich<br />
kam von einer ganz guten katholischen<br />
Schule aus der Bronx. Ich war dort immer<br />
unter den Besten, wenn auch nicht<br />
den Allerbesten gewesen. Doch neben<br />
der Schule habe ich jedes Wochenende<br />
gearbeitet und mich als Klassensprecher<br />
engagiert. Dies zeigte dem Auswahlgremium,<br />
wie viel Entschlossenheit ich an<br />
den Tag legte, Erfolg zu haben.<br />
Andere Schüler Ihres Jahrgangs blieben<br />
zu Hause und spielten.<br />
Ja, sicher. Diese Aktivitäten machten<br />
mich für Princeton attraktiv. Auch dass<br />
sie überhaupt an unsere Schule kamen,<br />
war der Affirmative Action zu danken.<br />
Es gibt eine Episode aus Ihrer Zeit<br />
in Princeton, die bezeichnend ist. Sie<br />
erzählten einer Kommilitonin, wie<br />
unwillkommen sie sich fühlen. Diese<br />
antwortet: „Oh, du bist wie Alice aus<br />
dem Wunderland.“ Obwohl sie eine<br />
begeisterte Leserin gewesen sind als<br />
Kind, kannten Sie das Buch nicht.<br />
Was erzählt diese Geschichte?<br />
Ausgeschlossen von der Mehrheitskultur<br />
fehlt Ihnen der Hintergrund, zahllose alltägliche<br />
Referenzen zu verstehen, welche<br />
signalisieren würden: „Die ist eine von<br />
uns.“ Jedes amerikanische Kind kennt<br />
Alice im Wunderland, nur nicht jene mit<br />
puerto-ricanischen Wurzeln. Wichtig ist:<br />
Es ist falsch, über das Wissen um gewisse<br />
kulturelle Bezugspunkte auf die Intelligenz<br />
und die individuellen Fähigkeiten<br />
einer Person zu schließen. Die Geschichte<br />
ist eine meiner Schlüsselerfahrungen.<br />
Den nächsten Sommer verbrachte ich<br />
dann damit, all die Bücher zu lesen, die<br />
ich hätte lesen sollen, als ich noch jünger<br />
war.<br />
Als junge Frau schon wurde bei Ihnen<br />
Diabetes diagnostiziert. Damals<br />
war die Krankheit schlecht heilbar,<br />
die Kur experimentell. Sie hätten<br />
sterben könne. Hat Sie diese Konfrontation<br />
mit dem eigenen Tod in<br />
außergewöhnlicher Weise gestärkt?<br />
Oh, ohne Frage. Durch den Diabetes begann<br />
ich, jede Sekunde meines Lebens<br />
wertzuschätzen. Ich werde bald 60 Jahre<br />
alt sein (Anmerkung der Redaktion: Frau<br />
Sotomayor wurde am 25. Juni dieses Jahres<br />
60 Jahre alt), die Angst vor dem Tod<br />
ist nicht mehr so präsent wie damals.<br />
Aber ich glaube fest daran, dass man endlose<br />
Möglichkeiten hat, wenn man bereit<br />
ist, sich voll auf das Leben einzulassen.<br />
An Ihrem ersten Arbeitstag am Supreme<br />
Court sind sie vor Arbeitsbeginn<br />
in das gerichtseigene Fitness-center<br />
gegangen. Ich weiß, dass<br />
Sie nicht viel Fernsehen schauen.<br />
Höchstens die Nachrichten. Was tun<br />
Sie, um nach Feierabend zu entspannen?<br />
Das ist eine gute Frage. Oftmals komme<br />
ich nach Hause und habe noch zu arbeiten.<br />
Meine Tage sind sehr lang. Ich fahre<br />
gerne am Wochenende mit dem Fahrrad<br />
in die Natur hinaus. Nachts lese ich etwas<br />
zum Vergnügen, ich mag es, zu kochen.<br />
Aber ganz ehrlich? Ich liebe es, mit meinen<br />
Freunden Poker zu spielen. Ich liebe<br />
die Mathematik daran.<br />
So wie Ihr Vater, er liebte die Mathematik.<br />
Das stimmt!<br />
Können Sie gut bluffen?<br />
Sagen wir es so: Ich gewinne öfter als ich<br />
verliere.<br />
Muss ein Richter bluffen können?<br />
Nein (lacht). Eher weniger. Es geht immer<br />
nur um das beste Argument!<br />
Sonia Sotomayor, geboren 1954 in New York,<br />
gilt gerade seit dem letzten Zyklus des Supreme<br />
Courts als eine der streitbarsten Stimmen für<br />
die Rechte von Minderheiten in den USA. Ihre<br />
Autobiographie „Meine geliebte Welt“ ist bei C.H.<br />
Beck erschienen.<br />
166
100% FRIENDLY<br />
COLLECTION<br />
NOW IN STORES<br />
AND AT GLORE.DE<br />
ANNE GORKE<br />
167
168
REZEPT<br />
Illustration von Lenia Hauser<br />
Foto von Sabine Volz<br />
*Dieses Rezept<br />
ist lediglich<br />
die Füllung für<br />
„Gefüllter Puter”<br />
169
DAS TRAGE ICH FÜR DIE EWIGKEIT<br />
Von Revan Baysal<br />
SCHMUCK<br />
AUF<br />
NACKTER<br />
HAUT<br />
BEIM BERLINER DESIGNERDUO AUGUSTIN TEBOUL TRIFFT<br />
AVANTGARDISTISCHE COUTURE AUF ROCK-‘N‘-ROLL-CHIC. IN<br />
DER EWIGKEIT GIBT ES FÜR SIE KEINE MATERIALITÄT MEHR.<br />
BEDEUTUNG HAT VOR ALLEM DAS HIER UND JETZT.<br />
„WIR SIND NICHT<br />
GEGEN DAS LEBEN<br />
NACH DEM TOD.“<br />
Odély: Das wirklich Beängstigende am<br />
Tod ist, die Menschen zu verlieren, die<br />
man liebt. Der eigene Tod kann dagegen<br />
ziemlich egoistisch sein, schließlich sind<br />
danach nur noch diejenigen damit konfrontiert,<br />
die du hinterlässt. Gerade wenn<br />
ich mal wieder im Flugzeug sitze, denke<br />
ich besonders oft über den Tod nach. Ich<br />
sage dann manchmal zu mir selbst: Das<br />
wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, zu sterben.<br />
Denn ich habe mein Bestes gegeben und<br />
ich bereue nichts. Das hört sich jetzt an,<br />
als wäre ich komplett furchtlos, aber das<br />
bin ich nicht. Nur in den Momenten, in<br />
denen ich zufrieden mit mir bin, hätte ich<br />
keine Angst vor dem Sterben, davor, das<br />
es enden könnte.<br />
Annelie: In so einem Moment denke ich:<br />
Es gibt nichts, was ich auf die andere Seite<br />
mitnehmen wollen würde. Jedenfalls<br />
nichts von materiellem Wert.<br />
O: Die Vorstellung eines Nach-dem-Tod<br />
ist ein Konzept aus der Welt der Lebenden.<br />
Besonders bin ich daher fasziniert<br />
von Mumien. In erster Linie wurden Tote<br />
mumifiziert, weil man im alten Ägypten<br />
an ein Leben nach dem Tod glaubte. Das<br />
war natürlich auch höchst repräsentativ,<br />
denn nicht jeder konnte sich eine Mumifizierung<br />
leisten. Heute könnte man<br />
sich solch eine Zeremonie nicht wirklich<br />
vorstellen, weil man das Leben nach dem<br />
Tod immerzu infrage stellt. Gibt es das<br />
überhaupt? Ich habe auch keine Vorstellung<br />
davon und deswegen würde ich auch<br />
nichts mit in die Ewigkeit nehmen wollen,<br />
um es dort zu tragen. Das ist ja hier das<br />
Thema. Die ganzen Zeremonien, die sich<br />
um den Tod drehen ... das ist alles nicht<br />
für den Toten gedacht, das ist für die Hinterbliebenen.<br />
Es ist eine Art Abschiedsgeschenk.<br />
Und diese Traditionen führen wir<br />
Lebenden eben weiter ... Für mich ist die<br />
Vorstellung, tot zu sein, wirklich schwer.<br />
Aber jetzt, wo ich darüber nachdenke,<br />
fände ich es schon ziemlich lustig, nackt<br />
da zu liegen, mit ganz viel Schmuck. Stell<br />
dir doch mal vor: du bist alt und reich und<br />
tot. Ich hätte mein Leben lang all diesen<br />
Schmuck gesammelt. Vintage-Schmuck,<br />
Goldschmuck, was von meiner Oma,<br />
was vom Trödel. Und dann kriege ich da<br />
nackte Haut und ganz viel Schmuck – das<br />
wäre ein schönes Bild für die Ewigkeit.<br />
A: Auch wenn ich nichts Materielles wie<br />
Schmuck mit in die Ewigkeit nehmen<br />
wollen würde, glaube ich natürlich an<br />
das Leben nach dem Tod oder sagen wir<br />
besser: ich bin nicht dagegen! Ich denke<br />
da nicht an Engel, die auf Wolken sitzen<br />
und auf ihrer Harfe spielen. Ich stelle mir<br />
das Ganze als einen weiten, hellen Ort vor,<br />
der nach Luft riecht. Es geht dort jedenfalls<br />
nicht um einen Goldring oder mein<br />
Lieblingskleid. Es geht um Seelen und die<br />
sind frei von Materialität.<br />
O: Ich glaube eher an Reinkarnation<br />
und dass das Leben ein Zirkel von vielen<br />
Energien ist. Alles ändert sich ständig; etwas<br />
stirbt, Neues wird geboren – das ist<br />
ein fortwährender Rythmus. Vielleicht<br />
war ich im ersten Leben ein Insekt und<br />
bin als Modedesignerin wiedergeboren<br />
worden. Aber eines ist ganz sicher:<br />
Es gilt, aus dem Leben das Beste zu machen,<br />
schließlich haben wir nur das eine.<br />
Es hängt wahrscheinich davon ab, wie ich<br />
mich jetzt anstelle, als was ich wiedergeboren<br />
werde, welche Chance ich dann<br />
bekomme. Vielleicht reinkarniere ich als<br />
Pflanze, als Baum? Wir Menschen sind<br />
generell viel zu sehr beschäftigt mit uns<br />
selbst. Da fällt mir diese eine lustige und<br />
experimentelle Dokumentation über die<br />
Sprache der Pflanzen ein. Irgendwelche<br />
Menschen, die seltsame Tests durchführen<br />
und behaupten, Pflanzen hätten eine<br />
eigene Sprache. Das sollte man jetzt nicht<br />
so ernst nehmen, aber wenn man überlegt,<br />
wann hat man das letzte Mal Natur<br />
wirklich wahrgenommen? Was ich sagen<br />
will: Wir sollten nicht nur mit uns selbst<br />
beschäftigt sein, sondern mehr unsere<br />
Umwelt beobachten. Schließlich kann<br />
sich das Leben von der einen Minute zur<br />
anderen ändern.<br />
A: Das ist es. Ich fürchte diese Unberechenbarkeit<br />
des Lebens, aber nicht den<br />
Tod. Es gibt zwar kein Leicht oder Schwer,<br />
aber ist ein langsamer Tod in diesem Sinne<br />
nicht besser?<br />
O: Mmh, das würde ich nicht sagen. Vielleicht<br />
für die Menschen, die man verlässt,<br />
aber nicht für einen selbst. Wenn man<br />
das Beste aus jedem Tag macht, kann der<br />
Tod kommen und du wirst nichts vermissen.<br />
Das was zählt, ist das Hier und Jetzt.<br />
Wenn du geliebt hast, was du lieben konntest,<br />
getragen hast, was du tragen wolltest,<br />
getan hast, was du tun konntest und gelebt<br />
hast, wie du leben konntest, was würde<br />
dir am Ende dann fehlen?<br />
Vermutlich nichts.<br />
Schon immer umwehte die beiden Freundinnen<br />
und Absolventinnen der Esmod Paris, Annelie<br />
Augustin und Odély Teboul, ein Hauch des<br />
Makabren. „Starr wie Roboterkriegerinnen<br />
aus einer düsteren Zukunft“ beschrieb die<br />
Süddeutsche Zeitung ATs Modelle der aktuellen<br />
Frühjahrskollektion. Für ihre Schneiderkunst<br />
erhielten sie 2014 den „International Woolmark<br />
Prize“.<br />
170
171
IMPRESSUM<br />
<strong>Fräulein</strong> ist eine<br />
Off One’s Rocker Ltd. Produktion<br />
mit Redaktionssitz:<br />
<strong>Fräulein</strong> Magazin<br />
Kurfürstenstraße 31-32<br />
10785 Berlin<br />
Telefon: +49 (0)30 2888 40 43<br />
Fax: +49 (0)30 2888 40 44<br />
info@fraeulein-magazin.com<br />
www.fraeulein-magazin.com<br />
Chefredakteur und Kreativdirektor<br />
V.i.S.d.P.<br />
Götz Offergeld<br />
Stellvertretender Chefredakteur<br />
Hendrik Lakeberg<br />
Ruben Donsbach<br />
Art-Direktion<br />
Andreas Kuschner<br />
Redaktion:<br />
Redaktionsleitung<br />
Anna Klusmeier<br />
International Fashion Editor<br />
Bernat Buscato<br />
Mode & Beauty<br />
Adrian Fekete<br />
Sina Braetz<br />
Online-Redaktion<br />
Revan Baysal<br />
Fashion Department New York<br />
Leo Saraniecki<br />
Redaktion<br />
Lorenz Schröter, Maja Hoock, Robert Grunenberg<br />
Grafik<br />
Christopher Schmidt<br />
Praktikanten<br />
Alina Amato, Julia Wötzinger<br />
Schlussredaktion<br />
Eckart Eisenblätter<br />
Heinrich Dubel<br />
Autoren<br />
Kevin Junk, Mary Scherpe, Sebastian Mayer, Wäis<br />
Kiani, Willy Katz<br />
Fotografen<br />
Adrien Mowgli, Amos Fricke, Annelise Phillips,<br />
Bettina Rheims, David Fischer, Denis Ignatov, Fabian<br />
Vaccaro, Hendrik Schneider, Jai Odell, Jan Philipp<br />
Lessner, Jj Stratford, Julia Grossi, Khaled Sufi, Kristiina<br />
Wilson, Mareike Seifried, Max Zürker, Maxyme G.<br />
Delisle, Micki Rosi Richter, Nils Krüger, Sabine Volz,<br />
Sebastian Mayer<br />
Illustratoren<br />
Anne Quadflieg, Danielle de Picciotto, Julia<br />
Danckwerth, Katrin Funcke, Kristina Wedel, Lenia<br />
Hauser, Natalia Bzdak, PepiArt, Pinki Dornberger,<br />
WRK-Design<br />
Styling<br />
Britt Berger, Ruth Higginbotham, Sophia Costima,<br />
Tabi Charaf, Tanja Martin<br />
Cover:<br />
Foto<br />
Hendrik Schneider<br />
<strong>Neneh</strong> trägt<br />
Blazer Hugo Boss<br />
Turban/Carré Hermès<br />
<strong>Fräulein</strong> Logo<br />
André Saraiva<br />
Verlag:<br />
Off One‘s Rocker Publishing Ltd.<br />
Kurfürstenstraße 31-32<br />
10785 Berlin<br />
Telefon: +49 (0)30 2888 40 43<br />
Fax: +49 (0)30 2888 40 44<br />
info@fraeulein-magazin.com<br />
Herausgeber: Götz Offergeld<br />
Verlagsleiter: Hannes von Matthey<br />
Idee und Konzept: Götz Offergeld<br />
Vertrieb:<br />
BPV Medien Vertrieb GmbH & Co. KG<br />
Römerstr. 90<br />
79618 Rheinfelden<br />
www.bpv-medien.com<br />
Druckerei<br />
Dierichs Druck+Media GmbH & Co. KG<br />
Frankfurter Str. 168<br />
34121 Kassel<br />
www.ddm.de<br />
Anzeigenverkauf:<br />
Nielsen 1 (Hamburg, Berlin, Schleswig-Holstein,<br />
Niedersachsen)<br />
Dirk Struwe, Medienvermarktung e.K.<br />
Poelchaukamp 8, 22301 Hamburg<br />
Telefon: +49 (0)40 280 580 80<br />
Fax: +49 (0)40 280 580 89<br />
d.struwe@struwe-media.de<br />
Nielsen 2 (Nordrhein-Westfalen)<br />
Andreas Fuchs, Medienservice + Beratung<br />
Vereinsstr. 20, 41472 Neuss<br />
Telefon: +49 (0)2131 406 370<br />
Fax: +49 (0)2131 406 3710<br />
kontakt@medienservice-und-beratung.de<br />
Nielsen 3a (Hessen, R heinland Pfalz, Saarland)<br />
Weipert GmbH<br />
Palais Kronberg, Frankfurter Str. 111,<br />
61476 Kronberg<br />
Telefon: +49 (0)6173 3250 970<br />
Fax: +49 (0)6173 3259 140<br />
helmujun@weipert-net.de<br />
Nielsen 3b (Baden-Württemberg)<br />
Nielsen 4 (Bayern), Österreich, Schweiz<br />
Bruno Marrenbach, MMS Marrenbach<br />
Medien-Service<br />
Tucherpark 6, 85622 Feldkirchen Kr. München<br />
Telefon: +49 (0)89 430 88 555<br />
Fax: +49 (0)89 430 88 556<br />
info@mms-marrenbach.de<br />
Italien<br />
Ediconsult Internazionale S.r.l.<br />
Luigi De Mari<br />
Tel: +39 02 4771 0036<br />
milano@ediconsult.com<br />
Großbritannien<br />
IGP - International & German Media Specialists<br />
Talbert House, 52A Borough High Street<br />
London SE1 1XN<br />
Tel.: +44 - (0)20 - 7403 458 9<br />
info@igpmedia.com<br />
HÄNDLERVERZEICHNIS<br />
A<br />
Acne<br />
acnestudios.com<br />
Adidas Originals<br />
adidas.de<br />
Agnona<br />
agnona.com<br />
Alain Mikli<br />
alainmikli.com<br />
Alexander McQueen<br />
alexandermcqueen.com<br />
Altuzarra<br />
altuzarra.com<br />
B<br />
Balenciaga<br />
balenciaga.com<br />
Bernhard Willhelm<br />
bernhard-willhelm.com<br />
BlackBerry<br />
de.blackberry.com<br />
BLK DNM<br />
blkdnm.com<br />
Bosideng<br />
bosidengmenswear.com<br />
Bottega Veneta<br />
bottegaveneta.com<br />
Brunello Cucinelli<br />
brunellocucinelli.com<br />
Budd<br />
buddshirts.co.uk<br />
Burton<br />
burton.com<br />
By Kilian<br />
bykilian.com<br />
By Malene Birger<br />
bymalenebirger.com<br />
C<br />
Cartier<br />
cartier.com<br />
Céline<br />
celine.com<br />
Chanel<br />
chanel.com<br />
Christopher Kane<br />
Über net-a-porter.com<br />
Clarins<br />
clarins.de<br />
Comme des Garçons<br />
comme-des-garcons.com<br />
Converse<br />
converse.de<br />
D<br />
Dior<br />
dior.com<br />
Dolce & Gabbana<br />
dolcegabbana.com<br />
Dries Van Noten<br />
driesvannoten.de<br />
Dsquared2<br />
Dsquared2.com<br />
E<br />
Ede & Ravenscroft<br />
edeandravenscroft.com<br />
Elevenparis<br />
elevenparis.com<br />
Emma Willis<br />
emmawillis.com<br />
Emporio Armani<br />
armani.com<br />
Eres<br />
eresparis.com<br />
Ermenegildo Zegna<br />
zegna.com<br />
Etro<br />
etro.com<br />
F<br />
Falke<br />
falke.com<br />
Fendi<br />
fendi.com<br />
G<br />
Gieves & Hawkes<br />
gievesandhawkes.com<br />
Giorgio Armani<br />
armani.com<br />
H<br />
Haider Ackermann<br />
haiderackermann.com<br />
Hardy Amies<br />
hardyamies.com<br />
Hermès<br />
hermes.com<br />
Hugo Boss<br />
hugoboss.com<br />
Hunter<br />
hunter-boot.com<br />
I<br />
Iphoria<br />
iphoria.com<br />
Isabel Marant<br />
isabelmarant.com<br />
J<br />
Jil Sander<br />
jilsander.com<br />
Jil Stuart<br />
jilstuart.com<br />
L<br />
Lanvin<br />
lanvin.com<br />
Lee<br />
lee.com<br />
Levi’s<br />
levi.com<br />
Lili Radu<br />
liliradu.com<br />
Lipstick Queen<br />
lipstickqueen.com<br />
Londontown<br />
londontownusa.com<br />
Louis Vuitton<br />
louisvuitton.de<br />
M<br />
Maison Martin Margiela<br />
maisonmartinmargiela.com<br />
Margaret Howell<br />
margarethowell.co.uk<br />
Marimekko<br />
marimekko.com<br />
Marni<br />
marni.com<br />
Marshall<br />
marshallheadphones.com<br />
Marvis<br />
marvismint.com<br />
Matchesfashion<br />
matchesfashion.com<br />
Michael Kors<br />
michaelkors.com<br />
Miller Harris<br />
millerharris.com<br />
Miu Miu<br />
miumiu.com<br />
Mykita<br />
mykita.com<br />
N<br />
New Balance<br />
newbalance.de<br />
Nixon<br />
nixon.com<br />
O<br />
Odin<br />
odinedt.com<br />
Opening Ceremony<br />
openingceremony.us<br />
Otis Batterbee London<br />
otisbatterbee.com<br />
Olympia Le-Tan<br />
olympialetan.com<br />
P<br />
Paul Smith<br />
paulsmith.co.uk<br />
PB 0110<br />
pb0110.de<br />
Philips<br />
philips.de<br />
Porsche Design<br />
porsche-design.com<br />
Prada<br />
prada.com<br />
Q<br />
Quartier 206<br />
dsq206.com<br />
R<br />
Radio Days Vintage<br />
radiodayvintage.co.uk<br />
Ray Ban<br />
ray-ban.com<br />
Red Wing Shoes<br />
redwingshoes.com<br />
S<br />
Saint Laurent<br />
ysl.com<br />
Salvatore Ferragamo<br />
ferragamo.com<br />
Samsung<br />
samsung.com<br />
Senz6<br />
senz6.com<br />
T<br />
Thom Sweeney<br />
thomsweeney.co.uk<br />
Thomas Pink<br />
thomaspink.com<br />
Tiger of Sweden<br />
tigerofsweden.com<br />
Tom Ford<br />
tomford.com<br />
Tromborg<br />
tromborg.com<br />
U<br />
Uniqlo<br />
uniqlo.com<br />
V<br />
Vans<br />
Vans.de<br />
Valentino<br />
valentino.com<br />
Versace<br />
versace.com<br />
172
RÄTSEL<br />
RÄTSEL<br />
ACHT REGENSCHIRME, DIE FRÄULEIN HABEN<br />
WILL, UND ACHT FEHLER, DIE ZU FINDEN SIND!<br />
173
HOROSKOP<br />
Illustration von Natalia Bzdak<br />
WIR SIND MANCHMAL EINE GANZ SCHÖN DEPRIMIERTE UND DEPRIMIERENDE SPEZIES, WIR<br />
UND TRENNEN UNS, STREITEN UND<br />
MENSCHEN. LEBEN PLANLOS IN DEN TAG HINEIN, LIEBEN<br />
WER WEM WANN ANS BEIN<br />
FETZEN UNS ANSCHLIESSEND UM DIE RICHTIGE ERINNERUNG.<br />
ÖFTER DIE KINDER ZUM SPORT<br />
GEPINKELT, WER IMMER IM CLUB BEZAHLT ODER<br />
GEBRACHT HAT. ALLES QUATSCH, WEISS UNSER THERAPEUTISCHES HOROSKOP. ENTSPANNT<br />
EUCH MAL! OB EIN PROBLEM GELÖST WERDEN KANN ODER NICHT: WELCHEN SINN HAT<br />
ES, STÄNDIG UNGLÜCKLICH ZU SEIN UND ÜBER DAS<br />
WILL BE<br />
LEID DER ERDE ZU KLAGEN? „EVERYTHING<br />
OKAY IN THE END. IF IT‘S NOT OKAY, IT‘S NOT THE END“.<br />
STEINBOCK<br />
22. Dezember – 20. Januar<br />
Die Welt ist leider komplex. Man braucht<br />
ein Dutzend Passwörter. Welche Straßenverkehrsordnung<br />
gilt für Bierbikes? Wer<br />
blickt bei Handy-Tarifen durch? Wir sind<br />
dauernd mit diesem Mist beschäftigt und<br />
versuchen uns die Welt mit Lebenshilfe-<br />
und Zensprüchen wie „Es gibt nichts<br />
Gutes, außer man tut es“ erträglicher zu<br />
machen. Manchmal sollte man das alles<br />
abstellen und es mit eigenen Worten versuchen.<br />
FISCHE<br />
20. Februar – 20. März<br />
Der Neptun ist minus 201 Grad Celsius<br />
kalt und er schweigt. Er lügt nicht, er sagt<br />
nicht die Wahrheit, er löst keine Grenzen<br />
auf, er ist kein Mystiker oder Täuscher. In<br />
165 Jahren umkreist er einmal die Sonne.<br />
Frage nicht den Neptun. Zwischen dir<br />
und der Antwort liegen 4.304 Millionen<br />
Kilometer luftleerer, schallloser Raum.<br />
Das Licht braucht dafür vier Stunden und<br />
zehn Minuten. Du bist ganz allein. Es ist<br />
dein Leben.<br />
WASSERMANN<br />
21. Januar – 19. Februar<br />
Wer ist schuld? Meine Eltern, die Gesellschaft,<br />
mein Ex, das System, die Politiker,<br />
die Umwelt? Alle, nur ich nicht. Ist<br />
das nicht etwas einfach? Wer will schon<br />
sein Leben lang als Opfer herumlaufen?<br />
Ist man es dann nicht auch zu Recht?<br />
Sollte man nicht selbst Verantwortung<br />
übernehmen? Zum Menschsein gehört<br />
nämlich das Selbst-schuld-sein einfach<br />
mal dazu.<br />
WIDDER<br />
21. März – 20. April<br />
Wir haben alle Verletzungen erfahren. Die<br />
Kunst ist es, an ihnen nicht zugrunde zu<br />
gehen. Sie nicht herumzuschleppen als<br />
ewige Bürde, nur weil vor hundert Jahren<br />
irgendjemand irgendwas gesagt oder getan<br />
hat. Manche Wunden heilen, andere<br />
pochen leise im Hintergrund. Liebe sie.<br />
Wenn du verlassen wurdest, genieße die<br />
Freiheit, wenn du zurückgewiesen wurdest,<br />
atme den Schmerz ein und wenn du<br />
arm bist, suche die Zen-Nonne in dir.<br />
174
STIER<br />
21. April – 20. Mai<br />
ZWILLING<br />
21. Mai – 21. Juni<br />
KREBS<br />
22. Juni – 22. Juli<br />
LÖWE<br />
23. Juli – 23. August<br />
Wenn sich Menschen trennen, entwickelt<br />
jeder ein ganz eigenes Narrativ. Und so<br />
spuken sie herum, die Abermillionen getrennt<br />
abgespeicherten Vergangenheiten.<br />
Sehr dienlich für die alltägliche Verständigung<br />
ist es, dies zu akzeptieren. Es hat<br />
sogar etwas Existenzialistisches, wenn<br />
man hinnimmt, dass ein Sofa, du weißt<br />
schon, unser Sofa neben dem Fernseher<br />
damals, zwar eindeutig grün, aber ebenso<br />
blau gewesen ist.<br />
Natürlich ist das Leben lustig. Man sollte<br />
es nicht zu ernst nehmen. Doch Einstein,<br />
Bill Gates und viele andere glückliche<br />
Menschen meinten im hohen Alter: Ich<br />
bereue nichts in meinem Leben, nur<br />
hätte ich mich mehr um meine Zähne<br />
kümmern sollen. Bei aller Nonchalance:<br />
Zahnweh bezwingt jeden Dandy. Irony<br />
is over. Es ist ja nicht so, dass Spaß und<br />
Ernst Gegensätze sein müssen. Machen<br />
Sie morgens Gymnastik und zwanzig<br />
Liegestütze. Lesen Sie Madame Bo.<br />
Gewaltige Kräfte bestimmen unser<br />
Glück. Man kann diese Kräfte Kapitalismus,<br />
Patriarchat, Feminismus,<br />
Schönheitswahn nennen. Egal. Was<br />
kann man schon dagegen machen?<br />
Aber für jede NSA gibt es auch einen<br />
Edward Snowden. Die Videobotschaft<br />
eines indischen Mädchens ist manchmal<br />
mächtiger als die PR-Abteilung<br />
eines Weltkonzerns. Man kann den<br />
großen Kräften trotzen.<br />
Erst streitet man sich darüber, wer den<br />
Wagen fährt, ob der FC Bayern blöd ist<br />
oder super, wer wen wann küsst, ob<br />
man ausschlafen oder wie viel Bier man<br />
trinken soll. Man macht Witze über die<br />
Mama des anderen, diskutiert, wer ans<br />
Handy gehen darf, ob Ringelsocken uncool<br />
sind. Das ist alles harmlos. Denn<br />
kommen die schweren Beziehungshämmer<br />
Ordnung, Geld, Politik, hört der Spaß<br />
auf. Leider.<br />
JUNGFRAU<br />
24. August – 23. September<br />
WAAGE<br />
24. September – 23. Oktober<br />
SKORPION<br />
24. Oktober – 22. November<br />
SCHÜTZE<br />
23. November – 21. Dezember<br />
Wir laden oft einfache Dinge mit Begeisterung<br />
auf, um dieses heilige Etwas zu<br />
spüren. Manche sind gnadenlose Sportfans,<br />
andere essen, als wäre es eine Religion.<br />
Wieder andere stehen Stunden vor<br />
dem Kleiderschrank. Niemand soll einem<br />
anderen diese Manien verbieten. Es gibt<br />
Schlimmeres. Nur wie wär‘s vielleicht<br />
mal mit etwas Humor ein wenig neben<br />
sich treten? Das tut gut. Versprochen.<br />
Die Schlange, in der ich anstehe, ist<br />
immer die längste. Schneide ich mir<br />
die Haare, lerne ich neue Menschen<br />
kennen. Wer Obst isst, bleibt gesund,<br />
Zigaretten helfen beim Denken. Das<br />
sind Beispiele magischen Denkens,<br />
wenn wider jede Vernunft ein Ereignis<br />
mit einem Ergebnis verbunden wird.<br />
Das hilft, durchs Leben zu kommen.<br />
Schaffen wir es aber nicht ohne, dann<br />
wird es ernst. Erkenne dich selbst!<br />
Wenn ich den richtigen Mann, die richtige<br />
Frau finde, dann werde ich ... Sagen<br />
Sie das manchmal? Und schieben damit<br />
etwas auf ? Sex, Babys, Verantwortung,<br />
Liebe? Blicken Sie mal in sich hinein –<br />
sind das nur Ausreden? Ist das nicht zu<br />
viel verlangt von einem, den Sie ja noch<br />
gar nicht kennen? Es ist an der Zeit, dass<br />
Sie der richtige Mann, die richtige Frau<br />
werden, dann kommt das Gegenstück<br />
von alleine.<br />
Es gibt Regeln für unsere Gefühle, die wir<br />
uns selbst auferlegen: Man soll nicht eifersüchtig<br />
sein, nicht nachtragend, nicht<br />
neidisch. Es stört einen nicht, wenn andere<br />
zu laut sind, rauchen, stinken. Passen<br />
Sie auf, dass Sie vor lauter guten Vorsätzen<br />
nicht Ihre eigenen Gefühle niedertrampeln.<br />
Es nervt eben doch. Und langsam<br />
aber sicher wächst der Unmut und<br />
dann kommt es zum Vulkanausbruch.<br />
175
SACHEN GIBT ES<br />
Von Maja Hoock<br />
Illustration von Kristina Wedel<br />
KUSCHELN<br />
FÜR KOHLE<br />
Unsere Autorin hat während des Studiums als Schokoladenüberzieherin in der Keksfabrik, Knödelformerin im Restaurant, Aufräumerin<br />
bei Messis, Modell an der Kunsthochschule und Erschreckerin auf dem Rummel gejobbt. Mehr Geld verdient man allerdings<br />
mit außergewöhnlichen Dienstleistungen, die gerade in wirtschaftlich schwierigen Phasen wieder im Kommen sind. Je größer der<br />
Graben zwischen Arm und Reich wird, desto öfter müssen vereinsamte Arbeiterherzen von Berufskuschlern gestreichelt werden und<br />
desto mehr gute Laune müssen Feelgood-Manager in Büros tragen, um unbezahlte Praktikanten bei der Stange zu halten. Unsere<br />
Übersicht merkwürdiger Dienstleistungen.<br />
1. Umarmer und In-die-Augen-Blicker<br />
Bezahlung: zirka 50 Euro die halbe Stunde<br />
Ausbildung: Emotionale Stabilität<br />
Aufgaben: Kaum ein Job steht so stark in<br />
Verbindung mit dem vereinsamten Großstadtleben<br />
wie dieser: bezahlte Zuwendung.<br />
Und weil nicht jeder dabei gleich an<br />
Sex denkt, gibt es einen Berufszweig, der<br />
sich auf unschuldige Zärtlichkeiten spezialisiert<br />
hat. Das Ganze passiert in Japan in<br />
Kuschel-Cafés oder in Hallen mit vielen<br />
„Kinderzimmern“, in denen pastellfarbene<br />
Betten stehen – provozierte Regression,<br />
die Geborgenheit bietet. In Deutschland<br />
kann man seine warmen Arme auf<br />
kuschel-portal.de anbieten.<br />
2. Feelgood-Manager<br />
Bezahlung: zirka 50.000 Euro brutto im<br />
Jahr, kommt darauf an, ob man für ein<br />
kleines Start-up oder für Google arbeitet<br />
Ausbildung: Workshops dauern berufsbegleitend<br />
15 Monate. Es gibt sie bei speziellen<br />
Instituten wie der Goodplace School.<br />
Aufgaben: Je enger ein Großraumbüro ist,<br />
desto mehr Burnout und Zickenkrieg gibt<br />
es. Das ist wie bei Stachelschweinen, die<br />
sich piksen, wenn sie sich zu nah kommen.<br />
Arbeitsanimateure streicheln die<br />
ausgebrannten Seelen der Arbeitstierchen<br />
mit gemeinsamem Kochen, langen<br />
Gesprächen und Feng-shui, damit sie<br />
wieder vollen Einsatz bringen können.<br />
Denn nur ein glücklicher Arbeiter ist ein<br />
williger Arbeiter.<br />
3. Alibi-Geber<br />
Bezahlung: Je nach Auftrag um 200 Euro<br />
pro Alibi<br />
Ausbildung: Lügen und Betrügen<br />
Aufgaben: Agenturen wie alibi-profi.de<br />
vermitteln Doppelleben. Das bedeutet<br />
zum einen, dass sie Auszeiten geben, indem<br />
sie Clubs und Hobbys mit eigener<br />
Clubkarte, telefonischer Erreichbarkeit<br />
und falschen E-Mails erfinden und so<br />
einmal die Woche einen Tag freischaffen.<br />
Man kann dazubuchen, sich anrufen und<br />
aus einem unangenehmen Meeting holen<br />
lassen oder Alibi-Freunde und -Freundinnen<br />
mieten, um zu vertuschen, dass<br />
man homosexuell ist. So haben einige<br />
Politiker über viele Jahre eine Schauspielerin<br />
zur Frau und leben in Wahrheit mit<br />
jemand völlig anderem zusammen. Alles<br />
für den schönen Schein.<br />
4. Ghostwriter<br />
Bezahlung: 100 bis 600 Euro pro Text<br />
Ausbildung: Uni-Abschluss ist von Vorteil<br />
Aufgaben: Auf Seiten wie lass-andere-schreiben.de<br />
kann man mit Uni-Essays,<br />
Deutschaufsätzen, Bachelor-Arbeiten,<br />
Reden oder Songtexten Geld<br />
verdienen. Wie wir von K.-T. zu Guttenberg,<br />
Jorgo Chatzimarkakis, Annette<br />
Schavan, Silvana Koch-Mehrin und Matthias<br />
Pröfrock gelernt haben, ist dabei<br />
Vorsicht angebracht. Manche Seiten sind<br />
darum schon einen Schritt weiter und<br />
bieten eine Plagiatsprüfung inklusive.<br />
5. Erwachsenen-Amme<br />
Bezahlung: bis zu 10.000 Euro im Monat<br />
Ausbildung: Hausdame, Dienerin<br />
Aufgaben: Ammen für Teenager und<br />
junge Erwachsene geben natürlich nicht<br />
mehr die Brust, sondern sind eher so etwas<br />
wie mütterliche Dienerinnen. Man<br />
sieht sie vor allem auf Empfängen, auf<br />
denen reiche arabische Familien zu Gast<br />
sind. Sie knien vor den Jungen und Mädchen<br />
und füttern sie. So muss der kleine<br />
Prinz (seltener: die kleine Prinzessin)<br />
176
nicht die schwere Gabel selbst zum Mund<br />
führen. Wie sähe das denn auch aus?<br />
6. Ohrenputzer<br />
Bezahlung: 15 bis 30 Euro pro Auftrag<br />
Ausbildung: Hohe Ekelschwelle; die Technik<br />
lernt man beim Heilpraktiker oder<br />
Kosmetiker<br />
Aufgaben: Häufig sind Ohrenputzer auf<br />
öffentlichen Plätzen in China tätig, doch<br />
auch die bereits genannten japanischen<br />
Berufskuschler bieten das Putzen häufig<br />
in Kombination an. Auch in Deutschland<br />
werden immer öfter solche Dienstleistungen<br />
angeboten, allerdings nicht mit<br />
Wattestäbchen, sondern meist von Heilpraktikern<br />
oder Wellness-Tanten mit Hopi-Kerzen,<br />
die ins Ohr gesteckt und angezündet<br />
werden. Durch den Unterdruck<br />
werden Sekrete aus dem Ohr gezogen,<br />
was sehr entspannend sein soll.<br />
7. Butler<br />
Bezahlung: Beim Hauspersonal-Spezialisten<br />
AOG gibt es Inserate mit zirka<br />
2.000 Euro netto bei 40 Arbeitsstunden<br />
in der Woche und freier Kost und Logis,<br />
in guten Hotels bis zu 6.000 Euro<br />
Ausbildung: zum Beispiel an der Internationalen<br />
Butlerakademie in den Niederlanden<br />
oder in guten Hotels<br />
Aufgaben: Es gab einmal Zeiten, da waren<br />
Butler und Butlerinnen Familienmitglieder,<br />
enge Vertraute und beste Freunde<br />
zugleich. Sie organisierten das Leben,<br />
hielten Ärger fern, servierten Speisen,<br />
planten Partys, packten Koffer, kauften<br />
ein, rührten den Tee um und sahen nur<br />
das, was sie sehen sollten. Auf diese Weise<br />
konnte man einen Menschen wirklich<br />
glücklich machen, wie berühmte Butler<br />
der Geschichte immer wieder gezeigt haben.<br />
Während man in Deutschland noch<br />
mit dem Gedanken fremdelt, jemanden in<br />
seine Dienste zu nehmen, sind Butler im<br />
Fernen Osten längst das neue Statussymbol<br />
schlechthin.<br />
8. Berufsdemonstrant<br />
Bezahlung: 30 bis 100 Euro pro Demo<br />
Ausbildung: Schwarzer Block, Parteien<br />
oder beides (ehem. Außenminister)<br />
Aufgaben: Für manche Anliegen will niemand<br />
auf die Straße gehen. Weil sie aber<br />
wirken sollen wie Volkes Wille, gibt es<br />
Berufsdemonstranten. Die stehen mit<br />
brennenden Stars and Stripes irgendwo<br />
im Nahen Osten oder mit Pro-Stuttgart-<br />
21-Bannern in Schwaben. Kommt ein<br />
Nachrichtenteam vorbei, werden diese<br />
Demonstranten zum Gesicht einer Bewegung.<br />
Auftraggeber sind Parteien, Firmen<br />
oder NGOs wie zuletzt mutmaßlich Robin<br />
Wood. Die Seite demonstrantenmieten.de<br />
wurde gerade wegen eines angeblichen<br />
NSA-Angriffs gesperrt, doch auf erento.<br />
de ist bei der Suche nach Demonstranten<br />
zu lesen, „schauen Sie einfach online<br />
nach dem passenden Demonstranten<br />
und schon sind Sie nicht mehr alleine unterwegs!“<br />
Man muss sich nur anmelden<br />
und kann mit erhobener Faust der Wirtschaftskrise<br />
entfliehen!
©T&CO. 2014<br />
INTRODUCING<br />
TIFFANY T<br />
BERLIN DÜSSELDORF FRANKFURT AM MAIN<br />
HAMBURG MÜNCHEN STUTTGART<br />
WIEN ZÜRICH | TIFFANY.COM