Kapitel 3 Landau'sche Theorie der Fermiflüssigkeit
Kapitel 3 Landau'sche Theorie der Fermiflüssigkeit
Kapitel 3 Landau'sche Theorie der Fermiflüssigkeit
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<strong>Kapitel</strong> 3<br />
Landau’sche <strong>Theorie</strong> <strong>der</strong><br />
Fermiflüssigkeit<br />
Die Landau’sche <strong>Theorie</strong> <strong>der</strong> Fermiflüssigkeit wurde 1956 von Laudau entwickelt, um die<br />
Eigenschaften von 3 He zu erklären. Ihre Bedeutung geht aber weit über diesen Spezialfall<br />
hinaus: grundsätzlich kann sie zur Beschreibung aller fermionischen Systeme verwendet<br />
werden. Die Landau’sche <strong>Theorie</strong> <strong>der</strong> Fermiflüssigkeit gilt heute als eine <strong>der</strong> bedeutendsten<br />
<strong>Theorie</strong>n <strong>der</strong> Festkörperphysik und ist <strong>der</strong>zeit das ”<br />
Standardmodell“ <strong>der</strong> Metalle. Sie erklärt,<br />
warum sich ein System aus stark wechselwirkenden Teilchen annähernd wie ein System freier<br />
Teilchen verhalten kann und gibt an, wie man die Än<strong>der</strong>ungen, die die Wechselwirkungen<br />
hervorrufen, quantifizieren kann.<br />
3.1 Das Konzept <strong>der</strong> Quasiteilchen<br />
Dass einfache Metalle sehr gut mit <strong>der</strong> Sommerfeld-<strong>Theorie</strong> freier Elektronen beschrieben<br />
werden können (vgl. Abschnitt 2.1, spezifische Wärme von Au und Paulisuszeptibilität von<br />
Na) ist eigentlich überaus erstaunlich, denn die Coulomb-Wechselwirkung zwischen den Elektronen<br />
ist trotz Abschirmung keineswegs vernachlässigbar klein. Sie ist in Metallen von <strong>der</strong><br />
gleichen Größenordnung wie die kinetische Energie <strong>der</strong> Elektronen. Warum kann eine <strong>Theorie</strong>,<br />
die die Coulomb-Wechselwirkung gänzlich außer Acht lässt, dann so gut funktionieren?<br />
Die Antwort liegt in Landau’s Konzept <strong>der</strong> Quasiteilchen.<br />
Tatsächlich haben wir mit den Beziehungen freier Elektronen nämlich nicht die freien<br />
Elektronen selbst beschrieben, son<strong>der</strong>n den Elektronen ähnliche (Landau’sche) Quasiteilchen.<br />
Obwohl sich <strong>der</strong> Grundzustand des wechselwirkenden Systems erheblich von dem des<br />
nichtwechselwirkenden Systems unterscheiden kann, haben die elementaren Anregungen des<br />
wechselwirkenden Systems (die Quasiteilchen) praktisch die gleichen Eigenschaften wie die<br />
ursprünglichen Elektronen: sie haben die gleiche Ladung, den gleichen Spin und den gleichen<br />
maximalen Impuls p F . Nur ihre effektive Masse m ∗ und damit auch ihre Energie p 2 /(2m ∗ )<br />
kann sich erheblich von <strong>der</strong> freier Elektronen unterscheiden. Zudem ist die Gesamtenergie<br />
mehrerer Quasiteilchen annähernd gleich <strong>der</strong> Summe ihrer Einzelenergien. Man kann damit<br />
komplizierte angeregte Zustände einfach als Summe von vielen Quasiteilchen beschreiben.<br />
31
32 KAPITEL 3. LANDAU’SCHE THEORIE DER FERMIFLÜSSIGKEIT<br />
Abbildung 3.1: Grundzustand des freien Fermigases im ⃗ k-Raum mit einer Teilchen-Loch-<br />
Anregung [Schofield, Contemporary Physics 40 (1999) 95].<br />
Zur Einführung <strong>der</strong> Quasiteilchen bedient man sich des Konzepts <strong>der</strong> ”<br />
adiabatischen<br />
Kontinuität“. Wir gehen in einem Gedankenexperiment von einem Metall aus, in dem wir<br />
die Wechselwirkung zwischen den Quasiteilchen über einen Regler variieren können: bei 0<br />
verschwindet die Coulomb-Wechselwirkung zwischen den Elektronen und wir haben ein freies<br />
Fermigas, bei 1 erreicht die Wechselwirkung ihre volle Größe. Wir gehen vom Zustand<br />
in Abb.3.1 aus, also vom Grundzustand mit einem angeregten Zustand bei Reglerstellung<br />
0. Nun regeln wir die Wechselwirkung ganz langsam hoch. Dabei fangen die Elektronen innerhalb<br />
<strong>der</strong> Fermifläche an, miteinan<strong>der</strong> und mit dem Elektron außerhalb <strong>der</strong> Fermifläche<br />
zu wechselwirken. Wenn <strong>der</strong> Regler nur langsam genug bewegt wird, gehen wegen <strong>der</strong> adiabatischen<br />
Kontinuität die Eigenzustände des nichtwechselwirkenden Systems kontinuiertlich<br />
in Eigenzustände des wechselwirkenden Systems über. Die Quantenzahlen <strong>der</strong> freien<br />
Elektronen können also von den Quasiteilchen übernommen werden, obwohl sich ihre Wellenfunktionen<br />
und Energien verän<strong>der</strong>n. Man spricht von einer Eins-zu-eins-Korrespondenz<br />
zwischen Quasiteilchen und freien Elektronen. Zur Konstruktion <strong>der</strong> Landau’schen <strong>Theorie</strong><br />
<strong>der</strong> Fermiflüssigkeit ist es allerdings nötig, dass <strong>der</strong> Regler in einer Zeit von 0 auf 1 gedreht<br />
wird, die kleiner ist als die Streuzeit <strong>der</strong> Quasiteilchen. Da die Streuzeit (bei T = 0) nahe<br />
<strong>der</strong> Fermifläche divergiert, kann hier <strong>der</strong> Regler immer so langsam wie für die adiabatische<br />
Kontinuität nötig gedreht werden. Weiter von <strong>der</strong> Fermifläche entfernt (o<strong>der</strong> bei höheren<br />
Temperaturen) ist dies allerdings nicht mehr <strong>der</strong> Fall. Hier zerfallen die Quasiteilchen bereits<br />
bevor die Wechselwirkung vollständig eingeschaltet wurde. Bei endlicher Temperatur<br />
wächst die Streurate mit T 2 an. Das Quasiteilchen-Konzept ist also nur bei tiefen Temperaturen<br />
und für nie<strong>der</strong>energetische Anregungen gültig.<br />
Im Folgenden machen wir die Energie- und Temperaturabhängigkeit <strong>der</strong> Streurate plausibel.<br />
Das Quasiteilchen in Abb.3.1 habe eine Energie ǫ 1 , die größer als die Fermienergie ǫ F<br />
ist (vgl. Abb.3.2 (A)). Es kann nur an einem Teilchen einer Energie ǫ 2 < ǫ F streuen, da<br />
ausschließlich elektronische Niveaus mit Energien kleiner ǫ F besetzt sind (vgl. Abb.3.2 (B)).<br />
Das Pauliprinzip for<strong>der</strong>t nun, dass diese beiden Teilchen nur in unbesetzte Niveaus gestreut<br />
werden können, dass also ǫ 3 > ǫ F und ǫ 4 > ǫ F . Damit dies energetisch möglich ist, muss
3.2. SPEZIFISCHE WÄRME UND PAULISUSZEPTIBILITÄT 33<br />
Abbildung 3.2: (A) Ausgangszustand, bestehend aus einem Quasiteilchen mit <strong>der</strong> Energie<br />
ǫ 1 oberhalb <strong>der</strong> Fermienergie ǫ F . (B) Endzustand nach einem Wechselwirkungsprozess, bei<br />
dem ein Teilchen von unterhalb nach oberhalb <strong>der</strong> Fermienergie gestreut wird und das ursprüngliche<br />
Quasiteilchen seine Energie än<strong>der</strong>t[Condensed Matter Physics, Michael P. Mar<strong>der</strong>].<br />
|ǫ 2 − ǫ F | ≤ ǫ 1 − ǫ F gelten, muss also ǫ 2 näher am Ferminiveau liegen als ǫ 1 (o<strong>der</strong> höchstens<br />
gleichweit davon entfernt sein). Da die Energie erhalten sein muss (ǫ 1 + ǫ 2 = ǫ 3 + ǫ 4 ), gilt<br />
weiters, dass ǫ 3 − ǫ F < ǫ 1 − ǫ F und ǫ 4 − ǫ F < ǫ 1 − ǫ F . Für den Streuprozess kommen also<br />
nur Zustände innerhalb einer Schale mit einer Dicke <strong>der</strong> Größenordnung ǫ 1 − ǫ F um die<br />
Fermifläche in Frage. In <strong>der</strong> Sprache <strong>der</strong> Streutheorie kann man sagen, dass <strong>der</strong> Phasenraum,<br />
<strong>der</strong> für den Streuprozess verfügbar ist, mit dem Abstand von Quasiteilchen 1 zum<br />
Ferminiveau abnimmt. Am Ferminiveau selbst, also für ǫ 1 = ǫ F , gibt es keinen Phasenraum<br />
für den Streuprozess und die Lebensdauer des Quasiteilchens ist (bei T = 0) unendlich. Die<br />
Streurate 1/τ ist proportional zum Quadrat von ǫ 1 − ǫ F<br />
1<br />
τ ∼ (ǫ 1 − ǫ F ) 2 , (3.1)<br />
da sowohl die Energie ǫ 2 als auch die Energie ǫ 3 innerhalb <strong>der</strong> erlaubten Schale gewählt werden<br />
muss. Für ǫ 4 ergibt sich die Energie auf Grund <strong>der</strong> Energieerhaltung dann automatisch.<br />
Betrachtet man zusätzlich zur gefüllten Fermikugel nicht ein einzelnes Quasiteilchen,<br />
son<strong>der</strong>n eine thermische Gleichgewichtsverteilung von Quasiteilchen bei einer von null verschiedenen<br />
Temperatur, so sind nun teilweise gefüllte Niveaus innerhalb einer Schale <strong>der</strong><br />
Dicke k B T um ǫ F verfügbar. Damit ergibt sich selbst für ǫ 1 = ǫ F die endliche Streurate<br />
1<br />
τ ∼ (k BT) 2 . (3.2)<br />
3.2 Spezifische Wärme und Paulisuszeptibilität<br />
Das Beibehalten <strong>der</strong> durch das Pauliprinzip festgelegten Quantenzahlen und damit <strong>der</strong> wohldefinierten<br />
Fermifläche im wechselwirkenden Fall ist die Ursache für die gleiche Temperaturabhängigkeit<br />
<strong>der</strong> spezifischen Wärme (C V = ∂U/∂T | V , U: innere Energie, V : Volumen)<br />
und <strong>der</strong> Paulisuszeptibilität (χ M = ∂M/∂H, M: Magnetisierung, H: Magnetfeld) in Fermigas<br />
und Fermiflüssigkeit. Beide Eigenschaften folgen nämlich allein aus <strong>der</strong> Existenz einer<br />
wohldefinierten Fermifläche. Eine Skizze <strong>der</strong> Landau’schen Ableitung dieser Beziehungen für<br />
die Fermiflüssigkeit wird im folgenden Abschnitt gegeben.
34 KAPITEL 3. LANDAU’SCHE THEORIE DER FERMIFLÜSSIGKEIT<br />
3.2.1 Statistische Thermodynamik <strong>der</strong> Quasiteilchen<br />
Energie-Funktional<br />
Landau schlug eine phänomenologische Beschreibung für einen Quantenzustand, <strong>der</strong> von<br />
vielen Quasiteilchen besetzt ist, vor. f ⃗k sei die Wahrscheinlichkeit, dass ein Zustand mit dem<br />
Wellenvektor ⃗ k besetzt ist. Im Grundzustand (bei T = 0 K) haben alle f ⃗k für ⃗ k-Vektoren<br />
innerhalb <strong>der</strong> Fermifläche den Wert 1 (besetzte Zustände), alle außerhalb <strong>der</strong> Fermifläche<br />
den Wert 0 (unbesetzte Zustände). Dies wird durch eine Sprungfunktion <strong>der</strong> Form<br />
f 0 ⃗ k<br />
≡ Θ ( ε F − ε ⃗k<br />
)<br />
(3.3)<br />
mit Θ(x) = 1 für x ≤ 0 und Θ(x) = 0 für x > 0 ausgedrückt. Es sei nun δf ⃗k die Differenz<br />
zwischen <strong>der</strong> aktuellen Besetzungswahrscheinlichkeit des Zustandes ⃗ k und seiner Besetzungswahrscheinlichkeit<br />
im Grundzustand; im Grundzustand sind alle δf ⃗k = 0. Wir nehmen nun<br />
an, dass die Energie eines Quantenzustandes nach δf ⃗k (<strong>der</strong> Spin-Zustand σ wird dabei vorerst<br />
in <strong>der</strong> Notation von δf ⃗k nicht mitgeführt) entwickelt werden kann:<br />
ε [δf] = ε 0 + ∑ ε⃗ 0 k<br />
δf ⃗k + 1 ∑<br />
δf ⃗k u ⃗k ⃗<br />
2<br />
k ′δf ⃗k ′ + ... (3.4)<br />
⃗ kσ ⃗ k ⃗ k ′ σσ ′<br />
ε 0 ist <strong>der</strong> Energie-Nullpunkt, ε 0 ⃗ k<br />
die Energie <strong>der</strong> nichtwechselwirkenden Teilchen (für ein<br />
Metall ist dies die Energie <strong>der</strong> zu ⃗ k gehörenden Bloch-Wellenfunktion, für ein freies Elektron<br />
ist es die Energie ( ⃗ k) 2 /(2m) zur ensprechenden ebenen Welle mit dem Wellenvektor ⃗ k). Die<br />
Funktion u ⃗k ⃗ k ′ beschreibt die Wechselwirkung zwischen zwei Teilchen mit den Wellenvektoren<br />
⃗ k und ⃗ k ′ . Die Form des Wechselwirkungspotentials u ⃗k ⃗ k ′ bestimmt die Physik, die mit diesem<br />
Ansatz beschrieben wird. Vermittelt u ⃗k ⃗ k ′ eine abstoßende Wechselwirkung, so kann man<br />
damit z.B. die Coulombkorrelation <strong>der</strong> Elektronen beschreiben. In unserer Ableitung machen<br />
wir vorerst keine Einschränkung für u ⃗k ⃗ k ′, sodass die Ergebnisse im Rahmen <strong>der</strong> nötigen<br />
Näherungen sehr allgemeine Aussagen zulassen. Es sollte noch bemerkt werden, dass die<br />
<strong>Theorie</strong> <strong>der</strong> Fermiflüssigkeit nicht geeignet ist, um z.B. Supraleitung zu beschreiben. Der<br />
Grund liegt darin, dass bei <strong>der</strong> Bildung <strong>der</strong> Cooper-Paare Bosonen erzeugt werden, was die<br />
gefor<strong>der</strong>te Eins-zu-eins-Korrespondenz zwischen den freien Teilchen und den Quasiteilchen<br />
bricht und dass die Quasiteilchen nur innerhalb ihrer Zerfallszeit existieren, während die<br />
Cooperpaare stabil sind.<br />
Wie sehen nun die δf ⃗k für einen angeregten Zustand aus?<br />
T = 0 K + 1 Quasiteilchen<br />
Die Energie, die nötig ist, um ein Quasiteilchen im Zustand ( ⃗ k, σ) oberhalb <strong>der</strong> Fermifläche<br />
hinzuzufügen, ergibt sich aus Glg. (3.4) zu<br />
ε ⃗k = ε 0 ⃗ k<br />
+ ∑ ⃗ k ′ σ ′ u ⃗k ⃗ k ′δf ⃗k ′ . (3.5)
3.2. SPEZIFISCHE WÄRME UND PAULISUSZEPTIBILITÄT 35<br />
Dabei wurde berücksichtigt, dass <strong>der</strong> Zustand ( ⃗ k, σ) sicher, also mit Wahrscheinlichkeit 1<br />
(δf ⃗k = 1) besetzt ist. Der Faktor 1/2 im Wechselwirkungsterm von Glg. (3.4) entfällt, da<br />
über die zwei möglichen Spin-Richtungen σ summiert wurde.<br />
Niedrige Temperaturen<br />
Bei T > 0 tritt an die Stelle <strong>der</strong> Fermienergie das chemische Potenzial µ, das <strong>der</strong> Energie des<br />
höchsten besetzten Zustandes entspricht. Die Besetzungswahrscheinlichkeiten können über<br />
die Zustandssumme berechnet werden. In einem Metall werden mit zunehmen<strong>der</strong> Temperatur<br />
Quasiteilchen erzeugt. Wir haben es also mit einem offenen System – einem System<br />
mit Teilchenaustausch mit dem Wärmebad – zu tun und müssen daher die großkanonische<br />
Zustandssumme verwenden. Für nichtwechselwirkende Elektronen ist sie gegeben durch<br />
Z gr = ∑ Zust. exp [−β(ε − µ)N], wobei N die Gesamtteilchenzahl ist und β = 1/(k BT). Die<br />
großkanonische Zustandssumme für die Quasiteilchen ist gegeben durch<br />
⎧ ⎡<br />
⎤⎫<br />
Z gr =<br />
∑ ⎨<br />
exp<br />
⎩ −β ⎣ ∑ (<br />
ε<br />
0<br />
⃗k − µ ) δn ⃗k + 1 ∑ ⎬<br />
δn ⃗k u ⃗k ⃗<br />
2<br />
k ′δn ⃗k<br />
⎦<br />
′<br />
⎭ . (3.6)<br />
δn ⃗k1 ...δn ⃗kN ⃗ kσ ⃗ k ⃗ k ′ σσ ′<br />
Die ganzen Zahlen δn ⃗k sind die Besetzungszahlen für Fermionen und haben die Werte 0 und<br />
1 für Zustände außerhalb <strong>der</strong> Fermikugel und −1 und 0 für Zustände innerhalb. Sie unterscheiden<br />
sich daher von den Besetzungswahrscheinlichkeiten δf ⃗k , welche die thermischen<br />
Mittelwerte <strong>der</strong> δn ⃗k sind. δn ⃗k = 1 beschreibt ein Quasielektron (Quasiteilchen ausserhalb<br />
<strong>der</strong> Fermifläche), δn ⃗k = −1 ein Quasiloch (Quasiteilchen innerhalb <strong>der</strong> Fermifläche). Man<br />
steht nun vor dem Problem, dass man die Summation im Wechselwirkungsterm nicht analytisch<br />
durchführen kann. Bei tiefen Temperaturen jedoch, wo die δf ⃗k entsprechend klein<br />
sind, lässt sich eine Lösung im Rahmen <strong>der</strong> Mean-field-Näherung finden. Man ersetzt im<br />
Wechselwirkungsterm von Glg. (3.6) die δn ⃗k durch den a priori exakten Ausdruck<br />
δn ⃗k = δf ⃗k + ( δn ⃗k − δf ⃗k<br />
)<br />
, (3.7)<br />
multipliziert aus und berücksichtigt nur jene Terme, die linear in (δn ⃗k − δf ⃗k ) sind. Der<br />
physikalische Sinn liegt darin, dass man eine Größe, hier δn ⃗k , durch ihren thermischen Mittelwert,<br />
hier δf ⃗k , und die – hoffentlich kleinen – Abweichungen von diesem ( )<br />
δn ⃗k − δf ⃗k ,<br />
die Fluktuationen, ersetzt (mehr zum Thema Mean-field-Näherung in Abschnitt 4.2.2). Die<br />
großkanonische Zustandssumme wird damit zu<br />
⎧ ⎡<br />
⎤<br />
⎫<br />
Z gr = ∑ ⎨<br />
exp<br />
⎩ −β ⎣ ∑ (<br />
ε<br />
0<br />
⃗k − µ ) + ∑ u ⃗k ⃗ k ′δf ⃗k ′<br />
⎦δn ⃗k + β 1 ∑ ⎬<br />
δf ⃗k u ⃗k ⃗<br />
2<br />
k ′δf ⃗k ′<br />
⎭ (3.8)<br />
δn ⃗k1 =0,1...<br />
⃗ kσ ⃗ k ′ σ ′ ⃗ k ⃗ k ′ σσ ′<br />
= ∏ (<br />
β 1 ) ∑<br />
2 δf ∏<br />
⃗ k<br />
u ⃗k ⃗ k ′δf ⃗k ′<br />
(3.9)<br />
⃗ k ⃗ k ′ σσ ′ exp<br />
= ∏<br />
⃗ k ⃗ k ′ σσ ′ exp<br />
(<br />
β 1 2 δf ⃗ k<br />
u ⃗k ⃗ k ′δf ⃗k ′<br />
exp ( −β ( ε ⃗k − µ ) )<br />
δn ⃗k<br />
δn ⃗k1 ... ⃗ kσ<br />
) ∏ [ ( (<br />
1 + exp −β ε⃗k − µ ) )]<br />
h ⃗k<br />
⃗ kσ<br />
. (3.10)
36 KAPITEL 3. LANDAU’SCHE THEORIE DER FERMIFLÜSSIGKEIT<br />
Glg. (3.8) hat die Form ∑ i exp(A i+B) und kann demnach in exp(B) ∑ i exp(A i) umgeformt<br />
werden. Mit B = ∑ j B j gilt weiter exp(B) = ∏ j exp(B j). Mit einer analogen Umformung<br />
von A und Verwendung von Glg. (3.5) folgt Glg. (3.9). In Glg. (3.10) haben wir die Summation<br />
über die Besetzungszahlen δn ⃗k teilweise durchgeführt und die neue Größe h ⃗k eingeführt,<br />
welche nur die Werte −1 und +1 annehmen kann. Schließlich bestimmen wir unter Verwendung<br />
von Glg. (3.9) noch den Erwartungswert <strong>der</strong> Besetzungszahl δn ⃗k im Zustand ⃗ k, <strong>der</strong><br />
natürlich gerade die Besetzungswahrscheinlichkeit δf ⃗k des Quasiteilchen-Zustandes ⃗ k ist:<br />
δf ⃗k = 1<br />
Z gr<br />
∏<br />
⃗ k ⃗ k ′ σσ ′ exp<br />
(<br />
β 1 ) ⎡<br />
2 δf ⃗ k<br />
u ⃗k ⃗ k ′δf ⃗k<br />
⎣ ∑<br />
′<br />
δn ⃗k1 =0,1...<br />
⎤<br />
⎦δn ⃗k<br />
∏<br />
⃗ k ′ σ ′ exp ( −β ( ε ⃗k ′ − µ ) δn ⃗k ′<br />
)<br />
. (3.11)<br />
(Der Erwartungswert E ist definiert als E = ( ∑ i p iA i )/ ∑ i p i, wobei <strong>der</strong> Wert A i mit <strong>der</strong><br />
Wahrscheinlichkeit p i auftritt.) Nach Einsetzen des Ausdrucks für die Zustandssumme aus<br />
Glg. (3.9) können die meisten Terme in Glg. (3.11) gekürzt werden, insbeson<strong>der</strong>e fällt <strong>der</strong><br />
Wechselwirkungsterm völlig heraus, sodaß man für die Besetzungswahrscheinlichkeiten <strong>der</strong><br />
Quasiteilchenzustände wie<strong>der</strong> die Fermiverteilung erhält.<br />
δf ⃗k =<br />
h ⃗k<br />
exp ( βh ⃗k<br />
(<br />
ε⃗k − µ )) + 1 = 1<br />
exp ( β ( ε ⃗k − µ )) + 1 − f0 ⃗ k<br />
. (3.12)<br />
Dennoch muß man berücksichtigen, dass die Quasiteilchen-Energien ε ⃗k über Glg. (3.5) die<br />
Wechselwirkung enthalten. In diesem Punkt unterscheidet sich diese Fermiverteilung von<br />
jener für das freie Fermigas. Gleichung (3.12) ist somit eine implizite und auch entsprechend<br />
komplizierte Beziehung für die Quasiteilchen-Besetzungswahrscheinlichkeiten.<br />
3.2.2 Spezifische Wärme <strong>der</strong> Quasiteilchen<br />
Für nichtwechselwirkende Teilchen (freies Elektronengas) ist die (elektronische) spezifische<br />
Wärme bei konstantem Volumen c V proportional zur Zustandsdichte an <strong>der</strong> Fermienergie<br />
(vgl. Abschnitt 2.1 mit N(ε F ) = 3N/(2ε F ))<br />
c V = π2<br />
3 k2 B TN (ε F) . (3.13)<br />
Dabei ist zu beachten, dass N (ε F ) die Zustandsdichte an <strong>der</strong> Fermienergie für das Gas<br />
freier Elektronen ist. Im realen Festkörper wird diese Zustandsdichte durch die periodische<br />
Anordnung <strong>der</strong> Atome im Kristall modifiziert. Für einfache Metalle wie die Alkalimetalle,<br />
aber auch für Metalle mit nahezu sphärischer Fermifläche wie Kupfer o<strong>der</strong> Aluminium liefert<br />
Glg. (3.13) eine durchaus vernünftige Beschreibung <strong>der</strong> elektronischen spezifischen Wärme<br />
(vgl. Abschnitt 2.1). Wir wollen nun die spezifische Wärme <strong>der</strong> Quasiteilchen berechnen und<br />
gehen dabei vom Ausdruck für die Energie Glg. (3.4) aus<br />
∂ε [δf]<br />
C V = ∂T ∣ (3.14)<br />
V
3.2. SPEZIFISCHE WÄRME UND PAULISUSZEPTIBILITÄT 37<br />
= ∂<br />
∂T<br />
⎡<br />
⎤<br />
⎣ ∑ ε⃗ 0 k<br />
δf ⃗k + 1 ∑<br />
δf ⃗k u ⃗k ⃗<br />
2<br />
k ′δf ⃗k<br />
⎦<br />
′<br />
(3.15)<br />
⃗ kσ ⃗ k ⃗ k ′ σσ ′<br />
= ∑ ⃗ kσ<br />
ε ⃗k<br />
∂δf ⃗k<br />
∂T<br />
. (3.16)<br />
Wir verwenden Glg. (3.12) und erhalten<br />
∂δf ⃗k<br />
∂T = h ⃗ k<br />
exp ( (<br />
βh ⃗k ε⃗k − µ )) ⎧<br />
⎨<br />
[ ( (<br />
exp βh⃗k ε⃗k − µ )) + 1 ] h ⃗k (<br />
2 ε⃗k − µ ) − h ⃗ k<br />
⎩k B T 2 k B T<br />
∑<br />
⃗ k ′ σ ′ u ⃗k ⃗ k ′<br />
⎫<br />
∂δf ⃗k ′<br />
∂T + h ⃗ k<br />
∂µ<br />
⎬<br />
k B T ∂T ⎭ ,<br />
(3.17)<br />
wobei bei <strong>der</strong> Bildung <strong>der</strong> Temperaturableitung nicht nur die explizite T-Abhängigkeit über<br />
β, son<strong>der</strong>n auch die impliziten T-Abhängigkeiten von ε ⃗k und µ zu berücksichtigen sind. Bei<br />
tiefen Temperaturen ist <strong>der</strong> erste Term in <strong>der</strong> geschwungenen Klammer wesentlich größer als<br />
die an<strong>der</strong>en beiden, die wir daher vernachlässigen. Schreibt man die Summe in Glg. (3.16)<br />
in ein Integral über ⃗ k um, so erhält man damit<br />
∫<br />
C V = V d ⃗ 1 (<br />
kN ⃗k ε⃗k − µ ) 2 exp ( β ( ε ⃗k − µ ))<br />
k B T 2 [ ( (<br />
exp β ε⃗k − µ )) + 1 ] 2<br />
. (3.18)<br />
Da <strong>der</strong> Integrand in Glg. (3.18) eine gerade Funktion in ( ε ⃗k − µ ) ist, fallen die h ⃗k heraus.<br />
Zur Auswertung des Integrals erweitern wir es noch mit 1 = ∫ dεδ ( )<br />
ε − ε ⃗k (vgl. Abschnitt<br />
A.3) und erhalten<br />
C V = V<br />
∫<br />
dεN (ε)<br />
1<br />
k B T (ε − exp (β (ε − µ))<br />
2 µ)2<br />
[exp (β (ε − µ)) + 1] 2 . (3.19)<br />
Das Integral ist nun <strong>der</strong> Form nach identisch mit dem Ausdruck, den man für das Gas freier<br />
Elektronen erhält. Die Zustandsdichte N (ε) ist jedoch jene <strong>der</strong> Quasiteilchen-Zustände, da<br />
die Energien ε ⃗k , von denen wir ausgegangen sind, die Wechselwirkung enthalten. Das Integral<br />
enthält die Ableitung <strong>der</strong> Fermifunktion f = 1/[exp (β (ε − µ)) + 1] nach dem chemischen<br />
Potential<br />
∂f<br />
∂µ = 1<br />
k B T<br />
exp (β (ε − µ))<br />
[exp (β (ε − µ)) + 1] 2 , (3.20)<br />
die nur in einem Bereich <strong>der</strong> Größenordnung k B T um µ von Null verschieden ist. Daher lässt<br />
sich das Integral über die Sommerfeld-Entwicklung berechnen, für <strong>der</strong>en ersten Term<br />
∫<br />
H ′ (ε − µ)2 ∂f<br />
(µ) dε<br />
2 ∂µ = π2<br />
6 [k BT] 2 H ′ (µ) (3.21)<br />
gilt. Durch einen Vergleich <strong>der</strong> linken Seite von Glg. (3.21) mit Glg. (3.19) kann H ′ (µ) als<br />
2N(µ)/T identifiziert werden, wodurch sich für die spezifische Wärme pro Volumen c V =<br />
C V /V die bekannte Beziehung<br />
c V = π2<br />
3 k2 B TN (ε F) (3.22)
38 KAPITEL 3. LANDAU’SCHE THEORIE DER FERMIFLÜSSIGKEIT<br />
ergibt. Die unbekannte Funktion N(ε) wurde also im Bereich k B T um µ als konstant angenommen:<br />
N(ε) = N(µ).<br />
Formal sieht in dieser Näherung (nur erster Term <strong>der</strong> Sommerfeld-Entwicklung) die spezifische<br />
Wärme für die Quasiteilchen also aus wie die <strong>der</strong> nichtwechselwirkende Elektronen.<br />
Der Effekt <strong>der</strong> Wechselwirkung steckt zur Gänze in <strong>der</strong> Zustandsdichte. Diese ist an<strong>der</strong>erseits<br />
gegeben durch<br />
N (ε F ) =<br />
∫ [<br />
d ⃗ k]<br />
δ ( ε F − ε ⃗k<br />
)<br />
= 2<br />
8π 3 ∫<br />
d ⃗ kδ ( ε F − ε ⃗k<br />
)<br />
= 2 ∫<br />
4πk 2 dkδ ( )<br />
ε<br />
8π 3 F − ε ⃗k<br />
= 1 ∫ ( ) dk<br />
k 2 dε δ (ε<br />
π 2 F − ε) ,<br />
dε ⃗k<br />
wobei <strong>der</strong> Wert des Integrals an <strong>der</strong> Stelle ε = ε F zu bestimmen ist. Mit ε ⃗k = 2 k 2 /(2m ∗ )<br />
erhält man<br />
N (ε F ) = m∗ k F<br />
π 2 2 , (3.23)<br />
wobei m ∗ die effektive Masse <strong>der</strong> Quasiteilchen ist. Die spezifische Wärme kann demnach<br />
verwendet werden, um die effektive Masse zu bestimmen. Diese Beschreibung ist konsistent<br />
mit den Ergebnissen aus <strong>der</strong> <strong>Theorie</strong> <strong>der</strong> Bandstrukturen; flache (nicht-disperse) Bän<strong>der</strong><br />
liefern hohe Zustandsdichten: Teilchen, die sich entlang flacher Bän<strong>der</strong> bewegen, zeigen eine<br />
große effektive Masse.<br />
3.2.3 Effektive Masse<br />
Die effektive Masse m ∗ <strong>der</strong> Quasiteilchen ist definiert über<br />
∣ v F ≡<br />
∂ε ⃗k ∣∣∣<br />
∣<br />
∂ ⃗ k | k F<br />
≡ k F<br />
. (3.24)<br />
m ∗<br />
Aufgrund <strong>der</strong> Wechselwirkung u ⃗k ⃗ k ′ unterscheidet sie sich von <strong>der</strong> Masse nichtwechselwirken<strong>der</strong><br />
Teilchen (bare particle mass). Auf Englisch verwendet man statt effective mass oft auch<br />
den Ausdruck dressed particle. Dieser ist einleuchten<strong>der</strong>, da das Teilchen über seine Wechselwirkung<br />
mit den an<strong>der</strong>en Teilchen bei seiner Bewegung benachbarte Teilchen – einfach<br />
ausgedrückt – mitzieht und daher von einem Schwarm an<strong>der</strong>er Teilchen begleitet – bekleidet<br />
(dressed) – wird. Die Bewegung von Teilchen ist auch die Grundlage <strong>der</strong> folgenden Herleitung<br />
<strong>der</strong> Beziehung zwischen m ∗ und u ⃗k ⃗ k ′: Der gesamte Teilchenfluss <strong>der</strong> Fermiflüssigkeit<br />
wird auf zwei verschiedene Arten berechnet und die sich ergebenden Ausdrücke werden dann<br />
miteinan<strong>der</strong> verglichen.
3.2. SPEZIFISCHE WÄRME UND PAULISUSZEPTIBILITÄT 39<br />
Erste Berechnung des Teilchenflusses<br />
Hier wird ausgenutzt, dass die Quasiteilchenzustände Eigenfunktionen des Impulses (⃗p = ⃗ k)<br />
<strong>der</strong> nichtwechselwirkenden Teilchen sind.<br />
⃗J N<br />
= ∑ α<br />
〈Ψ| ˆP α<br />
|Ψ〉 (3.25)<br />
m<br />
= ∑ ⃗ kσ<br />
⃗ k<br />
m f ⃗ k<br />
= ∑ ⃗ kσ<br />
⃗ k<br />
m δf ⃗ k<br />
. (3.26)<br />
Im letzten Schritt wurde verwendet, dass f ⃗k = f 0 ⃗ k<br />
+ δf ⃗k und dass f 0 ⃗ k<br />
sphärisch symmetrisch<br />
ist und die Summe über alle ⃗ k somit verschwindet. Eine eventuelle Massenrenormalisierung<br />
auf Grund von Wechselwirkungen mit den Phononen wurde hier außer Acht gelassen.<br />
Zweite Berechnung des Teilchenflusses<br />
Die zweite Berechnung ist aufwändiger und wird hier nicht explizit durchgeführt (vgl. Mar<strong>der</strong>,<br />
S. 467). Der Teilchenfluss wird berechnet, indem zunächst für ein Ensemble von Quasiteilchen<br />
<strong>der</strong> Impuls um d ⃗ k erhöht wird und dann die Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> mittleren Energie<br />
pro dieser Impulsän<strong>der</strong>ung berechnet wird. Es zeigt sich, dass sich <strong>der</strong> Teilchenfluss <strong>der</strong><br />
Fermiflüssigkeit so als Summe über alle Teilchengeschwindigkeiten multipliziert mit <strong>der</strong> Fermiverteilungsfunktion<br />
ergibt:<br />
⃗J N = ∑ ⃗ kσ<br />
v ⃗k f ⃗k = ∑ ⃗ kσ<br />
∂ε ⃗k<br />
∂ ⃗ k f ⃗ k<br />
. (3.27)<br />
Setzt man nun ε ⃗k gemäss Glg. (3.5) ein, so erhält man<br />
⃗J N = ∑ ⃗ kσ<br />
∂ε 0 ⃗ k<br />
∂ ⃗ k f ⃗ k<br />
+ ∑<br />
⃗ k ⃗ k ′ σσ ′ f ⃗k<br />
∂<br />
∂ ⃗ k u ⃗ k ⃗ k ′δf ⃗k ′<br />
= ∑ ∂ε⃗ 0 k<br />
⃗<br />
∂ ⃗ k δf ⃗ k<br />
+ ∑ [ ]<br />
δf⃗k + f 0 ∂<br />
⃗ k<br />
kσ ⃗ k ⃗<br />
∂ ⃗ k u ⃗ k ⃗ k ′δf ⃗k ′ . (3.28)<br />
k ′ σσ ′<br />
Was nun folgt ist ein wenig aufwändig: man wandelt die Doppelsumme in entsprechende<br />
Integrale um und integriert dann partiell nach ∂ ⃗ k . Nach <strong>der</strong> Rückumwandlung in Summen<br />
fallen die meisten Terme weg und man erhält<br />
⃗J N = ∑ ⃗ kσ<br />
∂ε ⃗k<br />
∂ ⃗ k δf ⃗ k<br />
− ∑<br />
⃗ k ⃗ k ′ σσ ′ ∂f 0 ⃗ k<br />
∂ ⃗ k u ⃗ k ⃗ k ′δf ⃗k ′<br />
= ∑ ⃗ kσ<br />
v ⃗k δf ⃗k + ∑<br />
⃗ k ⃗ k ′ σσ ′ u ⃗k ⃗ k ′v ⃗k ′δ ( ε 0 ⃗ k ′<br />
− ε F<br />
)<br />
δf⃗k . (3.29)
40 KAPITEL 3. LANDAU’SCHE THEORIE DER FERMIFLÜSSIGKEIT<br />
Der zweite Term in Glg. (3.29) kann als gegengerichteter Fluß des Mediums (<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />
Teilchen) um das bewegte Teilchen interpretiert werden. Dieser reduziert die Flussgeschwindigkeit,<br />
sodass sich, bei gegebener Kraft, das Teilchen so verhält, als hätte es eine schwerere<br />
Masse. Betrachten wir nun den Fall, dass nur ein einziges Quasiteilchen vorliegt, dass δf ⃗k<br />
also nur für einen Wellenvektor ⃗ k von Null verschieden ist und vergleichen Glg. (3.26) mit<br />
Glg. (3.29):<br />
⃗ k<br />
m = v ⃗ k<br />
+ ∑ u ⃗k ⃗ k ′v ⃗k ′δ ( )<br />
ε⃗ 0 k ′<br />
− ε F<br />
⃗ k ′ σ ′<br />
= ⃗ k<br />
m + ∑ <br />
u ⃗ k ′<br />
∗ ⃗k ⃗ k ′<br />
m δ ( )<br />
ε ∗ ⃗ 0 k ′<br />
− ε F<br />
⃗ k ′ σ ′<br />
(3.30)<br />
Nun wird auf beiden Seiten das innere Produkt mit ⃗ k gebildet. Unter <strong>der</strong> Annahme einer<br />
sphärischen Fermifläche müssen ⃗ k und ⃗ k ′ einen Absolutwert von etwa ⃗ k F haben, da die<br />
Fermiflüssigkeitstheorie ja nur in <strong>der</strong> Nähe <strong>der</strong> Fermifläche gilt.<br />
m ∗<br />
m = 1 + ∑ ⃗ k · ⃗ k<br />
′<br />
u ⃗k ⃗ k ′ δ ( )<br />
ε<br />
⃗<br />
⃗ k<br />
2<br />
⃗ 0 k ′<br />
− ε F<br />
k ′ σ ′ F<br />
. (3.31)<br />
Wandelt man nun die Summe in ein Integral um, so erhält man (siehe Anhang A.3)<br />
m ∗ ∫<br />
m<br />
= 1 + V d k ′N ⃗k ′dΩδ ( ) ⃗ k · ⃗ k<br />
ε⃗ 0 ′<br />
k ′<br />
− ε F u⃗k ⃗ k ′<br />
(3.32)<br />
⃗ k<br />
2<br />
∫<br />
F<br />
= 1 + V dΩ N(ε F)<br />
4π u ⃗ k ⃗ k ′ cos θ (3.33)<br />
= 1 + V N(ε F ) 1 2<br />
∫ +1<br />
−1<br />
d (cosθ) u ⃗k ⃗ k ′ cosθ . (3.34)<br />
In Glg. (3.32) haben wir die Zustandsdichte N ⃗k gemäß Glg. (A.55) eingeführt. In Glg. (3.33)<br />
wird N ⃗k durch die energieunabhängige Zustandsdichte N(ε F ) ersetzt. Die Winkelintegration<br />
dΩ läuft über die Fermifläche, cos θ ist <strong>der</strong> Cosinus des Winkels zwischen ⃗ k und ⃗ k ′ . Die<br />
effektive Masse m ∗ ist demnach durch die Wechselwirkungen erhöht, wobei das Integral in<br />
Glg. (3.34) eine gewichtete Mittelung über die Wechselwirkungen u ⃗k ⃗ k ′ an <strong>der</strong> Fermifläche<br />
darstellt.<br />
3.2.4 Fermiflüssigkeitsparameter<br />
Die Eigenschaften von u ⃗k ⃗ k ′ an <strong>der</strong> Fermifläche liefern die wichtigsten Beiträge zur Wechselwirkung.<br />
Es hat sich eingebürgert, diese Beiträge in Form <strong>der</strong> sog. Landau-Parameter zu<br />
schreiben. Man beginnt damit, dass man unter Berücksichtigung des Spins eine symmetrische<br />
und eine antisymmetrische Linearkombination definiert<br />
u ⃗k↑ ⃗ k ′ ↑<br />
= u ⃗k↓ ⃗ k ′ ↓ = us ⃗ k ⃗ k ′<br />
+ u a ⃗ k ⃗ k ′<br />
(3.35)<br />
u ⃗k↑ ⃗ k ′ ↓<br />
= u ⃗k↓ ⃗ k ′ ↑ = us ⃗ k ⃗ k ′<br />
− u a ⃗ k ⃗ k ′<br />
, (3.36)
3.2. SPEZIFISCHE WÄRME UND PAULISUSZEPTIBILITÄT 41<br />
wobei s für symmetrisch und a für antisymmetrisch steht. Da <strong>der</strong> Wechselwirkungsterm u ⃗k ⃗ k ′<br />
im Allgemeinen von Winkel zwischen ⃗ k und ⃗ k ′ abhängt, entwickelt man die u⃗ s k ⃗ und k ′ ua ⃗ k ⃗ nach k ′<br />
Legendre-Polynomen von Grad l<br />
∞∑<br />
u⃗ s k ⃗ k ′<br />
= u s lP l (cosθ) , (3.37)<br />
u a ⃗ k ⃗ k ′<br />
=<br />
l=0<br />
∞∑<br />
u a l P l (cosθ) . (3.38)<br />
Durch Invertierung dieser Beziehungen können die u s l und u a l berechnet werden:<br />
u s l = 2l + 1<br />
2<br />
u a l = 2l + 1<br />
2<br />
∫ +1<br />
−1<br />
∫ +1<br />
−1<br />
l=0<br />
d (cosθ) P l (cos θ) u ⃗ k↑ ⃗ k ′ ↑ + u ⃗ k↑ ⃗ k ′ ↓<br />
2<br />
d (cosθ) P l (cos θ) u ⃗ k↑ ⃗ k ′ ↑ − u ⃗ k↑ ⃗ k ′ ↓<br />
2<br />
, (3.39)<br />
. (3.40)<br />
Die u s l und u a l haben beide die Dimension einer Energiedichte. Um dimensionslose Fermiflüssigkeitsparameter<br />
Fl<br />
s und Fl<br />
a zu erhalten, multipliziert man die u s l und u a l mit <strong>der</strong><br />
Zustandsdichte an <strong>der</strong> Fermienergie und dem Volumen<br />
F s<br />
l ≡ V N(ε F )u s l , F a<br />
l ≡ V N(ε F )u a l . (3.41)<br />
Mit Hilfe dieser Parameter läßt sich nun unser Ausdruck für die effektive Masse in sehr<br />
kompakter Form schreiben. Da P 1 (cosθ) = cosθ ist, lautet das Integral in Glg. (3.34)<br />
V N(ε F ) 1 2<br />
= 1 3 V N(ε F) 3 2<br />
∫ +1<br />
−1<br />
∫ +1<br />
−1<br />
d (cosθ)u ⃗k ⃗ k ′ cosθ<br />
d (cosθ) P 1 (cosθ) u ⃗ k↑ ⃗ k ′ ↑ + u ⃗ k↑ ⃗ k ′ ↓<br />
2<br />
= 1 3 F s 1 . (3.42)<br />
Die effektive Masse Glg. (3.34) wird damit zu<br />
m ∗<br />
m = 1 + 1 3 F s 1 . (3.43)<br />
Wir können nun diesen Ausdruck benützen, um die spezifische Wärme Glg. (3.22) folgen<strong>der</strong>maßen<br />
darzustellen<br />
c V<br />
= π2<br />
3 k2 BT m∗ k F<br />
π 2 2<br />
= π2<br />
3 k2 B T mk (<br />
F<br />
π 2 2<br />
= π2<br />
3 k2 BTN 0 (ε F )<br />
)<br />
1 + 1 3 F 1<br />
s<br />
(<br />
1 + 1 3 F 1<br />
s<br />
)<br />
, (3.44)
42 KAPITEL 3. LANDAU’SCHE THEORIE DER FERMIFLÜSSIGKEIT<br />
wobei N 0 (ε F ) die Zustandsdichte des nichtwechselwirkenden Elektronengases ist. Man erkennt<br />
sehr einfach, wie die spezifische Wärme <strong>der</strong> nichtwechselwirkenden Teilchen durch den<br />
Wechselwirkungs-Term vergrößert wird.<br />
In ganz ähnlicher Weise wollen wir auch den Wechselwirkungsterm u ⃗k ⃗ k ′ σσ<br />
ein wenig näher<br />
′<br />
betrachten. In tranlationsinvarianten Systemen (diese haben eine wohldefinierte Fermifläche)<br />
lassen sich gewisse allgemeinere Aussagen machen. Da die <strong>Theorie</strong> <strong>der</strong> Fermiflüssigkeiten nur<br />
für Anregungen in <strong>der</strong> Nähe <strong>der</strong> Fermifläche gültig ist, sind die beteiligten ⃗ k-Zustände dem<br />
Betrag nach immer etwa gleich ⃗ k F . Die ⃗ k-Abhängigkeit ist daher nur durch den Winkel θ<br />
zwischen ⃗ k und ⃗ k ′ gegeben (Glg. 3.31). Ohne festgelegte Quantisierungsachse, z.B. durch<br />
eine ˆLŜ -Kopplung, muss <strong>der</strong> Wechselwirkungs-Term symmetrisch bezüglich <strong>der</strong> Spins σ<br />
und σ ′ sein und sollte daher in niedrigster Ordnung nur vom Produkt σσ ′ abhängen. Diese<br />
Überlegungen erlauben es, die Wechselwirkung in folgen<strong>der</strong> Form zu parametrisieren und<br />
gleich wie<strong>der</strong> nach Legendre-Polynomen zu entwickeln<br />
u ⃗k ⃗ k ′ σσ ′ = u θσσ ′<br />
≡<br />
=<br />
φ θ + 4σσ ′ ϕ θ<br />
∞∑<br />
(φ θ + 4σσ ′ ϕ θ )P l (cosθ) . (3.45)<br />
l=0<br />
Durch Vergleich mit Glg. (3.39) und (3.40) erkennt man sofort den Zusammenhang mit den<br />
Fermiflüssigkeitsparametern<br />
{ us l<br />
} = 2l + 1<br />
u a l<br />
2<br />
∫ +1<br />
3.2.5 Magnetische Suszeptibilität<br />
−1<br />
d (cosθ) P l (cosθ) { φ θ<br />
ϕ θ<br />
} . (3.46)<br />
Als nächstes Beispiel wollen wir die magnetische Suszeptibilität χ M<br />
χ M = ∂M<br />
∂H . (3.47)<br />
betrachten, also die Magnetisierung M des Quasiteilchen-Systems als Antwort auf ein kleines<br />
äußeres Feld H. Im Unterschied zum Problem <strong>der</strong> spezifischen Wärme o<strong>der</strong> <strong>der</strong> effektiven<br />
Masse müssen wir nun jedoch die Spins berücksichtigen. Die Wechselwirkung eines Fermions<br />
mit einem äußeren magnetischen Feld H ist gegeben durch −σγH , wobei γ = e/m e das<br />
gyromagnetische Verhältnis ist und <strong>der</strong> Spin die Werte σ = ± 1 annehmen kann. Durch das<br />
2<br />
magnetische Feld werden somit die Energien <strong>der</strong> Teilchen mit σ = + 1 abgesenkt, jene <strong>der</strong><br />
2<br />
Teilchen mit σ = − 1 entsprechend angehoben. Da im thermodynamischen Gleichgewicht das<br />
2<br />
chemische Potential für Teilchen bei<strong>der</strong> Spinrichtungen gleich sein muss, führt dies dazu, dass<br />
die Besetzungszahl für Teilchen mit σ = + 1 grösser sein muss als für jene mit σ = 2 −1. Die 2<br />
Differenz <strong>der</strong> Besetzungszahlen ergibt dann das durch das Feld hervorgerufene magnetische<br />
Moment M. Um nun das magnetische Moment M zu bestimmen, müssen wir berechnen, wie<br />
sich die Spin-abhängige Dichte ρ (σ) im Feld H än<strong>der</strong>t. Da die Anzahl <strong>der</strong> Teilchen konstant<br />
ist, können wir schreiben<br />
ρ (σ) = ρ 0 + σ∆ρ . (3.48)
3.2. SPEZIFISCHE WÄRME UND PAULISUSZEPTIBILITÄT 43<br />
Aus dieser Beziehung lässt sich leicht das magnetische Moment M bestimmen<br />
M =<br />
1<br />
2∑<br />
(ρ 0 + σ∆ρ) = γ ∆ρ . (3.49)<br />
2<br />
σ=− 1 2<br />
Die Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Dichte ∆ρ kann man dann aus <strong>der</strong> Gleichgewichtsbedingung für das<br />
chemische Potential bestimmen, da ja gelten muss<br />
µ (σ) = µ (−σ) . (3.50)<br />
Das chemische Potential für jeden Spin ist nun identisch mit <strong>der</strong> Quasiteilchen-Energie an<br />
<strong>der</strong> jeweiligen Fermifläche<br />
µ (σ) = ε ⃗kF ,σ<br />
(σ) , (3.51)<br />
wobei die Energie sowohl direkt als auch über ⃗ k F von σ abhängt. Die Quasiteilchen-Energie<br />
im Feld ist daher<br />
ε ⃗k,σ = ε 0 ⃗ k,σ<br />
− σγH + ∑ ⃗ k ′ σ ′ u ⃗k ⃗ k ′ σσ ′ δf ⃗k ′ σ ′ . (3.52)<br />
Für eine kleines äußeres Feld kann man das chemische Potential um µ 0 bei H = 0 entwickeln<br />
µ (σ) ≈ µ 0 − σγH + ∑ σ ′ ∂µ (σ)<br />
∂ρ (σ ′ ) σ′ ∆ρ . (3.53)<br />
Das Problem besteht nun darin, die Ableitung des chemischen Potentials nach <strong>der</strong> Dichte<br />
zu bestimmen. Wir benutzen dazu Glg. (3.51) und setzen die Ableitung des chemischen<br />
Potentials mit <strong>der</strong> Ableitung <strong>der</strong> Quasiteilchen-Energie gleich<br />
∂µ (σ)<br />
∂ρ (σ ′ ) = ∂k [<br />
Fσ ′ ∂ε<br />
0<br />
∫ [ ]<br />
σ<br />
δ<br />
∂ρ (σ ′ σ,σ ′ + d<br />
) ∂k ⃗ δf ⃗k<br />
k]<br />
u ′ σ ′<br />
⃗k ⃗ k ′ σσ<br />
. (3.54)<br />
′<br />
σ ∂k Fσ ′<br />
Mit unseren Erfahrungen können wir nun diesen Ausdruck auswerten, wobei man die Beziehungen<br />
ρ = kF 3 / (3π2 ) , ∂ε0 σ<br />
∂k σ<br />
= 2 k F /m ∗ und δf ⃗ k ′ σ ′<br />
= δ (k ′ − k<br />
∂k F σ ′ F ) verwendet<br />
[ ]<br />
∂µ (σ)<br />
∂ρ (σ ′ ) = 2π2 2 k F<br />
kFσ 2 m δ ∗ σ,σ ′ + 2 k F<br />
2m (F s ∗ 0 + 4σσ′ F0 a )<br />
′<br />
. (3.55)<br />
In Glg. (3.55) treten nur die Fermiflüssigkeitsparameter für l = 0 auf. Dies ist darauf<br />
zurückzuführen, dass durch das äußere Feld die Fermikugel isotrop verkleinert o<strong>der</strong> vergrößert<br />
wird (je nach Spinrichtung). Setzt man nun Glg. (3.55) in Glg. (3.53) ein und berechnet<br />
damit die Gleichgewichtsbedingung aus Glg. (3.50), so erhält man<br />
γH = 2π2 2<br />
k F m (1 + F a ∗ 0 ) ∆ρ . (3.56)
44 KAPITEL 3. LANDAU’SCHE THEORIE DER FERMIFLÜSSIGKEIT<br />
Mit Glg. (3.49) ersetzt man ∆ρ durch M<br />
M =<br />
γ2 Hk F m ∗<br />
4π 2 2 (1 + F a 0 )<br />
, (3.57)<br />
woraus sich die magnetische Suszeptibilität ergibt<br />
χ M = ∂M<br />
∂H =<br />
γ 2 k F m ∗<br />
4π 2 2 (1 + F a 0 ) . (3.58)<br />
Führt man nun wie<strong>der</strong> die Zustandsichte an <strong>der</strong> Fermienergie Glg. (3.23) ein und ersetzt<br />
für Spin- 1 -Teilchen das gyromagnetische Verhältnis γ durch das Bohr’sche Magneton gemäß<br />
2<br />
γ = 2µ B , so erhält man den bekannten Ausdruck<br />
χ M = 2µ 2 1<br />
BN (ε F )<br />
(3.59)<br />
1 + F0<br />
a<br />
1<br />
= χ Pauli . (3.60)<br />
1 + F0<br />
a<br />
Man erhält ein ähnliches Ergebnis wir für die spezifische Wärme in Glg. (3.44). Die Suszeptibilität<br />
des nichtwechselwirkenden Systems wird durch die Wechselwirkung modifiziert.<br />
Generell findet man, dass die Suszeptibilität des wechselwirkenden Systems erhöht wird; F0<br />
a<br />
ist im allgemeinen negativ. Man kann dieses Ergebnis direkt mit <strong>der</strong> austauschverstärkten<br />
Stoner-Suszeptibilität vergleichen. Der Fermiflüssigkeitsparameter F0 a tritt dort in <strong>der</strong> Form<br />
−I S N (ε F ) auf und führt zu einer Erhöhung <strong>der</strong> Paulisuszeptibilität (siehe Skriptum FKP-<br />
I). Der Stoner-Parameter I S beschreibt im Rahmen einer Hartree-Fock-Näherung die Austauschwechselwirkung<br />
zwischen Teilchen mit gleichem Spin. Auch in unserem Resultat in<br />
Glg. (3.60) erkennt man die Spinabhängigkeit <strong>der</strong> Wechselwirkung, in die mit F0 a <strong>der</strong> antisymmetrische<br />
Anteil von u ⃗k ⃗ k ′ σσ<br />
eingeht.<br />
′<br />
3.3 Transporteigenschaften<br />
Bei normalen Metallen ist <strong>der</strong> elektrische Wi<strong>der</strong>stand bei tiefen Temperaturen durch die<br />
Streueung <strong>der</strong> Leitungselektronen an den Gitterschwingungen (Phononen) bestimmt, was<br />
zu einer Temperaturabhängigkeit proportional zu T 5 führt. Zusätzlich zur Streuung <strong>der</strong> Ladungsträger<br />
an Phononen existiert aber stets auch eine Streuung <strong>der</strong> Elektronen aneinan<strong>der</strong>,<br />
welche sich in einem T 2 -Term nie<strong>der</strong>schlägt. Für normale Metalle ist dieser Term jedoch i.A.<br />
vernachlässigbar klein. Falls die Wechselwirkung zwischen den Elektronen hingegen wichtig<br />
wird, was z.B. bei Schweren-Fermionen-Systemen <strong>der</strong> Fall ist, so dominiert dieser Term das<br />
Tieftemperaturverhalten des elektrischen Wi<strong>der</strong>standes. Wie kommt es nun zu dieser T 2 -<br />
Abhängigkeit? Im Abschnitt 3.1 haben wir die Stabilität <strong>der</strong> Quasiteilchen untersucht und<br />
festgestellt, dass ihre Zerfallsrate proportional T 2 ist. Der Wi<strong>der</strong>stand eines Metalles ist nun<br />
ebenfalls proportional zur Zerfallsrate <strong>der</strong> Ladungsträger, die den Strom tragen. Somit liefert<br />
diese einfache Abschätzung <strong>der</strong> Zerfallsrate (reziproke Lebensdauer) <strong>der</strong> Quasiteilchen
3.3. TRANSPORTEIGENSCHAFTEN 45<br />
ein Plausibilitätsargument für das Tieftemperaturverhalten des elektrischen Wi<strong>der</strong>standes<br />
in metallischen Leitern.<br />
Die exakte Ableitung dieses Terms ist sehr aufwändig, man kann aber aus <strong>der</strong> Temperaturabhängigkeit<br />
<strong>der</strong> effektiven Masse ebenfalls zu diesem Ergebnis kommen. Der elektrische<br />
Wi<strong>der</strong>stand für das freie Elektronengas ist durch das Drude-Modell beschrieben<br />
R el = m<br />
ne 2 τ<br />
, (3.61)<br />
wobei m die Masse <strong>der</strong> Ladungsträger, n die Dichte <strong>der</strong> Ladungsträger und τ die mittlere<br />
Stoßzeit ist. Es ist leicht einzusehen, dass für Quasiteilchen m einfach durch die effektive<br />
Masse m ∗ zu ersetzten ist. Die effektive Masse kann man auch schreiben als<br />
m ∗ = 3 π 2 2 1<br />
. (3.62)<br />
2 k F k B ε F<br />
Da wir uns wie<strong>der</strong> auf Anregungen nahe an <strong>der</strong> Fermifläche beschränken, können wir ε F<br />
durch das chemische Potential µ ausdrücken. Bei endlicher Temperatur verän<strong>der</strong>t sich das<br />
chemische Potential durch die Temperaturabhängigkeit <strong>der</strong> Fermi-Dirac-Verteilung und wird<br />
zu (Glg. (A.42))<br />
( ( ) ) 2<br />
µ (T) = µ (0) 1 − π2 T<br />
, (3.63)<br />
12 T F<br />
wobei die Fermitemperatur k B T F = ε F ist. Der Ausdruck in Glg. (3.63) kommt aus<br />
<strong>der</strong> Sommerfeld-<strong>Theorie</strong> für das Elektronengas, welche sich in die Fermiflüssigkeitstheorie<br />
überführen lässt, wenn man wie<strong>der</strong> m durch die effektive Masse m ∗ ersetzt. Setzt man nun<br />
Glg. (3.63) in Glg. (3.62) ein, so erhält man<br />
(<br />
1<br />
m ∗ (T) = 1 ( ) ) 2<br />
1 − π2 T<br />
, (3.64)<br />
m ∗ 12 T F<br />
o<strong>der</strong> für niedrige Temperaturen<br />
m ∗ (T) ≃ m ∗ (<br />
( ) ) 2<br />
1 + π2 T<br />
12 T F<br />
Der elektrische Wi<strong>der</strong>stand im Drude Modell wird daher zu<br />
( ( ) ) 2<br />
R el = m∗<br />
1 + π2 T<br />
ne 2 τ 12 T F<br />
. (3.65)<br />
, (3.66)<br />
was die beobachtete T 2 -Abhängigkeit liefert. Für normale Metalle ist T F von <strong>der</strong><br />
Größenordnung 10 4 Kelvin, sodass <strong>der</strong> quadratische Term meistens nicht ins Gewicht fällt.<br />
Für Schwere-Fermionen-Systeme kann T F jedoch um 2-3 Größenordnungen kleiner werden,<br />
sodass <strong>der</strong> T 2 -Term wichtig wird.
46 KAPITEL 3. LANDAU’SCHE THEORIE DER FERMIFLÜSSIGKEIT<br />
3.4 Kollektive Anregungen<br />
Die Anregungen, die wir bisher besprochen haben, waren sog. Einteilchen-Anregungen. Sowohl<br />
für die spezifische Wärme als auch für die magnetische Suszeptibilität haben wir Prozesse<br />
betrachtet, bei denen ein Elektron in einen unbesetzten Zustand oberhalb <strong>der</strong> Fermifläche<br />
gestreut wurde. Eine solche Anregungen kann auch im Fermigas auftreten. Durch die Wechselwirkung<br />
zwischen den Elektronen, zu <strong>der</strong>en Behandlung wir die Fermiflüssigkeitstheorie<br />
eingeführt haben, gibt es aber auch Anregungen, an denen das gesamte Elektronen-System<br />
beteiligt ist. Solche kollektive Anregungen existieren im freien Fermigas nicht. Ein Beispiel<br />
für eine kollektive Anregung sind die Ozillationen, zu denen wechselwirkende Elektronen<br />
angeregt werden können, wenn z.B. ein Elektron auf eine Metalloberfläche geschossen wird.<br />
Das ”<br />
Plasma“ schwingt, analog zu einer akustischen Anregung, mit seiner Resonanzfrequenz.<br />
Diese kollektive Schwingung kann als neues Quasiteilchen, als Plasmon, interpretiert<br />
werden. Ganz ähnlich verhält es sich mit den Anregungen eines geordneten Spinsystems, die<br />
als Magnonen (Spinwellen) bezeichnet werden. Wir werden diese in <strong>Kapitel</strong> 4.2.2 genauer<br />
untersuchen.<br />
3.5 Eigenschaften <strong>der</strong> wechselwirkenden Elektronen<br />
Bisher haben wir uns vor allem für die Eigenschaften <strong>der</strong> Quasiteilchen <strong>der</strong> Landau’schen<br />
Fermiflüssigkeit interessiert. Da sie die gleichen Quantenzahlen wie die ursprünglichen freien<br />
Elektronen haben, haben sie auch dieselbe Verteilungsfunktion (Abb.3.3, linkes Teilbild).<br />
Was kann man aber über die Eigenschaften <strong>der</strong> wechselwirkenden Elektronen selbst sagen?<br />
Man kann zeigen, dass in <strong>der</strong> Verteilungsfunktion <strong>der</strong> wechselwirkenden Elektronen, die nicht<br />
exakt bestimmt werden kann, eine Diskontinuität <strong>der</strong> Höhe z am Ferminiveau bestehen<br />
bleibt (Abb.3.3, rechtes Teilbild). z wird als Quasiteilchen-Gewicht bezeichnet und oft als<br />
Ordnungsparameter <strong>der</strong> Fermiflüssigkeit betrachtet.<br />
Ein wichtiges theoretisches Hilfsmittel zur Beschreibung <strong>der</strong> wechselwirkenden Elektronen<br />
ist die Spektralfunktion A(k, ε). Sie gibt die Wahrscheinlichkeit an, dass ein Elektron<br />
Probability<br />
Probability<br />
z<br />
ε F<br />
Energy<br />
ε<br />
F<br />
Energy<br />
Abbildung 3.3: Wahrscheinlichkeit, dass ein Zustand gegebener Energie bei T = 0 besetzt<br />
ist. Links: Für freie Elektronen in einem Fermigas o<strong>der</strong> Landau’sche Quasiteilchen in einer<br />
Fermiflüssigkeit; Rechts: Für wechselwirkende Elektronen in einer Fermiflüssigkeit [Schofield,<br />
Contemporary Physics 40 (1999) 95].
3.5. EIGENSCHAFTEN DER WECHSELWIRKENDEN ELEKTRONEN 47<br />
A(k, , ωε<br />
)<br />
A(k, ω, ε)<br />
ω<br />
2<br />
∼ ε 2<br />
−hp (k−k )/m<br />
F<br />
ωε<br />
−hp (k−k )/m<br />
F F F<br />
Abbildung 3.4: Die Spektralfunktion A(k, ε) gibt die Wahrscheinlichkeit an, dass ein Elektron<br />
mit Wellenzahl k eine gewisse Energie ε (relativ zur Fermienergie) hat. Links: Für<br />
freie Elektronen in einem Fermigas; Rechts: Für wechselwirkende Elektronen in einer Fermiflüssigkeit.<br />
Die Energie ε erhält man mit Hilfe einer Taylorentwicklung um k F und Linearisierung:<br />
ε = 2 /(2m)[k 2 −k 2 F ] = 2 /(2m)[k 2 F + 2k F(k −k F )/1! + 2(k −k F ) 2 /2! + ... −k 2 F ] ≈<br />
2 k F (k − k F )/m = p F (k − k F )/m [Schofield, Contemporary Physics 40 (1999) 95].<br />
*<br />
ωε<br />
mit Wellenzahl k die Energie ε hat. In einem nichtwechselwirkenden System sind die Elektronen<br />
Eigenzustände des Systems und die Spektralfunktion ist eine Deltafunktion δ(ε −ε k )<br />
(Abb.3.4, linkes Teilbild). Im wechselwirkenden System kann ein bestimmtes Elektron an<br />
vielen Eigenzuständen des Systems teinehmen und daher hat die Spektralfunktion eine gewisse<br />
Energieverteilung (Abb.3.4, rechtes Teilbild). Die Breite <strong>der</strong> Verteilung, die proportional<br />
zu (k − k F ) 2 ist, ist ein Maß für die Lebensdauer. Die Fläche unter <strong>der</strong> Kurve ist z. Am<br />
Ferminiveau ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Elektron die neue Energie p 2 F /(2m∗ ) hat,<br />
also z.<br />
Es ist möglich, die phänomenologische <strong>Theorie</strong> <strong>der</strong> Landau’schen Fermiflüssigkeit mikroskopisch<br />
zu begründen. Dazu wird von einem allgemeinen mikroskopischen Hamiltonoperator<br />
wechselwirken<strong>der</strong> Elektronensysteme <strong>der</strong> Form<br />
H = H 0 + H 1 (3.67)<br />
∑N e<br />
⃗p 2 N e<br />
i<br />
mit H 0 =<br />
2m + ∑<br />
V (⃗r i ) (3.68)<br />
i=1<br />
und H 1 = ∑ i
48 KAPITEL 3. LANDAU’SCHE THEORIE DER FERMIFLÜSSIGKEIT