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Helmut Lehner<br />

Erkenntnis durch Irrtum<br />

als Lehrmethode<br />

Verlag Ferdinand Kamp Bochum<br />

1


CIP-Kurztitel<strong>auf</strong>nahme der Deutschen Bibliothek<br />

Lehner, Helmut<br />

Erkenntnis durch Irrtum als Lehrmethode<br />

1. Aufl. - Bochum: Kamp, 1979 ISBN:3-592-70013-8<br />

© Copyright by Verlag Ferdinand Kamp GmbH & Co, KG Bochum<br />

Für <strong>die</strong> Erlaubnis zur Wiedergabe im Internet danke ich dem Cornelsen-<br />

Verlag, Berlin (Rechtsnachfolger des FerdinandKamp Verlags)<br />

www.cornelsen.de<br />

Alle Rechte des Nachdrucks, der photomechanischen<br />

Wiedergabe, der Übersetzung, der Herstellung von Photokopien<br />

und Mikrofilmen, für den beruflichen und privaten Gebrauch,<br />

ganz und auszugsweise, vorbehalten.<br />

Herstellung: Verlag Ferdinand Kamp GmbH & Co, KG Bochum<br />

2


INHALTSVERZEICHNIS<br />

VORWORT 5<br />

1. EINLEITUNG 7<br />

2. WIE WIR INFORMATION VERARBEITEN 15<br />

2.1. Entwurf eines Modells der Informationsverarbeitung 15<br />

2.1.1. Der Aufbau des Wissens 16<br />

2.1.2. Die Informationsverarbeitung bei der Wahrnehmung 23<br />

2.1.3. Gedächtnis und Erinnerung 32<br />

2.1.4. Leistungssteigerung bei kognitiven Prozessen 41<br />

2.2. Motivation 45<br />

2.2.1. Motivierung durch Bedürfnisse 46<br />

2.2.2. Eine kognitive Theorie der Motivation 49<br />

2.2.3. Aufmerksamkeit, Aktivation und Leistung 58<br />

2.3 Lernen 62<br />

2.3.1. Aufmerksamkeit und Lernen 63<br />

2.3.2. Lernen als Problemlösen 66<br />

2.3.3. Die Funktion von Verstärkung und Kontiguität 70<br />

2.3.4. Transfer und Kreativität 76<br />

2.4. Zusammenfassung der wesentlichen Merkmale<br />

der Theorie 82<br />

3


3. WIE MAN DAS LERNEN ERLEICHTERN KANN 85<br />

3.1. Der Aufbau von Wissen durch Lehrstrategien 85<br />

3.1.1. Systemvermittelnde und genetische Lehrstrategie 85<br />

3.1.2. Beispiele für Lehrstrategien 107<br />

3.1.3. Lehrziele und Lehrstrategien 124<br />

3.2. Motivierung 135<br />

3.2.1. Motivierung durch Verstärkungen oder durch Argumente? 136<br />

3.2.2. Motivierung durch Probleme 146<br />

3.2.3. Motivierung durch Beziehungshaltigkeit 156<br />

3.2.4. Motivierung durch Verständlichkeit 163<br />

3.3. Die Beeinflussung von Lernhandlungen durch<br />

Lehrverfahren 172<br />

3.3.1. Darbietende Lehrverfahren und Nachvollzug 173<br />

3.3.2. Erarbeitende Verfahren und Übung 177<br />

3.3.3. Verfahren zur Förderung von Entdeckung und Erfindung 184<br />

3.4. Einige Anmerkungen zu den Schwierigkeiten und<br />

Möglichkeiten der Anwendung der genetischen<br />

Lehrstrategie 189<br />

3.5. Zusammenfassung 191<br />

Literaturverzeichnis 193<br />

Personenregister 205<br />

Sachregister 209<br />

4


VORWORT<br />

Hauptthema <strong>die</strong>ses Buches ist <strong>die</strong> genetische Lehrmethode. Nach <strong>die</strong>ser<br />

Methode lernt der Schüler oder Student wie ein Forscher: er hat ein<br />

Problem, er entwickelt Lösungsvorschläge, <strong>die</strong> er kritisch prüft und<br />

kommt so allmählich zu besseren Lösungen - oft erst durch den Irrtum.<br />

Das Gegenstück zu <strong>die</strong>ser Lehrmethode besteht in der schrittweisen<br />

Vermittlung fertiger Wissenssysteme. Diese weitverbreitete Lehrmethode<br />

impliziert <strong>die</strong> Theorie, daß der Lernende den Lehrstoff zunächst<br />

<strong>auf</strong>nimmt und ihn erst danach denkend verarbeitet. Doch <strong>die</strong>se Trennung<br />

von Informations<strong>auf</strong>nahme und -verarbeitung trifft bei Lebewesen nicht<br />

einmal <strong>auf</strong> der Stufe der Wahrnehmung zu - wie später gezeigt wird.<br />

Diese Arbeit ist eine Auseinandersetzung mit den beiden oben genannten<br />

Lehrmethoden und den damit verbundenen Lern- und Erkenntnistheorien.<br />

In der Folge <strong>die</strong>ser Auseinandersetzung ergab sich <strong>die</strong><br />

Notwendigkeit, eine umfassende Lerntheorie zu entwickeln. Denn<br />

Lehren ist eine vielfältige und komplexe Aufgabe: <strong>die</strong> Lernenden sollen<br />

motiviert werden, sie sollen Begriffe bilden, Regeln finden, sie sollen das<br />

Gelernte behalten und anwenden können usw. Isolierte Untersuchungen<br />

<strong>die</strong>ser Probleme helfen dem Lehrenden kaum, da sie beim Unterrichten<br />

nicht einzeln oder nacheinander <strong>auf</strong>treten. Ich versuche daher, alle <strong>die</strong>se<br />

theoretischen und praktischen Probleme in Zusammenhang zu bringen.<br />

Wenn auch in <strong>die</strong>ser Arbeit eine Reihe theoretischer Probleme behandelt<br />

werden, habe ich mich doch bemüht, stets an Hand von Beispielen zu<br />

argumentieren. Bei der Analyse und Darstellung der Lehrmethoden lege<br />

ich besonderen Wert <strong>auf</strong> ihre praktische Anwendbarkeit im Schul- und<br />

Hochschulunterricht.<br />

5


Die vorliegende Arbeit ist von der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen<br />

Fakultät der Universität Heidelberg als Dissertation angenommen<br />

worden. Der ursprüngliche Titel war: „Begriff und Bedeutung der<br />

genetischen Lehrstrategie in lerntheoretischer und kritisch-rationalistischer<br />

Sicht“.<br />

Zu besonderem Dank verpflichtet bin ich Herrn Prof. Dr. Felix von<br />

CUBE, der <strong>die</strong> Arbeit betreut und durch Anregungen, Kritik und<br />

Verbesserungsvorschläge sehr gefördert hat. Herrn Prof. Dr. Jochen<br />

KALTSCHMID danke ich für <strong>die</strong> Übernahme des Koreferates zur<br />

Dissertation, für seine weiterführenden Anregungen und Hinweise.<br />

Herr Prof. Dr. Börje HOLMBERG, Frau Dipl.-Päd. Monika WEIN-<br />

GARTZ, Herr Dr. Rudolf SCHÜMER und Frau Dipl.-Päd. Elke<br />

GROTELOH lasen eine frühere Fassung <strong>die</strong>ser Arbeit und halfen mir<br />

durch ihre kritischen Kommentare. Zu danken habe ich vor allem auch<br />

meiner Frau für ihre stete Diskussionsbereitschaft und für <strong>die</strong> Anfertigung<br />

des maschinenschriftlichen Manuskriptes.<br />

Den größten Dank jedoch schulde ich der Friedrich-Naumann-Stiftung<br />

für <strong>die</strong> großzügige Gewährung eines Stipendiums, das es mir erst<br />

ermöglichte, mich ganz <strong>die</strong>ser Arbeit zu widmen.<br />

Bonn, im November 1978<br />

Helmut Lehner<br />

6


1. EINLEITUNG<br />

Problemstellung<br />

Die Alltagsvorstellungen von Lernen sind einfach. Lernen bedeutet danach<br />

das Abspeichern von Lehrstoff im Gedächtnis; wenn Aufgaben zu<br />

lösen sind, holt der Lernende das dafür relevante Wissen wieder hervor<br />

und wendet es an. Diese Alltagstheorie des Lernens wird gestützt durch<br />

behavioristische Lerntheorien, <strong>die</strong> Lernen als <strong>die</strong> Speicherung (oder<br />

Löschung) von Reiz-Reaktions-Verknüpfungen versteht. Aus dem Blickwinkel<br />

<strong>die</strong>ser Lerntheorien betrachtet man den Lehrstoff als ein System<br />

von Lehrsätzen (oder Reizen), <strong>die</strong> dem Lernenden zu vermitteln sind und<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong>ser in sein Gedächtnis <strong>auf</strong>zunehmen hat 1 .<br />

Diese Lerntheorie führt nun im Zusammenhang mit dem Ideal einer<br />

umfassenden Fachausbildung und dem enormen Zuwachs an wissenschaftlicher<br />

Information dazu, daß man versucht, den Lernenden möglichst<br />

viele Ergebnisse der Wissenschaft als ein komprimiertes System zu<br />

vermitteln 2 . Man glaubt, daß <strong>die</strong> Lernenden das Wissen in <strong>die</strong>ser Weise<br />

am ehesten ihrem Gedächtnis einverleiben und es behalten können; den<br />

denkenden Umgang mit <strong>die</strong>sem Wissen, seine Anwendung und Weiter-<br />

1<br />

2<br />

Diese (falschen) Lerntheorien führen zu einer falschen Erkenntnistheorie. Denn man glaubt,<br />

daß <strong>auf</strong> <strong>die</strong>selbe Weise, wie Studenten oder Schüler lernen, indem sie <strong>die</strong> Ergebnisse der<br />

Wissenschaft durch ihre Sinnesorgane <strong>auf</strong>nehmen und damit neue Aufgaben lösen, auch <strong>die</strong><br />

wissenschaftliche Erkenntnis wächst. Der (empirische) Wissenschaftler nimmt Beobachtungen<br />

in sich <strong>auf</strong> und formt <strong>die</strong>se Beobachtungen <strong>auf</strong> irgendeine Weise um in Hypothesen oder<br />

Theorien (vgl. hierzu POPPER 1973, S. 74).<br />

Dabei wird oft übersehen, daß <strong>die</strong>se angehäuften Kenntnisse womöglich nach wenigen Jahren<br />

überholt sind. Siehe hierzu KALTSCHMID (1965, S. 287-288): „Kenntnisse können unter<br />

Umständen schnell überholt werden und verleiten zu passivem Hinnehmen; formale Schulung,<br />

Aktivierung des Jugendlichen und exemplarisches Lernen scheinen bedeutsam. Grundsätzlich<br />

sind heute Fragen wichtiger als fertige Antworten; Interpretation, methodisches (Mit-)Denken<br />

und Hineinreißen in den Prozeß der Wissens- und Erkenntnisgewinnung sind geboten."<br />

7


entwicklung dagegen betrachtet man eher als angeborene denn als<br />

auszubildende Fähigkeit 3 .<br />

Doch der Lehrerfolg <strong>die</strong>ser systemvermittelnden Lehrmethode ist oft<br />

sehr unbefriedigend. Tatsächlich ist das, was Schüler nach dreizehn (!)<br />

Jahren Unterricht wissen und können, oft erschreckend wenig. Die<br />

Schüler mühen sich jahrelang ab, eine Fremdsprache zu erlernen, und beherrschen<br />

sie dann doch kaum; sie versuchen, über Jahre hinweg, einige<br />

Wissenschaften wenigstens in ihren Grundzügen zu verstehen, und<br />

eignen sich zum Teil doch nur unkritisch irgendwelche vereinzelten Fakten<br />

an 4 . Wenn man nur Ergebnisse vermittelt, wird der „Geist des<br />

Suchens nach der Wahrheit“ ersetzt durch den „Geist des Glaubens, <strong>die</strong><br />

Wahrheit zu besitzen“ (POPPER 1970, Bd. 1, S. 183). Intellektuelle Bescheidenheit<br />

können <strong>die</strong> Schüler so nicht lernen, denn sie erfahren nicht,<br />

wie leicht man sich irren kann und wieviel Mühe und angestrengte Arbeit<br />

es erfordert, der Wahrheit auch nur ein Stückchen näher zu kommen.<br />

„Wo der ,Geist des Forschens' und das ,Erlebnis objektiver Werte` fehlen, bleibt<br />

alle Bildung formal, wo der Akt der Besinnung fehlt, der Akt der kritischen und<br />

verantwortungsbewußten Reflexion, mangelt <strong>die</strong> Charakterbildung, <strong>die</strong> ethische<br />

Haltung.“ (v. CUBE 1960, S. 12)<br />

Wie kommt es, daß <strong>die</strong> Auffassung von Lernen als Wissenanhäufung so<br />

allgemein verbreitet ist? Vermutlich weil man - wie <strong>die</strong>s auch im<br />

Alltagsverständnis der Fall ist - Lernen und Denken fälschlicherweise als<br />

getrennte Prozesse sieht, und weil man Lernen vorwiegend an niederen<br />

3 Daß Studenten ähnliche Vorstellungen über das Lernen und <strong>die</strong> Aufgabe der Universität haben,<br />

bestätigen <strong>die</strong> Erfahrungen FREUDENTHALs, demgegenüber Studenten in Diskussionen<br />

äußerten, <strong>die</strong> Aufgabe der Universität bestehe vor allem darin, Informationen zu verschaffen<br />

(vgl. FREUDENTHAL 1974, S. 57-58).<br />

Auch <strong>die</strong> zu beobachtende Trennung von Forschung und Lehre ist m. E. weitgehend ein<br />

Ergebnis <strong>die</strong>ser (falschen) Auffassung von Lernen. Danach haben Forschung und Lehre nur<br />

insofern etwas miteinander zu tun, als <strong>die</strong> Ergebnisse der Forschung das Rohmaterial der Lehre<br />

darstellen. Diese Ergebnisse werden den Studenten vermittelt, <strong>die</strong> sie dann wieder <strong>auf</strong> einzelne<br />

Aufgaben anwenden und als intellektuelles Werkzeug ihrem Gedächtnis einverleiben.<br />

4 Siehe auch <strong>die</strong> Untersuchung von WAGENSCHEIN (1970, Bd. 1, S. 385-399): „Was bleibt<br />

unseren Abiturienten vom Physikunterricht?" Die Stu<strong>die</strong>nergebnisse an den Hochschulen sind<br />

kaum ermutigender. Vgl. hierzu BEARD 1972. Ahnlich äußert sich der Physiker<br />

MAIER-LEIBNITZ (1977, S. 212): „Das Ziel (des Hochschullehrers) muß so gesteckt sein, daß<br />

es von der Mehrzahl der Studenten wirklich erreicht wird, bis hin zum Verstehen. Davon ist<br />

heute leider in vielen Fächern keine Rede. Es wird von allen viel zuviel verlangt; oder aber, <strong>die</strong><br />

Lehrmethoden einschließlich der für das Selbststudium wirklich geeigneten Lehrbücher sind<br />

unvollkommen."<br />

In vergleichbarer Weise äußert sich Prof. DEMLING (in: „Der Spiegel", 1970, S. 14) zu den<br />

Ergebnissen des Medizinstudiums: „Das mit dem Medizinstudium ist heute noch so wie zu<br />

meiner Zeit. Man weiß nach dem Staatsexamen vielerlei und kann nichts."<br />

8


Organismen untersucht hat, während man den größten und bedeutsamsten<br />

Lernfortschritt der Menschheit, <strong>die</strong> Wissenschaft, kaum berücksichtigt<br />

hat 5 . Dabei ist es doch naheliegend, das „Wachstum des Wissens“<br />

am Wachstum der Wissenschaft zu untersuchen (POPPER 1971, S. XV).<br />

Pädagogen und Fachwissenschaftler haben des öfteren bemerkt, wie<br />

wenig brauchbar eine Lernpsychologie ist, <strong>die</strong> Lernen als eine Anhäufung<br />

von Wissen betrachtet 6 . So schreibt etwa der Mathematiker FREUDEN-<br />

THAL, daß er von den Lerntheorien enttäuscht war, da sie etwas ganz<br />

anderes unter Lernen verstehen als das, was er bei anderen und sich<br />

selbst als mathematisches Lernen erfahren hat. Und so wünscht er, daß<br />

jemand zwischen wissenschaftlichem Lernen oder Forschen und Lernpsychologie<br />

eine Brücke schlüge (FREUDENTHAL 1974, S. 8). In <strong>die</strong>ser<br />

Arbeit wird versucht, <strong>die</strong>se Brücke zwischen Wissenschaft oder Lehrstoff<br />

und Lernen mit Hilfe der Erkenntnistheorie des kritischen Rationalismus<br />

zu bauen 7 .<br />

Nach <strong>die</strong>ser Erkenntnistheorie lernen wir, indem wir, ausgehend von<br />

unserem vorhandenen Wissen, Vermutungen <strong>auf</strong>stellen und <strong>die</strong>se dann<br />

kritisch prüfen. Wenn es uns gelingt, Fehler zu entdecken und auszumerzen,<br />

haben wir etwas Neues gelernt. Als GALILEI <strong>die</strong> Ansicht ARISTO-<br />

TELES' untersuchte, daß ein Körper desto schneller fällt, je schwerer er<br />

ist, fand er verschiedene Überlegungen, <strong>die</strong> dagegen sprachen: So müßten<br />

ja zwei Ziegelsteine, wenn man sie genau gleichzeitig fallen ließe, auch<br />

während des Falles knapp beieinander bleiben; sie würden also gleich<br />

schnell fallen und daran änderte sich auch nichts, wenn man sie fest<br />

zusammenfügte, so daß sie einen doppelt so großen und schweren Stein<br />

bildeten. Daß nun eine Vogelfeder oder ein Blatt Papier tatsächlich langsamer<br />

fallen als schwerere Gegenstände, könnte daran liegen, daß sie von<br />

der Luft getragen werden (oder: daß <strong>die</strong> Luft sie nicht so schnell „fallen<br />

läßt“). GALILEI experimentierte und widerlegte ARISTOTELES. Er<br />

hatte etwas Neues gelernt (und nicht nur er).<br />

5<br />

Insofern ist <strong>die</strong> Ansicht, <strong>die</strong> Lerntheorie sei für das Lehren folgenlos geblieben, sicher<br />

falsch. Dennoch dürfte <strong>die</strong> Aussage von HILGARD und BOWER zutreffen, daß <strong>die</strong><br />

Lerntheorien kaum <strong>die</strong> Effektivität des Lehrens gesteigert haben (vgl. HILGARD/BOWER<br />

1975, S. 683).<br />

6 Siehe z. B. G. KERSCHENSTEINER, M. WAGENSCHEIN, B. OTTO u. a. Einer der wenigen<br />

Lernpsychologen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> wissenschaftliche Erkenntnis berücksichtigt haben, war M.<br />

WERTHEIMER 1957.<br />

7<br />

Zum kritischen Rationalismus und zur Erkenntnistheorie des kritischen Rationalismus siehe<br />

POPPER 1973.<br />

9


Diese Beschreibung des Lern- und Erkenntnisprozesses legt eine<br />

Lehrmethode nahe, bei der man den Lernenden Einsicht gibt in <strong>die</strong><br />

Genese einer Theorie und in den Weg der Forschung. Dieses genetische<br />

Lehren ist daher eine Methode, um <strong>die</strong> Schüler so lernen zu lassen, wie<br />

ein Forscher lernt, und sie <strong>auf</strong> <strong>die</strong>se Weise zum. Verstehen, zur Einsicht<br />

in ein Sachgebiet zu führen und zu selbständigem und kritischem Denken<br />

zu bringen.<br />

Vermutlich kann <strong>die</strong> genetische Lehrmethode nicht nur das kritische<br />

Denken, sondern auch <strong>die</strong> Einsicht in <strong>die</strong> Notwendigkeit verantwortungsbewußten<br />

Handelns anregen; denn je tiefer man über ein sachliches<br />

Problem nachdenkt, um so wahrscheinlicher ist es, daß auch <strong>die</strong> moralischen<br />

Probleme der Anwendung des Wissens ins Blickfeld geraten,<br />

insbesondere können auch <strong>die</strong> Schwierigkeiten jeder Anwendung erkannt<br />

werden, wenn man durch eine kritische Auseinandersetzung mit der<br />

Wissenschaft erfährt, wie unsicher unser Wissen ist.<br />

Aus <strong>die</strong>ser Sicht ergibt sich somit auch eine Lösung des Problems der<br />

moralischen Bildung, das vermutlich zum Teil auch durch <strong>die</strong> Anwendung<br />

der systemvermittelnden Lehre entsteht; denn wer hauptsächlich<br />

lernt, eine Technik anzuwenden und darüber hinaus keine Fragen stellt,<br />

übersieht leicht <strong>die</strong> moralischen Probleme der Anwendung des Wissens 8 .<br />

Zur Abgrenzung der Erziehungswissenschaft<br />

In <strong>die</strong>sem Zusammenhang sollte man sich vergegenwärtigen, daß <strong>die</strong><br />

Probleme einer Theorie des Lernens und des Erkenntnisfortschritts auch<br />

wichtige Probleme der traditionellen Pädagogik waren 9 . Man sollte daher<br />

8 Vgl. hierzu auch <strong>die</strong> folgenden Ausführungen POPPERs (1975, S. 692-693): „Eine der wenigen<br />

Möglichkeiten, <strong>die</strong> uns in <strong>die</strong>ser Hinsicht zu Gebote stehen, liegt darin, daß wir versuchen, bei<br />

allen Wissenschaftlern das Bewußtsein ihrer Verantwortung lebendig zu erhalten. In <strong>die</strong>sem<br />

Zusammenhang möchte ich besonders <strong>auf</strong> einen Punkt hinweisen, der meiner Meinung nach<br />

mit der Krise der Universitäten zusammenhängt: Mehr und mehr Techniker werden gebraucht,<br />

und so kommt es dazu, daß mehr und mehr Doktoranden nur - oder fast nur - als Techniker<br />

ausgebildet werden. Oft lernen sie für ihre Dissertation nur eine Technik und verstehen nicht<br />

einmal <strong>die</strong> Probleme, <strong>die</strong> durch jene Messungen gelöst werden sollen. Ich halte <strong>die</strong>se Situation<br />

für unentschuldbar und unverantwortlich; ich sehe in ihr einen Verrat am hippokratischen Eid<br />

von seiten der akademischen Lehrer. Deren Aufgabe muß es sein, dem Stu<strong>die</strong>renden <strong>die</strong> neuen,<br />

großen Probleme nahezubringen, <strong>die</strong> durch <strong>die</strong> wissenschaftliche Forschung <strong>auf</strong>gedeckt<br />

werden, und <strong>die</strong> ihrerseits wieder aller Forschung zugrunde liegen, sie inspirieren und<br />

motivieren."<br />

9 Vgl. z. B. J. F. HERBART, W. REIN, G. KERSCHENSTEINER, J. DEWEY, M. MONTES-<br />

SORI, B. OTTO, um nur einige Pädagogen zu nennen, <strong>die</strong> sich mit Problemen des Lernens<br />

und der Erkenntnis auseinandersetzten.<br />

10


auch heute <strong>die</strong>se Probleme nicht ganz den Psychologen und Philosophen<br />

überlassen und womöglich Erziehungswissenschaft per Definition <strong>auf</strong><br />

bestimmte Bereiche einengen. Eine Definition ist ja eine willkürliche<br />

Setzung, eine Übereinkunft. Und warum sollte man willkürlich festlegen,<br />

daß Erziehungswissenschaftler nicht über philosophische und psychologische<br />

Probleme nachdenken und Lösungen dafür suchen sollten, wenn<br />

<strong>die</strong>se im Rahmen von Erziehung <strong>auf</strong>treten. Wenn ein ursprünglich<br />

pädagogisches Problem, d. h. ein Problem, das traditionell von Pädagogen<br />

untersucht wird, lösbar ist durch ausschließlich psychologische<br />

Überlegungen, braucht es dennoch nicht als psychologisch bezeichnet zu<br />

werden, sondern es bleibt ein pädagogisches Problem. Ähnlich ist es ja in<br />

der Physik, wo manche Probleme (wie z. B. <strong>die</strong> Erklärung von Serien von<br />

Spektrallinien) ausschließlich mit mathematischen Mitteln gelöst werden<br />

können, ohne deshalb als mathematische Probleme zu gelten (vgl.<br />

POPPER 1972, S. 74). Die Frage der Zuordnung von Problemen zu<br />

bestimmten Wissenschaftsgebieten ist eher eine Frage der Gewohnheit,<br />

der Tradition und des Sprachgebrauchs und ohne jeden wissenschaftlichen<br />

Wert (vgl. hierzu POPPER 1972, S. 66 f.).<br />

Erziehungswissenschaft und moralische Verantwortung<br />

Gleichfalls ohne wissenschaftlichen Wert, jedoch von großer pädagogischer<br />

Bedeutung sind normative Fragen. Fragen, wie und wozu wir<br />

erziehen sollen, kann <strong>die</strong> Erziehungswissenschaft nicht lösen. Jede Wissenschaft<br />

macht nur Aussagen über Tatsachen, aber sie setzt keine Ziele<br />

und gibt keine Verhaltensregeln 10 . Kaum jemand wird behaupten wollen,<br />

<strong>die</strong> Zehn Gebote hätten etwas mit Wissenschaft zu tun, obwohl man sie<br />

als Normen oder Zweckbestimmungen für pädagogisches Handeln akzeptieren<br />

oder auch bekämpfen kann. Dennoch besteht m. E. eine der<br />

Haupt<strong>auf</strong>gaben des Erziehungswissenschaftlers darin, Möglichkeiten und<br />

Folgen pädagogischen Handelns <strong>auf</strong>zuzeigen und allgemeine Leitlinien<br />

vorzuschlagen. Der Erziehungswissenschaftler kann zeigen, mit welchen<br />

Lehrstrategien bestimmte Erziehungsziele erreicht oder nicht erreicht<br />

werden können und wie sich <strong>die</strong> Einführung bestimmter Normen und<br />

Lehrstrategien praktisch auswirkt. Denn nur wenn man <strong>die</strong> konkreten<br />

Folgen seiner Handlungen kennt, kann man sich verantwortungsvoll für<br />

oder gegen eine Sache entscheiden. Die moralische Verantwortung des<br />

10 Zum Dualismus von Tatsachen und Entscheidungen vgl. POPPER 1970, Bd. 1, S.<br />

95 ff. Zu „Wissenschaft und Zielsetzung' vgl. auch v. CUBE, 1977, S. 49 ff.<br />

11


Erziehungswissenschaftlers besteht vor allem darin, <strong>die</strong> ungewollten<br />

Folgen des pädagogischen Handelns vorauszusehen und <strong>die</strong> Aufmerksamkeit<br />

dar<strong>auf</strong> zu lenken (vgl. POPPER 1975, S. 698-699). Diese<br />

Aufgabe kann er aber nur erfüllen, wenn er auch ein Bild der Werte und<br />

Ziele gibt, <strong>die</strong> er verfolgt und <strong>die</strong> er gegen andere Werte und Ziele<br />

verteidigt. Dabei muß er sich stets der Tatsache bewußt bleiben, daß <strong>die</strong><br />

Wahl seiner Werte und Ziele wissenschaftlich nicht entscheidbar ist.<br />

Der Aufbau des Buches<br />

Die Alltagstheorie des Lernens, <strong>die</strong> Lernen als das Anhäufen von<br />

Informationen im Gedächtnis des Schülers betrachtet, führt, wie oben<br />

schon angedeutet wurde, zu einem Lehren, das <strong>auf</strong> das Abspeichern von<br />

Lehrstoff hinausläuft. Der Lehrer „gibt“ den Schülern Information, und<br />

<strong>die</strong>se, wenn sie nur <strong>auf</strong>merksam oder motiviert sind, „empfangen“ sie; sie<br />

nehmen <strong>die</strong> Information durch ihre Sinnesorgane <strong>auf</strong> und speichern sie<br />

im Gedächtnis. Bei Bedarf werden <strong>die</strong> gespeicherten Lehrsätze wieder<br />

„hervorgeholt“. Die Alltagstheorie des Lernens ist also verknüpft mit<br />

entsprechenden Alltagstheorien der Wahrnehmung, des Gedächtnisses,<br />

der Erinnerung und der Motivation. Diese (falschen) Theorien scheinen<br />

ein sehr zähes Leben zu haben, denn sie beeinflussen das Lehren bis<br />

heute in einem ungeahn- ten Ausmaß 11 , und insbesondere beeinflussen<br />

sie auch unsere wissenschaftlichen Lern- und Erkenntnistheorien und<br />

dadurch rückwirkend wiederum <strong>die</strong> Lehrtheorien (vgl. POPPER 1973, S.<br />

75).<br />

Im ersten Teil werde ich <strong>die</strong>se Alltagstheorien und einige von ihr<br />

beeinflußte wissenschaftliche Theorien kritisieren und sie durch eine<br />

Theorie der menschlichen Informationsverarbeitung ersetzen, <strong>die</strong> m. E.<br />

der Wirklichkeit besser entspricht. In <strong>die</strong>ser Theorie der menschlichen<br />

Informationsverarbeitung versuche ich, Elemente der Erkenntnistheorie<br />

des kritischen Rationalismus, kognitive Theorien des Lernens, des<br />

Gedächtnisses, der Wahrnehmung und der Motivation in einen<br />

einheitlichen Rahmen zu bringen. Dadurch wird es dann im didaktischen<br />

Teil der Arbeit möglich, Lehrstrategien und Lehrmethoden aus<br />

einheitlicher Sicht zu beurteilen und von einem bestimmten Standpunkt<br />

aus ihre erwünschten und unerwünschten Wirkungen, <strong>die</strong> sie unter<br />

11 Vgl. z. B. WAGENSCHEIN 1970, Bd. 1, S. 333, der eben <strong>die</strong>sen Zustand beklagt.<br />

12


estimmten Bedingungen haben, im voraus abzuschätzen und zu<br />

erklären.<br />

Im didaktischen Teil der Arbeit untersuche ich Möglichkeiten zur<br />

Steuerung der Informationsverarbeitung. Dabei steht <strong>die</strong> genetische<br />

Lehrstrategie im Mittelpunkt. Ich werde darstellen, wie <strong>die</strong>se Lehrstrategie<br />

sich von der systemvermittelnden Lehrstrategie unterscheidet<br />

und beide Strategien im Rahmen der im ersten Teil dargestellten Lerntheorie<br />

und im Rahmen des kritischen Rationalismus analysieren und von<br />

daher auch Argumente für <strong>die</strong> bevorzugte Anwendung der genetischen<br />

Lehrstrategie vorbringen. Im weiteren untersuche ich, welche Arten der<br />

Motivierung innerhalb der genetischen und systemvermittelnden Lehrstrategie<br />

anwendbar sind, welche Motivierungsarten gegen <strong>die</strong> Prinzipien<br />

eines genetischen Lehrens verstoßen, welche Wirkungen und Nebenwirkungen<br />

<strong>auf</strong> Grund der im ersten Teil dargestellten Theorie zu erwarten<br />

sind und wie <strong>die</strong> verschiedenen Arten der Motivierung im Rahmen der<br />

Philosophie des kritischen Rationalismus zu bewerten sind.<br />

Weiter stelle ich dar, inwieweit <strong>die</strong> genetische Lehrstrategie bei darbietendem<br />

Verfahren, bei erarbeitendem Verfahren und bei Entdeckung<br />

angewandt werden kann und sich darin von der systemvermittelnden<br />

Lehrstrategie unterscheidet.<br />

13


2. WIE WIR INFORMATION VERARBEITEN<br />

2.1. Entwurf eines Modells der Informationsverarbeitung<br />

Wie ist ein Organismus und wie ist insbesondere der menschliche Geist<br />

beschaffen, dem es gelingt, sich Wissen über <strong>die</strong>se Welt anzueignen und<br />

seinem Blick verborgene Gesetzmäßigkeiten zu entdecken? Seine Sinnesorgane<br />

empfangen ja nur eine Anordnung von Licht- und Schallwellen<br />

oder andere physikalische Reize. Diese Signale werden vom Organismus<br />

in physiologische Signale umgewandelt und werden dann interpretiert.<br />

Um sich zurechtzufinden, muß jeder Organismus schon von vornherein<br />

über Erwartungen verfügen, innerhalb derer er Informationen deuten<br />

kann. Erst <strong>die</strong>se bedeutungshaltige Interpretation ist es, was man sieht,<br />

hört oder fühlt. Es ist also nicht <strong>die</strong> unmittelbare Wirklichkeit, <strong>die</strong> wir<br />

passiv wahrnehmen und <strong>auf</strong> <strong>die</strong> wir reagieren, sondern <strong>die</strong> Wirklichkeit<br />

wird uns durch höchst aktive und konstruktive kognitive (erkennende)<br />

Prozesse „vermittelt“. Wir müssen <strong>die</strong> Welt sozusagen selbst erzeugen.<br />

Nirgendwo verfügen wir über sichere Wahrnehmungsdaten, sondern nur<br />

über Deutungen, Entschlüsselungen. Wir können also kein Wissen über<br />

<strong>die</strong> Welt erwerben, indem wir Wahrnehmungen speichern. Vielmehr<br />

lernen wir dadurch, daß wir unsere Erwartungen kritisieren und herauszufinden<br />

suchen, ob sie mit der Wirklichkeit übereinstimmen oder ihr<br />

widersprechen; wir lernen, wenn wir einige unserer Erwartungen oder<br />

Hypothesen oder Theorien als falsch erkennen, sie eliminieren und durch<br />

bessere ersetzen. Diese Logik der Forschung ist auch <strong>die</strong> Logik des<br />

Lernens (vgl. auch POPPER 1973, S. 74-89). Und so wie <strong>die</strong> Theorien<br />

der Wissenschaft, so kann man auch das persönliche Wissen, <strong>die</strong><br />

kognitiven Strukturen des einzelnen, als ein Netz bezeichnen, mit dem<br />

wir versuchen, ,<strong>die</strong> Welt’ einzufangen, sie zu rationalisieren, zu erklären<br />

und zu beherrschen“. Jeder einzelne arbeitet ständig daran, „<strong>die</strong> Maschen<br />

des Netzes immer enger zu machen“ (POPPER 1971, S. 31).<br />

15


In den folgenden Kapiteln werde ich versuchen; ein Modell <strong>die</strong>ser<br />

grundlegenden kognitiven Informationsverarbeitungsprozesse zu entwerfen.<br />

2.1.1. Der Aufbau des Wissens<br />

Wer eine Rechen<strong>auf</strong>gabe löst oder einen Aufsatz schreibt, verwendet<br />

dazu sein Wissen und seine Erfahrungen. Aber er benutzt sein Wissen<br />

nicht in. zufälliger Weise, sondern wählt <strong>die</strong>jenigen Erfahrungen aus, <strong>die</strong><br />

in einem Zusammenhang mit seiner Aufgabe stehen. In gewisser Weise<br />

wird <strong>die</strong>se Auswahl auch vom Gedächtnis selbst beeinflußt, da das, was<br />

von vergangenen Erfahrungen erhalten ist, geordnet und im Zusammenhang<br />

mit bestimmten Gesichtspunkten gespeichert ist. Man assoziiert<br />

nicht blindlings, sondern alle Einfälle stehen in einem Zusammenhang<br />

mit dem Thema. Diese in organisierter Weise gespeicherten Erfahrungen<br />

bezeichne ich daher auch als kognitive Strukturen 12 .<br />

Im folgenden werde ich zuerst <strong>die</strong> Entwicklung kognitiver Strukturen, ihre<br />

Unterschiede bei Mensch und Tier und ihre Steuerungsfunktionen untersuchen.<br />

Anschließend zeige ich einige mögliche pädagogische Anwendungen <strong>auf</strong>.<br />

Die Entwicklung der kognitiven Strukturen eines Organismus<br />

Es gibt im wesentlichen zwei gegensätzliche Gruppen von Theorien über<br />

<strong>die</strong> Entwicklung der kognitiven Strukturen eines Individuums. Die eine<br />

geht davon aus, daß in unserem Verstand nur das sein könne, was durch<br />

<strong>die</strong> Sinne hineingekommen sei. Die Entwicklung bestehe daher vor allem<br />

in einer umfangreichen Anhäufung von Wissen 13 . Die zweite Theorie<br />

nimmt ein teilweise angeborenes Wissen an, das vom Individuum ständig<br />

verändert wird, um <strong>die</strong> Probleme, <strong>die</strong> ihm durch seine Umwelt <strong>auf</strong>gegeben<br />

werden, besser bewältigen zu können. Da es bevorzugt allgemeine<br />

Strukturen speichert, kann es <strong>die</strong>se <strong>auf</strong> viele ähnlich gelagerte Probleme<br />

anwenden.<br />

Nach der Theorie der Wissensanhäufung lernt man neue Probleme zu<br />

bewältigen, indem man ein neues Verhalten hinzulernt. Diese Ansicht<br />

war (und ist) vermutlich einer der Gründe für <strong>die</strong> mit Stoff überfüllten<br />

12 Der Begriff „kognitive Struktur" bezeichnet also sowohl inhaltliche als auch formale oder<br />

strukturelle Aspekte des Gedächtnisses; weiterhin integriert er emotionale, sachliche und<br />

handlungsleitende Komponenten.<br />

13<br />

Diese bis heute lebendige Ansicht wurde von den englischen Empiristen vertreten.<br />

Vgl. vor allem LOCKE 1960, Zweites Buch. Heute wird <strong>die</strong>se Ansicht in etwas<br />

modifizierter Form vom Behaviorismus vertreten. Die Modifikation besteht u. a. in<br />

dem Zugeständnis, daß einiges angeboren ist.<br />

16


Lehrpläne und für <strong>die</strong> - zumindest früher weitverbreitete Methode des<br />

Auswendiglernens, des „Abspeicherns“ von Wissen. Doch das Wissen,<br />

das jemand sich vor Jahren angeeignet hat, ist nach einiger Zeit meist<br />

veraltet. Und wenn <strong>die</strong>ses Wissen immer so hervorgeholt und angewandt<br />

wird, wie es gespeichert ist, so reicht es höchstens für Standardarbeiten<br />

aus; <strong>die</strong> immer in genau der gleichen Weise abl<strong>auf</strong>en. Tatsächlich gehen<br />

wir aber anders mit unserem Wissen um. Wir verwenden es je nach<br />

Situation und Aufgabe in anderer Weise. Wir verwerten unser Wissen<br />

sozusagen als das vorhandene Rohmaterial, um damit stets <strong>auf</strong>s neue<br />

Lösungen für <strong>die</strong> uns gestellten Aufgaben zu konstruieren (vgl. NEISSER<br />

1974, S. 356 f.). Damit bin ich bei der Theorie, daß wir unser jeweils<br />

bestehendes Wissen ständig verändern und differenzieren. Genauso wie<br />

<strong>die</strong> Wissenschaft sich dadurch entwickelt, daß falsche Theorien verworfen<br />

werden und <strong>auf</strong> Grund dessen, was man aus den Fehlern <strong>die</strong>ser<br />

Theorien gelernt hat, neue konstruiert werden, <strong>die</strong> bessere Vorhersagen<br />

ermöglichen (vgl. hierzu POPPER 1972, S. 129). Auch <strong>die</strong> Wissenschaft<br />

„wächst“ nicht durch <strong>die</strong> Ansammlung einer immer größeren Zahl von<br />

Theorien oder Beobachtungen, sondern durch Ausschaltung falscher<br />

Theorien und ihre Ersetzung durch allgemeinere Theorien mit höherem<br />

Wahrheitsgehalt (vgl. POPPER 1972, S. 129).<br />

Diese Strukturgleichheit des Lernens bzw. des Aufbaus kognitiver<br />

Strukturen und des Wachstums der Wissenschaft legt eine Lehrstrategie<br />

nahe, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se Struktur auch bei der Darbietung von Lehrstoff berücksichtigt<br />

und Lernprozesse so arrangiert, daß sie das Wachstum oder <strong>die</strong><br />

Genese der Wissenschaft nachahmen. Denn der individuelle Lernprozeß<br />

entspricht in seiner Grobstruktur dem Werden der Wissenschaft (vgl.<br />

hierzu insbesondere 3.1.1.).<br />

Damit nun ein Organismus überhaupt anfangen. kann, sich in seiner<br />

Umwelt zu orientieren, muß ihm ein reiches „Wissen“ (in Form von Dispositionen)<br />

bereits angeboren sein. Dieses angeborene Wissen bildet<br />

zusammen mit der Umwelt oder Kultur, in <strong>die</strong> das Lebewesen hineingeboren<br />

wird, <strong>die</strong> Grundlage für <strong>die</strong> Konstruktion immer umfassenderen<br />

und besser angepaßten Wissens. Tatsächlich werden Mensch und Tier<br />

mit einer Fülle von Fähigkeiten und Fertigkeiten geboren 14 . So reagieren<br />

Organismen vor allem <strong>auf</strong> Veränderungen in ihrer Umgebung. Neuartige<br />

Reize, <strong>die</strong> mit den bisherigen Erfahrungen nicht vereinbar sind, und<br />

14 Wie außerordentlich umfassend <strong>die</strong> uns angeborenen Dispositionen vermutlich sind, und wie<br />

sehr wir <strong>die</strong> Bedeutung <strong>die</strong>ser Dispositionen im Gegensatz zu den Umwelteinflüssen häufig<br />

unterschätzen, zeigt WILSON 1978.<br />

17


unerwartete Ereignisse erregen <strong>die</strong> Aufmerksamkeit (vgl. VERNON<br />

1974, S. 81). Insbesondere reagieren Organismen <strong>auf</strong> Bewegungen von<br />

Objekten. Das tun schon Säuglinge unmittelbar nach der Geburt (vgl.<br />

VERNON 1974, S. 24; BALL und TRONICK 1971). Sie werden also mit<br />

der Erwartung oder der Theorie geboren, daß bewegte Objekte von<br />

besonderer Bedeutung für sie sind. Tatsächlich ist ja ihr körperliches und<br />

seelisches Wohl von Menschen abhängig, <strong>die</strong> sich ihnen nähern, da sie<br />

selbst sich kaum fortbewegen können 15 .<br />

Die teils angeborenen und teils durch Lernen erworbenen kognitiven<br />

Strukturen lassen sich beschreiben als ein inneres Modell der Welt oder<br />

als ein Netz, um <strong>die</strong> Welt einzufangen 16 . Auf Grund <strong>die</strong>ses Modells<br />

begegnet das Indidividuum der Welt mit bestimmten Erwartungen. Diese<br />

treffen jedoch nicht immer zu. Nicht jeder Hund läßt sich von einem<br />

Kind streicheln. Um nicht gefährdet zu werden, muß das Kind seine<br />

Erwartungen den Umständen anpassen. So differenziert es seine<br />

kognitive Struktur, korrigiert und erweitert sie.<br />

Ich will versuchen, <strong>die</strong>sen Vorgang an einem Beispiel etwas genauer<br />

darzustellen. Jedes Lebewesen. scheint mit der (zunächst nicht bewußten)<br />

Erwartung geboren zu werden, daß seine Umwelt Regelmäßigkeiten<br />

<strong>auf</strong>weist, <strong>die</strong> ihm Halt und Sicherheit geben 17 . Ohne <strong>die</strong>se Erwartung<br />

15<br />

Die Hypothese angeborener Erwartungen wurde von einer Reihe von Vertretern<br />

verschiedener Disziplinen erhärtet, z. B. EIBL-EIBESFELDT 1973; T. G. BOWER 1971 a,<br />

1971 b; HUBEL und WIESEL 1962, 1963, 1968; GIBSON und WALK 1960; SINZ 1974;<br />

VERNON 1974; NICKEL 1972 (Bd. 1). Ober endogene Programme zur Steuerung der<br />

Sprachentwicklung vgl. CHOMSKY 1970; McNEILL 1968, 1970 a, 1970 b; LENNEBERG<br />

1972.<br />

16 Die kognitiven Strukturen kann man auch als „semantische Netze" <strong>auf</strong>fassen; vgl. DORNER<br />

1976; KINTSCH 1974; RUMELHART, LINDSAY und NORMAN 1972; LINDSAY und<br />

NORMAN 1972. Elektronenrechner, denen man derartige semantische Netze einspeicherte,<br />

können intelligentes und/oder „menschliches" Verhalten zeigen. Sie können z. B. Sätze<br />

„verstehen", d. h. durch Beziehung des Inputs <strong>auf</strong> das semantische Netz (<strong>die</strong> kognitive<br />

Struktur) <strong>die</strong> Bedeutung von Sätzen richtig erfassen.<br />

Zur Theorie der kognitiven Strukturen gibt es eine umfangreiche Literatur; vgl. ARGYLE<br />

1972; NEUBAUER 1975; LAING u. a. 1971; JAHNKE 1975; SCHRODER, DRIVER,<br />

STREUFERT 1975; SEILER 1973. SEILER gibt auch eine Zusammenfassung der Literatur<br />

über kognitive Strukturen.<br />

17 Die Annahme, daß Lebewesen mit einer derartigen Erwartung oder Theorie geboren werden,<br />

ist eigentlich eine Folge von POPPERs logischer Lösung von HUMES psychologischem<br />

Induktionsproblem, vgl. POPPER 1973, S. 13 f. Er gibt <strong>die</strong>ses Problem durch <strong>die</strong> Frage<br />

wieder: Warum vertrauen wir dar<strong>auf</strong>, "daß noch nicht vorliegende Erfahrungen den<br />

vorliegenden entsprechen werden"? (S. 16) Wie POPPER zeigt, können wir ihnen nicht<br />

deshalb vertrauen, weil <strong>die</strong>se Ereignisse sich mehrmals wiederholt haben: Wiederholung<br />

beruht <strong>auf</strong> der Ähnlichkeit zweier Ereignisse, da auch wiederholte Ereignisse kaum jemals<br />

völlig identisch sind. Ähnlichkeit aber ist nur möglich <strong>auf</strong> Grund eines Gesichtspunktes,<br />

einer Erwartung. Daraus folgt, daß Erwartungen den Beobachtungen sowohl logisch als<br />

auch psychologisch vorausgehen müssen (S. 36).<br />

18


wären alle übrigen angeborenen und gelernten Verhaltensweisen wertlos,<br />

da <strong>die</strong>se nur dann brauchbar sind, wenn zukünftige Ereignisse eine regelhafte<br />

Struktur <strong>auf</strong>weisen. Tatsächlich treffen Lebewesen ständig Vorhersagen,<br />

z. B. wenn sie Signale (Geräusche, Gerüche usw.) interpretieren.<br />

Daß dabei Voraussagen gemacht werden, fällt einem gewöhnlich nur <strong>auf</strong>,<br />

wenn z. B. ein uns köstlich erscheinender Braten nur eine sehr gute<br />

künstliche Nachbildung war. Die gesamte kognitive Struktur eines Lebewesens<br />

ist also nur dann von Nutzen, wenn sie zutreffende Vorhersagen<br />

gestattet. Vorhersagen wiederum sind nur möglich, wenn Regelmäßigkeiten<br />

bestehen und wenn davon ausgegangen wird, daß sie bestehen.<br />

Bei Kindern nun wird <strong>die</strong>se Erwartung regelmäßiger Ereignisse im L<strong>auf</strong>e<br />

der Zeit differenziert und genauer bestimmt, indem das Kind Normen,<br />

Rollenerwartungen, den L<strong>auf</strong> der Sonne, der Jahreszeiten usw. lernt. Alle<br />

<strong>die</strong>se Regelmäßigkeiten erklärt es zunächst integrativ durch eine<br />

monistische Erklärung. Das Kind schreibt allen Dingen Rollen und<br />

Aufgaben zu: <strong>die</strong> Sonne muß mit uns kommen, um uns zu wärmen; das<br />

Kind muß gehorchen, weil seine Eltern sonst böse sind, usw. (vgl. HAN-<br />

SEN 1965, S. 207 f. und TOPITSCH 1972, S. 30 f.). Aber später entdeckt<br />

es, daß soziale Gesetze, im Unterschied zu Naturgesetzen, überall anders<br />

sind und daß sie vom Menschen verändert werden können. So muß es<br />

seine monistische Erklärung <strong>auf</strong>geben und eine andere suchen, z. B. <strong>die</strong><br />

Theorie des Dualismus von Werten und Tatsachen 18 . Diese mag zunächst<br />

noch undifferenziert in der Annahme bestehen, daß manche Normen<br />

sich von Gesellschaft zu Gesellschaft unterscheiden können, während<br />

Naturgesetze überall in gleicher Weise gültig sind. Diese neue integrative<br />

Erklärung ermöglicht aber weitere Differenzierungen der kognitiven<br />

Strukturen <strong>die</strong>ses Bereiches 19 .<br />

Die kognitiven Strukturen bei Mensch und Tier<br />

Die Behavioristen gehen, von der Annahme aus, daß <strong>die</strong> Lerngesetze für<br />

alle Organismen gelten, so wie Mediziner und Biologen <strong>die</strong><br />

Funktionsweise von Organismen als gleich oder ähnlich betrachten. Aber<br />

zweifellos gibt es auch Unterschiede im Lernen von Menschen und<br />

Tieren. Karl POPPER hat den nach seiner Meinung „einzigen wirklich<br />

bedeutsamen Unterschied“ im Lernen als den zwischen der „Methode<br />

Einsteins und der der Amöbe“ so charakterisiert:<br />

18 Zum „kritischen Dualismus" vgl. POPPER 1970, Bd. 1, S. 98.<br />

19 Ähnliche Auffassungen zur Entwicklung der kognitiven Strukturen vertreten AEBLI 1975 a;<br />

AUSUBEL 1974; PLAGET 1976. Eine Vielzahl von Beispielen zur Entwicklung von<br />

kognitiven Strukturen im Bereich der Physik gibt WAGENSCHEIN 1976, S. 60-93.<br />

19


„Im Gegensatz zu der Amöbe versuchte Einstein immer, wenn ihm eine neue<br />

Lösung eingefallen war, nach Kräften, sie zu widerlegen und einen Fehler in ihr<br />

zu finden: er verhielt sich gegenüber seinen eigenen Lösungen kritisch ....<br />

Beim primitiven Menschen und bei der Amöbe ist es anders. Da gibt es keine<br />

kritische Einstellung, und daher geschieht es nur zu oft, daß <strong>die</strong> natürliche<br />

Auslese eine falsche Hypothese oder Erwartung durch Ausmerzung der an sie<br />

glaubenden Organismen beseitigt. Man kann also sagen, <strong>die</strong> kritische oder<br />

vernünftige Methode bestehe darin, daß wir unsere Hypothesen an Stelle von<br />

uns selbst sterben lassen: es ist ein Fall von exosomatischer Entwicklung.“<br />

(POPPER 1973, S. 273-274)<br />

Die Anwendung der kritischen. Methode ist dem Menschen nur möglich<br />

<strong>auf</strong> Grund seiner z. T. angeborenen Fähigkeit, Probleme und ihre Lösungen<br />

symbolisch darzustellen, denn der Mensch verfügt im Gegensatz zum<br />

Tier über eine beschreibende und argumentative Sprache. Doch kann <strong>die</strong><br />

Sprache nicht vom einzelnen Individuum entwickelt werden. Menschen,<br />

<strong>die</strong> ausschließlich in Gesellschaft von Tieren <strong>auf</strong>wachsen, lernen nicht <strong>die</strong><br />

menschliche Sprache. Diese ist nicht einfach ein formales System, sondern<br />

an Inhalte gebunden, an <strong>die</strong> Problemlösungen, <strong>die</strong> <strong>auf</strong> Grund der<br />

deskriptiven Sprache (und mittels Schrift) immer weiter überliefert und<br />

weiterentwickelt werden können.<br />

Die menschliche Sprache erlaubt uns also, unsere Erfahrungen begrifflich<br />

zu ordnen, zu speichern und zu rekonstruieren 20 ; und sie wird zu unserem<br />

mächtigsten Werkzeug zur Erweiterung unseres Wissens und unserer<br />

intellektuellen Fähigkeiten dadurch, daß sie eine „öffentliche“ Kritik<br />

ermöglicht. Denn <strong>die</strong> deskriptive Sprachfunktion erlaubt es uns, Sachverhalte<br />

oder Theorien über Sachverhalte so darzustellen, daß <strong>die</strong>se Darstellungen<br />

intersubjektiv überprüfbar sind. Und <strong>die</strong> argumentative Sprachfunktion<br />

ermöglicht es uns, über <strong>die</strong> Wahrheit oder Falschheit der Theorien<br />

zu diskutieren und empirische Prüfungen <strong>auf</strong> ihre Gültigkeit hin zu<br />

untersuchen. Sprache ist also ein Mittel zur Objektivierung und kritischen<br />

Prüfung unseres Wissens (vgl. POPPER 1973, S. 266). jeder Mensch<br />

verdankt beinahe sein gesamtes individuelles Wissen der Existenz des<br />

objektiven Wissens, das beispielsweise in Bibliotheken <strong>auf</strong>bewahrt wird<br />

(vgl. POPPER 1973, S. 175 f.). Er kann es sich nur zu eigen machen, weil<br />

er über eine deskriptive und argumentative Sprache verfügt, <strong>die</strong> Tiere<br />

nicht kennen. Und je umfassender sein subjektives Wissen ist, um so<br />

einfacher wird es für ihn, sich weiteres Wissen anzueignen, ganz so wie<br />

20 Siehe hierzu auch LURIJA 1969, S. 502 f.; OERTER 1974, S. 101 f.; NEISSER<br />

1974, S. 364 f.; DÖRNER 1976, S. 49 f.; BADDELEY 1976, S. 300 ff. und S. 317<br />

ff.<br />

20


der Besitzende <strong>die</strong> Möglichkeit hat, seine Reichtümer zu vermehren,<br />

während der Besitzlose weiterhin arm an Gütern bleibt.<br />

Die kognitiven Strukturen als Grundlage der Verhaltenssteuerung<br />

(Motivation)<br />

Die kognitiven Strukturen sind nicht nur interne Repräsentationen<br />

früherer Erfahrungen. Sie bilden auch <strong>die</strong> Grundlage für <strong>die</strong> Selbststeuerung<br />

unseres Verhaltens. Nach TOPITSCH stellt <strong>die</strong>se steuernde<br />

Funktion der kognitiven Strukturen eine „Grundform des Denkens“ dar:<br />

„Denn für das unreflektierte Bewußtsein nicht etwa bloß des sogenannten<br />

Primitiven, sondern auch des modernen Menschen gilt . . ., daß ,<strong>die</strong> Dinge für<br />

das Ich nur dadurch ,sind’, daß sie in ihm affektiv wirksam werden, daß sie in<br />

ihm eine bestimmte Regung der Hoffnung oder Furcht, der Begierde oder des<br />

Schreckens, der Befriedigung oder Enttäuschung auslösen`. (E. CASSIRER,<br />

Philosophie der Formen II, Berlin 1925, S. 247) Die gefühlsmäßige Wirksamkeit<br />

bedeutet fernerhin oft das Signal für <strong>die</strong> Auslösung eines bestimmten<br />

Verhaltens. Das Unwetter, <strong>die</strong> Nahrung, das Raubtier, der Feind verursachen<br />

nicht nur starke Affekte, sondern sie rufen auch verschiedene Handlungen<br />

hervor, etwa das Schutzsuchen, Sich-Bemächtigen, Angreifen, Abwehren oder<br />

Fliehen.“ (TOPITSCH 1972, S. 13)<br />

In den kognitiven Strukturen des Individuums gibt es also zunächst keine<br />

Trennung von sachlichen (kognitiven), gefühlsmäßigen und handlungsleitenden<br />

Komponenten 21 . Das gilt insbesondere auch für <strong>die</strong> Sprache,<br />

<strong>die</strong> - wie TOPITSCH sagt - ein „geniales Medium menschlicher Orientierung<br />

in der Welt“ ist. Denn es<br />

„gibt dem Menschen genau das, was er in der praktischen Auseinandersetzung<br />

mit seiner Umgebung in Gesellschaft und Natur am allernotwendigsten<br />

benötigt: ein Signalsystem, in welchem mit der Nennung eines Gegenstandes<br />

zugleich ein Gefühlston und eine Regel gegeben ist, wie man sich zu ihm<br />

verhalten solle“ 22 .<br />

21 Ich möchte dar<strong>auf</strong> hinweisen, daß <strong>die</strong>se Mehrfunktionalität der kognitiven Struktur der<br />

Dreikomponentenkonzeption der Einstellung entspricht. Vgl. ROSENBERG und<br />

HOVLAND 1960.<br />

22 TOPITSCH 1971, S. 164.<br />

Dabei sollte man nicht übersehen, daß <strong>die</strong> gefühlsmäßige Sichtweise einfach eine<br />

Abkürzung darstellt, <strong>die</strong> sofortiges Handeln ermöglicht. Sie kann durch eine wertfreie<br />

Beschreibung ersetzt werden. So ist es durchaus möglich, z. B. ablehnende emotionale<br />

Reaktionen gegenüber Latein kognitiv zu verstehen. Sie resultieren vermutlich aus früheren<br />

unerfreulichen Erfahrungen mit Latein bzw. dem Lateinunterricht. Da man bestrebt ist,<br />

derartige unerfreuliche Erfahrungen zu vermeiden, wird <strong>die</strong> emotionale Reaktion auch<br />

kognitiv verständlich.<br />

21


So hat z. B. das Wort „Mord“ <strong>die</strong> denotative Bedeutung „Tötung eines<br />

Menschen,“. Die konnotative Bedeutung besteht in dem negativen Gefühlston<br />

„Mord' ist abscheulich!“ und der Handlungsanweisung „begehe<br />

keinen Mord!“.<br />

Tatsächlich ist sogar Studenten oft nur schwer klarzumachen, daß<br />

beispielsweise aus der Tatsache, daß Überbelastung den Organismus<br />

schädigt, nicht zwingend abgeleitet werden kann, daß er nicht überlastet<br />

werden darf, oder, um ein für <strong>die</strong> Gegenwart typischeres Beispiel zu<br />

benutzen, daß aus der Tatsache der Existenz von „Widersprüchen“ in der<br />

Gesellschaft (gemeint sind soziale Probleme, <strong>die</strong> z. B. durch das<br />

Zusammenbestehen von Armut und Reichtum <strong>auf</strong>treten können) nicht<br />

<strong>die</strong> Forderung zur Aufhebung <strong>die</strong>ser „Widersprüche“ enthalten ist oder<br />

daraus deduziert werden kann. Die Trennung von Tatsachen: und Werten<br />

ist also eine sehr späte Erscheinung der individuellen Entwicklung (und<br />

der Geistesgeschichte). Diese Trennung zeigt aber auch, daß unsere<br />

Handlungen durch <strong>die</strong> kognitiven Strukturen nicht vollständig<br />

determiniert sind (siehe vor allem 2.2.2.).<br />

Die kognitiven Strukturen bilden eine Art Informationsverarbeitungsprogramm:<br />

unsere Beobachtungen, unser Verständnis bestimmter Signale,<br />

all das wird von unseren Alltagstheorien, unseren Vorstellungen,<br />

unserem Wissen gesteuert. Aber <strong>die</strong>se Steuerung ist nicht starr, sondern<br />

wir verändern sie, indem wir unser Wissen unter dem Einfluß übergeordneter<br />

Maßstäbe oder regulativer Kriterien verändern (wie dem der<br />

Widerspruchsfreiheit oder dem Ziel des Überlebens). Wir werden also<br />

einerseits von den kognitiven Strukturen gesteuert, aber andererseits<br />

steuern, verändern und erweitern wir auch unsere kognitiven Strukturen<br />

(siehe besonders 2.2.2. Motivation) 23 .<br />

Möglichkeiten der Anwendung der dargestellten Theorie<br />

bei der Unterstützung des Lernens<br />

Wenn <strong>die</strong> Entwicklung der kognitiven Strukturen so vor sich geht wie das<br />

Wachstum der Wissenschaft, dann ist es möglich, daß der Schüler in<br />

Umrissen das Werden der Wissenschaft selber nachvollzieht. In <strong>die</strong>sem<br />

Fall könnte er verstehen, warum man frühere Theorien <strong>auf</strong>gegeben und<br />

Diese kognitive Sicht emotionaler Prozesse wird heute auch in der kognitiven Motivationsund<br />

Einstellungstheorie vertreten. Vgl. z. B. KELLY 1973; HEIDER 1977; FESTINGER<br />

1957.<br />

23 Vgl. POPPER 1973: „Wir sind nicht gezwungen, uns der Steuerung durch unsere Theorien<br />

zu unterwerfen ... Nicht nur steuern unsere Theorien uns, sondern wir können unsere<br />

Theorien steuern (und sogar unsere Maßstäbe), es gibt hier eine Art Rückkopplung." (S. 267)<br />

22


andere an ihre Stelle gesetzt und akzeptiert hat. Er müßte nicht einfach<br />

Ergebnisse unkritisch hinnehmen, <strong>die</strong> er zwar anwenden, aber nicht<br />

weiter einsehen kann. Bei einem Unterricht, der das Verstehen zum Ziel<br />

hätte, müßte man also, wie in der Wissenschaft, von den schon<br />

vorhandenen Theorien bzw. dem vorhandenen Wissen ausgehen und von<br />

da aus nach besseren Theorien suchen. Nach <strong>die</strong>ser Auffassung wird der<br />

Lernprozeß nicht behindert, wenn man vom Falschen ausgeht. Denn der<br />

Schüler wird nicht als ein passives Wesen betrachtet, das Eindrücke<br />

speichert und bei Bedarf wiedergibt, sondern als aktiv Forschender, der<br />

seine Hypothesen, wenigstens zum Teil, selber konstruiert und sie ändert,<br />

wenn sie widerlegt werden. Er baut so immer differenziertere kognitive<br />

Strukturen. <strong>auf</strong>, <strong>die</strong> <strong>auf</strong> Grund <strong>die</strong>ser Entwicklung niemals beziehungslos<br />

sind, sondern eine enge Vernetzung <strong>auf</strong>weisen. WAGENSCHEIN gibt<br />

einige Beispiele für ein derartiges Vorgehen im Unterricht:<br />

„1. Wenn Anfänger über Wärme-Phänomene selber nachdenken dürfen, dann<br />

bilden sie gemäß dem, was zuerst <strong>auf</strong>fällt, zunächst <strong>die</strong> Wärme-Stoff-Theorie,<br />

genau wie <strong>die</strong> früheren Physiker. (Denn ,<strong>die</strong> Wärme' ,sitzt' in den warmen<br />

Dingen, sie ,kriecht' dahin, wo es kalt ist, und sie ,fliegt' durch den Raum, sogar<br />

den leeren, von der Sonne zu uns.) Erst wenn sie abseitigere Tatsachen entdeckt<br />

haben (...), ändern sie ihre Meinung. (Denn es paßt nicht zum Bild eines<br />

,Stoffes’, daß man durch Bohren oder Feilen, wenn man es nur lange genug<br />

fortsetzt, aus einem Metallblock beliebig viel Wärme ,herausholen' kann.) . . .<br />

2. Wer naiv .. . dem höchst ehrenwerten Irrtum erliegt, <strong>die</strong> Quadratwurzel aus 2<br />

müsse ,natürlich’ als Bruchzahl zwischen 1 und 2 faßbar sein, und nach <strong>die</strong>ser<br />

Zahl dann auch geduldig sucht, gewinnt erst <strong>die</strong> Voraussetzungen dafür, zu<br />

begreifen, welches Gewicht der Entdeckung der ,irrationalen Zahlen' überhaupt<br />

zukommt. (Ich kenne Mathematikstudenten, <strong>die</strong> es nicht bemerkt haben.)“<br />

(WAGENSCHEIN 1974, S. 151)<br />

Gibt man den Schülern aber nur das Ergebnis der heutigen Wissenschaft<br />

vor, dann können sie nicht mehr nachvollziehen, wie und warum man<br />

gerade zu <strong>die</strong>sem und zu keinem anderen Ergebnis gekommen ist; sie<br />

können das Dargelegte nur glauben; sie können es nicht in ihr vorhandenes<br />

Wissen integrieren, sondern es nur als eine Folge von isolierten<br />

Lehrsätzen auswendig lernen (vgl. insbesondere 3.1.1.).<br />

2.1.2. Die Informationsverarbeitung bei der Wahrnehmung<br />

Die Sinnesorgane empfangen Information in Form physikalischer<br />

Signale: als Lichtquellen, Schallwellen, mechanischen Druck usw. Diese<br />

Signale haben bei ihrem Auftreffen <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Rezeptorflächen noch<br />

keinerlei psychologische oder subjektive Bedeutung. Das Subjekt muß sie<br />

erst mit Hilfe angeborenen und erworbenen Wissens entschlüsseln. Für<br />

23


<strong>die</strong> Dauer <strong>die</strong>ses Entschlüsselungsprozesses muß <strong>die</strong> sensorische Information<br />

in einem Puffer oder Speicher für wenige Sekundenbruchteile bis<br />

Sekunden gegenwärtig gehalten werden. Dieses Kurzzeitgedächtnis<br />

(KZG) ist zwischen Informations<strong>auf</strong>nahme und -verarbeitung geschaltet.<br />

Weiterhin muß es irgendeinen Mechanismus geben, der bestimmte Informationen<br />

auswählt. Denn wir richten unsere Aufmerksamkeit immer nur<br />

<strong>auf</strong> einen Ausschnitt des gesamten Wahrnehmungsfeldes.<br />

Den Deko<strong>die</strong>rungsprozeß selbst stellt man sich oft vor als einen Vergleich<br />

des sensorischen Inputs mit gespeicherten Schablonen. Eine<br />

andere Möglichkeit der Entschlüsselung besteht in der Synthese einer<br />

Vergleichsinformation zu den von den Sinnesorganen empfangenen Signalen.<br />

An Hand <strong>die</strong>ser Vergleichsinformation wird dann der sensorische<br />

Input analysiert.<br />

Ich werde im folgenden zuerst den Schablonenvergleich und den Analyse-durch-Synthese-Prozeß<br />

diskutieren und in einem zweiten Abschnitt<br />

ein Modell der selektiven Wahrnehmung darstellen. Dieses Modell wird<br />

dann durch <strong>die</strong> Einführung von verschiedenen Arten von Gedächtnissen<br />

ergänzt. Zuletzt erörtere ich einige Funktionen der Wahrnehmung.<br />

Zwei Theorien der Wahrnehmung:<br />

Schablonenvergleich und Analyse-durch-Synthese<br />

Nach der Schablonentheorie wird eine Katze als solche erkannt, indem<br />

<strong>die</strong> sensorische Meldung <strong>die</strong>ses Objektes mit im Gedächtnis gespeicherten<br />

Mustern von früher gesehenen Katzen verglichen wird 24 . Doch<br />

<strong>die</strong>se Theorie hat einige entscheidende Schwächen. Beispielsweise identifiziert<br />

man beim sinnvollen Lesen nicht jeden einzelnen Buchstaben, sondern<br />

man sieht und erkennt das Wort als Ganzes 25 . Nur Kinder, <strong>die</strong> nicht<br />

richtig lesen können, „buchstabieren“ noch. Wenn wir aber Wörter als<br />

Ganzes erkennen, dann müßten wir für jedes Wort eine Schablone gespeichert<br />

haben. Wir müßten also über sehr viele verschiedene Schablonen<br />

verfügen, <strong>die</strong> sich zudem oft nur durch Details voneinander<br />

unterscheiden würden, wie z. B. „fruchtbar“ und „furchtbar“. Und das<br />

noch größere Problem wäre: Wie könnte <strong>die</strong> jeweils richtige Schablone in<br />

kürzester Zeit gefunden werden? Auch für <strong>die</strong> Erklärung des Lesens von<br />

24 Zur Schablonentheorie vgl. CAMPBELL 1966; BETZ 1974. Vgl. auch <strong>die</strong> Diskussion und<br />

Kritik <strong>die</strong>ser Theorie bei NEISSER 1974, S. 85 ff.<br />

25 Experimentelle Stu<strong>die</strong>n zum Worterfassungseffekt referieren NEISSER 1974, S. 139 f. und<br />

VERNON 1974, S. 77 f.<br />

24


Handschriften ist <strong>die</strong> Schablonentheorie ungeeignet. Denn man kann<br />

Handschriften lesen, denen man noch nie begegnet ist und bei denen<br />

jeder Buchstabe sich von denjenigen unterscheidet, <strong>die</strong> man bis dahin<br />

gesehen hat 26 .<br />

Nach der Schablonentheorie ist im Gedächtnis eine Kollektion von<br />

Mustern gespeichert. Dies würde der Theorie entsprechen, daß Wissen<br />

eine Anhäufung von einzelnen Erfahrungen sei. Aber wir speichern<br />

Erfahrungen vermutlich nicht in Form von Abdrücken oder Abbildern.<br />

Wahrscheinlicher ist, daß unsere Erfahrungen Spuren hinterlassen ähnlich<br />

denen versunkener Kulturen (siehe 2.1.3.). Diese Spuren vergangener<br />

Erfahrungen werden verwendet um Wahrnehmungen zu konstruieren,<br />

<strong>die</strong> den von den Sinnesorganen empfangenen Signalen gleichen. Wenn<br />

man also eine Katze sieht, dann wird das Erkennen <strong>die</strong>ses Tieres über<br />

den Versuch erreicht, eine Katze zu konstruieren, <strong>die</strong> der gesehenen<br />

entspricht. Dieser Prozeß wird als „Analyse-durch-Synthese“ bezeichnet,<br />

27 da <strong>die</strong> empfangene Information entschlüsselt oder analysiert wird,<br />

indem kognitive Prozesse aktiv eine Vergleichsinformation synthetisieren.<br />

Das Rohmaterial für <strong>die</strong>se Synthese liefern <strong>die</strong> kognitiven Strukturen (vgl.<br />

Abb. 1, S. 26).<br />

Ein Modell der konstruktiven und selektiven Wahrnehmung<br />

(Motivation)<br />

Der vielleicht bedeutsamste Aspekt der organismischen und speziell der<br />

menschlichen Wahrnehmung ist deren Selektivität. Wir richten unsere<br />

Aufmerksamkeit immer nur <strong>auf</strong> einen kleinen Ausschnitt des Wahrnehmungsfeldes.<br />

Dennoch nehmen wir eine Vielzahl von Dingen gleichzeitig<br />

wahr. Während man am Schreibtisch sitzt und angestrengt arbeitet, hört<br />

man das Telefon klingeln und <strong>die</strong> Vögel draußen pfeifen; man sieht <strong>die</strong><br />

herumliegenden Papiere und Bücher und fühlt <strong>die</strong> Rückenlehne des<br />

Stuhls im Kreuz und vieles andere mehr. Diese Wahrnehmungen sind<br />

aber eher oberflächlich oder holzschnittartig; Einzelheiten gehen unter.<br />

26 Vgl. NEISSER und WEENE 1960. Dennoch ist es möglich, <strong>die</strong> Schablonentheorie - wie<br />

jede andere Theorie auch - durch ad hoc eingeführte Zusatzannahmen beizubehalten. Sie<br />

würde dadurch allerdings wesentlich komplizierter als <strong>die</strong> Analyse-durch-Synthese-Theorie.<br />

27 Vgl. NEISSER 1974, S. 133 und. S. 246. Es ist interessant, daß das Modell der<br />

Analyse-durch-Synthese höchst erfolgreich <strong>auf</strong> <strong>die</strong> maschinelle Erkennung von Hand- und<br />

Maschinenschriften sowie gesprochener Sprache angewandt wurde. Es ist ursprünglich<br />

sogar im technischen Bereich entwickelt worden; vgl. HALLE und STEVENS 1962; EDEN<br />

und HALLE 1961; EDEN 1962.<br />

25


Abb. l: Wahrnehmung als „Analyse durch Synthese“<br />

Wendet man sich aber einer Einzelheit zu, dann wird <strong>die</strong> Aufmerksamkeit<br />

von der eigentlichen Tätigkeit abgezogen. Jeder weiß aus eigener Erfahrung,<br />

daß es schwierig ist, seine Aufmerksamkeit <strong>auf</strong> mehrere Objekte<br />

oder Vorgänge gleichzeitig zu richten2829<br />

.<br />

Aber welchen Dingen wenden wir unsere Aufmerksamkeit zu? Sicher<br />

wird <strong>die</strong> Aufmerksamkeit nicht vom Zufall gesteuert. Wir reagieren<br />

besonders <strong>auf</strong> Veränderungen in unserer Umgebung, <strong>auf</strong> Bewegungen<br />

von Objekten usw. Wir treffen also eine gezielte Auswahl. Um aber eine<br />

derartige Auswahl treffen zu können, muß <strong>die</strong> gesamte Eingangsinformation<br />

zunächst in irgendeiner Weise entschlüsselt worden sein.<br />

28<br />

29 Empirische Untersuchungen über <strong>die</strong> „Grenzen der Aufmerksamkeit" berichtet VERNON<br />

1974, S. 84 ff. Obschon es möglich ist, <strong>die</strong> Aufmerksamkeit zu „teilen", also beispielsweise<br />

einen Brief zu schreiben und gleichzeitig einer Rede so <strong>auf</strong>merksam zuzuhören, daß man sie<br />

sinngemäß wiedergeben kann, ist es vermutlich doch unmöglich, <strong>die</strong> Aufmerksamkeit<br />

beliebig auszuweiten. Daß man sich <strong>die</strong> Grenzen der Aufmerksamkeit dennoch nicht allzu<br />

eng vorstellen darf, bezeugt das Beispiel MOZARTS, der imstande war, gleichzeitig ein „im<br />

Kopf schon fertiges" Musikstück niederzuschreiben, während er ein anderes komponierte.<br />

So entschuldigt er sich in einem Brief an seine Schwester, der er ein "Präludio und eine<br />

dreystimmige Fuge" schickte, daß <strong>die</strong>ses Stück „ungeschickt geschrieben" sei. „ .. das<br />

Präludio gehört vorher, dann folgt <strong>die</strong> Fuge dar<strong>auf</strong>. -Die Ursache aber war, weil ich <strong>die</strong> Fuge<br />

schon gemacht hatte, und sie, unterdessen daß ich das Präludium ausdachte, abgeschrieben"<br />

(MOZART meint: „aus dem Kopf abgeschrieben") (vgl. HILDESHEIMER 1977, S. 248).<br />

26


Erst danach kann eine gezielte Auswahl und <strong>die</strong> <strong>auf</strong>merksame Verarbeitung<br />

<strong>die</strong>ser Information erfolgen. Da <strong>die</strong>se Prozesse notgedrungen vor<br />

der Aufmerksamkeit liegen. müssen, nennt NEISSER sie „präattentive<br />

Prozesse“ (vgl. NEISSER 1974, S. 117). Die präattentiven Prozesse entschlüsseln<br />

also zunächst <strong>die</strong> gesamte Eingangsinformation in oberflächlicher<br />

Weise und steuern <strong>die</strong> Aufmerksamkeit.<br />

Ich will nun versuchen, den Prozeß der selektiven Wahrnehmung<br />

detaillierter darzustellen (vgl. dazu Abb. 2, S. 30). Die Sinnesorgane empfangen<br />

ständig Information; unbewußt gesteuert von seinen kognitiven<br />

Strukturen und mit Hilfe der präattentiven Mechanismen antizipiert das<br />

Individuum zumindest einen Teil <strong>die</strong>ser Information, indem es <strong>auf</strong><br />

Grund früherer und unmittelbar vorangegangener Erfahrungen Hypothesen<br />

bildet, in deren Licht es dann <strong>die</strong> Eingangsinformation interpretiert<br />

und eine Auswahl trifft. Wenn beispielsweise ein Lehrer <strong>die</strong> Multiplikation<br />

erklärt hat und ankündigt, es solle geübt werden, dann erwartet<br />

ein bestimmter Schüler vielleicht folgendes: „Der Lehrer stellt uns jetzt<br />

eine Mal<strong>auf</strong>gabe; da gerade Unterricht ist und ich ein guter Schüler sein<br />

möchte, wird es am besten sein, wenn ich versuche, <strong>die</strong> Aufgabe zu rechnen<br />

statt etwas anderes zu tun; außerdem habe ich gut <strong>auf</strong>gepaßt und<br />

werde es daher wohl gut können.“ Der Schüler entschlüsselt das, was der<br />

Lehrer sagt, <strong>auf</strong> dem Hintergrund <strong>die</strong>ser Erwartungen, und er trifft auch<br />

eine Auswahl <strong>auf</strong> <strong>die</strong>sem Hintergrund. Zugleich nimmt <strong>die</strong>ser Schüler<br />

eine Fülle weiterer Informationen wahr, <strong>die</strong> durch <strong>die</strong> Konstruktion<br />

ähnlicher Erwartungen quasi schon vorweg entschlüsselt werden. Dies<br />

sind Erwartungen, <strong>die</strong> z. B. davon ausgehen, daß der Klassenraum, der<br />

Lehrer, <strong>die</strong> Mitschüler usw. sich nicht plötzlich in Luft <strong>auf</strong>lösen werden<br />

oder daß der Lehrer nicht plötzlich tot umfällt.<br />

Natürlich sind nicht alle <strong>die</strong>se Erwartungen bewußt, aber <strong>die</strong> Existenz der<br />

psychologischer Zustände ist kaum zu bestreiten. Tatsächlich bemerken<br />

wir unsere Erwartungen oft nur, wenn sie enttäuscht werden. So passiert<br />

es einem, daß man eine Treppe hinuntergeht und vorzeitig annimmt, <strong>die</strong><br />

letzte Stufe hinter sich gelassen zu haben. Man ist überrascht, wenn man<br />

ins Leere tritt: Man hatte doch erwartet ... Wir gehen so sehr von<br />

Erwartungen aus, daß wir „unseren Augen nicht trauen“, wenn wir etwas<br />

Unerwartetes sehen. Das Erkennen dauert dann auch merklich länger.<br />

Beim Erwachen aus einem Traum oder aus tiefem Schlaf braucht man oft<br />

einige Augenblicke, um sich zurechtzufinden und zu wissen, wo man sich<br />

befindet, obwohl man doch den Raum kennt, in dem man schläft. Das<br />

27


zeigt, wie sehr unsere Wahrnehmung von Erwartungen abhängt 30 . Erst<br />

<strong>die</strong>se Erwartungen verschaffen uns eine Art Wirklichkeitsorientierung.<br />

Sofern nun aber keine derartigen überraschenden Ereignisse eintreten,<br />

analysieren <strong>die</strong> präattentiven Mechanismen des oben beschriebenen<br />

Schülers <strong>die</strong> ausgewählte Information - in <strong>die</strong>sem Fall <strong>die</strong> Aufgabe, <strong>die</strong><br />

der Lehrer stellt. Auch <strong>die</strong>se Analyse wird durchgeführt, indem <strong>die</strong> präattentiven<br />

Mechanismen unter Zuhilfenahme der kognitiven Strukturen<br />

selbst eine Aufgabe konstruieren, <strong>die</strong> der gehörten, d. h. dem von den<br />

Sinnesorganen empfangenen Wellenmuster, gleicht.<br />

Die präattentiven Prozesse sind demnach als hierarchisch und parallel<br />

abl<strong>auf</strong>ende Prozesse zu denken (vgl. auch NEISSER 1974, S. 118).<br />

Zunächst prüfen sie <strong>die</strong> Eingangsinformation <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Erwartungen hin,<br />

treffen <strong>auf</strong> Grund <strong>die</strong>ser Erwartungen eine Auswahl und analysieren dann<br />

<strong>die</strong> ausgewählte Information, <strong>die</strong> schließlich an <strong>die</strong> Aufmerksamkeitsprozesse<br />

und damit an das Bewußtsein weitergeleitet wird.<br />

Alle <strong>die</strong>se Konstruktionen der präattentiven Prozesse sind grob und<br />

oberflächlich, da sie sehr komplex sind und außerordentlich schnell<br />

abl<strong>auf</strong>en. Sie sind ungefähr so, wie wenn man einen Blick über <strong>die</strong> Straße<br />

wirft und glaubt, einen Freund zu erkennen; man meint sogar, ihn<br />

deutlich gesehen zu haben. Erst beim zweiten Blick erkennt man, daß es<br />

jemand anderes ist. Die Konstruktionen der präattentiven Prozesse sind<br />

wie flüchtige Ideen, <strong>die</strong> einem ja auch klar vorkommen. Erst wenn man<br />

versucht, sie zu formulieren, merkt man, wie schwer sie mit Worten<br />

einzufangen sind.<br />

Die präattentiv ausgewählten Konstruktionen werden dem Bewußtsein<br />

oder dem bewußten Selbst zugeleitet, das über <strong>die</strong> Aufmerksamkeitsmechanismen<br />

dann eine genauere Synthese nach dem gleichen Prinzip<br />

durchführte 31 . Es wird dazu von den präattentiven Mechanismen ständig<br />

30 Zur Funktion von Erwartungen in der Wahrnehmung vgl. auch SOLLEY und MURPHY<br />

1960.<br />

31 Vgl. auch NEISSER 1974, S. 117-118. Allerdings unterscheidet sich meine Sicht der<br />

präattentiven Prozesse und der Aufmerksamkeit von derjenigen NEISSERs. Im Gegensatz<br />

zu NEISSER trenne ich zudem <strong>die</strong> Prozesse der visuellen, auditiven usw. Wahrnehmung<br />

nicht. Außerdem weise ich denselben Prozessen Funktionen der motivierten<br />

Informationsauswahl, des Denkens und Lernens zu. Ich halte <strong>die</strong>s für gerechtfertigt, da es<br />

sich um strukturell gleiche Prozesse handelt und anderenfalls das Modell der<br />

Informationsverarbeitung unübersichtlich würde, ohne dabei etwas zu einer besseren<br />

Lösung der hier behandelten Probleme beizutragen. Zudem glaube ich - im Gegensatz vor<br />

allem zu den Behavioristen - an den „Geist im Lebewesen" (den „Geist in der Maschine"),<br />

der <strong>die</strong>sen Körper und seine Bewegungen und Gedanken steuert. Vgl. hierzu <strong>die</strong><br />

Auffassungen von POPPER und ECCLES (1977): The Self and its Brain.<br />

28


mit Rohmaterial versorgt. Das bewußte oder <strong>auf</strong>merksame Selbst muß<br />

aber nicht jede Information verarbeiten, <strong>die</strong> ihm von den präattentiven<br />

Mechanismen angeboten wird. Vielmehr kann es eine absichtliche und<br />

kritische Auswahl treffen, während <strong>die</strong> präattentiven Prozesse unbewußt<br />

gesteuert werden. Wird eine Information nicht <strong>auf</strong>merksam weiterverarbeitet,<br />

vergißt man sie sehr schnell, so als hätte sie nie existiert.<br />

Beispielsweise können sich Footballspieler schon nach wenigen Minuten<br />

nicht mehr daran erinnern, wann, von wem und an welcher Stelle sie<br />

gefoult worden sind. Fragt man sie aber unmittelbar danach, d. h. werden<br />

sie gezwungen, das Ereignis <strong>auf</strong>merksam zu rekonstruieren, dann erinnern<br />

sie sich auch später noch daran (vgl. YARNELL und LYNCH<br />

1970). Ähnlich ergeht es uns, wenn jemand eine Frage an uns richtet,<br />

während man mit etwas anderem beschäftigt ist. Wird nach einiger Zeit<br />

<strong>die</strong> Frage mit der Bemerkung wiederholt, ob man nicht gehört habe, dann<br />

ist es einem tatsächlich vollkommen unmöglich, sich zu erinnern. Es fällt<br />

einem sogar schwer zu glauben, daß <strong>die</strong> Frage schon einmal gestellt<br />

worden sein soll. Denn erst das Ergebnis der <strong>auf</strong>merksamen Verarbeitung<br />

wird gespeichert und beeinflußt dann rückwirkend den Entschlüsselungs-<br />

und Auswahlprozeß der präattentiven Stufe (vgl. Abb. 2, S. 30).<br />

Drei Gedächtnisse:<br />

Arbeitsgedächtnis, Langzeitgedächtnis, Kurzzeitgedächtnis<br />

Nicht jede <strong>auf</strong>merksam verarbeitete Information wird dauerhaft und<br />

vollständig gespeichert. Jeder weiß aus eigener Erfahrung, daß kurz<br />

zurückliegende Überlegungen besser erinnert werden als länger zurückliegende,<br />

<strong>die</strong> immer mehr zu verblassen scheinen. Darüber hinaus werden<br />

Denkprozesse stärker von kurz vorher erarbeiteten Vorstellungen beeinflußt,<br />

als von älteren Gedächtnisinhalten; oft ist man geradezu fixiert <strong>auf</strong><br />

eine bestimmte Idee, selbst wenn das Festhalten daran <strong>die</strong> Lösung des<br />

angestrebten Problems verhindert, und das selbst dann, wenn man <strong>auf</strong><br />

frühere Erfahrungen zurückgreifen könnte, <strong>die</strong> eine Lösung des bearbeiteten<br />

Problems erlauben würden (vgl. LUCHINS 1971). Man kann<br />

also zwischen einem kurzfristigen und einem langfristigen Gedächtnis<br />

unterscheiden. Das kurzfristige Gedächtnis wird hier als Arbeitsgedächtnis<br />

(AG) bezeichnet, das langfristige als Langzeitgedächtnis (LZG).<br />

Das Arbeitsgedächtnis <strong>die</strong>nt dazu, Information vorübergehend gegenwärtig<br />

zu halten, um sie strukturieren zu können. Diese erarbeiteten<br />

29


Informationsstrukturen gehen nach einiger Zeit in das Langzeitgedächtnis<br />

über 32 .<br />

Abb. 2: Der Informationsverarbeitungsprozeß (Erläuterungen im Text)<br />

1<br />

Man kann annehmen, daß es verschiedene Grade von Bewußtsein gibt wie z. B. bewußte<br />

oder vorbewußte Träume, wie man sie manchmal im Halbschlaf hat, und andererseits das<br />

stärker bewußte, kritische Abwägen von Argumenten.<br />

Im Rahmen der Wahrnehmung scheint ein weiteres, sehr kurzzeitiges<br />

Gedächtnis erforderlich 33 . Die Analyse durch Synthese von Sinnesinformation<br />

erfordert eine meßbare Zeit. So wird ein tachistoskopisch dargebotener<br />

Buchstabe erst ca. 150 Millisekunden nach der Darbietung „gesehen“.<br />

Man nimmt den Buchstaben erst wahr, wenn er schon seit 150<br />

Millisekunden verschwunden ist 34 . Es muß also einen Puffer oder Speicher<br />

geben, der <strong>die</strong> sensorische Information während <strong>die</strong>ser Zeitspanne<br />

der Verarbeitung gegenwärtig hält. Diesen Speicher bezeichne ich als<br />

Kurzzeitgedächtnis (siehe Abb. 2) 35 .<br />

Es gibt noch weitere Gründe, welche <strong>die</strong> Annahme eines solchen Speichers<br />

notwendig erscheinen lassen. Da ist beispielsweise <strong>die</strong> Tatsache,<br />

32 Diese Annahmen scheinen mir auch mit den gegenwärtigen biochemischen Gedächtnistheorien<br />

verträglich zu sein: vgl. SIMON 1971, TRITTHART 1971, THOMPSON 1975, S.<br />

510 ff.<br />

33 Zur Gedächtnistheorie siehe vor allem ADAMS 1967 und BADDELEY 1976.<br />

34 Vgl. SPERLING 1960; AVERBACH und CORIELL 1961, einen Forschungsüberblick gibt<br />

BADDELEY 1976, S. 188 ff. sowie NEISSER 1974, S. 32 ff.<br />

35 Zur Zeitspanne für visuelle Reize vgl. SPERLING 1960; BADDELEY 1976, S. 204 ff.; für<br />

auditive Reize vgl. POLLACK 1959; ERIKSEN und JOHNSON 1964; PETERSON und<br />

PETERSON 1959; BADDELEY 1976, S. 241 ff.; BADDELEY gibt darüber hinaus einen<br />

Forschungsüberblick über das kinästetische, taktile und olfaktorische Gedächtnis, S. 235 ff.<br />

30


daß unsere taktile und auch visuelle Wahrnehmung stets stabile Objekte<br />

erzeugt. Denn wenn wir ein Objekt betrachten, dann wandern unsere<br />

Augen etwa dreimal pro Sekunde zu einem neuen Fixpunkt. Dennoch<br />

sehen wir nicht <strong>die</strong> Folgen <strong>die</strong>ser verschiedenen Bilder, <strong>die</strong> von den<br />

Netzhäuten <strong>auf</strong>genommen werden, sondern ein einziges, stabiles Bild<br />

(NEISSER 1974, S. 179-180). Die Netzhauteindrücke ändern sich zudem<br />

ständig, wenn wir uns oder <strong>die</strong> Objekte selbst sich bewegen (NEISSER<br />

1974, S. 180). Da wir dennoch ein einheitliches Bild sehen, muß <strong>die</strong><br />

Wahrnehmung es irgendwie zusammensetzen. NEISSER beschreibt<br />

<strong>die</strong>sen Vorgang folgendermaßen:<br />

„Der Wahrnehmende ,macht` stabile Objekte, indem er Information aus<br />

mehreren Schnappschüssen zusammen verwertet. Ein solcher Prozeß setzt ein<br />

Gedächtnis voraus, aber nicht eines, das bildliche Kopien früherer Muster<br />

<strong>auf</strong>bewahrt. Vielmehr handelt es sich um ein sich ständig entwickelndes schematisches<br />

Modell, zu welchem jede neue Fixation neue Information beiträgt.<br />

Die einzelnen ,Schnappschüsse’ werden nur in dem Sinne erinnert, wie <strong>die</strong><br />

Wörter eines Satzes erinnert werden, wenn man sich nur noch seinen Inhalt<br />

vergegenwärtigen kann: Sie haben zu etwas beigetragen, das überdauert. Jeder<br />

folgende Blick hilft Substanz in das Gerüst einfüllen, welches schon der erste<br />

Blick festzulegen beginnt.“ (NEISSER 1974, S. 180-181)<br />

Wie <strong>die</strong> visuelle und taktile Wahrnehmung erfordert auch das Hören<br />

einen kurzzeitigen Speicher. Anders wäre <strong>die</strong> Wahrnehmung von<br />

Rhythmus und von Satzmelo<strong>die</strong>n nicht vorstellbar. In beiden Fällen muß<br />

der erste Ton noch gegenwärtig sein, während der letzte gehört wird (vgl.<br />

NEISSER 1974, S. 255 und 260).<br />

Einige Funktionen der Wahrnehmung<br />

Wahrnehmung ist, wie durch das oben dargestellte Modell deutlich<br />

wurde, ein komplexer konstruktiver Prozeß. Bei der Wahrnehmung<br />

gehen wir stets von Erwartungen oder Theorien aus; sie geleiten uns<br />

durch <strong>die</strong> verwirrende Vielfalt der Sinneseindrücke. Wahrnehmung kann<br />

daher nicht bedeuten, daß Information durch <strong>die</strong> Sinnesorgane in das<br />

(Langzeit-)Gedächtnis fließt und dort gespeichert und verarbeitet wird.<br />

Dieser Eindruck entsteht nur, weil Wahrnehmungsprozesse sehr rasch<br />

und mit großer Leichtigkeit abl<strong>auf</strong>en. Dieser Eindruck führt vermutlich<br />

auch zu den phänomenologischen Theorien, <strong>die</strong> davon ausgehen, man<br />

müsse <strong>die</strong> konkreten Dinge nur lange genug betrachten, um ihre<br />

„ursprüngliche Daseinsweise“, ihre „wahre Natur“ oder ihr „Wesen“<br />

(„ähnlich wie den Weingeist im Wein“ 36 ) zu sehen (vgl. FISCHER 1966,<br />

S. 90-91). Erst nach der Wahrnehmung der konkreten Dinge „erschliessen“<br />

sich uns, nach <strong>die</strong>sen Theorien, <strong>die</strong> allgemeinen Strukturen. Wahr-<br />

36 Diese Formulierung stammt von POPPER 1973, S. 218.<br />

31


nehmung oder Anschauung ist in <strong>die</strong>sem Sinne eine Art „Schau“ oder<br />

„Wesensschau“. Derartige Schauungen wären aber - falls es sie geben<br />

sollte -ausschließlich privater Natur und daher nicht intersubjektiv<br />

nachvollziehbar. Im Rahmen des oben dargestellten Modells der Wahrnehmung<br />

jedoch gibt es keine unmittelbare Schau, sondern nur Interpretationen<br />

von Sinneseindrücken.<br />

Eine wichtige Funktion der sinnlichen Erfahrung liegt darin, Erwartungen<br />

- <strong>die</strong> ja immer schon vorhanden sind - zu bestätigen oder zu<br />

widerlegen 37 . Widerlegte Erwartungen oder Theorien stellen uns vor<br />

Probleme, <strong>die</strong> wir dadurch lösen können, daß wir adäquatere Erwartungen<br />

oder Theorien konstruieren und so zu Erkenntnissen mit<br />

größerem Wahrheitsgehalt gelangen können.<br />

Die bedeutsamste Funktion der sinnlichen Erfahrung jedoch scheint<br />

darin zu liegen, daß sie es uns ermöglicht, unsere Erwartungen nicht nur<br />

selbst zu kontrollieren, sondern - wenn wir sie anderen mitteilen - auch<br />

von anderen kontrollieren zu lassen. Auf <strong>die</strong>se Weise ermöglicht <strong>die</strong><br />

sinnliche Erfahrung im Zusammenhang mit der deskriptiven und<br />

argumentativen Sprache den intersubjektiv kontrollierbaren Austausch<br />

von Erfahrungen und damit <strong>die</strong> wissenschaftliche Objektivität. Denn<br />

jeder kann, wenn er sich <strong>die</strong> Mühe dazu nimmt, <strong>die</strong> Theorien oder<br />

Aussagen der anderen durch Experimente oder Beobachtungen prüfen,<br />

vorausgesetzt <strong>die</strong> Theorien oder Aussagen sind so formuliert, daß sie eine<br />

Widerlegung oder Bestätigung durch Erfahrungen <strong>die</strong>ser Art zulassen<br />

(vgl. POPPER 1970, Bd. 2, S. 267 f.). (Weitere Funktionen der<br />

Wahrnehmung werden in 2.1.4. beschrieben.)<br />

2.1.3. Gedächtnis und Erinnerung<br />

In den beiden vorangegangenen Kapiteln habe ich immer wieder den<br />

aktiven und konstruktiven Charakter der kognitiven Prozesse hervorgehoben.<br />

Es wurde dargelegt, daß im Langzeitgedächtnis lediglich Spuren<br />

vergangener Erfahrungen unter allgemeinen Gesichtspunkten gespeichert<br />

werden. Diese Spuren <strong>die</strong>nen als Rohmaterial für Konstruktionen von<br />

Wahrnehmungen, Erinnerungen usw.<br />

37 Vgl. hierzu auch GOMBRICH 1978, S. 99: „Wir verwenden <strong>die</strong> Botschaften, <strong>die</strong> unsere<br />

Sinnesorgane von allen Seiten empfangen, um Antworten <strong>auf</strong> bestimmte Fragen zu<br />

erlangen, <strong>die</strong> wir für unsere Entscheidung zwischen gegebenen Alternativen brauchen. Nur<br />

so können wir unseren Weg durch <strong>die</strong> Welt finden. Wo alle Anhaltspunkte fehlen, raten wir<br />

vorerst einmal blind und warten ab, ob spätere Beobachtungen unsere ersten willkürlichen<br />

Annahmen bestätigen oder widerlegen.“<br />

32


Auf der anderen Seite gibt es <strong>die</strong> Theorie, unser Gedächtnis sei ein<br />

Aufbewahrungsort, aus dem <strong>die</strong> gespeicherten Kopien von Ideen oder<br />

Bildern immer wieder hervorgeholt werden können. Diese Wiedererscheinungstheorie<br />

des Gedächtnisses (NEISSER) - <strong>die</strong> Speicherinhalte<br />

erscheinen immer wieder im Bewußtsein - ist so plausibel, daß sie weithin<br />

Anerkennung findet (vgl. NEISSER 1974, S. 352 f.).<br />

Ich werde daher im folgenden <strong>die</strong>se Hypothese im Zusammenhang mit<br />

der Erinnerung kritisieren und einige Folgen ihrer pädagogischen Anwendung<br />

<strong>auf</strong>zeigen. In einem zweiten Abschnitt stelle ich Erinnerung als<br />

konstruktiven Prozeß dar. Anschließend analysiere ich <strong>die</strong> Funktionsweise<br />

des Informationsverarbeitungsmodelles am Beispiel der Erinnerung<br />

und erörtere dann <strong>die</strong> Parallelen zwischen Wahrnehmung und Erinnerung.<br />

Zuletzt stelle ich einige pädagogische Anwendungsmöglichkeiten<br />

dar.<br />

Die Wiedererscheinungstheorie: ihre theoretischen Probleme und<br />

Folgen ihrer pädagogischen Anwendung<br />

Die Wiedererscheinungstheorie, <strong>die</strong> auch von den Reiz-Reaktions-Theoretikern<br />

vertreten wird, behauptet, daß fertige Ideen, Vorstellungen oder<br />

Reaktionen physiologisch co<strong>die</strong>rt im Gedächtnis <strong>auf</strong>bewahrt werden.<br />

Durch das Auftreten der mit ihnen verknüpften Reize werden sie<br />

wiedererweckt oder hervorgeholt 38 . POPPER hat <strong>die</strong>se Theorie als<br />

„Kübeltheorie des Geistes“ bezeichnet:<br />

„Unser Geist ist ein Kübel, ..., und in <strong>die</strong>sen gelangt Material durch <strong>die</strong><br />

Sinne . . ., häuft sich an und wird verdaut.“ (POPPER 1973, S. 74)<br />

Nach der Wiedererscheinungstheorie besteht etwa das Aussprechen<br />

beliebiger Sätze ausschließlich in der Wiederholung gespeicherter Reaktionen,<br />

<strong>die</strong> von den mit ihnen assoziierten Reizen ausgelöst werden. Doch<br />

in Wirklichkeit ist es sehr selten, daß genau <strong>die</strong> gleichen Reize wieder<br />

<strong>auf</strong>treten, und auch <strong>die</strong> Reaktionen <strong>auf</strong> <strong>die</strong>se Reize werden nur selten in<br />

genau gleicher Weise wiederholt 39 . Um <strong>die</strong> Wiedererscheinungstheorie<br />

dennoch beibehalten zu können, muß man daher zusätzlich Hypothesen<br />

38 Eine Obersicht über <strong>die</strong> assoziationstheoretischen Vorstellungen gibt FOPPA 1975, S. 171<br />

f.; vgl. auch <strong>die</strong> Darstellung <strong>die</strong>ser Theorie bei NEISSER 1974, S. 352 ff. Auf physiologischer<br />

Basis wird <strong>die</strong>se Theorie von BETZ vertreten und anschaulich dargestellt, BETZ<br />

1974, S. 158-159. Die Wiedererscheinungstheorie wird implizit z. T. auch in der<br />

Informationspsychologie vertreten. Eine Zusammenfassung der informationspsychologischen<br />

Gedächtnistheorie gibt SCHNABL 1972, S. 127 ff.<br />

39 Vgl. auch NEISSER 1974, S. 354; NORMAN 1973, S. 178 ff.; BARTLETT 1951, S. 107<br />

ff.: FOPPA 1975, S. 349 f. referiert ebenfalls zahlreiche empirische Untersuchungen, <strong>die</strong><br />

<strong>die</strong>s belegen.<br />

33


der Reizgeneralisierung und des positiven und negativen Transfers<br />

einführen 40 . Jedoch dürften <strong>die</strong> Schwierigkeiten unüberwindbar sein,<br />

wenn der Gebrauch der Wörter und Sätze in einer gewöhnlichen<br />

Unterhaltung durch Wiedererscheinung erklärt werden soll. Wiedererscheinung<br />

oder Wiederholung fester Reiz-Reaktions-Einheiten selbst in<br />

einem alltäglichen Gespräch ist eher <strong>die</strong> Ausnahme als <strong>die</strong> Regel. Aber<br />

nach Ansicht der Wiedererscheinungstheoretiker können wir nur solche<br />

Reaktionen zeigen, <strong>die</strong> wir als fertige Kopien gespeichert haben. Daher<br />

besteht nach der Wiedererscheinungstheorie <strong>die</strong> zweckmäßigste Methode,<br />

sich etwas einzuprägen, in der fortgesetzten Wiederholung (vgl. FOPPA<br />

1975, S. 171 ff.).<br />

Auch in der Schule - und selbst an der Hochschule (vgl. BEARD 1972, S.<br />

23 f.) -war <strong>die</strong>se Theorie und <strong>die</strong> daraus folgende Methode lange Zeit<br />

hoch angesehen und ist es vielfach heute noch. Auf Grund <strong>die</strong>ser Theorie<br />

werden auch <strong>die</strong> Lernziele nach Wissen und Verstehen klassifiziert, denn<br />

Wissen gilt danach als unabhängig von höheren kognitiven Prozessen wie<br />

Verstehen, Anwenden usw. Nur weil es - wie BLOOM u. a. ausführen<br />

„fast unmöglich ist, einem Individuum eine Wissens<strong>auf</strong>gabe zu stellen, <strong>die</strong> ganz<br />

genau <strong>die</strong> gleichen Reize, Signale oder Hinweise enthält, <strong>die</strong> in der ursprünglichen<br />

Lernsituation enthalten waren“, kann das Lernziel Wissen „auch <strong>die</strong><br />

komplexeren Prozesse des in Beziehungsetzens und Beurteilens einschließen“ 41 .<br />

Im Unterricht verleitet eine derartige Taxonomie von Lernzielen zum<br />

sturen Auswendiglernen. Die gleichen „gefährlichen Folgen“ 42 hat, nach<br />

AEBLI, <strong>die</strong> Lerntheorie GAGNEs. GAGNEs Theorie einer hierarchischen<br />

Anordnung von Lernprozessen beginnt <strong>auf</strong> den unteren Stufen<br />

mit dem Speichern von Assoziationen 43 .<br />

„Der falsche Schluß liegt nahe, daß am Anfang jeden Lernens das<br />

Auswendiglernen von ,Fakten’ oder das Einüben von Automatismen stehen,<br />

und daß erst von einem gewissen Zeitpunkt an Einsicht und Verständnis<br />

<strong>auf</strong>treten. Mit <strong>die</strong>ser Begründung wird noch heute vielerorts ein primitiver<br />

Elementarunterricht erteilt, etwa nach dem Leitmotiv: Zuerst sollen <strong>die</strong> Schüler<br />

40 Siehe hierzu auch <strong>die</strong> Darstellung der Theorie bei FOPPA 1975, sowie empirische<br />

Untersuchungen, ebenfalls referiert bei FOPPA 1975, S. 221.<br />

41 BLOOM u. a. 1973, S. 41. Daß von Lehrern vorgenommene Lernzieloperationalisierungen<br />

nach der Lernzieltaxonomie von BLOOM überwiegend Wissensziele <strong>auf</strong>weisen, zeigt eine<br />

Untersuchung von FREY und LATTMANN 1971.<br />

42 Dies ist also keine theoretische Kritik, sondern eine Kritik nach erwünschten bzw.<br />

unerwünschten Folgen der Anwendung einer Theorie.<br />

43 Vgl. GAGNÉ 1973. Eine Darstellung von GAGNÉs Theorie gebe ich <strong>auf</strong> S. 90 f.<br />

34


... <strong>die</strong> Fakten lernen, dann können wir einige Zusammenhänge betrachten und<br />

zu verstehen suchen.“ 44<br />

Das Auswendiglernen ist sowohl für Lehrer als auch Schüler<br />

unbefriedigend. Es erfordert viel Zeit und Aufwand, und das Gelernte<br />

wird doch schnell wieder vergessen und kann von den Schülern nicht<br />

oder doch nur, wenn Verstehen beteiligt war, <strong>auf</strong> andere Probleme<br />

angewandt werden 45 .<br />

Erinnerung als konstruktiver Prozeß<br />

Eine Grundannahme der Wiedererscheinungstheorie ist unverzichtbar:<br />

nämlich, daß Information gespeichert wird. Irgendwie muß Information<br />

gespeichert werden, sonst könnten wir nicht lernen 46 . Aber ist <strong>die</strong><br />

Speicherung von „Spuren“ etwas wesentlich anderes als von fertigen<br />

Kopien?<br />

In <strong>die</strong>sem Zusammenhang sind - außer der oben dargestellten Kritik an<br />

der Wiedererscheinungstheorie - folgende Beobachtungen von Interesse:<br />

Kinder bringen - fast von ihren ersten Worten an - Äußerungen hervor,<br />

<strong>die</strong> sie kaum jemals irgend jemand in <strong>die</strong>ser Weise haben sagen hören, <strong>die</strong><br />

aber doch Ähnlichkeiten mit dem Gehörten <strong>auf</strong>weisen 47 . In Experimenten<br />

geben <strong>die</strong>selben Versuchspersonen von einmal erlebten Ereignissen,<br />

von Berichten oder von Bildern, wenn sie zu verschiedenen Zeiten<br />

danach befragt werden, zwar ähnliche, aber doch auch voneinander<br />

abweichende gedächtnismäßige Schilderungen 48 . Die Ähnlichkeit der<br />

verschiedenen Erinnerungen kann man durch <strong>die</strong> Annahme erklären, daß<br />

sie aus dem gleichen Rohmaterial hergestellt werden. Dieses Rohmaterial<br />

besteht, wie NEISSER sagt,<br />

44 AEBLI in der Einleitung zu MESSNER, ISENEGGER u. a. 1975, S. 14 und 15. Ähnliche<br />

Kritik üben auch MESSNER 1975, S. 68; RUMPF 1971, S. 255 ff.; SCHULZ-HAGELEIT<br />

1971.<br />

45 Es gibt eine Reihe empirischer Untersuchungen, <strong>die</strong> <strong>die</strong>s bestätigen und <strong>die</strong> zeigen, wie<br />

ineffektiv Auswendiglernen ist im Gegensatz zum verstehenden Lernen; vgl. WERT-<br />

HEIMER 1957; KATONA 1967; HILGARD, IRVINE und WHIPPLE 1953; CRANNELL<br />

1956; FORGUS und SCHWARTZ 1957; zusammenfassend berichtet SEISENBERGER<br />

1974.<br />

46 Auch Bewußtsein setzt ein Gedächtnis voraus. Wenn Information, z. B. ein Schmerz,<br />

innerhalb von Sekundenbruchteilen wieder verloren ginge, könnten wir ihn gar nicht be,ußt<br />

empfinden, und weder lokalisieren noch uns daran erinnern oder anderen mitteilen, wir<br />

hätten einen Schmerz verspürt. Es wäre jedoch verfehlt, Bewußtsein mit Gedächtnis<br />

gleichzusetzen, denn dann müßte man konsequenterweise auch Computern (und sogar<br />

Schallplatten) Bewußtsein zugestehen.<br />

47 Vgl. BRITTON 1973, S. 50. Auf den Seiten 47, 48 gibt BRITTON Protokolle wieder, <strong>die</strong><br />

<strong>die</strong>se Beobachtungen bestätigen.<br />

48 Vgl. dazu <strong>die</strong> Untersuchungen von BARTLETT 1932; CARMICHAEL, HOGAN und<br />

WALTER 1932; KORNADT 1958; zusammenfassend berichtet FOPPA 1975, S. 291 ff.<br />

35


„aus Spuren von früheren Konstruktionsprozessen. Es gibt keine gespeicherten<br />

Kopien fertiger geistiger Ereignisse, wie Vorstellungen oder Sätze, sondern nur<br />

Spuren früherer konstruktiver Aktivität.“ (NEISSER 1974, S. 357-358)<br />

Diese Fragmente werden - wie NEISSER ausführt - benutzt wie <strong>die</strong><br />

Knochensplitter durch einen Paläontologen, um daraus das Tier zu<br />

rekonstruieren, dessen Knochengerüst sie einmal bildeten (vgl. NEISSER<br />

1974, S. 358). Man kann nicht sagen, wie groß <strong>die</strong>se „Splitter“ oder „Spuren“<br />

sind. Es ist eben nicht so klar, was nun genau gespeichert wird; aber<br />

<strong>die</strong> Annahme, es seien fertige Kopien, ist sehr unwahrscheinlich. Deshalb<br />

spreche ich weiter von „Spuren“, was freilich etwas vage ist, und ich<br />

verwende auch weiterhin den Begriff „Wissen“ oder „kognitive Struktur“,<br />

was nach den obigen Ausführungen vermutlich ebenso vage ist.<br />

Wenn nun im Gedächtnis nur Spuren von früheren Konstruktionsprozessen<br />

gespeichert sind, dann ist Erinnerung <strong>die</strong> Rekonstruktion von<br />

Bedeutungen oder Ideen, von Wörtern, Sätzen, Bildern usw. aus<br />

Gedächtnis“spuren“. Jede Erinnerung erfordert also einen konstruktiven<br />

Akt, der gelingen oder auch mißlingen kann, und in <strong>die</strong>sem Sinne ist<br />

Erinnerung auch Problemlösen. Ausgehend von einigen Gedächtnisfragmenten<br />

erzeugen <strong>die</strong> präattentiven Mechanismen versuchsweise<br />

Interpretationen oder Deutungen. Diese Deutungen von Gedächtnisfragmenten<br />

erhält das Bewußtsein als plötzliche „Einfälle“, als flüchtige<br />

Gedanken, <strong>die</strong> einem durch den Kopf schießen. Sie werden dann nach<br />

kritischer Prüfung von den Aufmerksamkeitsmechanismen weiterverarbeitet.<br />

Versucht man beispielsweise sich an einen vor längerer Zeit gesehenen<br />

Film zu erinnern, fallen einem zunächst nur einige einzelne Ereignisse<br />

oder Bilder dazu ein, das heißt, von den präattentiven Mechanismen<br />

versuchsweise rekonstruierte Erinnerungen, <strong>die</strong> plötzlich da sind, ohne<br />

daß man weiß, wie man dazu gekommen ist. Man benutzt <strong>die</strong>se Einfälle<br />

nun bewußt, um den Abl<strong>auf</strong> der Handlung zu rekonstruieren: <strong>die</strong> Personen,<br />

<strong>die</strong> Gegend, in der der Film spielt, <strong>die</strong> Stimmung usw. Während<br />

<strong>die</strong>ser Tätigkeit fallen einem ständig weitere Details ein, d. h. wiederum,<br />

von den präattentiven Prozessen rekonstruierte Erinnerungselemente.<br />

Diese werden <strong>auf</strong> ihre Stimmigkeit mit der schon fortgeschrittenen<br />

Rekonstruktion geprüft, vielleicht verändert und dann für weitere<br />

Synthesen verwendet.<br />

Diese Methode der Rekonstruktion wird nicht nur bei der individuellen<br />

Erinnerung vergangener Ereignisse angewandt, sondern auch in den<br />

historischen Wissenschaften und anderen Bereichen. Sie besteht immer<br />

36


darin, daß ein Rahmen synthetisiert wird, der eine genauere Analyse<br />

spezifischer Ereignisse ermöglicht, <strong>die</strong> dann wiederum zu einer<br />

vollständigeren Synthese des Rahmens beiträgt 49 . Will man beispielsweise<br />

verstehen, warum Cäsar eine bestimmte Entscheidung getroffen hat,<br />

rekonstruiert man mittels historischer Überreste <strong>die</strong> Problemsituation, in<br />

der Cäsar sich vermutlich befunden hat. Diese Situation gestattet einem<br />

dann Rückschlüsse <strong>auf</strong> Cäsars Entscheidung. Natürlich wird der<br />

Historiker darüber hinaus versuchen, Quellen oder anderes historisches<br />

Material als Argumente für oder gegen seine Situationsanalyse beizubringen.<br />

Genauso versuchen wir manchmal, unsere Erinnerung durch<br />

objektive Ereignisse zu untermauern, indem wir Fotografien, zeitgeschichtliche<br />

Vorgänge oder ähnliches benutzen. Die historische Methode<br />

wird auch von Kriminalisten angewandt. Die Meisterdetektive in Filmen<br />

oder Romanen beeindrucken uns ja meist dadurch, daß es ihnen gelingt,<br />

aus den spärlichen Spuren eines Verbrechens eine gewagte, aber plausible<br />

Geschichte zu konstruieren, <strong>die</strong> es ihnen erlaubt, den möglichen<br />

Täterkreis einzugrenzen. Wenige zusätzliche Hinweise genügen dann, den<br />

Täter zu identifizieren. Bemerkenswert ist weiterhin, daß je nach<br />

Gesichtspunkt - z. B. bei Staatsanwalt und Verteidiger - <strong>die</strong> gleichen<br />

Spuren zu unterschiedlichen Interpretationen führen. Ebenso konstruieren<br />

wir mit dem gleichen Rohmaterial unterschiedliche Erinnerungen,<br />

Problemlösungen, Sätze usw., je nach unserer augenblicklichen Fragestellung<br />

oder unserem Interesse (vgl. auch NEISSER 1974, S. 376). Dabei<br />

stellt <strong>die</strong> Sprache durch ihre Begriffe und grammatischen Regeln ein<br />

Hilfssystem dar, um Erfahrungen zu speichern und zu rekonstruieren 50 .<br />

Der Erinnerungsprozeß<br />

dargestellt am Modell der Informationsverarbeitung<br />

Erinnerung ist ebenso wie <strong>die</strong> Wahrnehmung ein komplexer Rückkoppelungsprozeß.<br />

Zunächst konstruieren <strong>die</strong> präattentiven Mechanismen aus<br />

den im Langzeitgedächtnis gespeicherten kognitiven Strukturen einige<br />

schematische Einfälle. Während der Dauer <strong>die</strong>ses Konstruktionsprozesses<br />

wird das jeweils Produzierte im Kurzzeitgedächtnis gegenwärtig<br />

gehalten und dann von den Aufmerksamkeitsmechanismen sequentiell<br />

geprüft und weiterverarbeitet. Alles das, was während der Behaltensspanne<br />

des Kurzzeitgedächtnisses nicht von Aufmerksamkeitsmechanismen<br />

erfaßt wird, geht verloren, sofern es nicht von der präattentiven<br />

49 Vgl. dazu <strong>die</strong> Beschreibung der historischen Methode bei POPPER 1973, S. 208 ff.<br />

50 . Vgl. auch DÖRNER 1976, S. 53 und BADDELEY 1976, S. 308-309 und S. 355 ff.<br />

37


Stufe wiederverwendet wird. Das jeweilige Ergebnis der <strong>auf</strong>merksamen<br />

Verarbeitung wird dem Arbeitsgedächtnis zugeführt. Über das Arbeitsgedächtnis<br />

erhalten wiederum <strong>die</strong> präattentiven Mechanismen <strong>die</strong>ses<br />

Material, <strong>die</strong> daraus zusammen mit den Spuren der kognitiven Strukturen<br />

verbesserte Grobkonstruktionen erzeugen, <strong>die</strong> dann wiederum von den<br />

Aufmerksamkeitsmechanismen weiterverarbeitet werden können (vgl.<br />

Abb. 2, S. 30). Dabei ist stets zu bedenken, daß <strong>die</strong> präattentiven Mechanismen<br />

„multiple Prozesse“ sind und weit mehr produzieren als je<br />

<strong>auf</strong>merksam verarbeitet werden kann (vgl. NEISSER 1974, S. 372 ff.).<br />

Tatsächlich geht uns ja manchmal eine Fülle von Gedanken durch den<br />

Kopf. Nur wenige werden weiterverarbeitet, <strong>die</strong> meisten lösen sich <strong>auf</strong> in<br />

Nichts. Diese verschwenderische Produktion gibt uns auch <strong>die</strong><br />

Möglichkeit zu kreativen Konstruktionen (vgl. 2.3.4., S. 88) 51<br />

Parallelen zwischen Erinnerungs- und Wahrnehmungsprozessen<br />

Wenn wir uns erinnern, konstruieren wir immer einen oder mehrere<br />

Bezugsrahmen, z. B. bei der Erinnerung eines Films oder Romans <strong>die</strong><br />

Stimmung, <strong>die</strong> Landschaft oder <strong>die</strong> Zeit, in welcher <strong>die</strong> Handlung sich<br />

abspielte. Wir benutzen <strong>die</strong>se Bezugsrahmen, um weitere Einfälle zu<br />

analysieren und zu deuten. Sie haben damit <strong>die</strong> gleiche Funktion wie<br />

Erwartungen bei der Wahrnehmung (vgl. 2.1.1.). Diese Erwartungen<br />

vermitteln uns eine ständige Wirklichkeitsorientierung, <strong>die</strong> wir benutzen,<br />

um sensorische Meldungen zu interpretieren.<br />

Während der Bezugsrahmen für <strong>die</strong> Erinnerung eine Art Hypothese über<br />

vergangene Ereignisse darstellt, sind Erwartungen Hypothesen über<br />

zukünftige Ereignisse. In jedem Fall aber werden <strong>die</strong>se Hypothesen <strong>auf</strong><br />

Grund früherer Erfahrungen gebildet. Die präattentiven Mechanismen<br />

erzeugen in jedem Augenblick <strong>die</strong>sen Hintergrund der Wirklichkeit. Er ist<br />

zwar kaum bewußt, aber dennoch notwendig, damit wir uns<br />

zurechtfinden und aktuelle oder erinnerte Ereignisse deuten und<br />

einordnen können. Ich erwähnte schon das Beispiel des plötzlichen<br />

Erwachens aus tiefem Schlaf oder aus einem Traum; einige Augenblicke<br />

findet man sich einfach nicht zurecht, weil der entsprechende Hintergrund<br />

entweder nicht vorhanden oder inadäquat (Traum) ist.<br />

Was wir als Wirklichkeit (aktuelle oder erinnerte) betrachten, ist also<br />

weitgehend abhängig von unseren kognitiven Strukturen. Wenn man<br />

51 Vgl. NEISSER 1974, S. 372 ff. Vgl. auch GUILFORDs „divergentes Denken“, GUILFORD<br />

1967, S. 175-128<br />

38


eispielsweise den Satz hört: „Mutter backt Plätzchen“, wird damit<br />

Wirklichkeit in Form einer Fülle organisierter, aber nicht voll bewußter<br />

Bedeutungen konstruiert: daß <strong>die</strong> Mutter eine Frau ist, <strong>die</strong> Kinder hat;<br />

daß eine Küche in einem Haus da ist; der Backofen, Mehl, Eier, Zucker;<br />

daß Weihnachten vor der Tür steht usw. Die kognitiven Strukturen sind<br />

wie ein Netz oder ein internes System der Wirklichkeit, mit Hilfe dessen<br />

<strong>die</strong> Bedeutung eines Satzes, einer Gebärde, eines Einfalls, einer Situation<br />

usw. interpretiert und verstanden werden kann 52 .<br />

Zur Angepaßtheit der Bezugsrahmen an <strong>die</strong> tatsächlichen Ereignisse, und<br />

zwar sowohl bei der Wahrnehmung als auch bei der Erinnerung, trägt <strong>die</strong><br />

bewußt kontrollierte Informationsverarbeitung bei. Denn <strong>die</strong>se<br />

kontrolliert Informationen genauer <strong>auf</strong> ihre Übereinstimmung mit<br />

regulativen Kriterien wie z. B. Wahrheit, Widerspruchsfreiheit usw. (vgl.<br />

2.1.1. und 2.2.2.) Die im Überfluß von den präattentiven Mechanismen<br />

gegebenen Deutungen werden also <strong>auf</strong>merksam geprüft, und nur <strong>die</strong><br />

wahrscheinlichsten werden akzeptiert und für <strong>die</strong> weitere Informationsverarbeitung<br />

verwendet. Da weiterhin <strong>die</strong> Ergebnisse der bewußten<br />

Verarbeitungsstufe zunächst im Arbeitsgedächtnis gespeichert werden,<br />

dessen Inhalte wiederum <strong>die</strong> präattentive Stufe benutzt, beeinflußt <strong>die</strong><br />

Aufmerksamkeit rückwirkend <strong>die</strong> Konstruktionen der präattentiven<br />

Mechanismen und trägt damit nochmals zu einer den tatsächlichen<br />

Ereignissen angemessenen Wirklichkeitsorientierung bei.<br />

Bei Ausschaltung des Bewußtseins jedoch, und damit bei Ausschaltung<br />

der Aufmerksamkeit, geht auch der Bezug zur Realität weitgehend<br />

verloren. Im Traum erzeugen <strong>die</strong> präattentiven Mechanismen aus den<br />

Gedächtnisfragmenten Ereignisse, <strong>die</strong> niemals stattgefunden haben und<br />

<strong>die</strong> von einem Augenblick zum anderen das Thema radikal wechseln<br />

können (vgl. NEISSER 1974, S. 193 f.).<br />

Doch selbst Träume sind nie völlig unorganisiert. Sie erscheinen uns<br />

sogar wie Wirklichkeit, wenn auch bizarr und neuartig 53 . Wie kommt es,<br />

52 Das LZG wird hier als semantisches Gedächtnis <strong>auf</strong>gefaßt. überblicke der Forschungsergebnisse<br />

zum semantischen Gedächtnis geben STEINER 1975, S. 120 f. und<br />

BADDELEY 1976, S. 317 f.; vgl. auch COLLINS und QUILLIAN 1972; QUILLIAN<br />

1968; KINTSCH 1974; NORMAN, GENTNER, und STEVENS 1976.<br />

53 Ich weiß noch, wie ich als kleines Kind einmal träumte, ich hätte Spielzeug über Spielzeug<br />

geschenkt bekommen, und es dann morgens vergeblich suchte. Ich konnte zunächst nicht<br />

begreifen, daß <strong>die</strong>se Erfüllung meiner sehnlichsten Kinderwünsche nicht Wirklichkeit,<br />

sondern ein Traum gewesen war. Aber von da an wußte ich Traum und Wirklichkeit besser<br />

zu unterscheiden.<br />

39


daß <strong>die</strong>se Konstruktionen nicht völlig wirr sind? Weil das Langzeitgedächtnis<br />

<strong>die</strong> Spuren früherer Erfahrungen in organisierter Weise<br />

speichert und weil <strong>die</strong>se Organisation in der Konstruktion wieder zum<br />

Ausdruck kommt.<br />

Einige pädagogische Anwendungen<br />

Wenn wir uns etwas genau ansehen und einprägen, um anderen davon zu<br />

erzählen, oder wenn wir Schüler lehren, was <strong>die</strong>se wieder erinnern sollen,<br />

dann müssen wir das zu Lernende so strukturieren, daß es in <strong>die</strong><br />

individuellen kognitiven Strukturen integriert werden kann. Denn wir<br />

behalten nur das gut, was wir in <strong>die</strong> Bezugsrahmen unseres bestehenden<br />

Wissens einfügen können. Wer sich z. B. viel mit Literatur beschäftigt<br />

hat, besitzt damit auch viele Möglichkeiten, ein ihm unbekanntes Werk<br />

einzuordnen: ist es klassisch, mittelalterlich? ein Roman oder ein Drama?<br />

steht es in einer bestimmten Tradition? usw. Er kann viele verschiedene<br />

Konstruktionen durchführen und <strong>die</strong>se einem allgemeinen Konzept<br />

eingliedern. Besteht keine derartige Differenzierung der kognitiven<br />

Strukturen, muß man an andere Dinge anknüpfen: an <strong>die</strong> Handlung, an<br />

bestimmte Menschen mit ihren Charakteren, an moralische Vorstellungen<br />

und ähnliches. Allgemein kann man sagen, daß das besser erinnert<br />

werden kann, was bei der Verarbeitung in verschiedene Zusammenhänge<br />

oder Bezugsrahmen eingeordnet werden konnte.<br />

Im übrigen ist das objektive Wissen so ungeheuer groß, daß kein Mensch<br />

es im Gedächtnis behalten könnte. Die besondere Leistung des<br />

Menschen liegt nicht so sehr in der Speicherung von Wissen bzw. von<br />

Wissensspuren, sondern darin, daß er sein Wissen anwendet, es kritisiert<br />

und dadurch Widersprüche entdeckt und <strong>auf</strong> dem Hintergrund der<br />

bestehenden Theorien oder Konstruktionen neue und bessere entwirft.<br />

40


2.1.4. Leistungssteigerung bei kognitiven Prozessen<br />

Wenn man einen vor längerer Zeit gelesenen Bericht möglichst genau<br />

wiedererinnern möchte, dann hilft es einem, sich das jeweils schon<br />

Erinnerte <strong>auf</strong>zuschreiben. Der <strong>auf</strong>geschriebene Text wirkt seinerseits <strong>auf</strong><br />

den Prozeß der Erinnerung zurück. Das Aufgeschriebene erleichtert es,<br />

Fehler und Ungereimtheiten zu entdecken, und Einzelheiten gehen nicht<br />

wieder verloren. Um <strong>die</strong> Leistung kognitiver oder motorischer Prozesse<br />

steigern zu können, muß man immer wieder über den Stand der Leistung<br />

informiert werden; <strong>die</strong>s bezeichnet man als Rückkopplung.<br />

Rückkopplung bedeutet also, daß das Ergebnis einer Tätigkeit oder eines<br />

Prozesses zurückgemeldet wird und dadurch den weiteren Verl<strong>auf</strong> <strong>die</strong>ses<br />

Prozesses beeinflußt (vgl. Abb. 3) 54 .<br />

Abb. 3: Der Rückkopplungsprozeß<br />

Ich werde im folgenden zunächst <strong>die</strong> innere von der äußeren Rückkopplung<br />

unterscheiden und <strong>die</strong> Grenzen der inneren Rückkopplung beschreiben, dann<br />

<strong>die</strong> äußere Rückkopplung bei automatisch (präattentiv) und bei <strong>auf</strong>merksam<br />

gesteuerten Prozessen behandeln und schließlich <strong>die</strong> äußere Rückkopplung bei<br />

komplexen kognitiven Tätigkeiten erörtern.<br />

Die innere Rückkopplung und ihre Grenzen<br />

Innere bzw. organismusinterne Rückkopplungsprozesse habe ich bereits<br />

mehrfach beschrieben als Analyse-durch-Synthese-Prozesse. So werden<br />

bei der Wahrnehmung Erwartungen synthetisiert und zur Analyse der<br />

sensorischen Information benutzt. Das Ergebnis <strong>die</strong>ser Analyse<br />

wiederum wird für weitere Synthesen verwendet. Genau genommen<br />

handelt es sich dabei um Regelung 55 , denn der Wahrnehmungsprozeß<br />

steht unter regulativen Zielen wie beispielsweise dem der Übereinstimmung<br />

von Erwartung und beobachtetem Ereignis. Tatsächlich sehen wir<br />

aber manchmal eher das., was unseren Erwartungen entspricht, als das,<br />

54 Zum Begriff der Rückkopplung vgl. v. CUBE 1967, S. 128 ff.; sowie KLAUS 1971, S. 537.<br />

55 Zum Begriff der Regelung vgl. v. CUBE 1967, S. 128 ff.<br />

41


was wirklich geschieht. Erst wenn man seine Aufmerksamkeit länger <strong>auf</strong><br />

den äußeren Reiz und seine Begleitumstände lenkt, kann man falsche<br />

Interpretationen korrigieren und z. B. den Grenzstein, den man im<br />

Dunkeln zunächst als einen Pudel gedeutet hatte, als das erkennen, was er<br />

ist. Äußere Rückkopplung ist also schon bei Wahrnehmungsprozessen<br />

notwendig.<br />

Offensichtlicher als bei elementaren kognitiven Prozessen erscheint <strong>die</strong><br />

Notwendigkeit äußerer Rückkopplung bei motorischen Prozessen. Wer<br />

lernen möchte, über eine bestimmte Höhe zu springen, muß <strong>die</strong>s üben.<br />

Durch <strong>die</strong> Ausführung von Sprüngen erfährt man, was man anders<br />

machen muß, und kann so <strong>die</strong> Leistung verbessern. Dennoch ist auch bei<br />

motorischen Prozessen Lernen durch innere Rückkopplung möglich. Der<br />

Sportler kann sich vorstellen, er spränge, und allein durch <strong>die</strong>se Vorstellung<br />

seine Leistungen geringfügig verbessern 56 . Das liegt daran, daß <strong>die</strong><br />

Vorstellung unwillkürlich feinmotorische Bewegungen auslöst 57 . Außerdem<br />

sind auch bei Bewegungen weitgehend kognitive Prozesse beteiligt.<br />

Die präattentiven Mechanismen synthetisieren mit Hilfe der im Langzeitgedächtnis<br />

gespeicherten Bewegungsstrukturen einen vorläufigen Bewegungsentwurf,<br />

der von den Aufmerksamkeitsprozessen zur genaueren<br />

Analyse der Höhe des Hindernisses, des Kraft<strong>auf</strong>wandes, der nötigen<br />

Anl<strong>auf</strong>geschwindigkeit usw. benutzt und der dann während der vorgestellten<br />

oder tatsächlichen Ausführung endgültig synthetisiert wird. Doch der<br />

Leistungssteigerung durch den Bewegungsvollzug in der Vorstellung sind<br />

enge Grenzen gesetzt. Um hohe Leistungen erzielen zu können, ist<br />

immer wieder <strong>die</strong> Ausführung der großmotorischen Bewegungen und <strong>die</strong><br />

Kenntnis der Ergebnisse erforderlich, d. h. äußere Rückkopplung 58 .<br />

Tatsächlich brauchen wir schon für sehr einfache Tätigkeiten äußere<br />

Rückkopplung, wie ein Experiment von THORNDIKE (1932) zeigt.<br />

THORNDIKE ließ Versuchspersonen jeweils eine Linie von bestimmter<br />

Länge <strong>auf</strong> getrennte Blätter zeichnen. Die Versuchspersonen konnten <strong>die</strong><br />

Blätter aber nicht miteinander vergleichen und erfuhren auch nicht,<br />

inwieweit <strong>die</strong> Linie von dem angegebenen Maß abwich. Es stellte sich<br />

heraus, daß <strong>die</strong> Versuchspersonen nicht in der Lage waren, <strong>die</strong> Länge der<br />

Linie dem verlangten Maß anzugleichen. Das liegt daran, daß man keine<br />

56 Vgl. CLARK 1960; OXENDINE 1969; zusammenfassend berichtet VOLKAMER 1972, S.<br />

142 f.<br />

57 Vgl. VOLKAMER 1972, S. 1. Dieser Vorstellungseffekt wird auch vom autogenen Training<br />

genutzt: beispielsweise tritt <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Vorstellung von Ruhe tatsächlich eine Entspannung der<br />

Muskeln ein; Puls und Atmung verlangsamen sich, <strong>die</strong> Erregbarkeit des peripheren<br />

Nervensystems nimmt ab usw. Diese eingetretene Beruhigung verstärkt ihrerseits <strong>die</strong><br />

Vorstellung von Ruhe usw. Neuerdings gibt man auch externe Rückkopplung über<br />

Apparaturen (Biofeedback).<br />

58 Vgl. START 1964 a; 1964 b.<br />

42


Kopie eines Maßstabes speichern kann, der einen Vergleich mit der<br />

gezeichneten Linie ermöglichen würde. Innere Rückkopplung ist also in<br />

<strong>die</strong>sem Falle unmöglich. Man braucht einen äußeren Maßstab.<br />

Rückkopplung bei automatisch bzw. präattentiv und <strong>auf</strong>merksam<br />

gesteuerten Prozessen<br />

Bei automatisch ausgeführten Tätigkeiten ist äußere Rückkopplung<br />

ebenfalls notwendig, obwohl man sich dessen kaum bewußt ist. So glaubt<br />

man beispielsweise, man brauche beim Treppensteigen <strong>die</strong> Stufen nicht<br />

zu sehen. Aber man versuche einmal, einen genügend großen, <strong>die</strong> Sicht<br />

verhindernden Karton vor sich tragend, eine Treppe zu begehen. Man<br />

wird unsicher. Auch von Spitzenkräften im Maschinenschreiben wird oft<br />

behauptet, eine Rückmeldung der Ergebnisse sei nicht nötig, sondern im<br />

Gegenteil sogar hinderlich. Es wird daher von Anfängern gefordert, daß<br />

sie „blind“ schreiben. Forschungsergebnisse zeigen aber, daß Anfänger<br />

eine ständige Kontrolle brauchen. Erst mit zunehmender Automatisierung<br />

der Fertigkeit behindert <strong>die</strong> ständige Rückkopplung den Schreibprozeß.<br />

Dennoch ist eine minimale Rückkopplung auch dann noch<br />

notwendig, denn das vollständige Fehlen jeder Rückmeldung führt auch<br />

bei Spitzenkräften zu einem beachtlichen Anwachsen der Fehlerzahl (vgl.<br />

WEST 1967, 1969).<br />

Bei automatisierten Tätigkeiten, <strong>die</strong> von den präattentiven Mechanismen<br />

gesteuert werden, ist Rückkopplung also <strong>auf</strong> ein Mindestmaß beschränkt.<br />

Außerdem wird <strong>die</strong> rückgemeldete Information von frühen und daher<br />

unbewußten präattentiven Prozessen verarbeitet. Umfangreiche äußere<br />

Rückkopplung ist dagegen nötig bei Tätigkeiten, <strong>die</strong> man nicht gut<br />

beherrscht oder <strong>die</strong> sehr komplex sind und <strong>die</strong> daher <strong>auf</strong>merksam<br />

gesteuert werden müssen. Um hier Fehler zu bemerken, braucht man<br />

ständig eine möglichst genaue Rückmeldung der Ergebnisse (vgl. auch<br />

GALPERIN 1973; KABYLNIZKAJA 1973). Beispielsweise ist es<br />

schwierig, mit großen Zahlen „im Kopf“ zu rechnen; man bringt leicht<br />

<strong>die</strong> Zahlen durcheinander oder vergißt einiges.<br />

43


Abb. 4: Äußere Rückkopplung<br />

Zur besseren Steuerung der internen Operationen schreibt man <strong>die</strong><br />

Anfgaben <strong>auf</strong> und löst sie nach einem bekannten oder schriftlich fixierten<br />

Algorithmus.<br />

Äußere Rückkopplung bei komplexen kognitiven Tätigkeiten<br />

Wer eine Maschine konstruieren möchte, dem nützt es wenig, sich das<br />

ganze immer wieder nur durch den Kopf gehen zu lassen. Er muß <strong>die</strong><br />

Ergebnisse seines Nachdenkens objektivieren, um sie kritisieren und<br />

überarbeiten zu können. Das liegt einmal an der Begrenzung der<br />

Aufmerksamkeit; wir können nur wenige Dinge <strong>auf</strong> einmal betrachten<br />

(siehe 2.1.2.). Es liegt zweitens am Arbeits- und am Langzeitgedächtnis,<br />

<strong>die</strong> Information nicht in der Weise und so lange festhalten können, wie<br />

das <strong>auf</strong> einem technischen Träger (Tonband, Film, Papier) möglich ist<br />

(siehe 2.1.3.) 59 . Auf Grund der unvollständigen und ungenauen internen<br />

Speicherung ist auch <strong>die</strong> innere Rückkopplung ungenau und<br />

unvollständig.<br />

Um <strong>die</strong> internen Operationen besser steuern zu können, muß man sie<br />

soweit wie möglich externalisieren. Man glaubt ja manchmal, eine klare<br />

Idee zu haben, aber dann bereitet es Mühe, sie zu formulieren. Erst bei<br />

59 Zur Begrenzung der Gedächtniskapazitäten siehe auch v. CUBE 1968, S. 109 ff. Neuere<br />

Forschungsergebnisse berichtet BADDELEY 1976, S. 110 ff.<br />

44


der sprachlichen Fixierung bemerkt man <strong>die</strong> Schwierigkeiten und<br />

Probleme. Im kognitiven Bereich geben uns vor allem Sprache und<br />

intersubjektiv kontrollierbare Experimente und Beobachtungen <strong>die</strong><br />

Möglichkeit zur äußeren Rückkopplung (vgl. hierzu LURIJA 1969, S. 502<br />

f.; DÖRNER 1976, S. 49 ff.; OERTER 1974, S. 101 ff.). Dadurch, daß<br />

man seine Erwartungen oder Hypothesen objektivieren, d. h. in intersubjektiv<br />

überprüfbarer Weise formulieren kann, ist es sowohl einem selbst<br />

als auch anderen möglich, sie zu kritisieren. Und <strong>die</strong>se Kritik wirkt <strong>auf</strong> <strong>die</strong><br />

gebildeten Hypothesen zurück. Man verbessert sie und lernt dadurch 60 .<br />

Lernen ist also keineswegs nur ein individueller, sondern zumindest <strong>auf</strong><br />

der Ebene des Menschen ein weitgehend sozialer Prozeß.<br />

2.2. Motivation<br />

In der bisherigen Darstellung der Theorie der organismischen Informationsverarbeitung<br />

wurde stillschweigend von der trivialen Annahme<br />

ausgegangen, daß Lebewesen von sich aus tätig sind und nicht erst<br />

aktiviert zu werden brauchen. In den Kapiteln über den Aufbau des<br />

Wissens (2.1.1.) und <strong>die</strong> Wahrnehmung (2.1.2.) habe ich untersucht, wie<br />

<strong>die</strong>se Aktivität von Organismen <strong>auf</strong> Grund ihrer Erwartungen bzw. <strong>auf</strong><br />

Grund ihrer kognitiven Strukturen in bestimmte Richtungen gelenkt wird.<br />

Ich habe auch dar<strong>auf</strong> hingewiesen, daß <strong>die</strong>se Steuerung das Verhalten<br />

eines Organismus nicht vollständig determiniert: Lebewesen haben eine<br />

gewisse Freiheit zu handeln, am meisten der Mensch.<br />

Diese Sicht der Motivation widerspricht in mehreren Punkten den<br />

klassischen und heute noch weithin akzeptierten Motivationstheorien, <strong>die</strong><br />

annehmen, daß der Organismus zunächst von Bedürfnissen angetrieben<br />

oder aktiviert werden muß, und daß das dadurch ausgelöste Verhalten <strong>auf</strong><br />

<strong>die</strong> Befriedigung <strong>die</strong>ser Bedürfnisse gerichtet wird.<br />

Ich werde <strong>die</strong>se Theorie (in 2.2.1.) kritisieren und dann (in 2.2.2.) <strong>die</strong><br />

bereits in 2.1.1. und 2.1.2. skizzierte Motivationstheorie weiter ausführen.<br />

In einem dritten Teil (2.2.3.) werde ich <strong>die</strong>se Theorie im Zusammenhang<br />

mit dem Aktivationskonzept (jedes Lebewesen strebt nach einer mittleren<br />

Aktivation) weiter differenzieren.<br />

60 Dies ist nicht nur eine Methode des individuellen Wissenserwerbs, sondern insbesondere <strong>die</strong><br />

Methode der Wissenschaft, vgl. POPPER 1973, S. 46 und 47.<br />

45


2.2.1. Motivierung durch Bedürfnisse<br />

Die vermutlich älteste und allgemein verbreitete Technik, jemanden zu<br />

motivieren - d. h. jemanden zu einer bestimmten Tätigkeit zu bringen<br />

oder ihn davon abzuhalten -, besteht darin, ihn zu belohnen oder zu<br />

bestrafen. Es ist daher verständlich, daß eine Theorie, <strong>die</strong> mit <strong>die</strong>ser<br />

Technik vereinbar ist, eine besondere Anziehungskraft ausübt. Grob<br />

formuliert sind <strong>die</strong>s folgende theoretische Annahmen: Belohnt man<br />

jemanden, so wächst in ihm das Bedürfnis, <strong>die</strong>se Belohnung häufiger zu<br />

erhalten, und er wird daher gerne das erwünschte Verhalten zeigen.<br />

Bestraft man jemanden, so wächst in ihm das Bedürfnis, das bestrafte<br />

Verhalten zumindest so lange zu vermeiden, wie Strafe zu befürchten ist.<br />

Ich werde zunächst <strong>die</strong> grundlegenden Annahmen und Folgerungen der<br />

Bedürfnisreduktionstheorie darstellen, um sie anschließend einer Kritik<br />

zu unterziehen.<br />

Die Bedürfnisreduktionstheorien<br />

Die an der klassischen Reiz-Reaktions-Theorie orientierten Motivationspsychologen<br />

61 nehmen an, daß der natürliche Zustand des Organismus<br />

Ruhe oder Trägheit ist. jedes Verhalten <strong>die</strong>nt dazu, <strong>die</strong>sen Zustand,<br />

sofern er gestört wurde, wieder herzustellen. Das Lebewesen muß also<br />

immer erst aktiviert oder angetrieben werden. Antriebe im Rahmen <strong>die</strong>ser<br />

Theorien sind biologische und durch Konditionierung gelernte<br />

Bedürfnisse.<br />

SKINNER vermeidet allerdings den Begriff Bedürfnis und spricht dafür<br />

von Mangel- oder Deprivationszuständen; nicht von Durst, sondern von<br />

Mangel an Wasser bzw. von Wasserdeprivation; nicht von Sicherheitsbedürfnis,<br />

sondern von Mangel an Sicherheit usw. Die Bedürfnisliste wird<br />

also durch eine Liste von Mangel- bzw. Deprivationszuständen ersetzt.<br />

Wenn einmal nicht beobachtet werden kann, welcher Mangelzustand ein<br />

Verhalten ausgelöst hat, bezeichnet SKINNER <strong>die</strong>ses Verhalten als<br />

spontan oder operativ.<br />

Die Mangelzustände oder Bedürfnisse steuern das Verhalten. Der<br />

Organismus versucht stets, den eingetretenen Mangel zu beseitigen. Ist<br />

beispielsweise erkennbar, daß das Bedürfnis eines Organismus nach<br />

61 Vgl. SKINNER 1953; CORRELL 1972; NULL 1943; MILLER und DOLLARD 1941;<br />

MASSERMANN 1946. Zusammenfassungen geben SCHIEFELE 1974, S. 50; AEBLI<br />

1975 b, S. 36; KLAUSMEIER und RIPPLE 1975, Bd. 3, S. 12 ff.; COFER 1975, S. 30 f.<br />

46


Sicherheit bedroht ist, so kann man vorhersagen, daß er sich der Gefahr<br />

zu entziehen suchen wird, d. h. er zeigt ein Verhalten, das geeignet ist, das<br />

Bedürfnis zu verringern. Wenn man das Bedürfnis nach Bestätigung<br />

einige Zeit lang nicht befriedigen konnte, zeigt man Reaktionen, <strong>die</strong> in<br />

der Vergangenheit eine positive Verstärkung <strong>die</strong>ses Bedürfnisses zur<br />

Folge hatten. So strebt man in der Schule oder im Beruf nach Erfolg, da<br />

er soziale Anerkennung nach sich zieht, <strong>die</strong> als belohnend empfunden<br />

wird. Mißerfolg dagegen sucht man zu vermeiden, da er gewöhnlich den<br />

Entzug sozialer Anerkennung zur Folge hat und damit einer Bestrafung<br />

gleichkommt 62 .<br />

Kritik der Bedürfnisreduktionstheorien<br />

Die Bedürfnisreduktionstheorien bestehen also aus zwei grundlegenden<br />

Komponenten. Zum einen wird angenommen, daß <strong>die</strong> Bedürfnisse bzw.<br />

Mangelzustände den Organismus aktivieren und zum anderen, daß sie<br />

dem Verhalten eine bestimmte Richtung geben. Das Antriebskonzept<br />

impliziert, wie AEBLI ausführt, <strong>die</strong> Annahme, Organismen seien wesensmäßig<br />

inaktiv und würden nur <strong>auf</strong> Grund von Bedürfnissen tätig (vgl.<br />

AEBLI 1975 b, S. 36). Organismen aber sind von sich aus aktiv, solange<br />

sie leben. Das unterscheidet sie von anorganischen Substanzen wie<br />

Steinen. Bedürfnisse sind nicht geeignet, um zu erklären, warum<br />

Lebewesen aktiv sind (denn warum haben zwar Menschen Bedürfnisse,<br />

nicht aber Steine?), sondern erklären lediglich <strong>die</strong> Richtung der Aktivitäten<br />

von Organismen. Man müßte daher so viele verschiedene Bedürfnisse<br />

wie Verhaltensrichtungen annehmen. Und tatsächlich wurden<br />

immer weitere Triebe und Bedürfnisse genannt wie z. B. der Manipulationstrieb<br />

(HARLOWE 1953), der Spieltrieb (DEMBER und EARL<br />

1957), der Informationstrieb (JONES 1966, 1969), das Leistungsbedürfnis<br />

(McCLELLAND 1961), der Aggressionstrieb usw.<br />

Die verhaltensrichtende Funktion der Bedürfnisse möchte ich am Beispiel<br />

der Leistungsmotivationstheorie erörtern. Man kann sie vermutlich<br />

als <strong>die</strong> am sorgfältigsten ausgearbeitete und untersuchte Bedürfnis-<br />

62 Vgl. HECKHAUSEN 1965, S. 623: HECKHAUSEN weist dar<strong>auf</strong> hin, daß <strong>die</strong> Unterscheidung<br />

von Leistungsmotivation und Streben nach sozialer Anerkennung recht fraglich<br />

ist. Vgl. auch <strong>die</strong> Diskussion der Problematik der Leistungsmotivation bei PORTELE 1975,<br />

S. 169 ff.<br />

47


eduktionstheorie bezeichnen 63 . Leistungsmotivation definiert HECK-<br />

HAUSEN als das Bedürfnis oder<br />

„das Bestreben, <strong>die</strong> persönliche Tüchtigkeit in allen jenen Tätigkeiten zu steigern<br />

oder hochzuhalten, in denen man einen Gütemaßstab für verbindlich hält und<br />

deren Ausführung deshalb gelingen oder mißlingen kann“. (HECKHAUSEN<br />

1966, S. 140)<br />

Das Leistungsbedürfnis oder das Ziel, Leistung anzustreben, wird durch<br />

Situationen aktiviert, in denen ein Mensch erwartet, nach einem<br />

allgemeinen und von ihm anerkannten Maßstab bewertet zu werden. Er<br />

sieht also <strong>die</strong> Situation unter einem leistungsthematischen Gesichtspunkt<br />

64 .<br />

Doch es gibt eine Fülle anderer Gesichtspunkte oder Ziele, <strong>die</strong> man<br />

anstreben kann. Menschen arbeiten nicht nur um der Leistung oder des<br />

Erfolges willen, sondern auch um ihrer Arbeit selbst willen. Man kann<br />

Befriedigung in seiner Arbeit finden und weniger in der Leistung, <strong>die</strong> man<br />

dabei vollbringt. Die angestrebten Ziele können auch darin bestehen,<br />

anderen den eigenen Willen zu demonstrieren oder einen schönen Tag zu<br />

verleben und Streit zu vermeiden usw. Wollte man <strong>die</strong>se und alle übrigen<br />

Verhaltensrichtungen durch ähnliche Bedürfnissysteme wie <strong>die</strong> Leistungsmotivationstheorie<br />

erklären, wäre <strong>die</strong> Fülle der Theorien bald unübersehbar.<br />

Dieses Problem kann nur umgangen werden durch eine allgemeine<br />

Theorie.<br />

Eine der möglichen Lösungen scheint in der Anwendung des Verstärkungskonzepts<br />

zu bestehen. Danach zeigen Organismen immer dasjenige<br />

Verhalten, das früher verstärkt worden ist (vgl. z. B. CORRELL<br />

1972, S. 158-159 und S. 180). Aber kann man beispielsweise auch das<br />

Bestreben der Wissenschaftler, nach möglichst universalen Erklärungen<br />

mit möglichst großem Wahrheitsgehalt zu suchen, allein mit Verstärkung<br />

bzw. Lob und Strafe erklären? Es ist doch unwahrscheinlich, daß alle<br />

entsprechenden Überlegungen von Wissenschaftlern oder Philosophen<br />

dar<strong>auf</strong> beruhen, daß sie früher für derartige Überlegungen gelobt oder<br />

bestätigt und für andere bestraft wurden; daß dadurch in ihnen das<br />

63 Zur Darstellung der Leistungsmotivationstheorie siehe ATKINSON 1975; HECKHAUSEN 1965;<br />

MEYER 1973; WEINER 1975. Daß <strong>die</strong> Leistungsmotivationstheorie als Bedürfnisreduktionstheorie<br />

interpretiert werden kann, scheint mir auch aus folgendem Passus von HECKHAUSEN<br />

hervorzugehen:<br />

Motivationen „sind es, <strong>die</strong> eine Verhaltensfolge in Gang setzen, <strong>auf</strong> ein Ziel richten, <strong>auf</strong> dem Wege<br />

dahin steuern und mit der Zielerreichung wieder verschwinden"; und ich möchte hinzufügen:<br />

verschwinden wie der gelöschte Durst, wie ein reduziertes Bedürfnis (HECKHAUSEN 1972, S. 75).<br />

64 HECKHAUSEN erklärt <strong>die</strong> Tendenz, Erfolg anzustreben bzw. Mißerfolg zu vermeiden, durch das<br />

Vorhandensein kognitiver Wertstrukturen. Das Leistungsbedürfnis wird also kognitiv interpretiert (vgl.<br />

HECKHAUSEN 1965, S. 606). In <strong>die</strong>sem Punkt stimmt <strong>die</strong> Leistungsmotivationstheorie mit dem in<br />

2.1.1. dargestellten Konzept der Steuerungsfunktion der kognitiven Strukturen überein.<br />

48


Bedürfnis entstand, auch weiterhin gelobt zu werden und Tadel zu vermeiden.<br />

Welche Bedeutung haben dann noch Argumente? Sie können ja<br />

nicht gültig oder ungültig sein, sondern nur positiv oder negativ bekräftigt<br />

werden. Dabei bleibt dann <strong>die</strong> Frage offen, nach welchen Gesichtspunkten<br />

bekräftigt wird.<br />

Die Verstärkungstheorie, so wie sie etwa von SKINNER vertreten wird,<br />

betrachtet den Organismus als eine Art Automat. Verstärkungen führen<br />

danach ausschließlich <strong>auf</strong> Grund von Assoziationen zwischen Verhalten<br />

und Bekräftigung zu einem häufigeren Auftreten des bekräftigten Verhaltens<br />

65 . Vernünftiges Abwägen, Argumentieren und Treffen von Entscheidungen<br />

ist damit ausgeschlossen. Dies scheint mir aber mit der Wirklichkeit<br />

nicht vereinbar zu sein. In 2.3.3. werde ich einige Forschungsergebnisse<br />

referieren, <strong>die</strong> der Verstärkungstheorie in <strong>die</strong>ser Form widersprechen.<br />

2.2.2. Eine kognitive Theorie der Motivation<br />

Im Gegensatz zur Bedürfnisreduktionstheorie wird der Organismus hier<br />

als ein ständig aktives System betrachtet (siehe hierzu auch 2.2.3.). Auf<br />

Grund interner (genetischer) und externer (Umwelt-, kultureller oder<br />

institutioneller) Gegebenheiten ist <strong>die</strong>se Aktivität in einen mehr oder<br />

weniger bestimmten Rahmen eingebettet und wird durch ihn gesteuert.<br />

Diese Steuerung ist aber keineswegs einseitig, denn Organismen können<br />

durchaus ihre Umwelt wie auch ihre angeborenen Erwartungen verändern<br />

oder beeinflussen.<br />

Jeder Organismus ist ständig mit dem Problem beschäftigt, seine<br />

kognitiven (internen) Strukturen in Übereinstimmung oder in einem<br />

Gleichgewicht mit der „Wirklichkeit“ zu halten oder zu bringen. Er<br />

wendet sich daher besonders denjenigen Informationen <strong>auf</strong>merksam zu,<br />

<strong>die</strong> geeignet sind, sein Bild der Realität, d. h. seine Erwartungen zu<br />

bestätigen, zu erweitern oder zu korrigieren (vgl. KELLEY 1968, S.<br />

508) 66 . Wer beispielsweise unsicher ist, ob sein Partner treu ist, wird<br />

besonders solche Informationen sammeln, <strong>die</strong> ihm näheren Aufschluß<br />

darüber geben können. Diese Auswahl wird bereits von den präattentiven<br />

Mechanismen getroffen. Sie entschlüsseln und bewerten <strong>die</strong> von den<br />

Sinnesorganen empfangenen Informationen im Hinblick <strong>auf</strong> das jeweils<br />

angestrebte Gleichgewicht und weisen <strong>die</strong> bedeutsamste Information den<br />

Aufmerksamkeitsmechanismen bzw. dem Bewußtsein zur Weiterver-<br />

65 SKINNER ging sogar soweit, einen Determinismus zwischen den Reaktionen eines Organismus und<br />

den Verstärkungen zu behaupten; vgl. SKINNER 1973.<br />

66 v.BERTALANFFY (1953) hat für Systeme, <strong>die</strong> auch im annähernden Gleichgewichtszustand ständig<br />

aktiv sind, den Begriff des Fließgleichgewichts eingeführt (im Gegensatz zum Ruhegleichgewicht).<br />

49


arbeitung zu. Das bewußte Selbst kann <strong>die</strong>se ausgewählte Information<br />

seinerseits prüfen und weiterentwickeln oder ablehnen, bis andere<br />

Informationen. verfügbar sind.<br />

Ich werde nun <strong>die</strong>se Theorie der Steuerung von Aufmerksamkeit und Verhalten<br />

ausführlicher darstellen und dabei <strong>die</strong> Steuerung durch kognitive Strukturen und<br />

Umwelt erörtern. Im weiteren führe ich aus, daß <strong>die</strong>se Steuerung nicht<br />

deterministisch ist, sondern dem Individuum einen gewissen Freiheitsspielraum<br />

läßt; daß man eine Steuerung durch regulative Ziele annehmen kann, <strong>die</strong> das<br />

Verhalten in allgemeiner Weise richtet, und daß schließlich <strong>die</strong>se allgemeine<br />

Ausrichtung des Verhaltens eine ständige Aktivität des Lebewesens impliziert.<br />

Danach werde ich einige <strong>auf</strong>merksamkeitslenkende Variablen untersuchen und<br />

dabei zeigen, daß <strong>die</strong> hier konzipierte Theorie der Verhaltenssteuerung sowohl<br />

<strong>die</strong> Leistungsmotivationstheorie als auch <strong>die</strong> Motivation durch Verstärkung<br />

erklären kann.<br />

Erweiterte Darstellung der Theorie<br />

Die Steuerung des Verhaltens durch kognitive Strukturen und Umweltgegebenheiten<br />

Motiviertes oder <strong>auf</strong>merksames Verhalten ist immer <strong>auf</strong> bestimmte Ziele<br />

gerichtet. Unter dem Gesichtspunkt einer Erwartung oder eines Ziels<br />

wird <strong>die</strong> wahrgenommene Information beurteilt und eine Auswahl<br />

getroffen. Diese Ziele oder Erwartungen werden - wie bereits in 2.1.1.<br />

dargestellt - von den präattentiven Mechanismen und vom bewußten<br />

Selbst mit Hilfe der im Langzeit- und Arbeitsgedächtnis gespeicherten<br />

Spuren früherer Erfahrungen und früher angestrebter Ziele konstruiert.<br />

Doch ist der Prozeß der Zielsetzung oder -konstruktion vermutlich niemals<br />

ein ausschließlich psychologischer oder subjektiver Vorgang. Stets<br />

spielt sich <strong>die</strong>ser Prozeß innerhalb einer tatsächlichen oder vorgestellten<br />

Interaktionssituation des Individuums mit seiner Umwelt ab. Daher<br />

bleiben <strong>die</strong>se Ziele innerhalb des kulturell und durch <strong>die</strong> jeweilige<br />

Situation vorgegebenen Rahmens. Denn <strong>die</strong> Erfahrung mit verschiedenen<br />

<strong>Institution</strong>en wie Familie, Schule, Behörde, K<strong>auf</strong>haus, Arbeitsplatz usw.<br />

sowie das jeweils herrschende Recht und <strong>die</strong> landläufigen Sitten prägen<br />

<strong>die</strong> kognitiven Strukturen und beeinflussen dadurch <strong>die</strong> Wirklichkeitsorientierung<br />

(siehe 2.1.3.) und das Verhalten des Individuums 67 .<br />

67 Dieses Phänomen wird von der Sozialisationsforschung untersucht: vgl. FEND 1970, 1971;<br />

FEND u. a. 1976; KELLER 1976; WALTER 1974; ZIGLER 1971.<br />

50


Die Erfahrungen und <strong>die</strong> Ziele, <strong>die</strong> man verfolgt, können leicht zu<br />

Netzen werden, in denen man sich verfängt und von denen man<br />

weitgehend gesteuert wird. Das im folgenden ausführlich zitierte<br />

Experiment eines amerikanischen Geschichtslehrers demonstriert, wie<br />

Menschen durch Zielsetzungen und Regeln eingeengt und gelenkt werden<br />

können. Er führte das Experiment mit seinen Schülern durch, um ihnen<br />

<strong>die</strong> scheinbar unbegreifliche Frage zu beantworten, wie es möglich ist,<br />

„daß so viele Deutsche behaupten, sie hätten nicht gewußt, was während<br />

der Nazizeit passierte“.<br />

Am ersten Tag befahl Lehrer Jones „eine neue Sitzhaltung: Füße flach <strong>auf</strong> den<br />

Boden, <strong>die</strong> Hände hinter dem Rücken gekreuzt, um <strong>die</strong> Wirbelsäule zu strecken.<br />

,Könnt ihr so nicht freier atmen?’ fragte er, ,fühlt ihr euch so nicht besser?`<br />

Nächste Anweisung: Die Schüler sollten sich bei allen Fragen oder Antworten<br />

neben ihre Tische stellen und so knapp wie möglich formulieren. Jedem Beitrag<br />

mußte <strong>die</strong> Anrede ,Mister Jones’ vorangehen.“ Am zweiten Tag paukte Jones<br />

seinen Schülern <strong>die</strong> beiden Sätze ein: „,Stark durch Disziplin’ - ,Mächtig in der<br />

Gemeinschaft’.<br />

Wieder und wieder ließ er <strong>die</strong> Schüler <strong>die</strong>se beiden Maximen im Chor<br />

nachsprechen. Schließlich, gegen Ende der Stunde, zeigte er ihnen einen neuen<br />

Gruß, den er ausdrücklich als ,nur für <strong>die</strong> Teilnehmer meines Geschichtsunterrichts<br />

bestimmt’ deklarierte: <strong>die</strong> rechte Hand in Schulterhöhe erhoben, <strong>die</strong><br />

Finger angewinkelt.<br />

Das sei, erläuterte er, der ,Gruß der ’.<br />

Die angebogenen Finger symbolisierten <strong>die</strong> Welle, <strong>die</strong> ,dritte’ heiße sie deshalb,<br />

weil jede dritte der heranrollenden Wogen am Strand kräftiger als <strong>die</strong> anderen<br />

sei. So sollten sie sich von nun an immer grüßen, wo immer sie sich träfen.“<br />

Am dritten Tag „registrierte Jones 13 neue Schüler in seinem Unterricht . . .<br />

Jones verteilte Mitglieder-Karten und be<strong>auf</strong>tragte drei Schüler, ihm jeglichen<br />

Verstoß gegen <strong>die</strong> Regeln zu melden.“<br />

„Den vierten Tag . . . nutzte Jones, um den - inzwischen 80 - versammelten<br />

Schülern das ,wahre Anliegen’ der ,Dritten Welle’ zu erklären. Es handele sich<br />

um mehr als einen Schulversuch, sagte er, dahinter stehe ein ,nationales Konzept’,<br />

für das es Schüler zu gewinnen gelte, <strong>die</strong> bereit seien, ,an einer politischen<br />

Veränderung mitzuwirken’. Für <strong>die</strong> Mittagsstunde des nächsten Tages kündigte<br />

er einen Präsidentschaftskandidaten der ,Dritten Welle’ an, der im Fernsehen<br />

<strong>auf</strong>treten werde . ... Mehr als 200 Schüler strömten in den Saal. Jones ... grüßte -<br />

und 200 Arme erhoben sich, um zurückzugrüßen. Beschwörend rief er ,stark<br />

durch Disziplin’, immer wieder, und jedesmal donnerte <strong>die</strong> Antwort lauter als<br />

zuvor.<br />

Um zwölf Uhr schaltete er das Fernsehgerät ein. Alle starrten <strong>auf</strong> <strong>die</strong><br />

flimmernde Scheibe. Fast zehn Minuten vergingen, bis einer der Schüler<br />

plötzlich rief: ,Da ist doch gar kein Führer - seht ihr einen?’<br />

Ungläubig drehten sich <strong>die</strong> anderen ihm zu, dann wandten sie sich wieder zu<br />

Jones.“ (HORN 1976, S. 14-17; deutsche Übersetzung zitiert nach „DER<br />

SPIEGEL“ 1976/31, S. 128)<br />

51


Die Freiheit des Individuums<br />

Ähnlich wie den Schülern in <strong>die</strong>sem Experiment kann es Wissenschaftlern<br />

mit ihren Theorien ergehen: Sie sehen nur noch, was ihre<br />

Theorien beleuchten. Aber weder in der Wissenschaft noch im sonstigen<br />

Leben ist man bestimmten Erwartungen, Theorien, Vorurteilen oder<br />

Zielen völlig ausgeliefert. Wenn wir uns von den Sitten eines Landes, von<br />

Vorschriften, Regeln oder Theorien lenken lassen, so tun wir es aus<br />

eigenem Entschluß. Allerdings trifft man eine Vielzahl von Entscheidungen<br />

oder Entschlüssen nicht bewußt. So weiß der Hungrige meist<br />

nicht, daß er sich entscheidet zu essen, aber der Schlankheitswillige wird<br />

sich seiner ablehnenden Entscheidung schmerzlich bewußt.<br />

Tatsächlich können wir unsere Ziele und Erwartungen oder Theorien je<br />

nach Situation abändern oder durch andere ersetzen: Der Wissenschaftler<br />

kann <strong>auf</strong> Grund des Kriteriums der Widerspruchsfreiheit oder der<br />

größtmöglichen Wahrheitsähnlichkeit seine Theorien verwerfen und zu<br />

einer umfassenderen Theorie gelangen; <strong>die</strong> Schüler im oben zitierten<br />

Experiment können andere moralische Maßstäbe entwickeln und das<br />

ihnen zugemutete Verhalten ablehnen usw. Das Individuum hat also<br />

innerhalb seiner bestehenden kognitiven Strukturen als auch innerhalb<br />

des durch <strong>die</strong> Umwelt vorgegebenen Rahmens stets mehrere Möglichkeiten,<br />

sich zu verhalten und sich eigene Ziele zu setzen, sofern es nicht<br />

gewaltsam zu bestimmtem Handeln gezwungen wird.<br />

Die Steuerung des Verhaltens durch regulative Ziele<br />

Aber wie man sich auch entscheidet, immer ten<strong>die</strong>rt man dazu, sich den<br />

Anforderungen der Umwelt besser anzupassen, <strong>die</strong> Dinge, mit denen<br />

man sich beschäftigt, besser zu verstehen und besser zu beherrschen<br />

(wobei das „besser“ wertfrei zu verstehen ist, denn man kann immer<br />

effektivere Methoden entwickeln, sowohl um anderen zu helfen als ihnen<br />

zu schaden). Diese Entwicklung ist gekennzeichnet durch eine immer<br />

feinere Differenzierung und eine immer umfassendere Integration der<br />

vorhandenen Elemente der kognitiven Strukturen (vgl. 2.1.1.).<br />

Um <strong>die</strong>se Entwicklungsrichtung zu erklären, kann man übergeordnete<br />

regulative Kriterien oder Ziele annehmen, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se Entwicklung<br />

52


eeinflussen oder steuern 68 . Man kann <strong>die</strong>se Ziele oder Kriterien des Individuums<br />

zusammenfassend als ein Streben nach Gleichgewicht beschreiben<br />

69 : nach einem Gleichgewicht zwischen seinen Erwartungen und den<br />

eintreffenden Ereignissen; nach einem Gleichgewicht zwischen seinem<br />

Selbstwertgefühl und den rückgemeldeten Informationen darüber usw. 70<br />

Die ständige Aktiviertheit von Lebewesen<br />

Gleichgültig welches nun <strong>die</strong> Ziele sind, <strong>die</strong> verfolgt werden, stets sind<br />

Lebewesen aktiv. Denn jedes Gleichgewicht ist in besonderer Weise von<br />

zukünftigen Ereignissen bedroht. Die ständige mittlere Aktivierungshöhe<br />

des Organismus ist ein Mittel, um mit sofortigen Reaktionen <strong>die</strong>sen<br />

Störungen entgegenwirken zu können 71 . Diese Gleichgewichtsregelung<br />

wird ergänzt durch <strong>die</strong> Fähigkeit der Vorwegnahme zukünftiger Ereig-<br />

68 NEISSER hat hier <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Gefahr eines unendlichen Regresses hingewiesen: Eine Steuerungsinstanz<br />

erkläre zwar bestimmte Handlungen, aber <strong>die</strong> Handlungen <strong>die</strong>ser Steuerungsinstanz<br />

müßten nun ihrerseits wieder erklärt werden usw. NEISSER löste <strong>die</strong>ses Problem<br />

durch eine Analogie mit dem Computer: Wie bei der Maschine das Hauptprogramm <strong>die</strong><br />

„ausführenden Unterprogramme" steuere, so könne auch der Organismus über ein solches<br />

Hauptprogramm verfügen (NEISSER 1974, S. 370-371). SKINNER verwirft <strong>die</strong>se<br />

Analogie, da sie den „Geist", den „autonomen Menschen" wieder einführe, der nur ein<br />

Ausfluß unseres Unwissens sei und daher selbst einer Erklärung bedürfe (SKINNER 1973,<br />

S. 17 f. und S. 25).<br />

Ich glaube allerdings nicht, daß der unendliche Regreß eine wirkliche Gefahr ist. Er ist es<br />

nur aus der Position eines radikalen Behaviorismus und Positivismus heraus, der es ablehnt,<br />

theoretische Annahmen über nicht beobachtbare geistige Zustände des Organismus zu<br />

machen, und der alle seine Aussagen durch beobachtbare Tatsachen begründen will. Aber<br />

theoretische Aussagen können nicht begründet werden. Man kann sie nur mit Hilfe<br />

abgeleiteter singulärer Sätze prüfen, aber niemals endgültige Sicherheit oder endgültige<br />

Erklärungen erlangen.<br />

Allgemeine Ausführungen zu <strong>die</strong>sem Problem in wissenschaftstheoretischer Sicht, siehe<br />

POPPER 1971, S. 60 ff. sowie 1973, S. 218, wo POPPER ausführt, daß es keine endgültige<br />

oder letzte Erklärung geben kann.<br />

69 Der Gleichgewichtsbegriff ist in der Psychologie seit langem etabliert, vgl. vor allem<br />

PIAGET 1970, S. 115-130. Viele Theoretiker verwenden andere Bezeichnungen für<br />

denselben Sachverhalt: v. CUBE (1968) nimmt ein Streben nach Ordnung oder Redundanz<br />

an (S. 112 f.); FESTINGER (1957) geht davon aus, daß der Mensch stets nach kognitiver<br />

Konsonanz strebt und Dissonanz zu vermeiden trachtet; MILLER, GALANTER und<br />

PRIBRAM (1973) nehmen an, daß der Organismus Kongruenz anstrebt und Inkongruenz<br />

immer wieder beseitigt.<br />

Ein Problem <strong>die</strong>ses Vorgehens könnte man darin sehen, daß hier eine teleologische<br />

Erklärung eingeführt wird. Doch ist <strong>die</strong>s kein verbotenes Vorgehen, da - wie POPPER<br />

erläutert - „grundsätzlich jede teleologische Erklärung eines Tages <strong>auf</strong> kausale<br />

zurückgeführt werden oder ihrerseits erklärt werden kann" (POPPER 1973, S. 295).<br />

70<br />

71 Vgl. BERLYNE 1974, S. 231 ff. Würde <strong>die</strong> Aktivation unter einen bestimmten Wert sinken,<br />

so könnte nicht mehr adäquat reagiert werden; vgl. GROSSMAN 1968, S. 34. Zum Streben<br />

des Organismus nach mittlerer Aktivation vgl. auch BERLYNE 1974, S. 251 f. BERLYNE<br />

berichtet auch bestätigende empirische Untersuchungen, ebenso PORTELE 1975, S. 90 ff.<br />

53


nisse. Sie reicht von angeborenen Erwartungen über Wahl- und Wetterprognosen<br />

bis zu der schon Jahre im voraus genauestens berechneten<br />

Vorhersage, wann und wo ein bestimmter und bislang unbekannter<br />

Himmelskörper zu beobachten sein wird.<br />

Die Grundlage für <strong>die</strong>se Vorhersagen stellen <strong>die</strong> kognitiven Strukturen<br />

dar, <strong>die</strong> ja zu einem gewissen Teil auch in der internen Repräsentation<br />

objektiver oder wissenschaftlicher Theorien bestehen. Nur über <strong>die</strong>se<br />

kognitiven Strukturen ist es dem Individuum möglich, Signale, <strong>die</strong> seine<br />

Sinnesorgane erreichen, zu entschlüsseln bzw. zu deuten. Jede Deutung<br />

oder Interpretation impliziert eine Vorhersage im Sinne einer Bewertung,<br />

welche Bedeutung <strong>die</strong>se Information im weiteren Verl<strong>auf</strong> einnehmen<br />

kann oder soll. Daher ist es auch wichtig für jedes Lebewesen, daß es<br />

ständig prüft, inwieweit seine kognitiven Strukturen noch mit der Realität<br />

übereinstimmen. Tatsächlich hat es katastrophale Folgen, wenn einem<br />

Individuum <strong>die</strong>se Auseinandersetzung durch den Entzug von Sinnesreizen<br />

verweigert wird. Schon nach wenigen Tagen treten Wahrnehmungsstörungen<br />

und Halluzinationen sowie Angstgefühle <strong>auf</strong>, <strong>die</strong> Wiedererkennens-<br />

und Erinnerungsfähigkeit verschlechtert sich, <strong>die</strong> Denkprozesse<br />

desorganisieren sich, und es kommt zu einem gewissen Grad an<br />

Entpersönlichung 72 .<br />

Organismen versuchen also ständig, <strong>die</strong> Zukunft mit Hilfe ihrer kognitiven<br />

Strukturen, so gut es geht, zu antizipieren und damit Ungewißheit zu<br />

verringern und gegen Störungen des Gleichgewichts besser gewappnet zu<br />

sein (vgl. auch BERLYNE 1974, S. 258 ff.).<br />

Aufmerksamkeitssteuernde Variablen<br />

Lebewesen befinden sich stets in Interaktion mit ihrer Umwelt. Sie<br />

verfolgen ständig irgendwelche Ziele und wirken in entsprechender Weise<br />

<strong>auf</strong> <strong>die</strong> Umweltgegebenheiten ein, <strong>die</strong> ihrerseits der Verwirklichung <strong>die</strong>ser<br />

Ziele Widerstand leisten und so zur Veränderung <strong>die</strong>ser Ziele führen<br />

können. Da wir in einer derart gegebenen Situation stets versuchen,<br />

unsere Erwartungen zu bestätigen bzw. zu erweitern oder zu korrigieren,<br />

messen wir all den Informationen eine besondere Bedeutung bei, <strong>die</strong><br />

entweder mit den Erwartungen übereinstimmen bzw. davon abweichen<br />

(vgl. KELLY 1968, S. 508). Man kann nun verschiedene Aspekte <strong>die</strong>ser<br />

Interaktion des Individuums mit seiner Umwelt untersuchen: Man kann<br />

besonders <strong>die</strong> Umweltgegebenheiten (Situationsvariablen) ins Blickfeld<br />

rücken, den Prozeß der Auseinandersetzung des Individuums damit<br />

72 Siehe <strong>die</strong> Zusammenfassung der einschlägigen Forschungsbefunde bei VERNON 1974, S.<br />

121-129.<br />

54


(Tätigkeitsvariablen) oder auch <strong>die</strong> Ziele, <strong>die</strong> ein Individuum in <strong>die</strong>ser<br />

Auseinandersetzung anstrebt, wie z. B. <strong>die</strong> Aufrechterhaltung des<br />

Selbstwertgefühls (Zielvariablen) 73 . Im folgenden werde ich <strong>die</strong>se drei<br />

<strong>auf</strong>merksamkeitssteuernden Variablen detaillierter beschreiben.<br />

Situationsvariablen<br />

Wie ich bereits mehrfach erläutert habe, bestehen <strong>die</strong> Anlässe zur<br />

Änderung der kognitiven Strukturen in der Feststellung einer subjektiv<br />

bedeutsamen Nicht-Übereinstimmung von Wirklichkeit und kognitivem<br />

Modell. Zu derartigen Diskrepanzen kommt es bei widersprüchlichen<br />

oder überraschenden und neuartigen Informationen bzw. bei neuartigen<br />

Veränderungen von Bekanntem 74 . Neuartige Information wird daher von<br />

den präattentiven Mechanismen bevorzugt der Aufmerksamkeit<br />

zugeleitet. Das Interesse am Neuen wird ja sprichwörtlich als Neugier<br />

bezeichnet. BERLYNE (1974, S. 42) hat <strong>die</strong>ses Phänomen treffend<br />

beschrieben:<br />

„Wir sind Dingen gegenüber gleichgültig, <strong>die</strong> unserer Erfahrung entweder<br />

zu fern oder zu vertraut sind. Eine relativ leichte Veränderung in einem<br />

vertrauten Reizmuster hat etwas einmalig Pikantes. Eine Jahrmarktbude,<br />

<strong>die</strong> <strong>auf</strong> einem Messegelände eine zweiköpfige Dame zur Schau stellt,<br />

kann sehr wohl mehr Leute anziehen als eine, <strong>die</strong> eine Sammlung<br />

geologischer Proben anbietet. Nichtdestoweniger können <strong>die</strong> geologischen<br />

Proben völlig verschieden von allem sein, was <strong>die</strong> meisten Besucher<br />

jemals gesehen haben, während alle schon viele Damenköpfe<br />

gesehen haben, und zwei Köpfe <strong>auf</strong> einer Dame sind zwei Köpfen <strong>auf</strong><br />

zwei Damen nicht so unähnlich.“ 75<br />

73 Die Klassifizierung in Situations-, Tätigkeits- und Zielvariablen ist jedoch künstlich, denn<br />

<strong>die</strong>se Variablen treten nicht unabhängig voneinander <strong>auf</strong>.<br />

74 Im Sinne der Redundanztheorie (v. CUBE 1968) erzeugen neuartige, widersprüchliche und<br />

überraschende Ereignisse Unsicherheit bzw. Information (im kybernetischen Sinn). Durch<br />

<strong>die</strong> Verarbeitung <strong>die</strong>ser Information wird Unsicherheit verringert oder Ordnung bzw.<br />

Redundanz wiederhergestellt.<br />

75 BERLYNE referiert auch eine Reihe empirischer Untersuchungen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Hypothese<br />

bestätigen, daß Neuartigkeit, Überraschung, widersprüchliche Information und zunehmende<br />

Komplexität zu erhöhter Zuwendung von Aufmerksamkeit führt. Vgl. auch HECK-<br />

HAUSENs „dosierte Diskrepanzerlebnisse“, HECKHAUSEN 1965.<br />

Die Hypothese, daß Lebewesen relative Neuartigkeit von Reizen bevorzugen, wurde auch<br />

durch Untersuchungen an Ratten (SHELDON 1968, 1969) und an Affen (MENZEL 1964,<br />

MASON 1974) bestätigt.<br />

75 Eine empirische Bestätigung <strong>die</strong>ser Hypothese gibt <strong>die</strong> Untersuchung von KRIEGER 1976.<br />

55


Relative Neuartigkeit kann im Unterricht durch Variation von Beispielen,<br />

Variation von Operationen, durch Probleme und zunehmende Komplexität<br />

der Unterrichtsinhalte erzeugt werden. Dabei darf jedoch nicht<br />

übersehen werden, daß Neuartigkeit allein keine oder zumindest nur eine<br />

geringe Wirkung <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Aufmerksamkeit hat, solange sie nicht bedeutsam<br />

ist. Erst subjektiv bedeutsame Variationen, d. h. Variationen, <strong>die</strong><br />

innerhalb der individuellen kognitiven Strukturen und innerhalb der<br />

gegebenen Situation als sinnvoll, nützlich usw. beurteilt werden können,<br />

führen zu erhöhter Zuwendung von Aufmerksamkeit. Situationsvariablen,<br />

<strong>die</strong> nicht zu einer Änderung, sondern zu einer Bestätigung und<br />

Verfestigung vorhandener kognitiver Strukturen führen können, beschreibt<br />

das oben (S. 51) zitierte Experiment der totalitären Gängelung.<br />

Tätigkeitsvariablen<br />

Auf Grund ihrer ständigen Aktiviertheit werden Menschen kreativ und<br />

erfinden selbst neuartige Variationen, wenn <strong>die</strong> Umwelt keine neuartigen<br />

und/oder bedeutsamen Reize bietet. Beispielsweise erforschen Kinder ein<br />

neues Spielzeug so lange, bis sie seine Funktionen zu kennen glauben.<br />

Danach verlieren sie das Interesse daran, oder sie deuten <strong>die</strong> Funktion<br />

des Gerätes anders, um sich in neuer Weise damit zu beschäftigen (vgl.<br />

HUTT 1966).<br />

Eine der bedeutsamsten geistigen Tätigkeiten besteht vermutlich darin,<br />

eigene Aussagen wie auch <strong>die</strong> Aussagen anderer zu kritisieren. Denn<br />

durch Kritik bestehenden Wissens können mögliche zukünftige<br />

Störungen ohne ernsthafte Gefährdung vorweggenommen und <strong>die</strong><br />

spätere Aktualisierung von Problemen verhindert werden. Voraussetzung<br />

für <strong>die</strong>se kritische Tätigkeit ist der Zweifel. Erst der Zweifel, d. h. <strong>die</strong><br />

vermutete Möglichkeit von Widersprüchen steuert <strong>die</strong> Aufmerksamkeit.<br />

BERLYNE vermutet, daß <strong>die</strong>ses psychologische Gefühl des Zweifels -<br />

und damit das regulative Kriterium der Widerspruchsfreiheit - ein<br />

angeborener <strong>auf</strong>merksamkeitssteuernder (motivierender) Mechanismus<br />

ist, in dem auch <strong>die</strong> beiden Wahrheitskriterien wahr/falsch ihre Wurzeln<br />

haben:<br />

„Keiner <strong>die</strong>ser beiden Begriffe hätte <strong>auf</strong>kommen können oder<br />

irgendeinen Wert erworben, wenn Diskrepanzen zwischen symbolischen<br />

Prozessen kein spezielles psychologisches Unbehagen hervorrufen und<br />

eine Suche nach an deren, weniger unbefriedigenden Mustern von<br />

Repräsentationen antreiben würden.“ (BERLYNE 1974, S. 373).<br />

56


Zielvariablen<br />

Ein bedeutsames Ziel eines jeden Menschen ist vermutlich <strong>die</strong><br />

Aufrechterhaltung des Selbstwertgefühls. Wer etwa gelernt hat, <strong>die</strong><br />

Bedeutung seiner eigenen Person an Hand seines Erfolgs oder seiner<br />

Leistung relativ zum Erfolg oder den Leistungen anderer Menschen<br />

einzuschätzen, wird sowohl schlechte als auch gute Ergebnisse <strong>auf</strong> seinen<br />

Selbstwert beziehen. Dieses Ziel der Aufrechterhaltung des Selbstwertgefühls<br />

scheint der Leistungsmotivation zugrunde zu liegen, da <strong>die</strong>se<br />

Motivation besonders stark beeinflußt wird, wenn <strong>die</strong> Leistungen <strong>auf</strong><br />

innere, das Selbstbewußtsein stützende Faktoren wie Begabung, Fähigkeit<br />

usw. zurückgeführt werden. Die <strong>Auswirkungen</strong> <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Leistungsmotivation<br />

sind geringer, wenn äußere Faktoren wie Anstrengung, Glück oder<br />

Pech als Ursache der Leistungsergebnisse angenommen werden (vgl.<br />

MEYER 1973, S. 163). Wenn durch Versagen das Selbstwertgefühl<br />

beeinträchtigt wurde, kann es wieder gehoben werden, indem <strong>die</strong> Ursache<br />

des Mißerfolgs <strong>auf</strong> solche Faktoren wie Pech, mangelnde Anstrengung<br />

usw. geschoben wird (vgl. MEYER 1973, S. 160 ff.). Ist <strong>die</strong>s nicht<br />

möglich, so kann ein Schüler sein Selbstwertgefühl wiedererlangen, indem<br />

er z. B. den Lehrer provoziert und dadurch in der Anerkennung seiner<br />

Klassenkameraden steigt 76 . Um das Gleichgewicht nicht zu gefährden,<br />

sondern stabilisieren zu können, muß das Individuum Aufgaben, <strong>die</strong> mit<br />

hoher Wahrscheinlichkeit zu Mißerfolg führen, ablehnen; ebenso<br />

Aufgaben, <strong>die</strong> so leicht sind, daß ihre Lösung eine Bestätigung des Selbstwertgefühls<br />

nicht zuläßt. Wenn also eine Bestätigung des Selbstwertgefühls<br />

gesucht wird, dann werden Aufgaben mittlerer subjektiver (nicht<br />

objektiver!) Schwierigkeit bevorzugt (vgl. MEYER 1973, S. 163).<br />

Weiterhin kann das Selbstwertgefühl von Belohnung bzw. Anerkennung<br />

und Bestrafung bzw. Nichtbeachtung durch andere Menschen abhängen.<br />

Um das Selbstbewußtsein <strong>auf</strong>rechtzuerhalten, werden jene Verhaltensweisen<br />

ausgewählt und gezeigt, von denen <strong>auf</strong> Grund früherer Erfahrungen<br />

erwartet werden kann, daß ihre Ausführung eine Bestätigung des<br />

Selbstwertgefühls zur Folge hat, bzw. daß dadurch eine Beeinträchtigung<br />

76 Zur Regelung des Selbstwertgefühls vgl. auch ROHRACHER 1967. In ähnlicher Weise<br />

wurde <strong>die</strong>ses Regelmodell von HEIDER 1977, FESTINGER 1957, ROSENBERG 1960<br />

<strong>auf</strong> sozialpsychologische Fragestellungen und von MEYER 1973 sowie WEINER 1975 <strong>auf</strong><br />

<strong>die</strong> Leistungsmotivation angewandt. Diese Autoren referieren auch eine Reihe empirischer<br />

Stu<strong>die</strong>n, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Fruchtbarkeit des Regelmodells in <strong>die</strong>sen Bereichen bestätigen.<br />

57


des Selbstwertgefühls vermieden werden kann 77 . Damit soll nicht behauptet<br />

werden, daß Strafe oder Lob vom Adressaten immer <strong>auf</strong> das<br />

Selbstwertgefühl bezogen wird. Vielmehr muß nach der hier vertretenen<br />

Theorie angenommen werden, daß ein Schüler durchaus versteht, daß<br />

nur ein bestimmter Tadel wie z. B. „Aus dir wird ja doch nichts!“ und nur<br />

eine Leistungsbewertung im Sinne „persönlicher“ Erfolge das Selbstwertgefühl<br />

betreffen. Es kommt also dar<strong>auf</strong> an, wie eine Strafe oder ein Lob<br />

gemeint ist. Der Kontext ist entscheidend. Wenn ein Schüler fühlt oder<br />

ausdrücklich erfährt, daß Strafe nur etwas mit einem bestimmten Betragen<br />

zu tun hatte, nicht aber mit seiner Person, und vorausgesetzt, daß<br />

Strafe das letzte verbleibende Mittel war, dann kann er eine sachliche<br />

Einstellung zu <strong>die</strong>ser Strafmaßnahme gewinnen; er kann verstehen, daß<br />

sein Verhalten <strong>die</strong> anderen Schüler stört, daß <strong>die</strong> Erfüllung bestimmter<br />

Aufgaben im Rahmen der <strong>Institution</strong> Schule unumgänglich und in<br />

Zukunft mehr Selbstkontrolle seinerseits notwendig ist. Sein Verhalten<br />

wird dann <strong>auf</strong> Grund <strong>die</strong>ser Einsicht gesteuert 78 .<br />

2.2.3. Aufmerksamkeit, Aktivation und Leistung<br />

Wie bereits ausgeführt, streben Lebewesen im Wachzustand stets eine<br />

mittlere Aktivation an. Dieses Ziel der mittleren Aktivation ist eine<br />

ständig zu regulierende Größe, <strong>die</strong> in vielfältiger Weise mit anderen<br />

Faktoren verknüpft ist.<br />

Die Höhe der Aktivation ist einmal abhängig von der subjektiven<br />

Bedeutsamkeit einer wahrgenommenen Information: wenn es um Leben<br />

oder Tod geht, ist <strong>die</strong> Aktivation oder Erregung sehr hoch, und sie ist<br />

gering, wenn man einer langweiligen Erzählung zuhört. Gleichzeitig ist<br />

mit der Bedeutsamkeit von Informationen und der davon abhängigen<br />

Aktivierungshöhe auch der Grad der unwillkürlichen oder automatischen<br />

(präattentiven) Steuerung verbunden: bei sehr hoher Aktivation und<br />

damit hochbedeutsamer Information werden <strong>die</strong> Aufmerksamkeitsmechanismen<br />

vollständig von der präattentiven Stufe gesteuert; mit<br />

abnehmender Aktivation dagegen nimmt auch <strong>die</strong> unwillkürliche Aufmerksamkeit<br />

ab, und <strong>die</strong> Freiheit der bewußten Informationsauswahl<br />

nimmt zu. Mit <strong>die</strong>sen drei Faktoren (Aktivation, Bedeutsamkeit einer<br />

77 Zur Steuerung des Verhaltens durch Lohn und Strafe siehe LEWIN (1931) 1974.<br />

78 Zur Steuerung des Verhaltens durch Strafe siehe MOLL-STROBEL 1976.<br />

58


Information, Aufmerksamkeit) ist weiterhin <strong>die</strong> Leistungsfähigkeit verknüpft,<br />

<strong>die</strong> bei komplexen Aufgaben sowohl bei hoher als auch sehr<br />

niedriger Aktivation absinkt.<br />

Im folgenden werde ich zunächst <strong>die</strong> Beeinträchtigung der Aufmerksamkeitsfunktionen<br />

und der Leistung bei hoher Aktivation (Angst),<br />

niedriger Aktivation (Langeweile) und dann Aufmerksamkeit und<br />

Leistung bei mittlerer Aktivation untersuchen.<br />

Leistung und Aufmerksamkeit bei hoher bzw. niedriger Aktivation<br />

Aufmerksamkeit wird erregt durch <strong>die</strong> von den präattentiven Prozessen<br />

konstruierte Bedeutung der wahrgenommenen Information (2.2.2.). Diese<br />

Bedeutung besteht oft in den erwarteten Folgen für den Organismus. So<br />

wird eine Prüfungssituation als bedrohlich erlebt, weil ihre Folgen in<br />

schlechter Benotung, Verlust von Anerkennung usw. bestehen können.<br />

Es sind also <strong>die</strong> präattentiven Mechanismen, <strong>die</strong> mit Hilfe der kognitiven<br />

Strukturen aus der Sinnesinformation Gefühle wie Schrecken, Angst,<br />

Erregtheit, Ausgeglichenheit, Gleichgültigkeit usw. sowie sachliche und<br />

andere Bedeutungen formen 79 . Diese emotionalen, sachlichen u. a.<br />

Bedeutungen steuern das Verhalten. Je höher <strong>die</strong> Bedeutung einer<br />

Information für <strong>die</strong> Aufrechterhaltung des Gleichgewichts eingeschätzt<br />

oder bewertet wird, um so höher ist <strong>die</strong> resultierende physiologische<br />

Aktivation oder Erregung (vgl. PORTELE 1975, S. 77).<br />

Bei hoher Erregung (Angst, Schrecken) lösen <strong>die</strong> präattentiven<br />

Mechanismen Sofortreaktionen aus, um erwartete Gefahren schnell zu<br />

beseitigen (vgl. GRAY 1971, S. 59 ff.). Vernünftiges Überlegen und<br />

mehrmaliges <strong>auf</strong>merksames Testen der Situation ist nicht mehr möglich,<br />

da <strong>die</strong> Aufmerksamkeitsmechanismen hierfür kein Rohmaterial von der<br />

präattentiven Stufe erhalten, sondern völlig von <strong>die</strong>ser gesteuert werden.<br />

Die Folge ist, daß <strong>die</strong> intellektuelle Leistungsfähigkeit bei hoher Erregung<br />

relativ niedrig ist 80 . Hohe Erregung kann immer dann erwartet werden,<br />

wenn man bei der Lösung subjektiv bedeutsamer und schwieriger<br />

Aufgaben unter zusätzlichem Zeit- oder Leistungsdruck steht.<br />

79 Vgl. auch LAZARUS et. al. 1973, S. 170. Zu Theorien der Emotion siehe ebenda sowie<br />

SCHACHTER 1965; 1970<br />

80 Über den Zusammenhang von Angst und Leistung siehe GÄRTNER-HARNACH 1972;<br />

THURNER 1970.<br />

59


Jedoch nicht nur hohe, auch niedrige Aktivation (z. B. Gleichgültigkeit)<br />

beeinträchtigt <strong>die</strong> Leistung 81 . Unbedeutende Informationen (dazu gehört<br />

Banales, aber auch vollkommen Unverständliches) werden den Aufmerksamkeitsprozessen<br />

gar nicht erst zur genaueren Verarbeitung zugeleitet,<br />

sie werden leicht „übersehen“. Dafür erregen dann bedeutsamer<br />

erscheinende Dinge <strong>die</strong> Aufmerksamkeit. Ist man aber gezwungen, sehr<br />

einfache Aufgaben, <strong>die</strong> man als uninteressant empfindet, dennoch<br />

auszuführen (wie z. B. Fließbandarbeit), dann geschieht <strong>die</strong>s nach einiger<br />

Zeit meist nachlässig und ungenau, wie ein Experiment von KARSTEN<br />

illustriert.<br />

KARSTEN (1928) ließ Versuchspersonen monotone Aufgaben ausführen<br />

wie z. B. waagerechte Striche ziehen oder dasselbe Gedicht mehrmals<br />

lesen. Mit der Anzahl der Wiederholungen nahm auch <strong>die</strong> Anzahl der<br />

Fehler zu, ebenso <strong>die</strong> Aggressivität der Versuchspersonen. Sie versuchten,<br />

sich Erleichterung durch Abwechslung zu verschaffen, indem sie <strong>die</strong><br />

Striche variierten oder indem sie <strong>die</strong> Aufgaben anders interpretierten,<br />

etwa als Geschwindigkeitstests. Die Versuchspersonen suchten also nach<br />

neuartigen Reizen, <strong>die</strong> sie als bedeutsamer empfinden konnten.<br />

Experimente zur sensorischen Deprivation zeigen, wie sehr <strong>die</strong> Aufrechterhaltung<br />

unserer Denk- und Wahrnehmungsfähigkeit von einer<br />

ständigen Informationsverarbeitung abhängt. Das Fehlen von Reizen<br />

stört das Gleichgewicht eines Organismus ganz erheblich. In einem viel<br />

zitierten Experiment von BEXTON, HERON und SCOTT wurden<br />

Versuchspersonen für zwanzig Dollar pro Tag in eine kleine Zelle<br />

gesperrt:<br />

„sie lagen flach <strong>auf</strong> einem Bett, trugen eine matte Brille, <strong>die</strong> nur ein vages,<br />

bläuliches Licht durchließ, und Handschuhe mit Pappmanschetten, <strong>die</strong> taktile<br />

Stimulation verhinderten (außer beim Essen und beim Besuch der Toilette);<br />

außerdem hörten sie nur ein ständiges Summen, außer wenn der Versuchsleiter<br />

mit ihnen sprach. Auf <strong>die</strong>se Weise waren sie bis zu sechs Tage lang praktisch<br />

ununterbrochen homogener Stimulation ausgesetzt. Zuerst schliefen sie viel,<br />

später aber nur noch kurzzeitig; sie fühlten sich außerordentlich gelangweilt und<br />

waren sehr ruhelos. Sie konnten sich nicht konzentrieren, nicht klar denken und<br />

hatten Tagträume. Die Fähigkeit zu einfachen geistigen Arbeiten, wie etwa<br />

Kopfrechnen, war gemindert. Oft hatten sie auch Halluzinationen: einfache<br />

Farbphänomene, Punktmuster oder geometrische Figuren, sogar komplexe<br />

bedeutungshaltige Bilder. Gegen Ende des Versuchszeitraums zeigte sich bei<br />

den Versuchspersonen eine starke emotionale Labilität, sie waren reizbar, und<br />

manche weigerten sich, länger als zwei oder drei Tage mitzumachen, andere<br />

81 Vgl. <strong>die</strong> Zusammenfassung von PORTELE 1975, S. 133 f. PORTELE gibt auch Hinweise<br />

<strong>auf</strong> weitere Literatur.<br />

60


gaben sogar noch früher <strong>auf</strong>. Nach Ende des Versuchs fühlten sie sich manchmal<br />

bis zu 24 Stunden lang benommen und verwirrt.“ 82<br />

Inaktivität bzw. niedrige Aktivation schwächt also <strong>die</strong> Überlebensfähigkeit.<br />

Es ist durchaus sinnvoll für das Überleben eines Organismus,<br />

wenn schon geringe Abweichungen vom Gleichgewichtszustand - sei es<br />

physisch oder psychisch - ständig geregelt werden. Ließe der Organismus<br />

größere Schwankungen zu, dann könnte das System leicht instabil<br />

werden.<br />

Leistung und Aufmerksamkeit bei mittlerer Aktivation<br />

Die Leistung ist abhängig davon, daß <strong>die</strong> Aufmerksamkeit <strong>auf</strong> eine<br />

Aufgabe gerichtet wird und daß zudem <strong>die</strong> Aufmerksamkeitsprozesse in<br />

freier Weise mit dem von der präattentiven Stufe bereitgestellten Rohmaterial<br />

arbeiten können. Das ist aber wiederum davon abhängig, wie<br />

bedeutsam und schwierig <strong>die</strong> Aufgabe erscheint, und damit von der Höhe<br />

der Aktivation. Leistung und Aufmerksamkeit steigen mit der Zunahme<br />

der Aktivation (<strong>die</strong> ihrerseits vermutlich von der Bedeutsamkeit und<br />

Schwierigkeit einer Aufgabe abhängt) bis zu einem mittleren Erregungsniveau.<br />

Dieses Niveau wird erreicht bei subjektiv bedeutsamen Aufgaben,<br />

deren Lösung zwar als schwierig, aber dennoch durchführbar erscheint.<br />

Wird aber nun zusätzlich Druck ausgeübt, indem etwa <strong>die</strong> Zeit begrenzt<br />

wird oder negative Folgen bei Nichtlösung der Aufgaben angedroht<br />

werden, dann steigt <strong>die</strong> Aktivation weiter an, während gleichzeitig <strong>die</strong><br />

Leistung sinkt (siehe Abb. 5) (vgl. PORTELE 1975, S. 133 f.). Die<br />

Steuerung der Reaktionen wird dabei zunehmend vom Bewußtsein weg<br />

<strong>auf</strong> <strong>die</strong> präattentive Stufe verlagert. Diese jedoch arbeitet schnell und<br />

ungenau, d. h. ohne eine genaue Analyse der Situation. Daher werden<br />

zunehmend Lösungen produziert, <strong>die</strong> schon häufig erfolgreich waren,<br />

oder falls <strong>die</strong>s nicht möglich ist, werden schematische Lösungen<br />

ausprobiert.<br />

Man sollte daher, wenn man gute Leistungen erzielen möchte, Schülern<br />

Aufgaben von einer mittleren subjektiven Schwierigkeit geben, was auch<br />

einen gewissen Neuigkeitsgehalt mit einschließt (vgl. auch HECK-<br />

HAUSEN 1972). Diese Aufgaben sollten darüber hinaus eine subjektive<br />

Bedeutsamkeit haben, d. h. sich mit Problemen befassen, <strong>die</strong> aus dem<br />

Erfahrungshintergrund der Schüler entstanden sein könnten (vgl. 2.1.1.).<br />

82 BEXTON, HERON und SCOTT 1954; zitiert nach VERNON 1974, S. 122. VERNON<br />

berichtet eine Fülle weiterer Experimente; ebenso PORTELE 1975, S. 91 ff.<br />

61


Abb. 5: Der Zusammenhang von Aktivation und Leistung<br />

2.3. Lernen<br />

Wir stehen täglich vor Aufgaben, <strong>die</strong> zumindest geringfügige neue<br />

Schwierigkeiten mit sich bringen. Die Versuche, <strong>die</strong>se Probleme oder<br />

Schwierigkeiten zu lösen, führen zu einer Zunahme der individuellen<br />

Erkenntnis und zu verbesserten Fähigkeiten, mit ähnlichen Problemen<br />

fertig zu werden. Dieses Wachstum des Wissens führt indirekt auch zu<br />

einer Veränderung des Verhaltens.<br />

Diese Sicht des Lernens ergibt sich aus der bisher dargestellten Theorie,<br />

insbesondere aus der Theorie der Entwicklung der kognitiven Strukturen.<br />

Doch <strong>die</strong> meisten Theorien des Lernens gehen von einer Definition aus,<br />

<strong>die</strong> besagt, daß Lernen erfahrungsbedingte Verhaltensänderung sei, relativ<br />

zum vorhergehenden Verhalten gegenüber einem Stimulus. In <strong>die</strong>sem<br />

Sinn kann sowohl der Fortschritt der Wissenschaft als Lernen bezeichnet<br />

werden als auch <strong>die</strong> Rückentwicklung zu den mythischen Anfängen 83 .<br />

Das kommt daher, daß man Lernen unabhängig von Erkenntnisprozessen<br />

untersucht. Im Rahmen der Psychologie mag <strong>die</strong>s durchaus<br />

sinnvoll sein, aber im Rahmen der Erziehung und Bildung hat Lernen <strong>die</strong><br />

Bedeutung einer Erweiterung des Wissens und der Fähigkeiten des<br />

83 M. E. gilt <strong>die</strong>s nicht für v. CUBEs Redundanztheorie des Lernens. Im Rahmen <strong>die</strong>ser<br />

Theorie ist Lernen als Ordnungsgewinn zu interpretieren. Ein wissenschaftlicher<br />

Rückschritt wäre aber ein Verlust an Ordnung, eine Zunahme an Entropie. Diesen Prozeß<br />

müßte man dann als negatives Lernen oder als Ver-Lernen bezeichnen (v. CUBE 1968).<br />

62


Lernenden. Der einzelne soll <strong>die</strong> Entwicklung der Kultur in kurzer Zeit<br />

nachvollziehen. Lernen in <strong>die</strong>sem Sinne hat mit Erkenntnis zu tun. Und<br />

im Rahmen des Wachstums der Erkenntnis, das immer in Richtung <strong>auf</strong><br />

bessere Erklärungen hin wächst (vgl. POPPER 1973, S. 213 f.), hat auch<br />

das Lernen <strong>die</strong>se Richtung. Lernen bedeutet also, daß man durch <strong>die</strong><br />

Lösung neuer Aufgaben oder Probleme <strong>die</strong> kognitiven Strukturen<br />

genauer bestimmt, korrigiert oder erweitert.<br />

Neue Aufgaben löst man durch Verwendung bestehenden Wissens. Die<br />

jeweils vorhandenen kognitiven Strukturen üben also einen gewissen<br />

Transfer <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Lösung neuer Aufgaben aus. Ist das Ergebnis <strong>die</strong>ses<br />

Transfers eine neuartige Problemlösung, so bezeichnet man <strong>die</strong>se auch als<br />

kreativ. Wir können also <strong>die</strong> genannten Phänomene - Lernen, Problemlösen,<br />

Transfer und Kreativität - als verschiedene Aspekte oder Ergebnisse<br />

derselben Informationsverarbeitungsprozesse betrachten (vgl. 2.3.4.<br />

Transfer und Kreativität). Der Lernprozeß läuft immer so ab, daß eine<br />

Aufgabenlösung synthetisiert und dann analysiert wird. Das Ergebnis<br />

<strong>die</strong>ser Analyse wirkt <strong>auf</strong> <strong>die</strong> weiteren Lösungsversuche (Synthesen) zurück<br />

(vgl. 2.3.3. <strong>die</strong> Funktion von Verstärkung und Kontiguität). Grundlegend<br />

für <strong>die</strong>se Sicht des Lernens ist, daß jede Veränderung der kognitiven<br />

Strukturen ein konstruktiver Prozeß ist, der gelingen oder auch<br />

mißlingen kann, bei dem also Schwierigkeiten oder Probleme zu überwinden<br />

sind (vgl. 2.3.2. Lernen als Problemlösen). Einer Schwierigkeit<br />

gegenüberzustehen, bedeutet immer, einen bestimmten Gesichtspunkt zu<br />

haben, unter dem man <strong>die</strong>jenige Information auswählt, der man seine<br />

Aufmerksamkeit zuwendet. Lernen ist also immer <strong>auf</strong>merksame Informationsverarbeitung<br />

(vgl. 2.3.1.).<br />

2.3.1. Aufmerksamkeit und Lernen<br />

Die Hypothese, daß nur unter Zuwendung von Aufmerksamkeit gelernt<br />

werden kann, ist nicht allgemein anerkannt. Doch nach der hier<br />

vorgelegten Theorie ist Lernen anders gar nicht möglich, denn nur <strong>die</strong><br />

Ergebnisse der <strong>auf</strong>merksamen Verarbeitung werden im Arbeitsgedächtnis<br />

und später im Langzeitgedächtnis gespeichert; nur sie können also zu<br />

einer (überdauernden) Erweiterung der kognitiven Strukturen führen.<br />

Gegen <strong>die</strong>se Theorie scheinen der subjektive Eindruck und einige Befunde<br />

zum inzidentellen (unabsichtlichen) Lernen zu sprechen. Ich werde<br />

<strong>die</strong>se Argumente im folgenden darstellen und diskutieren.<br />

63


Der subjektive Eindruck sagt uns, daß Reize, <strong>die</strong> wahrgenommen werden,<br />

ganz einfach <strong>auf</strong> Grund <strong>die</strong>ser Wahrnehmung auch gespeichert werden,<br />

bzw. daß zumindest ein Teil der <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Sinnesorgane <strong>auf</strong>getroffenen<br />

Information automatisch in das Gedächtnis abfließt. Doch unsere<br />

subjektiven Eindrücke täuschen uns oft, und wir sollten ihnen daher<br />

nicht allzusehr vertrauen. So weist z. B. DEWEY dar<strong>auf</strong> hin - und ein<br />

jeder kann es leicht nachprüfen -, daß <strong>die</strong> meisten Menschen nur sehr<br />

ungenaue, vage Vorstellungen vom Zifferblatt ihrer Uhr besitzen, das sie<br />

doch mehrmals täglich ansehen (DEWEY 1951, S. 203). Das liegt<br />

vermutlich daran, daß man das Zifferblatt stets unter einem bestimmten<br />

Gesichtspunkt betrachtet: Man will <strong>die</strong> Uhrzeit, d. h. <strong>die</strong> Stellung der<br />

Zeiger zu bestimmten Ziffern wissen und nicht das Aussehen des<br />

Zifferblattes. Nur <strong>die</strong>se Information wird ausgewählt und <strong>auf</strong>merksam<br />

verarbeitet, alles andere dagegen vergißt man schnell.<br />

Doch nicht alle Forschungsergebnisse sind so eindeutig wie <strong>die</strong><br />

Ergebnisse des Experiments von DEWEY. Die Befunde zum<br />

inzidentellen, also unabsichtlichen oder zufälligen Lernen scheinen dem<br />

Ergebnis von DEWEY und der hier vertretenen Hypothese zu<br />

widersprechen 84 . Bei allen <strong>die</strong>sen Experimenten wird Lernen, das nicht<br />

zur Lern<strong>auf</strong>gabe gehört, als inzidentelles Lernen definiert 85 . Beispielsweise<br />

wurden Versuchspersonen so verstärkt, daß sie <strong>die</strong>se Verstärkung<br />

(scheinbar) nicht bemerkten. So wurden bei Assoziations<strong>auf</strong>gaben<br />

bestimmte Wortverknüpfungen durch „mhm“ oder ähnliches bekräftigt.<br />

Die bekräftigten Reaktionen traten dann signifikant häufiger <strong>auf</strong><br />

(THORNDIKE und ROCK 1934; GREENSPOON 1955, ref. nach<br />

FOPPA 1975, S. 71 und 72). Aber <strong>die</strong> Annahme, daß <strong>die</strong> Bekräftigung<br />

von den Versuchspersonen unbemerkt geblieben sei, konnte in Nachuntersuchungen<br />

nicht <strong>auf</strong>rechterhalten werden (vgl. ADAMS 1957; DAY<br />

1961; ERIKSEN 1962). Die Versuchspersonen hatten zumindest ein<br />

„Gefühl“ dafür, was von ihnen erwartet wurde (FOPPA 1975, S. 72).<br />

In einem Experiment von BIEL und FORCE (1943) wurden sinnlose<br />

Silben in verschiedenen Schrifttypen dargeboten. Die inzidentelle Gruppe<br />

erhielt <strong>die</strong> Anweisung, <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Lesbarkeit der Drucktypen zu achten,<br />

84 Einen knappen überblick der Untersuchungen zum inzidentellen Lernen gibt FOPPA 1975,<br />

S. 192 ff. Einen ausführlicheren und kritischen Bericht gibt McLAUGHLIN 1965.<br />

85 FOPPA 1975 übersetzt „inzidentelles Lernen" daher auch als „Lernen ohne ausdrückliche<br />

Lerninstruktion", S. 192.<br />

64


während <strong>die</strong> Kontrollgruppe über den Zweck der Untersuchung<br />

informiert wurde. Die Leistungen beider Gruppen hinsichtlich des<br />

Behaltens von Drucktypen und Silben unterschieden sich jedoch nicht<br />

(ref. nach FOPPA 1975, S. 192-193).<br />

Aber es ist schwierig, <strong>auf</strong> Grund <strong>die</strong>ses und ähnlicher Experimente zu<br />

entscheiden, ob <strong>die</strong> „inzidentellen Versuchspersonen“ tatsächlich<br />

„zufällig“ lernten oder sich einfach nur nicht an <strong>die</strong> gegebenen<br />

Instruktionen hielten. Wenn das Lernmaterial, wie im Experiment von<br />

BIEL und FORCE, bis zu zwölfmal dargeboten wird, so ist <strong>die</strong> gegebene<br />

Lern<strong>auf</strong>gabe längst gelöst. Und <strong>die</strong>s kann der Grund sein, daß <strong>die</strong><br />

Versuchspersonen sich selbst andere Aufgaben stellen (vgl. FOPPA 1975,<br />

S. 193). Außerdem kann man erwarten, daß jemand, der sich mit einer<br />

Aufgabe auseinandersetzt, zunächst versuchen wird, zu unterscheiden,<br />

was zu <strong>die</strong>ser Aufgabe gehört und was nicht. Man setzt sich also<br />

notgedrungen immer auch mit Aspekten auseinander, <strong>die</strong> im Hinblick <strong>auf</strong><br />

<strong>die</strong> Anweisung irrelevant erscheinen. Zudem führt niemals jemand<br />

einfach eine gegebene Anweisung aus, sondern er führt sie so aus, wie er<br />

sie versteht. Auch im täglichen Umgang treten ja oft Mißverständnisse<br />

<strong>auf</strong>, obwohl man glaubte, sich klar geäußert zu haben. Das liegt daran,<br />

daß Signale - obwohl sie eine objektive Bedeutung haben - vom<br />

Empfänger immer erst entschlüsselt bzw. interpretiert werden müssen.<br />

Zusammenfassend kann man <strong>die</strong> Befunde zum inzidentellen Lernen auch<br />

so interpretieren, daß <strong>die</strong> Lerninstruktion nicht der einzige Faktor ist, der<br />

<strong>die</strong> Aufmerksamkeit des Lernenden steuert. Sie wird darüber hinaus vor<br />

allem gesteuert von Veränderungen der Gesichtspunkte durch den<br />

Lernenden selbst (vgl. FOPPA 1975, S. 193). Keinesfalls ist anzunehmen,<br />

daß alle <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Sinnesorgane <strong>auf</strong>treffenden Signale gespeichert werden.<br />

Unsere Sinne sind keine organischen Äquivalente von Filmkameras,<br />

Tonbandgeräten usw., <strong>die</strong> alles <strong>auf</strong>nehmen und speichern (vgl. 2.1.1. bis<br />

2.1.3.). Daß wir Bilder und Geräusche behalten können, beweist nicht,<br />

daß wir wie <strong>die</strong>se Geräte funktionieren. Im Gegensatz zu <strong>die</strong>sen Geräten<br />

können wir lernen, weil wir Information nicht in <strong>die</strong>ser passiven Art<br />

<strong>auf</strong>nehmen und speichern, sondern weil wir Information aktiv und<br />

konstruktiv unter bestimmten Gesichtspunkten oder Zielen verarbeiten.<br />

Wir stellen Zusammenhänge mit unserem vorhandenen Wissen her und<br />

verstehen dadurch <strong>die</strong> wahrgenommene Information. Denn erst im<br />

Zusammenhang mit dem vorhandenen Wissen und mit einem Ziel oder<br />

65


Problem erhalten Signale eine Bedeutung. Und nur <strong>auf</strong> Grund <strong>die</strong>ser<br />

Bedeutung werden sie beachtet und für eine <strong>auf</strong>merksame Verarbeitung<br />

ausgewählt (vgl. 2.2.2.).<br />

Diese Auffassung wird auch von HANSEN (1965, S. 202) in bezug <strong>auf</strong><br />

<strong>die</strong> kindliche Entwicklung vertreten und durch ein Beispiel belegt:<br />

„Da der Bezug <strong>auf</strong> das eigene Selbst für das Auffassen entscheidend ist, ist es<br />

leicht verständlich, daß vieles, was das Kind täglich umgibt, seiner Beachtung<br />

lange Zeit entgehen kann. Das bloße Vorhandensein genügt nicht. Ein Ding<br />

muß schon eine besondere subjektbezogene Bedeutung bekommen, um<br />

überhaupt bemerkt zu werden. So ist es möglich, daß ein Kind auch in<br />

vertrauter Umgebung durch Jahre hindurch immer wieder neue Entdeckungen<br />

macht, oft zur Überraschung der Erwachsenen, <strong>die</strong> nicht verstehen können, daß<br />

etwas so Auffälliges bis dahin übersehen werden konnte.<br />

So entdeckte mein Sohn erst mit 5;9 in unserer Diele ein ziemlich großes Bild,<br />

den Marktplatz einer alten Stadt darstellend, das etwas über Augenhöhe des<br />

Kindes seit vier Jahren am gleichen Platze hing. Es hing der Eingangstür<br />

gegenüber, deutlich von der Wand abgehoben, so daß der Blick dar<strong>auf</strong>fallen<br />

,mußte`. Es war das einzige Bild in der Diele. Der Junge entdeckte es, als er mit<br />

großer Beteiligung <strong>die</strong> Reparaturarbeit eines Handwerkers an der Wand<br />

verfolgte. Die Gegenstände in der Diele wurden dadurch in eine besondere<br />

Beteiligung hineingezogen, so daß das Bild, das er täglich hundertmal wahrzunehmen<br />

Gelegenheit gehabt hatte, erst jetzt für ihn da war. Er war selbst<br />

überrascht: ,Was ist das für ein Bild? War das immer da?“ 86<br />

Information <strong>auf</strong>merksam zu verarbeiten heißt also, unter einem<br />

Gesichtspunkt Verarbeitungskapazität dar<strong>auf</strong> zu verwenden. Das Resultat<br />

<strong>die</strong>ser <strong>auf</strong>merksamen Verarbeitung ist eine genauere Bestimmung,<br />

Korrektur oder Erweiterung der kognitiven Strukturen, <strong>die</strong> ihrerseits<br />

wiederum das Verhalten beeinflussen kann.<br />

2.3.2. Lernen als Problemlösen<br />

Probleme, das heißt Schwierigkeiten, <strong>die</strong> der Erreichung bestimmter Ziele<br />

im Wege stehe 1176, sind <strong>die</strong> Voraussetzung dafür, daß Lernprozesse in<br />

Gang gesetzt werden 87 (vgl. auch 2.1.1. und 2.2.2.). Der Lernprozeß selbst<br />

ist vermutlich immer der gleiche und nur <strong>die</strong> Probleme bzw. <strong>die</strong><br />

Problemsituationen ändern sich. Diese Sichtweise des Lernprozesses steht<br />

86 Vgl. hierzu <strong>die</strong> verschiedenen Variationen <strong>die</strong>ser Definition von Problemen und Problemlosungen<br />

bei BERLYNE 1965; SEISENBERGER 1974; TRAVERS 1975.<br />

87 Diese Auffassung wird u.a. vertreten von DEWEY 1951, GUYER 1967, KER-<br />

SCHENSTFINER 1928.<br />

66


somit im Gegensatz zu Auffassungen, <strong>die</strong> unterschiedlichen Problemsituationen<br />

auch unterschiedliche Lernprozesse zuordnen.<br />

Ich werde nun zuerst den Problemlösungsprozeß beschreiben und <strong>die</strong>sen<br />

dann am Modell der Informationsverarbeitung darstellen. Anschließend<br />

werde ich <strong>die</strong> Frage untersuchen, ob auch so einfache Prozesse wie<br />

Auswendiglernen als Problemlösung betrachtet werden können.<br />

Der Problemlösungsprozeß<br />

Der Problemlösungsvorgang läuft immer so ab, daß zunächst ein<br />

Problem erkannt und Lösungen dafür konstruiert werden, <strong>die</strong> dann<br />

analysiert und verbessert werden können 88 . Dies trifft sowohl <strong>auf</strong> den<br />

psychologischen als auch <strong>auf</strong> den objektiven Problemlösungsprozeß zu.<br />

Steht eine Autofabrik - um stagnierendem Absatz vorzubeugen - vor der<br />

Aufgabe, einen neuen Wagen produzieren zu müssen, der sicherer, in der<br />

Form gefälliger, komfortabler usw. sein soll als das bisherige Modell, so<br />

wird <strong>die</strong>ses Problem analog der obigen Beschreibung gelöst: Ausgehend<br />

vom vorhandenen Modell und dem gegebenen Wissen über Autobau<br />

werden verbesserte Konstruktionen ausgeführt, <strong>die</strong> dann geprüft und<br />

kritisiert werden. Diese Kritik führt zu weiteren, wiederum verbesserten<br />

Konstruktionen, bis ein vorläufig befriedigendes Ergebnis erzielt ist.<br />

Ich will nun versuchen, den psychologischen Problemlösungsprozeß am<br />

Beispiel der Bestrahlungs<strong>auf</strong>gabe von DUNCKER zu verdeutlichen<br />

(DUNCKER 1963, S. 1 f.). Dieser Aufgabe liegt folgendes Problem<br />

zugrunde: Ein Patient leidet an einer inoperablen Magengeschwulst. Wie<br />

kann man <strong>die</strong>se Geschwulst mit Hilfe eines Bestrahlungsverfahrens<br />

entfernen, ohne dabei gesundes Gewebe zu zerstören? Die Versuchspersonen<br />

konstruieren zunächst mit dem Rohmaterial ihres vorhandenen<br />

Wissens verschiedene Lösungsvorschläge, <strong>die</strong> sie selbst oder der<br />

Versuchsleiter anschließend kritisieren. Durch <strong>die</strong> kritische Betrachtung<br />

<strong>die</strong>ser Hypothesen wird der Versuchsperson allmählich klar, welche<br />

Schwierigkeiten <strong>die</strong> verschiedenen Lösungsvorschläge enthalten. So ist z.<br />

B. ein Freilegen der Geschwulst indiskutabel, da eine Operation ja<br />

vermieden werden soll. Die Hypothese, Strahlen durch <strong>die</strong> Speiseröhre zu<br />

schicken, ist ebenfalls unbrauchbar, da Strahlen sich nicht wie Flüssig-<br />

88<br />

Zum Problemlösungsvorgang siehe vor allem BARTLETT 1958; DEWEY 1951;<br />

DUNCKER 1963; GUYER 1967; NEISSER 1974; SELZ 1924; WERTHEIMER 1957.<br />

Zusammenfassend berichten BERGIUS 1964; JOHNSON 1972; OERTER 1974;<br />

DÖRNER 1976. Bedeutsam für <strong>die</strong> hier vertretene Ansicht ist außerdem POPPERs<br />

Analyse des Problemlösungsprozesses: POPPER 1973, S. 184-186 (Die psychologischen<br />

Denkvorgänge . . .).<br />

67


keiten verhalten, usw. Die Versuchsperson erfährt also, welche Wege<br />

nicht gangbar sind. Dadurch schränkt sie ihren Suchbereich ein und<br />

versteht, daß <strong>die</strong> Lösung des Problems nicht darin liegen kann, den<br />

Kontakt zwischen dem gesunden Gewebe und der Strahlung zu umgehen.<br />

Da <strong>die</strong> Versuchsperson nun <strong>die</strong> Schwierigkeiten kennt, <strong>die</strong> einer<br />

Lösung der Aufgabe entgegenstehen, kann sie jetzt das Problem in neuer<br />

Weise formulieren: Es muß ein Weg gefunden werden, <strong>die</strong> Strahlung für<br />

das gesunde Gewebe möglichst unschädlich zu halten und nur im Bereich<br />

der Geschwulst eine hohe Strahlungsintensität zu erzielen. (Die Lösung<br />

besteht darin, mehrere schwache Strahlungen von verschiedenen Seiten<br />

durch das Gewebe zu schicken und in der Geschwulst zu konzentrieren<br />

[DUNCKER 1963, S. 1 f.].)<br />

Der Problemlösungsprozeß im Modell der Informationsverarbeitung<br />

Derartige Problemlösungsprozesse können ohne Schwierigkeiten mit<br />

dem Modell der menschlichen Informationsverarbeitung simuliert werden.<br />

Der Problemlösungsprozeß läuft wie <strong>die</strong> meisten bisher untersuchten<br />

Prozesse in zwei Stufen ab: Das Problem oder <strong>die</strong> Schwierigkeit<br />

wird von den präattentiven Mechanismen erkannt oder erwartet, falls eine<br />

Aufgabe angekündigt war, und der <strong>auf</strong>merksamen Verarbeitung zugeleitet.<br />

Das bewußte Selbst analysiert das Problem genauer, indem es eine<br />

vorläufige Lösung synthetisiert. Beispielsweise entziffert man eine unleserliche<br />

Schrift, indem man ein passend erscheinendes Wort oder einen<br />

Satz konstruiert und <strong>die</strong>sen im Zusammenhang kritisch beurteilt. (Entzifferung<br />

ist in <strong>die</strong>sem Sinne auch eine Problemlösung.) Das Ergebnis<br />

<strong>die</strong>ser Analyse-durch-Synthese wird im Arbeitsgedächtnis gespeichert und<br />

beeinflußt dadurch <strong>die</strong> weiteren Konstruktionen der präattentiven Stufe.<br />

Da <strong>die</strong> präattentiven Mechanismen hierarchisch und parallel organisiert<br />

sind (vgl. 2.1.2.), können sie viele Konstruktionen gleichzeitig ausführen.<br />

Je genauer nun <strong>die</strong> im Arbeitsgedächtnis gespeicherten Ergebnisse der<br />

<strong>auf</strong>merksamen Verarbeitung sind und je mehr Erfahrungen in problemrelevanten<br />

Bereichen früher gemacht worden sind, um so besser, vielfältiger<br />

und kreativer können <strong>die</strong> Grobkonstruktionen der präattentiven<br />

Stufe ausfallen (vgl. auch 2.1.3. und 2.3.4.). Diese Grobkonstruktionen<br />

oder „Einfälle“ werden vom Bewusstsein geprüft und, falls sie brauchbar<br />

erscheinen, weiterverarbeitet. Im obigen Beispiel der Entzifferung<br />

undeutlicher Schrift bedeutet <strong>die</strong>s, daß der Versuch, einen passenden Satz<br />

68


zu konstruieren, und <strong>die</strong> kritische Beurteilung <strong>die</strong>ses Versuches Einfälle<br />

erzeugt, <strong>die</strong> vermutlich eine angemessene Entzifferung, d. h. genauere<br />

<strong>auf</strong>merksame Konstruktionen, ermöglichen.<br />

Der Verarbeitungsprozeß kann zudem unterstützt und besser gesteuert<br />

werden, wenn <strong>die</strong> jeweils produzierten Lösungen und <strong>die</strong> jeweilige Kritik<br />

dazu <strong>auf</strong>geschrieben, <strong>auf</strong>gezeichnet oder sonstwie externalisiert werden<br />

(vgl. 2.1.4.).<br />

Auswendiglernen (Automatisieren) als Problemlösen<br />

Gegen <strong>die</strong> Hypothese, alles Lernen sei Problemlösen, könnte man<br />

einwenden, daß vor allem Schüler und Schauspieler vieles auswendig<br />

lernen, ohne dabei Probleme zu lösen. Da aber unser Gedächtnis nicht<br />

wie ein Tonbandgerät funktioniert, mit dem Signale <strong>auf</strong>genommen und<br />

zu beliebiger Zeit wieder abgespielt werden können, ist Auswendiglernen,<br />

d. h. eine Speicherung, <strong>die</strong> <strong>die</strong> genaue Reproduktion des Gespeicherten<br />

erlauben soll, tatsächlich ein Problem 89 .<br />

Möglichkeiten zur Lösung des Problems einer genauen Reproduktion<br />

bestehen in der Bildung von „Eselsbrücken“, in Rhythmisierungen usw.<br />

Der Lernende löst also weniger inhaltliche Fragen, sondern das Problem,<br />

wie das Lernmaterial organisiert werden kann, damit es sich möglichst gut<br />

behalten und reproduzieren läßt.<br />

Auch wenn das didaktische Problem vom Lehrer durch entsprechende<br />

Anweisungen verringert wird, ist <strong>die</strong> Speicherung immer noch mit<br />

Schwierigkeiten verbunden. Die Methode zu ihrer Überwindung besteht<br />

nur oberflächlich gesehen in der Wiederholung eines auswendig zu<br />

lernenden Textes oder einer zu automatisierenden Operation wie z. B.<br />

Multiplizieren. Denn Wiederholung führt nur dann zu besserem<br />

Behalten, wenn der Lernende sich immer gerade <strong>auf</strong> das konzentriert, was<br />

er noch nicht fehlerfrei beherrscht. Der Lernende muß seine<br />

Aufmerksamkeit immer <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Schwierigkeiten, d. h. <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Probleme,<br />

richten und <strong>die</strong>se zu lösen suchen, etwa indem er, entsprechend den<br />

Anweisungen des Lehrers, Beziehungen zu Bekanntem, Rhythmisierungen<br />

usw. herstellt 90 . Ob <strong>die</strong>se Problemlösungen erfolgreich waren, d.h.<br />

89 In <strong>die</strong>ser Weise wird Auswendiglernen auch von MILLER, GALANTER und PRIBRAM<br />

1973, S. 122 f. gesehen.<br />

90 Siehe hierzu auch <strong>die</strong> folgenden Ausführungen POPPERs: „Bei allen Arten des Lernens<br />

oder Gewinnung oder Erzeugung von Erkenntnis ist <strong>die</strong> Methode darwinistisch, nicht<br />

69


ob sie eine fehlerfreie Reproduktion fördern, stellt er durch <strong>die</strong> Wiederholung<br />

fest. Der Sinn der Wiederholung liegt also vor allem darin, Fehler<br />

zu entdecken (vgl. auch POPPER 1973, S. 81; siehe hierzu auch 3.3.2.:<br />

Übung).<br />

2.3.3. Die Funktion von Verstärkung und Kontiguität<br />

Die Reiz-Reaktions-Theorien nehmen an, daß Lernen durch <strong>die</strong> Bildung<br />

von Assoziationen geschieht. Dabei behauptet <strong>die</strong> Kontiguitätstheorie,<br />

daß <strong>die</strong> Gleichzeitigkeit von Reiz und Reaktion für <strong>die</strong> Bildung einer<br />

Assoziation ausreicht, während <strong>die</strong> Verstärkungstheorie <strong>die</strong> Konsequenzen<br />

einer Reaktion als entscheidend für <strong>die</strong> Verknüpfung von Reiz und<br />

Reaktion ansieht.<br />

Entgegen <strong>die</strong>sen Theorien wird hier <strong>die</strong> Ansicht vertreten, daß es kein<br />

Lernen durch Assoziation gibt, sondern nur konstruktive kognitive<br />

(Problemlösungs-)Prozesse. Dennoch bleiben <strong>die</strong> Gleichzeitigkeit von<br />

Reiz und Reaktion und <strong>die</strong> Konsequenzen von Reaktionen auch innerhalb<br />

der hier vertretenen kognitiven Theorie von Bedeutung 91 .<br />

Zunächst werde ich <strong>die</strong> Problematik der Kontiguitäts- und Verstärkungstheorie<br />

diskutieren und <strong>die</strong> Funktion von Verstärkung und Kontiguität im<br />

Problemlösungsprozeß erläutern. Abschließend werde ich untersuchen,<br />

ob auch <strong>die</strong> Bildung sogenannter bedingter Reflexe als Problemlösungsvorgang<br />

erklärt werden kann.<br />

Probleme der Verstärkungs- und Kontiguitätstheorie<br />

Die in <strong>die</strong>ser Arbeit vertretene These ist, daß Lernen nur verstanden und<br />

erklärt werden kann, wenn man <strong>die</strong> zwischen Reiz und Reaktion liegenden<br />

kognitiven Prozesse beachtet. Ich werde <strong>die</strong>s an einem Beispiel<br />

demonstrieren, zu dem neueste Forschungsergebnisse vorliegen 92 . Ein<br />

Baby, das immer gleich Zuwendung erhält, wenn es zu weinen anfängt,<br />

lamarckistisch: es ist Auslese, nicht Lernen durch Wiederholung. (Doch man sollte nicht<br />

übersehen, daß der Lamarckismus eine Art Näherung an den Darwinismus ist, und daß <strong>die</strong><br />

Ergebnisse der Auslese daher oft wie Ergebnisse einer Lamarckschen Anpassung, eines<br />

Lernens durch Wiederholung aussehen: der Darwinismus simuliert gewissermaßen den<br />

Lamarckismus.)" (POPPER 1973, S. 168-169)<br />

91 Das liegt daran, daß allgemeinere Theorien <strong>die</strong> wahren (und falschen) Aussagen, Sätze oder<br />

Folgesätze speziellerer Theorien mitenthalten können. Daher ist es möglich, daß kognitive<br />

Theorien in der Lage sind, Reiz-Reaktions-Theorien zu simulieren. (Zur Frage des<br />

Wahrheitsgehaltes von Theorien und ihre Simulation durch umfassendere Systeme siehe<br />

POPPER 1973, S. 65 f. und S. 296 f.)<br />

92 Das Beispiel entnehme ich DRÖSCHER 1976.<br />

70


wird nach GUTHRIEs (1952) Kontiguitätstheorie 93 Weinen mit Zuwendung<br />

assoziieren. Das gleiche Ergebnis ist nach SKINNERs (1953)<br />

Theorie des operanten Konditionierens zu erwarten. Allerdings kommt es<br />

hier vor allem dar<strong>auf</strong> an, daß <strong>die</strong> Folge des Verhaltens für das Kind eine<br />

Bekräftigung darstellt. Das Weinen und <strong>die</strong> belohnende Folge <strong>die</strong>ses<br />

Verhaltens werden dann assoziativ miteinander verknüpft. Das Baby wird<br />

also - so sagen beide Theorien voraus - immer weinen, wenn es<br />

<strong>auf</strong>genommen werden möchte, und so seine Mutter tyrannisieren.<br />

Doch bei einer Überprüfung <strong>die</strong>ser Voraussagen trat das genaue Gegenteil<br />

ein. Gerade <strong>die</strong>jenigen Kinder, <strong>die</strong> in den ersten drei Lebensmonaten<br />

stets umsorgt wurden, wenn sie weinten, schrien in den späteren Monaten<br />

bedeutend weniger als jene, deren Schreien nicht beachtet wurde.<br />

Und weiter: Die häufig getrösteten Kinder gehorchten im Alter von neun<br />

bis zwölf Monaten in über achtzig Prozent aller Fälle, während <strong>die</strong><br />

Kinder, deren Weinen nicht beachtet wurde, in weniger als fünfzig<br />

Prozent aller Fälle gehorchten (AINSWORTH und BELL 1972).<br />

Die Anwendung der Verhaltenstheorien kann also vollkommen unerwartete<br />

und unerwünschte Folgen haben. Man muß daher annehmen, daß<br />

zwischen Reiz und Reaktion weitere Prozesse abl<strong>auf</strong>en. Diese Prozesse<br />

sollte man zu rekonstruieren versuchen, wenn man das Verhalten der<br />

Babys verstehen will. Da man <strong>die</strong>se kognitiven Prozesse nicht beobachten<br />

kann, muß man <strong>die</strong> (objektive) Problemsituation des Kindes untersuchen<br />

und von daher <strong>auf</strong> <strong>die</strong> zugrundeliegenden inneren Vorgänge schließen.<br />

Das Baby weint vermutlich, weil es Angst hat. Dies ist eine theoretische<br />

Annahme, <strong>die</strong> aus der Tatsache bzw. der Problemsituation abgeleitet<br />

wird, daß ein Baby ohne seine Mutter oder irgendeine andere Bezugsperson<br />

dem sicheren Tod ausgeliefert wäre. Und <strong>die</strong>ses Problem versucht<br />

es durch sein Weinen zu lösen. Es hat Angst, wenn es sich allein gelassen<br />

fühlt, und schreit, und je „länger das Baby schreien muß, desto tiefer<br />

brennt sich <strong>die</strong>se Angst in <strong>die</strong> Seele ein“ (DRÖSCHER 1976). Erfährt es<br />

keine Zuwendung, so stellt es sich dar<strong>auf</strong> ein, sich allein durchs Leben zu<br />

schlagen, und achtet nicht sonderlich <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Wünsche der Eltern. Es<br />

wird „ungehorsam“.<br />

93 Vgl. auch <strong>die</strong> Darstellung der Kontiguitätstheorie bei HILGARD und BOWER 1975.<br />

71


Es gibt also keine einfache Assoziation von Reiz und Reaktion <strong>auf</strong> Grund<br />

von Kontiguität oder Verstärkung. Verstärkt wird außerdem nicht eine<br />

spezielle Reaktion, sondern eine Erwartung bzw. eine Erfahrung. Travers<br />

hat <strong>die</strong>s in einleuchtender Weise begründet:<br />

„Man steckt eine Münze in den Coca-Automaten, weil man erwartet, eine Coca zu<br />

bekommen. Es ist viel plausibler zu sagen, jemand stecke Geld in den Coca-Automaten,<br />

weil er sich eine Coca erhoffe, als zu sagen, daß es jemand tue, weil er in der<br />

Vergangenheit für <strong>die</strong>se Aktivität verstärkt worden sei. Am Vormittag begibt man sich<br />

in den Raum, wo man Kaffee bekommt, weil man erwartet, dort Kaffee zu bekommen,<br />

oder geht etwa jemand nur, weil er mittels Kaffee für <strong>die</strong>sen Weg dorthin früher<br />

verstärkt worden ist? Sicherlich muß man beim erstenmal, als man zum Kaffee ging,<br />

erwartet haben, Kaffee zu bekommen, weil andere im Büro es uns gesagt hatten. Wenn<br />

<strong>die</strong> Erwartung beim erstenmal ein wichtiges Element war, warum sollte sie dann bei<br />

späteren Gelegenheiten kein wichtiges Element sein? Das Argument der Erwartung<br />

erhält durch unsere tägliche Erfahrung starke Unterstützung.“ (TRAVERS 1975, S.<br />

113-114)<br />

Daß nicht bestimmte Reaktionen, sondern Erwartungen verstärkt<br />

werden, zeigt auch eines der Experimente von SOLOMON (1964) mit<br />

Ratten. Diese Tiere wurden curasiert (Curare ist ein Gift, das <strong>die</strong> Motorik<br />

lähmt) und in einen Käfig <strong>auf</strong> ein elektrifizierbares Gitter gelegt.<br />

Unmittelbar nach dem Einschalten eines Lichtes wurde ihnen ein fast<br />

tödlicher Schock verabreicht. Da <strong>die</strong> Motorik der Tiere vorübergehend<br />

gelähmt war, konnten sie keine Reaktion ausführen. Dennoch verließen<br />

sie späterhin panikartig das Gitter, sobald das Licht <strong>auf</strong>leuchtete. Sie<br />

hatten also eine Erwartung ausgebildet, <strong>auf</strong> Grund derer sie <strong>die</strong> Reaktion<br />

konstruierten.<br />

In einem anderen Experiment von Mc FARLANE (1930) lernte je eine<br />

Gruppe von Ratten, ein Labyrinth zu durchl<strong>auf</strong>en bzw. zu durchschwimmen.<br />

Ohne neues Lernen konnte danach <strong>die</strong> L<strong>auf</strong>gruppe das Labyrinth<br />

durchschwimmen und <strong>die</strong> Schwimmgruppe es durchl<strong>auf</strong>en. Sie konnten<br />

also <strong>auf</strong> Grund ihrer Erfahrungen auch andersartige Reaktionen oder<br />

Problemlösungen synthetisieren.<br />

Die Funktion von Verstärkung und Kontiguität<br />

im Problemlösungsprozeß<br />

Was ist falsch an den Reiz-Reaktions-Theorien? Die Untersuchung des<br />

Verhaltens von Kleinkindern ergab ja, daß <strong>die</strong> Auftretenswahrscheinlichkeit<br />

der verstärkten Reaktion (das Weinen) nicht, wie vorhergesagt,<br />

zu, sondern abnahm. Die Verstärkung (<strong>die</strong> Zuwendung) wirkt also ganz<br />

anders, als nach der Theorie zu erwarten ist. Dennoch sind <strong>die</strong><br />

nachwirkenden Folgen einer Reaktion von Bedeutung, jedoch nicht<br />

unmittelbar für <strong>die</strong> Reaktion selbst, sondern für <strong>die</strong> Erwartungen, <strong>die</strong><br />

72


hinter <strong>die</strong>ser Reaktion stehen (vgl. auch TOLMAN 1936). So erwartet das<br />

Kleinkind vermutlich Schutz oder Geborgenheit. Wenn <strong>die</strong>se Erwartung<br />

(nicht Reaktion!) bei Weinen immer wieder bestätigt wird, braucht es<br />

<strong>die</strong>se Bestätigung allmählich seltener. Das Weinen ist als eine Prüfung<br />

oder Frage danach zu verstehen, ob es auch beschützt und umsorgt<br />

werde. Nachfolgende Ereignisse können <strong>die</strong>se Erwartung bestätigen oder<br />

widerlegen. Dies ist der Vorgang der Rückkopplung (vgl. 2.1.4.). Die<br />

Rückkopplung, d. h. <strong>die</strong> Analyse der nachfolgenden Ereignisse im Licht<br />

der Erwartungen, beeinflußt <strong>die</strong> Synthese weiterer Reaktionen.<br />

Wie <strong>die</strong> Folgen einer Handlung (Verstärkung), so ist auch Kontiguität<br />

von Bedeutung. Denn ohne Kontiguität, d. h. ohne raum-zeitliche Nähe<br />

von Ereignissen, könnten Beziehungen zwischen <strong>die</strong>sen Ereignissen oft<br />

nicht unmittelbar erkannt werden. Aber obwohl es einfacher ist, <strong>die</strong><br />

Beziehung zwischen zwei in raum-zeitlicher Nähe erfahrbaren Ereignissen<br />

zu erkennen, wie zwischen Blitz und Donner, sollte man nicht<br />

vergessen, daß bei vielen bedeutsamen Beziehungen, <strong>die</strong> wir entdecken<br />

können, Kontiguität nicht <strong>auf</strong>tritt, wie bei der Beziehung zwischen<br />

Angebot, Nachfrage und Preis oder zwischen Rauchen und Lungenkrebs.<br />

Die Bedeutung des Faktors Kontiguität wurde vermutlich deshalb<br />

überschätzt, weil <strong>die</strong> meisten Lernexperimente mit Aufgaben durchgeführt<br />

wurden, in denen Beziehungen willkürlich festgelegt waren, wie z.<br />

B. zwischen zwei sinnlosen Silben. Beziehungen können hier unmöglich<br />

durch <strong>die</strong> sinnvolle Anwendung von Regeln entdeckt werden. Darüber<br />

hinaus wurden in den Experimenten meist Tiere verwendet. Tiere<br />

verfügen aber im Gegensatz zum Menschen nicht über eine deskriptive<br />

und argumentative Sprache. Sie können daher komplexe Beziehungen<br />

nicht durch Beschreibungen, d.h. durch <strong>die</strong> Verbalisierung ihrer Erwartungen<br />

oder Hypothesen, und <strong>die</strong> Prüfung <strong>die</strong>ser Beschreibungen durch<br />

kritische Argumente finden 94 . Ohne <strong>die</strong>se Sprachfunktionen ist <strong>die</strong><br />

Entdeckung allgemeiner Beziehungen bedeutend schwieriger, da mit der<br />

Sprache das wichtigste Werkzeug zur Steuerung der Denk- oder<br />

Problemlösungsprozesse fehlt (vgl. DÖRNER 1976, S. 54; OERTER<br />

1974, S. 101 ff.).<br />

94 Vgl. auch POPPER 1973, S. 266.<br />

Dennoch ist auch bei Tieren Kontiguität keine notwendige Bedingung des<br />

Lernens. Ratten, denen erst Stunden nach dem Fraß eines Giftköders übel wird,<br />

bringen <strong>die</strong>ses Unwohlsein dennoch in Verbindung mit dem Köder. Sie lehnen<br />

<strong>die</strong>sen forthin ab und geben <strong>die</strong>se Information weiter an ihre Nachkommen (vgl.<br />

WALLACE 1976).<br />

73


Die Bildung sogenannter bedingter Reflexe als Problemlösen 95<br />

Kann man auch beim Lernen sogenannter bedingter Reflexe von Problemlösen<br />

sprechen? Hatten <strong>die</strong> Hunde in PAWLOWs Versuchen ein<br />

Problem? Ich behaupte, ja. Um <strong>die</strong>se Behauptung zu begründen, werde<br />

ich PAWLOWs Hundeexperiment zur Bildung bedingter Reflexe<br />

analysieren.<br />

Die Tiere waren zu Beginn des Experiments hungrig. Nun ertönte<br />

jedesmal unmittelbar vor einer kleinen Futtergabe ein Glockenton.<br />

Zunächst reagierten sie nur <strong>auf</strong> den Anblick des Futters mit Speichelfluß<br />

(unbedingter Reflex). Nach mehrfacher Wiederholung <strong>die</strong>ser Prozedur<br />

jedoch entwickelte der Organismus der Tiere eine Anpassungsreaktion,<br />

indem er bereits <strong>auf</strong> den Nahrung signalisierenden Glockenton hin<br />

verdauungsfördernden Speichel absonderte. Dieser sogenannte bedingte<br />

Reflex ist aber keineswegs identisch mit dem unbedingten Reflex,<br />

sondern ist im Gegensatz zu <strong>die</strong>sem mit einer allgemeinen Unruhe des<br />

Versuchstieres verbunden (ZENER 1937). Man kann <strong>die</strong>se Unruhe als<br />

eine Erwartungshaltung gegenüber der zu erfolgenden Futtergabe interpretieren,<br />

ähnlich der freudigen Erwartung eines Hundes, <strong>auf</strong> einen durch<br />

bestimmte Vorbereitungen signalisierten Spaziergang mitgenommen zu<br />

werden.<br />

Die Annahme, daß <strong>die</strong>ser sogenannte bedingte Reflex durch Assoziation<br />

von Glockenton und Futtergabe, d. h. von Signal und signalisiertem<br />

Ereignis, <strong>auf</strong> Grund deren raum-zeitlicher Nähe zustande kommt, scheint<br />

mir unhaltbar. Denn in raum-zeitlicher Nähe liegen auch noch andere<br />

Reize (man kann unmöglich alle anderen Reize eliminieren). Es muß also<br />

<strong>die</strong> Aufmerksamkeit <strong>auf</strong> den signalisierenden Reiz gelenkt worden sein.<br />

Das geschieht vermutlich schon dadurch, daß der Glockenton eine plötzliche<br />

Veränderung darstellt. Dennoch ist damit noch keine Beziehung<br />

zwischen Glockenton und Futtergabe gegeben. Diese Beziehung kann<br />

das Tier erst herstellen <strong>auf</strong> Grund seines Hungers und des Problems,<br />

<strong>die</strong>sen zu stillen. Die Problemlösungen bestehen zunächst darin, daß das<br />

Tier nach Nahrung sucht. Es beurteilt daher alle Umweltreize unter dem<br />

Gesichtspunkt, ob <strong>die</strong>se etwas Freßbares bedeuten könnten bzw. ob sie<br />

einen Hinweis <strong>auf</strong> Nahrung geben. (Auch der Anblick rohen Fleisches ist<br />

ja nichts weiter als ein Hinweis, ein Signal. Der Hund kann auch durch<br />

eine Attrappe getäuscht werden.) Wie schon erwähnt, erregt der Glockenton<br />

<strong>auf</strong> Grund seiner Neuheit <strong>die</strong> Aufmerksamkeit in besonderer Weise.<br />

95 Zum sogenannten bedingten Reflex vgl. FOPPA 1975, S. 15 ff.; HILGARD und<br />

BOWER 1975, S. 66 ff.; KLIX 1971, S. 359 ff.<br />

74


Anfangs synthetisiert das Tier vielleicht noch nicht <strong>die</strong> Erwartung, der<br />

Glockenton zeige eine nachfolgende Futtergabe an. Aber da er immer<br />

wieder <strong>auf</strong>tritt, scheint er eine Bedeutung zu haben. Also synthetisiert es<br />

verschiedene Bedeutungsmöglichkeiten und prüft sie. Sobald es <strong>die</strong><br />

richtige Erwartung konstruiert hat und <strong>die</strong>se Erwartung wiederholt<br />

bestätigt wird, paßt sich der Organismus an 96 . Dabei ist <strong>die</strong> Kontiguität<br />

von Signal und signalisierendem Reiz sicher insofern von Bedeutung, als<br />

der Hund <strong>die</strong> Bedeutung des Glockentons <strong>auf</strong> Grund dessen zeitlicher<br />

Nähe zur Futtergabe eher konstruieren kann. Sobald er <strong>die</strong>se Bedeutung<br />

erfaßt hat, reagiert er bereits <strong>auf</strong> das Hören, d. h. <strong>die</strong> entsprechende<br />

Entschlüsselung des Glockentons mit Speichelfluß. Bleibt der Glockenton<br />

mehrfach ohne nachfolgende Futtergabe, so wird <strong>die</strong> Hypothese<br />

<strong>auf</strong>gegeben, er signalisiere Nahrung. Der Speichelfluß bleibt dann aus 97 .<br />

Das Tier hat also das Problem gelöst, welche Reize Nahrung bedeuten<br />

bzw. eine Futtergabe signalisieren und welche nicht. So kommt es seinem<br />

Ziel, den Hunger zu stillen, näher. Ein wildlebendes Raubtier steht vor<br />

ähnlichen Problemen: wie soll es bestimmte Geräusche deuten? Als ein<br />

Zeichen für Gefahr, als <strong>die</strong> Bewegung eines Beutetieres, oder sind sie<br />

belanglos?<br />

Aber <strong>die</strong> Hunde in PAWLOWs Experimenten hatten vielleicht keine<br />

bewußten Probleme, und sie reagierten sicher nicht bewußt mit Speichelfluß<br />

<strong>auf</strong> den Glockenton. Kann man dennoch davon sprechen, daß sie<br />

Probleme lösten? Karl POPPER hat eine originelle Antwort <strong>auf</strong> <strong>die</strong>se<br />

Frage gegeben. Er weist zunächst dar<strong>auf</strong> hin, daß selbst Wissenschaftler<br />

sich über ihre Probleme oft nicht im klaren sind, auch wenn sie sie schon<br />

gelöst haben:<br />

„KEPLERs bewußtes Problem etwa war <strong>die</strong> Entdeckung der Harmonie<br />

der Welt; doch man kann sagen, das Problem, das er löste, war <strong>die</strong><br />

mathematische Beschreibung der Bewegung einer Menge von<br />

Zweikörper-Planetensystemen.“ Es ist also oft erst in der Rückschau<br />

durch unbeteiligte Beobachter möglich, ein Problem genau zu<br />

beschreiben. „So sollte es auch erlaubt sein, <strong>die</strong> Rückschau in anderen<br />

Fällen anzuwenden und von der Amöbe zu sagen, sie löse Probleme<br />

(ohne daß man anzunehmen braucht, sie sei ihrer Probleme in<br />

irgendeinem Sinne gewahr): von der Amöbe zu EINSTEIN ist es nur ein<br />

Schritt.“ (POPPER 1973, S. 273)<br />

96 Diese Betrachtung des bedingten Reflexes als Regelkreis ist nicht neu, sondern<br />

wurde in ähnlicher Weise von ANOCHIN 1961 und KLIX 1971 beschrieben.<br />

97 Vgl. FOPPA 1975, S. 15 ff. und <strong>die</strong> kritische Diskussion des bedingten Reflexes<br />

bei KLIX 1971, S. 359 ff.<br />

75


2.3.4. Transfer und Kreativität<br />

Tagtäglich haben wir Probleme zu lösen, <strong>die</strong> sich, wenn auch nur in<br />

Kleinigkeiten, von früheren unterscheiden. Zu ihrer Lösung verwenden<br />

wir unser schon vorhandenes Wissen. Es findet also ständig ein Transfer<br />

von Kenntnissen und Erfahrungen statt, denn unter<br />

„Transfer versteht man allgemein <strong>die</strong> Wiederverwendung von Kenntnissen<br />

und Erfahrungen in einer neuen oder auch gleichen Situation“.<br />

(SOMMER 1960, S. 6)<br />

Findet man aber für eine Aufgabe eine mehr oder weniger neuartige<br />

Lösung, so spricht man anstatt von Transfer von Kreativität 98 . Kreativität,<br />

Transfer und Problemlösen sind also nur verschiedene Aspekte<br />

derselben Prozesse 99 .<br />

Ich werde im folgenden Transfer und Kreativität im Rahmen<br />

verschiedener Lerntheorien betrachten und dann <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Bedingungen<br />

von Transfer und Kreativität eingehen. Zuletzt werde ich einige Anmerkungen<br />

zu Transfer und Kreativität bei niederen Organismen machen.<br />

Erklärungen von Transfer und Kreativitä 100<br />

In der von mir vorgelegten Theorie der Informationsverarbeitung ist <strong>die</strong><br />

Wiederverwendung von Kenntnissen und Erfahrungen und damit der<br />

Transfer beim Problemlösen, bei der Wahrnehmung, beim Erinnern usw.<br />

eine grundlegende Annahme. Da in der kognitiven Struktur lediglich<br />

Spuren oder Fragmente früherer Verarbeitungsprozesse gespeichert sind,<br />

ist ihre ständige Neukonstruktion und Anpassung an spezifische<br />

Situationen möglich, aber auch erforderlich. Wenn wir einem Kind<br />

erklären, warum ein fahrendes Schiff Wellen erzeugt, so tun wir das <strong>auf</strong><br />

eine andere Weise, als wenn wir denselben Vorgang einem älteren Schüler<br />

oder Studenten erklären, der Kenntnisse in Physik besitzt. Die Problemsituationen<br />

unterscheiden sich voneinander, und für jede Situation<br />

konstruiert man eine entsprechende Lösung.<br />

Im Gegensatz hierzu gehen <strong>die</strong> Assoziationstheorien von der Annahme<br />

aus, daß mit einem bestimmten Reiz auch eine bestimmte Reaktion ver-<br />

98 Auf <strong>die</strong> Gemeinsamkeiten von Transfer und Kreativität har auch GUILFORD<br />

1970, S. 142 hingewiesen.<br />

99 Die Ansicht, daß Kreativität eine spezielle Form des Problemlösens sei, wird von<br />

einer Reihe von Psychologen geteilt: vgl. TORRANCE 1965, S. 8; GUILFORD<br />

1970, S. 145; SEIFFGE-KRENKE 1974; JOHNSON 1955; NEWELL, SHAW<br />

und SIMON 1964, S. 66.<br />

100 Zusammenfassungen verschiedener Transfertheorien geben FOPPA 1975, S. 221 f.;<br />

KLAUSMEIER und RIPPLE 1975, Bd. 4, S. 25 f.; TRAVERS 1975, S. 178 f.; v.<br />

PARREREN 1972 a, S. 228 f.; AUSUBEL 1974, S. 136 f.<br />

76


knüpft wird. FOPPA (1975, S. 397) beschreibt <strong>die</strong> sich daraus ergebenden<br />

Schwierigkeiten so:<br />

„Will man <strong>die</strong>sen Ansatz <strong>auf</strong> Lernsituationen in der natürlichen Umwelt<br />

übertragen, steht man vor der unlösbaren Aufgabe, <strong>die</strong> nicht vorhandenen<br />

gleichbleibenden Reizelemente in den wechselnden Reizsituationen<br />

zu identifizieren. Konsequenterweise stellt daher <strong>die</strong> Frage, wie es denn<br />

möglich ist, daß ein gelerntes Verhalten unter veränderten Umständen<br />

<strong>auf</strong>treten kann (Generalisation), ein zentrales Problem <strong>die</strong>ser Theorien<br />

dar.“<br />

Natürlich hat man versucht, Transfer durch Zusatzhypothesen zu<br />

erklären. Dennoch haben - wie FOPPA (1975, S. 397) ausführt - <strong>die</strong>se<br />

„Modifikationen und Erweiterungen der traditionellen Systeme bisher<br />

keinen nennenswerten theoretischen Fortschritt mit sich gebracht“.<br />

Ebenso schwierig ist es für <strong>die</strong> Assoziationstheorien, kreatives Verhalten<br />

zu erklären. Einer der wenigen Versuche, Kreativität im Rahmen des<br />

Reiz-Reaktions-Konzepts zu verstehen, stammt von MEDNICK (1962).<br />

Er geht davon aus, daß kreative Personen nicht nur <strong>die</strong> festesten, d. h. <strong>die</strong><br />

am häufigsten <strong>auf</strong>tretenden und verstärkten Reaktionen assoziieren,<br />

sondern alle gespeicherten Reaktionen, <strong>die</strong> verfügbar sind, gleichermaßen<br />

produzieren. Das wird dadurch ermöglicht, daß Verstärkungen bei<br />

Kreativen eine weniger nachhaltige Wirkung haben und daß zudem <strong>die</strong><br />

Auslöschung von selten oder nicht verstärkten Assoziationen langsamer<br />

vor sich geht als bei Nicht-Kreativen. Auf Grund <strong>die</strong>ser Unterschiede<br />

speichern Kreative mehr und auch andere Assoziationen als Nicht-<br />

Kreative. Kreative können daher in gleichen Reizsituationen andersartige<br />

und seltenere Assoziationen produzieren als Nicht-Kreative.<br />

Doch kann <strong>die</strong>se Theorie kaum befriedigen. Wenn <strong>die</strong> Assoziationsstärke<br />

abgeschwächt, d.h. <strong>die</strong> Verstärkungsfunktion beeinträchtigt ist, wie<br />

werden dann <strong>die</strong> brauchbaren kreativen Assoziationen für das weitere<br />

Verhalten ausgewählt? Denn zur Erklärung der Auswahl des vermuteten<br />

besten Verhaltens benötigt <strong>die</strong> Assoziationstheorie <strong>die</strong> Funktion der<br />

Verstärkung. Wie aber, wenn <strong>die</strong>se Funktion abgeschwächt ist? 101<br />

Darüber hinaus scheint mir Assoziation ein allzu einfacher Mechanismus<br />

zu sein, um komplexe künstlerische und wissenschaftliche Leistungen<br />

erklären zu können. Diesen Zweifel äußern auch MILLER, GALANTER<br />

und PRIBRAM (1973, S. 134):<br />

101 Zur Kritik der assoziationstheoretischen Erklärungen von Kreativität vgl. auch<br />

KRAUSE (1977, S. 74 f.).<br />

77


„Nehmen wir einmal an, <strong>die</strong>se Operation, bei der man einfach Elemente<br />

zusammenfügt, wäre verfügbar, und sie wäre billig und leicht genug, um<br />

dem schweifenden menschlichen Intellekt zu <strong>die</strong>nen. Was fangen wir<br />

aber damit an? Vielleicht sind wir imstande, zwei Bretter zusammenzunageln,<br />

aber genügt das, um ein Haus zu bauen?“<br />

Im Gegensatz zur Assoziationstheorie bereitet <strong>die</strong> Erklärung kreativen<br />

Verhaltens im Rahmen der hier vertretenen kognitiven Theorie keine<br />

Schwierigkeiten. Nach <strong>die</strong>ser Theorie besteht jedes Verhalten aus<br />

Konstruktionen, wobei dann manche <strong>die</strong>ser Konstruktionen origineller<br />

sein können als andere. Ich werde <strong>die</strong>s im weiteren etwas näher<br />

ausführen.<br />

Wenn wir neuartige, d. h. kreative Problemlösungen finden, dann erscheinen<br />

uns <strong>die</strong>se charakteristischerweise als plötzliche Einfälle, <strong>die</strong> uns ohne<br />

eigenes Zutun überkommen 102 . Auch SEIFFGE-KRENKE (1974, S. 43)<br />

kommt nach einer sorgfältigen Analyse der Kreativitätsliteratur zu dem<br />

Schluß, daß „Kreativität ... sich vom Problemlösen ... vor allem in der<br />

stärkeren Betonung der unbewußten Prozesse“ unterscheidet. Kreative<br />

Konstruktionen werden also vorwiegend von der präattentiven Stufe<br />

ausgeführt. Da <strong>die</strong> präattentiven Mechanismen nicht sequentiell, sondern<br />

parallel und hierarchisch arbeiten, können sie zu gleicher Zeit viele<br />

verschiedene Konstruktionen erzeugen. Sie verwenden dazu <strong>die</strong> Speicherinhalte<br />

des Langzeit- und des Arbeitsgedächtnisses. Wenn eine <strong>die</strong>ser<br />

flüchtigen Grobkonstruktionen von besonderer Bedeutung für das vom<br />

bewußten Selbst bearbeitete Problem erscheint, wird es <strong>die</strong>sem zugewiesen<br />

bzw. von <strong>die</strong>sem erfaßt und für dessen Konstruktionen benutzt 103 .<br />

jede vorläufige Ausarbeitung einer Idee beeinflußt rückwirkend über das<br />

Arbeitsgedächtnis wiederum <strong>die</strong> Konstruktionen der präattentiven Stufe<br />

(vgl. Abb. 2, S. 30). Daraus folgt, daß <strong>die</strong> kreativen Einfälle gewöhnlich<br />

genauer und brauchbarer werden, je länger man sich mit einem Problem<br />

beschäftigt hat.<br />

Da der kreative Prozeß Teil eines Problemlösungsprozesses ist, ist er<br />

ebenfalls zielgerichtet, d. h. <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Lösung eines Problems gerichtet (vgl.<br />

auch KLAUSMEIER und RIPPLE 1975, Bd. 3, S. 168 ff.). Man braucht<br />

102 Vgl. OERTER 1974, S. 286. Es ist in <strong>die</strong>sem Zusammenhang auch interessant, daß <strong>die</strong>ser<br />

subjektive Eindruck des plötzlichen Vorhandenseins von Ideen zu den Erkenntnistheorien<br />

des eingeborenen Wissens, das wiederentdeckt werden muß, sowie des durch Musen<br />

offenbarten Wissens führte. Siehe hierzu POPPER 1972, S. 9 f.<br />

103 Zu <strong>die</strong>ser Auffassung des kreativen Prozesses vgl. vor allem NEISSER 1963; 1974; S. 372<br />

ff.<br />

78


nur einmal jemanden <strong>auf</strong>zufordern, kreativ zu sein und Einfälle zu produzieren..<br />

Er wird fragen, wozu kreativ, was für Einfälle. Ein Maler kann<br />

nicht einfach kreativ malen, er muß schon wissen, was er will, er muß<br />

irgendeine Idee haben, <strong>die</strong> er ausarbeiten kann (vgl. JAXTHEIMER<br />

1963, S. 387 ff.).<br />

Im folgenden werde ich <strong>die</strong> Bedingungen für <strong>die</strong> Erzeugung kreativer<br />

Konstruktionen ausführlicher untersuchen.<br />

Bedingungen von Transfer und Kreativität<br />

Die Bedingungen für kreatives Verhalten gelten stets auch für den<br />

Transfer. Wie oben ausgeführt, unterscheidet sich kreatives Verhalten<br />

vom Transfer lediglich durch eine gewisse Originalität. Um <strong>auf</strong> einem<br />

bestimmten Gebiet vielfältige und kreative Ideen entwickeln zu können,<br />

ist eine für <strong>die</strong>ses Gebiet möglichst breit differenzierte kognitive Struktur<br />

erforderlich (vgl. auch KÖNIG und SCHRELL 1973, S. 104 ff.;<br />

AUSUBEL 1974, S. 601; NEWELL, SHAW und SIMON 1964, S. 107).<br />

Jemand, der ein umfassendes Wissen hat, verfügt damit auch über <strong>die</strong><br />

wichtigste Voraussetzung, um viele und verschiedenartige Problemlösungen<br />

konstruieren zu können. Und <strong>die</strong>se Lösungen können um so<br />

kreativer oder neuartiger ausfallen, je mehr unterschiedliche Aspekte <strong>auf</strong><br />

Grund der Differenziertheit und Integriertheit der kognitiven Strukturen<br />

berücksichtigt werden (vgl. KÖNIG und SCHRELL 1973, S. 104 ff.).<br />

Tatsächlich zeichnen sich kreative Personen dadurch aus, daß sie<br />

vielseitige Interessen haben und hart und ausdauernd arbeiten (vgl.<br />

SEIFFGE-KRENKE 1974, S. 194). Der Kreative verarbeitet Informationen<br />

<strong>auf</strong> vielfältige Weise bis in <strong>die</strong> feinsten Verästelungen eines<br />

Problems hinein. Er kennt daher <strong>die</strong> Schwierigkeiten eines Problems viel<br />

besser als andere. Steht er einer neuen Aufgabe gegenüber, kann er viele<br />

Verbindungen herstellen, denn <strong>auf</strong> Grund der differenzierten kognitiven<br />

Strukturen erzeugen <strong>die</strong> präattentiven Mechanismen weit mehr Einfälle,<br />

als ohne <strong>die</strong> vorhergehende Verarbeitung anderer Probleme möglich<br />

gewesen wäre 104 . So haben z. B. viele Menschen vor james WATT <strong>die</strong><br />

Dampfkraft beobachten können und erfaßten doch nicht <strong>die</strong> Möglichkeit,<br />

<strong>die</strong>se Kraft auszunutzen (vgl. OERTER 1974, S. 292). Im Gegensatz zu<br />

WATT hatten sie vermutlich das Problem einer „Kraftmaschine“ nicht in<br />

allen Aspekten durchdacht.<br />

104 Vgl. auch <strong>die</strong> Charakterisierung kreativer Personen bei SEIFFGE-KRENKE 1974,<br />

S. 134 f.<br />

79


Eine weitere Folge differenzierter kognitiver Strukturen ist, daß sie eher<br />

<strong>die</strong> Auffindung von Widersprüchen ermöglichen. Nur dadurch, daß man<br />

seine Lösungen immer wieder <strong>auf</strong> dem Hintergrund seines Wissens<br />

kritisiert, und indem man <strong>die</strong> Konsequenzen einer bestimmten Lösung<br />

oder Zielvorstellung analysiert, wird man zur Suche nach besseren<br />

Lösungen angeregt. Kritik erzeugt kognitives Ungleichgewicht und führt<br />

so zu ständiger Problemlösungsaktivität. So weisen eine Reihe der<br />

Untersuchungen bei kreativen Schülern entsprechende Persönlichkeitscharakteristika<br />

nach: Kreative stellen mehr Fragen als weniger kreative;<br />

sie sind skeptischer eingestellt und probieren <strong>die</strong> Theorien anderer selbst<br />

aus, anstatt sie einfach zu übernehmen 105 . Nicht <strong>auf</strong>gedeckte Widersprüche<br />

dagegen wirken wie Barrieren. So waren <strong>die</strong> meisten der bewußt<br />

herbeigeführten gesellschaftlichen Veränderungen wohl nur möglich <strong>auf</strong><br />

Grund der Entdeckung, daß Normen, Sitten usw. keine unveränderlichen<br />

Naturgesetze sind (vgl. POPPER 1970, Bd. 1, S. 90 f.). Wer aber noch<br />

durch kulturelle Konventionen und/oder <strong>die</strong> stete Anwendung von<br />

Standardlösungen blockiert ist, der kann nur schwerlich kreativ sein. Er<br />

wird immer ausgefahrene Wege benutzen und Transfer nur innerhalb<br />

enger Grenzen erreichen 106 .<br />

Auf eingespielte Lösungen greift man vor allem in Notsituationen, bei<br />

Leistungsdruck oder Erfolgszwang zurück (vgl. 2.2.3.), um Streß, d. h.<br />

hohe Aktivation, möglichst schnell verringern zu können. Eine Grundbedingung<br />

für kreatives Verhalten ist also Freiheit von Angst. Tatsächlich<br />

scheinen Kreative durch geringe Ängstlichkeit und geringes<br />

Erfolgsstreben gekennzeichnet zu sein (vgl. SEIFFGE-KRENKE 1974,<br />

S. 135-136).<br />

Weiterhin werden Transfer und Kreativität durch <strong>die</strong> tatsächliche<br />

Ausarbeitung von Ideen oder Aufgabenstellungen gefördert. Erst<br />

objektivierte Ausarbeitungen ermöglichen <strong>die</strong> Entdeckung und Korrektur<br />

von Fehlern. Die objektiv vorliegenden Ausarbeitungen können als<br />

externe Speicher betrachtet werden, deren Inhalte im Gegensatz zu denen<br />

105 Vgl. <strong>die</strong> bei SEIFFGE-KRENKE 1974, S. 134 referierten Befunde.<br />

106 Vgl. z. B. <strong>die</strong> Untersuchungen zur funktionellen Gebundenheit von LUCHINS<br />

1971 und 1950, der zeigt, daß Versuchspersonen, <strong>die</strong> mehrere Aufgaben nach einem<br />

festgelegten Schema gelöst haben, <strong>die</strong>ses Schema auch <strong>auf</strong> Aufgaben anwenden, <strong>die</strong><br />

sehr viel einfacher zu lösen sind. Nach der hier vertretenen Theorie ist <strong>die</strong>ser Effekt<br />

folgendermaßen zu erklären: Durch <strong>die</strong> mehrmalige Anwendung wurde <strong>die</strong> im<br />

Arbeitsgedächtnis gespeicherte Lösungsstruktur weitgehend ausgearbeitet. Es ist<br />

daher einfacher, <strong>die</strong>se zu benutzen, als <strong>die</strong> Spuren einer zwar angemesseneren, aber<br />

noch nicht ausgearbeiteten Struktur aus dem Langzeitgedächtnis heranzuziehen.<br />

80


der Gedächtnisse voll erhalten bleiben. Diese objektiven Speicherinhalte<br />

steuern rückwirkend <strong>die</strong> Konstruktion kreativer Einfälle, <strong>die</strong> dadurch eine<br />

stärkere Problembezogenheit erhalten (vgl. auch 2.1.4.). Aber ohne <strong>die</strong><br />

ständige Kritik des schon vorhandenen ist wiederum <strong>die</strong> Gefahr von<br />

Blockierungen zu erwarten (siehe oben).<br />

Transfer und Kreativität bei niederen Organismen<br />

Transfer und Kreativität sind Leistungen, <strong>die</strong> keineswegs <strong>auf</strong> den<br />

Menschen beschränkt sind. Man findet sie schon bei Insekten. So wurden<br />

in einem Experiment mit eintausend Spinnen Fäden in <strong>die</strong> Netze <strong>die</strong>ser<br />

Spinnen gehängt und dadurch unbrauchbar gemacht. Dar<strong>auf</strong>hin verließen<br />

achthundert der Spinnen ihre Netze und bauten an anderer Stelle jeweils<br />

ein neues Netz. Einhundertvierundneunzig Spinnen bauten ihre Netze so<br />

um, daß <strong>die</strong> Fäden nicht mehr störten. Sechs Spinnen aber verpackten <strong>die</strong><br />

Fäden zu Knäueln und hingen <strong>die</strong>se außerhalb des Netzes an der Decke<br />

<strong>auf</strong>, so daß sie nicht mehr störten. Dieses Verhalten ist zwar im<br />

Repertoire einer Spinne enthalten - sie gehen in <strong>die</strong>ser Art mit ihrer<br />

Beute um -, aber daß es auch <strong>auf</strong> einen störenden Faden angewandt wird,<br />

ist eine kreative Übertragung <strong>die</strong>ser Verhaltensweise. Das Verhalten der<br />

Insekten ist also nicht vollkommen durch sogenannte Instinkte gesteuert<br />

(sonst würden sich ja alle gleich verhalten haben), sondern sie können -<br />

wie Menschen - ihre angeborenen Verhaltensweisen zu vielfältigen und<br />

beliebigen Konstruktionen verwenden 107 .<br />

Der Einwand, daß Tiere bestimmte Verhaltensweisen uneinsichtig und<br />

blind anwenden, trifft auch <strong>auf</strong> den Menschen zu. So essen wir heute<br />

noch so kalorienreich, wie man vor dreißig oder hundert Jahren aß,<br />

obwohl sich <strong>die</strong> Lebensbedingungen extrem gewandelt haben und<br />

beinahe täglich in den Me<strong>die</strong>n <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Schädlichkeit <strong>die</strong>ser Eßgewohnheiten<br />

hingewiesen wird. Auch in anderen Bereichen, sei es in Schule,<br />

Wirtschaft, Krankenhäusern usw., halten <strong>die</strong> Menschen an Gewohnheiten<br />

und Methoden fest, auch wenn bekannt ist, daß sie überholt sind und daß<br />

es bessere gibt. Max PLANCK ging sogar so weit zu behaupten, als falsch<br />

erkannte wissenschaftliche Theorien würden nur <strong>auf</strong>gegeben werden, weil<br />

ihre Vertreter eines Tages sterben. Der einzige wirklich bedeutsame<br />

Unterschied scheint also tatsächlich darin zu bestehen, daß Menschen, im<br />

Gegensatz zu Tieren, ihre Hypothesen sprachlich formulieren und sie<br />

daher kritisieren und verbessern können (vgl. POPPER 1973, S. 273).<br />

107 ZDF: Können Tiere denken? Sendung am 22. Oktober 1976.<br />

81


2.4. Zusammenfassung der wesentlichen Merkmale der Theorie<br />

1. Jeder Organismus ist ein offenes und bis zu seinem Tod aktives<br />

System, das nach Gleichgewicht strebt. Auf Grund der ständigen Aktivität<br />

des Organismus und der ständigen Interaktion mit seiner Umwelt ist<br />

sein Gleichgewicht in jedem Augenblick Störungen ausgesetzt. Es muß<br />

daher ständig geregelt werden. Auch <strong>die</strong> Aktivität selbst ist eine<br />

Regelgröße, denn es wird eine mittlere Aktiviertheit angestrebt, Unterund<br />

Überaktivation werden vermieden.<br />

2. Jeder Organismus verfügt über ein angeborenes und ein durch Lernen<br />

erworbenes Wissen, über bestimmte Fähigkeiten und Ziele. Zusammenfassend<br />

bezeichne ich <strong>die</strong>se Eigenschaften als kognitive Strukturen.<br />

Sie bilden eine Art internes oder subjektives Modell der Beziehungen des<br />

Individuums zur Umwelt. Auf Grund <strong>die</strong>ses Modells kann der Organismus<br />

Informationen entschlüsseln, ihnen einen bestimmten Wert zuschreiben<br />

und entsprechende Handlungen ausführen.<br />

3. Die Entschlüsselung erfolgt vorwiegend durch unbewußte, automatisch<br />

gesteuerte Mechanismen (präattentive Mechanismen). Ständig<br />

synthetisieren <strong>die</strong>se Mechanismen <strong>auf</strong> Grund der kognitiven Strukturen<br />

und vorangegangener Ereignisse Erwartungen, in deren Licht <strong>die</strong><br />

Sinnesinformation analysiert wird (Analyse durch Synthese).<br />

4. Diese präattentiven Mechanismen entschlüsseln <strong>die</strong> Sinnesinformation<br />

sehr schnell und daher ungenau. Aber <strong>die</strong>se vorläufige Entschlüsselung<br />

genügt, um Reize, <strong>die</strong> <strong>auf</strong> Grund der Erwartungen als relevant erachtet<br />

werden, von nicht relevanten zu unterscheiden. Nur <strong>die</strong>se als bedeutsam<br />

erachteten Informationen werden <strong>auf</strong>merksam verarbeitet.<br />

5. Als bedeutsam erscheinen jene Informationen, <strong>die</strong> geeignet sind, das<br />

System der kognitiven Strukturen zu bestätigen, zu korrigieren oder zu<br />

erweitern. Die kognitive Entwicklung eines Individuums ist also gerichtet<br />

und führt zu einer immer umfassenderen Differenzierung und<br />

Integrierung der erweiterten kognitiven Strukturen. Gesteuert wird <strong>die</strong>se<br />

Entwicklung durch das Streben des Individuums nach Gleichgewicht und<br />

<strong>die</strong> Interaktion des Individuums mit einer strukturierten Umwelt.<br />

82


6. Diese Interaktion erzeugt ständig Probleme, deren Lösung zu<br />

Veränderungen und Anpassungen der kognitiven Strukturen, zu Lernen,<br />

führt. Zur Lösung der Probleme verwendet das Individuum seine jeweils<br />

vorhandenen kognitiven Strukturen als Rohmaterial und versucht, sie<br />

dem Problem entsprechend umzuformen oder neu zu konstruieren.<br />

83


3. WIE MAN DAS LERNEN ERLEICHTERN KANN<br />

Die Erziehungswissenschaft hat eine für <strong>die</strong> Praxis kaum überschaubare<br />

Fülle von Verfahren, Methoden, Me<strong>die</strong>n usw. entwickelt, um <strong>die</strong> Lernenden<br />

bei der Verarbeitung von Information zu unterstützen. Die genetische<br />

Lehrstrategie, <strong>die</strong> in <strong>die</strong>ser Arbeit durch den kritischen Rationalismus<br />

und <strong>die</strong> dargestellte Theorie der Informationsverarbeitung begründet<br />

wird, ermöglicht es, zahlreiche Verfahren und Methoden überschaubar<br />

zu ordnen und einheitlich zu interpretieren.<br />

Die genetische Lehrstrategie ist ein Mittel, um <strong>die</strong> kognitiven Strukturen<br />

der Lernenden in rationaler oder forschungslogischer Weise <strong>auf</strong>zubauen<br />

(3.1. Der Aufbau von Wissen durch Lehrstrategien). Dabei kann man bei<br />

gleicher Lehrstrategie sowohl darbietende als auch erarbeitende Lehrverfahren<br />

verwenden (3.3. Die Steuerung von Lernhandlungen durch Lehrverfahren).<br />

Die dadurch <strong>auf</strong>gebauten kognitiven Strukturen wiederum<br />

steuern oder motivieren das weitere Verhalten des Individuums (3.2.<br />

Motivierung).<br />

3.1. Der Aufbau von Wissen durch Lehrstrategien<br />

3.1.1. Systemvermittelnde und genetische Lehrstrategie<br />

Das Lernen in Schule, Studium und Beruf wird verstanden als <strong>die</strong><br />

Aneignung von Lehrstoff. Aber was ist unter Lehrstoff zu verstehen?<br />

Zunächst ist er ein Teil der Wissenschaft, der Kunst, der Technik usw.<br />

oder allgemein der „Welt der geistigen Gegenstände“ (POPPER). Wie ich<br />

nun bereits in 2.1.1. ausgeführt habe, gibt es im wesentlichen zwei<br />

Auffassungen von der Struktur <strong>die</strong>ses Wissens. Während es in 2.1.1.<br />

jedoch vorwiegend um das individuelle oder psychologische Wissen ging,<br />

soll hier das objektive, das heißt das in Büchern, Zeitschriften usw.<br />

fixierte und daher intersubjektiv zugängliche Wissen Gegenstand der<br />

Untersuchung sein.<br />

85


Die unterschiedlichen Vorstellungen von der Struktur des objektiven<br />

Wissens (und auch der Entwicklung kognitiver Strukturen, 2.1.1.) sind<br />

von großer Bedeutung für <strong>die</strong> Anordnung des Lehrstoffs für <strong>die</strong> Lernenden<br />

1 .<br />

Die eine Auffassung nun sieht das objektive Wissen als eine Anhäufung<br />

oder Summe von Ergebnissen oder Erkenntnissen, als etwas mehr oder<br />

weniger Fertiges, Abgeschlossenes; neue Erkenntnisse werden zu den<br />

schon vorhandenen hinzugefügt wie neuerstandene Werkzeuge in einen<br />

Werkzeugschrank. Eine Systematik <strong>die</strong>ses Wissens ergibt sich, wenn das<br />

gesamte Wissen nach Gebieten, Begriffen usw. geordnet wird. Die<br />

meisten Lehrbücher sind in <strong>die</strong>ser Weise <strong>auf</strong>gebaut. Sie enthalten den<br />

Lehrstoff als kanonisierte und zu lernende Requisiten. Beispielsweise ist<br />

fast jedes Physiklehrbuch nach den Kapiteln Mechanik, Akustik, Wärmelehre,<br />

Optik, Magnetismus und Elektrizitätslehre geordnet. Und innerhalb<br />

<strong>die</strong>ser Kapitel folgen wiederum Begriffe und Gesetze in systematischer<br />

Reihenfolge. Die Schüler lernen also ein System von Regeln oder Sätzen,<br />

<strong>die</strong> sie als Techniken zur Lösung von Aufgaben einsetzen können. Ich<br />

werde Strategien, <strong>die</strong> versuchen fertige Systeme zu vermitteln, im folgenden<br />

als systemvermittelnde oder technologische Lehrstrategien bezeichnen<br />

2 .<br />

ie andere Auffassung betrachtet das objektive Wissen als eine Welt von<br />

Problemen und von vorläufigen Problemlösungen. Jede vorläufige Problemlösung<br />

führt ihrerseits wieder zu neuen, veränderten Problemstellungen,<br />

<strong>die</strong> stets neue Lösungen und Verbesserungsversuche nach sich<br />

ziehen (vgl. POPPER 1973, S. 123 ff. und S. 137 ff.). Ein Beispiel für<br />

<strong>die</strong>se Auffassung ist das Buch von EINSTEIN und INFELD (1950):<br />

„Die Evolution der Physik“. EINSTEIN und INFELD geben darin<br />

einen Überblick über <strong>die</strong> Problementwicklung der Physik im oben<br />

beschriebenen Sinne. Sie beginnen mit der Problemstellung, dem „Rätsel<br />

der Natur“, und beschreiben dann als vorläufige Antwort <strong>auf</strong> <strong>die</strong>ses<br />

Problem den „Aufstieg des mechanischen Denkens“. Aber <strong>die</strong> Theorien<br />

der Elektrizität und des Lichts führen zum „Niedergang des mechanistischen<br />

Denkens“ und zur Relativitäts- und Quantentheorie und damit<br />

zu einem neuen, aber wiederum nur vorläufigen, physikalischen Weltbild.<br />

1<br />

2<br />

Die hier dargestellte Theorie des objektiven Wissens führt keineswegs logisch<br />

zwingend zu einer bestimmten Lehrstrategie, sondern <strong>die</strong> Berücksichtigung der<br />

Theorie beruht stets <strong>auf</strong> einer Entscheidung. Theorien können zwar <strong>die</strong><br />

Aufmerksamkeit <strong>auf</strong> bestimmte Handlungsmöglichkeiten lenken, doch ist <strong>die</strong>se<br />

Lenkung nicht starr, denn man kann seine Theorien vor jeder Lenkung kritisieren<br />

und verändern.<br />

Zum Begriff der Lehrstrategie vgl. v. CUBE 1977, S. 30 ff.<br />

86


Nach <strong>die</strong>ser letzteren Auffassung erhält <strong>die</strong> Welt des Wissens ihre Struktur<br />

durch <strong>die</strong> ihr eigentümliche Problementwicklung. Bei einer<br />

Lehrstrategie, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se Problementwicklung oder -entstehung (Genese)<br />

berücksichtigt, werden <strong>die</strong> Schüler dazu geführt, in der gleichen Weise zu<br />

lernen wie ein Forscher. Doch ist <strong>die</strong> problementwickelnde oder<br />

genetische Lehrstrategie nicht das, was der Forscher, sondern was der<br />

Lehrer tut, um <strong>die</strong> Schüler zu forschendem Lernen zu veranlassen.<br />

Die obigen Ausführungen zur Problementwicklung in der Wissenschaft<br />

gelten auch für <strong>die</strong> Entwicklungen in anderen Bereichen. Es gibt allerdings<br />

gewisse Unterschiede zwischen Technik und Wissenschaft. Während<br />

wissenschaftliche Theorien an dem Ziel der Wahrheit, d. h. – der<br />

Übereinstimmung der Aussagen mit der Wirklichkeit, gemessen werden<br />

und daher falsch oder wahr sein können, ist <strong>die</strong>s bei Techniken oder<br />

Werkzeugen nicht der Fall. Ein Werkzeug kann nicht wahr oder falsch<br />

sein; es kann für einen Zweck mehr oder weniger gut geeignet sein 3 .<br />

Wissenschaft und Technik haben also verschiedene Ziele, sie gleichen<br />

sich aber hinsichtlich ihrer Problementwicklung. So entstehen auch in der<br />

Technik stets neue Probleme durch vorangegangene Lösungen. Wenn<br />

etwa ein Auto zwar komfortabel und sicher ist, aber zu viel Energie<br />

verbraucht, dann ergibt sich dadurch eine neue, veränderte<br />

Problemstellung. Ebenso ist <strong>die</strong> Problementwicklung in der Kunst. So<br />

beschreibt GOMBRICH (1978, S. 17 ff.; 1967), wie das in der<br />

Vergangenheit von Künstlern angenommene Problem, eine Illusion der<br />

Wirklichkeit zu schaffen, zu einer Auseinandersetzung mit <strong>die</strong>sem<br />

Problem und in der Folge zur Suche nach neuen Problemen führte. Und<br />

sicher ist es im Sport ganz ähnlich, denn im Wettkampf denkt jeder der<br />

Gegner sich stets neue und möglichst überlegenere Techniken aus, <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />

anderen immer wieder vor neue Probleme stellen.<br />

Im folgenden beschreibe ich zunächst <strong>die</strong> systemvermittelnde oder technologische<br />

Lehrstrategie als Abgrenzung zur genetischen Lehrstrategie<br />

und diskutiere ihre Begründung, ihre Folgen und einige Anwendungsmöglichkeiten.<br />

Anschließend werde ich <strong>die</strong> oben nur kurz besprochene<br />

Auffassung des objektiven Wissens als Problementwicklung eingehender<br />

erörtern und <strong>die</strong> genetische Lehrstrategie darstellen.<br />

3 Die Auffassung, daß Theorien Werkzeuge seien, wird allerdings auch vertreten (z. B.<br />

von HEISENBERG). POPPER referiert <strong>die</strong>se Auffassung und zeigt, daß sie falsch ist<br />

(vgl. POPPER 1972, S. 111 f.).<br />

87


Die systemvermittelnde Lehrstrategie<br />

als Abgrenzung zur genetischen Lehrstrategie<br />

Darstellung der systemvermittelnden Lehrstrategie<br />

Das Ziel der systemvermittelnden oder technologischen Lehrstrategie ist<br />

<strong>die</strong> Kenntnis eines bestimmten Gebietes und <strong>die</strong> Lösung von Aufgaben<br />

mit Hilfe <strong>die</strong>ses Wissens. So wird <strong>die</strong> Kenntnis der Regeln „Minus mal<br />

Minus gibt Plus“ oder der Klammerregeln vermittelt und angewandt, aber<br />

man lernt nicht, wie man zur Setzung <strong>die</strong>ser Regeln kommen kann und<br />

warum eine derartige Festlegung von Regeln innerhalb der Mathematik<br />

sinnvoll ist.<br />

Man geht davon aus, daß eine möglichst umfassende und systematische<br />

Kenntnis des betreffenden Gebietes auch zu seinem Verständnis führt.<br />

Daher wird der Lehrstoff bei <strong>die</strong>ser Lehrstrategie in seine Grundbegriffe<br />

oder Elemente und Grundoperationen <strong>auf</strong>gelöst, und <strong>die</strong>se werden dann<br />

systematisch zu den entsprechenden Theorien, Regeln oder einem<br />

anderen Ganzen wieder zusammengefügt 4 . Nach seiner Speicherung <strong>die</strong>nt<br />

es dazu, eine Reihe von Aufgaben damit zu lösen.<br />

4 Zur Zergliederung des Lehrstoffes benutzt man u. a. <strong>die</strong> Relationenlogik (vgl. KLAUER<br />

1974, S. 93 ff. sowie SCHOTT 1975). Um den Vorgang der Zerlegung etwas zu<br />

veranschaulichen, zitiere ich ein Beispiel (aus KLAUER 1974, S. 97 f.):<br />

Der Lehrstoff sei durch folgende Aussage gegeben:<br />

„Die Sonnenstrahlen treffen <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Wasseroberfläche und erwärmen sie. Dadurch steigen<br />

Billionen unsichtbarer kleiner Wasserteilchen in <strong>die</strong> Luft und bilden den Wasserdampf.<br />

Man sagt: Das Wasser verdunstet. Wenn viel Wasserdampf in der Luft steckt, ist sie feucht.<br />

Umgekehrt ist es bei trockener Luft.“ (S. 97)<br />

Diese Aussage wird nun transformiert in folgende logische Lehrstoffstruktur:<br />

u u<br />

„(a 1 R 1 a:->a 1 R 2 a 2 ->[R 3 a 3 R 4 a 4 =R 2 a 3 R 5 a 5 ]) = a 6 R 6 R 8 a 6 R 6 ->a 4 Ř 7 R 8 a 6 Ř 6 ->a 4 R 7 " (S. 101)<br />

Mit Hilfe des folgenden Lexikons läßt sich <strong>die</strong>ser Text wiederum inhaltlich interpretieren:<br />

a 1 : Sonnenstrahlen<br />

a 2 : Wasseroberfläche<br />

a 3 : unsichtb. kl. Wasserteilchen a 4 : Luft<br />

a 5 : Wasserdampf<br />

a 6 : Wasser<br />

R 1 : . . treffen <strong>auf</strong> . . .<br />

R 2 : . . . erwärmen<br />

R 3 : Billionen von . . . R 4 : . . . steigen in . . .<br />

R5: . . . bilden . . R6: . . verdunsten<br />

R7: . . . ist trocken R8: viel von .<br />

Řx: nicht Rx -. . . . ist gleichbedeutend mit . . .<br />

u: . . . ist Ursache von . . . ->: wenn . . ., dann . . .' (S. 101)<br />

Weiterhin erleichtert <strong>die</strong>se Formalisierung des Lehrstoffes <strong>die</strong> Bestimmung der möglichen<br />

Lehrziele und Test<strong>auf</strong>gaben: Die Kenntnis der Elemente „erweist sich in der<br />

richtigen Beantwortung aller Fragen nach den vorhandenen i's." Die weiteren<br />

Lernziele bestehen in der „Kenntnis der Definitionen", der „Kenntnis der<br />

Relationen zwischen p“ und <strong>die</strong> „Kenntnis größerer Zusammenhänge“. (S.<br />

111-112)<br />

88


Die Erleichterung des Lernens durch Aufteilung des Lehrstoffes in kleine<br />

Einheiten ist eine bewährte didaktische Methode, <strong>die</strong> immer mehr<br />

verfeinert und vervollkommnet worden ist. So kann man etwa <strong>die</strong><br />

Beziehungshaltigkeit oder Komplexität der einzelnen Einheiten analysieren<br />

und für den Lehrprozeß nach ansteigender Komplexität und damit<br />

auch nach ansteigendem Schwierigkeitsgrad ordnen (vgl. WELTNER<br />

1970, S. 128 ff.). Beispielsweise beginnt ein verbreitetes Physiklehrbuch<br />

mit dem Begriff der Kraft, geht von da über zur Kraftmessung und<br />

kommt dann zum Hookeschen Gesetz, das Kraft und <strong>die</strong> Dehnung einer<br />

Feder (Kraftmessung) in Beziehung zueinander setzt (BRENNEKE und<br />

SCHUSTER 1970, S. 6-16). Systematisch wird so - wie WAGEN-<br />

SCHEIN (1976, S. 143) es formuliert - das Gebäude der Physik<br />

„besichtigt“, denn es gibt keine Probleme, <strong>die</strong> zu seiner Errichtung<br />

„nötigen“ würden. In der gleichen Weise werden auch <strong>die</strong> Forschungsmethoden<br />

und Anwendungen eingeführt und offene Probleme erörtert.<br />

Aber nie werden Theorien als <strong>die</strong> spekulativen Vermutungen dargestellt,<br />

<strong>die</strong> sie sind und <strong>die</strong> dazu <strong>die</strong>nen, bestimmte Phänomene zu erklären,<br />

sondern sie werden dargestellt als Ergebnisse, als Werkzeuge, <strong>die</strong> <strong>auf</strong> <strong>die</strong><br />

Wirklichkeit anwendbar sind.<br />

Algorithmen als eine Form der systemvermittelnden Lehrstrategie<br />

Eine Realisierung der technologischen Lehrstrategie stellen N. L.<br />

LANDAS (1963) Algorithmen dar. LANDA versteht unter einem<br />

Algorithmus „eine genaue Reihenfolge von Operationen ..., <strong>die</strong> es<br />

ermöglicht, alle Aufgaben eines gewissen bestimmten Typus zu lösen“ (S.<br />

43). Solche Algorithmen stellen Werkzeuge dar, <strong>die</strong> uns in immer<br />

wiederkehrenden Situationen das Nachdenken ersparen. Aber man kann<br />

Algorithmen <strong>auf</strong> verschiedene Art und Weise lernen: Man kann sie<br />

einführen, nachdem man verstanden hat, warum man in einer bestimmten<br />

Weise vorgeht, und man kann sie - wie LANDA einführen an Stelle eines<br />

solchen Verstehens, als ein Werkzeug, dessen man sich be<strong>die</strong>nt, auch<br />

wenn man nicht weiß, warum beispielsweise <strong>die</strong> Formel für den<br />

Kreisumfang so und nicht anders lautet, warum man zu <strong>die</strong>ser und keiner<br />

anderen richtigen Formel kommen kann. Beim rein technologischen<br />

Vorgehen also übt der Lernende ohne Einsicht <strong>die</strong> Reihenfolge der<br />

Operationen so lange, bis er sie fehlerlos beherrscht. Gleichzeitig lernt er,<br />

sie anzuwenden <strong>auf</strong> Aufgaben mit einer bestimmten Struktur. Damit <strong>die</strong><br />

Algorithmen für verschiedene Aufgabentypen nicht verwechselt werden,<br />

muß der Schüler oder Student lernen, <strong>die</strong> verschiedenen Aufgabentypen<br />

voneinander zu unterscheiden.<br />

89


Zweifellos können <strong>auf</strong> <strong>die</strong>se Weise enorme Kenntnisse und Fähigkeiten<br />

erworben werden, aber sie werden auch leicht wieder vergessen, wenn sie<br />

nicht ständig gebraucht werden. Und es wird dem Schüler kaum möglich<br />

sein, einen vergessenen Algorithmus zu rekonstruieren, wenn er <strong>die</strong>sen<br />

Algorithmus nicht mit Verständnis gelernt hat, wenn er nicht erfahren<br />

hat, warum und wie man zu <strong>die</strong>sem Algorithmus gelangen konnte.<br />

Darüber hinaus gilt: je komplexer ein solcher Algorithmus ist, um so<br />

unhandlicher wird er, um so länger braucht man zu seiner Aneignung und<br />

um so unsicherer wird man in seiner Anwendung 5 . Algorithmen eignen<br />

sich für elektronische Rechner, weil <strong>die</strong>se über einer andere Art der<br />

Speicherung verfügen als Organismen (vgl. 2.1.3.). Der Computer<br />

speichert Information genauso, wie sie ihm eingegeben wird, d. h. es geht<br />

nichts verloren. Aber der Computer hat auch keine Einsicht in das, was<br />

er tut. Beim Menschen dagegen kommt es <strong>auf</strong> Einsicht, <strong>auf</strong> Verstehen an.<br />

Wenn man Schülern oder Studenten <strong>die</strong> Wissenschaft als Algorithmen<br />

lehrt, als Werkzeuge zur Lösung bestimmter Probleme, dann werden sie -<br />

wie WAGENSCHEIN (1970, Bd. 2, S. 24) das ausdrückt - „durch ein<br />

System abgezirkelter, mannshoher Heckenwege gedrängt, statt sie in der<br />

Landschaft ihrer Wirklichkeit sich umsehen zu lehren“.<br />

Psychologische Begründung der systemvermittelnden Lehrstrategie und<br />

Kritik <strong>die</strong>ser Begründung 6<br />

Diese Auffassung des Lehrstoffes kommt einer bestimmten Anwendung<br />

der Reiz-Reaktions-Theorie des Lernens entgegen. Der Lehrstoff wird<br />

hier ganz ähnlich als ein Gefüge von vorhandenen und manipulierbaren<br />

Reizen gesehen 7 . Auf <strong>die</strong>se Reize hat der Lernende in bestimmter Weise<br />

zu reagieren und <strong>die</strong>se Reaktionen wiederum, je nach der Struktur der<br />

Reizgegebenheiten, miteinander zu assoziieren zu immer komplexeren<br />

Reaktionsmustern.<br />

Von <strong>die</strong>ser Theorie stark beeinflußt entwickelte GAGNÉ seine<br />

Hierarchie der Lernstufen. Nach GAGNÉ werden ja <strong>auf</strong> der untersten<br />

Ebene einzelne Reaktionen gelernt, aus denen Ketten von Reaktionen<br />

5<br />

6<br />

7<br />

Vgl. <strong>die</strong> Untersuchung von BUSSMANN 1971 über Algorithmen.<br />

Das Wort „Begründung" wird hier im Sinne von Argument gebraucht, nicbt im<br />

Sinne von Determinierung; denn <strong>die</strong> Psychologie kann nicht festlegen, wie<br />

Schüler unterrichtet werden soffen. Soll-Fragen sind Entscheidungsfragen, bei<br />

denen uns Argumente aber helfen können.<br />

Damit soll keineswegs behauptet werden, <strong>die</strong> S-R-Theorien ermöglichten nur<br />

<strong>die</strong>se Sichtweise. Daß es nicht so ist, zeigt der Assoziationismus MACHS (vgl. E.<br />

MACH 1920).<br />

90


gebildet werden, <strong>die</strong> ihrerseits voneinander unterschieden werden müssen<br />

(Diskriminationslernen). Die voneinander diskriminierten Reaktionsketten<br />

werden dann weiter zu Begriffen, Regeln und schließlich zu<br />

Problemlösungsstrategien kombiniert (vgl. Abb. 6). Am Anfang des<br />

Lernprozesses stehen also auch hier nicht <strong>die</strong> Probleme, sondern <strong>die</strong><br />

Elemente, <strong>die</strong> erst einmal gespeichert werden müssen. Erst am Ende<br />

eines solchen Lernprozesses werden Probleme gelöst 8 .<br />

7. Das Lernen von Problemlösungsstrategien: Die gelernten Regeln werden nun in<br />

verschiedenen Kombinationen angewendet.<br />

↑<br />

6. Regellernen: Das Kind lernt beispielsweise, wie man durch Anwendung bestimmter<br />

Regeln über <strong>die</strong> Vereinigung von Mengen Additionen durchführt. „Durch <strong>die</strong><br />

Vereinigung der Mengen 3 und 2 oder der Mengen 4 und 1 erhält man <strong>die</strong> Menge<br />

5, und das Kind lernt, daß <strong>die</strong> Ausdrücke 3 + 2, 4 + 1 und 5 alle <strong>die</strong>selbe Zahl<br />

bezeichnen“ (GAGNÉ 1969, S. 146).<br />

↑<br />

5. Begriffslernen: Erlernen der Begriffe „gleich“ und „verschieden“; ferner der<br />

Begriffe Menge, Element von ..., Teilmenge usw. Wegnehmen. Hinzufügen als<br />

weitere Begriffe.<br />

↑<br />

4. Multiple Diskrimination: Das Erlernen von mehrfachen Unterscheidungen: Unterscheidung<br />

der verschiedenen Zahlzeichen, Unterscheidung verschieden mächtiger<br />

Mengen (Nichtäquivalenzen). Unterscheidung von Operationszeichen.<br />

↑<br />

3. Bildung von Verhaltenssequenzen: Das Lernen längerer Verhaltensketten, vor<br />

allem sprachlicher Art, wie etwa das Hersagen der Zahlenreihe; aber auch das<br />

Verknüpfen geschriebener Zahlzeichen mit dem gesprochenen Zahlwort.<br />

↑<br />

2. Einfache Kettenbildungen: Das Erlernen von assoziativen Verknüpfungen wie<br />

zum Beispiel das Zeichnen von Mengenelementen oder das Aufschreiben von<br />

Zahlzeichen.<br />

↑<br />

1. Reiz-Reaktion--Lernen: Das Lernen von differenzierten Reaktionen wie etwa das<br />

Sprechen von Zahlnamen (1, 2, 3, . . .), das Erfassen eines Schreibzeugs u. ä.<br />

Abb. 6: Darstellung der GAGNÉschen Lernstufen am Beispiel des elementaren<br />

Mathematikunterrichts. Aus: STEINER 1974, S. 693<br />

8 GAGNÉ selbst allerdings gibt auch ein Beispiel, bei dem mit der Problemstellung<br />

begonnen wird: „Wir erschließen <strong>die</strong> Anwesenheit von Wasserdampf in der Luft"<br />

(GARNÉ1973, S. 251-252).<br />

Die meisten von GAGNÉs Beispielen entsprechen eher doch dem umgekehrten Weg<br />

(z. B. S. 162, S. 166, S. 185, S. 199, S. 201, S. 208, S. 215, S. 232).<br />

91


GAGNÉ weist nun dar<strong>auf</strong> hin, daß nicht Wortfolgen, sondern Fähigkeiten<br />

gelernt werden. Der Lernende soll also nicht einen Begriff oder<br />

eine Regel wiedergeben können, sondern er soll klassifizieren und Regeln<br />

befolgen können; denn eine Regel <strong>auf</strong>sagen zu können bedeutet ja nicht,<br />

daß sie auch angewandt werden kann. Das ändert aber nichts daran, daß<br />

der Lehrstoff <strong>auf</strong>gegliedert wird in Begriffe, Regeln und Probleme, <strong>die</strong><br />

mit <strong>die</strong>sen Regeln oder einer Kombination von Regeln gelöst werden<br />

können, wie das folgende Beispiel von GAGNÉ zum Thema „Reflexion<br />

und Brechung des Lichts“ zeigt 9 .<br />

„Schritt 1:<br />

Mit Hilfe einer Demonstration, <strong>die</strong> von mündlichen Erläuterungen<br />

ergänzt wird, lehrt man <strong>die</strong> Definition bestimmter Begriffe (Einfallswinkel,<br />

Ausfallswinkel, Brechungswinkel, Abbildung, virtuelle Abbildung<br />

usw.).<br />

Schritt 2:<br />

Man gibt ein Kapitel in programmierter Unterweisung <strong>auf</strong>, mit Hilfe<br />

dessen <strong>die</strong> einschlägigen Regeln gelernt werden (Gesetze der Reflexion<br />

und Brechung, Abbildungen in einem ebenen Spiegel, Streuung und<br />

Beugung des Lichts usw.). In das Programm eingestreut sind Übungen,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> Generalisierbarkeit der Regeln herstellen sollen.<br />

Schritt 3:<br />

Der Lehrer führt eine Prüfungsübung durch, vornehmlich um<br />

festzustellen, ob <strong>die</strong> erforderlichen Regeln auch gelernt sind. Ist das nicht<br />

der Fall, dann können <strong>die</strong> Schüler nicht zum nächsten Schritt übergehen.<br />

Schritt 4:<br />

Man benutzt eine kurze Filmsequenz, um einen neuartigen Fall von<br />

Brechung oder Reflexion oder beidem einzuführen. Das leitet eine<br />

Diskussion über <strong>die</strong> Frage ein. ‚Wie könnte man zur Erforschung des im<br />

Film gezeigten Problems ansetzen?’<br />

Schritt 5:<br />

Jetzt kann man <strong>die</strong> Überprüfung des Kenntnistransfers anschließen,<br />

indem man (sprachlich oder anschaulich) den Schülern weitere<br />

‚Probleme’ von Reflexion und Brechung vorlegt.“<br />

9 GAGNE 1969, S. 238-239 (das Beispiel fehlt in den späteren Auflagen).<br />

92


Derartige Lernstrukturen scheinen logisch <strong>auf</strong>gebaut. Die Begriffe, <strong>die</strong><br />

der Schüler lernt, helfen ihm, daraus einfache Regeln zu bilden und<br />

daraus wiederum komplexere zu kombinieren. Aber aus der Sicht des<br />

Schülers muß man sich fragen, wie kommt man zu <strong>die</strong>sen Begriffen zu<br />

<strong>die</strong>sem Zeitpunkt? Nur der Lehrer oder Lehrbuchverfasser konnte<br />

wissen, daß sie im weiteren gebraucht werden. Und warum wird aus<br />

<strong>die</strong>sen Begriffen dann genau <strong>die</strong>se und jene Regel gebildet? Dem Schüler<br />

verhilft es zu keiner Einsicht, daß ein logischer Weg von den einfachsten<br />

Begriffen zu den komplexesten Regeln führt, denn - so FREUDEN-<br />

THAL (1974, S. 78) - „es war nicht der Schüler, sondern der Lehrer oder<br />

Lehrbuchverfasser, der <strong>die</strong>sen Zusammenhang konstruiert hat“. Deshalb<br />

kann der Schüler <strong>die</strong> Begriffe und Definitionen auch nur kritiklos<br />

hinnehmen, speichern und anwenden. Das Denken wird dadurch, wenn<br />

schon nicht unterdrückt, so doch zumindest nicht gefördert. Zweifel, ob<br />

z. B. das Licht nun wirklich seine Richtung verändert und sogar in<br />

bestimmte Richtungen bei bestimmten Materien, ob man überhaupt<br />

einem so „allverbreiteten Etwas“ wie dem Licht eine „Zerspaltenheit in<br />

viele kerzengerade Bestandteile“ zusprechen kann, solche Zweifel werden<br />

durch <strong>die</strong>se systemvermittelnde Lehrstrategie nicht angeregt (RUMPF<br />

1971, S. 260).<br />

Eine Lerntheorie, <strong>die</strong> den Lehrstoff als eine Reihe von vorgegebenen<br />

Reizen behandelt, <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Lernende in bestimmter Weise zu reagieren<br />

haben, ist dann gut anwendbar, wenn man Lehren versteht als ein<br />

dogmatisches Aufzwingen von Ergebnissen, als <strong>die</strong> Möglichkeit, <strong>die</strong><br />

Lernenden in beliebiger Weise zu formen und Verhaltensänderungen<br />

herbeizuführen. Eine solche Lerntheorie geht aber völlig an den<br />

Problemen der wissenschaftlichen Erkenntnis vorbei und damit auch am<br />

didaktischen Problem, wie man jemanden zu <strong>die</strong>ser Erkenntnis oder zum<br />

Verstehen <strong>die</strong>ser Erkenntnis führen kann. Zur Lösung <strong>die</strong>ses Problems<br />

können nur <strong>die</strong>jenigen Lerntheorien etwas beitragen, <strong>die</strong> das Wachstum<br />

der Erkenntnis berücksichtigen.<br />

Einige Folgen der systemvermittelnden Lehrstrategie<br />

Das Charakteristische der technologischen Lehrstrategie liegt darin, daß<br />

der Stoff als eine Sammlung von vereinzelten Kenntnissen und Fertigeiten<br />

angesehen wird, <strong>die</strong> der Schüler um ihrer selbst willen zu erwerben<br />

hat. Wenn Wissen in <strong>die</strong>ser Art als Fertigprodukt <strong>auf</strong>gefaßt wird, das es<br />

nur zu übernehmen und anzuwenden gilt, dann führt <strong>die</strong>s im Unterricht<br />

dazu, daß man <strong>die</strong>se Fertigprodukte bzw. Werkzeuge in den Köpfen der<br />

Lernendern anhäuft. So werden eine Menge isolierter Fertigkeiten und<br />

Kenntnisse gelernt, <strong>die</strong> dazu gedacht sind, ein System des Wissens zu<br />

93


ilden. Fast jeder Schüler hat eine enorme Zahl solcher Fertigkeiten und<br />

Wissenselemente erworben. Fast alle, <strong>die</strong> eine höhere Schule besucht<br />

haben, haben auch einmal den Satz des Pythagoras gelernt, das Lösen<br />

quadratischer Gleichungen, <strong>die</strong> Differential- und Integralrechnung, eine<br />

Anzahl physikalischer Formeln und Lehrsätze, <strong>die</strong> Urstromtäler im<br />

Geographieunterricht usw. Aber <strong>die</strong> Systeme der Mathematik, der Physik<br />

usw. haben nur wenige verstanden. Natürlich kann man alle <strong>die</strong>se<br />

Einzelheiten nicht behalten (das Gedächtnis ist kein Lagerraum, den man<br />

beliebig füllen kann, vgl. 2.1.3.), aber sie haben bei den meisten auch<br />

keine tieferen Wirkungen hinterlassen in dem Sinne, daß sie wenigstens<br />

allgemeine Zusammenhänge rekonstruieren könnten 10 .<br />

Das schnelle Vergessen bei der systemvermittelnden Lehrstrategie kann<br />

man zum Teil einschränken, indem man Beziehungen zwischen den<br />

Regeln herstellt und sehr viele Anwendungen unter ständiger Anknüpfung<br />

an Bekanntes ausführen läßt (vgl. 2.1.3., S. 40). Aber <strong>die</strong> vielfältigen<br />

inneren, objektiv vorhandenen und zu entdeckenden Beziehungen<br />

zwischen den Begriffen und Regeln, <strong>die</strong> erkannt werden, wenn man <strong>die</strong><br />

Probleme zu lösen versucht, von denen aus sich <strong>die</strong> Einführung <strong>die</strong>ser<br />

Regeln und Begriffe zwingend ergibt und auch ihre Verknüpfungen<br />

untereinander deutlich werden, <strong>die</strong>se inneren Beziehungen werden kaum<br />

erfaßt, wenn man von Regeln und Begriffen als Werkzeugen oder<br />

Elementen ausgeht, aus denen ein System erbaut wird; jedenfalls wird bei<br />

<strong>die</strong>sem Vorgehen den Lernenden nicht geholfen, sie zu entdecken oder<br />

sie wenigstens zu sehen. Nur wenn <strong>die</strong> kognitiven Strukturen sich sozusagen<br />

organisch entwickeln, wenn ausgehend von Problemen Lösungen<br />

konstruiert und kritisiert und wieder verworfen werden, wenn man so<br />

lernt, den richtigen Lösungsweg von Sackgassen zu unterscheiden, nur<br />

wenn man ein solches Beziehungsgeflecht <strong>auf</strong>gebaut hat, wird man<br />

vermutlich fähig, ähnliche Probleme auch nach langer Zeit noch zu lösen<br />

oder doch wenigstens allgemeine Wege zu ihrer Lösung zu konstruieren<br />

und falsche Lösungen als solche zu erkennen (vgl. auch 2.1.3.). Hat man<br />

aber bestimmte Lösungswege oder Formeln ohne tieferes Verständnis<br />

gelernt, wie das bei der technologischen Lehrstrategie der Fall ist, dann<br />

10 Untersuchungen zu dem „was bleibt“ siehe WAGENSCHEIN (1970, Bd. 1, S. 385<br />

ff.), ebenda weitere Literaturangaben. Zu den verbliebenen Geschichtskenntnissen<br />

nach mehrjährigem Geschichtsunterricht vgl. <strong>die</strong> Untersuchungen von BECKER,<br />

HERKOMMER und BERGMANN (1968); TESCHNER (1968). Daß <strong>die</strong> Ursache<br />

des Vergessens und der geringen Wirkung des Gelernten in einer<br />

systemvermittelnden bzw. technologischen Lehrstrategie vermutet wird, geht m.<br />

E. aus den genannten Untersuchungen und anderen Beiträgen vor allem WAGEN-<br />

SCHEINS hervor (vgl. WAGENSCHEIN 1970, 1976).<br />

94


gelingt deren korrekte Anwendung oder Reproduktion nicht mehr, wenn<br />

auch nur ein Element fehlt.<br />

Doch das sind nicht alle Folgen einer Anwendung der technologischen<br />

Lehrstrategie. Bedeutsam ist auch, daß der Lernende, wenn er keinen<br />

Sinn in solcher Anhäufung entdecken kann, <strong>die</strong> Lehrgegenstände<br />

womöglich selbst für sinnlos hält, wie WHITEHEAD es behauptet:<br />

„Nichts kann zerstörerischer für wahre Bildung sein, als wenn man lange<br />

Stunden damit zubringt, sich Ideen und Methoden anzueignen, <strong>die</strong> nirgends<br />

hinführen. Es ist verhängnisvoll für jegliche geistige Vitalität. Einerseits erzeugt<br />

es ein Gefühl der Inkompetenz, des Unverständnisses, der Unfähigkeit, wirklich<br />

bis zur wahren Bedeutung der Dinge durchzudringen; gleichzeitig schafft es,<br />

durch eine natürliche Auflehnung des sich selbst achtenden Geistes, einen<br />

Abscheu vor Ideen und einen Verdacht, daß sie alle gleich bedeutungslos (futile)<br />

sind.“ 11<br />

Die Lernenden sind dann vermutlich weniger durch <strong>die</strong> Sache selbst als<br />

durch <strong>die</strong> bevorstehenden Prüfungen und <strong>die</strong> damit verbundenen<br />

Konsequenzen motiviert. Schüler und Studenten sind bereit, alles<br />

mögliche zu lernen, wenn sie erwarten können, damit eine Prüfung zu<br />

bestehen (vgl. 2.2.2.) 12 .<br />

Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, daß <strong>die</strong> Lernenden kritische<br />

Fragen stellen und <strong>die</strong>sen nachgehen. Auch wenn vor dem Schüler oder<br />

Studenten ein fertiges Gebäude des Wissens errichtet wird, kann <strong>die</strong>ser<br />

versuchen (außer der Aufgabe, <strong>die</strong>ses Wissen zu speichern), das System<br />

zu verstehen. Er kann sich fragen, wie und warum man eigentlich zu<br />

<strong>die</strong>sen Gesetzen, Regeln usw. kommt 13 . Wenn es den Lernenden gelingt,<br />

11 A. N. WHITEHEAD, Essays in Science and Philosophy, Philosophical Library,<br />

New York. Aus dem Aufsatz, Mathematics and Liberal Education: An Address.<br />

Zit. nach WITTENBERG (1963, S. 65).<br />

12 WITTENBERG weist dar<strong>auf</strong> hin, daß so der „gefügige Lerner" erzogen werde, der<br />

einfach tut, was man ihm sagt, und der allmählich unfähig wird, Bedeutsames von<br />

Bedeutungslosem zu unterscheiden (S. 102-103).<br />

Und H. ROTH (1976, S. 167) warnt:<br />

„Seien wir uns . . darüber klar, daß jedes Erziehungsmittel gleichzeitig<br />

Erziehungsziel ist, sozusagen <strong>auf</strong> ein bestimmtes Erziehungsziel hinten<strong>die</strong>rt.<br />

Arbeiten wir mit der Schablone, erziehen wir auch zur Schablone. Am Ende der<br />

Erziehung zum schablonenhaften und reproduktiven Denken steht der<br />

einheitsgesteuerte Untertan."<br />

13 Wie solche früh <strong>auf</strong>tauchenden Fragen das gesamte weitere wissenschaftliche<br />

Denken eines Menschen bedingen können, schildert Bertrand RUSSELL (in seiner<br />

Autobiographie 1972, Bd. 1, S. 42):<br />

„Es war mir gesagt worden, EUKLID führe Beweise, und ich war daher sehr<br />

enttäuscht, daß er mit Axiomen begann. Anfänglich weigerte ich mich, sie<br />

95


so zu fragen, und wenn es ihnen gelingt, <strong>die</strong>se Fragen zu beantworten,<br />

dann ist es vermutlich gleichgültig, mit welcher Lehrstrategie sie unterrichtet<br />

werden. Sie sind so selbständig und unabhängig, daß sie <strong>die</strong> Hilfe,<br />

<strong>die</strong> man ihnen durch Lehren bieten kann, nicht (mehr) benötigen. Da<br />

menschliches Handeln grundsätzlich nicht vollständig determiniert und<br />

determinierbar ist, kann jede Lehrstrategie zum Teil zu den gleichen<br />

Lernergebnissen führen. Die Lehrstrategien unterscheiden sich dann, aus<br />

<strong>die</strong>ser Sicht, nur noch durch <strong>die</strong> verschiedenen Nebenwirkungen und <strong>die</strong><br />

eventuell unterschiedliche Effektivität hinsichtlich bestimmter Zielaspekte.<br />

Zur Anwendung der systemvermittelnden Lehrstrategie<br />

Die systemvermittelnde Lehrstrategie ist vorteilhaft dann anwendbar,<br />

wenn man jemanden über ein bestimmtes Gebiet und zu einem<br />

bestimmten Zweck informieren möchte, wie z. B. über das Vertragsrecht<br />

oder eine Formel zur Volumenberechnung, <strong>die</strong> man gerade braucht. In<br />

<strong>die</strong>sen Fällen wäre ein anderes Vorgehen einfach unökonomisch.<br />

Generell kann man davon ausgehen, daß in allen Fällen, in denen es nur<br />

um <strong>die</strong> technologische Anwendung von Regeln zur Lösung eng<br />

begrenzter Aufgaben geht, <strong>die</strong> Verwendung der systemvermittelnden<br />

Lehrstrategie angebracht ist. Denn man kann mit Regeln umgehen, ohne<br />

tiefere Einsicht in den Grund der Anwendbarkeit <strong>die</strong>ser Regeln zu<br />

besitzen, so wie man Auto fahren kann, ohne Einsicht in <strong>die</strong> Funktionsweise<br />

eines Motors zu haben.<br />

Darüber hinaus ist <strong>die</strong> systemvermittelnde Lehrstrategie sinnvoll einsetzbar<br />

bei Adressaten mit einem umfassenden Vorwissen. Einen Physiker<br />

braucht man nicht nach der genetischen Lehrstrategie in ein ihm wenig<br />

bekanntes Spezialgebiet der Physik einzuführen. Es genügt, ihm eine<br />

knappe, systematische Darstellung zu geben; er kann sich selbst denken,<br />

wie man dahin gekommen ist, und bei offenen Fragen kann er immer<br />

noch zusätzliche Informationen einholen.<br />

anzunehmen, wenn mein Bruder mir keine Begründung dafür bieten könne, doch<br />

der sagte nur: ,Wenn du sie nicht annimmst, dann können wir nicht weitergehen.`<br />

Da <strong>die</strong>s jedoch mein Wunsch war, fand ich mich einstweilen damit ab. Der<br />

Zweifel an den Prämissen der Mathematik, den ich damals empfand, blieb für<br />

mich bestehen und bestimmte <strong>die</strong> Richtung meiner künftigen Arbeit.“<br />

96


Die problementwickelnde oder genetische Lehrstrategie<br />

Das Wachstum des Wissens<br />

als Begründung der genetischen Lehrstrategie<br />

Die Tatsache, daß es unmöglich ist, einen Lehrsatz wie z. B. das Fallgesetz<br />

(s = 1/2 gt2) zu verstehen, ohne daß man weiß, wie man zu<br />

<strong>die</strong>sem Gesetz kommt und warum es gerade <strong>die</strong>se Form hat, läßt<br />

vermuten, daß Wissen auch im objektiven Sinne (im Gegensatz zu subjektivem<br />

Wissen) mehr sein muß als nur <strong>die</strong>ses Ergebnis, obzwar es von<br />

jedem angewandt werden kann und auch stets richtige Resultate erbringt.<br />

Man braucht nur <strong>die</strong> Forschung zu betrachten, um zu sehen, daß sie sich<br />

in Fragen, in einer Fülle von Hypothesen, „Vermutungen und<br />

Widerlegungen“ (POPPER) bewegt. Daran kann man erkennen, daß das,<br />

was man heute oft als das Fertige und Geklärte registriert, auch einmal<br />

Probleme, Fragen waren (vgl. WAGENSCHEIN 1970, Bd. 2, S. 25).<br />

Albert EINSTEIN und Leopold INFELD zeigen <strong>die</strong>sen Gang der<br />

Forschung am Beispiel der Gravitation und, <strong>auf</strong> dem Weg dahin, auch am<br />

Fallgesetz. Die Darstellung <strong>die</strong>ses Weges ist nach meiner Auffassung<br />

nicht nur ein Beispiel für den Gang der Forschung, sondern zugleich ein<br />

Beispiel für eine darbietende genetische Lehrstrategie (siehe hierzu<br />

3.3.1.). Ich versuche im folgenden, <strong>die</strong>sen Weg stark gekürzt wiederzugeben<br />

14 . EINSTEIN und INFELD gehen aus von der jedem vertrauten<br />

Annahme ARISTOTELES', daß ein in Bewegung befindlicher Körper, z.<br />

B. ein Karren, zum Stillstand kommt, wenn keine Kraft mehr <strong>auf</strong> ihn<br />

wirkt. Diese Theorie wird kritisiert, indem Überlegungen dazu angestellt<br />

werden: daß etwa ein Wagen, der einmal in Schwung versetzt wurde,<br />

deshalb zum Stillstand kommt, weil verschiedene Reibungskräfte <strong>auf</strong> ihn<br />

wirken und am Weiterfahren hindern; daß man durch eine Glättung der<br />

Fahrspur und durch bessere Lagerung der Räder des Wagens <strong>die</strong> Reibung<br />

(beliebig?) vermindern könnte. Diese Überlegungen führen dann zu der<br />

Theorie GALILEls, <strong>die</strong> besagt, daß<br />

„jede Geschwindigkeit, <strong>die</strong> einem in Bewegung befindlichen Körper<br />

einmal verliehen wurde . .. absolut unveränderlich [bleibt], solange <strong>die</strong><br />

äußeren Ursachen für eine Beschleunigung oder Verzögerung fehlen, ein<br />

Zustand, der nur für horizontale Ebenen gilt . . .“ (EINSTEIN und<br />

INFELD 1950, S. 20)<br />

14 Vgl. EINSTEIN und INFELD 1950, S. 17-22.<br />

Eine sehr schöne, noch ausführlichere Beschreibung als EINSTEIN und INFELD<br />

gibt M. WERTHEIMER (1957, S. 185 ff.).<br />

97


Da aber nun ein fallender Stein sich keineswegs gleichförmig bewegt (was<br />

ja leicht beobachtet werden kann), sondern da seine Geschwindigkeit<br />

wächst, muß eine Kraft in der Bewegungsrichtung des Steines <strong>auf</strong> ihn<br />

wirken 15 . Wenn <strong>die</strong>s so ist, was geschieht dann, wenn man einen Stein<br />

senkrecht nach oben wirft?<br />

„Nun, <strong>die</strong> Geschwindigkeit nimmt ab, bis er den höchsten Punkt seiner<br />

Bahn erreicht hat und wieder zu fallen beginnt. Diese Geschwindigkeitsänderung<br />

wird von der gleichen Kraft hervorgerufen, wie <strong>die</strong> Beschleunigung<br />

des fallenden Körpers.“ (EINSTEIN und INFELD 1950, S. 22)<br />

Das Beispiel mag verdeutlichen, wie unterschiedlich das Verstehen ist, ob<br />

nun einfach ein Gesetz mehr oder weniger vorgegeben und angewendet<br />

wird oder ob es in einer Weise wie bei EINSTEIN und INFELD aus<br />

Hypothesen, kritischer Prüfung <strong>die</strong>ser Hypothesen, dadurch veränderter<br />

Problemstellung und neuen Hypothesen zu entwickeln versucht wird.<br />

Auch in <strong>die</strong>sem Falle kann man das gefundene Gesetz anwenden, aber<br />

das Verstehen ist doch ein anderes, denn nur im letzteren Falle wird klar,<br />

daß alle Naturgesetze Versuche sind, wahre Beschreibungen der Welt zu<br />

finden; und es wird klar, daß <strong>die</strong>ses Wissen nicht gegeben ist (im Sinne<br />

positiven Wissens), sondern daß wir zur Erkenntnis erst durch den<br />

Irrtum gelangen können. Diese Darstellung gibt also außer dem System<br />

noch eine zusätzliche Information, es wird nicht nur das Ergebnis,<br />

sondern auch der Weg zum Ergebnis vorgeführt. Da nun ohne <strong>die</strong><br />

Problemstellungen, ohne <strong>die</strong> vielen vergeblichen Versuche, eine wahre<br />

Beschreibung der Wirklichkeit zu geben, ohne <strong>die</strong> Widerlegungsversuche<br />

<strong>die</strong>ser Beschreibungen und schließlich das Finden besserer Theorien und<br />

ihre Bewährung, da ohne alle <strong>die</strong>se Prozesse und ihre jeweiligen<br />

Ergebnisse Wissenschaft nicht möglich ist, kann man annehmen, daß alle<br />

Ergebnisse <strong>die</strong>ser Prozesse zur Wissenschaft selber gehören (auch wenn<br />

nur wenige davon für uns heute von Interesse sein mögen) und nicht nur<br />

<strong>die</strong>jenigen Ergebnisse, <strong>die</strong> man heute akzeptiert, weil sie nicht (eindeutig)<br />

15 Diese Überlegungen tragen später (bei EINSTEIN und INFELD) zur Einführung<br />

des Begriffs oder vielleicht besser, der Theorie der Schwerkraft bei. Nach der<br />

technologischen Lehrstrategie wird <strong>die</strong> Schwerkraft nicht in <strong>die</strong>ser Art und Weise<br />

eingeführt (auch nicht das Fallgesetz). Ein Physiklehrbuch gibt folgende<br />

Darstellung (<strong>die</strong> Schwerkraft wird im Zusammenhang mit dem Begriff der Kraft<br />

unmittelbar eingeführt): „Alle Körper werden zum Erdmittelpunkt hin (Lot)<br />

angezogen, <strong>auf</strong> sie wirkt <strong>die</strong> Schwerkraft (. . . [es wird <strong>auf</strong> ein Bild hingewiesen,<br />

das <strong>die</strong> Erdkugel darstellt, <strong>auf</strong> der rundherum Häuser, Menschen usw. sich<br />

befinden, <strong>die</strong> zum Erdmittelpunkt hin angezogen werden]). Wir erkennen <strong>die</strong>se<br />

daran, daß alle Körper <strong>auf</strong> ihre Unterlage drücken oder an ihrer Aufhängung<br />

ziehen; oder daran, daß <strong>die</strong> Körper nach unten fallen . . ." (BRENNEKE und<br />

SCHUSTER 1970, S. 7).<br />

98


widerlegt werden konnten bzw. weil man keine (eindeutig) besseren<br />

Theorien hat.<br />

In ähnlicher Weise gehören auch <strong>die</strong> Versuche, ein Kunstwerk zu schaffen,<br />

zur Kunst selber und nicht nur <strong>die</strong> Ergebnisse, <strong>die</strong> in den Museen zu<br />

bewundern sind. So setzt ja auch das Verstehen eines Kunstwerkes, etwa<br />

eines Gemäldes, mehr voraus als das Wissen um <strong>die</strong> Bedeutung der<br />

einzelnen Bildelemente und ihrer Beziehungen untereinander. Denn<br />

wenn man sich fragt, warum der Künstler <strong>die</strong>ses oder jenes so und so<br />

gemacht hat, dann kann man <strong>die</strong>se Frage nur beantworten, wenn man das<br />

Problem, das er zu lösen versuchte, rekonstruiert und bessere von<br />

weniger guten Lösungen unterscheidet 16 .<br />

Ein derartiges Verstehen bedeutet immer ein Eindringen in <strong>die</strong> Welt der<br />

geistigen Gegenstände und ein Umgehen mit <strong>die</strong>sen Gegenständen, mit<br />

den Problemstellungen, den verschiedenen Lösungsversuchen und <strong>die</strong><br />

durch <strong>die</strong>se Lösungsversuche veränderten Problemstellungen.<br />

POPPER gibt eine originelle Analyse der Welt <strong>die</strong>ses objektiven Wissens.<br />

Er nennt sie <strong>die</strong> „Theorie des objektiven Geistes“ 17 . POPPER unterscheidet<br />

drei Welten:<br />

„als erste <strong>die</strong> physikalische Welt ...; als zweite <strong>die</strong> Bewußtseinswelt ...; als dritte<br />

<strong>die</strong> Welt ... der möglichen Gegenstände des Denkens: <strong>die</strong> Welt der Theorien an<br />

16 Eine Wiedergabe der Phasen des Werdens und der Veränderung des Gemäldes „La<br />

Garoupe" von P. PICASSO findet man in: QUINN 1965.<br />

Wie sehr zum Verständnis der Malerei auch das Wissen um <strong>die</strong> Probleme der Maler<br />

beiträgt, <strong>die</strong> sie zu lösen versuchen, zeigt M. BRION 1960. BRION vermutet das Problem<br />

der abstrakten Kunst in dem „Bestreben, an Stelle von Dingen Zeichen zu erfinden und<br />

ihnen echte Ausdruckskraft zu geben, aus ihnen wirkliche Dinge der Schönheit voll innerer<br />

Bedeutung zu machen" (S. 43). Und BRION zeigt, wie verschieden <strong>die</strong>ses Problem in der<br />

Geschichte von den Künstlern gelöst wurde. (Vgl. aber auch eine Anmerkung zu <strong>die</strong>sem<br />

Thema von POPPER 1973, S. 200, Anm. Nr. 28.)<br />

Vgl. hierzu auch den Aufsatz von GOMBRICH 1978 (S. 212 f.) über „Bildpropaganda und<br />

Kunst aus der Zeit der Romantik", wo er nachweist, daß GOYAS Bilder über <strong>die</strong><br />

Kriegsgreuel NAPOLEONS in Spanien vermutlich von Flugblättern angeregt wurden, <strong>die</strong><br />

ihrerseits wiederum von der politischen Illustration der damaligen Zeit inspiriert worden<br />

sind. GOMBRICH weist dar<strong>auf</strong> hin, daß <strong>die</strong>se Bilderwelt, in der ein Künstler lebt, ihm erst<br />

das Rohmaterial gibt, das er für sein eigenes Schaffen braucht.<br />

„Von <strong>die</strong>sem Gesichtspunkt aus zeigt sich immer klarer, wie wichtig es für <strong>die</strong><br />

Kunstgeschichte ist, <strong>die</strong> Gesamtheit bildlicher Darstellungen einer Epoche zu stu<strong>die</strong>ren.<br />

Wenn wir <strong>die</strong> Motive, Methoden und Symbolik <strong>die</strong>ser bescheidenen Produkte untersuchen,<br />

stu<strong>die</strong>ren wir nicht nur einen schwachen Abglanz großer schöpferischer Kunst, sondern vor<br />

allem das Wesen der Sprache, ohne <strong>die</strong> sie nicht möglich wäre und der größte Künstler<br />

nichts erschaffen könnte." (S. 221-222)<br />

17 POPPER verwendet <strong>die</strong>sen Titel auch als Anspielung <strong>auf</strong> HEGEL und PLATON,<br />

zu denen er eine sehr negative Einstellung hat (S. 123). POPPER vermutet, daß er<br />

dennoch mit seiner Theorie des objektiven Geistes an PLATON anschließt (S.<br />

173).<br />

99


sich und ihrer logischen Beziehungen; <strong>die</strong> Welt der Argumente an sich; <strong>die</strong> Welt<br />

der Problemsituationen an sich“ 18 .<br />

Die Welt 2, <strong>die</strong> Welt der subjektiven Bewußtseinszustände, steht sowohl<br />

mit der physikalischen (Welt 1) als auch der geistigen Welt (Welt 3) in<br />

Verbindung. Nur <strong>die</strong> Bewußtseinswelt kann zwischen den beiden anderen<br />

vermitteln (vgl. POPPER 1973, S. 174).<br />

Die Welt der geistigen Gegenstände wird vom Menschen erzeugt. Diese<br />

dritte Welt übt großen Einfluß <strong>auf</strong> <strong>die</strong> erste Welt aus, beispielsweise wenn<br />

Techniker <strong>auf</strong> Grund von Theorien über Atomspaltung Kernreaktoren<br />

planen (Welt 3) und bauen (Welt 1). Diese Anwendungsmöglichkeit war<br />

sozusagen in der Theorie verborgen und wurde später erst entdeckt<br />

(POPPER 1973, S. 175).<br />

Die Welt der geistigen Gegenstände hat also ein Eigenleben, obwohl sie<br />

vom Menschen erzeugt ist (vgl. POPPER 1973, S. 178 ff.). Sie enthält<br />

unendlich viele Probleme, <strong>die</strong> wir zum Teil entdecken. POPPER erwähnt<br />

hierzu ein illustrierendes Beispiel aus der Zahlentheorie: Die natürlichen<br />

Zahlen sind zwar vom Menschen geschaffen, aber ihre Anzahl ist<br />

unendlich und geht über das hinaus, was Menschen „jemals benennen<br />

oder Rechenmaschinen verarbeiten können“. Noch bemerkenswerter ist,<br />

daß neue Probleme entstehen wie z. B. das Problem der Primzahlen, <strong>die</strong><br />

Frage, ob <strong>die</strong> Folge der Primzahlen unendlich ist. Dieses Problem<br />

entsteht als „unerwartetes Nebenprodukt der Folge der natürlichen<br />

Zahlen“ 19 . POPPER weist dar<strong>auf</strong> hin, daß <strong>die</strong>se Probleme „offensichtlich<br />

selbständig“ sind. Wir „entdecken“ sie, „und in <strong>die</strong>sem Sinne existieren<br />

sie schon vor ihrer Entdeckung“ 20 . Wir können also in der dritten Welt<br />

18 POPPER 1973, S. 174.<br />

Auch der Mathematiker A. WITTENBERG hat <strong>die</strong>se eigentümliche Selbständigkeit<br />

der geistigen Welt gesehen. Er schreibt über <strong>die</strong> Beschäftigung mit<br />

Mathematik: „Wir erfahren eine Wirklichkeit, <strong>die</strong> weder eine solche der Natur,<br />

noch lediglich eine solche der Psyche ist; eine Wirklichkeit sui generis, <strong>die</strong><br />

gleichsam kraft eigenen Rechtes besteht und deren geheimnisvolle Existenz uns<br />

ein Rätsel <strong>auf</strong>gibt, dessen volles Maß wohl noch gar nicht ergründet wurde.“<br />

(WITTENBERG 1963, S. 47)<br />

19 POPPER 1973, S. 180. A. WITTENBERG spricht auch von „mathematischen<br />

Wesenheiten, <strong>die</strong> nur in unserem Denken zu existieren scheinen und <strong>die</strong> uns doch<br />

mit wohlbestimmten, höchst bemerkenswerten Eigenschaften und zwingenden<br />

Notwendigkeiten ... entgegentreten; <strong>die</strong> anscheinend unserer schöpferischen<br />

rationalen Phantasie entspringen und doch in ihrer Bestimmtheit und Unausweichlichkeit<br />

von uns entdeckt und nicht geschaffen werden“. (WITTENBERG 1963, S.<br />

47)<br />

20 POPPER 1973, S. 180.<br />

100


„theoretische Entdeckungen machen, ähnlich wie wir in der Welt 1<br />

geographische Entdeckungen machen können“ (POPPER 1973, S. 88).<br />

Und wenn wir einige der <strong>auf</strong>gefundenen Probleme lösen und neue<br />

Theorien (er-)finden, dann erzeugen <strong>die</strong>se Theorien ihrerseits wiederum<br />

„neue, unbeabsichtigte und unerwartete Probleme, selbständige<br />

Probleme, <strong>die</strong> entdeckt werden müssen“ 21 .<br />

Das bedeutet, daß <strong>die</strong> Schüler bei der systemvermittelnden Lehrstrategie,<br />

bei der ihnen eine Technik zur Lösung von Aufgaben an <strong>die</strong> Hand<br />

gegeben wird, keine Einsicht in <strong>die</strong>se Struktur des objektiven Wissens<br />

erhalten. Bei Anwendung der genetischen Lehrstrategie dagegen erfolgt<br />

der Aufbau kognitiver Strukturen in weitgehender Übereinstimmung mit<br />

der Struktur des objektiven Wissens.<br />

Das heißt jedoch nicht, daß alle Schüler <strong>auf</strong> <strong>die</strong>se Weise zu Forschern<br />

ausgebildet werden sollen, <strong>die</strong> das Wachstum der Erkenntnis fördern.<br />

Aber sie könnten den „Geist der Forschung“ lernen, jenen kritischen<br />

Geist, der sich nicht mit scheinbaren Selbstverständlichkeiten zufrieden<br />

gibt, sondern der stets bohrende Fragen stellt, und zwar nicht nur im<br />

Bereich der Wissenschaft, sondern auch im sozialen Leben. Denn es gibt<br />

viele Parallelen zwischen der wissenschaftlichen Tätigkeit, der Lösung<br />

theoretischer Probleme und der Lösung von Problemen im sozialen<br />

Bereich; der Diskussion von Forschungszielen und der Diskussion von<br />

sozialen Werten; der Prüfung wissenschaftlicher Theorien und der<br />

Prüfung von Vorschlägen zur Lösung sozialer Probleme; der Bedeutung<br />

von Argumenten und Kritik in der Wissenschaft und der Bedeutung von<br />

Argumenten und Kritik im sozialen Leben.<br />

Darstellung der problementwickelnden bzw. genetischen Lehrstrategie<br />

Die genetische Lehrstrategie ist ein Mittel, um jemanden dahin zu<br />

bringen, wie ein Forscher zu lernen, bzw. jemanden bei einem solchen<br />

Lernen zu unterstützen oder nicht dabei zu behindern. Sie besteht vor<br />

allem darin, den Denk- oder Lernprozeß durch Problemstellungen und<br />

Kritik anzuregen (zum Denkprozeß vgl. 2.3.2.: Lernen als Problemlösen).<br />

POPPER erwähnt in einer Anmerkung, daß auch ein „Kunstwerk, obwohl<br />

Menschenwerk, seine eigenen Beziehungen schafft". Es gibt also so etwas wie<br />

eine „Selbständigkeit des Kunstwerks" (S. 201).<br />

21 POPPER 1973, S. 181.<br />

Eine interessante Folge daraus ist, daß - wie POPPER schreibt - es immer neue<br />

Probleme geben wird; „unendlich viele Probleme werden nie entdeckt werden.<br />

Trotz und auch gerade wegen der Selbständigkeit der dritten Welt wird es immer<br />

Raum für originelle und schöpferische Arbeit geben." (S. 181)<br />

101


Genetisch vorzugehen muß nicht bedeuten, daß <strong>die</strong> Schüler weitgehend<br />

selbständig Probleme lösen, sondern der Weg der Forschung kann in<br />

groben Zügen auch dargeboten werden (vgl. 3.3.1.).<br />

Für <strong>die</strong> inhaltliche Ausarbeitung einer genetischen Lehrstrategie muß der<br />

Lehrer auch <strong>die</strong> Entstehungsgeschichte seiner Disziplin und <strong>die</strong><br />

entscheidenden Wendepunkte <strong>die</strong>ser Genesis kennen (vgl. TOEPLITZ<br />

1927, S. 93; WITTENBERG 1963, S. 145-146 Anmerkung). Nur wenn er<br />

<strong>die</strong>se Geschichte kennt und versteht, kann er seine Schüler <strong>die</strong><br />

Wissenschaft unter seiner Führung „wieder entdecken“ oder (bei darstellendem<br />

Verfahren) den Gang der Wissenschaft nachvollziehen lassen.<br />

Wenn er weiß, daß auch <strong>die</strong> Geschichte der Wissenschaft eine Geschichte<br />

voller Irrtümer, voll von starrsinnigem Festhalten an falschen Theorien<br />

war, kann er auch <strong>die</strong> Schüler besser verstehen, <strong>die</strong> ja häufig<br />

Vermutungen äußern, <strong>die</strong> in der Geschichte der Wissenschaft eine große<br />

Bedeutung hatten - das zeigen beispielsweise <strong>die</strong> Arbeiten von WAGEN-<br />

SCHEIN (z. B. 1976, S. 80-81). jedoch ist <strong>die</strong> genetische Lehrstrategie<br />

nicht mit einem historischen Verfahren gleichzusetzen. Es geht keineswegs<br />

darum, den Schülern eine Geschichte der Wissenschaft vorzutragen,<br />

sondern sie sollen eine Folge von Problemsituationen nachvollziehen<br />

oder unter Führung wiederentdecken (WITTENBERG), <strong>die</strong> man als<br />

entscheidende Wendepunkte ansehen kann und <strong>die</strong> daher auch das<br />

Verständnis der Wissenschaft fördern können (siehe auch CASTEL-<br />

NUOVO 1968, S. 43, und KLEIN 1968, S. 289).<br />

Das Ziel der Anwendung der genetischen Lehrstrategie ist in erster Linie<br />

das Verstehen der Welt der geistigen Gegenstände; das schließt das<br />

Verstehen ihrer (historischen) Problemsituationen mit ein ebenso wie das<br />

selbstkritische Bewußtsein unseres grenzenlosen Nicht-Wissens. Weitere<br />

Ziele sind das Finden neuer Theorien und <strong>die</strong> Fähigkeit der Anwendung<br />

von Theorien <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Wirklichkeit.<br />

Bei Anwendung der genetischen Lehrstrategie besteht der erste Schritt<br />

darin, daß der Lehrer <strong>die</strong> Schüler vor ein (oftmals historisches) Problem<br />

stellt, ihnen ein Problem bewußtmacht, etwa indem er eine (oftmals<br />

historische) plausible Annahme kritisch beurteilt oder widerlegt (wie etwa<br />

in dem Beispiel zum Fallgesetz <strong>die</strong> Annahme ARISTOTELES', daß ein<br />

Karren stehen bleibt, wenn er nicht mehr geschoben wird).<br />

Bei der genetischen Lehrstrategie wird <strong>die</strong> Aufmerksamkeit der Lernenden<br />

stets vom verstandenen Problem, von der erlebten Schwierigkeit,<br />

erregt und angezogen und nicht, wenigstens nicht primär, durch<br />

außersachliche Umstände wie Belohnung oder Zwang. (Wie <strong>die</strong>s im<br />

102


einzelnen gemacht werden kann, dar<strong>auf</strong> gehe ich in Punkt 3.2. und<br />

insbesondere 3.2.2. näher ein.)<br />

Begriffe und Regeln werden nicht als fertige vorgegeben, sondern aus der<br />

Notwendigkeit, ein Problem damit lösen zu müssen, von den Schülern<br />

entwickelt (bzw. wird <strong>die</strong>se Entwicklung bei darstellendem genetischem<br />

Verfahren <strong>auf</strong>gezeigt). Auf <strong>die</strong>se Weise können <strong>die</strong> Begriffe und Regeln<br />

vom Lernenden als folgerichtig und zweckmäßig erkannt werden.<br />

Der zweite Schritt besteht darin, daß der Lehrende <strong>die</strong> Schüler nach<br />

Lösungen suchen läßt und ihnen dazu Hinweise und Material gibt.<br />

Im dritten Schritt hält der Lehrer <strong>die</strong> Schüler dazu an, ihre Lösungsversuche<br />

zu kritisieren. Oft braucht der Lehrer nur <strong>auf</strong> Widersprüche in<br />

den Lösungsversuchen verschiedener Schüler hinzuweisen. In den<br />

Naturwissenschaften können viele Lösungsvorschläge experimentell<br />

geprüft werden; auch in der Geschichtswissenschaft ist es häufig möglich,<br />

Dokumente oder archäologische Funde zur Widerlegung falscher<br />

Vermutungen heranzuziehen. Der Lehrer muß immer wieder neue<br />

Einwände gegen <strong>die</strong> Lösungsvorschläge der Schüler erheben und/oder<br />

experimentelle Prüfungen anregen und weiterführende Information<br />

geben, wenn <strong>die</strong> Schüler dazu neigen, ihre Lösungen unkritisch<br />

hinzunehmen. Aber <strong>die</strong> Kritik des Lehrers darf kein Bekritteln sein,<br />

sondern sie muß aus dem Bemühen um <strong>die</strong> Sache entspringen. Er muß<br />

<strong>die</strong> Lösungsvorschläge der Schüler ernsthaft bedenken und darf nicht<br />

davon ausgehen, er besitze schon <strong>die</strong> Wahrheit und dahin müsse er nun<br />

<strong>die</strong> Schüler führen. Die Schüler hätten dann im Extremfall nur das<br />

Problem, herauszufinden, was der Lehrer haben möchte. Das würde aber<br />

den Sinn der genetischen Lehrstrategie ins Gegenteil verkehren. Nur<br />

wenn das sachliche Problem im Mittelpunkt steht, dessen Lösung Lehrer<br />

und Schüler anstreben, verstehen <strong>die</strong> Schüler (und vielleicht auch der<br />

Lehrer) <strong>auf</strong> Grund der kritischen Diskussion ihrer Lösungsvorschläge<br />

allmählich das Problem, lernen seine Schwierigkeiten kennen und können<br />

von schlechten Lösungen allmählich zu besseren kommen 22 . Jede auch<br />

vergebliche Problemlösung und ihre Kritik führt zu einer Veränderung<br />

22 Diesem Vorgehen liegt <strong>die</strong> Auffassung POPPERs zugrunde, daß es keine endgültigen<br />

Erklärungen geben kann, „denn keine kann eine sich selbst erklärende Beschreibung einer<br />

wesentlichen Eigenschaft sein". Jede Erklärung kann weiter erklärt werden „durch eine<br />

Theorie oder Vermutung von höherer Universalität" (POPPER 1973, S. 218).<br />

Im Unterschied zu der im Text geschilderten Vorgehensweise legt KERSCHENSTEINER<br />

großen Wert <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Verifikation des Ergebnisses. KERSCHENSTEINER meint, daß<br />

dadurch das „Gefühl der Verantwortlichkeit" ausgebildet wird. Das Verantwortungsbewußtsein<br />

werde besonders dann gefördert, wenn „ein und nur ein Ergebnis richtig sein<br />

könne, denn dann sei der Schüler selbst dafür verantwortlich, daß <strong>die</strong>ses Ergebnis eintrete“<br />

(KERSCHENSTEINER 1928, S. 171).<br />

103


der Problemsituation. Die Schüler wissen etwas mehr darüber, sie sehen<br />

sie in einem etwas anderen Licht, und der Prozeß des Problemlösens<br />

beginnt stets wieder von neuem mit vorläufigen Lösungen, der Kritik<br />

<strong>die</strong>ser Lösungen usw. Der Lehrer stellt <strong>die</strong>se veränderte Problemsituation<br />

immer wieder dar, damit <strong>die</strong> Schüler ihre Fortschritte sehen.<br />

Auf <strong>die</strong>se Weise stellen <strong>die</strong> Schüler vielfältige Überlegungen an, erkennen<br />

Sackgassen als solche, nehmen Seitenwege zur Kenntnis und verfolgen<br />

richtige Wege weiter. Wenn ein Lehrstoff derart in das Netz des eigenen<br />

Wissens eingewoben wird, kann er vermutlich auch leicht wieder<br />

reproduziert werden. Die so geschaffenen kognitiven Strukturen mit<br />

ihren vielen Nebenwegen und Verästelungen in andere Bereiche hinein<br />

ermöglichen später <strong>die</strong> Rekonstruktion von verschiedenen Seiten her<br />

ebenso wie <strong>die</strong> Übertragung und kreative Verwendung für <strong>die</strong> Lösung<br />

neuer Probleme, <strong>die</strong> im Zusammenhang <strong>die</strong>ses Wissens <strong>auf</strong>tauchen (siehe<br />

2.3.4., S. 89).<br />

Einige Anmerkungen zur Geschichte der genetischen Lehrstrategie<br />

Die genetische Lehrstrategie wird von WAGENSCHEIN (1975) auch als<br />

<strong>die</strong> sokratische Lehrmethode bezeichnet. Vermutlich hat SOKRATES <strong>die</strong><br />

genetische Lehrstrategie geschaffen, <strong>die</strong> er als eine Form der Geburtshilfe<br />

beschreibt. SOKRATES stellt Fragen und kritisiert <strong>die</strong> Antworten seiner<br />

Gesprächspartner oder Schüler. Zum Teil, etwa im Menon 23 , gibt er<br />

selbst zu den gestellten Fragen oder Problemen <strong>die</strong> Lösungsversuche vor,<br />

<strong>die</strong> der Schüler hätte finden können, wenn er <strong>die</strong> Zeit dazu gehabt hätte.<br />

SOKRATES stellt also naheliegende Lösungen <strong>auf</strong>, kritisiert sie und<br />

kommt von da aus zu weiteren naheliegenden Lösungsvorschlägen, <strong>die</strong><br />

dem Schüler durchaus einleuchten, usw. SOKRATES bringt dadurch<br />

seine Schüler oder Gesprächspartner zur Einsicht in <strong>die</strong> Falschheit oder<br />

Widersprüchlichkeit scheinbarer Lösungen und zwingt sie damit, <strong>die</strong><br />

Suche nach besseren Lösungen fortzusetzen oder <strong>die</strong>ser Suche<br />

wenigstens zuzustimmen 24 .<br />

Nach SOKRATES kann jedem, der daran interessiert ist zu lernen, dabei<br />

geholfen werden, sich von seinen Vorurteilen zu befreien (vgl. POPPER<br />

1970, Bd. 1, S. 180). Auf <strong>die</strong>se Weise sorgte SOKRATES für <strong>die</strong> Seelen<br />

seiner Schüler. Es ging ihm darum, „in der Seele <strong>die</strong> Weisheit zum Leben<br />

23 Im Menon bringt SOKRATES einem Sklaven schrittweise bei, daß <strong>die</strong> Quadratwurzel<br />

aus 2 irrational ist. POPPER wertet <strong>die</strong>s als einen „Versuch, zu beweisen,<br />

daß jeder ungebildete Sklave <strong>die</strong> Fähigkeit besitzt, auch abstrakte Sachverhalte zu<br />

begreifen" (POPPER 1970, Bd. 1, S. 180).<br />

24 Zur Lehrstrategie des SOKRATES vgl. auch RUMPF 1971, S. 204 ff.<br />

104


(zu) bringen“ (<strong>die</strong> Hebammenkunst) (BLÄTTNER 1973, S. 21), <strong>die</strong><br />

Weisheit, <strong>die</strong> in der einfachen Einsicht besteht, wie wenig wir wirklich<br />

wissen. Wer sich dessen nicht bewußt ist, der weiß, nach SOKRATES,<br />

überhaupt nichts 25 . Nur der Ungebildete glaubt zu wissen. Dieser bedarf<br />

daher einer Autorität, <strong>die</strong> ihn belehrt und <strong>auf</strong>klärt. Aber nach SOKRA-<br />

TES besitzt der Lehrer <strong>die</strong>se Autorität nur dadurch, „daß er <strong>die</strong> Selbstkritik<br />

an den Tag legt, <strong>die</strong> dem Ungebildeten fehlt“ (POPPER 1970, Bd.1,<br />

S. 181). Durch <strong>die</strong> kritische Haltung des Lehrers lernen <strong>die</strong> Schüler<br />

Selbstkritik, sie lernen, Behauptungen und Selbstverständlichkeiten zu<br />

hinterfragen. Der Lehrer SOKRATES fragt seine Schüler niemals zum<br />

Schein, nur um sie zu etwas zu bringen, was er selbst mit Sicherheit längst<br />

weiß, sondern er fragt stets ernsthaft, um der Wahrheit <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Spur zu<br />

kommen (vgl. BLÄTTNER 1973, S. 20).<br />

In unserem Jahrhundert (vermutlich aber auch in früheren Jahrhunderten)<br />

wurde <strong>die</strong> sokratische Methode von einer Reihe von Pädagogen und<br />

Hochschullehrern <strong>auf</strong>gegriffen und weiterentwickelt zur Lösung von<br />

Schul- und Hochschulproblemen 26 ; vorwiegend geschah <strong>die</strong>s in den<br />

Naturwissenschaften und der Mathematik 27 . Das Hauptproblem, zu<br />

dessen Lösung <strong>die</strong> genetische Lehrstrategie <strong>die</strong>nen sollte, war stets, daß<br />

<strong>die</strong> Lernenden nur ein oberflächliches Verständnis des Lehrstoffes<br />

erzielten und oft auch nur wenig am Lehrstoff interessiert waren. Zur<br />

Lösung <strong>die</strong>ser Probleme empfahl der Mathematiker Otto TOEPLITZ<br />

(1927) <strong>die</strong> genetische Lehrstrategie, um damit <strong>die</strong> Studenten in den Gang<br />

der Forschung einzuführen und sie zu einem forschenden Lernen zu<br />

motivieren:<br />

25 Vgl. POPPER 1970, Bd. 1, S. 180. Das ist, so POPPER, „der wahrhaft wissenschaftliche<br />

Geist'°. Und <strong>die</strong> Leute, <strong>die</strong> noch immer der .Ansicht sind, daß <strong>die</strong><br />

Haltung des SOKRATES durch den „mangelnden Erfolg der Wissenschaft seiner<br />

Zeit erklärt werden müsse', sind von einer „magischen Einstellung zur Wissenschaft<br />

und zum Wissenschaftler besessen, den sie für einen ... Weisen, für einen<br />

Gelehrten, für einen Eingeweihten halten. Sie beurteilen ihn nach der Menge des<br />

Wissens, das sich in seinem Besitz befindet, statt, wie SOKRATES, seine Einsicht<br />

in sein Nichtwissen zum Maßstab seines wissenschaftlichen Niveaus und seiner<br />

intellektuellen Ehrlichkeit zu machen." (POPPER 1970, Bd. 1, S. 180)<br />

26 Die Ansichten, für welche <strong>Institution</strong>en und Lernenden <strong>die</strong> genetische Lehrstrategie<br />

geeignet sei, gingen dabei auseinander. So meint etwa TOEPLITZ, <strong>die</strong><br />

genetische Lehrstrategie sei eher für <strong>die</strong> Hochschule als für <strong>die</strong> Schule geeignet.<br />

Diese Ansicht darf aber nach den Arbeiten von WAGENSCHEIN und WITTEN-<br />

BERG als überholt betrachtet werden.<br />

27 Zu nennen sind hier von den Fachwissenschaftlern und Fachdidaktikern vor allem<br />

WAGENSCHEIN 1970, 1976; WITTENBERG 1963; FREUDENTHAL 1974;<br />

TOEPLITZ 1927; KLEIN 1968 (1 Aufl. 1924).<br />

105


„Ich ... sagte mir: alle <strong>die</strong>se Gegenstände der Infinitesimalrechnung, <strong>die</strong><br />

heute als kanonisierte Requisiten gelehrt werden, der Mittelwertsatz, <strong>die</strong><br />

Taylorsche Reihe, der Konvergenzbegriff, das bestimmte Integral, und<br />

vor allem der Differentialquotient selbst, bei denen nirgends <strong>die</strong> Frage<br />

berührt wird: warum so? wie kommt man zu ihnen?, alle <strong>die</strong>se Requisiten<br />

also müssen doch einmal Objekte eines spannenden Suchens, einer<br />

<strong>auf</strong>regenden Handlung gewesen sein, nämlich damals, als sie geschaffen<br />

wurden. Wenn man an <strong>die</strong>se Wurzeln der Begriffe zurückginge, würden<br />

der Staub der Zeiten, <strong>die</strong> Schrammen langer Abnutzung von ihnen<br />

abfallen, und sie würden wieder als lebensvolle Wesen vor uns erstehen.“<br />

(TOEPLITZ 1927, S. 92)<br />

Auch der Mathematiker Felix KLEIN (1924) empfahl <strong>die</strong> genetische<br />

Lehrstrategie. Nach ihm sollte der Unterricht an <strong>die</strong> Vorstellungen der<br />

Jugendlichen anknüpfen und sie von da aus langsam zu den Ergebnissen<br />

der heutigen Wissenschaft führen, und zwar <strong>auf</strong> demselben Weg, „<strong>auf</strong><br />

dem sich <strong>die</strong> ganze Menschheit aus ihrem naiven Urzustande zu höherer<br />

Erkenntnis emporgerungen hat“ (KLEIN 1968, S. 289). Indem er also<br />

<strong>die</strong> Schüler sich an den Problemen versuchen läßt, deren Lösung zum<br />

Aufbau der heutigen Wissenschaft führte, hofft er, sie zum wissenschaftlichen<br />

Denken zu bringen. Keineswegs aber sollte man, so betont<br />

er, den Schülern „von Anfang an mit einer kalten, wissenschaftlich<br />

<strong>auf</strong>geputzten Systematik ins Gesicht springe“ (S. 289). KLEIN<br />

empfiehlt den angehenden Lehrern zu lernen, wie unendlich langsam <strong>die</strong><br />

mathematischen Ideen entstanden sind und wie sie erst „in langer<br />

Entwicklung <strong>die</strong> starre und auskristallisierte Form der systematischen<br />

Darstellung annahmen“ (S. 289).<br />

Georg KERSCHENSTEINER (1928) setzte sich für <strong>die</strong> Anwendung der<br />

genetischen Lehrstrategie (ohne freilich <strong>die</strong>se Bezeichnung zu benutzen)<br />

auch um der Charakterbildung der Schüler willen ein. Unterricht könne<br />

nur dann „erziehlich fruchtbar“ sein und „zu Erkenntniswerten führen<br />

und nicht bloß Kenntnisse übermitteln“, wenn der Unterricht „den<br />

gleichen mühevollen Gang“ gehe, „der das Menschengeschlecht in<br />

vieltausendjähriger mühevoller Arbeit, voll von Irrtümern, schrittweise<br />

zum Stande der heutigen Erkenntnis“ geführt hat (KERSCHEN-<br />

STEINER 1928, S. 74). Voraussetzung der Anwendung der genetischen<br />

Lehrstrategie ist <strong>die</strong> Begrenzung des Lehrstoffs. KERSCHENSTEINERs<br />

Werk enthält zahlreiche Angriffe und Argumente gegen <strong>die</strong> oberflächliche<br />

Vielwisserei und <strong>die</strong> vollgepropften Stoffpläne, <strong>die</strong> ja auch heute<br />

noch - oder wieder - mit Stoff überfüllt sind und <strong>die</strong> daher nur noch <strong>die</strong><br />

Anwendung der systemvermittelnden Lehrstrategie zulassen. In <strong>die</strong>sem<br />

Sinne darf man das folgende Zitat des Physikers Ernst MACH als<br />

106


Ablehnung der systemvermittelnden und als Plädoyer für <strong>die</strong> genetische<br />

Lehrstrategie <strong>auf</strong>fassen. MACH (1923, S. 344-345) schreibt:<br />

„Ich kenne nichts Schrecklicheres als <strong>die</strong> armen Menschen, <strong>die</strong> zuviel<br />

gelernt haben. Statt des gesunden kräftigen Urteils, welches sich vielleicht<br />

eingestellt hätte, wenn sie nichts gelernt hätten, schleichen ihre Gedanken<br />

ängstlich und hypnotisch einigen Worten, Sätzen und Formeln nach,<br />

immer <strong>auf</strong> denselben Wegen. Was sie besitzen, ist ein Spinnengewebe<br />

von Gedanken, zu schwach, um sich dar<strong>auf</strong> zu stützen, aber kompliziert<br />

genug, um zu verwirren . ... Ich wäre zufrieden, wenn jeder Jüngling<br />

einige wenige mathematische oder naturwissenschaftliche Entdeckungen<br />

sozusagen miterlebt und in ihre weiteren Konsequenzen verfolgt hätte.“<br />

Ganz ähnlich äußerte sich auch Max PLANCK. Auch er meinte, daß es<br />

weniger dar<strong>auf</strong> ankomme, „was in der Schule gelernt wird, als dar<strong>auf</strong>, wie<br />

gelernt wird“. Ein einziger mathematischer Satz, den der Schüler wirklich<br />

versteht, habe für <strong>die</strong>sen mehr Wert als zehn auswendig gelernte<br />

Formeln, <strong>die</strong> er vorschriftsmäßig anwenden kann, aber deren Sinn er<br />

nicht versteht (PLANCK 1933, S. 185, zit. nach WAGENSCHEIN 1970,<br />

Bd. 1, S. 60).<br />

Auch POPPER äußert sich gegen <strong>die</strong> vorwiegende Anwendung der<br />

systemvermittelnden bzw. technologischen Lehrstrategie. Die Naturwissenschaften<br />

seien, wenn sie als Technologien gelehrt würden, in<br />

Gefahr, Bildung zu ersticken anstatt sie zu fördern. Das gelte nicht nur<br />

für <strong>die</strong> Naturwissenschaften, sondern ebenso für Malerei und Dichtung.<br />

Statt als Technologien sollten Wissenschaft und Kunst als „menschliche<br />

Errungenschaften behandelt werden ..., als große Abenteuer des<br />

menschlichen Geistes, als Kapitel in der Geschichte der menschlichen<br />

Ideen, angefangen bei der Schaffung von Mythen ... und ihrer Kritik“ 28 .<br />

Das bedeutet, daß man den Werdensaspekt hervorhebt und den Weg der<br />

Entdeckung nachvollzieht, also genetisch lehrt.<br />

3.1.2. Beispiele für Lehrstrategien<br />

Im folgenden gebe ich Beispiele für <strong>die</strong> genetische und systemvermittelnde<br />

Lehrstrategie in den Fächern Mathematik, Fremdsprachen und<br />

28 POPPER 1972, S. 379. Das Original lautet:<br />

.. they should be treated . . as human achievements, as great adventures of the<br />

human mind, as chapters in the history of human ideas, of the making of myths, . .<br />

. and of their criticism."<br />

Als bedeutenden und einflußreichen Befürworter einer Lehrstrategie, <strong>die</strong> hier als<br />

problementwickelnde bzw. genetische bezeichnet wird, muß man M. WERT-<br />

HEIMER betrachten; siehe vor allem sein Buch „Produktives Denken", 1957.<br />

107


Philosophie. Beispiele zur genetischen Lehrstrategie sind in Schul und<br />

sonstigen Lehrbüchern nur selten zu finden, sondern vorwiegend in<br />

Arbeiten über Unterricht enthalten. Natürlich ist ganz allgemein in der<br />

wissenschaftlichen Literatur häufiger <strong>die</strong> Verwendung der genetischen<br />

Verfahrensweise anzutreffen, da Forschung eben von Problemstellungen<br />

ausgehend Theorien zur Lösung der Probleme diskutiert.<br />

Beispiele zur systemvermittelnden Lehrstrategie dagegen sind leicht zu<br />

finden, da <strong>die</strong> meisten Lehrbücher in <strong>die</strong>ser Weise geschrieben werden.<br />

Und fast jeder, der eine Schule besucht hat, hat auch hinreichende<br />

Erfahrungen mit der systemvermittelnden Lehrstrategie gemacht. Ich<br />

werde mich daher bei den Beispielen hierzu nur <strong>auf</strong> knappe Hinweise<br />

beschränken und dafür <strong>die</strong> genetische Lehrstrategie etwas ausführlicher<br />

darstellen 29 .<br />

Lehrstrategien im Mathematikunterricht<br />

Die systemvermittelnde Lehrstrategie<br />

Zunächst nun einige Anmerkungen zu einem Beispiel der systemvermittelnden<br />

Lehrstrategie im Mathematik- bzw. Geometrieunterricht der<br />

Sekundarstufe I, das ich einem gängigen Schulbuch entnehme (LAMBA-<br />

CHER und SCHWEITZER 1977).<br />

Die Lehrstrategie beginnt mit der Erklärung, daß Geometrie sich mit<br />

Figuren beschäftigt. Dazu werden dann einige Figuren abgebildet. Dann<br />

werden <strong>die</strong> Grundelemente der Geometrie <strong>auf</strong>gezählt:<br />

„Alle Figuren fassen wir als Mengen von Punkten <strong>auf</strong>. Alle Strecken sind<br />

Teilmengen von Geraden. Alle quadratischen, rechteckigen, dreieckigen Flächen<br />

sind Teilmengen von Ebenen. Wir sagen dazu: Punkte, Geraden und Ebenen<br />

sind Grundelemente der Geometrie.“<br />

Im folgenden wird <strong>die</strong> „Haupt<strong>auf</strong>gabe der Geometrie“ erwähnt, <strong>die</strong> darin<br />

besteht, „<strong>die</strong> Eigenschaften von Figuren festzustellen“.<br />

„Manche Eigenschaften sind anschaulich deutlich. Eine Reihe solcher<br />

Eigenschaften begründen wir nicht weiter, sondern drücken sie in ,Grundsätzen’<br />

aus und legen <strong>die</strong>se unserem Aufbau der Geometrie zugrunde.“<br />

29 Weiter Beispiele zur genetischen Lehrstrategie im Physikunterricht gibt WAGENSCHEIN<br />

1970; Hinweise für einen genetischen Geschichtsunterricht geben GRIFFIN 1942 und<br />

RUMPF 1971. HILLIGEN 1971, S. 2584 f. referiert <strong>die</strong> Arbeit von GRIFFIN, der <strong>die</strong>se<br />

Lchrstrategie als reflexiv (im Gegensatz zu kritiklos memorierend) bezeichnet, während<br />

RUMPF von kreativem Geschichtsunterricht spricht - ebenfalls im Gegensatz zu einem<br />

hinnehmenden und memorierenden Geschichtsunterricht.<br />

108


Nach <strong>die</strong>ser Einführung werden dann der Reihe nach <strong>die</strong> Grundsätze (G<br />

1, G 2 . . .), Definitionen (D 1, D 2 . . .) und Sätze (S 1, S 2 . . .)<br />

eingeführt:<br />

„G 1 Durch zwei verschiedene Punkte gibt es genau eine Gerade.<br />

D 1 Die Gerade, welche durch <strong>die</strong> Punkte A und B bestimmt ist, nennen wir<br />

Verbindungsgerade von A und B, kurz Gerade (AB) oder Gerade (BA).<br />

G 2 Jede Gerade ist eine unendliche Punktmenge.<br />

S 1 Zwei Geraden haben höchstens einen Punkt gemeinsam.“<br />

Nachdem in <strong>die</strong>ser Weise mit knappen Erläuterungen einige Grundsätze,<br />

Definitionen und Sätze eingeführt worden sind, folgen Aufgaben dazu,<br />

dann wieder Grundsätze usw. Der Mathematiker FREUDENTHAL bezeichnet<br />

<strong>die</strong>ses Vorgehen als „antididaktische Inversion“. „Das einzige“,<br />

so FREUDENTHAL (1974, Bd. 1, S. 100),<br />

„was didaktisch relevant wäre, <strong>die</strong> Analyse des Lehrstoffes, wird unterschlagen;<br />

dem Schüler wird das Resultat der Analyse vorgesetzt und er darf zusehen, wie<br />

der Lehrer, der weiß, wo es hingeht, es zusammensetzt.“<br />

Es dürfte tatsächlich schwer sein für den Schüler zu erkennen, warum im<br />

Geometrieunterricht <strong>die</strong> Grundsätze, Definitionen, Sätze und Beweise so<br />

und nicht anders <strong>auf</strong>einander folgen. Wie kommt man z. B. zu dem<br />

Grundsatz: „Jede Gerade ist eine unendliche Punktmenge“? Tatsächlich<br />

wird <strong>die</strong> Einführung <strong>die</strong>ses Grundsatzes durch nichts motiviert. Der<br />

Schüler kann ihn nur als Glaubenssatz hinnehmen und gefügig<br />

wiederholen 30 .<br />

Die genetische Lehrstrategie<br />

Im folgenden referiere ich eine genetische Lehrstrategie zum Geometrieunterricht<br />

der Sekundarstufe I und II 31 . Diese Lehrstrategie wurde von<br />

dem Mathematiker Alexander WITTENBERG (1963) entworfen. (Er<br />

versuchte, damit das Problem zu lösen, welchen Beitrag <strong>die</strong> Mathematik<br />

zur Bildung in der demokratischen Gesellschaft leisten kann.)<br />

30 Vermutlich wird nur bei wenigen Schülern ein Zweifel an derartigen Grundsätzen<br />

weiterbestehen, wie das bei dem jungen RUSSELL der Fall war (siehe Anm. 13, S. 96).<br />

31 Ich habe schon früher dar<strong>auf</strong> hingewiesen, daß <strong>die</strong> genetische Lehrstrategie ebenso für das<br />

Hochschulstudium geeignet ist und auch angewandt wird. Beispiele im Bereich der<br />

Mathematik geben TOEPLITZ 1972: „Infinitesimalrechnung" und WAISMANN 1970:<br />

„Einführung in das mathematische Denken". Beispiele für <strong>die</strong> Anwendung der genetischen<br />

Lehrstrategie im Grundschulunterricht gibt KARASCHEWSKI 1969 a: „Wesen und Weg<br />

des ganzheitlichen Rechenunterrichts" (siehe insbesondere S. 182 f.). Der „ganzheitliche"<br />

Unterricht meint in der Sache durchaus einen problementwickelnden oder genetischen<br />

Unterricht, der von einer umfassenden oder ganzheitlichen Situation ausgeht.<br />

KARASCHEWSKI verwandelt so den Stoff der Mathematik in Probleme, <strong>die</strong> sich aus der<br />

Umwelt oder Märchenwelt, d. h. dem Vorwissen der Grundschüler, ergeben. Davon<br />

ausgehend wird in genetischer Weise das Rechnen entwickelt und später <strong>die</strong> Mathematik.<br />

109


In seiner Lehrstrategie geht es WITTENBERG darum, <strong>die</strong> Schüler eine<br />

„Wiederentdeckung der Mathematik von Anfang an“ (S. 67) erleben zu<br />

lassen. Gemeint ist freilich eine „Wiederentdeckung unter Führung“.<br />

Diese Wiederentdeckung soll eine „gültige Erfahrung“ „echter Mathematik“<br />

ermöglichen, <strong>die</strong> in „überzeugender Weise innerhalb des geistigen<br />

Erfahrungsbereiches der Schüler zustande“ kommt (S. 59). Damit ist <strong>die</strong><br />

Anwendung der genetischen Lehrstrategie bereits angekündigt, denn es<br />

geht um eine Erfahrung der Wissenschaft, <strong>die</strong> durch „Vermutung und<br />

Widerlegung“ (POPPER), durch „kühne Theorien“ und deren „erbarmungslose<br />

Kritik“ (POPPER) fortschreitet. WITTENBERG beginnt<br />

seine „Erschließung“ mit einer kurzen Erläuterung des Begriffs Geometrie:<br />

„Worum handelt es sich in der Geometrie? Um <strong>die</strong> Untersuchung der Figuren,<br />

<strong>die</strong> wir mit Zirkel und Lineal in unser Heft oder <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Tafel zeichnen können<br />

und <strong>die</strong> wir an der Welt um uns, an unseren Feldern und Häusern und<br />

Gebrauchsgegenständen, entdecken.“ (S. 72)<br />

Schon <strong>die</strong> Sprache <strong>die</strong>ser Erläuterung berücksichtigt das Vorwissen der<br />

Schüler. WITTENBERG spricht weder von Axiomen oder Grundsätzen<br />

noch von Mengen von Punkten wie <strong>die</strong>s in der oben referierten<br />

systemvermittelnden Lehrstrategie der Fall war. Beides wäre hier „ohne<br />

innere Notwendigkeit“ und könnte dem Schüler nur als Vorgefertigtes<br />

<strong>auf</strong>gezwungen werden (S. 72).<br />

Es folgt zunächst eine Beschäftigung der Schüler mit Zirkel und Lineal.<br />

Probleme sind etwa: Wie kann ich prüfen, ob mein Lineal wirklich gerade<br />

ist? Warum werden Zirkel und Lineal verwendet; welche anderen<br />

Instrumente wären denkbar? usw. (S. 73).<br />

Nachdem eine erste Vertrautheit mit den Instrumenten erreicht ist, sollen<br />

<strong>die</strong> Schüler <strong>die</strong> Bedeutung der Figuren entdecken, sie sollen erfahren, daß<br />

<strong>die</strong>se Figuren „merkwürdige, überraschende Eigenschaften besitzen“ (S.<br />

75). Zu <strong>die</strong>sem Zweck läßt WITTENBERG <strong>die</strong> Schüler eine Reihe von<br />

Problemen lösen, <strong>die</strong> sich aus dem Umgang mit Zirkel und Lineal<br />

unmittelbar ergeben:<br />

„Erfinde Figuren! Wer kann <strong>die</strong> einfachste, <strong>die</strong> komplizierteste, <strong>die</strong><br />

regelmäßigste, <strong>die</strong> unregelmäßigste Figur erfinden? Welche Figur ist einfacher<br />

und regelmäßiger: das Quadrat oder der Kreis? Warum?<br />

Was macht <strong>die</strong> Regelmäßigkeit oder Unregelmäßigkeit aus? Versuche, das<br />

genauer zu erfassen und zu beschreiben. Kannst du Vierecke erfinden, <strong>die</strong><br />

weniger regelmäßig als ein Quadrat, aber regelmäßiger als ein ganz unregelmäßiges<br />

Viereck sind? Eine Figur kann schön sein. Wer erfindet <strong>die</strong> schönste,<br />

110


<strong>die</strong> häßlichste Figur? Woran liegt <strong>die</strong> Schönheit einer geometrischen Figur?“ (S.<br />

76)<br />

Es werden zudem Beziehungen zur erlebten Wirklichkeit der Schüler<br />

geschaffen, zu Ornamenten (an Gebäuden, bei Stickereien usw.), zur<br />

Kunst (MONDRIAN) (S. 76). Durch solche Tätigkeiten, durch das<br />

Umgehen mit Figuren, das Zeichnen, Vergleichen von Figuren und das<br />

Suchen nach besonderen Figuren usw. werden kognitive Strukturen<br />

ausgebildet, <strong>die</strong> erst das bewußte Wahrnehmen der besonderen Eigenschaften<br />

<strong>die</strong>ser Figuren ermöglichen. Denn jede Wahrnehmung wird ja<br />

von Erwartungen, d. h. von den jeweils vorhandenen kognitiven Strukturen,<br />

beeinflußt. Je differenzierter <strong>die</strong> kognitiven Strukturen, desto<br />

differenzierter werden auch <strong>die</strong> Erwartungen und <strong>die</strong> Wahrnehmungstätigkeit<br />

sein (vgl. hierzu Kap. 2.1.2. über Wahrnehmung).<br />

Nach <strong>die</strong>sen Erfahrungen werden <strong>die</strong> Schüler das „Eigenleben“<br />

geometrischer Figuren leichter verstehen. WITTENBERG gibt dazu<br />

folgende Aufgaben:<br />

„Figuren haben seltsame Eigenschaften: der Kreisradius läßt sich genau<br />

6mal <strong>auf</strong> dem Umfang abtragen, und es entsteht ein regelmäßiges<br />

Sechseck. - Die Mittellinien in einem Dreieck schneiden sich immer -<br />

wahrhaftig immer - in einem Punkt.“<br />

„Zeichne ich in ein Geradenpaar oder in einen Kreis ein ganz beliebiges Sechseck<br />

hinein, numeriere <strong>die</strong> Ecken der Reihe nach von 1 bis 6 und schneide <strong>die</strong><br />

,gegenüberliegenden’ Seiten (1,2 und 4,5; 2,3 und 5,6; 3,4 und 6,1) oder deren<br />

Verlängerung miteinander, so liegen <strong>die</strong> drei Schnittpunkte (wenn sie überhaupt<br />

<strong>auf</strong> das Blatt fallen) immer - wahrhaftig immer! - in gerader Linie.“ (S. 76-78)<br />

111


Die Schüler erhalten jedoch nicht <strong>die</strong>se Ergebnisse, sondern der Lehrer<br />

fordert sie <strong>auf</strong>, möglichst viele verschiedenartige Figuren zu zeichnen, <strong>die</strong><br />

dann - so schlägt WITTENBERG es vor - <strong>auf</strong>gehängt werden, damit <strong>die</strong><br />

Schüler dazu gelangen, „sich über <strong>die</strong>se erstaunliche Gesetzlichkeit in der<br />

Vielfalt zu wundern“ (S. 78). So wird der Schüler durch <strong>die</strong> genetische<br />

Lehrstrategie dazu geführt, selbst eine Welt geometrischer Figuren zu<br />

schaffen und damit eine Welt von Problemen zu entdecken. Es handelt<br />

sich hierbei um <strong>die</strong> Nacherschaffung einer objektiven Welt des Wissens<br />

(Welt 3 nach POPPER) und zugleich um <strong>die</strong> Entwicklung<br />

entsprechender kognitiver Strukturen beim Schüler.<br />

WITTENBERG geht es nun darum, daß <strong>die</strong> Schüler <strong>die</strong>se Welt der<br />

geometrischen Figuren ordnen; sie sollen lernen, sich in <strong>die</strong>ser Welt der<br />

Figuren zurechtzufinden. Dies wird erreicht durch Aufgaben über<br />

Dreiecke: Was für Dreiecke gibt es? Wie kann man Dreiecke<br />

nachzeichnen? (S. 78)<br />

Aus der Aufgabe, Dreiecke nachzuzeichnen, ergeben sich weitere<br />

Probleme, denn es gibt verschiedene Möglichkeiten dazu. Die Untersuchung<br />

<strong>die</strong>ses Problems führt zu den Kongruenzsätzen, <strong>die</strong> sich „naturgemäß“<br />

oder genetisch - wie in der Wissenschaftsgeschichte auch - aus<br />

112


der Untersuchung der Dreiecke ergeben. Und <strong>die</strong>ses Ergebnis kommt<br />

innerhalb des Erfahrungsbereiches der Schüler zustande (S. 79).<br />

Das Problem der Nachzeichnung von Dreiecken führt auch zu der<br />

Aufgabe der Nachzeichnung von Dreiecken in einer veränderten Lage.<br />

So kommt man zur Spiegelbildlichkeit und damit zur Vorbereitung des<br />

Symmetriebegriffes und zur Ähnlichkeit. Die Beschäftigung mit<br />

Spiegelbildlichkeit und Ähnlichkeit läßt <strong>die</strong> Frage <strong>auf</strong>kommen, was Links<br />

und was Rechts ist. Hier strebt WITTENBERG eine Integration der<br />

mathematischen Betrachtung in <strong>die</strong> umfassenden Zusammenhänge des<br />

Unterschieds zwischen Links und Rechts an. Von <strong>die</strong>sem Ansatz aus<br />

eröffnen sich vielerlei Ausblicke: Könnte man beispielsweise einem<br />

Marsbewohner per Funk erklären, was man mit „Links“ meint? Wie ist es<br />

in der unbelebten Natur? Sind „Links“ und „Rechts“ da gleichberechtigt?<br />

Diese Fragen führen zum „Prinzip der Parität“ (<strong>die</strong> Annahme der<br />

„Unmöglichkeit, durch eine rein physikalische Erklärung festzulegen, was<br />

,Links’ ist“), das erst 1957 widerlegt wurde. Der Lehrer soll <strong>die</strong>ses Wissen<br />

nicht vor seinen Schülern ausbreiten, aber es gibt ihm <strong>die</strong> Gewähr, daß er<br />

seine Schüler nicht in eine Sackgasse führt, sondern <strong>auf</strong> eine „breite Allee<br />

der Erkenntnis“. Weitere Fragen ergeben sich im biologischen Zusammenhang:<br />

Beim Menschen ist Rechts meist bevorzugt. Wie ist es bei den<br />

Tieren? (S. 81)<br />

Ein weiteres Problem, das sich bei der Beschäftigung mit geometrischen<br />

Figuren stellt, ist das Messen. Diese Frage wird zunächst durch allgemeine<br />

Überlegungen, <strong>die</strong> sich aus dem Vorwissen der Schüler ergeben,<br />

behandelt (S. 100 f.).<br />

Alle bisherigen Überlegungen werden sodann vertieft.<br />

„Was uns bisher beschäftigt hat, ist ein Anfang, der nach Fortsetzungen<br />

ruft. Der Schüler muß zu den verborgenen Tatsachen vordringen, er muß<br />

weitere Zusammenhänge erkennen.“ (S. 106-107)<br />

Im folgenden werden dann <strong>die</strong> Flächenlehre vertieft, <strong>die</strong> Winkel an und<br />

in Vielecken untersucht und Beweisgedanken für <strong>die</strong> Winkelsummen im<br />

Dreieck, Viereck usw. von möglichst vielen verschiedenen Seiten her<br />

verfolgt und durchdacht, bis zur Grenze der nichteuklidischen Geometrie<br />

(S. 109-117). Die Probleme ergeben sich auch hier stets aus der Sache, ja<br />

sie werden so dargelegt, daß der Schüler zur Einsicht kommt, daß <strong>die</strong>se<br />

Probleme notwendig zu bearbeiten sind, um tiefere Einblicke in <strong>die</strong><br />

Geometrie zu gewinnen.<br />

113


Schließlich erfolgt eine „Umwälzung und kritische Besinnung“ des bisher<br />

Erreichten (S. 168-241). Hier wird u. a. ein weiteres Mal <strong>die</strong> Flächenlehre<br />

<strong>auf</strong>gegriffen und <strong>die</strong> Antwort <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Frage gesucht: „In welchem<br />

Längenverhältnis ist eine Figur zu vergrößern, damit ihre Fläche verdoppelt<br />

werde?“ (S. 182)<br />

So kommt man notgedrungen zur Entdeckung, d. h. zum Nachvollzug<br />

der Entdeckung irrationaler Zahlen, denn es<br />

„gibt keine Zahl, um das Vergrößerungsverhältnis genau zu beschreiben,<br />

welches <strong>die</strong> Seite eines Quadrats in dessen Diagonale verwandelt“. (S.<br />

184)<br />

Doch <strong>die</strong>ses Ergebnis wird erst nach vielen und doch stets scheiternden<br />

Bemühungen erreicht, nach Bemühungen, <strong>die</strong> sowohl das Zeichnen als<br />

auch das Verfahren der Intervallschachtelung einschließen. Aber alle<br />

<strong>die</strong>se Verfahren werden nur in ihren Grundgedanken entwickelt, und nur<br />

dazu, um das gestellte Problem lösen zu können, und sind von daher<br />

motiviert und begründet.<br />

Die Entdeckung, daß es keine Zahl gibt, um das Vergrößerungsverhältnis<br />

zu beschreiben, welches <strong>die</strong> Seite eines Quadrats in dessen Diagonale<br />

verwandelt, führt zum Problem, wie es dann überhaupt möglich ist, <strong>die</strong>se<br />

Figur zu zeichnen. Die bis dahin stillschweigend vorausgesetzte Annahme,<br />

man gehe von gezeichneten Figuren aus, muß also <strong>auf</strong>gegeben<br />

werden. Dieses Problem ist der Anlaß für weitreichende, philosophische<br />

Überlegungen und nötigt zur Einführung „idealer Figuren“, zu Figuren,<br />

„<strong>die</strong> man nicht zeichnen kann und <strong>die</strong> keiner gesehen hat und <strong>die</strong> doch<br />

mit ihren wohlbestimmten Eigenschaften bestehen“ (S. 193). Und <strong>die</strong>se<br />

Eigenschaften kann man sogar genau erfassen und untersuchen.<br />

Die Einsicht der Schüler, daß sie bis zu <strong>die</strong>ser Entdeckung von einer<br />

falschen grundlegenden Annahme ausgegangen sind, zwingt sie dazu, ihre<br />

früheren Betrachtungen nochmals zu überprüfen. Die Schüler lernen <strong>auf</strong><br />

<strong>die</strong>se Weise tatsächlich, wissenschaftlich zu denken und zu arbeiten.<br />

Denn es ist ein charakteristischer Zug des wissenschaftlichen Denkens,<br />

daß unsere Annahmen scheitern können (Vermutung und Widerlegung).<br />

Während <strong>die</strong>ses Scheitern in der Mathematik durch <strong>die</strong> „innere Notwendigkeit“<br />

der Disziplin selbst hervorgerufen wird (S. 193-194), scheitern in<br />

den empirischen Wissenschaften viele Theorien an der Wirklichkeit.<br />

Dieses Beispiel zeigt, wie <strong>die</strong> Entwicklung der Wissenschaft bzw. eine<br />

mögliche Entwicklung der Wissenschaft von den Schülern, unter Führung<br />

des Lehrers, wiederentdeckt wird, wie ausgehend von einfachen<br />

114


Problemen kognitive Strukturen <strong>auf</strong>gebaut werden, <strong>die</strong> zu immer<br />

umfassenderen und tieferen Problemen führen und damit zu einem<br />

immer umfassenderen und tieferen Verständnis (S. 262) 32 .<br />

Ein Unterricht nach der genetischen Lehrstrategie ist - wie<br />

WITTENBERG betont - „eine permanente Aufgabe“. Der Schüler<br />

„braucht nicht zwanzig Aufgaben über den Stoff zu machen, wenn er den<br />

Stoff selber als große, sich allmählich entfaltende, stets wieder sich <strong>auf</strong><br />

sich selbst zurückbeziehende Anwendungs<strong>auf</strong>gabe durcharbeitet“. (S.<br />

156-157)<br />

Das bedeutet jedoch nicht, daß Anwendungs- bzw. Übungs<strong>auf</strong>gaben<br />

ganz wegfallen.<br />

Die Anordnung der Unterrichtsinhalte wird von den organisch sich<br />

ergebenden Problemen bestimmt und nicht von einer systematischen<br />

Ordnung derart, daß bestimmte Sätze wie z. B. <strong>die</strong> Gleichheit von Scheitelwinkeln,<br />

<strong>die</strong> eventuell gebraucht werden, um den pythagoreischen.<br />

Lehrsatz zu behandeln, nun unbedingt vorher in einem Kapitel über<br />

Winkel gebracht werden. Derartige Probleme werden bei ihrem Auftauchen<br />

im Zuge wesentlicherer Fragestellungen erledigt (S. 151). Tatsächlich<br />

geht jeder Wissenschaftler in <strong>die</strong>ser Weise vor, da er ja erst im L<strong>auf</strong>e<br />

seiner Arbeit feststellen kann, was er an Wissen braucht.<br />

Lehrstrategien im Fremdsprachenunterricht<br />

Einige Anmerkungen zum Sprachenlernen<br />

Sprache ist ein sehr komplexes Werkzeug. Aber Sprache ist kein fertiges<br />

Instrument, sondern es existiert in unendlich vielen verschiedenen<br />

Formen und Schattierungen: so gibt es <strong>die</strong> Kindersprache, <strong>die</strong> Erwachsenensprache,<br />

<strong>die</strong> Fachsprachen usw. Man spricht auch von<br />

lebenden Sprachen und zeigt damit an, daß Sprachen sich verändern oder<br />

entwickeln.<br />

Das Charakteristikum eines Werkzeugs ist, daß es zu etwas verwendet<br />

wird, d. h. ein Werkzeug erhält seine Bedeutung erst durch seine Verwendungsweisen.<br />

Ein Werkzeug kennenlernen bedeutet daher, seine Verwen-<br />

32 Eine derartige „wissenschaftliche Geisteshaltung“ (WITTENBERG) hat auch<br />

Konsequenzen für <strong>die</strong> politisch-sozialen Einstellungen der Schüler, da auch hier<br />

nicht mehr ohne weiteres totalitäre Ideen unbefragt hingenommen werden dürften<br />

(vgl. WITTENBERG, S. 267 f.). Diese Annahme liegt auch POPPERs Auffassung<br />

des kritischen Rationalismus zugrunde (vgl. POPPER 1970).<br />

115


dungsmöglichkeiten zu stu<strong>die</strong>ren. Ebenso geht es beim Lernen einer<br />

Sprache nicht nur um <strong>die</strong> Sprache, sondern immer auch um das, wozu sie<br />

verwendet wird. Denn der Gebrauch der Sprache als eines Werkzeugs<br />

bedeutet, daß wir <strong>die</strong> Realität symbolisieren, um so mit der Realität<br />

umgehen und sie verstehen zu können. Der Erwerb von Symbolen und<br />

der sachgerechte Umgang damit beinhaltet also zudem <strong>die</strong> Erarbeitung<br />

eines Sachgebietes.<br />

Diesen Vorgang des Erwerbs einer Sprache kann man am besten am<br />

Mutterspracherwerb untersuchen. Das Kind, das <strong>auf</strong> der Grundlage<br />

angeborener Dispositionen (vgl. 2.1.1.) eine Sprache erwirbt, lernt<br />

zunächst nur wenige Dinge oder auch Vorgänge mit den Sprachmitteln,<br />

<strong>die</strong> ihm von seiner Umwelt angeboten werden, zu symbolisieren. Durch<br />

den denkenden und handelnden Umgang mit der so symbolisierten<br />

Realität erarbeitet es sich eine immer differenziertere Grammatik und<br />

weitere und genauere Symbole. je komplexer <strong>die</strong> Aufgaben werden, <strong>die</strong><br />

das Kind mit dem Werkzeug Sprache zu meistern versucht, desto<br />

umfassender erarbeitet es sich auch das Werkzeug Sprache. So konstruiert<br />

das Kind seine Sprachmittel selbst unter Verwendung der Sprache, <strong>die</strong><br />

seine Umwelt ihm bietet 33 . Aber es erarbeitet sich nicht nur Sprachmittel,<br />

sondern zugleich mit der Sprache strukturiert und ordnet es seine<br />

Umwelt und seine Wahrnehmungen. jedoch gibt es hier eine Wechselwirkung,<br />

denn <strong>die</strong> Sprache wiederum steuert das Denken und <strong>die</strong> Wahrnehmungen.<br />

Die Muttersprache entwickelt sich also in enger Verknüpfung<br />

von denkendem und sprechendem Erkennen der Realität bzw. der<br />

geistigen Welt, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Realität beschreibt oder erklärt. Dieses Erkennen<br />

führt zum Aufbau kognitiver Strukturen, zu persönlichem Wissen. Denn<br />

<strong>die</strong> sprachlichen Begriffe und Theorien bilden das Netz, mit dem der<br />

Mensch <strong>die</strong> Umwelt zu fassen sucht. Das Regelsystem der Grammatik<br />

und <strong>die</strong> Erfindung immer weiterer Begriffe und Wörter ist eine<br />

unbeabsichtigte Folge <strong>die</strong>ses Aufbaus kognitiver Strukturen 34 .<br />

Der Erwerb einer Fremdsprache - wenn man darunter auch das Denken<br />

in <strong>die</strong>ser Sprache versteht - erfordert nun auch eben <strong>die</strong>sen Aufbau<br />

kognitiver Strukturen in der fremden Sprache, so daß sie zur eigenen,<br />

vertrauten Sprache wird. So ist es zumindest, wenn fließendes Sprechen<br />

und nicht nur mühsames Übersetzen gefordert ist. Das Lernen einer<br />

fremden Sprache bedeutet also, daß man mit vereinzelten Mitteln einer<br />

fremden Sprache ein umfassendes Wissen sich anzueignen hat. In Ver-<br />

33 zum Spracherwerb vgl. McNEILL 1974 und BRITTON 1973.<br />

34 Vgl. hierzu POPPER 1973, S. 179: „Wie <strong>die</strong> Sprache überhaupt . . ist <strong>die</strong><br />

menschliche Sprache und damit ein wesentlicher Teil der dritten Welt [und der<br />

kognitiven Strukturen] ein nicht geplantes Ergebnis menschlicher Tätigkeit."<br />

116


indung mit <strong>die</strong>ser Aufgabe entwickelt und konstruiert man gleichzeitig<br />

das Werkzeug Sprache. So ist es ja auch, wenn man eine fremde Sprache<br />

im betreffenden Sprachgebiet erlernt: dadurch, daß man mit Arbeitskollegen,<br />

Behörden, Freunden usw. sich über verschiedene Angelegenheiten<br />

verständigen muß, erwirbt man Wissen darüber und zugleich <strong>die</strong><br />

nötigen Sprachmittel. Der Versuch, eine Fremdsprache ohne „ernste<br />

denkende Bearbeitung“ von Inhalten zu erlernen, wird daher stets<br />

fehlschlagen (vgl. FLEKATSCH 1975, S. 47 ).<br />

Nach <strong>die</strong>ser Diskussion allgemeiner Aspekte des Sprachlernens will ich<br />

nun versuchen, in groben Zügen zunächst <strong>die</strong> systemvermittelnde<br />

Lehrstrategie und dann, in enger Anlehnung an FLEKATSCH, eine<br />

mögliche Form einer genetischen Lehrstrategie für den fremdsprachlichen<br />

Anfangsunterricht darzustellen.<br />

Die systemvermittelnde Lehrstrategie<br />

Der systemvermittelnden Lehrstrategie des Fremdsprach- (und Muttersprach-)unterrichts<br />

liegt eine Auffassung von Sprache als eines Systems<br />

zugrunde, das relativ unabhängig von den damit symbolisierten und<br />

beschriebenen Sachverhalten besteht. Man geht daher auch von der<br />

Vorstellung aus, daß man nur dann mit Sprache Sachverhalte beschreiben<br />

könne, wenn man <strong>die</strong> Sprachmittel dazu besitzt. Diese Ansicht ist<br />

insofern richtig, als natürlich Sprachmittel verfügbar sein müssen, wenn<br />

man sprechen will. Doch scheinen eine Reihe von Sprachdidaktikern<br />

<strong>die</strong>se Tatsache so zu interpretieren, als wäre es nun nötig, das System<br />

Sprache (d. h. Grammatik und Vokabeln) möglichst vollständig zu<br />

speichern, um dann mit <strong>die</strong>sem System arbeiten zu können.<br />

Bei Anwendung der systemvermittelnden Lehrstrategie wird also<br />

zunächst möglichst schnell eine Vielzahl von Vokabeln und<br />

grammatischen Regeln gespeichert. Die Schüler lernen so <strong>die</strong> Grammatik<br />

einer Sprache, <strong>die</strong> sie nicht beherrschen. Das bedeutet, zumindest was <strong>die</strong><br />

bewußte Erlernung der Grammatik betrifft, daß man versucht, den<br />

Schüler dahin zu bringen, daß er über Sprache nachdenkt, noch bevor er<br />

sie erworben hat 35 . Doch man kann nur <strong>die</strong> Grammatik derjenigen<br />

Sprachen sinnvoll untersuchen, <strong>die</strong> man kennt.<br />

35 Das ist so, als wollte man wissenschaftlich arbeiten lernen, indem man zunächst<br />

ein wissenschaftstheoretisches System stu<strong>die</strong>rt und dann versucht, <strong>die</strong> Wissenschaftstheorie<br />

umzusetzen in wissenschaftliches Arbeiten. Ebensogut könnte man im<br />

Rechenunterricht zu Beginn verschiedene Gesetze wie Assoziativgesetz, Kommu-<br />

117


Da es den Schülern nicht gelingt, sinnvoll über eine mögliche Grammatik<br />

der zu erlernenden Sprache nachzudenken, lernen sie <strong>die</strong> Grammatik als<br />

Algorithmen. Dieses Vorgehen führt zunächst zu guten Erfolgen. Aber<br />

dann nimmt der Lernzuwachs immer mehr ab, da nun <strong>die</strong> Vielzahl der zu<br />

berücksichtigenden Regeln und der Vokabeln unübersehbar wird. Doch<br />

dret bis vier Jahre sieht es so aus, als käme man gut vorwärts <strong>auf</strong> <strong>die</strong>se Art<br />

und Weise. Dann stagniert der Lernfortschritt. Nach neun Jahren<br />

Fremdsprachenunterricht beherrscht kaum ein Schüler <strong>die</strong> unterrichtete<br />

Sprache auch nur einigermaßen fließend (vgl. FLEKATSCH 1975, S.<br />

108-109).<br />

Die genetische Lehrstrategie<br />

Bei der genetischen Lehrstrategie lernt ein Erwachsener oder ein Schüler<br />

<strong>die</strong> Fremdsprache <strong>auf</strong> <strong>die</strong> gleiche Weise, wie ein Kind <strong>die</strong> Muttersprache<br />

lernt. So wie man einem Kind Dinge zeigt und dabei sprachlich benennt,<br />

erklärt, typische Handlungen mit <strong>die</strong>sen Gegenständen ausführt und<br />

erklärt, genauso wird man bei Schülern oder Erwachsenen eine<br />

Fremdsprache einführen. FLEKATSCH gibt ein recht ausführliches<br />

Beispiel hierzu, aus dem der folgende Ausschnitt entnommen ist:<br />

„Verschiedene Topfpflanzen, <strong>die</strong> <strong>auf</strong> Regalen und Tischchen einer Klasse<br />

stehen ..., geben mir Anlaß, sie in der Fremdsprache zu benennen, indem ich<br />

-<strong>auf</strong> jede einzelne hinweisend - sage: ,Pflanze . . . Pflanze . . . Pflanze’; dann<br />

beziehe ich mich - an meinem Verhalten eindeutig erkennbar - <strong>auf</strong> eine<br />

bestimmte Pflanze und sage etwa: ,Hortensie’. So benenne ich <strong>die</strong> drei, vier<br />

Pflanzenarten (species) einzeln und wiederhole sodann - erweiternd: ,Das ist<br />

eine Hortensie`, ,Das ist eine . . .’ usf. Auf meine anschließende Frage: ,Was ist<br />

das?’ bekomme ich zu hören: ,Das ist eine Pflanze.’ Ich erkunde weiter: ,Was für<br />

eine Pflanze ist das?’ Die Antwort: ,Das ist eine Hortensie’, ,das ist eine ...’ u.<br />

dgl. m. Begleite ich sodann meine dar<strong>auf</strong>folgende Handlung (<strong>die</strong> erste<br />

Veränderung, <strong>die</strong> ich mit den Gegenständen vornehme) mit den Worten ,Ich’<br />

-wobei ich das ,Ich’ wiederholt ausspreche und mit der freien Hand <strong>auf</strong> mich<br />

weise - ,stelle <strong>die</strong> Pflanze, <strong>die</strong> Topfpflanze <strong>auf</strong> den Fußboden` - und weiter als<br />

nächstes -, ,ich stelle <strong>die</strong> Tulpe (Zyklame, Hyazinthe o. a.) <strong>auf</strong> den Fußboden<br />

(<strong>auf</strong> das Fensterbrett, <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Bank usw.)’, so gibt es in der Klasse keinen<br />

<strong>auf</strong>merkenden Schüler, der mich nicht verstanden hätte.<br />

tativgesetz usw. lernen und dann erst mit dem Zahlenrechnen beginnen. Doch sollte<br />

man (d. h. man muß nicht) immer andersherum vorgehen: erst rechnen und dann über<br />

<strong>die</strong> dabei <strong>auf</strong>tretenden Regelmäßigkeiten nachdenken und sie formulieren. Tatsächlich<br />

entwickelt sich ja auch <strong>die</strong> Wissenschaft in <strong>die</strong>ser Weise. Vgl. hierzu auch<br />

FREUDENTHAL 1974, S. 116 ff.: Die Stufung im Lernprozeß.<br />

118


Jeder einzelne ist imstande - aber auch daran interessiert -, <strong>die</strong>se Feststellungen<br />

(wenn ich sie selbst drei-, viermal getroffen habe) <strong>auf</strong> meine Frage: ,Wohin stelle<br />

ich <strong>die</strong> Pflanze?’ und ,Was für eine Pflanze stelle ich <strong>auf</strong> den Tisch?’ zu<br />

wiederholen.“ (FLEKATSCH 1975, S. 154)<br />

Man erkennt das in der fremden Sprache Gehörte, in Verbindung mit<br />

dem Gesehenen, Betasteten, indem man es innerlich rekonstruiert, d. h.<br />

man analysiert <strong>die</strong> auditiven, visuellen und taktilen Eindrücke, indem man<br />

sie synthetisiert (vgl. hierzu 2.1.2.). Wenn man zu Beginn des<br />

Fremdsprachenlernens sehr viel und häufig wiederholt in <strong>die</strong>ser Weise<br />

vorgeführt und erzählt bekommt -stets in einer einfachen Sprache -, dann<br />

baut man durch <strong>die</strong> ständige Rekonstruktion auch kognitive Strukturen<br />

<strong>auf</strong>. Auf <strong>die</strong>se Weise können also eine Reihe von Sprachmitteln erworben<br />

werden. Zudem haben Schüler und Erwachsene den Vorteil vor<br />

Kleinkindern, daß ihnen <strong>die</strong> sachliche Durchdringung einfacher<br />

Sachverhalte auch in der fremden Sprache kaum Probleme bereitet, so<br />

daß sie ohne größere Schwierigkeiten einfachen Darlegungen folgen<br />

können.<br />

Der Aufbau kognitiver Strukturen in einer fremden Sprache durch<br />

„aktives“!, d. h. <strong>auf</strong>merksames Zuhören (vgl. hierzu 2.1.2.) ist auch eine<br />

Vorbedingung der Motivation, mehr lernen zu wollen, <strong>die</strong> Sprache besser<br />

zu beherrschen, selbst zu sprechen, zu lesen, zu schreiben. Denn je<br />

umfassender schon im Anfangsunterricht kognitive Strukturen <strong>auf</strong>gebaut<br />

werden, desto mehr Möglichkeiten bestehen auch, sie zu bestätigen und<br />

zu erweitern. Wie in 2.2.2. dargelegt wurde, sind <strong>die</strong>se wahrgenommenen<br />

Möglichkeiten der Grund für das Individuum, zu lernen, denn nun erst<br />

sieht es erstrebenswerte Ziele, für <strong>die</strong> Anstrengungen zu machen sich<br />

lohnt.<br />

Im weiteren Unterricht werden nur wenige Themen behandelt. Jedoch<br />

wird versucht, sie sprachlich und denkerisch möglichst tiefgreifend und in<br />

möglichst vielen Aspekten zu erarbeiten 36 . Bei der systemvermittelnden<br />

Lehrstrategie dagegen werden sehr viele und verschiedenartige Themen in<br />

oberflächlicher Weise behandelt, um das System Sprache daran zu<br />

verdeutlichen. Zudem zwängt man in <strong>die</strong>se knappen und anspruchslosen<br />

Texte in kurzer Zeit mehrere Tausend Wörter 37 . Die Folge ist, daß viele<br />

36 Auch GOETHE hat Fremdsprachen <strong>auf</strong> <strong>die</strong>se Weise gelernt: „So hatte ich denn das<br />

Lateinische gelernt, wie das Deutsche, das Französische, das Englische, nur aus dem<br />

Gebrauch, ohne Regel und ohne Begriff . ... mir schien alles natürlich zuzugehen, ich<br />

behielt <strong>die</strong> Worte, ihre Bildungen und Umbildungen im Ohr und Sinn, und be<strong>die</strong>nte mich<br />

der Sprache mit Leichtigkeit zum Schreiben und Schwätzen." (GOETHEs sämtliche Werke.<br />

Vollständige Ausgabe in 6 Bänden, Stuttgart 1877, Bd. 4: Aus meinem Leben. Wahrheit<br />

und Dichtung, S. 87, Spalte 2)<br />

37 Zur Kritik vgl. FLEKATSCH 1975, S. 100-102.<br />

119


Wörter und Begriffe bald wieder vergessen werden, weil sie für den<br />

Schüler keine oder eine nur vage Bedeutung erhalten. Denn sie erfahren<br />

in <strong>die</strong>sen Lesestücken keine angemessene Verwendung. Nur wenn<br />

Wörter oder Begriffe in vielseitiger Weise zur Lösung inhaltlicher<br />

Probleme benutzt werden, können sie <strong>auf</strong> Grund <strong>die</strong>ser Zusammenhänge<br />

auch gespeichert und wieder reproduziert werden (FLEKATSCH 1975,<br />

S. 102).<br />

Der Schüler muß durch sachliche, inhaltliche Probleme zum Gebrauch<br />

der Wörter und der Grammatik herausgefordert werden, damit er<br />

gezwungen ist, <strong>die</strong> Sprache als Werkzeug des Denkens zu benutzen. Die<br />

Probleme, <strong>die</strong> bearbeitet werden, müssen für den Schüler bedeutsam und<br />

von einiger Schwierigkeit sein, auch wenn er sie mit einfachen<br />

sprachlichen Mitteln bewältigt; nur über wirkliche Probleme lohnt es sich<br />

nachzudenken.<br />

Wie <strong>die</strong> Vokabeln, so wird auch <strong>die</strong> Grammatik gelernt - durch den<br />

Umgang mit der Sache und der Verständigung über <strong>die</strong> Sache (nicht über<br />

<strong>die</strong> Sprache). So erschafft ja auch das Kind seine eigene Grammatik, und<br />

wenn wir im Ausland sind, dann benutzen auch wir eine eigenwillige<br />

Grammatik (falls wir nämlich <strong>die</strong> Sprache nicht hinreichend oder nur<br />

wenig beherrschen) und kommen <strong>auf</strong> Grund von Mißverständnissen<br />

vielleicht dahin, uns in Zukunft besser auszudrücken und eine angemessenere<br />

Grammatik zu benutzen. Wir müssen also immer von der Grammatik<br />

ausgehen, über <strong>die</strong> wir gerade verfügen, und <strong>die</strong>se schrittweise<br />

differenzieren 38 .<br />

Die genetische Lehrstrategie führt auch schneller zur Ausbildung eines<br />

„Sprachgefühls“ als <strong>die</strong>s bei der systemvermittelnden Lehrstrategie möglich<br />

ist. Sprachgefühl bedeutet ja, daß eine automatische, d. h. präattentive<br />

Richtigkeitskontrolle der gesprochenen Sprache stattfindet. Im Rahmen<br />

38 Die einfachste Grammatik, <strong>die</strong> bereits Kleinkinder, vermutlich <strong>auf</strong> Grund angeborener<br />

Dispositionen, sich konstruieren, ist eine Grammatik von zentralen (Z)<br />

und offenen Klassen (O):<br />

Z<br />

alone<br />

big<br />

my<br />

O<br />

boy<br />

milk<br />

hot<br />

Folgende Kombinationen sind möglich: Z -h O; O + Z; O i- O; O. „Die einzigen<br />

Möglichkeiten, <strong>die</strong> nicht existieren, sind zentrale Wörter, <strong>die</strong> allein oder in Verbindung<br />

mit einem anderen zentralen Wort geäußert werden.“ (McNEILL 1974, S. 40).<br />

38<br />

Vgl. hierzu <strong>die</strong> Kritik von HERMES 1966; v. HENTIG 1966, S. 227 f.<br />

120


der Theorie der Informationsverarbeitung ist <strong>die</strong>s so zu erklären: Durch<br />

<strong>auf</strong>merksames Hören einer fremden Sprache und der denkenden und<br />

sprechenden Auseinandersetzung mit sachlichen Problemen in <strong>die</strong>ser<br />

Sprache werden fremdsprachliche Strukturen erzeugt und gespeichert.<br />

Beim Sprechen, Hören, Lesen oder Schreiben der fremden Sprache<br />

werden <strong>die</strong>se Strukturen von den präattentiven Prozessen stets zuerst<br />

benutzt, d. h. <strong>die</strong> präattentiven Prozesse führen zunächst eine Reihe von<br />

probeweisen Synthesen des Gehörten, des zu Sprechenden usw. durch<br />

und analysieren das Gehörte oder Gesprochene im Lichte des Synthetisierten.<br />

Bei Widersprüchen zwischen „innerer“ und gehörter äußerer<br />

Sprache entstehen „Unstimmigkeitsgefühle“. Zur genaueren Feststellung<br />

des Fehlers bzw. der Frage, ob überhaupt ein Fehler vorliegt oder ob man<br />

selbst von falschen Annahmen ausgeht, ist eine <strong>auf</strong>merksame<br />

Überprüfung erforderlich. Auf <strong>die</strong>se Weise festigt oder modifiziert man<br />

seinen Sprachgebrauch.<br />

Im fremdsprachlichen Schulunterricht wird leider fast ausschließlich <strong>die</strong><br />

systemvermittelnde Lehrstrategie verwendet, da <strong>die</strong>se weitgehend durch<br />

<strong>die</strong> Rahmenrichtlinien festgelegt wird, wenn sie bestimmte grammatische<br />

Kenntnisse fordern (vgl. hierzu FLECHSIG 1971).<br />

Zwischen „lebenden“ und „toten“ Fremdsprachen wird oft ein Unterschied<br />

gemacht (siehe z. B. FLEKATSCH 1975, S. 194). Aber „tote“<br />

Fremdsprachen geben nur einen bestimmten Entwicklungsstand einer<br />

Sprache wieder, der durch eine geschichtliche Epoche gekennzeichnet ist,<br />

aus der sehr viel an schriftlicher Überlieferung erhalten geblieben ist. Das<br />

Lernen auch <strong>die</strong>ser Sprachen dürfte nach der genetischen Lehrstrategie<br />

erfolgreicher sein. Es ist bekannt, daß <strong>die</strong> systemvermittelnde Lehrstrategie,<br />

<strong>die</strong> das bei „toten“ Sprachen ja einigermaßen festliegende Sprachsystem<br />

in seine Einzelheiten, d. h. in grammatische Regeln und Vokabeln,<br />

zerlegt und <strong>die</strong>se lernen läßt, zu Mißerfolgen führt. Denn Grammatikund<br />

Vokabelkenntnisse reichen nicht aus, um einigermaßen korrekte<br />

Übersetzungen vorzunehmen 39 . Doch es gibt Bestrebungen, alte<br />

Sprachen wenigstens teilweise nach der genetischen Lehrstrategie zu<br />

unterrichten 40 .<br />

39 Vgl. v. HEN'FIG 1966; zusammenfassend berichtet FRITSCH 1976.<br />

121


Lehrstrategien im Philosophiestudium<br />

Die systemvermittelnde Lehrstrategie<br />

K. POPPER (1972, S. 72) unterscheidet auch beim Studium der Philosophie<br />

<strong>die</strong> systemvermittelnde und <strong>die</strong> genetische Lehrstrategie, bezeichnet<br />

sie allerdings anders. Die systemvermittelnde Lehrstrategie nennt<br />

POPPER <strong>die</strong> „prima facie Methode des Lehrens der Philosophie“ (prima<br />

facie method of teaching philosophy), womit er eine Lehrstrategie meint,<br />

bei der dem Anfänger <strong>die</strong> Werke der großen Philosophen zu lesen<br />

gegeben werden, „<strong>die</strong> Werke etwa von PLATO und ARISTOTELES,<br />

DESCARTES und LEIBNIZ, LOCKE, BERKELEY, HUME, KANT<br />

und MILL“ (POPPER 1972, S. 72). Tatsächlich ist solch ein<br />

systematischer Überblick über <strong>die</strong> Werke der bedeutendsten Philosophen<br />

ja das erste und oberflächlich sich bietende Antlitz der Philosophie,<br />

ebenso wie <strong>die</strong> systematisierten Ergebnisse der Physik, der Chemie usw.<br />

<strong>die</strong> Oberfläche einer Welt von Problemen sind. So gesehen wäre <strong>die</strong><br />

Bezeichnung POPPERs, „prima facie“-Lehrstrategie, vielleicht angemessener<br />

als <strong>die</strong> Bezeichnung systemvermittelnd.<br />

Doch zurück zur prima facie- bzw. zur systemvermittelnden Lehrstrategie<br />

des Philosophiestudliums. POPPER fragt (S. 72), was das Ergebnis eines<br />

solchen (systematischen) Lesekurses ist. Er beantwortet <strong>die</strong>se Frage so:<br />

Dem Studenten eröffnet sich eine ihm unbekannte Welt von subtilen<br />

Abstraktionen <strong>auf</strong> einem außerordentlich hohen und schwierigen Niveau.<br />

Er muß sich mit Gedanken und, Argumenten auseinandersetzen, deren<br />

Bedeutung er nicht versteht, weil er nicht herausfinden kann, wofür sie<br />

relevant sind. Da er aber weiß, daß <strong>die</strong>s <strong>die</strong> Gedanken der großen Philosophen<br />

sind, wird er versuchen, seine Denk- und Sprechweise dem anzupassen,<br />

was er für <strong>die</strong> Denkweise der Philosophie hält. Er gewöhnt sich<br />

so an <strong>die</strong>se unverstandenen Redeweisen, daß er jede Kritik ausschaltet.<br />

Nur einige „besonders begabte“ Studenten könnten viel mehr in Werken<br />

der großen Philosophen finden (S. 72-73) 41 .<br />

41 REICHENBACH gibt ein Beispiel hierzu; er beginnt mit einem Zitat von HEGEL<br />

aus dessen Einleitung zur „Philosophie der Geschichte“:<br />

„,Die Vernunft ist <strong>die</strong> Substanz wie <strong>die</strong> unendliche Macht, sich selbst der<br />

unendliche Stoff alles natürlichen und geistigen Lebens, wie <strong>die</strong> unendliche Form,<br />

<strong>die</strong> Betätigung <strong>die</strong>ses ihres Inhalts. Die Substanz ist sie, nämlich das, wodurch und<br />

worin alle Wirklichkeit ihr Sein und Bestehen hat.’<br />

Solche sprachlichen Erzeugnisse machen manchen Leser ungeduldig, und er<br />

würde wahrscheinlich das Buch am liebsten ins Feuer werfen, da er kein Wort<br />

davon versteht . . . Ein Philosophiestudent wird allerdings nicht so leicht<br />

<strong>auf</strong>gebracht durch unklare Formulierungen. Im Gegenteil, wenn er das obige Zitat<br />

läse, würde er wahrscheinlich zu der Überzeugung kommen, daß es seine eigene<br />

122


Wenn man nicht <strong>die</strong> Probleme kennt, <strong>die</strong> zur Entwicklung einer bestimmten<br />

Philosophie, d. h. zu philosophischen Lösungen, führen, dann ist<br />

auch der Sinn derartiger Philosophien nicht mehr einsehbar. Die Einbeziehung<br />

der Problemstellungen ist für das Lehren der Philosophie noch<br />

bedeutsamer als für das Lehren der Wissenschaften, da - so POPPER -<br />

echte philosophische Probleme ihre Wurzeln stets in Problemen<br />

außerhalb der Philosophie haben, etwa in der Mathematik, den<br />

empirischen Wissenschaften, der Moral, der Religion oder im politischen<br />

und sozialen Leben (S. 72 und 73).<br />

Die genetische Lehrstrategie<br />

POPPER (1972) gibt zwei Beispiele für <strong>die</strong> genetische Lehrstrategie im<br />

Philosophiestudium: PLATONS Ideenlehre (S. 75 f.) und KANTS<br />

„Kritik der reinen Vernunft“ (S. 93 f.):<br />

KANTS „Kritik der reinen Vernunft“ kann nur hinreichend verstanden<br />

werden, wenn man <strong>die</strong> Wirkung des damals spektakulären Erfolgs der<br />

NEWTONschen Theorie <strong>auf</strong> <strong>die</strong> damals lebenden Denker erkennt. Die<br />

Wirkung <strong>die</strong>ser Theorie bildete einen Teil der Problemsituation, in der<br />

KANT sich befand. NEWTONS Theorie wurde von KANT zunächst als<br />

unzweifelhaft wahr hingenommen. Aber HUME hatte dargelegt, daß es<br />

so etwas wie sicheres Wissen nicht geben könne. Und HUMES Argumentation<br />

war überzeugend (und richtig). Doch <strong>auf</strong> der anderen Seite<br />

stand <strong>die</strong> Theorie NEWTONS: eine höchst allgemeine Erkenntnis,<br />

präzise, mathematisch, demonstrierbar und - unbezweifelbar. So ergab<br />

sich KANTS zentrales Problem: Wie ist reine Naturwissenschaft möglich?<br />

Wobei KANT mit „reiner Naturwissenschaft“ einfach NEWTONS<br />

Theorie meinte (S. 93-94). Ohne <strong>die</strong>sen Problemhintergrund muß<br />

KANTS Kritik der reinen Vernunft weitgehend unverstanden bleiben.<br />

Als weiteres Beispiel wählt POPPER (1972) <strong>die</strong> Ideenlehre PLATONS<br />

(S. 75 f.) und zeigt, daß auch sie nicht verstanden werden kann, wenn<br />

man nicht eine lebhafte und umfassende Vorstellung der Problemsituation<br />

der griechischen Wissenschaft jener Zeit hat.<br />

Schuld ist, wenn er es nicht versteht. Er würde es daher immer wieder und wieder<br />

lesen und irgendwann einen Zustand erreichen, wo er denkt, er habe es verstanden.<br />

Es würde ihm dann völlig klar erscheinen, daß Vernunft eine unendliche<br />

Macht ist, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Grundlage für alles natürliche und geistige Leben bildet und<br />

deswegen <strong>die</strong> Substanz aller Dinge ist. Er hat sich so an solche Redeweisen<br />

gewöhnt, daß er jede Kritik ausschaltet, <strong>die</strong> ein ,weniger gebildeter` Mensch gar<br />

nicht unterlassen kann.“ (REICHENBACH 1968, S. 93)<br />

123


POPPER gibt noch eine weitere Deutung der Wurzeln von PLATONS<br />

Ideenlehre in seinem Buch „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“<br />

(1970, Bd. 1). POPPER zeigt hier, wie schwer PLATON in seiner Jugend<br />

unter den damals unstabilen und unsicheren politischen Verhältnissen<br />

gelitten hat. Diese Situation führte ihn zur Theorie eines idealen Staates,<br />

eine Theorie, <strong>die</strong> PLATON <strong>auf</strong> alle Dinge ausdehnte. Jede Veränderung,<br />

jede Abweichung von den idealen Formen (den Ideen) führt nach<br />

PLATON zur Verderbnis, zum Verfall (S. 43 f.).<br />

Nur wenn man <strong>die</strong>se Problemsituation kennt, kann man PLATONS<br />

Lehre der Ideen verstehen und erkennen, welche Wirkungen <strong>die</strong>se Lehre<br />

auch heute <strong>auf</strong> <strong>die</strong> politischen Wissenschaften ausübt. Denn stark<br />

beeinflußt davon sind sowohl <strong>die</strong> normativen Theorien der<br />

Politikwissenschaft als auch <strong>die</strong> marxistischen Vorstellungen. Die<br />

Marxisten wollen zwar nicht zurück zum idealen Staat (wie <strong>die</strong><br />

Normativisten), aber auch sie fürchten <strong>die</strong> Veränderung und versuchen,<br />

<strong>die</strong> Furcht davor durch <strong>die</strong> Vorhersage einer gesetzmäßig abl<strong>auf</strong>enden<br />

Geschichte zu bezwingen. Diesen gesetzmäßigen Abl<strong>auf</strong> machen sie<br />

verantwortlich für <strong>die</strong> Entwicklung der Gesellschaft zum Sozialismus<br />

bzw. zum Kommunismus; sie scheuen <strong>die</strong> eigene Verantwortung, <strong>die</strong><br />

eigene Entscheidung (vgl. POPPER 1970).<br />

3.1.3. Lehrziele und Lehrstrategien<br />

Die genetische Lehrstrategie ist an das Ziel des Verstehens gebunden. Da<br />

<strong>die</strong>ses Ziel jedoch sehr allgemein ist, müssen bei der inhaltlichen<br />

Ausarbeitung weitere Entscheidungen getroffen werden, Entscheidungen<br />

über <strong>die</strong> Inhalte, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Adressaten lernen sollen, über Aspekte des<br />

Inhalts, <strong>die</strong> unberücksichtigt bleiben sollen, was besonders intensiv<br />

behandelt werden soll usw.<br />

In der didaktischen Literatur wird nun zum Teil <strong>die</strong> These vertreten, <strong>die</strong><br />

Ziele seien bereits vor der inhaltlichen Ausarbeitung einer Lehrstrategie<br />

vollständig und präzise in operationalisierter Form festzulegen (d. h. in<br />

Form sichtbarer Operationen des Lernenden wie schreiben, laut zählen,<br />

zeigen usw.) (siehe hierzu u. a. KLAUER 1974, MAGER 1972, ANDER-<br />

SON/FAUST 1975, S. 13 f.). Dieses Vorgehen ist üblich bei Anwendung<br />

der systemvermittelnden Lehrstrategie. Der Lehrstoff wird zunächst zerlegt<br />

in seine Elemente, um dann jedem Element bzw. jeder Verknüpfung<br />

von Elementen <strong>die</strong> Verhaltensweise zuzuordnen, <strong>die</strong> der Schüler zeigen<br />

soll. Der Schüler soll beispielsweise „elektrische Meßgeräte ablesen<br />

können“ (MAGER 1972, S. 25). Solche Festlegung der Lehrziele von<br />

124


vornherein bedeutet eine starke Einschränkung sowohl der Planung des<br />

Unterrichts als auch der Schüler.<br />

Die genaue Festlegung von Lehrzielen wird aber nicht nur aus<br />

didaktischen Gründen gefordert, sondern auch, weil man meint, nach<br />

einer genauen Festlegung der Lehrziele wären <strong>die</strong> Mittel zur Erreichung<br />

<strong>die</strong>ser Ziele <strong>auf</strong> rein wissenschaftliche Weise bestimmbar, also ohne<br />

weitere Wertentscheidungen (Zweck-Mittel-Bezug) (siehe z.B. Ch.<br />

MÜLLER 1969).<br />

Im folgenden werde ich <strong>auf</strong> das oben skizzierte Verhältnis von allgemeinen<br />

Lehrzielen und der inhaltlichen Ausarbeitung von Lehrstrategien<br />

eingehen und dann Lehrziele und Lehrstrategien unter dem Aspekt des<br />

Zweck-Mittel-Bezuges betrachten. Anschließend untersuche ich <strong>die</strong><br />

Operationalisierung von Lernzielen und beschreibe abschließend das<br />

allgemeine Lernziel „Verstehen“.<br />

Allgemeine Lehrziele<br />

und <strong>die</strong> inhaltliche Ausarbeitung von Lehrstrategien<br />

In allen oder zumindest fast allen Lebensbereichen lassen wir uns von<br />

umfassenden regulativen Zielen leiten. In der Wissenschaft ist das Ziel<br />

<strong>die</strong> Wahrheit der wissenschaftlichen Aussagen; in der Medizin geht es um<br />

Gesundheit. Für <strong>die</strong> Pädagogik war das Ziel lange Zeit „Bildung“. Aber<br />

das Wort „Bildung“ ist - wie WAGENSCHEIN (1970, Bd. z. S. 119) sagt<br />

- „im L<strong>auf</strong>e der Jahrzehnte abgenutzt und mißbraucht worden“.<br />

Möglicherweise haben <strong>die</strong>se Abnutzungserscheinungen zu einer<br />

Auffassung beigetragen, <strong>die</strong> man etwa so formulieren kann: Warum soll<br />

man ein so allgemeines und vages Ziel wie „Bildung“ anstreben, unter<br />

dem sich kaum etwas vorstellen läßt und das daher auch nicht<br />

überprüfbar ist. Da ist es doch besser, gleich möglichst spezielle, genaue<br />

und operational definierte Ziele anzustreben.<br />

Wenn man aber zwischen mehreren operationalisierten Zielen eine Wahl<br />

treffen muß, dann steht man doch wieder vor der Notwendigkeit, ein<br />

übergeordnetes Kriterium einzuführen, es sei denn, man trifft eine<br />

zufällige Auswahl. Möglicherweise gelangt man dann wieder zu so<br />

allgemeinen Zielen wie Bildung oder Verstehen. Natürlich sollte man<br />

versuchen, etwas genauer zu formulieren, was man mit <strong>die</strong>sen Zielen<br />

meint. So vage das Ziel der Bildung oder des Verstehens auch sein mag,<br />

125


es kann dennoch ein sinnvoller Ausgangspunkt und regulatives Kriterium<br />

des Lehrens sein. Das Problem ist ja, wie man das, was man vorläufig als<br />

„Bildung“, „demokratische Bildung“, „mathematische Bildung“,<br />

„Verstehen“ usw. bezeichnet und wovon man eine ungefähre Ahnung<br />

hat - vergleichbar der „Idee“ eines Künstlers -, wie man ein solches Ziel<br />

erreichen kann. Vermutlich nur, indem man versucht, eine inhaltliche<br />

Lehrstrategie zu konstruieren. Das Ergebnis des ersten Versuchs wird<br />

kaum zufriedenstellend sein. Aber man kann <strong>die</strong>ses Ergebnis im Licht<br />

seiner Ausgangsvorstellungen analysieren und kritisieren und dar<strong>auf</strong>hin<br />

einen neuen, verbesserten Entwurf erstellen usw. Durch jeden Entwurf<br />

einer Lehrstrategie wird man sich klarer über das Ziel, man kann immer<br />

genauer sagen, welche Inhalte und Fähigkeiten <strong>die</strong> Schüler erwerben<br />

sollen. Es gibt also eine Wechselwirkung zwischen den Lösungen der<br />

Lehrprobleme und den Zielen des Lehrens 42 . Das bedeutet, daß das<br />

Zweck-Mittel-Verhältnis von Lehrzielen und Lehrstrategien sich gegenseitig<br />

beeinflußt. Jedoch gibt es hierzu auch eine andere Auffassung, <strong>die</strong><br />

im folgenden diskutiert werden soll.<br />

Einige Anmerkungen zum Zweck-Mittel-Verhältnis<br />

von Lehrzielen und Lehrstrategien<br />

Das Zweck-Mittel-Verhältnis von Lehrzielen und Lehrstrategien wird<br />

auch so gesehen, daß nur <strong>die</strong> Zielsetzung werthaft sei, <strong>die</strong> Mittelverwendung<br />

hingegen wissenschaftlich objektiv und wertfrei bestimmbar<br />

(vgl. z. B. MÖLLER 1969). Man setzt bestimmte Ziele fest und<br />

konstruiert dann inhaltliche Lehrstrategien, mit denen <strong>die</strong>se Ziele erreicht<br />

werden können. Dabei sollen <strong>die</strong> Mittel keine Wertsetzungen mehr<br />

beinhalten, vielmehr sollen alle Wertsetzungen schon durch <strong>die</strong> Ziele<br />

abgedeckt sein 43 . Bei festliegenden Zielen könnte also <strong>die</strong> Wissenschaft<br />

vorschreiben, wie <strong>die</strong> Mittel zu verwenden sind. Diese Auffassung läuft<br />

<strong>auf</strong> das Vorurteil hinaus, daß der Zweck <strong>die</strong> Mittel heilige (vgl. ALBERT<br />

1972, S. 85). Die Frage, mit welchen Mitteln ein gegebener Zweck<br />

42 Diese Wechselwirkungen von Zielen und Problemlösungen, <strong>die</strong> ja <strong>die</strong> Freiheit des<br />

Menschen konstituieren, habe ich in allgemeiner Form in Kapitel 2.2.2. dargestellt.<br />

Vgl. aber auch POPPER, der in anderem Zusammenhang schreibt: „ .. so<br />

stehen unsere vorläufigen Lösungen mit unseren Problemen und auch mit unseren<br />

Zielen in Wechselwirkung." (POPPER 1973, S. 280)<br />

43 Vgl. MYRDAL 1975, S. 216-217. MYRDAL stimmt <strong>die</strong>ser Auffassung übrigens<br />

nicht zu, sondern kritisiert sie.<br />

126


erreicht werden kann, ist eine Tatsachenfrage 44 . Aber <strong>die</strong> Frage, ob <strong>die</strong>se<br />

Mittel nun auch eingesetzt werden sollen, um <strong>die</strong>sen Zweck zu erreichen,<br />

ist dadurch noch nicht entschieden. Sie erfordert eine moralische Entscheidung.<br />

Hinzu kommt, daß das Ziel kaum als „totale Endsituation“<br />

(MYRDAL) beschrieben werden kann, da bei nicht-deterministischen<br />

Systemen wie Lehr-Lern-Situationen immer unerwartete Nebenwirkungen<br />

eintreten können. Diese Nebenwirkungen jedoch können nicht<br />

als wertmäßig indifferent betrachtet werden (vgl. MYRDAL 1975, S.<br />

217).<br />

Die Didaktik als wertfreie Wissenschaft kann also sowohl hinsichtlich der<br />

möglichen Lehrziele als auch der möglichen Lehrstrategien nur<br />

informieren, aber keine Alternativen vorschreiben 45 . Die Entscheidungen<br />

über <strong>die</strong> Lehrziele und über <strong>die</strong> Mittel zu ihrer Erreichung sind<br />

moralisch-politisch zu verantworten 46 . Dennoch bleibt für <strong>die</strong> Didaktik<br />

als „konstruktive Erziehungswissenschaft“ (v. CUBE) das Problem<br />

bestehen, <strong>die</strong> Menge der möglichen Lehrziele und Lehrstrategien, für <strong>die</strong><br />

praktische Nutzanwendung überschaubar, durch wenige allgemeine Ziel-<br />

Mittel-Beziehungen zu systematisieren. Denn es wäre unpraktisch, in<br />

jedem speziellen Fall <strong>auf</strong> das gesamte, für das Lehren relevante Wissen<br />

zurückgreifen zu müssen. Es dürfte also auch aus <strong>die</strong>ser Sicht vorteilhaft<br />

sein, von allgemeinen Lehrzielen auszugehen und formale Lehrstrategien<br />

dafür zu konstruieren, <strong>die</strong> <strong>auf</strong> verschiedene Inhalte angewandt werden<br />

können. Darüber hinaus muß aber auch der Gedanke <strong>auf</strong>gegeben<br />

werden, durch eine vollständige und präzise Lernzielbeschreibung<br />

sämtliche Wertbestandteile <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Ziele zu beschränken und aus der<br />

Diskussion über <strong>die</strong> Mittel herauszuhalten.<br />

Einige kritische Anmerkungen zur Operationalisierung von Lernzielen<br />

Es gibt mehrere Gründe, <strong>die</strong> für operationalisierte Lernziele angeführt<br />

werden. Einmal, daß <strong>die</strong> Verständigung über Lernziele nur dann unmiß-<br />

44 POPPER weist dar<strong>auf</strong> hin, daß <strong>die</strong> Einstellung zu der Frage, „ob <strong>die</strong> in Erwägung<br />

gezogenen Mittel den betrachteten Zweck herbeiführen werden oder nicht, . .. zu<br />

einem der grundlegendsten sittlichen Probleme" führt: „zum Problem, ob wir uns<br />

in solchen Fällen <strong>auf</strong> unser ,Wissen` verlassen sollen, daß eine derartige<br />

Kausalverknüpfung besteht, oder ob es ratsamer ist, unserem ,Wissen` gegenüber<br />

eine skeptische Haltung einzunehmen" (POPPER 1970, Bd. 1, S. 390).<br />

45 Vgl. v. CUBE 1976, S. 18: „Die Wissenschaft kann nur Aussagen machen über<br />

das, was ist, und nicht über das, was sein soll.“<br />

46 Vgl. auch KALTSCHMID 1968, S. 583. Vgl. auch v. CUBE 1977: Zur<br />

„Legitimation von Zielen“, S. 92 ff., insbesondere S. 96 bis 97<br />

127


verständlich und genau sein könne, wenn beobachtbare Operationen der<br />

Lernenden das Ziel beschreiben (vgl. z. B. MAGER 1972). Ein anderer<br />

Grund ergibt sich aus der einflußreichen Lernpsychologie SKINNERs,<br />

<strong>die</strong> ja davon ausgeht, daß bestimmte „äußere“ Reaktionen gelernt werden<br />

und nicht kognitive Strukturen, <strong>die</strong> ihrerseits erst <strong>die</strong>se Reaktionen, z. B.<br />

ein Argument vorzubringen usw., ermöglichen.<br />

Zunächst einige Bemerkungen zu dem Argument, daß <strong>die</strong> Genauigkeit<br />

der Verständigung über Lernziele von präzisen operationalen Begriffen<br />

abhänge. Wenn man ein so vages und allgemeines Ziel wie „Mathematikverständnis“<br />

operationalisiert, dann sagt man, daß <strong>die</strong>se und jene<br />

Verhaltensweisen Mathematikverständnis sein sollen. Man könnte also zu<br />

dem Schluß kommen, daß man lediglich eine Reihe von moralischen bzw.<br />

politischen Entscheidungen trifft, <strong>die</strong> dann auch moralisch bzw. politisch<br />

zu verantworten sind. Aber kann das Problem, was mit dem Begriff<br />

Mathematikverständnis gemeint ist, d. h. <strong>die</strong> Deutung des hinter <strong>die</strong>sem<br />

Begriff stehenden Beziehungsgeflechts von mathematischen „Gegenständen“<br />

und einem vielfältigen Umgehen des Individuums mit <strong>die</strong>sen<br />

Gegenständen 47 , kann <strong>die</strong>ses Problem allein durch moralische<br />

Entscheidungen gelöst werden? Sicher nicht, denn um überhaupt eine<br />

Entscheidung treffen zu können, muß man ja bereits <strong>die</strong> Entscheidungsmöglichkeiten<br />

kennen. Die Operationalisierung impliziert also zudem<br />

noch eine Interpretation von Inhalten (vgl. auch MESSNER 1970, S.<br />

760). Ganz ähnlich verhält es sich mit der Auffassung, man könne das<br />

Problem der Unklarheit des Begriffs Mathematikverständnis durch eine<br />

operationale Definition im Sinne einer genaueren Formulierung lösen.<br />

Wäre das der Fall, dann hätte man es durch reine Umformulierung gelöst,<br />

ohne Bezug <strong>auf</strong> irgendwelche Tatsachen bzw. Theorien über Tatsachen.<br />

Es würde sich um ein bloßes Wortproblem gehandelt haben 48 .<br />

Wenn man nun das Lernziel Mathematikverständnis operationalisiert hat,<br />

weiß man dann mehr als vorher über „Mathematikverständnis“? Kann<br />

man sich mit größerer Präzision verständigen? Angenommen, ein<br />

47 Eine höchst interessante Interpretation von „Mathematikverständnis“ gibt<br />

A. WITTENBERG 1963, S. 45 f. Die Termini „Interpretation“ und<br />

„Deutung“ sind in <strong>die</strong>sem Zusammenhang nicht als Auslegung des<br />

Begriffs Mathematikverständnis gedacht, sondern als deutende bzw.<br />

interpretierende Theorie der Interaktionen von Individuen mit den<br />

"Gegenständen" der Mathematik. Aus einer solchen Theorie sollten sich<br />

beobachtbare Operationen ableiten lassen, mittels deren sie geprüft werden<br />

kann.<br />

48 Vgl, auch POPPER 1970, Bd. 2, S. 370. POPPERs Ausführungen sind<br />

allgemeiner und beziehen sich nicht <strong>auf</strong> Lernziele.<br />

128


Ausschnitt des operationalisierten Lernziels lautet: „Der Lernende soll ein<br />

Quadrat mit Zirkel und Lineal konstruieren und <strong>die</strong> Konstruktion<br />

beschreiben können.“ Man kann bei <strong>die</strong>sem Lernziel immer noch<br />

unsicher sein, ob „konstruieren“ <strong>die</strong> selbständige Konstruktion oder <strong>die</strong><br />

Ausführung eines eingeübten Verfahrens meint, ob „beschreiben“ <strong>die</strong><br />

Wiedergabe eines auswendig gelernten Textes oder eine eigenständige<br />

Leistung erfordert. Das zeigt, daß auch operationale Lernzielangaben<br />

niemals völlig eindeutig sein können, oder wie POPPER (1970, Bd. 2, S.<br />

371) es formuliert:<br />

Die Operationalisten „kommen nicht über <strong>die</strong> Tatsache hinweg, daß für<br />

operationale Definitionen oder Beschreibungen allgemeine Ausdrücke<br />

nötig sind, <strong>die</strong> als undefiniert hingenommen werden müssen; und <strong>die</strong>se<br />

Ausdrücke führen dann wieder zum selben Problem“ (einer Definition).<br />

Zudem geben operationale Lernzielbeschreibungen gewöhnlich nur einen<br />

Teil dessen an, was <strong>die</strong> Schüler oder Studenten lernen sollen. Das<br />

„Konstruieren- und Beschreibenkönnen“ ist nur eine mögliche Art und<br />

Weise der Überprüfung einer zugrundeliegenden Fähigkeit (vgl. auch v.<br />

CUBE 1977, S. 28, sowie AEBLI 1976, S. 286 f.), ein Indiz für <strong>die</strong><br />

inneren Zustände der Lernenden wie Denken, Bewerten, Verstehen usw.;<br />

<strong>die</strong>se Prozesse sind aber nicht <strong>auf</strong> beobachtbare Reaktionen reduzierbar 49 .<br />

Nach der Auffassung kognitiver Theoretiker ist das äußere Verhalten<br />

eines Individuums bedingt durch dessen kognitive Strukturen. Da nun<br />

<strong>die</strong>se kognitiven Strukturen ein theoretisches Konstrukt darstellen (und<br />

daher prinzipiell nicht beobachtbar sind), ist man gezwungen, beobachtbare<br />

Verhaltensweisen anzugeben, <strong>die</strong> den „inneren Zustand“ eines<br />

Individuums kontrollierbar machen (vgl. auch AEBLI 1976, S. 386). Die<br />

Operationalisierung <strong>die</strong>nt also lediglich der Überprüfung „innerer Zustände“<br />

des Lernenden.<br />

Formuliert man aber <strong>die</strong> Lernziele und nicht nur <strong>die</strong> Prüfungsmöglichkeiten<br />

in Verhaltensbegriffen, dann kann das zu einer Reihe von<br />

Konsequenzen führen, <strong>die</strong> von vielen sicher als unerwünscht betrachtet<br />

werden dürften. Denn eine genaue und operationale Festlegung der<br />

Lernziele hat oft (nicht immer) zur Folge, daß eine Fülle einzelner<br />

Verhaltensweisen gelehrt (und vielleicht auch gelernt) wird, <strong>die</strong> kaum<br />

noch etwas von dem ahnen lassen, was ursprünglich angestrebt war. Man<br />

hat das umfassendere Ziel aus den Augen verloren. Ich werde im<br />

folgenden einige Beispiele für derartige Lernzieloperationalisierungen an-<br />

49 Zum Problem der Reduktion psychologischer Phänomene <strong>auf</strong> Verhalten<br />

siehe C. G. HEMPEL 1977, S. 153 ff.<br />

129


führen. Das erste stammt aus dem „Mathematik“-Unterricht (Mengenlehre)<br />

der Grundschule:<br />

„1. Lernziel: Der Schüler kann mathematische Mengen bilden.<br />

Unterziele:<br />

1. Er kann eine Menge durch Verwendung eines Schnurkreises bilden.<br />

2. Er kann eine Definition der Menge geben ....<br />

ad. 2. Lernziel: Der Schüler kann Mengen formal beschreiben und <strong>die</strong> Formalisierung<br />

lesen.<br />

Unterziele:<br />

1. Er schreibt: a є M<br />

und liest: a ist Element von M ...“ usw. (OETTINGER/GOTT-<br />

ERBARM/MERTENS/OSTERMANN/SCHNORER 1971, S. 178)<br />

Mir scheint, hier werden Schüler wie Maschinen betrachtet, <strong>die</strong> es zu<br />

programmieren gilt. Auch AEBLI (1976) hat <strong>auf</strong> <strong>die</strong> „gefährlichen<br />

Konsequenzen“ derartiger operationalisierter Curricula hingewiesen:<br />

Zunächst erscheine es vorteilhaft, daß man genau weiß, was man den<br />

Lernenden beizubringen hat. Auch der Lernende selber weiß ja nun<br />

genau, wor<strong>auf</strong> er sich in der Prüfung vorzubereiten hat. Aber <strong>die</strong>se<br />

Freude sei nur von kurzer Dauer. Denn nun sei es wahrscheinlich, daß<br />

der Lehrer einpaukt, was das Lernziel vorschreibt (AEBLI 1976, S.<br />

292-293). Zum Teil wird ein solches Vorgehen schon durch <strong>die</strong><br />

Lehrpläne nahegelegt, <strong>die</strong> zu den Lernzielen noch bestimmte Inhalte und<br />

Handlungsformen angeben. Das zeigt das folgende Beispiel aus einem<br />

Lehrplan für den Deutschunterricht an Grundschulen (Arbeitsanweisungen<br />

für <strong>die</strong> Grundschule in Baden-Württemberg 1973, S. 37):<br />

Lernziele Inhalte Handlungsformen<br />

„Der Schüler soll<br />

1. <strong>die</strong> Funktion der<br />

Satzschlußzeichen<br />

erkennen;<br />

Texte ohne<br />

Satzschlußzeichen;<br />

<strong>die</strong> ungegliederten Texte<br />

in Sätze gliedern;<br />

2. erkennen, daß Sätze<br />

sich in sinnvolle<br />

Wortblöcke gliedern<br />

lassen;<br />

Lesetexte im Flattersatz<br />

später im normalen<br />

Satzspiegel;<br />

sinnvolle Wortgruppen<br />

durch Pausenzeichen<br />

zusammenfassen und<br />

durch lautes Vorlesen<br />

überprüfen.“<br />

Auch für <strong>die</strong> Hochschulen werden immer häufiger Lehrpläne mit<br />

operationalisierten Lehrzielen erstellt, wie <strong>die</strong> folgenden Ausschnitte aus<br />

dem „Gegenstandskatalog für <strong>die</strong> Fächer der ärztlichen Vorprüfung“<br />

(hrsg. vom Institut für medizinische Prüfungsfragen) zeigen (S. 20):<br />

130


Inhalte<br />

Lernziele<br />

Wärmelehre<br />

Der Student soll<br />

„Thermometer<br />

Arbeitsweise und Einsatz<br />

Ausdehnungsthermometer,<br />

gebiete <strong>die</strong>ser Temperatur<br />

Fieberthermometer,<br />

meßgeräte angeben können.“<br />

Thermoelement<br />

Widerstandsthermometer<br />

Hier einige weitere Lernziele desselben Katalogs aus dem Gebiet der<br />

medizinischen Psychologie zum Thema Lernen (S. 370-371):<br />

„Der Student soll<br />

1. zwischen einem bedingten und einem unbedingten Reflex<br />

unterscheiden können ....<br />

4. Positive .und negative Verstärkung eines Verhaltens unterscheiden<br />

können ....<br />

12. Ein Beispiel verbaler Konditionierung aus der ärztlichen Praxis<br />

angeben können.“<br />

Zu <strong>die</strong>sen Lernzielen werden auch Lehrbücher verfaßt, nach denen <strong>die</strong><br />

Studenten sich dann vermutlich auch <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Prüfungen vorbereiten.<br />

Zum Lernziel 12 „Ein Beispiel verbaler Konditionierung aus der<br />

ärztlichen Praxis angeben können“ wird folgende Information gegeben:<br />

„Als ,verbale Konditionierung’ im ärztlichen Gespräch kann nicht ein<br />

,klassisches Konditionieren’ verstanden werden (weil keine Verknüpfung<br />

von einem ursprünglich neutralen Reiz mit einem unbedingten Reiz<br />

stattfindet). Vielmehr ist das ,verbale Konditionieren’ als ,instrumentelles<br />

Konditionieren’ <strong>auf</strong>zufassen, d.h. als Verstärkung erwünschten<br />

Patientenverhaltens durch sprachliche Wendungen wie z. B. ,gut’, ,aha,<br />

sehr schön, daß Sie das sagen’ usw.“ (RATHGEBER 1975, S. 207)<br />

Was lernt ein Student <strong>auf</strong> <strong>die</strong>se Weise? Vermutlich wird er einen hohen<br />

Lernerfolg verzeichnen, d.h. er wird „unterscheiden“, „angeben“, „umrechnen“,<br />

„nennen können, daß . . .“ usw. So sind z. B. in medizinischer<br />

Psychologie <strong>die</strong> verschiedenen Lern-, Motivationstheorien usw. zu lernen,<br />

d.h. im Gedächtnis anzuhäufen. Wer sich aber nicht ausgiebiger mit<br />

<strong>die</strong>sen Gebieten beschäftigt hat, kann den Stoff nur kritiklos nachbeten.<br />

Die Fülle des so Gelernten mag zwar beeindruckend sein, doch sollte<br />

man bedenken, daß nirgendwo ein Anspruch <strong>auf</strong> Tiefe gestellt wird. Man<br />

weiß <strong>die</strong> Dinge so, wie jedermann weiß, daß <strong>die</strong> Erde rund ist und sich<br />

um <strong>die</strong> Sonne dreht, d. h. man sieht es als selbstverständlich an, daß es<br />

wahr ist, man nimmt es eben hin, <strong>die</strong> Wissenschaft wird es schon wissen.<br />

Das Wissen besteht also nur aus <strong>die</strong>sen Ergebnissen. Es werden keine<br />

131


umfassenderen Beziehungen <strong>auf</strong>gebaut, <strong>die</strong> es ermöglichen zu zeigen,<br />

warum bestimmte Erklärungsversuche beibehalten werden und warum<br />

andere scheitern.<br />

Die kognitiven Strukturen, <strong>die</strong> so <strong>auf</strong>gebaut werden, mögen zwar relativ<br />

differenziert sein, jedoch kaum integriert, denn es bestehen nur wenige<br />

Beziehungen zwischen den einzelnen Wissenselementen; Beziehungen zu<br />

den alltäglichen Problemen und den Alltagstheorien und Vorurteilen, <strong>die</strong><br />

ein jeder von uns hat, fehlen. Aber ohne <strong>die</strong>se Integration bleibt das<br />

Wissen wie ein Fremdkörper in den kognitiven Strukturen des Individuums.<br />

Es kann nicht verwendet werden, und man vergißt es bald nach<br />

der Prüfung.<br />

Eine weitere, vermutlich nicht geplante Folge präziser operationaler<br />

Lehrziele besteht in der möglichen Einschränkung der Freiheit des<br />

Denkens. Denn wenn man den Lernenden genau vorschreibt, was sie mit<br />

einem bestimmten - möglicherweise dogmatisch hinzunehmenden -<br />

Inhalt wie zu tun haben, dann kann <strong>die</strong>s leicht zur Unterdrückung der<br />

individuellen Freiheit im Denken der Schüler führen.<br />

Der Aufbau kognitiver Strukturen und das Lernziel „Verstehen“<br />

Ein grundlegendes Ziel des Lehrens der Wissenschaften (aber nicht nur<br />

der Wissenschaften) scheint das Verstehen zu sein, so wie das Verstehen<br />

ja auch das Ziel der Wissenschaften selber ist (oder besser der Menschen,<br />

<strong>die</strong> Wissenschaft betreiben), und zwar nicht nur der Geistes-, sondern<br />

auch der Naturwissenschaften (vgl. POPPER 1973, S. 204). So beschreiben<br />

z. B. EINSTEIN und INFELD (1950, S. 10) <strong>die</strong> Aufgabe der Physik<br />

als ein ewiges „Ringen des schöpferischen Menschengeistes um ein<br />

tieferes Verständnis der <strong>die</strong> physikalischen Phänomene beherrschenden<br />

Gesetze“.<br />

Im Rahmen der in Teil 2 dargestellten Theorie der Informationsverarbeitung<br />

kann man „Verstehen“ interpretieren als das Sichzurechtfinden<br />

in der Welt <strong>auf</strong> Grund von kognitiven Strukturen bzw. von<br />

Wissen über <strong>die</strong>se Welt. Wenn einer einen schweren Gegenstand mit<br />

Hilfe eines Hebels bewegt, dann besitzt er gewisse Erfahrungen der<br />

entsprechenden Zusammenhänge; er versteht <strong>die</strong> Situation <strong>auf</strong> Grund<br />

<strong>die</strong>ser Erfahrungen und kann sie daher manipulieren. Zweifellos gibt es<br />

unterschiedliche Grade eines derartigen Verstehens, denn jemand kann<br />

den Hebel mehr „gefühlsmäßig“ anwenden; er muß verschiedene, mehr<br />

zufällig gefundene Hypothesen in der Wirklichkeit ausprobieren, um eine<br />

132


annehmbare Lösung zu finden, während ein anderer durch bloßes<br />

Nachdenken <strong>die</strong> Zusammenhänge manipuliert und so zu einer guten<br />

Lösung findet. Das ist der Prozeß der Einsicht oder des Verstehens. So<br />

verstehen wir <strong>die</strong> Handlungen anderer Menschen, weil wir <strong>auf</strong> Grund<br />

unseres Wissens über <strong>die</strong> sehr komplexen Bedingungszusammenhänge<br />

menschlicher Handlungen und aus Informationen über ihre Lebensumstände<br />

eine Problemsituation rekonstruieren können, innerhalb derer <strong>die</strong><br />

Handlungen logisch erscheinen und damit einsichtig. Verstehen ist also<br />

ein Umgehen mit kognitiven Strukturen, <strong>die</strong> zudem gewöhnlich<br />

„objektive Gegenstände“ der „Dritten Welt“ sind (vgl. POPPER 1973, S.<br />

184 f.).<br />

Wenn nun ein derartiges Verstehen das Ziel des Lehrens ist 50 dann stellt<br />

eine Prüfung, <strong>die</strong> nach dem Wissen eines Elements fragt, nicht eine<br />

Prüfung <strong>die</strong>ses begrenzten Wissens dar, sondern <strong>die</strong> Prüfung eines<br />

komplexen Beziehungsgeflechts von kognitiven Strukturen, das den<br />

Lernenden befähigt, <strong>die</strong>se Frage zu beantworten. Dieser Sachverhalt<br />

wurde sehr klar von AEBLI (1976) analysiert, und zwar an, folgender<br />

Wissens-Frage aus BLOOMs „Taxonomie der Erziehungsziele“<br />

(Taxonomy of Educational Objectives), <strong>die</strong> nach AEBLI (1976, S. 288)<br />

besser „Taxonomie der Prüfungsmöglichkeiten für Gelerntes“ heißen<br />

sollte:<br />

„Welche der folgenden Aussagen A, B oder C ist richtig? Die Zahl der<br />

Jahresringe an der Basis des Stammes eines alten Baumes (A) ist größer als, (B)<br />

ist kleiner als, (C) ist gleich groß wie <strong>die</strong> Zahl der Jahresringe <strong>auf</strong> halber Höhe<br />

des Stammes des gleichen Baumes?“ 51 51<br />

AEBLI (1976, S. 288-289) schreibt in seinem Kommentar, daß das<br />

Lernziel zu <strong>die</strong>ser Prüfungsfrage sicher nicht darin besteht,<br />

„den Buchstaben A anzukreuzen oder auszusprechen; auch nicht jene<br />

Unterscheidungsreaktion, welche <strong>die</strong> Aussage (A) als richtig und <strong>die</strong> Aussagen<br />

(B) und (C) als falsch erkennt. Ja, nicht einmal das Wissen um <strong>die</strong> abnehmende<br />

Zahl der Jahresringe bei Querschnitten zunehmender Höhe über dem Boden<br />

kann das Lernziel sein. Lernziel ist <strong>die</strong> Vorstellung vom Wachstumsvorgang, in<br />

dessen Verl<strong>auf</strong> der junge Baum seine Mittelachse jährlich eine Stufe höher treibt<br />

und sie sodann durch Anlagerung weiterer Kambiumschichten zum Stämmchen<br />

und zum Stamm verdickt. Aus <strong>die</strong>sem Geflecht von Beziehungen greift <strong>die</strong><br />

Frage zwei Größen heraus: <strong>die</strong> Zahl der Jahresringe an der Basis und in der<br />

50 Es soll nicht behauptet werden, <strong>die</strong>s sei das einzige sinnvolle Ziel, denn zweifellos<br />

gibt es noch viele andere wichtige Lernziele. So etwa (grundlegende) psychomotorische<br />

Fertigkeiten wie (Maschinen-)Schreiben usw.<br />

51 Vgl. BLOOM 1973, S. 87. Zitiert wird hier jedoch <strong>die</strong> verständlichere Obersetzung<br />

von AEBLI 1976, S. 288.<br />

133


Mitte des Stammes. Der Schüler, der <strong>die</strong> Frage richtig beantwortet, liefert ein<br />

Wissenselement. Man kann <strong>die</strong> Frage also eine Wissensfrage nennen. Sie gibt<br />

aber nicht das Lernziel wieder, sondern eine relativ oberflächliche Form der<br />

Sichtbarmachung und damit der Prüfung des verstandenen Tatbestandes.“<br />

Je unverstandener oder uneinsichtiger ein bestimmtes Vorgehen ist (z. B.<br />

wenn ein Medikament <strong>auf</strong> gut Glück verabreicht wird, hoffend, eine<br />

bestimmte, erwünschte Wirkung möge eintreten), desto weniger<br />

differenziert und integriert sind auch <strong>die</strong> kognitiven Strukturen in <strong>die</strong>sem<br />

Bereich, d. h. das Wissen über <strong>die</strong> Zusammenhänge, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Wirkungen<br />

des fraglichen Vorgehens erklären, um so weniger planmäßig kann man<br />

also handeln und um so unerwarteter sind <strong>die</strong> Folgen einer Handlung.<br />

Dagegen ist der Grad des Verstehens um so höher, je besser es einem<br />

gelingt, mit dem Netz seines Wissens <strong>die</strong> Realität einzufangen und<br />

planmäßig <strong>auf</strong> sie einzuwirken.<br />

Aber mit dem, was hier als Wissen bezeichnet wird, ist mehr gemeint als<br />

nur <strong>die</strong> Kenntnis der Regel, wenn Medikament A verabreicht wird, dann<br />

tritt Wirkung B ein. Denn <strong>die</strong> bloße Kenntnis <strong>die</strong>ser Regel reicht nicht<br />

aus, wenn <strong>auf</strong> Grund besonderer Umstände <strong>die</strong> erwartete Wirkung<br />

ausbleibt. Nur wenn <strong>die</strong>se Regel im Denken des Anwendenden nicht für<br />

sich existiert, sondern integriert ist in umfassendere Zusammenhänge,<br />

kann er auch in solchen Fällen gezielt weitersuchen und muß nicht nach<br />

dem Zufallsprinzip irgendeine andere Regel ausprobieren. Zum Wissen<br />

um <strong>die</strong> komplizierten biologischen Zusammenhänge gehört zudem<br />

wesentlich das Bewußtsein um den Vermutungscharakter <strong>die</strong>ses Wissens,<br />

das heißt, zum Verstehen gehört wesentlich eine kritische Einstellung.<br />

Denn es ist stets fraglich, ob oder bis zu welchem Grade <strong>die</strong> Erklärung<br />

einer bestimmten krankhaften Erscheinung wahr ist. Oft gibt es mehrere<br />

Erklärungen, von denen nur wenige eindeutig widerlegt worden sind.<br />

Und <strong>auf</strong> <strong>die</strong>ses unsichere Wissen baut <strong>die</strong> Entwicklung eines Medikaments.<br />

Zu all dem kommen <strong>die</strong> individuellen Unterschiede und <strong>die</strong><br />

vielfältigen Wechselwirkungen von Körper und Psyche und vieles andere<br />

mehr. Nur wenn man mit <strong>die</strong>sen sehr komplexen Zusammenhängen<br />

vertraut ist, wenn man <strong>die</strong> Verschlungenheit der Probleme erfahren hat,<br />

wird man Regeln nicht blind, sondern stets kritisch anwenden.<br />

Um zu verstehen, kommt es also nicht nur dar<strong>auf</strong> an, ein System zu<br />

kennen, sondern auch dar<strong>auf</strong>, erfahren zu haben, wie ein solches System<br />

sich entwickelt, wie unsicher es ist und wie es ständig neue Probleme<br />

134


schafft, und zwar nicht nur wissenschaftliche, sondern auch ethische<br />

Probleme.<br />

Daß nun <strong>die</strong> genetische Lehrstrategie, <strong>die</strong> einige wenige Probleme wirklich<br />

vertieft, eher zu solchem Verstehen führt als <strong>die</strong> systemvermittelnde<br />

Lehrstrategie, <strong>die</strong> eine Vielzahl von Lehrsätzen oder Regeln aneinanderreiht,<br />

habe ich im vorigen Kapitel näher ausgeführt.<br />

3.2. Motivierung<br />

Im vorausgegangenen Kapitel wurden <strong>die</strong> Grobstrukturen von<br />

Lehrstrategien dargestellt. Im folgenden soll nun untersucht werden, wie<br />

man <strong>die</strong> Lernenden motivieren kann, sich den Lern-Aufgaben<br />

zuzuwenden und ein Interesse dafür zu entwickeln.<br />

Ein Interesse zu haben heißt im Rahmen der in Teil 2 dargestellten<br />

Theorie der Informationsverarbeitung, daß <strong>die</strong> Bedeutungen der vom<br />

Lerner <strong>auf</strong>gebauten kognitiven Strukturen auch sein Verhalten steuern.<br />

Sie steuern es allerdings nicht deterministisch, denn nicht nur steuern<br />

unsere Theorien uns, sondern wir steuern auch unsere Theorien. Wenn<br />

also bestimmte Methoden der Motivierung zum Aufbau bestimmter<br />

kognitiver Strukturen beitragen, dann bedeutet <strong>die</strong>s, daß <strong>die</strong>se kognitiven<br />

Strukturen nun ihrerseits und langfristig das Verhalten der Lerner in<br />

bestimmter Weise motivieren können (nicht müssen). Daher werden<br />

einige Methoden sich der Tendenz nach dazu eignen, bei den Lernenden<br />

eine Einstellung <strong>auf</strong>zubauen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Autorität der über ihnen stehenden<br />

Personen unkritisch akzeptiert und in <strong>die</strong>sen <strong>die</strong> höchste fachliche und<br />

moralische Instanz sieht. Andere Methoden dagegen werden eher dazu<br />

führen, daß <strong>die</strong> Lernenden ein Gefühl für <strong>die</strong> Maßstäbe intellektueller<br />

Ehrlichkeit erhalten, daß sie in der Wissenschaft den Maßstab der Wahrheit<br />

und bei moralischen Forderungen und Entscheidungen das individuelle<br />

Gewissen als höchste Autorität anerkennen.<br />

Beim darstellenden Verfahren (siehe 3.3.1.) ist eine der wichtigsten<br />

Voraussetzungen, um Lerner für den Lehrstoff zu interessieren und ihre<br />

Urteilsfähigkeit zu schulen, <strong>die</strong> Verständlichkeit des Lehrmaterials oder<br />

des Unterrichts (siehe 3.2.4. Motivierung durch Verständlichkeit).<br />

Motivierend ist für den Lernenden weiterhin Lehrmaterial, das ihm<br />

Beziehungen zwischen verschiedenen, bisher isoliert gesehenen Dingen<br />

<strong>auf</strong>zeigt und das ihn zu Lösungen von Problemen führt, bzw. das ihn<br />

<strong>die</strong>se Beziehungen erarbeiten und <strong>die</strong> Probleme selbst lösen läßt (siehe<br />

3.2.3. Motivierung durch Beziehungshaltigkeit und 3.2.2. Motivierung<br />

135


durch Probleme). Sowohl bei darstellendem als auch bei erarbeitendem<br />

Verfahren kann der Lernende nur durch eine argumentative Auseinandersetzung<br />

über <strong>die</strong> sachlichen Probleme sozusagen in <strong>die</strong> Sache hineingezogen<br />

werden (intrinsische Motivation).<br />

Zunächst werde ich nun <strong>die</strong> Motivierung durch Argumente im Verhältnis<br />

zu einer Motivierung durch außersachliche Anreize oder Zwänge<br />

diskutieren.<br />

3.2.1. Motivierung durch Verstärkungen oder durch Argumente?<br />

Die Alltagstheorie der Motivation oder der Aufmerksamkeit nimmt an,<br />

daß man sich einer Sache vorzugsweise dann zuwendet, wenn <strong>die</strong>se<br />

Zuwendung belohnt wird. Bestraft man aber ein bestimmtes Verhalten,<br />

dann meidet man <strong>die</strong>ses Verhalten in Zukunft, um nicht wieder bestraft<br />

zu werden. Diese Alltagstheorie stimmt gut mit der Bedürfnisreduktionstheorie<br />

(oder Verstärkungstheorie) überein, daß ein Individuum das<br />

Verhalten zeigt, das positiv verstärkt wird, und auch in Zukunft <strong>die</strong>ses<br />

Verhalten äußern wird, weil es erwartet, wieder verstärkt zu werden (vgl.<br />

CORRELL 1972, S. 154 f.). Diese Theorie scheint <strong>die</strong> Problematik<br />

allzusehr zu vereinfachen. (Zur Kritik der Bedürfnisreduktionstheorie vgl.<br />

2.2.1.) Denn zweifellos wenden wir uns vielen Dingen zu, nicht weil <strong>die</strong>se<br />

Zuwendung durch irgend jemanden verstärkt bzw. belohnt wird, sondern<br />

weil uns Argumente überzeugen. Nun könnte man natürlich Argumente<br />

als spezielle Verstärker definieren. Aber <strong>die</strong>s ist m. E. eine unangemessene<br />

Vereinfachung. Bei einem Verstärker, sagen wir bei einer Futterpille,<br />

ist <strong>die</strong> Wirksamkeit vom Hunger des Versuchsobjekts abhängig. Dagegen<br />

kommt es bei einem Argument <strong>auf</strong> den Gehalt des Arguments an, ob es<br />

überzeugt oder nicht. Ein Argument mag außerdem Anlaß zu Gegenargumenten<br />

geben und eine rege geistige Tätigkeit hervorrufen.<br />

Dennoch werden einige behaupten, der Unterschied zwischen einem<br />

Argument und einer Verstärkung, z. B. einem Bonbon, sei höchstens ein<br />

gradueller.<br />

Ob nun im täglichen Leben Argumenten oder Belohnungen und Bestrafungen<br />

der Vorzug gegeben werden sollte, ist natürlich eine moralische<br />

Frage. Die Anerkennung der Bedeutung von Argumenten beruht <strong>auf</strong> der<br />

Entscheidung, den anderen als vernünftiges Wesen zu betrachten. Das<br />

schließt im übrigen Lob im Sinne einer spontanen Zustimmung oder<br />

Bewunderung nicht aus. Ein derartiges Lob ist etwas ganz anderes als ein<br />

„Lob“, das systematisch zur Steuerung des Verhaltens von Adressaten<br />

eingesetzt wird. Ebenso ist ein Tadel als Ausdruck des Mißfallens zu<br />

unterscheiden von einem „Tadel“, der manipulativ verwendet wird.<br />

136


Im folgenden werde ich zunächst <strong>die</strong> Konsequenzen einer Steuerung der<br />

Aufmerksamkeit durch Lob und Strafe sowie durch Argumente<br />

untersuchen. Anschließend erörtere ich <strong>die</strong> Zusammenhänge zwischen<br />

<strong>die</strong>sen Methoden der Aufmerksamkeitssteuerung und der systemvermittelnden<br />

und genetischen Lehrstrategie. Schließlich werde ich darlegen,<br />

daß <strong>die</strong> Entscheidung für eine <strong>die</strong>ser Methoden zur Aufmerksamkeitslenkung<br />

auch vom grundlegenden Bekenntnis des Lehrenden zum<br />

Rationalismus bzw. Irrationalismus abhängt.<br />

Die Folgen einer Steuerung durch Lohn und Strafe und<br />

durch Argumente<br />

Die Bedürfnisreduktionstheorie nun legt dem Lehrer nahe, einerseits<br />

erwünschtes Verhalten so zu belohnen, daß ein Bedürfnis befriedigt wird,<br />

und andererseits unerwünschtes Verhalten zu bestrafen (z. B. durch<br />

Belohnungsentzug), damit es vermieden wird. Es wird allerdings auch<br />

gefordert, es solle nur belohnt, aber nicht bestraft werden; <strong>die</strong> einzige<br />

wirksame Sanktion bestehe im Nicht-Beachten des unerwünschten<br />

Verhaltens. Dabei wird übersehen, daß Strafen unvermeidlich sind, wenn<br />

belohnt wird. Denn schon <strong>die</strong> Verweigerung einer vom Schüler<br />

erwünschten Belohnung hat <strong>die</strong> Wirkung einer Strafe (vgl. BOGUSLAW<br />

1972, S. 28).<br />

Die Technik des Belohnens und Strafens ist Jahrtausende alt und hat sich<br />

offensichtlich bewährt. Wahrscheinlich ist <strong>die</strong>s der Grund, daß <strong>die</strong><br />

Bedürfnisreduktionstheorie, mit der <strong>die</strong>se Technik sich gut vereinbaren<br />

läßt, noch immer so mächtig ist. Doch man sollte grundsätzlich<br />

bedenken, welche Folgen das Lernen <strong>auf</strong> Grund von Lohn (gute<br />

Zensuren, soziale Anerkennung) und Strafe (schlechte Zensuren, Tadel,<br />

Entzug sozialer Anerkennung) oder von Erfolgserwartung und<br />

Mißerfolgserwartung nach sich ziehen kann (es gibt hier sicher keinen<br />

Determinismus, siehe 2.2.2.). Wird vorwiegend oder ausschließlich <strong>auf</strong><br />

Grund von Belohnungs- oder Erfolgserwartung gelernt, so wird das zu<br />

Lernende zu einem Hindernis für <strong>die</strong> Belohnung oder den Erfolg (vgl.<br />

auch LEWIN 1974, S. 48 f.), also etwa für <strong>die</strong> Befriedigung persönlichen<br />

Ehrgeizes oder des Wunsches nach sozialer Anerkennung. Wenn nun<br />

<strong>die</strong>se Erfolgserwartungen sehr stark werden, dann stellen sie für den<br />

Lernenden zusätzliche, sachfremde Probleme dar, <strong>die</strong> auch einen<br />

zusätzlichen Leistungsdruck erzeugen. Dies kann vor allem bei<br />

Leistungsschwächeren zu überhöhter Belastung und damit überhöhter<br />

Aktivation führen. Bei überhöhter Aktivation aber sinkt <strong>die</strong> Leistung<br />

137


(siehe 2.2.3.) 52 . Eine weitere Folge <strong>die</strong>ses Leistungsdrucks kann darin<br />

bestehen, daß <strong>die</strong> Lernenden sich so weit wie möglich anpassen und<br />

jedem Erfolg nachstreben, den sie eben bekommen können, daß sie <strong>die</strong><br />

Anerkennung, <strong>die</strong> der Erfolg verbürgt, sich zum Ziel und Maßstab<br />

machen. Diejenigen, <strong>die</strong> sich nicht in <strong>die</strong>ser Weise anpassen, werden<br />

Mittel und Wege finden, das Hindernis zu umgehen. Sie lernen, wie eine<br />

Belohnung zu erhalten ist - unter Umständen ohne sich dafür anzustrengen<br />

53 . Will man also Mogeleien verhindern, muß man genau<br />

kontrollieren. Kontrollen beanspruchen aber einen großen Teil der<br />

Arbeitskraft und Aufmerksamkeit des Lehrers, <strong>die</strong> von anderen Dingen<br />

abgezogen wird 54 .<br />

Bei Bestrafung sind <strong>die</strong> Nebenwirkungen ähnlich denen bei Belohnung.<br />

Denn lernen <strong>die</strong> Schüler, um Strafe oder Mißerfolg (der als Strafe<br />

empfunden wird, wenn Erfolg belohnt wird) zu vermeiden, so lernen<br />

manche, daß es besser ist, sich zu beugen und sich nur dort anzustrengen,<br />

wo man dazu gezwungen wird (vgl. SCHIEFELE 1974, S. 98). Da jeder<br />

Organismus versucht, sich schädigenden oder strafenden Einflüssen zu<br />

entziehen, da sie überhöhte Aktivation hervorrufen, muß der Lehrende<br />

alle strafvermeidenden Auswege versperren, also wiederum kontrollieren.<br />

Läßt <strong>die</strong> Kontrolle nach, zeigen <strong>die</strong> Lernenden das unerwünschte<br />

Verhalten. Genaue Steuerung durch Lohn und Strafe, durch Erfolgsoder<br />

Mißerfolgsbestätigungen erfordert logischerweise eine erhebliche<br />

Einschränkung der Freiheit der Lernenden (vgl. auch PORTELE 1975, S.<br />

176). Wer ständig damit beschäftigt ist, Klausuren und andere Nachweise<br />

einer Leistung zu erbringen, wird sich darüber hinaus kaum noch<br />

engagieren.<br />

Diese Zusammenhänge gelten vermutlich für alle <strong>Institution</strong>en 55 ,<br />

insbesondere auch für <strong>die</strong> Hochschule (vgl. EWERT 1970; JAHNKE<br />

1977). So scheinen Hochschullehrer weithin von der Annahme auszugehen,<br />

Studenten seien wesenhaft lethargisch und nicht bereit, von sich<br />

aus Interesse für das Studium <strong>auf</strong>zubringen (vgl. ANGER 1960). Also<br />

führt man hochschulinterne Belohnungs- und Bestrafungsmittel ein: Man<br />

hält das Studium durch Scheine, Zwischenprüfungen, Aufnahmeklau-<br />

52 Vgl. auch <strong>die</strong> Untersuchungen von CROWE, HOLLAND und CONN 1968;<br />

SZÉKELY 1944. Diese Untersuchungen zeigen, daß Ehrgeiz und der Wunsch<br />

nach Anerkennung den Denkprozeß beeinträchtigen.<br />

53 Vgl. auch <strong>die</strong> Ausführungen DREEBENs, was Schüler in der Schule lernen:<br />

DREEBEN 1968 und JACKSON 1973.<br />

54 Vgl. auch <strong>die</strong> kritische Diskussion der <strong>Auswirkungen</strong> von Lohn und Strafe bei<br />

PORTELE 1975, S. 160 f.; v. PARREREN 1974, S. 65 ff.; LEWIN 1974, S. 51 ff.<br />

55 Vgl. auch <strong>die</strong> Ausführungen des Psychoanalytikers H. E. RICHTER in seinem<br />

Buch „Flüchten oder Standhalten“, 1976.<br />

138


suren usw. in Gang. Die Folge ist, daß in Prüfungszeiten viel gelernt wird,<br />

während in prüfungsfreien Zeiten sehr wenig getan wird. Das Wissen, das<br />

<strong>die</strong> Studenten sich kurz vor dem Prüfungstermin eingepaukt haben,<br />

vergessen sie ebenso schnell auch wieder (vgl. EWERT 1970, S. 20).<br />

Zweifellos ist nun eine gewisse Kontrolle im institutionalisierten<br />

Lernprozeß erforderlich und auch hilfreich. Aber das bedeutet nicht, daß<br />

bei immer mehr Kontrolle auch immer mehr gelernt wird. Diese<br />

Annahme ist falsch, denn wie wir gesehen haben, führt ein Übermaß an<br />

Kontrolle oder Zwang dazu, daß viele unter den gegebenen Umständen<br />

nur noch lernen und z. T. vor Angst nur noch lernen können, was<br />

unbedingt gelernt werden muß, um <strong>die</strong> unangenehmsten Sanktionen zu<br />

vermeiden, bzw. um <strong>die</strong> erhofften Belohnungen zu erhalten.<br />

Doch viel bedeutsamer als <strong>die</strong> <strong>Auswirkungen</strong> von Lob und Strafe <strong>auf</strong> das<br />

unmittelbare Lernverhalten sind <strong>die</strong> möglichen langfristigen Folgen <strong>die</strong>ser<br />

Methode. Denn durch <strong>die</strong> konsequente und dauernde Anwendung von<br />

Lob und Strafe werden vermutlich kognitive Strukturen <strong>auf</strong>gebaut, <strong>die</strong><br />

eine unkritische Hinnahme von Forderungen und Behauptungen<br />

begünstigen. Dem so Gesteuerten kommt es vor allem dar<strong>auf</strong> an, welche<br />

Konsequenzen das gewünschte Verhalten für ihn hat: Lob oder Strafe,<br />

Bestätigung und Anerkennung oder Nichtbeachtung und, Tadel. Von<br />

einem moralischen Standpunkt aus kann man eine derartige Erziehung<br />

ohne Übertreibung als eine Korrumpierung des Intellekts und der Moral<br />

der Lernenden bezeichnen. Eine kritische Haltung gegenüber den zu<br />

lernenden Verhaltensweisen oder Inhalten kann man nur dann erwerben,<br />

wenn <strong>die</strong>se zum Gegenstand einer argumentativen oder rationalen<br />

Auseinandersetzung werden, ohne daß jedoch <strong>die</strong>se Auseinandersetzung<br />

<strong>auf</strong> enge Fachgrenzen eingeschränkt wird 56 .<br />

56 So kann etwa <strong>die</strong> Einschränkung einer Diskussion <strong>auf</strong> rein fachwissenschaftliche<br />

Probleme den Blick für <strong>die</strong> möglichen Gefahren einer Anwendung verstellen.<br />

POPPER fordert daher: „Da sich der Wissenschaftler nun einmal unentwirrbar in<br />

<strong>die</strong> Anwendung seiner Wissenschaft verwickelt hat, so sollte er darin eine seiner<br />

besonderen Verpflichtungen sehen, <strong>die</strong> ungewollten Folgen seiner Tätigkeit so<br />

weit als möglich vorauszusehen. Dann kann er, bevor es zu spät ist, <strong>die</strong> Aufmerksamkeit<br />

<strong>auf</strong> jene ungewollten Folgen lenken, <strong>die</strong> wir vermeiden müssen.“<br />

(POPPER 1975, S. 99)<br />

Es ist ja auch das Prinzip des kritischen Rationalismus, <strong>die</strong> kritische Diskussion<br />

keinerlei Einschränkungen zu unterwerfen. Er „klammert weder Ziele noch Wertorientierungen,<br />

noch irgendwelche Entscheidungen aus <strong>die</strong>ser Diskussion aus"<br />

(ALBERT 1972, S. 120). Allerdings bleibt der Dualismus von Wertungen und<br />

Tatsachen erhalten, d.h. für unsere Entscheidungen sind nur wir selbst verantwortlich,<br />

da Entscheidungen nicht aus Tatsachen abgeleitet oder durch unsere<br />

Argumente determiniert werden können. „Aber daraus folgt nicht“, so POPPER,<br />

139


Eine extensive Anwendung von Lob und Strafe zur Steuerung des<br />

Lernverhaltens kann also <strong>die</strong>se Fähigkeit zur Kritik unterdrücken. Dafür<br />

wird <strong>die</strong> Gewohnheit eingeschliffen, daß <strong>die</strong> meisten Entscheidungen, <strong>die</strong><br />

man eigentlich selbstkritisch zu treffen und zu verantworten hätte, durch<br />

Regeln oder Routinen vorgegeben werden, deren Einhaltung womöglich<br />

durch Sanktionen gesichert wird. So passen sich Lehrer den üblichen,<br />

aber ursprünglich von ihnen verachteten Routinen an und unterlassen alle<br />

Experimente, <strong>die</strong> sie sich vorgenommen hatten. Juristen, <strong>die</strong> nicht nur<br />

routinemäßig Gesetze interpretieren wollten, sondern sich unter Abwägung<br />

aller relevanten Faktoren in jedem Einzelfall um eine möglichst<br />

genaue Annäherung an das Ideal der Gerechtigkeit bemühen wollten,<br />

passen sich schließlich doch an usw. 57 Schließlich läßt sich sogar eine<br />

Bequemlichkeit beobachten, <strong>die</strong> nach solchen Regeln ruft, denn Gehorsam<br />

ist eine Leistung, <strong>die</strong> leichter zu erbringen ist als kritisches und<br />

eigenverantwortliches Handeln. Und <strong>die</strong> erwartete Reaktion <strong>auf</strong> Lob und<br />

Strafe ist ja Gehorsamkeit.<br />

Wie sehr wir uns im Grunde <strong>die</strong>se Erwartungen, vermutlich <strong>auf</strong> Grund<br />

einer Erziehung durch Lob und Strafe, zu eigen gemacht haben, zeigen<br />

<strong>die</strong> Untersuchungen MILGRAMs (1974). Bei <strong>die</strong>sen Untersuchungen<br />

ging es um <strong>die</strong> Frage, ob Versuchspersonen bereit sind, andere Menschen<br />

<strong>auf</strong> Verlangen zu quälen. Dazu wurde als Versuchssituation ein Lernexperiment<br />

gewählt, in dem ein Schauspieler den Schüler spielte und ein<br />

anderer Schauspieler den Versuchsleiter, während <strong>die</strong> Versuchspersonen<br />

<strong>die</strong> Lehrer darstellten. Der Schüler (-Schauspieler) war an eine Apparatur<br />

gefesselt, <strong>die</strong> wie ein elektrischer Stuhl aussah. Der Versuchsleiter<br />

(Schauspieler) gab sich den Anschein, als wollte er <strong>die</strong> Auswirkung von<br />

Strafe <strong>auf</strong> den Lernprozeß untersuchen. Die Versuchsperson, <strong>die</strong> ja als<br />

Lehrer fungierte, wurde in einem vom Schüler abgetrennten Raum an<br />

eine Schalttafel gesetzt und konnte von hier dem Schüler Elektroschocks<br />

von 15 bis 450 Volt verabreichen, <strong>die</strong> in Wirklichkeit jedoch vorgetäuscht<br />

waren.<br />

Die Versuchsperson übermittelte dem Schüler vorgegebene Fragen. Bei<br />

jeder falschen Antwort instruierte der Versuchsleiter <strong>die</strong> Versuchsperson,<br />

einen Schock zu verabreichen und jedesmal eine Stufe höher zu gehen.<br />

Der Schüler, der zwar keinen Schock erhielt, simulierte ein Verhalten, als<br />

ob er tatsächlich Elektroschocks bekäme: Bei 120 Volt beklagte er sich,<br />

„daß es keine Argumente gibt, <strong>die</strong> uns bei unserer Wahl behilflich sein können. Im<br />

Gegenteil: Angesichts einer ... Entscheidung ist es immer hilfreich, wenn man<br />

sorgfältig <strong>die</strong> Folgen analysiert, <strong>die</strong> wahrscheinlich aus den möglichen Alternativen<br />

hervorgehen werden." (POPPER 1970, Bd. 2, S. 285-286)<br />

57 Eine Fülle ausführlich, dargestellter Beispiele findet man in RICHTER 1976.<br />

140


<strong>die</strong> Schocks seien schmerzhaft; er steigerte <strong>die</strong>ses Verhalten bei 300 Volt<br />

zum eindeutig qualvollen Brüllen (MILGRAM 1974, S. 40). Wandte sich<br />

<strong>die</strong> Versuchsperson fragend an den Versuchsleiter, dann gab <strong>die</strong>ser<br />

Antworten in verschiedenen Eindringlichkeitsstufen, von „Bitte, fahren<br />

Sie fort!“ bis „Sie haben keine andere Wahl, Sie müssen weitermachen!“.<br />

Es gab aber keine argumentative Auseinandersetzung über das Vorgehen.<br />

Die Ergebnisse der Versuche sind erschreckend. 62,5 % der Versuchspersonen<br />

(es handelte sich um männliche und weibliche Vpn aus allen<br />

Schichten und Berufsgruppen) drückten alle Schocktasten bis 450 Volt,<br />

obwohl sie hören mußten, wie der Schüler schon ab 150 Volt vor<br />

Schmerzen schrie 58 . Bei Blickkontakt mit dem Schüler drückten nur noch<br />

40 % der Versuchspersonen alle Schocktasten, und bei Berührungskontakt<br />

waren es noch 30 % (MILGRAM 1974, S. 50 f.). Dennoch waren<br />

es sehr viele, <strong>die</strong> bedingungslos gehorchten.<br />

Die Ursache <strong>die</strong>ses Verhaltens vermutet MILGRAM (1974, S. 216) vor<br />

allem darin, daß man gelernt hat, sich nach Autoritäten zu richten, daß<br />

man gelernt hat, seinen eigenen Verstand und sein Gewissen durch <strong>die</strong><br />

Autorität zu ersetzen. Statt <strong>die</strong> individuellen Moralvorstellungen und <strong>die</strong><br />

Gebote der Menschlichkeit zu beachten, achtet man nur noch <strong>auf</strong> <strong>die</strong><br />

Sanktionen der Autorität.<br />

Dies ist <strong>die</strong> Unzulänglichkeit, <strong>die</strong> KANT (1781, S. 35) als selbstverschuldet<br />

bezeichnet, „wenn <strong>die</strong> Ursache derselben nicht am Mangel des<br />

Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner<br />

ohne Leitung eines anderen zu be<strong>die</strong>nen“. Aber KANT (1781, S. 41) war<br />

auch der Meinung, daß <strong>die</strong> Menschen sich selbst aus <strong>die</strong>ser „Roheis“<br />

herausarbeiten können, „wenn man nur nicht absichtlich künstelt, um sie<br />

darin zu erhalten“. Nur eine vernünftige argumentative Auseinandersetzung<br />

kann <strong>die</strong>ses Sich-Herausarbeiten aus der Unmündigkeit fördern 59 .<br />

Wenn Lehrer und Lernende im Unterricht Argumente gebrauchen, dann<br />

bedeutet <strong>die</strong>s, daß man miteinander denkt und daß nicht Konkurrenz,<br />

Erfolg oder Autorität und andere außersachliche Anreize das Lernen<br />

steuern. Für <strong>die</strong> Anwendung <strong>die</strong>ser argumentativen Methode gilt, was<br />

58 Eine Wiederholung der Versuche in München erbrachte ein Ergebnis von<br />

85 Prozent gehorsamer Versuchspersonen (vgl. MANTELL 1971).<br />

59 Allerdings können Strafen dann unumgänglich werden, wenn jemand trotz<br />

aller, auch intensivster Versuche nicht bereit ist, <strong>auf</strong> Argumente zu hören<br />

und selber statt Argumente Gewalt anwendet.<br />

141


WAGENSCHEIN (1975, S. 99) von Kindern schreibt, vermutlich auch<br />

für Studenten:<br />

„Sie erwärmen sich für das Miteinander-Denken, sie erfahren, wie befreiend<br />

es ist, und Kräfte (weil Freude) auslösend, wenn man nicht mehr<br />

aus Ehrgeiz und Notenfurcht ,arbeitet’, sondern wenn es in einem aus<br />

sachlichen Motiven zu arbeiten anhebt. Mag das Ziel auch so unerreichbar<br />

scheinen wie der Weltfriede, so utopisch wie <strong>die</strong> Gesundheit:<br />

Der Unterricht sollte dahin wenigstens seine Richtung nehmen, daß jeder<br />

einzelne Schüler [und Student] sich mitverantwortlich fühle dafür, daß<br />

alle verstehen.“<br />

Ein solcher Unterricht hat jedoch noch weitere Folgen. Eine<br />

sachlichkritische Argumentation erfordert ja, daß man sich nicht nur <strong>auf</strong><br />

<strong>die</strong> Sache und <strong>die</strong> Argumente konzentriert, sondern auch, daß man alle<br />

Argumente von Lernenden ernst nimmt, überdenkt und beantwortet und<br />

den Lernenden selbst als eine „potentielle Quelle von Argumenten und<br />

von vernünftiger Information“ betrachtet (POPPER 1970, Bd. 2, S. 277).<br />

Das bedeutet, daß man ausschließlich Argumente und nicht - wie es so<br />

oft geschieht - <strong>die</strong> argumentierende Person analysiert und bewertet.<br />

Dadurch wird vermieden, daß zusätzlich zum sachlichen Problem noch<br />

Belastungen durch Hoffnungen <strong>auf</strong> Erfolg und soziale Anerkennung<br />

bzw. Ängste vor Mißerfolg entstehen. Das heißt jedoch nicht, daß<br />

persönliche Probleme der Lernenden unterdrückt werden. Vielmehr ist es<br />

so, daß auch persönliche Probleme in argumentativer Weise gelöst werden<br />

können. Denn gerade emotionale Probleme der Lernenden können<br />

nicht beseitigt werden, indem man <strong>die</strong> Schüler bestraft, belohnt oder<br />

nicht beachtet (oder indem man Pillen gibt). Dadurch werden sie nur<br />

<strong>auf</strong>geschoben oder ihre Symptome beseitigt 60 .<br />

Sachbezogene Argumente kann das Individuum sinnvoll im Rahmen<br />

seiner kognitiven Strukturen beurteilen. Argumente können daher<br />

Probleme <strong>auf</strong>werfen oder bestehendes Wissen bestätigen. Dies regt aber<br />

wiederum weitere Lernaktivitäten an: es entsteht eine sachbezogene<br />

Motivation. Ein derartiger argumentativer Unterricht bedeutet zugleich<br />

eine Individualisierung in dem Sinne, daß nur der einzelne Lernende<br />

wichtig ist, wie er <strong>die</strong> Sache versteht, und nicht das Stoffpensum oder der<br />

Lehrplan. Die Individualisierung besteht darin, daß der Lehrer sich um<br />

den einzelnen Lernenden kümmert, daß er seine Argumente ernst nimmt<br />

und gemeinsam mit ihm nach Lösungen für <strong>die</strong> gestellten Probleme<br />

60 Praktische Beispiele und Anleitungen für rationale Lösungsmöglichkeiten emotionaler<br />

Probleme und Nachweise zur Unmöglichkeit, emotionale Probleme durch<br />

Belohnung oder Bestrafung zu lösen, gibt GORDON 1977.<br />

142


sucht. Lehrer und Schüler denken miteinander, sie denken <strong>auf</strong> der<br />

gleichen Ebene. Wenn man aber davon ausgeht, es sei ein grundlegendes<br />

Prinzip jeden Unterrichts, daß Lehrer und Schüler <strong>auf</strong> verschiedenen<br />

Ebenen denken, das heißt, daß der Lehrer didaktisch denkt und den<br />

Schüler zu einem bestimmten Ziel zu bringen sucht, während der Schüler<br />

sich um <strong>die</strong> Sache bemüht, dann bedeutet <strong>die</strong>s, daß man einen argumentativen<br />

Unterricht im obigen Sinne ablehnt. Denn es hat nichts mit<br />

einer argumentativen Haltung zu tun, wenn der Lehrer <strong>die</strong> Argumente<br />

des Schülers, statt sie ernst zu nehmen, nur als Angaben über <strong>die</strong><br />

Abweichungen des Schülers von einem bestimmten Zielverhalten<br />

betrachtet.<br />

Im Gegensatz zu <strong>die</strong>ser autoritären Methode ist <strong>die</strong> argumentative<br />

Methode sogar ein Teil der wissenschaftlichen Methode bzw. dessen, was<br />

POPPER (1970, Bd. 2, S. 267) den „öffentlichen Charakter“ der<br />

wissenschaftlichen Methode nennt. Denn nur wenn man versucht, nicht<br />

aneinander vorbeizureden, wenn man sich bemüht, <strong>die</strong>selbe Sprache zu<br />

sprechen wie der Gegenüber, nur dann kann man nach der Wahrheit<br />

suchen. Die „wissenschaftliche Objektivität“, <strong>die</strong> intersubjektive<br />

Überprüfbarkeit, ist das Ergebnis <strong>die</strong>ses öffentlichen Charakters (vgl.<br />

POPPER 1970, Bd. 2, S. 270).<br />

Genetische Lehrstrategie und Motivierung durch Argumente<br />

Bei Anwendung der genetischen Lehrstrategie ist stets entscheidend, was<br />

der Lernende denkt, d. h. welche Hypothesen und Vorstellungen er <strong>auf</strong><br />

Grund seiner bestehenden kognitiven Strukturen konstruieren kann.<br />

Denn nur wenn man vom bestehenden Wissen, etwa den Alltagstheorien<br />

eines Individuums, ausgeht, kann der Lernende in einsichtiger Weise<br />

<strong>die</strong>se Positionen <strong>auf</strong>geben, wenn sie im Widerspruch zu anderen<br />

Theorien oder zu Prüfungsergebnissen stehen, und dann nach besseren<br />

Theorien suchen. Das genetische Vorgehen bedeutet ja, daß das objektive<br />

Wissen aus dem vorhandenen entwickelt wird, aus <strong>die</strong>sem sozusagen<br />

erwächst; es geht um einen einsichtigen Aufbau kognitiver Strukturen.<br />

Die genetische Lehrstrategie erfordert also, daß man alles, was der<br />

Lernende zur Sache äußert, ernst nimmt und eine sachliche Antwort<br />

dar<strong>auf</strong> gibt. Die genetische Lehrstrategie läßt sich also nur mit der<br />

argumentativen Methode zur Steuerung der Aufmerksamkeit oder<br />

Motivation verbinden (während sich <strong>die</strong> systemvermittelnde Lehrstrategie<br />

mit jeder Methode verbinden läßt). Nur wenn man sich argumentativ mit<br />

dem Lernenden auseinandersetzt, ist <strong>die</strong>ser in der Lage, <strong>die</strong><br />

143


wahrgenommenen Probleme einsichtsvoll zu erarbeiten. Die Aufmerksamkeit<br />

der Lernenden wird so gelenkt durch <strong>die</strong> Argumente, <strong>die</strong><br />

sachliche Fehler, Widersprüche oder neue Fragen <strong>auf</strong>werfen. Diese<br />

Lenkung ist rein sachlicher Art, denn sie geht hervor aus der Auseinandersetzung<br />

mit dem Lerngegenstand. Nur eine solche argumentative<br />

Lenkung kann auch als problemorientiert oder genetisch, im Sinne der<br />

genetischen Lehrstrategie, bezeichnet werden.<br />

Einige philosophische Überlegungen zu den Methoden der<br />

Aufmerksamkeitssteuerung<br />

Die Anwendung von Lob und Strafe läßt sich gut mit einem<br />

dogmatischen Lehren vereinbaren. Man kann beispielsweise dem Schüler<br />

beibringen zu sagen, daß zweimal zwei fünf sei, daß „wahre“ Demokratie<br />

nur eine Volksdemokratie sein könne, daß Wahrheit identisch sei mit der<br />

jeweils herrschenden Ideologie usw. 61 Wenn der Schüler das unerwünschte<br />

Verhalten zeigt, wird er bestraft. Die manipulative Anwendung<br />

von Verstärkungen bzw. von Lohn und Strafe führt bei den Lernenden<br />

sehr leicht zu einem Anpassungsverhalten. Den Lernenden geht es dann<br />

nicht in erster Linie um <strong>die</strong> rationale Auseinandersetzung mit einer Sache,<br />

sondern auch (oder sogar noch mehr) um <strong>die</strong> erwarteten künftigen<br />

Handlungsfolgen, um Noten, um Erfolgsbestätigungen im Sinne von<br />

sozialer Anerkennung 62 und andere Belohnungen sowie um <strong>die</strong> Vermeidung<br />

von Bestrafungen, wie den Entzug von sozialer Anerkennung.<br />

Eine Steuerung durch <strong>die</strong> Hoffnung <strong>auf</strong> Erfolg und damit Anerkennung<br />

oder <strong>die</strong> Furcht vor Mißerfolg und Entzug sozialer Anerkennung erzeugt<br />

womöglich eine moralische Haltung, für <strong>die</strong> der Erfolg im Sinne von<br />

sozialer Anerkennung oder Auszeichnung vor anderen der Maßstab wird<br />

für das persönliche Handeln. Das eigene kritische und moralische<br />

61 Man kann das durchaus vergleichen mit den „abergläubischen" Tauben<br />

SKINNERs. (SKINNER dressierte Tauben mittels kleiner Futtergaben, d.<br />

h. Belohnungen, Tänze <strong>auf</strong>zuführen.)<br />

62 Tatsächlich scheint <strong>die</strong> Erwartung von Erfolg (Leistungsmotivation) mit<br />

sozialer Anerkennung identisch, denn, so HECKHAUSEN, „Leistungswillen<br />

tun seiner selbst willen oder um der sozialen Anerkennung willen<br />

korreliert so hoch miteinander, daß <strong>die</strong> Tunlichkeit einer Unterscheidung<br />

fraglich wird" (HECKHAUSEN 1965, S. 623). Allerdings schreibt<br />

HECKHAUSEN auch: „Wenn soziale Zustimmung oder Mißbilligung nur<br />

um ihrer selbst willen angestrebt wird, sollte man nicht mehr von<br />

Leistungsmotivation (Hoffnung <strong>auf</strong> Erfolg bzw. Furcht vor Mißerfolg)<br />

sprechen." (HECKHAUSEN 1965, S. 681)<br />

144


Vermögen, <strong>die</strong> eigene Verantwortung wird ersetzt durch <strong>die</strong> öffentliche<br />

Anerkennung irgendeines Erfolges; und <strong>die</strong> Entwicklung der einzig<br />

möglichen rationalen Einstellung, daß nur wir selbst für unsere Handlungen<br />

Verantwortung tragen, wird erschwert 63 .<br />

Die Anwendung von Lob und Strafe tritt oft bei Lehrenden <strong>auf</strong>, <strong>die</strong> an<br />

<strong>die</strong> Überlegenheit der eigenen intellektuellen Gaben glauben und den<br />

Anspruch erheben, mit Sicherheit und Autorität zu wissen 64 . Lehrende,<br />

<strong>die</strong> einem derartigen Pseudorationalismus anhängen, vertreten gewöhnlich<br />

<strong>die</strong> Ansicht, daß nur der Schüler oder Student, der ihre schwierigen<br />

Ausführungen versteht, es wert ist, zur geistigen Elite zu zählen 65 . Dieser<br />

Schüler oder Student wird belohnt durch <strong>die</strong> Aufnahme in <strong>die</strong>sen Kreis,<br />

während alle anderen, <strong>die</strong> nicht verstehen, als Versager eingestuft und<br />

damit bestraft werden. Dem pseudorationalistischen Lehrer erscheint es<br />

daher auch unnötig, sich um <strong>die</strong>se „Versager“ zu bemühen, zu versuchen,<br />

eine verständlichere Sprache zu sprechen oder <strong>die</strong> eigene Lehrmethode<br />

zu überdenken. Diese Lehrer werden daher alle Argumente in den Wind<br />

schlagen, <strong>die</strong> ihre Art des Lehrens in Frage stellen; sie werden antworten,<br />

daß es einfach zwei Arten von Menschen gebe: solche, <strong>die</strong> das Gelehrte<br />

verstehen, und solche, <strong>die</strong> es nicht verstehen, und sie werden <strong>die</strong><br />

Gedanken der letzteren nicht einmal der Rede wert halten. Gerade <strong>die</strong>ser<br />

„autoritäre Intellektualismus“ tritt oft - wie POPPER (1970, Bd. 2, S.<br />

279) ausführt - „unter dem Namen des ,Rationalismus’ <strong>auf</strong>; er ist aber das<br />

glatte Gegenteil von dem, was wir so nennen“.<br />

Der Rationalismus bzw. der „kritische Rationalismus“ besteht in der<br />

Erkenntnis, wie wenig wir wissen, wie fehlerhaft selbst <strong>die</strong>ses wenige<br />

Wissen ist und daß der einzelne fast sein gesamtes Wissen anderen<br />

Menschen verdankt. Der kritische Rationalismus besteht also in der<br />

Einsicht, daß wir unser Wissen nicht allzu hoch einschätzen dürfen; daß<br />

wir nur lernen können, indem wir (vermutete) Lösungsversuche<br />

63 Die letzte Instanz ist immer <strong>die</strong> eigene Verantwortung und nicht Gott, <strong>die</strong><br />

Geschichte oder andere metaphysische Instanzen, vgl. v. CUBE 1977, S.<br />

96-97 und POPPER 1970, Bd. 2, S. 320 f.<br />

64 Vgl. POPPER zum Pseudorationalismus 1970, Bd. 2, S. 279.<br />

65 In vergleichbarer Weise glauben <strong>die</strong> meisten Marxisten und Neomarxisten,<br />

daß nur derjenige vernünftig ist, der <strong>die</strong> marxistische Lehre vertritt. Aber<br />

in Wirklichkeit glauben <strong>die</strong> Marxisten nicht an <strong>die</strong> Vernunft, „weil sie<br />

meinen, daß hinter allen Argumenten nur <strong>die</strong> selbstsüchtigen Interessen<br />

der Menschen verborgen sind" (POPPER 1976, S. 28).<br />

145


<strong>auf</strong>stellen und <strong>die</strong>se wiederum kritisieren und dadurch Fehler entdecken.<br />

Indem wir Fehler ausmerzen, lernen wir (vgl. POPPER 1970, Bd. 2, S.<br />

279; vgl. hierzu auch Kapitel 2.3.2.).<br />

Wenn man sich zu einem solchen Rationalismus entschlossen hat, dann<br />

ist <strong>die</strong> Steuerung von Lernenden durch Lob und Strafe nicht damit<br />

vereinbar. Denn <strong>die</strong> Entscheidung für den Rationalismus impliziert <strong>die</strong><br />

Anerkennung der Vernunft im anderen, also auch im Schüler oder<br />

Studenten. Dies bedeutet, daß man den Lernenden nicht als jemanden<br />

betrachtet, der ständig geführt und gelenkt werden muß, sondern daß der<br />

Lernende in der Lage ist, selbständig zu denken, zu entscheiden und zu<br />

handeln. Daher<br />

„wird ein Rationalist, auch wenn er glaubt, daß er den anderen<br />

intellektuell überlegen ist, alle Autoritätsansprüche ablehnen; er weiß, daß<br />

<strong>die</strong>se Überlegenheit nur insofern besteht, als er fähig ist, von der Kritik<br />

sowie auch von den Fehlern zu lernen, <strong>die</strong> er und andere begehen, und<br />

daß er nur dann lernen kann, in <strong>die</strong>sem Sinne, wenn er <strong>die</strong> anderen<br />

Menschen und ihre Argumente ernst nimmt. Der Rationalismus ist also<br />

mit der Idee verbunden, daß der andere ein Recht hat, gehört zu werden<br />

und seine Argumente zu verteidigen. Das bedeutet, daß er <strong>die</strong><br />

Anerkennung der Forderung nach Toleranz enthält, zumindest für alle<br />

jene, <strong>die</strong> nicht selbst intolerant sind.“ (POPPER 1970, Bd. 2, S. 293)<br />

Die Anwendung von Lob und Strafe ist also für den Rationalisten nur<br />

dann gerechtfertigt, wenn der Lernende trotz aller Versuche nicht bereit<br />

ist, sich selbst rational zu verhalten, d. h. wenn er nicht bereit ist zu<br />

argumentieren, sondern seine Vorstellungen gewaltsam durchzusetzen<br />

versucht (wie etwa bei Institutsbesetzungen usw.) 66 . Die Annahme des<br />

Rationalismus, <strong>die</strong> wechselseitige Steuerung durch Argumente, ist also<br />

verbunden mit der Freiheit der Kritik und des Denkens. Denn nur in<br />

einem solchen Klima kann es wirklich Argumente geben 67 .<br />

Welche Methode der Aufmerksamkeitssteuerung man verwendet, hängt<br />

also weitgehend zusammen mit der grundlegenden Entscheidung eines<br />

jeden Lehrenden zum Rationalismus oder zum Irrationalismus bzw.<br />

Pseudorationalismus.<br />

3.2.2. Motivierung durch Probleme<br />

66 Zum Paradoxen der Toleranz vgl. POPPER 1970, Bd. 1, S. 361, Anm. 4.<br />

67 Das wiederum erfordert, daß <strong>die</strong> Bildungsinstitutionen <strong>die</strong>se Freiheit garantieren.<br />

146


Wir alle sind motiviert, nach Information zu suchen oder nachzudenken,<br />

wenn uns irgend etwas unklar ist. Wir wenden unsere Aufmerksamkeit<br />

daher vor allem neuartigen Ereignissen oder Informationen zu, sowie<br />

Informationen, <strong>die</strong> im Widerspruch zu unseren bisherigen Erfahrungen<br />

stehen oder <strong>die</strong> nicht eindeutig interpretierbar sind, <strong>die</strong> uns seltsam<br />

anmuten oder problematisch erscheinen (vgl. Kap. 2.2.2). Da <strong>die</strong><br />

Einordnung derartiger Informationen immer Schwierigkeiten verursacht,<br />

spreche ich im folgenden einfach von Problemen anstatt von neuartiger,<br />

widersprüchlicher usw. Information.<br />

Das Problematische einer Information kann nur entdeckt werden durch<br />

ihre Inbeziehungsetzung zu Bekanntem. Erst durch <strong>die</strong>sen Bezug kann<br />

das Individuum einer Information eine bestimmte Bedeutung zumessen,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> Aufmerksamkeit <strong>auf</strong> sich zieht. Oft erregen Probleme nur sehr<br />

kurzzeitige Aufmerksamkeit. Will man ständige Aufmerksamkeit erreichen,<br />

dann sind ständige Veränderungen erforderlich; Veränderungen<br />

etwa durch Neuformulierung der Problemsituation; Veränderung durch<br />

zunehmende Komplexität des Lernmaterials, durch Einordnung ins<br />

immer weitere Zusammenhänge oder eine Veränderung der untersuchten<br />

Aspekte. Ein Beispiel dafür, wie <strong>die</strong> Aufmerksamkeit erhalten werden<br />

kann, ist ein spannender Kriminalfilm. Hier wird der Zuschauer ständig<br />

mit Ereignissen konfrontiert, aus denen er Erwartungen über den<br />

Fortgang der Handlung konstruiert. Diese Erwartungen treffen häufig<br />

nicht zu. Gerade dadurch ist der Film immer wieder überraschend und<br />

regt zur Konstruktion weiterer und modifizierter Erwartungen an. Die<br />

Verarbeitungskapazität <strong>die</strong>s Zuschauers ist so stets ausgelastet. Aber man<br />

kann <strong>die</strong> Lernsituation nicht mit dem Betrachten eines Films vergleichen.<br />

Dem Lernenden kann, im Gegensatz zum Zuschauer, nicht alles vorgegeben<br />

werden. Der Lernende muß versuchen, <strong>die</strong> ihm gestellten Schwierigkeiten<br />

selbst zu überwinden. Man muß versuchen, ständig das Interesse<br />

der Schüler am Problem <strong>auf</strong>rechtzuerhalten: „Langweilig zu sein, ist<br />

<strong>die</strong> ärgste Sünde des Unterrichts.“ (HERBART o. J., S. 60)<br />

Wenn man Langeweile vermeiden will, dann dürfen <strong>die</strong> Probleme, <strong>die</strong><br />

dem Lernenden gestellt werden, nicht allzu einfach sein. (Wenn sie zu<br />

schwierig sind, kann man Hilfen geben.) Jeder Lösungsversuch muß<br />

zunächst hingenommen und <strong>auf</strong> seine Brauchbarkeit analysiert werden.<br />

Die Kritik zeigt, warum er nicht brauchbar ist, und so kommt man der<br />

Lösung des Problems einen Schritt näher (vgl. hierzu auch 2.3.2. und<br />

3.1.1.). Diese Problemveränderung (oder -entwicklung) lenkt <strong>die</strong><br />

147


Aufmerksamkeit <strong>auf</strong> andere, bisher unbeachtete Aspekte, motiviert also<br />

einen neuen Lösungsversuch.<br />

Die problementwickelnde (bzw. genetische) Lehrstrategie verwirklicht<br />

gerade <strong>die</strong>se Art der Motivierung. Ich werde <strong>die</strong>s im folgenden näher<br />

ausführen und dann darstellen, wie man motivierende Problemstellungen<br />

konstruieren kann. Danach erörtere ich <strong>die</strong> Bedeutung von Kritik für <strong>die</strong><br />

Motivierung und diskutiere abschließend <strong>die</strong> <strong>Auswirkungen</strong> von plastischer<br />

und starrer Steuerung des Denkens <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Problemmotivation.<br />

Motivierung durch Problementwicklung: ein Beispiel<br />

Bei der problementwickelnden Lehrstrategie geht man stets von den<br />

Erwartungen, von den Erfahrungen und dem Wissen der Lernenden aus.<br />

Wenn <strong>die</strong>ses Wissen in primitiven Alltagstheorien besteht, dann können<br />

nur <strong>die</strong>se der Ausgangspunkt sein. Ohne Einsicht gelernte Begriffe,<br />

Regeln oder Theorien sind nur insofern Ausgangspunkt, als sie heftiger<br />

Kritik ausgesetzt werden, um zu verdeutlichen, wie unsicher und<br />

unverstanden <strong>die</strong>se angebliche Basis ist.<br />

Im folgenden referiere ich ein Unterrichtsbeispiel dafür, wie Lernende<br />

durch eine Entfaltung von Sach-Problemen motiviert werden können<br />

(vgl. WENINGER, J., und Mitarbeiter, IPN-Lehrgang: Stoffe und Stoffumbildungen,<br />

Stuttgart 1977, hier: 4. Unterrichtseinheit, ref. nach LIND<br />

1976, S. 123-128). Thema der Unterrichtseinheit ist „Die Veraschung von<br />

Metallen und <strong>die</strong> Verhüttung von Metallaschen als Stoffumbildungen, an<br />

denen Sauerstoff beteiligt ist“:<br />

Die Schüler beschäftigen sich zunächst mit Veraschungsvorgängen. Was<br />

passiert dabei mit dem Metall? Wie verläuft der Vorgang bei<br />

verschiedenen Metallen? Und ähnliche Probleme. - Dabei verfestigt sich<br />

bei den Schülern <strong>die</strong> Hypothese, daß beim Veraschungsvorgang das<br />

Metall unwiederbringlich verloren geht.<br />

Aber <strong>die</strong> Feststellung, daß beim Veraschen ein Stoff entsteht, der der<br />

Erde, aus der man das betreffende Material gewinnt, sehr stark ähnelt,<br />

erschüttert <strong>die</strong>se Hypothese wieder. Die Schüler sind nun motiviert,<br />

danach zu suchen, ob <strong>die</strong> Asche und <strong>die</strong> Erde des Metalls identisch sind<br />

oder nicht. Eine mögliche Lösung besteht darin, ein Metall aus seiner<br />

Asche wiederzugewinnen. Dies ist nun tatsächlich möglich. Dieses<br />

148


Ergebnis widerspricht aber der Hypothese, daß Metalle beim Veraschen<br />

unwiederbringlich vernichtet werden. Die Schüler werden so motiviert,<br />

nach einer neuen Theorie zu suchen. Es bieten sich wenigstens zwei<br />

Lösungshypothesen an: a) Das Metall könnte aus Asche und einer<br />

weiteren noch unbekannten Substanz bestehen. b) Die Asche könnte sich<br />

aus Metall und, aus einer weiteren, noch unbekannten Substanz zusammensetzen.<br />

Diese beiden Hypothesen sind nicht miteinander vereinbar.<br />

Also werden <strong>die</strong> Schüler wiederum angeregt, nach einer Lösung zu<br />

suchen. Nach ihren bisherigen Kenntnissen und Erfahrungen erscheint<br />

ihnen vermutlich <strong>die</strong> Hypothese a), daß Metalle beim Veraschen zerlegt<br />

werden, als wahrscheinlicher. Aber noch ist <strong>die</strong>s nicht sicher. Diese Unsicherheit<br />

bildet <strong>die</strong> Motivation, nach einer experimentellen Bestätigung<br />

zu suchen ...usw.<br />

Soweit <strong>die</strong>ses Beispiel. Auch im weiteren Fortgang <strong>die</strong>ses Beispiels wirft<br />

<strong>die</strong> Beschäftigung mit der Sache immer wieder neue Probleme bzw.<br />

Problemverschiebungen <strong>auf</strong>, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Aufmerksamkeit der Lernenden<br />

lenken.<br />

Wie konstruiert man motivierende Problemstellungen?<br />

Das genetische Prinzip besteht darin, <strong>die</strong> Ergebnisse der Wissenschaft,<br />

der Technik usw. wieder in Probleme <strong>auf</strong>zulösen oder „zurückzuverwandeln“,<br />

wie H. ROTH (1976, S. 117) es formuliert:<br />

„Das schulmäßige Lernen besteht in der Aufgabe, Erkanntes, Erforschtes,<br />

Geschaffenes wieder nacherkennen, nacherforschen, nachschaffen zu lassen,<br />

und zwar durch den methodischen Kunstgriff, Erkanntes wieder in Erkennen,<br />

Erfahrungen wieder in Erfahrnis, Erforschtes wieder in Forschung, Geschaffenes<br />

wieder in Schaffen <strong>auf</strong>zulösen, nicht wie der Forscher und Schöpfer<br />

selbst, sondern wie ein wahrhaft Verstehenwollender, Nachdenkender und<br />

Nachschaffender tut.“<br />

Hierzu muß der Lehrer mit dem Wachstum der zu vermittelnden<br />

Wissenschaft und den entsprechenden Problemen vertraut sein. Dies<br />

kann man nicht durch ein beliebiges Lehrbuch erreichen. Um eine<br />

Wissenschaft in ihrem Werden kennenzulernen und zu verstehen, muß<br />

man <strong>die</strong> Quellen <strong>auf</strong>suchen, <strong>die</strong> originalen Vertreter, deren Arbeiten<br />

entscheidende Wendepunkte in der Wissenschaft herbeigeführt haben<br />

(vgl. auch ROTH 1976, S. 120). Die Kenntnis der Geschichte der<br />

Wissenschaft oder der Ideen ist sehr bedeutsam. Denn wenn man<br />

149


<strong>die</strong>jenigen Ideen oder Probleme und Problemlösungen herausgreift, <strong>die</strong><br />

sich in der Geschichte als fruchtbar erwiesen haben, dann entdeckt man<br />

<strong>auf</strong> <strong>die</strong>se Weise auch Inhalte, <strong>die</strong> viele Beziehungen <strong>auf</strong>weisen und über<br />

<strong>die</strong> nachzudenken auch für <strong>die</strong> Schüler in jedem Falle lohnend sein kann.<br />

H. RUMPF (1971) zeigt, wie man im Geschichtsunterricht Erforschtes<br />

wieder in Forschung zurückverwandeln kann. Er zeigt es am Beispiel des<br />

Vertrages von Versailles. RUMPF gibt den Schülern hierzu kein fertiges<br />

System der Geschichtsschreibung an <strong>die</strong> Hand, sondern konfrontiert <strong>die</strong><br />

Schüler unmittelbar mit dem folgenden Materialstück (S. 177):<br />

REICHSMINISTER SCHEIDEMANN in der Nationalversammlung am 12. 5.<br />

1919 in der Aula der Berliner Universität:<br />

„Die deutsche Nationalversammlung ist heute zusammengetreten, um am<br />

Wendepunkte im Dasein unseres Volkes gemeinsam mit der Reichsregierung<br />

Stellung zu nehmen zu dem, was unsere Gegner Friedensbedingungen nennen...<br />

Heute, wo jeder <strong>die</strong> erdrosselnde Hand an der Gurgel fühlt, lassen Sie mich ganz<br />

ohne taktisches Erwägen reden: was unseren Beratungen zugrunde liegt, ist <strong>die</strong>s<br />

dicke Buch, in dem 100 Absätze beginnen: Deutschland verzichtet, verzichtet,<br />

verzichtet! Dieser schauerliche und mörderische Hexenhammer, mit dem einem<br />

großen Volke das Bekenntnis der eigenen Unwürdigkeit, <strong>die</strong> Zustimmung zur<br />

erbarmungslosen Zerstückelung abgepreßt werden soll, <strong>die</strong>s Buch darf nicht<br />

zum Gesetzbuch der Zukunft werden. Seit ich <strong>die</strong> Forderungen in ihrer<br />

Gesamtheit kenne, käme es wie eine Lästerung vor, das WILSON-Programm,<br />

<strong>die</strong>se Grundlagen des ersten Waffenstillstandsvertrages, mit ihnen auch nur<br />

vergleichen zu wollen! Aber eine Bemerkung kann ich nicht unterdrücken: <strong>die</strong><br />

Welt ist wieder einmal um eine Illusion ärmer geworden. Die Völker haben in<br />

<strong>die</strong>ser an Idealen armen Zeit wieder einmal den Glauben verloren . . .<br />

Ich frage Sie: Wer kann als ehrlicher Mann - ich will gar nicht sagen als<br />

Deutscher -, nur als ehrlicher, vertragstreuer Mann solche Bedingungen<br />

eingehen? Welche Hand müßte nicht verdorren, <strong>die</strong> sich und uns in solche<br />

Fesseln legt? . .. Dieser Vertrag ist nach der Auffassung der Reichsregierung<br />

unannehmbar . . .“<br />

RUMPF (1971, S. 178) weist dar<strong>auf</strong> hin, daß <strong>die</strong>ser Text auch vom<br />

Anfänger verstanden werden kann, auch wenn <strong>die</strong>ser noch nichts von der<br />

Geschichte der ersten zwei Jahrzehnte <strong>die</strong>ses Jahrhunderts weiß. Aber<br />

andererseits hat der Text auch vieles, was der Schüler nur zum Teil<br />

verstehen kann und daher noch besser verstehen möchte. Die Schüler<br />

verstehen in dem vorliegenden Text, daß Friedensbedingungen als<br />

„himmelschreiende Ungerechtigkeiten“ empfunden werden; daß <strong>die</strong><br />

gesamte Rede Enttäuschung, Erbitterung und Verzweiflung ausdrückt.<br />

Aber wer<br />

150


„ist <strong>die</strong> ,erdrosselnde Hand`? Offenbar <strong>die</strong> ,Gegner’, <strong>die</strong> den Krieg gewonnen<br />

haben. ,Abgepreßt` soll <strong>die</strong> Zustimmung werden - aber <strong>die</strong> Regierung hält <strong>die</strong><br />

Bedingungen ja für unannehmbar! Verzichten soll Deutschland <strong>auf</strong> vieles - <strong>auf</strong><br />

was? . . .“ (S. 178)<br />

Die Schüler werden motiviert, nach Informationen zu suchen oder zu<br />

fragen. Sie rekonstruieren - wie ein Historiker - <strong>die</strong> äußerst komplexe<br />

Situation, in der <strong>die</strong>se Rede entstehen konnte. Die Schüler müssen <strong>die</strong><br />

aussichtslose Lage Deutschlands kennenlernen, <strong>die</strong> Ängste und<br />

Interessen der Sieger, um <strong>die</strong> Beziehung Frankreichs und Deutschlands<br />

seit 1870/71 wissen.<br />

Ganz anders dagegen geht man nach der systemvermittelnden Lehrstrategie<br />

vor. Hier gibt es keine motivierende Problemstellung, sondern es<br />

werden in systematisch-chronologischer Weise <strong>die</strong> Ereignisse dargestellt,<br />

<strong>die</strong> zum Versailler Vertrag führten. Dieser ist dann durch <strong>die</strong> vorweg<br />

beschriebene Situation schon erklärt, bevor er überhaupt <strong>auf</strong>taucht. Die<br />

Schüler kennen dann schon <strong>die</strong> Interessen der Sieger und <strong>die</strong><br />

aussichtslose Lage Deutschlands, bevor der Versailler Vertrag behandelt<br />

wird. Dieser Vertrag hat dann nichts Überraschendes mehr für <strong>die</strong><br />

Lernenden. Da alles schon erklärt ist, sind <strong>die</strong> Schüler nur wenig<br />

motiviert, Fragen zu stellen und nach weiteren Informationen zu suchen.<br />

Sie werden - so RUMPF (1971) - „nicht herausgefordert, nach möglichen<br />

Ordnungen und Zusammenhängen zu suchen“ (S. 176).<br />

Eine Vielzahl weiterer Beispiele und Anregungen gibt WAGENSCHEIN<br />

in seinen Büchern. Ich greife hier nur ein Beispiel heraus. Thema:<br />

Erdgeschichte. Wenig motivierend für <strong>die</strong> Schüler ist es, wenn man gleich<br />

zu Beginn der Lehreinheit das System darstellt; wenn bereits einleitend<br />

mittels einiger Beispiele <strong>die</strong> endogenen und exogenen Kräfte eingeführt<br />

werden, <strong>die</strong> im Verl<strong>auf</strong> der Jahrmillionen <strong>die</strong> Oberfläche der Erde<br />

geformt haben und noch formen, und wenn anschließend <strong>die</strong> Schüler<br />

zeigen sollen, ob sie <strong>die</strong>se Begriffe und <strong>die</strong> dadurch bezeichneten<br />

Theorien anwenden können.<br />

Anders <strong>die</strong> genetische Lehrstrategie, <strong>die</strong> WAGENSCHEIN darstellt.<br />

WAGENSCHEIN zeigt den Schülern Dias, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Schüler dahin führen,<br />

sich selbst das Problem zu stellen (ähnlich wie bei RUMPF, der den<br />

Schülern einen, Text gab):<br />

„Ohne etwas zu sagen, und ohne Eile, zeigte ich Lichtbilder in großer Zahl, <strong>auf</strong><br />

denen zu sehen waren: Geröllhalden, Felsstürze, Lawinen, Gletscher, Moränen,<br />

Flußtäler, Wasserfälle, Brandungsküsten, Deltas und so fort; und zwar<br />

durcheinander.<br />

Die Schüler konnten dazu sagen, was ihnen einfiel, auch Fragen stellen; <strong>die</strong> ich<br />

aber nicht beantwortete.<br />

151


Nach einiger Zeit konvergierten <strong>die</strong>se Fragen <strong>auf</strong> eine, umfassende, alle Bilder<br />

betreffende, eine Frage, <strong>die</strong> nicht in <strong>die</strong> Vergangenheit, <strong>die</strong> in <strong>die</strong> Zukunft blickt,<br />

nämlich: ,Wie soll das enden? Alles geht zu Tal. Wird eine Zeit ohne Berge<br />

kommen?’“ (WAGENSCHEIN 1975, S. 61)<br />

Hier wird, von der Sache ausgehend, <strong>die</strong> Aufmerksamkeit der Schüler <strong>auf</strong><br />

eine Reihe von Einfällen, Fragen, Nachprüfungen und <strong>auf</strong> weiterführende<br />

Probleme gelenkt.<br />

Die Schüler erhalten weitere Informationen <strong>auf</strong> ihre Fragen:<br />

„In unserem Fall wird zunächst quantitatives Material verlangt und gesucht.<br />

Etwa: Der Niagarafall schreitet jährlich 1,5 m zurück, das Nildelta 4 m voran.<br />

Der Bodensee wird in 15 000 Jahren verlandet sein; es sei denn, wir verhindern<br />

es. Die U-förmigen Täler, <strong>die</strong> schwedischen Felsblöcke in Sachsen, <strong>die</strong><br />

Bändertone und anderes induzieren <strong>die</strong> kühne Hypothese einer vergangenen<br />

,Eiszeit’; im Anfang des 19. Jahrhunderts noch heftig umstritten. Dabei wird ein<br />

Schritt in <strong>die</strong> Vergangenheit möglich: Der Niagarafall nagt schon 30 000 Jahre<br />

seit dem Rückgang des Eises.<br />

Im ganzen verstärkt sich der Eindruck der fortschreitenden Einebnung und<br />

Versumpfung der Landschaft. Von selbst kommt <strong>die</strong> Gegenfrage: Gibt es keine<br />

Gegenkräfte? Woher sind <strong>die</strong> Berge gekommen? Sind sie etwa alle nur<br />

Erosionsinseln?“ (WAGENSCHEIN 1975, S. 63)<br />

Im weiteren Verl<strong>auf</strong> ergeben sich immer wieder neue Probleme, wie ja<br />

auch <strong>die</strong> Wissenschaft vor immer neuen Problemen steht, <strong>die</strong> zu neuen<br />

Theorien und Untersuchungen motivieren.<br />

Im folgenden gebe ich noch ein Beispiel für eine motivierende<br />

Problemstellung aus dem Deutschunterricht der Grundschule. Die<br />

Schüler erhalten zwei Texte. Der Lehrer bemerkt dazu nur: „Ich bin<br />

gespannt, ob euch etwas <strong>auf</strong>fällt.“<br />

„Eines Nachts wachte ich <strong>auf</strong>. Es war stockfinster. Was war denn das? Fremde<br />

Stimmen! Schwere Stiefel stampften <strong>auf</strong> der Treppe. Ich bekam Angst,<br />

schreckliche Angst! Da, jetzt ging <strong>die</strong> Tür <strong>auf</strong>. Ach, ich Angsthase! Es war ja nur<br />

mein Vater.“<br />

„Nachts kam mein Vater spät nach Hause. Ich wachte <strong>auf</strong> und konnte ihn<br />

hören. Ich hatte schreckliche Angst. Schwere Stiefel stampften <strong>auf</strong> der Treppe.<br />

Stockfinster war es. Da, jetzt ging <strong>die</strong> Tür <strong>auf</strong>. Oh, ich Angsthase! Es war doch<br />

nur mein Vater.“ (CZINCZOLL 1974, S. 83)<br />

In beiden Geschichten steht das gleiche. Aber <strong>die</strong> unterschiedliche<br />

Wirkung der Texte motiviert <strong>die</strong> Schüler vermutlich zu etwa folgenden<br />

Fragen: Wodurch kommt <strong>die</strong> Spannung im oberen Text zustande? Was<br />

macht den anderen Text so langweilig?<br />

152


Genau genommen werden in all <strong>die</strong>sen Beispielen keine Probleme<br />

gestellt, sondern nur Informationen gegeben. Die Schüler selbst stellen<br />

<strong>die</strong> Fragen. Problemfragen können aber auch vom Lehrer gestellt werden.<br />

Jedoch sollten alle Probleme immer so beschaffen sein, daß <strong>die</strong> Lernenden<br />

mit ihrem Wissen eine Antwort dar<strong>auf</strong> geben können, auch wenn<br />

<strong>die</strong>se zunächst unzulänglich oder falsch ist. Stellt man aber Aufgaben, zu<br />

deren auch ansatzweiser Lösung das Vorwissen der Lernenden nicht<br />

ausreicht, dann kann man zu ihrer Lösung nur noch Algorithmen lehren,<br />

<strong>die</strong> keine Einsicht erfordern. Um derartige Algorithmen interessant zu<br />

machen, kann man sie als Spiele bzw. Spielregeln verkleiden. So werden<br />

beispielsweise in der modernen Grundschul-“Mathematik“ Spiele<br />

erfunden, um den Kindern mathematische Gesetze beizubringen, <strong>die</strong> für<br />

sie noch keinen Sinn haben können, etwa das folgende „Spiel“:<br />

„Wir suchen Gesetze der Logik. Die Spieler werden in zwei Gruppen<br />

eingeteilt, <strong>die</strong> wir ,Term I’ und ,Term II’ nennen.“ - „a) Die Gruppe<br />

,Term I’ sucht <strong>die</strong> zu (G A V) A R und zu (G V V) V R gehörenden<br />

Mengen. Die Gruppe ,Term II’ sucht <strong>die</strong> zu G A (V A R) und zu G V (V<br />

V R) gehörenden Mengen.“ (G: grüne Plättchen; V: viereckige Plättchen;<br />

R: rauhe Plättchen) (DICK/ZIEGLER 1968, S. 22)<br />

KARASCHEWSKI (1970, S. 294) sieht in solchen Spielen nur ein<br />

Dressurmittel, um Grundschulkindern <strong>die</strong> „sogenannten assoziativen<br />

Gesetze der Mengenalgebra bezüglich der Operationen n und V“<br />

beizubringen. Die Schüler können den Sinn <strong>die</strong>ser Gesetze aber nicht<br />

begreifen, <strong>die</strong> hier als „Spiel“-Regeln dargestellt werden, <strong>die</strong> man nur<br />

hinnehmen kann. Probleme, <strong>die</strong> zur Aufstellung <strong>die</strong>ser Regeln zwingen<br />

würden, sind für Kinder <strong>die</strong>ses Alters nicht konstruierbar. Man kann<br />

<strong>die</strong>se Probleme eben erst als Probleme entdecken, wenn man über das<br />

Wissen verfügt, das sie ermöglicht. So aber sind sie <strong>auf</strong>oktroyiert und<br />

entstehen nicht aus dem Umgehen mit dem vorhandenen Wissen. Sie<br />

sind also in keiner Weise logisch und psycho-logisch motiviert. Auch in<br />

der Wissenschaftsgeschichte treten <strong>die</strong>se Probleme ja erst spät <strong>auf</strong> 68 .<br />

In ähnlich unmotivierter Weise wird zum Teil auch an den Hochschulen<br />

vorgegangen, wenn man Studenten Theorien als Ergebnisse vorsetzt wie<br />

z. B. Grammatiktheorien oder Philosophien (vgl. in 3.1.3. das dort<br />

berichtete Beispiel von POPPER), ohne daß sie wissen, wie man zu<br />

<strong>die</strong>sen Theorien oder Philosophien kommt. Die Folge ist, daß viele<br />

Studenten sich <strong>die</strong>se Gegenstände unkritisch aneignen und nur wenig<br />

motiviert sind. Sie brauchen dann um so mehr „Druck“ von außen.<br />

68 Vgl. hierzu auch <strong>die</strong> Kritik von KARASCHEWSKI an der modernen Rechendidaktik<br />

(KARASCHEWSKI 1969 b).<br />

153


Kritik als Motivierung<br />

Wir alle übernehmen häufig unkritisch Ergebnisse der Wissenschaft, der<br />

Politik usw. und geben sie als Wahrheiten aus. Will man aber Kritikfähigkeit<br />

erreichen, dann sollte der Lehrer <strong>die</strong>ses „Scheinwissen“ bei sich und<br />

seinen Schülern entschleiern. WAGENSCHEIN (1976) nennt es den<br />

„Frontalangriff <strong>auf</strong> das Scheinwissen“. Der Lehrer sollte den Schülern<br />

helfen, das Unverstandene als solches zu erkennen. Wenn etwa <strong>die</strong><br />

tägliche Achsendrehung der Erdkugel zur Sprache kommt, dann sollte<br />

der Lehrer <strong>die</strong> Scheinkenntnisse seiner Schüler nicht sofort durch einen<br />

Bericht wissenschaftlicher Ergebnisse bestätigen, sondern er sollte<br />

widersprechen: Ist es denn wirklich möglich? „Wo ist der Wind, der doch<br />

entstehen müßte? Wie sollte es möglich sein, den Ball noch zu fangen,<br />

den man hochwirft?“ (WAGENSCHEIN 1976, S. 176) Nach WAGEN-<br />

SCHEINS (1975, S. 75) Erfahrungen sind auch mehr „Studenten, als zu<br />

hoffen wäre“, gegen derartige Einwände wehrlos.<br />

Gerade <strong>die</strong> Fähigkeit zur Kritik ist es, <strong>die</strong> den Menschen befähigt, seine<br />

Hypothesen ständig umzuformulieren und sie der Wirklichkeit anzupassen.<br />

Die Problematisierung dessen, was man zu wissen glaubt, gehört<br />

zur problementwickelnden Lehrstrategie. Denn was man weiß, war <strong>auf</strong><br />

den ersten Stufen der Entwicklung der kognitiven Strukturen eine<br />

Problemlösung. Nun, wird <strong>die</strong>se Lösung <strong>auf</strong> den nächsten Stufen selbst<br />

Gegenstand des Nachdenkens, wird selbst zum Problem.<br />

Kritik in <strong>die</strong>sem Sinne bedeutet aber auch, daß das Wissen oder <strong>die</strong><br />

Vermutungen, <strong>die</strong> man kritisiert, ernst genommen werden. Wenn Kritik<br />

üben darin besteht, den Lernenden herabzusetzen oder ihn als dumm<br />

darzustellen, dann bestraft man ihn für seine Äußerungen. Er wird dann<br />

seine Gedanken für sich behalten oder - noch schlimmer -sich nichts<br />

mehr denken. Kritik wird nur dann zum weiteren Nachdenken<br />

motivieren, wenn sie sich als ein gemeinsames Bemühen um Verständnis<br />

darstellt.<br />

Die <strong>Auswirkungen</strong> plastischer und starrer Steuerung<br />

<strong>auf</strong> <strong>die</strong> Motivation<br />

Wenn man Lernende durch Problemstellungen zum Denken motiviert,<br />

kann man nicht erwarten, daß sie genau <strong>die</strong> Denkakte vollziehen werden,<br />

<strong>die</strong> vom Gesichtspunkt eines möglichst schnellen und reibungslosen<br />

Abl<strong>auf</strong>s des Lehrprozesses erwünscht sein könnten. Man muß dann also<br />

<strong>die</strong> verschiedenen Vermutungen der Schüler vorläufig gelten lassen, auch<br />

wenn sie falsch sind (siehe oben). Eine starre Steuerung nach einem<br />

154


vorgegebenen Konzept erstickt den Denkprozeß des Schülers und führt<br />

dazu, daß er unkritisch vorgegebene Lösungen übernimmt. WAGEN-<br />

SCHEIN (1976, S. 175) gibt Beispiele für eine starre und eine plastische<br />

Steuerung. Die Schüler haben <strong>die</strong> Frage gestellt: „Was sind Elektronen?“<br />

Lehrer 1 (starre Steuerung) antwortet:<br />

„Ihr wißt schon: in dem Draht fließt ein elektrischer Strom. Das ist ein<br />

unsichtbarer Strom von einem sehr feinen Stoff, und <strong>die</strong>ser Stoff besteht<br />

aus lauter ganz kleinen Körnchen. Diese Körnchen heißen Elektronen.<br />

Die Fragen, <strong>die</strong> er nicht <strong>auf</strong>kommen läßt, sind solche: Kann man sie<br />

sehen? Haben Sie sie gesehen? Sind Sie sicher, daß es wahr ist? Warum<br />

glauben Sie es? - Im Notfall antwortet er: Das hat <strong>die</strong> ,Wissenschaft’<br />

gezeigt. Oder: Das haben <strong>die</strong> Gelehrten in jahrzehntelangem Nachdenken<br />

erforscht. Oder gar: ausgerechnet.“<br />

Lehrer 2 (plastische Steuerung):<br />

„ja nun - ob es <strong>die</strong> gibt? Gesehen habe ich sie nicht. Auch sonst niemand.<br />

Man kann sie nicht sehen. - Aber warum glauben Sie dran? - Mehr als<br />

das! Ich bin davon überzeugt, daß es sie gibt. - Aber wie, wenn Sie sie<br />

nicht sehen können? - Indirekt. Um <strong>die</strong> Ecke herum. Wie man im<br />

Kriminalroman den Täter auch nicht hat, aber doch allerlei weiß von ihm<br />

aus dem, was er angestellt hat. - Was ist denn das, was <strong>die</strong> Elektronen<br />

anstellen? - ja, davon kann man schon eher reden. Denn das sieht man.<br />

-Zeigen Sie uns das? - ja gern. Das ist freilich eine ganze Vorstellung in<br />

vielen Akten. Da müßte ich euch zuerst den ‚elektrischen Strom’ zeigen. -<br />

Den kann man also sehen? - Ach nein. Den selber auch nicht. - Wie, den<br />

auch nicht? Nein, das ist auch nur so ein Wort wie ,Elektron’. Auch<br />

,Strom’ ist so ein gesuchter Täter, von dem man nur seine Taten weiß. -<br />

Dann zeigen Sie uns <strong>die</strong> Taten des Stromes? . . .<br />

Der erste Lehrer schneidet <strong>die</strong> Fragen der Schüler ab und damit auch <strong>die</strong><br />

Motivation, mehr darüber zu erfahren. Die Lernenden können nur dann<br />

motiviert sein, wenn man auch ihre „unvollkommenen“ Hypothesen<br />

ernst nimmt. Dies erfordert allerdings einen selbstkritischen Lehrer, der<br />

sich bewußt ist, daß wir nichts vollkommen wissen 69 . Zudem sind ver-<br />

69 Der italienische Mathematiker G. CASTELNUOVO meinte hierzu: „Was der<br />

Lehrer und der Schüler kann, so wurde mir gesagt, mag zwar begrenzt sein, muß<br />

aber einwandfrei beherrscht werden. Nun, ich bin ein friedlicher und toleranter<br />

Mensch; aber so oft mir <strong>die</strong>ser Satz vorgehalten wurde, erfaßte mich blitzartig ein<br />

boshafter Gedanke. Ach, könnte ich nur meinen Gesprächspartner beim Wort<br />

nehmen und durch einen Zauber für einen Augenblick all seine flüchtigen<br />

Kenntnisse auslöschen, damit in seinem Kopf nur das bleibt, was er einwandfrei<br />

kann. Sie können sich nicht vorstellen, was für ein erbärmlicher Anblick sich<br />

Ihnen bieten würde. Angenommen, daß nach einer so grausamen Verstümmelung<br />

in seinem Geist noch irgendein Schimmer übrigbleiben würde, was ich stark<br />

155


mutlich viele der von Schülern geäußerten Ansichten auch in der<br />

Geschichte der Wissenschaft ernsthaft diskutiert worden. „Der Weg der<br />

Wissenschaft ist gepflastert mit abgelegten Theorien“, schreibt POPPER<br />

(1970, Bd. 2, S. 23), „so zum Beispiel verhöhnte Francis BACON alle <strong>die</strong>,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> selbstevidente Wahrheit leugneten, daß sich <strong>die</strong> Sonne und <strong>die</strong><br />

Sterne um <strong>die</strong> klarerweise ruhende Erde bewegten“.<br />

3.2.3. Motivierung durch Beziehungshaltigkeit<br />

Informations- oder Lehrmaterial und jeder Unterricht werden unglaubwürdig,<br />

wenn sie keine Zusammenhänge <strong>auf</strong>zeigen, sondern aus vielen<br />

isolierten Teilen bestehen. In einem derartig beziehungslosen Unterricht<br />

kann man jedes Element auch weglassen, während in einem beziehungshaltigen<br />

und zudem durchschaubaren Aufbau jeder Teil den anderen<br />

stützt und dadurch sinnvoll wird. Je mehr Zusammenhänge man sieht, je<br />

mehr (bekannte) Einzelheiten dadurch in ein neues Licht gerückt und <strong>auf</strong><br />

eine neue, umfassendere Weise verstanden werden können, um so interessanter<br />

oder motivierender ist eine Information. Es lohnt sich, ein solches<br />

beziehungsvolles Wissen zu erweitern. Die Beziehungshaltigkeit des<br />

Lehrmaterials motiviert den Lernenden dazu, das Netz seiner kognitiven<br />

Strukturen enger zu knüpfen und so ein umfassenderes und angemesseneres<br />

(besser im Gleichgewicht stehendes) Bild der Welt zu gewinnen 70 .<br />

Derart differenzierte kognitive Strukturen sind auch <strong>die</strong> Voraussetzung<br />

für Transfer bzw. Kreativität. Denn nur wer <strong>die</strong> Verästelungen eines<br />

Problems in verschiedene Bereiche hinein verfolgt hat, wer versucht hat,<br />

eine einmal gefundene Problemlösung in anderen, auch entfernten<br />

Gebieten anzuwenden und sie so zu überprüfen, nur der verfügt auch<br />

über <strong>die</strong> nötigen Kenntnisse und Sichtmöglichkeiten, um überall <strong>auf</strong><br />

Schwierigkeiten zu stoßen und sein vielfältiges Wissen so umzustrukturieren,<br />

daß es zu neuen Lösungen führt (vgl. hierzu auch 2.3.4.). Aber<br />

70<br />

bezweifle, so gliche <strong>die</strong>ser einem in tiefer und grenzenloser Dunkelheit verlorenen<br />

Spiel von Irrlichtern. In Wirklichkeit wissen wir nichts vollständig . . . (zit. nach<br />

E. CASTELNUOVO 1965, S. 157)<br />

Man kann Beziehungshaltigkeit im obigen Sinne auch mit Ordnung oder<br />

Redundanz im Sinne von v. Cube gleichsetzen: „Der Mensch (und wohl auch<br />

jeder andere wahrnehmungs- und lernfähige Organismus) ist bestrebt, <strong>die</strong><br />

objektive Information der Außenwelt <strong>auf</strong> verschiedene Weise subjektiv zu<br />

verringern. Die Redundanzprozesse haben dabei den Sinn, dem Menschen (bzw.<br />

dem Organismus) <strong>die</strong> Außenwelt so informationsarm zu machen, daß eine<br />

Orientierung und ein geordnetes Verhalten darin möglich wird. Die subjektive<br />

Redundanzerzeugung kann dabei über <strong>die</strong> objektiv gegebenen Ordnungszustände<br />

hinausgehen und zusätzliche subjektive Ordnung schaffen (Naturgesetze, soziale<br />

Verhaltensnormen etc.)." (v. CUBE 1968, S. 112)<br />

156


Beziehungshaltigkeit kann nur dann motivierend sein und Kreativität und<br />

Transfer fördern, wenn <strong>die</strong>se Beziehungen sich für den Lernenden aus<br />

der Sache ergeben, wenn er sie einsieht. Es muß daher eine Beziehungshaltigkeit<br />

sein, <strong>die</strong> gleichzeitig <strong>auf</strong> das Vorwissen des Schülers und <strong>die</strong><br />

Sache abgestimmt ist (vgl. hierzu 3.1.1. und 3.1.2. zur genetischen<br />

Lehrstrategie).<br />

Wird dem Lernenden ein zwar beziehungshaltiges, aber abstraktes, nicht<br />

an Vorerfahrungen des Lernenden anknüpfendes System von Ergebnissen<br />

gegeben, dann ist es unwahrscheinlich, daß der Lernende <strong>die</strong>se<br />

Beziehungen erkennt. Er lernt dann eine beziehungslose Aneinanderreihung<br />

von Elementen auswendig.<br />

Im folgenden werde ich zunächst das Verhältnis der Beziehungshaltigkeit<br />

und Isolation von Elementen diskutieren und dann <strong>die</strong> motivationalen<br />

Folgen von widersprüchlicher und widerspruchsfreier Beziehungshaltigkeit<br />

untersuchen. Zuletzt stelle ich einige Möglichkeiten dar, wie man<br />

Beziehungshaltigkeit realisieren kann.<br />

Beziehungshaltigkeit und Isolation<br />

Die Isolierung von Elementen verengt das Blickfeld des Lernenden. Da<br />

unsere Aufmerksamkeit aber notwendig immer begrenzt ist (vgl. 2.1.2.)<br />

und wir nicht alles <strong>auf</strong> einmal erfassen können, sollte man auch ein<br />

Vorgehen, bei dem einzelne Elemente isoliert werden, um sie zu<br />

untersuchen, nicht unkritisch verurteilen. Denn nur <strong>die</strong> Isolierung eines<br />

Elementes ermöglicht es, <strong>die</strong> verschiedenen Einflußfaktoren, <strong>die</strong> <strong>auf</strong><br />

<strong>die</strong>ses Element wirken, zu erkennen und zu stu<strong>die</strong>ren. Genau <strong>die</strong>s wird<br />

auch im Experiment getan, wenn beispielsweise Fallversuche im Vakuum<br />

durchgeführt werden, um den Luftwiderstand auszuschalten, den man ja<br />

später wieder miteinbeziehen kann. Die Wissenschaft - oder besser: der<br />

Wissenschaftler - ist gerade daran interessiert, <strong>die</strong> Wirklichkeit möglichst<br />

umfassend, mit allen ihren Beziehungen und widerspruchsfrei zu<br />

erklären. Man versucht, Theorien mit einem möglichst hohen Grad von<br />

Universalität zu formulieren und dadurch der Wahrheit näher zu<br />

kommen. Die Motivation, neue Theorien zu konstruieren, liegt also darin,<br />

Beziehungen, <strong>die</strong> noch unbeachtet geblieben sind, <strong>auf</strong> eine möglichst<br />

einfache Weise zu berücksichtigen 71 .<br />

Auch <strong>die</strong> Kunst und Literatur versuchen, viele scheinbar unzusammenhängende<br />

Einzelereignisse in Beziehung zueinander zu setzen und so<br />

71 Vgl. auch POPPER 1973, S. 213 ff.: Die Zielsetzung der Erfahrungswissenschaft.<br />

157


<strong>die</strong>sen Ereignissen einen Sinn zu geben. Beispielsweise zeigte TOLSTOI<br />

in „Krieg und Frieden“, welche große Bedeutung den unzähligen<br />

einzelnen Entscheidungen und Handlungen der vielen einfachen<br />

Menschen zukommt, <strong>die</strong> nirgendwo erwähnt werden. TOLSTOI setzt<br />

alle <strong>die</strong>se Entscheidungen und Handlungen in Beziehung zueinander, so<br />

daß sie den Gang der „großen“ Ereignisse erklären. Auf <strong>die</strong>se Weise zeigt<br />

TOLSTOI, daß <strong>die</strong> Entscheidungen „bedeutender“ Männer keineswegs<br />

so einflußreich waren, wie viele annahmen 72 . Das Interessante,<br />

Motivierende beim Lesen solcher Bücher ist vermutlich <strong>die</strong>se Ordnung,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> Fülle der Ereignisse verbindet und, ihnen einen Sinn gibt.<br />

Widersprüchliche bzw. dialektische und widerspruchsfreie<br />

Beziehungshaltigkeit<br />

Besondere Aufmerksamkeit erregen häufig auch Theorien wie <strong>die</strong><br />

Psychoanalyse, <strong>die</strong> Wissenssoziologie Mannheims oder der sog.<br />

wissenschaftliche Sozialismus, <strong>die</strong> vorgeben, umfassende und wahre<br />

Erklärungen zu liefern. Tatsächlich gibt es auch heute immer wieder<br />

modische Wissenschaftsrichtungen, <strong>die</strong> unkritisch behaupten, sie würden<br />

von der gesamten Wirklichkeit, von der Totalität ausgehen und <strong>die</strong>se<br />

erklären 73 . Ihre umfassenden, alle Beziehungen eines Gegenstandsbereiches<br />

berücksichtigenden Erklärungen gelingen aber nur durch <strong>die</strong><br />

Anwendung der dialektischen Methode, <strong>die</strong> Widersprüche zuläßt. Auf<br />

<strong>die</strong>se Weise wird es unmöglich, derartige theoretische Systeme jemals zu<br />

widerlegen. So kann der Psychoanalytiker <strong>auf</strong> Kritik immer antworten,<br />

daß <strong>die</strong>se nur <strong>die</strong> verdrängten Probleme des Kritikers <strong>auf</strong>zeige; <strong>die</strong><br />

Marxisten erklären <strong>auf</strong> ähnliche Weise <strong>die</strong> Argumente ihrer Gegner durch<br />

deren Klassenvorurteil, und, <strong>die</strong> Wissenssoziologen behaupten von ihren<br />

Kritikern, daß <strong>die</strong>se von der Totalideologie befangen seien, <strong>die</strong> nur von<br />

den Wissenssoziologen selbst durchschaut werde (vgl. POPPER 1970,<br />

Bd. 2, S. 264-265).<br />

72 HAYAKAWA (1969, S. 164) bezeichnet daher einen Dichter als „groß", „der<br />

weite Gebiete menschlichen Erlebens erfolgreich integriert und zusammenhängend<br />

dargestellt hat. Literarische Größe erfordert daher ein großes extensionales<br />

Bewußtsein von der Weite menschlichen Erlebens sowie eine große Kraft, <strong>die</strong><br />

Erlebnisse sinnvoll zu ordnen.“<br />

73 Eine methodologische Kritik <strong>die</strong>ser holistischen Doktrinen gibt POPPER 1970, Bd.<br />

2, S. 260 ff.<br />

Mit dem Anspruch, <strong>die</strong> Totalität zu erkennen, ist meist auch der Versuch<br />

verbunden, <strong>die</strong> angeblich immanenten Ziele der Totalität (oder der Geschichte) zu<br />

erkennen wie z. B. das Ziel der Einanzipation oder der herrschaftsfreien Kommunikation<br />

usw. F. v. CUBE bezeichnet entsprechende pädagogische Richtungen<br />

daher auch als „Politische Systeme im Gewand von Erziehungswissenschaft" (vgl.<br />

v. CUBE 1977, S. 134 ff).<br />

158


Durch <strong>die</strong> Zulassung von Widersprüchen ist aber auch <strong>die</strong> Motivation,<br />

bei entdeckten Widersprüchen <strong>die</strong> eigenen Theorien oder das eigene<br />

Weltbild zu verändern und den tatsächlichen Gegebenheiten anzupassen,<br />

ausgeschaltet. Diese unkritische Haltung kann in Dogmatismus und<br />

Fanatismus enden. Denn wenn man „Widersprüche nicht zu vermeiden<br />

braucht, dann wird jede Kritik unmöglich“, und damit wird auch <strong>die</strong><br />

Grundlage der rationalen Diskussion zerstört (POPPER 1970, Bd. 2, S.<br />

264).<br />

Die zwar zugelassenen Widersprüche werden aber dennoch als<br />

unibefriedigend empfunden (vermutlich ist <strong>die</strong>s eine angeborene Reaktion).<br />

Da es einem unkritischen Menschen aber schwerfallen wird, das<br />

einmal erworbene, einfache und bequeme System wieder <strong>auf</strong>zugeben,<br />

wird er durch <strong>die</strong>se Widersprüche zu blindem (unkritischem) Aktionismus<br />

motiviert, um so durch <strong>die</strong> Veränderung der Realität an Stelle seiner<br />

Hypothesen sein Denksystem <strong>auf</strong>rechtzuerhalten. Daher hemmt dialektische<br />

Beziehungshaltigkeit auch jeden Transfer bzw. jede Kreativität.<br />

Das unwiderlegbare System wirkt wie eine Barriere, <strong>die</strong> keine Suche nach<br />

neuen Lösungen zuläßt, sondern ständig <strong>die</strong> alten eingefahrenen Vorstellungen<br />

wiederholt (vgl. auch 2.3.4., S. 90).<br />

Wie kann man Beziehungshaltigkeit realisieren?<br />

Eine Möglichkeit der Realisierung von Beziehungshaltigkeit ist <strong>die</strong><br />

Anwendung von Regeln, Gesetzen oder Modellen in verschiedenen<br />

Wirklichkeitsbereichen und <strong>die</strong> Verwendung von Analogien sowie<br />

Isomorphien (wobei Analogien <strong>die</strong> Vorstufe von Isomorphien<br />

darstellen). Beispielsweise zeigt KARASCHEWSKI (1969 a), wie man<br />

durch variierende Anwendungen im Rechenunterricht der Grundschule<br />

Beziehungshaltigkeit erzielen kann (KARASCHEWSKI verwendet<br />

allerdings nicht den Begriff Beziehungshaltigkeit, sondern spricht von<br />

„Realvariation“). Den Kindern wird das Verstehen ermöglicht durch <strong>die</strong><br />

Variation von Gegenstandsbereichen bei gleichbleibender Struktur, eben<br />

der Struktur, <strong>die</strong> verstanden werden soll:<br />

„Wo ist sonst noch etwas doppelt?“ - „Wo finden wir sonst noch Lücken?“ - „Wo<br />

kann man sonst noch etwas abwechselnd tun?“ - „Wo hat sonst noch etwas <strong>die</strong><br />

Form von Feldern?“<br />

Bei Anwendung <strong>die</strong>ses Verfahrens im zweiten Schuljahr könnte man folgende<br />

Aufgabe stellen:<br />

„Frau L. betritt das Milchgeschäft und k<strong>auf</strong>t für 10 DM Butter, das Pfund zu 4<br />

DM; wieviel ganze Pfund erhält sie?“ Man variiert nun zunächst „<strong>die</strong> Zahlen,<br />

indem man Frau L. nicht für 10 DM, sondern auch für 11, 12, 13 DM eink<strong>auf</strong>en<br />

159


läßt. - Nach <strong>die</strong>ser Zahlvariation läßt man eine Frau M. in einem Süßwarengeschäft<br />

Pralinen für 10 DM, <strong>die</strong> Schachtel zu 3 DM,<br />

Frau N. in einer Gärtnerei Tulpen für 10 DM, das Stück zu 1,40 DM, eink<strong>auf</strong>en<br />

usw. Weitere Aufgaben, <strong>die</strong> zu <strong>die</strong>ser ,Familie` gehören, finden <strong>die</strong> Kinder<br />

selbst. Nicht durch Zahlvariationen, sondern <strong>auf</strong> Grund einer ,Realvariation`<br />

gewinnt man <strong>die</strong>se neuen Aufgaben: Nicht nur <strong>die</strong> Zahlen, sondern auch <strong>die</strong><br />

Wirklichkeitsbezüge ändern sich.“ (KARASCHEWSKI 1969, S. 140)<br />

Ein Beispiel zur Verwendung von Analogien im Mathematikunterricht<br />

der Sekundarstufe 1 gibt Emma CASTELNUOVO (1968, S. 58 bis 59).<br />

Sie läßt <strong>die</strong> Schüler nachprüfen, „was geschieht, wenn man <strong>die</strong> ungeraden<br />

und <strong>die</strong> geraden Zahlen durch Addition und Multiplikation miteinander<br />

verknüpft“.<br />

(1) (2)<br />

gerade + gerade = gerade<br />

gerade - gerade = gerade<br />

gerade + ungerade = ungerade<br />

gerade - ungerade = gerade<br />

ungerade + gerade = ungerade<br />

ungerade-gerade = gerade<br />

ungerade + ungerade = gerade<br />

ungerade-ungerade = ungerade<br />

Die Struktur der Summe von geraden und ungeraden Zahlen ist nun<br />

gleich der Struktur von bejahenden und verneinenden Sätzen:<br />

(1)<br />

ja und ja = ja<br />

ja und nein = nein<br />

nein und ja = nein<br />

nein und nein = ja<br />

Im weiteren zeigt E. CASTELNUOVO, daß auch das Schema der<br />

Tabelle (2) (das Produkt von geraden und ungeraden Zahlen) in<br />

verschiedenen Gebieten außerhalb der Mathematik anzutreffen ist;<br />

beispielsweise bei der Mischung von farbigem und klarem Wasser:<br />

(2)<br />

farbiges Wasser und farbiges Wasser = farbiges Wasser<br />

farbiges Wasser und Wasser = farbiges Wasser<br />

Wasser und farbiges Wasser = farbiges Wasser<br />

Wasser und Wasser = Wasser<br />

Die Analogien von Mathematik und Sprache, von Mathematik und<br />

Chemie können umgekehrt auch im Sprach- bzw. Chemieunterricht<br />

verwendet werden.<br />

Die Anwendung <strong>die</strong>ser Vorgehensweisen ist nicht <strong>auf</strong> das Schulwissen<br />

beschränkt, sondern ist ebenso in der Hochschule und der Erwachsenenbildung<br />

möglich. KARASCHEWSKI gibt folgendes Beispiel für den<br />

Bereich der Mathematik:<br />

160


„Wer beispielsweise <strong>die</strong> Laplace'sche Differentialgleichung ... integriert, hält<br />

damit zugleich Problemlösungen aus folgenden Sachbereichen in der Hand:<br />

wirbelfreie Strömungen, Kräfte im elektrostatischen Feld, stationäre Wärmeströmungen,<br />

Diffusion von in Wasser <strong>auf</strong>gelösten Salzen. Trotz der Verschiedenheit<br />

<strong>die</strong>ser Sachgebiete gibt es für alle ein und <strong>die</strong>selbe formale Analogie, <strong>die</strong><br />

in der Laplace'schen Differentialgleichung ihren Ausdruck findet.“ 74<br />

Auf ähnliche Weise zeigt von CUBE (1967; 1970), wie kybernetische<br />

Methoden und insbesondere das Regelkreismodell in den verschiedenen<br />

Wirklichkeitsbereichen angewandt werden können. Ebenso zeigen<br />

EIGEN und WINKLER (1976), wie das Spiel mit seinen Grundelementen<br />

Zufall und Gesetz nicht nur zur Erklärung der Evolution<br />

herangezogen werden kann, sondern daß es auch in anderen Bereichen<br />

(z. B. Kunst und Wissenschaft) seine Gültigkeit hat.<br />

Eine weitere Möglichkeit (aber ähnlich der vorhergehenden), <strong>die</strong> Schüler<br />

<strong>die</strong> Beziehungshaltigkeit der Welt erfahren zu lassen, besteht darin, ein<br />

einmal erkanntes Prinzip oder Gesetz bis an <strong>die</strong> Grenzen seiner<br />

Leistungsfähigkeit auszuschöpfen. So zeigt WITTENBERG am Beispiel<br />

der Flächenmessung bei Parallelogrammen und Dreiecken, wie man das<br />

Gesetz „gleiche Basis, gleiche Höhe - gleiche Fläche“ mit einigen<br />

einfachen Erweiterungen <strong>auf</strong> fast alle Figuren anwenden kann (siehe Abb.<br />

7, S. 162).<br />

Die obigen Beispiele entstammen hauptsächlich der Mathematik. Aber<br />

ebenso lassen sich Beispiele für Beziehungshaltigkeit in Philosophie,<br />

Literatur, Geschichte usw. finden und konstruieren. Überall lassen sich<br />

Parallelen zu und Verknüpfungen mit anderen Ereignissen finden; überall<br />

kann man <strong>die</strong> <strong>auf</strong> Grund von Problemen konstruierten und entdeckten<br />

abstrakten Prinzipien durch weitere Beispiele aus anderen Sachgebieten<br />

beleben, und in allen Sachgebieten eröffnen sich auch Wege zu<br />

philosophischen Vertiefungen (vgl. auch WITTENBERG 1963, S. 63; v.<br />

CUBE 1960, S. 13 f.).<br />

Das Motivierende <strong>die</strong>ser Beziehungshaltigkeit besteht für <strong>die</strong> Lernenden<br />

in der Entdeckung, daß ein einmal gefundenes Prinzip, Gesetz usw. eine<br />

Reihe von Phänomenen erklären oder besser verstehbar machen kann;<br />

daß jedes Problem vielfältige Verknüpfungen mit anderen Problemen<br />

und Verästelungen in verschiedene Bereiche <strong>auf</strong>weist, daß jedes Ereignis<br />

74 KARASCHEWSKI 1969 a, S. 140-141. Als weiteres Beispiel aus der Mathematik<br />

kann H. WEYLs Buch „Symmetrie" gelten.<br />

WEYL gibt darin ungewöhnlich vielfältige Beispiele von Anwendungen des Symmetrieprinzips<br />

in der Kunst, der anorganischen und organischen Natur (vgl.<br />

WEYL 1955).<br />

161


Abb. 7: Flächenlehre: „Gleiche Basis, gleiche Höhe - gleiche Fläche“<br />

(Aus: WITTENBERG 1963, S. 143)<br />

<strong>Auswirkungen</strong> <strong>auf</strong> viele andere Dinge haben kann, so daß man immer<br />

weitere Entdeckungen machen und dennoch niemals ein Problem<br />

vollständig verstehen kann.<br />

162


Die Voraussetzung für derartige Vertiefungen und für Beziehungshaltigkeit<br />

überhaupt ist das eingehende längere Verweilen bei einem<br />

Gegenstand oder Problem, das den Mittelpunkt oder Ausgangspunkt all<br />

<strong>die</strong>ser Beziehungen bilden kann. Denn es ist möglich, vom Einzelproblem<br />

ausgehend, zu den grundlegenden Fragen eines Fachgebietes<br />

vorzustoßen und über <strong>die</strong> Fachgrenzen hinaus zu erkenntnistheoretischen,<br />

religiösen und ethischen Problemen zu gelangen. Nur so erreicht<br />

man <strong>die</strong> „humanisierende Tiefe, in welcher wir als ganze Menschen<br />

wurzeln, und so berührt, erschüttert, verwandelt und also gebildet<br />

werden“ (WAGENSCHEIN 1970, Bd. 1, S. 229).<br />

3.2.4. Motivierung durch Verständlichkeit<br />

Wird den Lernenden der Lehrstoff dargeboten, dann können <strong>die</strong>se<br />

Darbietungen für <strong>die</strong> Schüler nur dann interessant oder motivierend sein,<br />

wenn sie verständlich sind, das heißt, wenn sie <strong>auf</strong> verständliche Weise<br />

den Schülern unbekannte Sachverhalte erläutern. Denn Darstellungen<br />

regen nur dann zum Nachdenken an, wenn <strong>die</strong> Lernenden das Dargestellte<br />

im Rahmen ihres Wissens interpretieren können. Dies gelingt<br />

ihnen um so leichter, je vertrauter ihnen <strong>die</strong> in der Darstellung verwendeten<br />

Begriffe und Beispiele sind (auch wenn sie unter neuen Aspekten<br />

betrachtet werden), je differenzierter also <strong>die</strong> kognitiven Strukturen sind,<br />

in <strong>die</strong> sie eine Information einordnen können. Diese Einordnung<br />

bedeutet, daß man sich eine umfassendere Vorstellung von den mit einer<br />

bestimmten Information verknüpften Ereignissen macht. Vorstellung<br />

beruht (im Rahmen der in Teil 2 dargestellten Theorie) dar<strong>auf</strong>, daß - <strong>auf</strong><br />

Grund einer wahrgenommenen Information oder eines Textes - durch<br />

<strong>die</strong> präattentiven Prozesse Bedeutungsstrukturen aus dem Langzeitgedächtnis<br />

geholt werden; über das Kurzzeitgedächtnis werden <strong>die</strong>se<br />

Bedeutungsstrukturen durch <strong>die</strong> Aufmerksamkeitsprozesse nochmals<br />

bewertet und <strong>die</strong> bedeutsamsten ausgewählt und vorübergehend im<br />

Arbeitsgedächtnis gehalten und weiterverarbeitet; <strong>die</strong>ser Verarbeitungsprozeß<br />

führt zur Bewußtwerdung oder Vorstellung der Bedeutungsstrukturen.<br />

Erst eine Vorstellung in <strong>die</strong>sem Sinne ermöglicht das<br />

Verstehen, ermöglicht und motiviert, Widersprüche zu entdecken, Kritik<br />

zu üben oder übereinstimmungen mit anderen Dingen zu erkennen. Nur<br />

wenn Informationen derartige Vorstellungen wecken, wenn der Lernende<br />

in der Lage ist, seine eigenen kognitiven Strukturen der wahrgenomme-<br />

163


nen Zeichenfolge anzupassen, und darüber hinaus Beziehungen zu<br />

weiteren Ereignissen und Vorgängen sieht oder konstruiert, kann er auch<br />

kreativ sein; nur dann kann er <strong>die</strong> Information in neuartiger Weise <strong>auf</strong><br />

anderes anwenden.<br />

Ein verständlicher, eingängiger Text kann also dem Lernenden das<br />

Denken nicht ersparen - im Gegenteil. Erst ein verständlicher Text<br />

ermöglicht es dem Lernenden und motiviert ihn, aktiv sein Wissen neu zu<br />

ordnen, zu korrigieren und zu erweitern. Denn der Lernende wird nur<br />

dann motiviert sein, selbständig zu denken, wenn er sinnvolles Material<br />

zum Denken hat, das heißt, wenn eine Information so dargestellt wird,<br />

daß er ihr eigene Überlegungen zuordnen kann, wenn er sinnvolle<br />

Gedankenexperimente damit anstellen kann. Es muß ihm grundsätzlich<br />

möglich sein, einen Text in eigene Gedanken, Vorstellungen zu<br />

übersetzen.<br />

Verständlichkeit ist außerdem eine Voraussetzung für den Fortschritt der<br />

Wissenschaft. Denn es ist nur dann möglich, nach Wahrheit zu suchen,<br />

wenn jeder <strong>die</strong> Ergebnisse seiner Arbeit möglichst klar und unmißverständlich,<br />

d. h. also gut verständlich darstellt, so daß andere <strong>die</strong>se<br />

Ergebnisse nachprüfen und weiterverwenden können 75 .<br />

Im folgenden werde ich zunächst einige einfache Möglichkeiten diskutieren, wie<br />

man Verständlichkeit erreichen kann. Da es plausibel erscheint, daß <strong>die</strong><br />

Verständlichkeit auch von der Genauigkeit der Begriffe abhängt, untersuche ich<br />

anschließend <strong>die</strong> Frage, ob man durch <strong>die</strong> Definition von Begriffen Verständlichkeit<br />

erreichen kann. Abschließend gehe ich <strong>auf</strong> den Zusammenhang von<br />

Verständlichkeit und Rationalismus bzw. Irrationalismus ein, denn Verständlichkeit<br />

kann sicher ein vernünftiges oder rationales Verhalten fördern.<br />

Einige Möglichkeiten, um Verständlichkeit zu erreichen<br />

Die intuitiv einleuchtende Vermutung, daß schwierige sprachliche<br />

Formulierungen <strong>die</strong> Verständlichkeit von Texten beeinträchtigen, konnte<br />

durch viele Untersuchungen bestätigt werden (vgl. CARROLL 1972;<br />

GROEBEN 1972; KLARE 1963). Als schwierige Formulierungen gelten<br />

Satzschachtelungen, Nominalisierungen, lange Sätze, häufiger Gebrauch<br />

von Passivformen und <strong>die</strong> Verwendung ungebräuchlicher Wörter. Man<br />

75 Vgl. POPPER 1973, S. 57. Für POPPER ist das Streben nach Verständlichkeit<br />

oder Einfachheit eine moralische Verpflichtung der Intellektuellen:<br />

„In meinen Augen ist das Streben nach Einfachheit und Durchsichtigkeit eine<br />

moralische Pflicht aller Intellektuellen: Mangel an Klarheit ist eine Sünde,<br />

Aufgeblasenheit ein Verbrechen. (Kürze ist in Anbetracht der Veröffentlichungslawine<br />

ebenfalls wichtig, aber nicht in so hohem Maße, und manchmal ist sie mit<br />

der Klarheit unvereinbar.)“<br />

164


könnte nun annehmen, daß kurze Sätze ohne Nominalisierungen und<br />

Passivformen und ohne <strong>die</strong> Verwendung ungebräuchlicher oder schwieriger<br />

Wörter zu hoher Verständlichkeit führen. Doch kann Verständlichkeit<br />

durch syntaktische Variablen allein nicht hinreichend erfaßt werden.<br />

Die Berücksichtigung der oben genannten Regeln kann zwar, muß<br />

aber nicht zu hoher Verständlichkeit führen (vgl. CARROLL 1972;<br />

FRASE 1977; GROEBEN 1972). Der folgende Text mag <strong>die</strong>s illustrieren:<br />

„Das Seiende, das in der Weise der Existenz ist, ist der Mensch. Der Mensch<br />

allein existiert. Der Fels ist, aber er existiert nicht. Der Baum ist, aber er existiert<br />

nicht. Das Pferd ist, aber es existiert nicht. Der Engel ist, aber er existiert nicht.<br />

Gott ist, aber er existiert nicht.“ 76<br />

Sprache ist nur ein Mittel, um Bedeutungen oder Gedanken wiederzugeben.<br />

Wenn ein Gedanke unklar ist, dann können einfache Sprachmittel<br />

<strong>die</strong>sen unklaren Gedanken nicht klarer machen. Unter einer einfachen<br />

Sprache versteht man eben nicht nur einfache Sprachmittel, sondern auch<br />

klare Gedanken und deren einsichtige Gliederung oder Anordnung 77 .<br />

Auch nach den Untersuchungen von LANGER, SCHULZ VON THUN<br />

und TAUSCH (1974, S. 13-17) sind <strong>die</strong> Dimensionen „Einfachheit“ und<br />

„Gliederung – Ordnung“ von entscheidender Bedeutung für Verständlichkeit.<br />

Insgesamt nennen sie folgende vier Dimensionen, wobei <strong>die</strong><br />

beiden letzteren von geringerer Bedeutung sind:<br />

1. Einfachheit: Diese Dimension bezieht sich <strong>auf</strong> folgende Aspekte:<br />

einfache Darstellung; kurze einfache Sätze; geläufige Wörter<br />

(Fremdwörter erklärt); konkrete und anschauliche Ausdrucksweise.<br />

Gegenteil: Kompliziertheit<br />

2. Gliederung - Ordnung: Diese Dimension bezieht sich <strong>auf</strong> den<br />

Text<strong>auf</strong>bau und setzt sich aus folgenden Aspekten zusammen: folge-<br />

76 M. HEIDEGGER 1955 (Aus der Einleitung zu „Was ist Metaphysik?") Gemeint ist<br />

vermutlich <strong>die</strong> triviale Tatsache, daß Menschen sich irgendwie von Dingen, Pflanzen,<br />

Tieren oder Geistern unterscheiden. - Die Ausführungen im Text beziehen sich nur <strong>auf</strong><br />

<strong>die</strong>ses Zitat, nicht <strong>auf</strong> das Gesamtwerk HEIDEGGERS.<br />

77 Häufig wird aber auch (zu unrecht) vermutet, daß <strong>die</strong> Unklarkeit in Wahrheit nur <strong>die</strong> Tiefe<br />

der Gedanken widerspiegele. Dazu sagte DIESTERWEG:<br />

„Nur zu häufig wird unter uns Unverständlichkeit mit Tiefe verwechselt. Die Mehrzahl der<br />

deutschen Studenten macht es so. (Das gibt etwas zu denken.) Was sie leicht fassen, achten<br />

sie nicht; aber was unmenschlich unverständlich ist, das steht bei ihnen hoch .<br />

Was nicht klar gemacht werden kann, ist in der Regel auch nicht wahr . . Die Gegner <strong>die</strong>ser<br />

Maxime sprechen emphatisch von Geheimnissen. Der Verständige vermutet - in der Regel<br />

mit vollem Recht - innere Widersprüche. Doch genug, <strong>die</strong> Mohren werden auch wir nicht<br />

weiß waschen. Aber wir halten fest an der Liebe zum Licht." (DIESTERWEG 1970 [zuerst<br />

1844] S. 43)<br />

165


ichtiger Aufbau; Unterscheidung von Wesentlichem und Unwesentlichem;<br />

durchgehender „roter Faden“.<br />

Gegenteil: Unübersichtlichkeit, Zusammenhanglosigkeit<br />

3. Kürze - Prägnanz: Diese Dimension bezieht sich <strong>auf</strong> den Sprach<strong>auf</strong>wand<br />

im Verhältnis zur Menge der gegebenen Information. Es wird<br />

zwischen knappen gedrängten Darstellungen und ausführlichen bis<br />

weitschweifigen Darstellungen unterschieden.<br />

4. Zusätzliche Stimulanz: Diese Dimension erfaßt alle Mittel, um beim<br />

Leser Interesse zu wecken: witzige Formulierungen; abwechslungsreiche<br />

Darstellung; lebensnahe Beispiele.<br />

Das Gegenteil besteht im Verzicht <strong>auf</strong> <strong>die</strong>se Darstellungsmittel.<br />

Die Verständlichkeit von Texten wird gefördert durch eine möglichst<br />

hohe Ausprägung der Dimensionen Einfachheit und Gliederung Ordnung.<br />

Die Dimension Kürze - Prägnanz ist eher in mittlerer Ausprägung<br />

verständlichkeitsfördernd. Die Dimension Zusätzliche Stimulanz ist<br />

vermutlich nur in Verbindung mit einem hohen Grad an Gliederung –<br />

Ordnung verständnisfördernd (LANGER/SCHULZ VON THUN/<br />

TAUSCH 1974, S. 24-25). Nach den Untersuchungen von LANGER,<br />

SCHULZ VON THUN und TAUSCH (S. 63-102) scheint <strong>die</strong> Berücksichtigung<br />

<strong>die</strong>ser vier globalen Kriterien auszureichen, um gut verständliche<br />

Texte zu schreiben.<br />

Zum Teil kann <strong>die</strong> Verständlichkeit einer Darlegung auch durch<br />

Anschauungsmittel unterstützt werden. Entscheidend ist auch hierbei<br />

wieder, daß das Bild oder das Schema möglichst stark vereinfacht und<br />

klar gegliedert ist. Selbstverständlich muß der Adressat auch <strong>die</strong><br />

Bedeutung der schematischen Zeichen kennen (vgl. hierzu DWYER 1972<br />

sowie DOERFERT und GRAFF 1977, S. 34 und 42). Veranschaulichungen<br />

können <strong>die</strong> Verständlichkeit vor allem dann erhöhen, wenn sie<br />

<strong>die</strong> gleichzeitige Vergegenwärtigung mehrerer Elemente und ihrer<br />

Beziehungen untereinander ermöglichen. Die schematische Darstellung<br />

eignet sich ja gerade dazu, komplexe Vorgänge mit wenigen, stark<br />

vereinfachten Zeichen darzustellen. Dadurch werden nur <strong>die</strong> für <strong>die</strong><br />

jeweilige Betrachtung wesentlichen Aspekte hervorgehoben und <strong>die</strong><br />

Aufmerksamkeit dar<strong>auf</strong> gelenkt. So läßt sich beispielsweise <strong>die</strong> Totalreflexion<br />

eines Lichtstrahls in einem rechtwinkligen Prisma folgendermaßen<br />

darstellen (vgl. WALCHER 1976, S. 176):<br />

166


Abb. 8: Veranschaulichung zur Totalreflexion<br />

Allerdings können einleuchtende Veranschaulichungen, ebenso wie<br />

verständliche Texte, dem Lernenden auch das unberechtigte Gefühl<br />

geben, alles verstanden zu haben. So kann er beispielsweise folgende<br />

anschauliche Darstellung des Satzes des Pythagoras unberechtigterweise<br />

für einen Beweis <strong>die</strong>ses Satzes halten.<br />

Abb. 9: Satz des Pythagoras<br />

167


Gerade bei einleuchtenden Veranschaulichungen und Texten ist es<br />

wichtig, immer wieder Zweifel <strong>auf</strong>kommen zu lassen und <strong>auf</strong> offene<br />

Probleme hinzuweisen, um das Nachdenken anzuregen (vgl. auch 3.2.2.).<br />

Kann man Verständlichkeit durch Definitionen von Begriffen<br />

erreichen?<br />

Die Annahme scheint weitverbreitet, daß wir uns nur dann klar und<br />

eindeutig verständigen können, wenn wir unsere Begriffe definieren (vgl.<br />

z. B. v. SAVIGNY 1971, S. 7). Die Verständlichkeit einer Darstellung<br />

hängt, nach <strong>die</strong>ser Auffassung, davon ab, daß jeder den Worten den<br />

gleichen Sinn verleiht, und <strong>die</strong>s könne man nur durch Definitionen<br />

erreichen. Bevor ich nun <strong>die</strong>se Annahme weiter diskutiere, werde ich im<br />

Anschluß an POPPER zwei grundverschiedene Interpretationen der<br />

Rolle von Definitionen wiedergeben. Es handelt sich um <strong>die</strong> essentialistische<br />

und <strong>die</strong> nominalistische Definition 78 .<br />

Nach der essentialistischen Interpretation (<strong>die</strong> <strong>auf</strong> ARISTOTELES<br />

zurückgeht) ist eine Definition eine Beschreibung der wesentlichen<br />

Eigenschaften eines Dinges. Die essentialistische Definition gibt eine<br />

Antwort <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Frage: „Was ist Erziehung, Bildung, Unterricht . . . ?“<br />

Auf alle <strong>die</strong>se Fragen kann man so viele Antworten geben, wie es<br />

Ansichten dazu gibt. Für jede Antwort ist man gezwungen, Begriffe zu<br />

verwenden, <strong>die</strong> ihrerseits definiert werden müßten usw. 79 Der Versuch,<br />

durch eine essentialistische Definition etwas über eine Wesenheit zu<br />

erfahren, durch das sie genau bestimmt wird, ist daher zum Scheitern<br />

verurteilt. Es gibt keine wahren Definitionen, obwohl man natürlich<br />

versuchen kann, eine bestimmte Definition dogmatisch <strong>auf</strong>rechtzuerhalten.<br />

Eine nominalistische Definition dagegen ist eine Antwort <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Frage:<br />

„Wie sollen wir ein Ding oder einen Vorgang nennen?“ Im Gegensatz<br />

zur essentialistischen Definition enthalten <strong>die</strong> nominalistischen oder<br />

wissenschaftlichen Definitionen kein Wissen. Sie haben lediglich <strong>die</strong> Auf-<br />

78 Ich halte mich dabei eng an <strong>die</strong> Ausführungen von POPPER 1970, Bd. 2, S. 17 ff.<br />

79 Gerade <strong>die</strong>ser Regreß ist m. E. ein Grund für das Hierarchiekonzept von GAGNEs<br />

Lernpsychologie (vgl. 3.3.2., S. 91). Denn wenn ein Kind den Begriff Onkel lernen<br />

soll, dann muß es nach GAGNEs Theorie schon Begriffe wie Eltern, Bruder,<br />

Schwester usw. kennen. Den unendlichen Regreß allerdings vermeidet GAGNE<br />

durch <strong>die</strong> Annahme, daß <strong>die</strong> grundlegenden Begriffe durch Hinweis <strong>auf</strong> konkrete<br />

Gegenstände gelernt werden. Denn wie alle Reiz-Reaktions-Theoretiker nimmt<br />

auch GAGNE an, daß das Lernen zunächst in einer Ansammlung von Wahrnehmungen<br />

bzw. von Reiz-Reaktions-Einheiten im Gedächtnis besteht.<br />

168


gabe, neue abkürzende Etiketten einzuführen. Sie geben einen komplexen<br />

Vorgang durch einen kurzen Namen wieder, wodurch sie in der Praxis<br />

von größtem Nutzen sind; denn es wäre sehr umständlich, wenn man<br />

immer wieder den gesamten Vorgang wiederholen müßte (vgl. POPPER<br />

1970, Bd. 2, S. 22).<br />

Da nun eine nominalistische Definition eine lange Darstellung durch eine<br />

kurze ersetzt (während <strong>die</strong> essentialistische Definition eine kurze durch<br />

eine lange Darstellung ersetzt), kann sie auch weggelassen werden, ohne<br />

daß dadurch irgendeine Information verloren geht. Prinzipiell kann man<br />

also in der Wissenschaft ohne Definitionen auskommen, das heißt, daß in<br />

der Wissenschaft „alle wirklich notwendigen Begriffe undefinierte<br />

Begriffe sein müssen“ (POPPER 1970, Bd. 2, S. 26 und 362). Dennoch<br />

scheint <strong>die</strong> Ansicht vorzuherrschen, daß man sich des Sinns der Begriffe<br />

versichern müsse. POPPER vermutet, daß <strong>die</strong>s daran liegt, daß <strong>die</strong><br />

„aristotelische Lehre und verwandte philosophische Richtungen uns so lange<br />

Zeit eingeredet [haben], wie wichtig es ist, den Sinn unserer Begriffe genau zu<br />

kennen, daß wir alle geneigt sind, daran zu glauben“. (POPPER 1970, Bd. 2, S.<br />

27) 80<br />

Die Ansicht ARISTOTELES', daß unser gesamtes Wissen sich aus<br />

Definitionen herleitet 81 , scheint ein weiterer Grund zu sein für <strong>die</strong> häufige<br />

Anwendung der systemvermittelnden Lehrstrategie, <strong>die</strong> von Begriffen<br />

ausgeht und <strong>die</strong>se Begriffe zu Regeln oder Gesetzen verknüpft, um <strong>die</strong>se<br />

dann <strong>auf</strong> verschiedene Aufgaben anzuwenden (vgl. 3.1.1.).<br />

Wie ich schon bei der Darstellung der genetischen Lehrstrategie erwähnte<br />

und in 3.1.2. an Beispielen verdeutlichte, kann man Begriffe <strong>auf</strong> Grund<br />

von Definitionen allein nicht hinreichend verstehen. Es ist zwar möglich,<br />

z. B. Erziehung, Unterricht, Kraft, Bewegung usw. in bestimmter Weise<br />

zu definieren, aber <strong>die</strong>se Definition muß dem Lernenden als willkürlich<br />

erscheinen. Aus seiner Sicht gibt es ja keinen Grund, einen Begriff so und<br />

nicht anders zu definieren. Das ist immer so, wenn man eine ursprünglich<br />

nominalistische Definition in der Weise einer essentialistischen Definition<br />

lernt, das heißt, wenn man lernt, einen kurzen Ausdruck durch eine lange<br />

80 POPPER fährt fort (S. 27): „Und bei <strong>die</strong>sem Glauben verharren wir trotz der<br />

unbestreitbaren Tatsache, daß <strong>die</strong> Philosophie, <strong>die</strong> sich für zwanzig Jahrhunderte<br />

um den Sinn ihrer Begriffe Sorgen gemacht hat, nicht nur voll ist von Gerede,<br />

sondern auch erschreckend vage und vieldeutig, während eine Wissenschaft wie<br />

<strong>die</strong> Physik, <strong>die</strong> sich kaum um Begriffe und ihren Sinn, sondern statt dessen um<br />

Tatsachen kümmert, große Präzision erreicht hat . . ."<br />

81 Zur Kritik der Aristotelischen Auffassung siehe POPPER 1970, Bd. 2, S. 5-36.<br />

169


Geschichte zu ersetzen. Dem Lernenden muß so verborgen bleiben, wie<br />

man von dem kurzen Ausdruck zu der Erklärung kommen kann. Er kann<br />

<strong>die</strong> Definition nur hinnehmen oder es bleiben lassen. Dieses Unverständnis<br />

wird ihn gerade nicht zum Denken motivieren (das bedeutet<br />

aber nicht, daß er nichts behält 82 ). Der Versuch, zuerst <strong>die</strong> Begriffe zu<br />

definieren, bedeutet, daß man in dogmatischer Weise lehrt, daß man zum<br />

einsichtsarmen Lernen von Algorithmen anleitet und das kritische<br />

Denken unterdrückt. Es handelt sich dabei um reinen Verbalismus an<br />

Stelle des Lösens sachlicher Probleme. Nur wenn der Lernende <strong>die</strong><br />

Probleme kennt, zu deren Lösung <strong>die</strong> Geschichte (<strong>die</strong> Definition)<br />

erfunden wird, <strong>die</strong> einen kurzen Ausdruck definiert, wird er <strong>die</strong>se<br />

Geschichte auch verstehen können. Man definiert also nicht „Kraft“,<br />

sondern man führt „Kraft“ als notwendige Erklärung ein, etwa im<br />

Rahmen von NEWTONS Problem. Natürlich verwendet man den<br />

Begriff „Kraft“ schon vorher in verschiedenen anderen Zusammenhängen.<br />

Aber im Rahmen von NEWTONS Erklärung erhält er eine neue<br />

und präzise Bedeutung.<br />

WAGENSCHEIN (1971, S. 499-500), der das Problem der<br />

Verständlichkeit im Physikunterricht untersucht hat, stellt ebenfalls fest,<br />

daß es <strong>die</strong> „Worthülsen“ sind, „<strong>die</strong> verdunkeln, was sie klären sollten und<br />

auch könnten“. Verständliche Darstellungen dagegen beginnen mit<br />

konkreten Einzelproblemen, mit der Naturwirklichkeit, mit Rätselhaftigkeiten,<br />

<strong>die</strong> das Nachdenken provozieren. Aber im Unterricht und im<br />

Lehrbuch werden <strong>die</strong>se einfachen (aber tiefen) Probleme, „<strong>die</strong> genialen<br />

Köpfe wie KEPLER, GALILEI, PASCAL, NEWTON <strong>die</strong> ernstesten<br />

Anstrengungen abverlangten“, oft zu Definitionen verkürzt. Sie bleiben<br />

dann meist unverstandene Worthülsen. Da hilft es auch nichts, wenn man<br />

sie durch Fettdruck hervorhebt. Verständlichkeit und Verstehen kann<br />

also nur erreicht werden, indem man von Problemen ausgeht und nach<br />

ihrer Lösung sucht. Dabei wird es oft notwendig sein, Begriffe (im Sinne<br />

82 DIESTERWEG bemerkt dazu:<br />

„Ein Naturkind ist so gescheit, nichts zu behalten, was es nicht versteht; aber<br />

unsere Schüler sind leider nicht mehr so gescheit. Sie behalten oft nur zu leicht<br />

und gern, was sie durchaus nicht zu fassen im Stande sind. Sie sollten sich<br />

dagegen sträuben, aber sie sind sehr zahm gemacht - zu unermeßlichem Nachteil<br />

für wahre Bildung. Denn durch <strong>die</strong>se traurige Gewohnheit geht <strong>die</strong> Wahrheitsliebe,<br />

der Durst nach Wahrheit, verloren. Das Lernen ist dann ein Bepacken und<br />

Belasten, nicht, wie es sein sollte, ein Befreien. ,Die Wahrheit wird euch frei<br />

machen.' Wir machen unsere Schüler dumm, bornieren sie; . . . Das kommt von<br />

dem Anlernen des Unverstandenen, von dem Aufnötigen des Unverständlichen.“<br />

(DIESTERWEG 1970 [zuerst 1844], S. 42-43)<br />

170


abkürzender Etiketten) einzuführen 83 . Das gilt insbesondere auch für <strong>die</strong><br />

Mathematik, wo Definitionen „ja Glieder in deduktiven Ketten [sind],<br />

und wie kann man das Glied schmieden [und verstehen], ehe man weiß,<br />

in welche Kette es. passen soll?“ (FREUDENTHAL 1974, Bd. 2, S. 388)<br />

Im Grunde bedeutet eine solche sinnvolle, einsichtige Abfolge der<br />

Gedanken einen rationalen Aufbau; denn es geht darum, daß Menschen<br />

ihre Gedanken gegenseitig nachvollziehen und sich verstehen können.<br />

Daher motiviert ein derartiger Aufbau auch zum rationalen Denken und<br />

wirkt als Immunisierung gegen den stets dogmatischen Irrationalismus.<br />

Wenn <strong>die</strong> Lernenden aber versuchen müssen, den Sinn neuer Fachausdrücke<br />

ausfindig zu machen, dann glauben vermutlich manche von ihnen,<br />

daß unser Wissen in Definitionen liegt. Und <strong>auf</strong> Grund der dadurch<br />

<strong>auf</strong>gebauten kognitiven Strukturen werden sie später motiviert sein,<br />

zuerst nach Definitionen zu suchen und daraus irgendein Wissen abzuleiten.<br />

Sie erhalten damit ein völlig falsches Bild der Wissenschaft. Daher<br />

werden sie auch eher der Autorität glauben, <strong>die</strong> ihnen Definitionen<br />

verspricht, als einem. kritischen Sucher nach Wahrheit (wie SOKRATES<br />

einer war).<br />

Der Versuch, den Sinn unserer Begriffe zu definieren, führt also, wie wir<br />

gesehen haben, keineswegs zu größerer Klarheit und Verständlichkeit,<br />

sondern ist eher eine Quelle von „Vagheit, Zweideutigkeit und Verwirrung“<br />

84 .<br />

83 Prinzipiell könnte man <strong>die</strong>se Etiketten weglassen, aber das würde bedeuten, daß<br />

man ständig lange Ausführungen wiederholen müßte, „wir würden Zeit und<br />

Papier verschwenden. Aber wir würden nie auch nur das geringste Stück an<br />

Information über Tatsachen verlieren. Unsere ,wissenschaftliche Kenntnis' in dem<br />

Sinn, in dem <strong>die</strong>ser Begriff zweckmäßig verwendet wird, bleibt völlig unberührt,<br />

wenn wir alle Definitionen eliminieren; <strong>die</strong> einzige Auswirkung betrifft <strong>die</strong><br />

Sprache, <strong>die</strong> zwar nicht an Präzision, sondern nur an Kürze verlieren würde. (Das<br />

soll nicht heißen, daß in der Wissenschaft kein dringendes praktisches Bedürfnis<br />

zur Einführung von Definitionen um der Kürze willen besteht.)" (POPPER 1970,<br />

Bd. 2, S. 21)<br />

84 POPPER 1970, Bd. 2, S. 27. Klarheit und Präzision erreicht man, wie POPPER<br />

ausführt, nicht durch präzise Begriffe, sondern durch klare, sorgfältige<br />

Formulierungen:<br />

„In der Wissenschaft sorgen wir dafür, daß <strong>die</strong> Behauptungen, <strong>die</strong> wir <strong>auf</strong>stellen,<br />

nie vom Sinn unserer Begriffe abhängen. Sogar dort, wo <strong>die</strong> Begriffe definiert<br />

werden, versuchen wir nie, aus der Definition irgendein Wissen herzuleiten oder<br />

ein Argument <strong>auf</strong> sie zu gründen. Das ist der Grund, warum uns unsere Begriffe<br />

so wenig Sorge bereiten .<br />

Wir bemühen uns, ihnen so wenig Gewicht wie nur möglich beizumessen. Wir nehmen<br />

ihren ,Sinn' nicht allzu ernst. Wir sind uns immer des Umstandes bewußt, daß sie ein wenig<br />

vage sind . . Auf <strong>die</strong>se Weise vermeiden wir einen Streit über bloße Worte … Selbst dort,<br />

wo ein Begriff Ungelegenheit macht - was zum Beispiel in der Physik <strong>auf</strong> den Begriff<br />

,Gleichzeitigkeit' zutrifft -, beruhte <strong>die</strong> Schwierigkeit nicht <strong>auf</strong> der mangelnden Präzision<br />

oder <strong>auf</strong> der Zweideutigkeit seines Sinnes, sondern vielmehr dar<strong>auf</strong>, daß uns ein intuitives<br />

171


Der Zusammenhang von Verständlichkeit und Rationalismus<br />

bzw. Irrationalismus<br />

Verständliches Sprechen und Schreiben ist eine Voraussetzung für<br />

vernünftige Argumentation. Aber nur wer den anderen ernst nimmt, wird<br />

seine Argumente auch verständlich formulieren. Die Entscheidung für<br />

Verständlichkeit ist daher eine höchst moralische. Sie wird häufig <strong>die</strong><br />

Folge einer Entscheidung für den Rationalismus und gegen den<br />

Irrationalismus sein. Denn <strong>die</strong> Annahme des Rationalismus, d. h. der<br />

Haltung „ich kann mich irren und du magst recht haben“, verlangt, daß<br />

man verständlich spricht oder schreibt (POPPER 1970, Bd. 2, S. 294).<br />

Der Rationalismus erfordert auch deshalb eine klare und verständliche<br />

Sprache, weil er kritisch ist. Kritik erfordert immer, daß man <strong>die</strong><br />

Argumente, <strong>die</strong> Theorien usw. versteht, <strong>die</strong> man kritisieren möchte. Denn<br />

um eine Theorie sinnvoll kritisieren zu können, muß man <strong>die</strong> konkreten<br />

und praktischen Folgen <strong>die</strong>ser Theorie kennen und verstehen.<br />

Der Irrationalismus dagegen ist unkritisch und dogmatisch, denn - so<br />

POPPER (1970, Bd. 2, S. 295) - „wo es kein Argument gibt, da bleibt<br />

nichts als <strong>die</strong> völlige Annahme oder vollständige Ablehnung“ („kapier<br />

oder laß es bleiben!“). Der Irrationalist wird daher verständliche<br />

Darstellungen vermeiden und - wie POPPER (1970, Bd. 2, S. 286) sagt -<br />

statt dessen versuchen, uns mit großen Worten zu beeindrucken, uns in<br />

einem Meer von großen Worten zu ertränken.<br />

3.3. Die Beeinflussung von Lernhandlungen durch Lehrverfahren<br />

Lernen bedeutet, Nichtwissen zu verringern. Seines eigenen Nichtwissens<br />

wird man bewußt, wenn man einem Problem gegenübersteht, das heißt,<br />

wenn man eine Frage oder Aufgabe nicht beantworten oder lösen kann.<br />

Vorurteil veranlaßte, ihn mit zu viel Sinn oder mit einem zu ,präzisen’ Sinn zu beladen -<br />

nicht mit zu wenig. Was Einstein bei seiner Kritik der Gleichzeitigkeit fand, war, daß <strong>die</strong><br />

Physiker bei der Erörterung gleichzeitiger Ereignisse eine stillschweigende Annahme trafen<br />

(<strong>die</strong> Annahme, daß es ein unendlich schnelles Signal gibt), <strong>die</strong> sich als unrichtig erwies. Ihr<br />

Fehler bestand nicht darin, daß sie nichts meinten oder daß der Sinn dessen, was sie<br />

meinten, zweideutig war oder daß der Begriff nicht genügend präzise war. Was Einstein<br />

fand, war vielmehr, daß <strong>die</strong> Ausschaltung einer theoretischen Annahme, <strong>die</strong> wegen ihrer<br />

Selbstevidenz unbemerkt geblieben war, <strong>die</strong> Beseitigung einer Schwierigkeit ermöglichte,<br />

<strong>die</strong> sich in der Wissenschaft erhoben hatte. Er befaßte sich also gar nicht mit der Frage des<br />

Sinnes eines Begriffs, sondern mit der Frage der Wahrheit einer Theorie. Es ist sehr<br />

unwahrscheinlich, daß <strong>die</strong> von einem bestimmten physikalischen Problem unabhängige<br />

Analyse des ,wesentlichen Sinnes' des Begriffes der Gleichzeitigkeit oder gar <strong>die</strong><br />

Untersuchung dessen, was <strong>die</strong> Physiker mit dem Begriff der Gleichzeitigkeit ,eigentlich<br />

meinen’, weit geführt hätte.“ (POPPER 1970, Bd. 2, S. 27-29)<br />

172


Lernen ist daher immer ein Lösen von Problemen (vgl. 2.3.2.). Der<br />

Lernende konstruiert mit Hilfe seines bestehenden Wissens Problemlösungen<br />

und untersucht <strong>die</strong>se dann, ob sie brauchbar sind und ihren<br />

Zweck erfüllen.<br />

Im Unterricht können <strong>die</strong>se Lernprozesse mehr oder weniger vom Lehrer<br />

oder Lehrmaterial gelenkt werden. Diese Lenkung ist am größten, wenn<br />

dem Schüler der Lehrstoff dargeboten wird und <strong>die</strong>ser ihn nur<br />

nachzuvollziehen braucht (3.3.1. Darbietende Lehrverfahren und' Lernen<br />

durch Nachvollzug). Die Eigensteuerung nimmt zu, wenn der Schüler <strong>die</strong><br />

Lösungen selbst erarbeiten muß. Auf <strong>die</strong>se Weise kann er sich auch im<br />

selbständigen Problemlösen üben (3.3.2. Erarbeitende Verfahren und<br />

Lernen durch Übung). Je selbständiger der Schüler nun lernt, um so mehr<br />

wird er Problemlösungen auch selbst entdecken und um so geringer wird<br />

der Anteil der Fremdsteuerung (3.3.3. Verfahren zur Förderung von<br />

Entdeckung und Erfindung).<br />

3.3.1. Darbietende Lehrverfahren und Nachvollzug<br />

Nachvollzug oder Nachahmung ist eine der allgemeinsten und grundlegendsten<br />

Formen des Lernens. Das gilt besonders im Bereich der psychomotorischen<br />

Fertigkeiten. Man lernt Singen, Turnen, Sprechen usw.<br />

weitgehend durch Vorsingen, Vorturnen, Vorsprechen und seine Nachahmung.<br />

Aber auch sonst wird überall Information dargeboten und von<br />

uns durch Nachvollzug entschlüsselt. Besondere Bedeutung haben hier<br />

<strong>die</strong> Me<strong>die</strong>n: Fernsehen, Rundfunk, Zeitungen und Bücher. Und sowohl<br />

in der Schule als auch in der Hochschule werden Lernprozesse bewußt<br />

durch Vorlesungen, Referate und andere darbietende Lehrverfahren<br />

gesteuert. Mit Hilfe <strong>die</strong>ser Verfahren kann man den Lernprozeß <strong>auf</strong><br />

relativ einfache und direkte Weise lenken; denn der Lernende versucht<br />

hier, innerlich und vielleicht auch äußerlich nachzuvollziehen, was ihm<br />

dargeboten wird, und muß sich nicht eigene Wege suchen. Die Darbietung<br />

ist somit ein brauchbares und notwendiges Verfahren, um <strong>die</strong><br />

menschlichen Erfahrungswege abzukürzen. „Man kann“, so GUYER<br />

(1967, S. 332), „vom lernenden Menschen überhaupt nicht verlangen, daß<br />

er . . . im Lernprozeß jeden einzelnen Schritt selbsttätig bewältigt, weder<br />

erkenntnismäßig noch im praktischen Tun.“<br />

Etwas nachzuvollziehen bedeutet im Rahmen der in Teil 2 dargestellten<br />

Theorie der Informationsverarbeitung, daß zu den von den Sinnesorganen<br />

wahrgenommenen Lichtwellen, Schallwellen usw. bedeutungshaltige<br />

Zeichen synthetisiert werden, <strong>die</strong> eine sinnvolle Interpretation der<br />

173


Sinneseindrücke gestatten. Man versucht sich m.a.W. zu vergegenwärtigen,<br />

was das Gehörte, Gesehene usw. meint, indem <strong>die</strong> gespeicherten<br />

kognitiven Strukturen immer wieder in neuer Weise so synthetisiert<br />

werden, daß sie mit der perzipierten Information möglichst gut übereinstimmen<br />

(vgl. 2.1.1. und 2.1.2.). Alle <strong>die</strong>se Synthesen sind versuchsweise<br />

Interpretationen der Sinnesinformation. (Insoweit ist Nachahmung also<br />

identisch mit Wahrnehmung, wie in 2.1.2. dargestellt.) Doch viele,<br />

vielleicht <strong>die</strong> meisten der Sinneseindrücke werden nur präattentiv<br />

synthetisiert und dann vergessen, weil sie entweder als bekannt oder als<br />

irrelevant eingestuft werden bzw. nicht sinnvoll interpretierbar sind.<br />

Eine gute Darbietung wirkt anregend dadurch, daß man in verständlicher<br />

Weise Probleme erörtert, <strong>die</strong> man neuartigen oder überraschenden<br />

Lösungen zuführt; oder <strong>die</strong> Darbietung ermöglicht neue Sichtweisen,<br />

Ergänzungen oder Erweiterungen von Bekanntem. Alles <strong>die</strong>s wird, wenn<br />

es <strong>die</strong> Verarbeitungskapazität erlaubt, durch <strong>die</strong> Aufmerksamkeitsprozesse<br />

erfaßt und weiterverarbeitet (vgl. hierzu 2.1.2., 2.2.2. und 2.2.3.).<br />

Jeder kennt ja <strong>die</strong>se Situation, wenn einem bei einem Vortrag plötzlich<br />

einleuchtende Gedanken durch den Kopf schießen (<strong>die</strong> von den<br />

präattentiven Prozessen konstruiert und von der Aufmerksamkeit erfaßt<br />

wurden), wenn einem ein „Licht <strong>auf</strong>geht“, weil der Nachvollzug eines<br />

Gedankens bisher Unzusammenhängendes erklärt. Nur <strong>die</strong>se<br />

Informationen, <strong>die</strong> im Widerspruch zu den Erwartungen stehen bzw. sie<br />

in unerwarteter oder neuartiger Weise bestätigen, werden von den<br />

Aufmerksamkeitsprozessen erfaßt und intensiv weiterverarbeitet. Sie<br />

gelangen daher auch in das Langzeitgedächtnis. Auf <strong>die</strong>se Weise lernt das<br />

Individuum. Denn wir lernen stets durch Auslese derjenigen Informationen,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> bestehenden Erwartungen oder kognitiven Strukturen widerlegen,<br />

mehr oder weniger erweitern oder in neuartiger Weise bestätigen<br />

(vgl. auch 2.3.1. und 2.3.2.).<br />

Ob eine Darbietung das Lernen erfolgreich steuern kann, hängt also<br />

davon ab, ob sie häufig genug <strong>die</strong> Aufmerksamkeit des Lernenden erregt.<br />

Eine Voraussetzung dafür ist eine verständliche Darbietung, da sonst <strong>die</strong><br />

Bedeutung und Bedeutsamkeit einer Information nicht erkannt werden<br />

kann. Weitere Voraussetzungen sind klare Problemstellungen, verständliche<br />

Argumente für und gegen bestimmte Lösungsvorschläge und <strong>die</strong><br />

Bestätigung oder Widerlegung von Argumenten oder Problemlösungen<br />

durch eine umfassende Beziehungshaltigkeit (vgl. Kap. 3.2.); denn das<br />

174


Lernen besteht in der Entdeckung neuer Beziehungen, neuer Probleme,<br />

neuer Argumente. Aus alledem folgt ein tieferes Verständnis des Lernenden<br />

für bestimmte Sachverhalte.<br />

Im folgenden werde ich <strong>die</strong> darbietenden Verfahren zuerst bei<br />

genetischer Lehrstrategie und dann bei systemvermittelnder Lehrstrategie<br />

darstellen und <strong>die</strong> zu erwartenden Folgen im Lernverhalten der<br />

Adressaten andeuten (denn diskutiert wurden <strong>die</strong>se Folgen schon im<br />

Kapitel 3.1.).<br />

Darbietende Verfahren bei genetischer Lehrstrategie<br />

Darbietende Verfahren sind: das Vorführen von Filmen, das Vortragen,<br />

Erzählen, Referieren, <strong>die</strong> Vorgabe eines Lehrtextes und das Vormachen<br />

bestimmter Fertigkeiten oder Techniken im Turnen, Werken usw. 85 .<br />

Bei Zugrundelegung der genetischen Lehrstrategie erhält <strong>die</strong> Darbietung<br />

<strong>die</strong> dadurch bestimmte Struktur. Ein Vortrag z. B. geht dann von einem<br />

bestimmten Problem und allgemein akzeptierten Lösungsvorschlägen<br />

dazu aus; nach und nach versucht man, <strong>die</strong>se Vorschläge als falsch zu<br />

erweisen und durch (möglichst) bessere zu ersetzen. Oder man geht von<br />

einem noch unklaren Problem aus und versucht, es allmählich immer<br />

genauer zu fassen, man entwickelt Lösungsvorschläge, <strong>die</strong> der Kritik<br />

immer besser standhalten. FREUDENTHAL beschreibt anschaulich, wie<br />

ein solcher Vortrag vorbereitet wird und welche <strong>Auswirkungen</strong> er <strong>auf</strong> <strong>die</strong><br />

Zuhörer hat. Er stellt sich zunächst vor, wie der Vortragende sich<br />

vorbereitet hat:<br />

„Da sagte er, in seinem Arbeitszimmer ,liebe Zuhörer’, und er sah vor<br />

sich, <strong>die</strong> er im Geiste <strong>auf</strong>gerufen hatte. Er redete sie an, und sie neigten<br />

ihr Ohr; er fixierte einen, und der antwortete, es kam ein Zuruf aus dem<br />

Saal der Einbildung, und er diskutierte mit dem Interpellanten, man<br />

stimmte ihm zu oder griff ihn an, und er wehrte sich. Das alles schrieb er<br />

<strong>auf</strong> oder memorisierte er, sogar Irrtümer, <strong>die</strong> er rechtzeitig korrigiert<br />

hatte, setzte er an <strong>die</strong> rechte Stelle, und auch den richtigen Augenblick für<br />

einen Witz hatte er angekreuzt. Schließlich hielt er <strong>die</strong> Rede ... Und dann<br />

gingen <strong>die</strong> Hörer nach Hause und sagten ,er hat mir aus dem Herzen<br />

gesprochen’, oder ,er hat mich Punkt für Punkt widerlegt, als ob er<br />

gewußt hätte, was ich sagen wollte’ oder ,nun weiß ich, warum ich<br />

anderer Meinung bin als er’.“ (FREUDENTHAL 1974, Bd. 1, S. 98)<br />

85 Zu den darbietenden Verfahren vgl. auch: AEBLI 1976, S. 19 ff. und S. 85 ff.;<br />

GUYER 1967, S. 320 ff. und S. 335 f.; STÖCKER 1970, S. 206 ff.<br />

175


Die Darbietung bei genetischer Lehrstrategie ist also eine Art Dialog, da<br />

sie <strong>die</strong> Gedanken in ihrer Entwicklung zeigt, sie sozusagen dramatisiert.<br />

Der Lehrstoff wird so dargestellt, als würde er erst erfunden oder<br />

entdeckt; der Schüler sieht <strong>die</strong> Problemstellungen und -lösungen in ihrer<br />

Genese 86 .<br />

Man kann sicher viele Beispiele für derartige Darbietungen, vom Niveau<br />

des Kindergartens bis zum Universitätsniveau finden. Ich möchte als<br />

Beispiel hier nur eine Stelle aus einem Fernunterrichtsbrief des<br />

Mathematikers Leonhard EULER an eine deutsche Prinzessin zitieren, in<br />

dem er über NEWTONS Gravitationstheorie schreibt (1773, Bd. 1, S.<br />

179-180):<br />

„Dieser große Philosoph und Mathematiker lag einst in einem Garten unter<br />

einem Apfelbaume, als ein Apfel, der ihm <strong>auf</strong> den Kopf fiel, bey ihm eine<br />

Menge von Betrachtungen veranlaßte. Das wußte er sehr wohl, daß <strong>die</strong> Schwere<br />

<strong>die</strong> Ursache sey, warum der Apfel gefallen war, nachdem ihn der Wind oder eine<br />

andere Ursache von seinem Aste abgerissen hatte. Diese Vorstellung war sehr<br />

natürlich, und jeder ehrliche Bauer hätte sie vielleicht eben so gut haben können;<br />

aber der englische Weltweise gieng weiter. Der Baum, sagte er, muß sehr hoch<br />

gewesen seyn; und das brachte ihn <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Frage: Würde wohl der Apfel gefallen<br />

seyn, wenn der Baum noch weit höher gewesen wäre? Daran konnte er<br />

unmöglich zweifeln.<br />

Wie aber wenn der Baum so hoch gewesen wäre, daß er bis an den Mond<br />

gereicht hätte? Hier wurde er verlegen zu entscheiden, ob der Apfel noch<br />

gefallen seyn würde oder nicht. Wenn er alsdann noch fiele (welches ihm noch<br />

sehr wahrscheinlich zu seyn schien, weil man in der Höhe des Baums sich keine<br />

gewisse bestimmte Grenze denken kann, wo der Apfel <strong>auf</strong>hören sollte zu fallen);<br />

wenn das also geschähe, so müßte der Apfel doch noch einige Schwere haben,<br />

<strong>die</strong> ihn gegen <strong>die</strong> Erde triebe. Also müßte auch der Mond, der sich mit dem<br />

Apfel an einerley Orte befände, mit eben der Gewalt, wie der Apfel, gegen <strong>die</strong><br />

Erde getrieben werden. Da ihm aber doch der Mond nicht <strong>auf</strong> den Kopf fiel; so<br />

sah er ein, daß davon <strong>die</strong> Bewegung des Mondes <strong>die</strong> Ursache seyn könne, so wie<br />

eine Bombe über uns weg fliegen kann; ohne gerade herunter zu fallen.“<br />

Bei einer derartigen, in genetischer Weise <strong>auf</strong>gebauten Darbietung<br />

können <strong>die</strong> Schüler <strong>die</strong> Gedanken NEWTONS nachvollziehen. Sie<br />

entdecken so NEWTONS Theorie wieder, durch <strong>die</strong> ihnen bisher<br />

Unerklärtes und Unzusammenhängendes plötzlich erklärbar wird und<br />

86 Nach <strong>die</strong>ser Regel schrieb auch LEIBNIZ: „Ich nahm mir vor, so zu schreiben,<br />

daß der Leser jederzeit den inneren Grund des Gelesenen sehen könne, ja<br />

möglichst sogar so, daß <strong>die</strong> Quelle der Entdeckung deutlich werde, ja sogar <strong>auf</strong><br />

solche Weise, daß der Leser alles so verstehe, als ob er es selbst erfunden hätte."<br />

(LEIBNIZ, Mathematische Schriften, hrsg. von GERHARDT, Bd. VII, S. 9; hier<br />

zit. nach POLYA 1967, S. 152)<br />

176


einen Zusammenhang erhält. Sie lernen etwas Neues in verständlicher<br />

Weise kennen und vermutlich werden sie dadurch motiviert, selbständig<br />

weiter nachzudenken.<br />

Darbietende Verfahren bei systemvermittelnder Lehrstrategie<br />

Bei der systemvermittelnden Lehrstrategie werden alle <strong>die</strong>jenigen<br />

Gedanken, <strong>die</strong> allmählich erst zum System hinführen, abgeschnitten. Und<br />

es werden nur <strong>die</strong> Ergebnisse des Nachdenkens in logischer Aufeinanderfolge<br />

dargeboten. Aber es ist <strong>die</strong> Logik des fertigen Systems und<br />

nicht <strong>die</strong> Logik der Forschung. Dieses fertige System kann der Lernende<br />

nur verstehen, wenn er schon mit der Logik der Entstehung solcher<br />

Systeme vertraut ist, wenn er schon an vielen anderen Gegenständen<br />

erfahren hat, wie man zu derartigen Ergebnissen gelangt. Er kann dann<br />

vom Ergebnis her <strong>die</strong>sen Weg selbständig nachvollziehen. Wer lange in<br />

einem bestimmten Gebiet gearbeitet hat, liest Bücher oder Aufsätze<br />

häufig so: er sucht nach einer Zusammenfassung der Resultate; dann<br />

überlegt er selber, wie sie zustandegekommen sein könnten. Und nur was<br />

er nicht selbständig nachvollziehen kann, liest er nach (vgl. auch<br />

FREUDENTHAL 1974, S. 111). Konfrontiert man aber den Anfänger<br />

(sei es nun ein sechsjähriger Schüler oder ein zwanzigjähriger Student)<br />

mit dem System, so wird er es nicht verstehend nachvollziehen können.<br />

Die präsentierten Gedanken scheinen ihm - so drückt es<br />

FREUDENTHAL (1974, S. 98) bildlich aus - „an Fallschirmen aus dem<br />

heiteren Himmel“ zu kommen. Für den Anfänger sollte das System erst<br />

am Ende des Lernprozesses stehen, als das Ergebnis seiner Bemühungen.<br />

Diese systematische Darstellung am Ende des Lernweges hilft ihm dann<br />

sogar, als gedrängter Überblick, das Ergebnis zu überschauen und damit<br />

umzugehen.<br />

3.3.2. Erarbeitende Verfahren und Übung<br />

Erarbeitende Verfahren stellen den Lernenden vor Probleme, <strong>die</strong> <strong>die</strong>ser<br />

durch Anwendung seiner Kenntnisse zu lösen hat. Gleichzeitig übt er<br />

dabei auch seine geistigen Kräfte, d. h. er baut durch seine wiederholten<br />

Problemlösungsversuche kognitive Strukturen <strong>auf</strong>, <strong>die</strong> er später bei der<br />

Lösung anderer Probleme wiederum verwenden kann und <strong>die</strong> ihn daher<br />

zur Lösung immer komplexerer Aufgaben befähigen. Beim Erarbeiten<br />

von Lösungswegen wird der Lernende häufig auch falsche Wege<br />

einschlagen. So lernt er <strong>die</strong> Sackgassen kennen, er lernt, welche Fehler er<br />

177


vermeiden muß, und er lernt <strong>die</strong> Umwege und Abkürzungen kennen, <strong>die</strong><br />

zu einer bestimmten Lösung führen. Durch das wiederholte Abgehen<br />

<strong>die</strong>ser Wege entwickelt er flexible Fertigkeiten und kann sich daher bei<br />

Veränderungen der Fragestellungen anpassen - so, wie ein Kind, .das erst<br />

l<strong>auf</strong>en lernt, noch oft hinfällt, wenn <strong>die</strong> Beschaffenheit des Untergrundes,<br />

<strong>auf</strong> dem es läuft, sich verändert oder sonstige Unregelmäßigkeiten<br />

<strong>auf</strong>weist; aber nachdem es mehr Übung hat, meistert es <strong>die</strong> durch <strong>die</strong>se<br />

Unregelmäßigkeiten entstehenden Probleme mit Leichtigkeit.<br />

Die Aufgabenstellungen variieren bei Übungen manchmal nur wenig.<br />

Man könnte also annehmen, daß der bei Übung erreichte Lernzuwachs<br />

vor allem <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Wiederholung der Lösung ähnlicher Aufgaben zurückzuführen<br />

sei. Vermutlich ist <strong>die</strong>s eine Täuschung, <strong>die</strong> daher rührt, daß der<br />

Aspekt der Wiederholung am einfachsten zu beobachten und zu steuern<br />

ist. Aber Wiederholung allein reicht nicht aus zur Erklärung des Lernfortschritts.<br />

Ein Schüler kann schematisch immer wieder Aufgaben eines<br />

bestimmten Typs <strong>auf</strong> umständliche Art und immer mit demselben Fehler<br />

lösen, ohne auch nur das Geringste dazuzulernen. Nur wenn er bei einer<br />

Wiederholung etwas Neues entdeckt, beispielsweise eine Fehlerquelle, <strong>die</strong><br />

bis dahin unbemerkt geblieben war, eine Abkürzung des Lösungsweges<br />

usw., nur dann wird er tatsächlich etwas dazulernen. Deshalb weist<br />

FLEKATSCH (1975, S. 58-59) für das Lernen von fremdsprachlichen<br />

Vokabeln dar<strong>auf</strong> hin, daß „<strong>die</strong> bloße Anzahl der Wiederholungen von nur<br />

bedingtem Wert“ ist; Wiederholung ist nur dann förderlich, wenn <strong>die</strong><br />

Vokabeln in unterschiedlichen Zusammenhängen gebraucht werden, <strong>die</strong><br />

ihren Sinngehalt erweitern, vertiefen oder sonstwie verändern. Erst <strong>die</strong><br />

Entdeckung <strong>die</strong>ser Erweiterungen erzeugt einen Lernfortschritt.<br />

Die Wiederholung immer gleicher oder doch sehr ähnlicher Aufgaben<br />

führt außerdem schnell zu Ermüdung und einem Absinken der<br />

Motivation (vgl. 2.2.3.). Dies läßt sich durch Veränderung der Aufgabe<br />

vermeiden. Weiterhin bewirkt <strong>die</strong> mehrfach wiederholte Lösung<br />

verwandter Aufgaben -häufig einen Einstellungseffekt. Der Schüler oder<br />

Student löst dann alle Aufgaben nach dem gleichen, womöglich sehr<br />

unökonomischen Schema (vgl. LUCHINS 1950; 1971). Daher ist zeitlich<br />

verteiltes Üben und Üben unter wechselnden Aspekten vorzuziehen.<br />

Dabei wird der Schüler gezwungen, <strong>die</strong> erforderlichen kognitiven<br />

Schemata immer wieder neu zu konstruieren, und er kann eher Fehler,<br />

Erweiterungen oder abkürzende Lösungswege entdecken.<br />

178


Wenn z. B. bei der Erarbeitung eines Gedichts zunächst <strong>die</strong> inhaltliche<br />

Bedeutung erfaßt wird, wenn dann der Rhythmus herausgearbeitet wird<br />

und seine Beziehung zum Inhalt, wenn <strong>die</strong> verschiedenen Stimmungslagen,<br />

<strong>die</strong> ästhetischen Reize im Vortrag ausgedrückt werden usw., dann<br />

verändert man immer wieder den Gesichtspunkt und entdeckt und<br />

erarbeitet immer wieder andere Elemente und Zusammenhänge. Diese<br />

vielseitige Beschäftigung kann dem Lernenden zugleich tiefere Einsichten<br />

in künstlerische Probleme und Maßstäbe vermitteln. Und <strong>die</strong>se Einsichten<br />

können dann zur weiteren Auseinandersetzung mit Dichtung<br />

motivieren (vgl. hierzu auch ODENBACH 1974, S. 89 f.).<br />

Die durch derartige Übung entdeckten und erarbeiteten Zusammenhänge<br />

erzeugen ein vielfältig verzweigtes Netz von Gedächtnisspuren. Diese<br />

bilden <strong>die</strong> Grundlage für einen automatisch bzw. präattentiv gesteuerten<br />

Abl<strong>auf</strong> der Rekonstruktion: Der Vortrag eines Gedichts, das Rechnen<br />

oder Maschinenschreiben geschieht in <strong>die</strong>ser Weise weitgehend<br />

automatisiert (nicht vollkommen, vgl. auch 2.1.4.). Die präattentive Rekonstruktion<br />

größerer Einheiten, <strong>die</strong> <strong>auf</strong> Grund der durch Übung<br />

erworbenen kognitiven Strukturen ermöglicht wird, entlastet <strong>die</strong><br />

Aufmerksamkeit. Sie wird dadurch frei für andere Denkprozesse, für <strong>die</strong><br />

Berücksichtigung und Ordnung der größeren Zusammenhänge.<br />

Im Gegensatz zur Übung, so wie sie oben beschrieben wurde, steht das<br />

sture Auswendiglernen, das man mit Recht auch als „Pauken“ bezeichnet.<br />

Beim Auswendiglernen bewältigt der Schüler keine inhaltlichen<br />

Probleme, sondern versucht einen bestimmten Lehrstoff möglichst wortwörtlich<br />

zu reproduzieren. Es ist ein Lernen ohne tieferes Verständnis.<br />

Im folgenden werde ich zunächst Verfahren zur Steuerung des Übens<br />

erörtern und dann <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Unterschiede des Übens bei systemvermittelnder<br />

und genetischer Lehrstrategie eingehen.<br />

179


Verfahren zur Steuerung des Übens<br />

Im Beruf, in der Wissenschaft, überall im Leben steht man immer wieder<br />

neuen Aufgaben gegenüber, <strong>die</strong> man selbständig lösen muß und wobei<br />

man sich auch <strong>die</strong> nötigen Hilfen selbst zu suchen hat. In den Bildungsinstitutionen<br />

sollen <strong>die</strong>se Fähigkeiten zum selbständigen Problemlösen<br />

geübt werden. Die Lernenden werden veranlaßt, Aufgaben in mehr oder<br />

weniger variierter Form immer wieder zu lösen. Genauso macht es ja der<br />

Wissenschaftler, wenn er eine Lösungsidee immer und immer wieder an<br />

neuen Problemfällen ausprobiert. Auf <strong>die</strong>se Weise erst wird er mit seiner<br />

Lösung vertraut und versteht sie in dem Sinne, daß er angeben kann,<br />

warum sie oder warum sie nicht zur Lösung führt.<br />

Aber während der Wissenschaftler <strong>die</strong> Lösung selbst suchen und<br />

entdecken muß, be<strong>die</strong>nt man sich in den Bildungsinstitutionen<br />

Verfahrensweisen, <strong>die</strong> dem Lernenden mehr oder weniger umfangreiche<br />

Hilfen vorgeben.<br />

Im folgenden nenne ich einige der wichtigsten Verfahrensweisen:<br />

Das Unterrichtsgespräch, das mehr oder weniger frei geführt werden<br />

kann (siehe hierzu AEBLI 1976, S. 216 f.; SCHIEFELE 1971;<br />

STÖCKER 1970, S. 217 f.).<br />

Arbeitsblätter oder Arbeitsanweisungen (siehe ODENBACH 1974).<br />

Arbeitsblätter werden nicht nur an Schulen, sondern auch an den Hochschulen<br />

benutzt, auch wenn sie hier z. T. anders bezeichnet werden (beispielsweise<br />

sprechen SCHMID und ZOLLER [1972] von Lernfragen).<br />

Formale, nicht an bestimmte Inhalte gebundene Anweisungen oder<br />

Anleitungen sind <strong>die</strong> SQ3R- (Survey, Question, Read, Recite, Review)<br />

(ROBINSON 1961) und, PQ4R-Verfahren (Preview, Question, Read,<br />

Reflect, Recite, Review) (THOMAS/ROBINSON 1972). Beim PQ4R-<br />

Verfahren wird der Lerner beim Erarbeiten eines Lehrtextes zu folgenden<br />

Aktivitäten angehalten: Verschaffen eines Überblicks durch Überfliegen<br />

des Textes; Erstellen wesentlicher Fragen; Lesen des Textes; Nachdenken<br />

darüber; Vortragen des Textes und schließlich zusammenfassendes<br />

Wiederholen des Textes.<br />

180


Programmierte Unterweisung 87 , <strong>die</strong> den Vorteil hat, dem Adressaten<br />

sogleich eine Rückmeldung zu seinem Lernergebnis zu vermitteln.<br />

Es gibt eine Reihe von verschiedenen Formen der PU wie das Konzept<br />

der Gruppenlernprogramme, bei dem <strong>die</strong> Rückkopplung nicht nur durch<br />

das Programm, sondern auch durch das Gruppengespräch erfolgt (siehe<br />

hierzu v. CUBE 1976, S. 87 ff.).<br />

Eine weitere Form der PU sind <strong>die</strong> Leitprogramme, deren Anwendung<br />

im Hochschulstudium derzeit diskutiert wird. Leitprogramme geben den<br />

Lernenden Anleitung und Hilfestellung zur Erarbeitung von Lehrbüchern<br />

(siehe hierzu WELTNER 1976, 1977; HOLMBERG 1977). Das Konzept<br />

der Leitprogramme ähnelt in vieler Hinsicht dem DALTON-Plan. Auch<br />

beim DALTON-Plan <strong>die</strong>nen <strong>die</strong> Arbeitsanweisungen dazu, <strong>die</strong><br />

Lernenden beim selbständigen Arbeiten mit anderem Lehr- und<br />

Informationsmaterial zu unterstützen (siehe STEINHAUS 1970; vgl.<br />

hierzu auch den KELLER-Plan, KELLER 1968).<br />

Projekte und Vorhaben. Projekte oder Vorhaben sind umfassende<br />

Problemstellungen, deren Lösung <strong>die</strong> Lernenden weitgehend selbständig<br />

planen und ausführen 88 .<br />

Ob Üben nur zu kurzfristigen Ergebnissen führt, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Schüler schnell<br />

wieder vergessen, oder ob es Transfer und Kreativität ermöglicht, hängt<br />

weitgehend ab von der Gestaltung der Übungsverfahren nach den in<br />

Punkt 3.2. (Motivierung) angegebenen Kriterien. je weniger beziehungshaltig<br />

beispielsweise <strong>die</strong> Übungen sind, je weniger sie variieren, je weniger<br />

<strong>die</strong> Schüler in umfassenden, sinnvollen Bezügen zu denken lernen und je<br />

mehr Einzelheiten oder isolierte Aufgaben sie zu lösen haben, um so<br />

geringer werden auch <strong>die</strong> Möglichkeiten eines Transfers sein.<br />

SCHIEFELE und SEILNACHT (1966, S. 92) nennen einige derartige,<br />

wenig motivierende und Transfer ermöglichende Aufgaben aus dem<br />

Erdkundeunterricht:<br />

87 Zur PU vgl. v. CUBE 1976, S. 42 f. Zur Kritik der PU siehe auch AEBLI 1976, S.<br />

375 sowie FLÜGGE 1968.<br />

88 Siehe hierzu AEBLI 1976, S. 95; LAUBIS 1976. Auch <strong>die</strong> Pädagogik FREINETs<br />

beruht weitgehend <strong>auf</strong> der Anwendung von Projekten; vgl. ELIADE 1975. Auch an<br />

den Hochschulen wird das Projektstudium - allerdings stark parteipolitisch gefärbt -<br />

diskutiert, vgl. BECKER, JUNGBLUT und VOEGELIN 1972.<br />

181


„Welche Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten haben der Göta- und der<br />

Nord-Ostsee-Kanal?<br />

Suche <strong>die</strong> folgenden Flüsse: Dal-Älf, Göta-Älf, Klar-Älf, Torne-Alf, LuleAlf!<br />

Ordne sie, indem du mit dem nördlichsten Fluß beginnst!<br />

Vergleiche <strong>die</strong> Eisverhältnisse an der schwedisch-finnischen Küste mit denen<br />

der norwegischen!<br />

Vergleiche <strong>die</strong> Länge und Breite des Väner-Sees mit der des Bodensees! Was<br />

verstehst du unter Fischindustrie?“<br />

Derartige Aufgaben können <strong>die</strong> Schüler kaum motivieren. Sie sollen<br />

einfache Tätigkeiten üben, <strong>die</strong> zu für sie uninteressanten und bedeutungslosen<br />

Ergebnissen führen. Als Gegenbeispiele nennen SCHIEFELE und<br />

SEILNACHT (1966, S. 92) <strong>die</strong> folgenden Aufgaben, <strong>die</strong> mehrere Jahre<br />

hindurch immer wieder und mit steigenden Anforderungen gestellt<br />

werden können:<br />

„Wir beurteilen <strong>die</strong> Fruchtbarkeit eines Landes; aus der geographischen Lage,<br />

der Bodennutzung, den vorhandenen Bodenschätzen, der Industrie schließen<br />

wir <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Beschäftigung der Bewohner; Vulkane und Bruchlandschaften<br />

erzählen aus der Erdgeschichte; Landschaften, <strong>die</strong> das Eis gestaltet hat; der<br />

Mensch gestaltet seinen Lebensraum; <strong>die</strong> Erde rächt sich.“ 89<br />

Erarbeitende Verfahren bei systemvermittelnder und bei genetischer<br />

Lehrstrategie<br />

Die oben erwähnten Verfahren zur Steuerung des Lernens durch Übung<br />

können bei beiden Lehrstrategien verwendet werden. Je nachdem, welche<br />

Lehrstrategie man anwendet, erzielt man mit den erarbeitenden<br />

Verfahren unterschiedliche Ergebnisse. Im Rahmen der genetischen<br />

Lehrstrategie führen <strong>die</strong>se Verfahren eher zu produktivem und kreativem<br />

Denken, während sie im Rahmen der systemvermittelnden Strategie eher<br />

zum Lernen und Anwenden von Algorithmen führen.<br />

Zunächst ein Beispiel von M. WAGENSCHEIN (1970, Bd. 1, S. 102 bis<br />

110) zum erarbeitenden Verfahren bei genetischer Lehrstrategie. Das<br />

Thema ist der Satz EUKLIDs über das Nicht-Abbrechen der Primzahlenfolge.<br />

Als Verfahren wählte WAGENSCHEIN das Unterrichtsgespräch,<br />

das sich über fünf Einzelstunden von je 60 Minuten Dauer<br />

erstreckte. Die Lerngruppe zählte nur 13 Schüler.<br />

89 Weitere Beispiele zur Übung in verschiedenen Fächern gibt ODENBACH 1974.<br />

182


Die erste Stunde wurde gebraucht, um den Schülern <strong>die</strong> Frage, ob <strong>die</strong><br />

Primzahlen abbrechen oder nicht, zum Problem zu machen. WAGEN-<br />

SCHEIN zeigte ihnen, wie <strong>die</strong> Abstände von Primzahl zu Primzahl fast<br />

immer größer werden. Die Schüler verstehen, daß <strong>die</strong>s daran liegt, daß, je<br />

größer eine Zahl ist, um so mehr andere, kleinere unter ihr als Teiler für<br />

sie bereitstehen. Allmählich dämmerte den Schülern <strong>die</strong> Möglichkeit, daß<br />

„es mit den Primzahlen ganz aus ist . . ., daß es eine letzte, eine größte<br />

gibt“ (S. 103). Aber wie kann man das beweisen?<br />

Die folgenden drei Stunden ließ der Lehrer <strong>die</strong> Schüler sich Lösungsvorschläge<br />

ausdenken, <strong>die</strong> ausprobiert und kritisiert wurden. Hierbei<br />

gingen <strong>die</strong> Schüler viele Irrwege, <strong>die</strong> aber von ihnen selber und durch <strong>die</strong><br />

sachliche Kritik des Lehrers als solche erkannt wurden. Auf Grund <strong>die</strong>ser<br />

erkannten Fehler gelang es den Schülern, falsche Lösungsansätze immer<br />

besser auszuschließen und durch wiederholte Lösungsversuche der<br />

Wahrheit schrittweise näher zu kommen. Obwohl <strong>die</strong> Aufgabe immer <strong>die</strong><br />

gleiche blieb, veränderten sich doch <strong>die</strong> Problemsituationen durch <strong>die</strong><br />

vorausgegangenen, fehlgeschlagenen Lösungsversuche. Von besonderer<br />

Bedeutung war bei alledem <strong>die</strong> kritische Haltung des Lehrers, der stets zu<br />

schärfster Kritik herausforderte, wenn <strong>die</strong> Schüler bereit waren, teilweise<br />

richtige Lösungen hinzunehmen.<br />

Nachdem <strong>die</strong> Schüler den Beweis „wieder-entdeckt“ hatten (ohne direkte<br />

Lösungshinweise des Lehrers, aber durch seine sachliche Kritik<br />

unterstützt), wurde der Beweis in der fünften Stunde gemeinsam<br />

formuliert (variierte Wiederholung), und anschließend wurde <strong>die</strong>se<br />

Formulierung mit derjenigen EUKLIDs Satz für Satz verglichen und <strong>die</strong><br />

Unterschiede wurden herausgearbeitet (variierte Wiederholung).<br />

Da bei Anwendung der genetischen. Lehrstrategie der Stoff selber als<br />

eine „große, sich allmählich entfaltende, stets wieder <strong>auf</strong> sich selbst<br />

zurückbeziehende Anwendungs<strong>auf</strong>gabe“ durchgearbeitet wird, ist es<br />

nicht erforderlich, <strong>die</strong> Schüler wie bei der systemvermittelnden<br />

Lehrstrategie eine Vielzahl von Anwendungs<strong>auf</strong>gaben über den Stoff<br />

machen zu lassen (WITTENBERG 1963, S. 156-157).<br />

Bei der Anwendung der systemvermittelnden Lehrstrategie dagegen geht<br />

mang vom System der fertigen Mathematik aus und überspringt <strong>die</strong><br />

Stufen des Verfertigens. Übung besteht dabei vor allem in der<br />

Anwendung eines vorgegebenen Systems, wobei <strong>die</strong>ses System - da es ja<br />

nicht, wie bei der genetischen Lehrstrategie, aus dem vorhandenen<br />

Wissen entwickelt wird - meist nicht verstanden werden kann. Die<br />

Schüler lernen das System als Algorithmen.<br />

183


Das soll im folgenden an einem Beispiel zur Zinsberechnung verdeutlicht<br />

werden (vgl. HOFFMANN, LOCH und PERSCH 1975, S. 184 bis 201).<br />

Das Verfahren ist ebenfalls das Unterrichtsgespräch, das sich hier<br />

allerdings nur über 45 Minuten erstreckt, da bei systemvermittelndem<br />

Unterricht der Zeit<strong>auf</strong>wand immer geringer ist.<br />

Das Unterrichtsziel besteht im „Herleiten einer abstrakten Buchstaben<br />

und Anwenden <strong>die</strong>ser Formel <strong>auf</strong> konkrete Sachsituationen“ sowie im<br />

„Eindringen in <strong>die</strong> mathematische Struktur <strong>die</strong>ser Formel und Erkennen<br />

des Beziehungsgefüges“. Zuerst sollen <strong>die</strong> Schüler in fünf Minuten durch<br />

Hinweis <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Zinspolitik der Bundesbank motiviert werden (Beziehungshaltigkeit).<br />

Zur Verdeutlichung stellt der Lehrer <strong>die</strong> Aufgabe,<br />

wieviel Zinsen ein Bauunternehmer für einen benötigten Kredit in<br />

bestimmter Höhe zu .zahlen hat. Die Lösung erfolgt im Gespräch, wobei<br />

der Lehrer Lösungsweg und Ergebnis an <strong>die</strong> Tafel schreibt und das<br />

„Gespräch“ vermutlich dadurch lenkt, daß er nur richtige Lösungsvorschläge<br />

annimmt (ansonsten müßte er mehr Zeit veranschlagen).<br />

In weiteren acht Minuten wird <strong>die</strong> Grundgleichung der Prozentrechnung<br />

wiederholt, d. h. der Lehrer fragt <strong>die</strong> Schüler und schreibt nur das richtige<br />

Ergebnis an <strong>die</strong> Tafel. Außerdem wird eine weitere Aufgabe in der<br />

angegebenen Art gerechnet.<br />

Dann sollen <strong>die</strong> Schüler <strong>die</strong> Formel „finden“ und in <strong>die</strong> mathematische<br />

Struktur <strong>die</strong>ser Formel „eindringen“. Sie haben dazu 20 Minuten Zeit.<br />

Zunächst lenkt der Lehrer <strong>die</strong> Aufmerksamkeit der Schüler <strong>auf</strong> <strong>die</strong> an der<br />

Tafel angeschriebenen Lösungswege der zuvor gerechneten Aufgaben:<br />

Was steht im Zähler, was im Nenner? Der Lehrer stellt <strong>die</strong> Fragen und<br />

<strong>die</strong> Schüler antworten. Der Lehrer, der weiß, wo es hingeht, wählt <strong>die</strong><br />

Antworten der Schüler entsprechend aus und schreibt das richtige<br />

Ergebnis an <strong>die</strong> Tafel. Auf <strong>die</strong>se Weise werden <strong>die</strong> Zahlenwerte der<br />

schon gerechneten Aufgaben durch <strong>die</strong> Begriffe „Kapital“, „Prozentsatz“<br />

usw. ersetzt. Die Formel ist „gefunden“. Zum Schluß erhalten <strong>die</strong> Schüler<br />

einige Aufgaben, <strong>die</strong> sie unter Anwendung der Formel ausrechnen sollen.<br />

3.3.3. Verfahren zur Förderung von Entdeckung und Erfindung<br />

Im Gegensatz zum Nachvollzug und zur Übung kann man Entdeckung<br />

und Erfindung nicht direkt lenken. Denn etwas erfinden oder entdecken<br />

bedeutet, originelle Werke zu schaffen, <strong>die</strong> noch niemand erdacht oder<br />

gestaltet hat (vgl. AEBLI 1976, S. 270). Solche Werke können nur<br />

selbständig geschaffen werden, denn wer Anleitungen befolgt, ist kaum -<br />

oder doch nur in sehr engen Grenzen -schöpferisch tätig. (Entdeckung ist<br />

also etwas anderes als Wieder-Entdeckung.) Den Prozeß des Entdeckens<br />

184


kann man auch deshalb nicht steuern, weil es keine Methode des<br />

Entdeckens und Problemlösens gibt, <strong>die</strong>, richtig angewandt, <strong>die</strong><br />

gewünschten Ergebnisse erbringt. Eine solche Methode wäre ja der<br />

Schlüssel zur endgültigen Erkenntnis und zur Lösung sämtlicher<br />

Probleme. Man könnte dann informationsverarbeitende Maschinen<br />

entsprechend programmieren und sie alle uns interessierenden Probleme<br />

lösen lassen. Aber es gibt keine solche Methode, und es wird sie wohl<br />

auch nie geben.<br />

Da Entdecken und Erfinden selbständiges Arbeiten voraussetzt, wird<br />

man Lernenden, <strong>die</strong> etwas entdecken oder erfinden sollen, einen gewissen<br />

Freiraum geben müssen. Doch außer dem Freiraum, den der Lernende<br />

braucht, um selbständige Entdeckungen machen zu können, muß er auch<br />

noch weitere Voraussetzungen erfüllen: Der Lernende muß <strong>die</strong> Haltung<br />

zum selbständigen Arbeiten erworben haben. In den vorangegangenen<br />

Kapiteln habe ich zu zeigen versucht, daß <strong>die</strong> genetische Lehrstrategie<br />

den Erwerb der entsprechenden Einstellung am ehesten fördert.<br />

Außerdem muß er über einen weiten Erfahrungshintergrund verfügen,<br />

um zunächst überhaupt Probleme sehen zu können (vgl. auch 2.3.4.).<br />

Insbesondere muß der Lernende eine kritische Einstellung erworben<br />

haben, da er nur dann Probleme entdecken kann und sich nicht mit<br />

oberflächlichen Lösungen zufrieden gibt (vgl. auch 2.3.4.). Entdeckung<br />

oder Erfindung im Sinne der Lösung neuer Probleme und der Schaffung<br />

kulturell bedeutsamer Werke ist also nur möglich <strong>auf</strong> der Grundlage eines<br />

soliden Wissens und Könnens. Es ist völlig unmöglich, alles Wissen von<br />

Lernenden entdecken zu lassen. Kein Mensch kann so schöpferisch sein.<br />

Wenn <strong>die</strong>s möglich wäre, brauchte man keine Bildungsinstitutionen.<br />

Doch <strong>die</strong> Fähigkeiten des selbständigen Problemlösens müssen geübt<br />

werden (vgl. 3.3.2.), und um sich einen möglichst weiten und tiefen<br />

Einblick in das objektive Wissen verschaffen zu können, bedarf es<br />

vermutlich des Nachvollzugs vieler Erkenntnisse (vgl. 3.3.1.).<br />

Im folgenden werde ich zuerst Lernen durch Nachvollzug und Übung als<br />

Voraussetzung des Entdeckens erläutern und danach Kritikfähigkeit als eine<br />

weitere Voraussetzung des Entdeckens erörtern. Anschließend stelle ich den<br />

Zusammenhang von Entdeckung und Lehrstrategien dar. Zuletzt berichte ich<br />

über einige weitere organisatorische Maßnahmen zur indirekten Lenkung und<br />

Förderung des Entdeckens.<br />

Lernen durch Nachvollzug und Übung<br />

als Voraussetzung selbständigen Entdeckens und Erfindens<br />

Aus den Biographien von Forschern und Künstlern kann man ersehen,<br />

daß jede bedeutsame Entdeckung und Erfindung das beharrliche<br />

185


Sammeln von Erfahrungen und <strong>die</strong> ständige Beschäftigung mit dem<br />

Gegenstand der Entdeckung voraussetzt.<br />

„So wird von EDISON berichtet, daß er bei der Erfindung der<br />

Kohlefadenglühlampe das wichtige Bauelement Kohlefaden mit Hilfe ständiger<br />

Versuche verbesserte. Zwei Assistenten von ihm haben festgestellt, daß<br />

EDISON nicht weniger als 6 000 pflanzliche Erzeugnisse untersuchte. Er fing<br />

alles an zu verkohlen, was er in <strong>die</strong> Hände bekam.<br />

Joseph Hicephore NIEPZE bemühte sich jahrelang, hinter das Geheimnis zu<br />

kommen, wie eine lichtempfindliche Schicht zu behandeln sei, um sie<br />

lichtbeständig zu machen. Schließlich nach 14jährigem eintönigen<br />

Experimentieren gelangte er zum Erfolg; wenn auch das Positiv als solches noch<br />

schlecht und grob gezeichnet war, so war es ihm doch gelungen, ein Bild<br />

herzustellen, das sich bei nachträglicher Belichtung als lichtbeständig erwies.“<br />

(GEBHARDT und GERECKE 1973, S. 10)<br />

Im Zusammenhang mit der angestrengten Suche nach Problemlösungen<br />

spielt auch <strong>die</strong> Entspannung, <strong>die</strong> Muße, eine bedeutsame Rolle. In<br />

Entspannungssituationen werden Einstellungen wieder abgebaut, <strong>die</strong> bei<br />

der angestrengten Suche nach Lösungen häufig erzeugt werden und <strong>die</strong><br />

<strong>die</strong> Aufmerksamkeit <strong>auf</strong> bestimmte Vorstellungen festnageln. In<br />

Entspannungszuständen dagegen arbeiten <strong>die</strong> präattentiven Prozesse<br />

nahezu unkontrolliert von der Aufmerksamkeit. So können sie - wie im<br />

Traum - Material heranziehen und kombinieren und manchmal unerwartet<br />

gute Lösungen produzieren. Diese werden von der Aufmerksamkeit<br />

als bedeutsam für das bearbeitete Problem erkannt und auch<br />

erfaßt (vgl. auch 2.3.4.). Über derartige Prozesse berichten viele Künstler,<br />

Erfinder und Wissenschaftler. Beispielsweise berichtete der<br />

„Mathematiker H. POINCARE, der schon mehrfach versucht hatte, eine<br />

bestimmte Gleichung zu integrieren, daß er sich eines Abends früher schlafen<br />

legte und ,gegen Morgen sah ich im Traum, wie ich den Studenten eine<br />

Vorlesung zu eben dem Problem halte ... und daß ich an der Tafel <strong>die</strong><br />

entsprechende Gleichung integriere ... Nachdem der Traum vorbei war, ...<br />

machte ich Licht und schrieb <strong>die</strong> Schlußfolgerungen nieder'.“ (GEBHARDT<br />

und GERECKE 1973, S. 9)<br />

Allerdings sollte man <strong>die</strong>se Zufälle nicht überbetonen, denn entscheidend<br />

ist doch zu sehen, ob eine gefundene Lösung brauchbar oder<br />

unbrauchbar ist. Zudem ist das Zufallselement davon abhängig, daß<br />

vorher schon eine Vielzahl falscher Lösungen ausgeschieden wurde und<br />

ein umfangreiches Erarbeiten der möglichen Lösungswege vorausging.<br />

Denn um ein zufälliges Ereignis als bedeutsam für ein bestimmtes<br />

Problem erkennen zu können, muß eine Beurteilungsgrundlage vorhanden<br />

sein. Die Idee WATTS beispielsweise, <strong>die</strong> Ausdehnung des Wasser-<br />

186


dampfes zur Krafterzeugung auszunutzen, war nicht nur Zufall, sondern<br />

sie war auch das Ergebnis langen Nachdenkens. Der überkochende Topf,<br />

bei dem der Dampfdruck den Deckel abhob, gab vermutlich nur einen,<br />

wenn auch zufälligen, Anstoß für <strong>die</strong> Idee.<br />

Entdeckungen sind also keineswegs leicht zu erringen. Um bei Schülern<br />

oder Studenten Entdecken zu fördern, wird es daher angebracht sein, .sie<br />

<strong>auf</strong> genetische Weise im selbständigen Problemlösen zu üben (siehe<br />

3.3.2.) und sie durch Nachvollzug ein weites Wissen erwerben zu lassen<br />

(siehe 3.3.1.), das ihnen erst einen Überblick über mögliche<br />

Verbindungen und Verästelungen eines Problems verschafft und ihnen<br />

dadurch auch erst vielfältige Kombinationen von Lösungselementen aus<br />

verschiedenen Bereichen ermöglicht.<br />

Entdecken und Kritikfähigkeit<br />

Entdecken ist nur möglich, wenn man keine eng begrenzten<br />

Routint<strong>auf</strong>gaben, sondern ein umfassendes Problem zu lösen hat. Um bei<br />

einem derartigen Problem eine wirklich bedeutsame Entdeckung zu<br />

machen, ist eine kritische Einstellung des Schülers oder Studenten gegenüber<br />

seinem Werk erforderlich. Denn wenn er frühzeitig eine oberflächliche<br />

Lösung akzeptiert, wird er nicht mehr weitersuchen. Er wird daher<br />

nicht zu einem tieferen Verständnis seines Problems gelangen, denn um<br />

ein Problem zu verstehen, muß man <strong>die</strong> oberflächlichen und meist nur<br />

scheinbaren Lösungen als solche erkennen.<br />

In derselben Weise ist Kritik auch in der Kunst von Bedeutung. Denn<br />

auch der Künstler darf nicht <strong>die</strong> erstbeste Lösung akzeptieren. So sagte<br />

PICASSO einmal zu einem Freunde:<br />

„Wenn Sie ein Bild anfangen, finden Sie oft hübsche Sachen [also oberflächliche<br />

Lösungen]: vor denen sollten Sie sich hüten, ihr Bild zerstören und es viele Male<br />

wiedermalen. Mit der Zerstörung einer glücklichen Lösung wischt der. Maler sie<br />

nicht wirklich ganz aus; er verändert sie, verdichtet sie, macht sie substantieller.<br />

Erfolg kommt als Ertrag des Zurückweisens leichter Lösungen.“ (QUINN<br />

1965, keine Seitenbezeichnungen)<br />

Das führt zum Problem des Maßstabs, denn Kritik erfordert immer einen<br />

Vergleichsmaßstab. Auch in der Kunst gibt es zweifellos Maßstäbe, sonst<br />

könnte man alles als Kunst bezeichnen. Für <strong>die</strong> Maßstäbe der Kunst sind<br />

<strong>die</strong> Künstler verantwortlich, <strong>die</strong> sie schaffen, tra<strong>die</strong>ren und verändern.<br />

Diese Ziele und Maßstäbe steuern dann ihrerseits - wie <strong>die</strong> Regeln der<br />

Logik in der Wissenschaft - <strong>die</strong> weitere Arbeit an den Problemen (vgl.<br />

POPPER 1973, S. 281). Wie in der Kunst, so sind <strong>die</strong> Maßstäbe auch in<br />

der Technik, in der Sozialtechnik, in den Rechtswissenschaften und<br />

187


historischen Wissenschaften frei wählbar in dem Sinne, daß wir für <strong>die</strong>se<br />

Maßstäbe verantwortlich sind, daß sie nicht durch irgendeine Gesetzmäßigkeit<br />

festgelegt sind. In den erklärenden Wissenschaften dagegen<br />

gibt es nur einen Maßstab, den Maßstab der Wahrheit, d. h. der Übereinstimmung<br />

der Aussagen mit der Wirklichkeit. Allerdings setzt auch<br />

hier <strong>die</strong> Anerkennung <strong>die</strong>ses Maßstabes eine Entscheidung voraus. Ohne<br />

Maßstäbe ist keine Kritik möglich, und ohne Kritik wird man keine<br />

Probleme erkennen, und erst <strong>die</strong> erkannten Probleme fordern uns zu<br />

Entdeckungen heraus.<br />

Entdeckung und Lehrstrategien<br />

Ein Lernender wird vermutlich kaum zum selbständigen Denken und<br />

Entdecken geführt und dazu motiviert, wenn man ihn lehrt, ein gegebenes<br />

System anzuwenden, das er dann benutzt, ohne zu fragen, warum<br />

es anwendbar ist. Auf <strong>die</strong>se Weise gewöhnt man ihn daran, Puzzles oder<br />

Routine<strong>auf</strong>gaben zu lösen, bei denen der Lösungsrahmen und <strong>die</strong><br />

Lösungselemente schon vorhanden sind; sie müssen nur noch zusammengesetzt<br />

werden 90 .<br />

Direkt gefördert wird das Selbstentdecken vermutlich durch <strong>die</strong> Anwendung<br />

der genetischen Lehrstrategie. Der Lernende erfährt hierbei, wie<br />

Probleme der Wissenschaft, der Kunst, der Technik zu immer neuen<br />

Fragen und in immer neue Bereiche führen. Er wird am Werdensprozeß<br />

der geistigen Welt beteiligt und erfährt nicht nur anwendbare Ergebnisse.<br />

Er wird daher auch eher selbständig weiterdenken können und dabei<br />

vielleicht auch selbst <strong>auf</strong> Entdeckungen stoßen.<br />

Einige organisatorische Maßnahmen zur indirekten Lenkung<br />

des entdeckenden oderforschenden Lernens<br />

Wenn Schüler oder Studenten eigenständig neue Probleme lösen sollen,<br />

dann müssen sie - wie schon gesagt - einen angemessenen Freiraum<br />

erhalten. Sollen sie dabei auch <strong>auf</strong> Entdeckungen stoßen können, dann<br />

darf <strong>die</strong> Aufgabe nicht allzu begrenzt sein, sonst können <strong>die</strong> Lernenden<br />

90 POPPER sieht eine große Gefahr darin, falls <strong>die</strong>se Haltung „normal“ werden sollte,<br />

denn sie könnte <strong>die</strong> Kritikfähigkeit ersticken und das Entdecken neuer Wege<br />

verhindern (POPPER 1965, S. 53).<br />

188


nicht in <strong>die</strong> Problematik einer Sache eindringen, sondern bleiben an der<br />

Oberfläche 91 .<br />

Vorschläge zum „Forschenden Lernen“ machen <strong>die</strong> BAK und HUBER.<br />

Das „Forschende Lernen“ zeichnet sich danach durch folgende Kriterien<br />

aus:<br />

- „<strong>die</strong> selbständige Wahl des Themas durch den Forschenden<br />

(Lernenden), gleichgültig, ob ihm das Problem durch eigene Arbeit,<br />

Beratung, Diskussion oder Beobachtung bewußtgeworden ist;<br />

- <strong>die</strong> selbständige ,Strategie`, besonders <strong>die</strong> Entscheidung in der Auswahl<br />

möglicher Methoden, Versuchsanordnungen, Recherchen usw.; der<br />

Forschend-Lernende ist beraten, aber nicht vor Fehldispositionen und<br />

Umwegen geschützt;<br />

- das entsprechende unbegrenzte Risiko an Irrtümern und Umwegen<br />

einerseits, <strong>die</strong> Chance für Zufallsfunde, ,fruchtbare Momente’, unerwartete<br />

Nebenergebnisse andererseits;<br />

- <strong>die</strong> Notwendigkeit, dem Anspruch der Wissenschaft zu genügen, d. h.<br />

den Forschungsansatz mit Ausdauer und logischer Konsequenz bis zu einem<br />

(positiven oder negativen) Ergebnis durchzuhalten, <strong>die</strong> vorhandenen<br />

Kenntnisse und Instrumente zur Lösung des Problems in zureichendem<br />

Maße zu prüfen . . . usw.;<br />

- <strong>die</strong> Prüfung des Ergebnisses hinsichtlich seiner Abhängigkeit von<br />

Hypothesen und Methoden;<br />

- <strong>die</strong> Aufgabe, das erreichte Resultat so darzustellen, daß seine Bedeutung<br />

klar und der Weg zu ihm nachprüfbar wird.“ (Schriften der BAK 5, Bonn<br />

1970; zit. nach HUBER 1970, S. 230-231)<br />

Bedeutsam ist ferner, daß Kenntnisse und Fertigkeiten im „Forschenden<br />

Lernen“ im Verl<strong>auf</strong> und ad hoc hinzugelernt werden und nicht vorweg<br />

als Systeme anzueignen sind (vgl. HUBER 1970, S. 231).<br />

3.4. Einige Anmerkungen zu den Schwierigkeiten und Möglichkeiten<br />

der Anwendung der genetischen Lehrstrategie<br />

Die genetische Lehrstrategie wird in Schulen kaum angewandt. Unser<br />

Schulsystem fördert statt dessen <strong>die</strong> Anwendung der systemvermittelnden<br />

Lehrstrategie. Das liegt zum Teil an den Lehrplänen, <strong>die</strong> immer detaillierter<br />

und umfangreicher werden (vgl. <strong>die</strong> Kritik in 3.1.2.), zum Teil auch am<br />

Numerus clausus, den Normenbüchern und der ständig zunehmenden<br />

91 Daß <strong>auf</strong> <strong>die</strong>se Weise tatsächlich bedeutsame Ergebnisse zustande gebracht werden<br />

können, zeigen beispielsweise Wettbewerbe wie „Jugend forscht“.<br />

189


Verrechtlichung des Schulwesens 92 . Die Lehrer werden durch <strong>die</strong> Vielfalt<br />

der Bestimmungen verunsichert, - und sie entgehen am einfachsten<br />

etwaigen Unannehmlichkeiten, wenn sie sich strikt an <strong>die</strong>se (gut<br />

gemeinten) Richtlinien und Vorschriften halten. Die Verantwortlichkeit<br />

des Lehrers reduziert sich dadurch <strong>auf</strong> einen „Dienst nach Vorschrift“.<br />

Weitere Gründe für <strong>die</strong> fast ausschließliche Anwendung der<br />

systemvermittelnden Lehrstrategie sind <strong>die</strong> teilweise immer noch großen<br />

Klassen, <strong>die</strong> Vielzahl der Fächer, <strong>die</strong> Kurzstunden und vor allem der<br />

Glaube, Lernen bestehe in der Anhäufung von Wissen im Gedächtnis -<br />

obgleich jeder Lehrer, wenn er ehrlich ist, zugeben wird, daß das meiste<br />

des nach ,der systemvermittelnden Lehrstrategie Gelernten oft schon<br />

nach wenigen Wochen bis <strong>auf</strong> einige kümmerliche Überreste vergessen<br />

ist, falls es in der Zwischenzeit nicht wiederholt wurde.<br />

Derjenige Lehrer aber, der <strong>die</strong> genetische Lehrstrategie anwenden will,<br />

stößt <strong>auf</strong> Grund der oben genannten Bedingungen <strong>auf</strong> Schwierigkeiten.<br />

Dennoch scheint es möglich, wenigstens einen teilweise genetischen<br />

Unterricht zu geben. Zunächst sollte der Lehrer - so WAGENSCHEINS<br />

Rat (1975, S. 96) - nur mit einer Klasse beginnen; am besten mit einer<br />

Klasse, mit der er gut zurechtkommt, und in der er möglichst viele<br />

Doppelstunden hat, da der genetische Unterricht ja viel Zeit erfordert.<br />

Weiter muß der Lehrer Geduld entwickeln; er muß warten können, bis<br />

<strong>die</strong> Schüler verstanden haben (vgl. WAGENSCHEIN 1975, S. 96-97).<br />

Wenn er drängt und vorschnell <strong>die</strong> Ergebnisse vermittelt, dann sollte <strong>die</strong>s<br />

ein Alarmzeichen für ihn sein. Genetischer Unterricht ist in der<br />

Anfangsphase sehr leicht störbar. Solche Störungen können<br />

beispielsweise durch eine autoritäre Regelung von Disziplinproblemen als<br />

auch durch eine Haltung des laisser faire <strong>auf</strong>treten 93 oder dadurch<br />

entstehen, daß der Lehrer Argumente von Schülern nicht wirklich ernst<br />

nimmt (siehe 3.2.1.).<br />

Da bei Anwendung der erarbeitenden genetischen Lehrstrategie nur<br />

„wenig“ Stoff erarbeitet wird, kann der Lehrer zwischendurch, um den<br />

Lehrplan dennoch einigermaßen zu erfüllen, nach der darlegenden<br />

genetischen Lehrstrategie und nach der systemvermittelnden Lehrstrategie<br />

unterrichten. Denn wenn <strong>die</strong> Schüler <strong>auf</strong> Grund des erarbeitenden<br />

genetischen Unterrichts bereits tiefere Einblicke in einige Problembereiche<br />

eines Faches erzielt haben, dann - so darf man vermuten - können<br />

sie auch ein fertig vermitteltes System <strong>auf</strong> Grund ihrer schon erworbenen<br />

Einsichten besser verstehen. Der erarbeitende genetische Unterricht<br />

92 Zur Verrechtlichung des Schulwesens und zu den Folgen <strong>die</strong>ser Verrechtlichung<br />

siehe FLITNER 1977.<br />

93 Zur argumentativen Regelung von Konflikten siehe GORDON 1977.<br />

190


schafft - um ein Bild von WAGENSCHEIN (1974, S. 156) zu gebrauchen<br />

- <strong>die</strong> Pfeiler, zwischen denen systemvermittelnde Darlegungen ihre<br />

Bögen spannen.<br />

3.5. Zusammenfassung<br />

1. Lernen besteht im Lösen von Problemen. Welche Probleme den<br />

Lernenden gestellt werden, hängt zusammen mit verschiedenen<br />

Auffassungen vom Lehrstoff Wissenschaft. Die eine Auffassung betrachtet<br />

den Lehrstoff Wissenschaft als fertiges System von Theorien<br />

oder Lehrsätzen, <strong>die</strong> als Werkzeuge zur Lösung praktischer Aufgaben<br />

<strong>die</strong>nen, während <strong>die</strong> andere Auffassung den Lehrstoff Wissenschaft als<br />

eine Welt von Problemsituationen und Lösungsversuchen betrachtet<br />

(2.3.1. und 3.1.1.).<br />

2. Der instrumentalistischen Auffassung von Wissenschaft (Theorien als<br />

Werkzeuge) entspricht <strong>die</strong> systemvermittelnde oder technologische<br />

Lehrstrategie. Bei <strong>die</strong>ser Lehrmethode werden dem Lernenden Theorien<br />

als Fertigprodukte vorgegeben, <strong>die</strong> er als derzeit gültiges Ergebnis der<br />

Wissenschaft zu lernen und zur Lösung praktischer Probleme bzw. von<br />

Stu<strong>die</strong>n<strong>auf</strong>gaben anzuwenden hat.<br />

Der Vorteil <strong>die</strong>ser Lehrstrategie besteht darin, daß in kurzer Zeit relativ<br />

viel Wissen angeeignet werden kann, das für praktische Zwecke<br />

verwendbar ist. Nachteilig dagegen wirkt sich aus, daß <strong>die</strong> Lernenden das<br />

theoretische System, über dessen Entwicklung aus bestimmten<br />

Fragestellungen heraus sie nichts erfahren, nur unkritisch hinnehmen<br />

können (3.1.1.).<br />

3. Der Auffassung von Wissenschaft als einer Welt von Problemsituationen<br />

und Problemlösungen entspricht eine Lehrstrategie, bei d-er <strong>die</strong><br />

Lernenden mit der Entwicklung der Theorien in einem bestimmten<br />

Bereich vertraut gemacht werden, um ihnen Einsicht in den Prozeß der<br />

Wissenschaft zu geben. Die Anwendung der Theorien erfolgt mit dem<br />

Ziel, ihre Wahrheit bzw. Falschheit an der Wirklichkeit zu überprüfen,<br />

und um praktische Probleme zu lösen.<br />

Ein Nachteil <strong>die</strong>ser Lehrstrategie ist, daß <strong>auf</strong> <strong>die</strong>se Weise nur relativ<br />

wenig an Lehrstoff vermittelt werden kann. Von Vorteil ist dagegen, daß<br />

<strong>die</strong> Schüler kritisches, wissenschaftliches Denken lernen. Zudem löst <strong>die</strong><br />

vertiefte Einarbeitung in einen Problembereich eine Vielzahl neuer<br />

Fragen aus, <strong>die</strong> das Interesse der Lernenden stets <strong>auf</strong>s Neue wecken<br />

können (3.1.1.).<br />

191


4. Wenn der Lehrstoff Wissenschaft nur als fertiges und anzuwendendes<br />

System dargestellt wird, muß Schülern und Stu<strong>die</strong>nanfängern <strong>die</strong>ses<br />

System als mehr oder weniger willkürlich erscheinen. Jede subjektiv<br />

empfundene Willkürlichkeit und Uneinsichtigkeit hemmt aber <strong>die</strong><br />

Motivation, da Willkürliches <strong>auf</strong> keine sinnvolle Art und Weise in das<br />

vorhandene Wissen integriert werden kann, und damit auch keine<br />

Bestätigung, Korrektur oder Erweiterung des bestehenden Wissens des<br />

Lernenden ermöglicht.<br />

Interesse an der Sache kann geweckt und erhalten werden durch eine an<br />

Problemen orientierte, einsichtige Darstellung des Lehrstoffes, durch<br />

Verständlichkeit und Vielseitigkeit (oder Beziehungshaltigkeit) der<br />

Argumentation (3.2.1. bis 3.2.4.).<br />

192


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PERSONENREGISTER<br />

Bei Literaturangaben mit mehreren Autoren ist jeweils nur der erstgenannte<br />

Autor erwähnt.<br />

Adams, J. A. 30 Britton, J. 35, 116<br />

Adams, J. K. 64 Bussmann, H. 90<br />

Aebli, H. 19, 34, 35, 46, 47, 129,<br />

130, 133, 175, 180, 181, 184 Campbell, D. T. 24<br />

Ainsworth, M. D. 71 Carmichael, L. 35<br />

Albert, H. 126, 139 Carroll, J. B. 164, 165<br />

Anderson, R. C. 124 Castelnuovo, E. 102, 155, 160<br />

Anger, H. 138 Castelnuovo, G. 155<br />

Anochin, P. K. 75 Chomsky, N. 18<br />

Argyle, M. 18 Clark, L. V. 42<br />

Aristoteles 9, 97, 102, 122, 168, 169 Cofer, C. N. 46<br />

Atkinson, J. W. 48 Collins, A. M. 39<br />

Ausubel, D. P. 19, 76, 79 Correll, W. 46, 48, 136<br />

Averbach, E. 30 Crannell, C. W. 35<br />

Crowe, D. P. 138<br />

Baddeley, A. D. 20, 30, 37, 39, 44 Cube, F. v. 8, 11, 41, 44, 53, 55, 62, 86,<br />

127, 129, 156, 158, 161<br />

Ball, W. 18 180<br />

Bartlett, F. C. 33, 35, 67 Czinczoll, B. 152<br />

Beard, R. 8, 34<br />

Becker, E. 94, 181 Dalton 181<br />

Bergius, R. 67 Day, E. D. 64<br />

Berlyne, D. E. 53-57, 66 Dember, W. N. 64<br />

Bertalanffy, L. v. 49 Demling 8<br />

Betz, D. 33 Der Spiegel 51<br />

Bexton, W. A. 60, 61 Dewey, J. 10, 64, 66, 67<br />

Biel, W. C. 64, 65 Dick, O. 153<br />

Blättner, F. 105 Diesterweg, F. A. W. 165, 170<br />

Bloom, B. S. 34, 133 Doerfert, F. 166<br />

Boguslaw, R. 137 Dörner, D. 18, 20, 37, 45, 67, 73<br />

Bower, T. G. 18 Dreeben, R. 138<br />

Bower, G. H. 9, 71, 74 Dröscher, V. 70, 71<br />

Brenneke, R. 89, 98 Duncker, K. 67, 68<br />

Brion, M. 99 Dwyer, F. M. 166<br />

205


Eden 25 Halle, M. 25<br />

Edison 186 Hansen, W. 19, 66<br />

Eibl-Eibesfeldt, 1. 18 Harlowe, H. F. 47<br />

Eccles J. C. 28 Hayakawa, S. J. 158<br />

Eigen, hl. 161 Heckhausen, H. 47, 48, 55, 61, 144<br />

Einstein, A. 75, 86, 97, 98, 132, 171 Hegel, G. W. F. 99, 122<br />

Eliade, B. 181 Heidegger, M. 165<br />

Eriksen, C. W. 30, 64 Heider, F. 21, 57<br />

Euklid 96, 182-183 Heisenberg, W. 87<br />

Euler, L. 176 Hempel, C. G. 129<br />

Ewert, O. 138, 139 Hentig, H. v. 121<br />

Herbart, J. Fr. 10, 147<br />

Hermes, E. 121<br />

Fend, H. 50 Hildesheimer W. 26<br />

Festinger, L. 21, 53, 57 Hilgard, E. R. 9, 35, 71, 74<br />

Fischer, A. 32 Hilligen, W. 108<br />

Flechsig, K.-H. 121 Hoffman, A. 183<br />

Flekatsch, E. 117-121, 178 Holmberg, B. 181<br />

Flitner, A. 189 Horn, J. 51<br />

Flügge, J. 180 Hubel, D. H. 18<br />

Foppa, K. 33-35, 64, 65, 74-77 Huber, L. 189<br />

Forgus, R. H. 35 Hull, C. L. 46<br />

Frase, L. T. 165 Hume, D. 18, 122, 123<br />

Freinet, C. 181 Hutt, C. 56<br />

Freudenthal, H. 8, 9, 93, 105, 109,<br />

118, 171, 175, 177 Jackson, P. 138<br />

Frey, K. 34 Jahnke, J. 18, 138<br />

Fritsch, A. 121 Jaxtheimer, B. W. 79<br />

Johnson, D. M. 67, 76<br />

Jones, A. 47<br />

Gagné R. M. 34, 90-92, 168<br />

Galilei, G. 9, 97<br />

Galperin, P. J. 43 Kabylnizkaja, S. L. 43<br />

Gärtner-Harnach, V. 59 Kaltschmid, J. 7, 127<br />

Gebhardt, J. 186 Kant, 1. 122, 123, 141<br />

Gibson, E. J. 18 Karaschewski, H. 109, 153, 159-161<br />

Goethe, J. W. v. 119 Karsten, A. 60<br />

Gombrich, E. H. 32, 87, 99 Katona, G. 35<br />

Gordon, Th. 142, 190 Keller, F. S. 181<br />

Goya, F. 99 Keller, M. 50<br />

Gray, J. 59 Kelley, H. H. 21<br />

Greenspoon, J. 64 Kelly, G. A. 49, 55<br />

Griff in, A. F. 108 Kepler 75<br />

Groeben, N. 164, 165 Kerschensteiner, G. 9, 10, 66, 103,<br />

Grossman, S. P. 53 106<br />

Guilford, J. P. 38, 76 Kintsch, W. 18, 39<br />

206


Guyer, W. 66, 67, 173, 175 Klare, G. R. 164<br />

Guthrie, E. R. 71 Klauer, K. J. 88, 124<br />

Klaus, G. 41 Napoleon 99<br />

Klausmeier, H. J. 46, 76, 78 Neisser, U. 17, 20, 24, 25, 27, 28,<br />

Klein, F. 102, 105, 106 30, 32, 33, 35-38, 40, 53, 67, 78<br />

Klix, F. 74, 75 Neubauer, W. E. 18<br />

König, F. 79 Newell, A. 76, 79<br />

Kornadt, H.-J. 35 Newton 123, 170, 176<br />

Krause, R. 77 Nickel, H. 18<br />

Krieger, R. 56 Niepze, J. H. 186<br />

Norman, D. A. 33, 39<br />

Laing, R. D. 18 Odenbach, K. 179, 180, 182<br />

Lambacher 108 Oerter, R. 20, 45, 67, 73, 78, 79<br />

Langer, 1. 165, 166 OetoinBer E. 130<br />

Lambis, J. 181 Otto, B. 9<br />

Landa, L. N. 89 Oxendine, J. B. 42<br />

Lazarus, R. S. 59<br />

Leibniz 176<br />

Lenneberg, E. H. 18 Parreren, C. F. v. 76, 138<br />

Lewin, K. 58, 137, 138 Pawlow 74, 75<br />

Lind, G. 148 Peterson, L. R. 30<br />

Lindsay, P. H. 18 Piaget, J. 19, 53<br />

Locke, J. 16 Picasso, P. 99, 187<br />

Luchins, A. S. 29, 80, 178 Planck, M. 81, 107<br />

Lurija, A. R. 20, 45 Platon 99, 122-124<br />

Poincare, R. 186<br />

Pollack, 1. 30<br />

McFarlane, D. A. 72 Polya, G. 176<br />

Mach, E. 90, 106, 107 Popper, K. R. 7-12, 15, 17-20, 22,<br />

Mager, R. F. 124, 125, 128 28, 32, 33, 37, 45, 53, 63, 67, 70,<br />

Maier-Leibnitz, H. 8 73, 75, 78, 80, 82, 85-87, 97, 99,<br />

Mantell, D. M. 141 100, 101, 103-105, 107, 110, 112,<br />

Mason, W. A. 55 115, 116, 122-124, 126-129, 132,<br />

Masserman, J. H. 46 133, 139, 142, 143, 145, 146, 153,<br />

McClelland, D. E. 47 156-159, 164, 168, 169, 171, 172,<br />

McLaughlin, B. 64 187, 188<br />

McNeill, D., 18, 116, 120<br />

Mednick, S. A. 77 Quillian M. R. 39<br />

Menzel, E. W. jr. 55 Quinn, E. 99, 187<br />

Messner, R. 35, 128<br />

Meyer, W.-U. 57<br />

Milgram, St. 140, 141 Rathgeber, W. 131<br />

Miller, N. E. 46 Reichenbach, H. 122, 123<br />

Miller, G. A. 53, 69, 77 Rein, W. 10<br />

Möller, Ch. 125, 126 Richter, H. E. 138, 140<br />

Moll-Strobel, H. 58 Robinson, F. P. 180<br />

207


Mondrian 111 Rohracher, H. 57<br />

Montessori, M. 10 Rosenberg, M. J. 20, 57<br />

Mozart, W. A. 26 Roth, H. 95, 149<br />

Myrdal, G. 126, 127 Rumelhart, D. E. 18<br />

Rumpf, H. 35, 93, 104, 108, 150, Thurner, F. 59<br />

151 Toeplitz, 0. 102, 105, 106, 109<br />

Russell, B. 96, 109 Tolman, E. C. 73<br />

Tolstoi, L. 157, 158<br />

Topitsch, E. 19, 20<br />

Savigny, E. v. 168 Torrance, E. P. 76<br />

Seiffge-Krenke, 1. 76, 78, 79, 80 Travers, R. M. W. 66, 72, 76<br />

Seiler, Th. B. 18 Tritthart, H. 30<br />

Seisenberger, G. 35, 66<br />

Selz, O. 67 Vernon, M. D. 18, 24, 26, 54, 61<br />

Sheldon A. B. 55 Volkamer, M. 42<br />

Simon, K. H. 30<br />

Sinz, R. 18<br />

Skinner, B. F. 46, 49, 53, 71, 128, Wagenschein, M. 8, 9, 11, 19, 23,<br />

144 89, 90, 94, 97, 102, 104, 105, 107,<br />

Sokrates 104, 171 108, 125, 142, 151, 152, 154, 155,<br />

Solley, C. M. 28 163, 170, 182<br />

Solomon, R. L. 72 Waismann, F. 109<br />

Sommer, 1. 76 Walcher, K. P. 166<br />

Sperling, G. 30 Wallace, P. 73<br />

Székely, L. 138 Walter, H. 50<br />

Schachter, S. 59 Watt, J. 79, 186<br />

Scheidemann 150 Weiner, B. 57<br />

Schiefele, H. 46, 138, 180-182 Weninger, J. 148<br />

Schmid, B. A. 180 Weltner, K. 89, 181<br />

Schnabl, H. 33 Wertheimer, H. 9, 35, 67, 97, 107<br />

Schott, F. 88 West, L. J. 43<br />

Schroder, H. M. 18 Weyl, H. 161<br />

Schulz-Hageleit, P. 35 Whitehead, A. N. 95<br />

Start, K. B. 42 Wilson, E. O. 17<br />

Steiner, G. 39, 91 Wittenberg, A. 1. 95, 100, 102, 105,<br />

Steinhaus, M. 181 109, 110-115, 128, 161, 162, 183,<br />

Stöcker, K. 175, 180 190, 191<br />

Teschner, M. 94 Yarnell, P. 29<br />

Thomas, E. L. 180<br />

Thompson, R. F. 30 Zener, R. 74<br />

Thorndike, E. L. 42, 64 Zigler, E. 50<br />

208


SACHVERZEICHNIS<br />

Affekt 21; siehe auch: Angst;<br />

Begriff<br />

Aktivation Definitionen von -en, 168-171;<br />

Aktivation, Aufmerksamkeit u.<br />

- und systemvermittelnde Lehr<br />

Leistung; Aktiviertheit 53-54, 56, strategie 88, 92<br />

58 ff., 82, 137-138 Belohnung u. Bestrafung 46-49,<br />

Algorithmen 89-90, 183 57-58, 71, 136-142, 144-145;<br />

Analogien (Isomorphien) 159-160; siehe auch: Motivation<br />

siehe auch: Beziehungshaltigkeit Bewußtsein (bewußtes Selbst)<br />

Analyse durch Synthese 24 f., 63, 28, 36, 39, 50, 68<br />

67 f., 72, 82; siehe auch: Rück- Beziehungshaltigkeit (Beziehungen,<br />

kopplung Bezugsrahmen) 37, 40, 111, 147,<br />

Angst 59, 80 156 ff., 175;<br />

Anschauungsmittel 166-168<br />

- durch Analogien und<br />

Arbeitsgedächtnis; siehe: Gedächtnis Isomorphien 159-163;<br />

Argument, Argumentation 136 ff. - und Isolation 157-158;<br />

Assoziation, (-stheorie) 70 ff., 76-78, -, Kreativität u. Transfer 79, 156,<br />

90-91; siehe auch: Lernen; Moti- 159<br />

vation<br />

Motivierung durch -, 136, 156 ff.<br />

Aufmerksamkeit, (-smechanismen) Bildung 10, 125-12-6<br />

26 f.;<br />

-, Aktivation u. Leistung 58 ff. Chemieunterricht 148-149<br />

Alltagstheorie der-, 136;<br />

Curriculum; siehe: Lehrziele<br />

Begrenzung der -, 26;<br />

- und Erinnerung 36-39; Deutschunterricht 152, 179<br />

- und Kreativität 186; Dispositionen; siehe: kognitive<br />

- und Lernen 63 ff.; Strukturen, angeborene -<br />

- und Neuheit 55-56, 75, 147; Dogmatismus, dogmatisch 93, 144,<br />

159, 172<br />

- und bedingter Reflex 74;<br />

Steuerung der -, 25 ff., 50, 55-56,<br />

59, 65 Einstellung, Haltung<br />

Auswendiglernen 17, 69-70, 179 kritische bzw. rationale -, 20, 101,<br />

Autorität 105, 135, 141, 145 134, 139, 145, 185;<br />

politisch-soziale -, 115 Anm. 32<br />

Bedeutung, Bedeutsamkeit 15, 24, Entdeckung, Wieder-, 110, 184 ff.;<br />

59, 65-66, 75, 82 - und Kritikfähigkeit 187-188;<br />

Bedürfnis; -reduktionsrheorie 46 ff., - und Lehrstrategien 188;<br />

209


136-137 Lernen durch -,184-185;<br />

Maßnahmen zur Förderung Hochschulunterricht 8 Anm. 4,<br />

von -, 188-189 105-106, 109 Anm., 130-131,<br />

Lernen durch -,184-185 153,181,188<br />

Erinnerung 32 ff.;<br />

- im Modell der Informations- Individualisierung 142<br />

verarbeitung 37-38; Interaktion 50, 54-55, 82-83<br />

- als konstruktiver Prozeß 35-37; Isomorphien; siehe: Beziehungs<br />

- und Wahrnehmung 39-40; haltigkeit<br />

- und Wiedererscheinungstheorie<br />

33-35<br />

Erwartung(en) 15, 18-19, 27-28, 72, kognitive Strukturen<br />

111, 148 angeborene -,17-18,<br />

120 Anm. 38;<br />

Aufbau von - durch Lehr-<br />

Forschung 8, 15, 97;<br />

strategien 22-23, 85 f.;<br />

- und Lehre 8 Anm. 3 Differenzierung und Integration<br />

Freiheit des Menschen von - (Entwicklung von -;<br />

- des Denkens 52, 146; Lernen als Erwerb von -) 16-23,<br />

Einschränkung der -, 132, 138 40, 52-54, 63, 79-80, 132-134;<br />

Fremdsprachen - und Behalten 40, 94-95, 104,<br />

genetische Lehrmethode des 132;<br />

-Lernens 118-121<br />

- und Fremdsprachenunterricht<br />

systemvermittelnde Lehrmethode 116-117, 119;<br />

des-Lernens 117-118 - und Mathematik 111;<br />

Lernen von -, 115-121 - bei Mensch und Tier 19-21;<br />

-, Transfer und Kreativität 76,<br />

79-80, 156, 159;<br />

Gedächtnis - und Verhaltenssteuerung 21-22,<br />

Alltagstheorie des -ses 12; 38, 49 ff., 52-53, 82, 136;<br />

Arbeits- 29, 38, 50, 68; - und Wahrnehmung 19-21, 25,<br />

- und Bewußtsein 35 Anm. 35; 111<br />

- und Erinnerung 32 ff.; Komplexität des Lehrstoffes;<br />

assoziationstheoretische -theorie siehe: Beziehungshaltigkeit<br />

33-34; Kontiguität (-stheorie) 70 ff.;<br />

informationspsychologische <strong>die</strong> Funktion von -, 72-73;<br />

-theorie 33 Amn. 27; Probleme der -, 70-72<br />

Kübeltheorie des -ses 33; Kreativität und Transfer 76 ff., 156,<br />

Kurzzeit- 29-31; 159, 186; - und Aktivation 56;<br />

Langzeit- 29, 40, 42, 44, 50, 63; Bedingungen von -, 79-81;<br />

Wiedererscheinungstheorie des<br />

- und Beziehungshaltigkeit<br />

-ses 33-35 156-157, 159<br />

genetische Methode; Erklärungen von -, 76-79;<br />

siehe: Lehrstrategie<br />

- und präattentative Konstruk-<br />

Geographieunterricht 151-152, tionen 38, 69, 78;<br />

181-182 - bei niederen Organismen 81-82<br />

210


Geschichtsunt. 108 Anm. 29, 150-151 Kritik (kritisch) 20, 56, 67-68,<br />

Gleichgewicht 52, 82; siehe auch: 80-81, 101, 103-105, 154, 155,<br />

regulative Kriterien 187-188;<br />

- in der Kunst 187; - und das Ziel des Verstehens<br />

- und Motivation 56, 154; 102, 134-135;<br />

- und Problemlösen 67-68; Wachstum des Wissens als<br />

- und Rationalismus 145-146, Begründung der -, 97-101<br />

172; Lehrstrategie, systemvermittelnde -,<br />

- und Sprache 20; 7-8, 88-89;<br />

- und Verständlichkeit 172; Algorithmen als eine Form der -,<br />

-fähigkeit und Entdeckung 89-90;<br />

187-188; Anwendung der -: 96;<br />

Maßstäbe der -, 187<br />

im Mathematikunterricht<br />

Kunst 87, 99 Anm. 16, 187 108-109;<br />

Kurzzeitgedächtnis;<br />

im Fremdsprachenunterricht<br />

siehe: Gedächtnis 117-118;<br />

im Philosophiestudium<br />

Langzeitgedächtnis; 122-123;<br />

siehe: Gedächtnis Begründung der -, 90-93;<br />

Entdeckung und -, 188;<br />

Lehrmethode; siehe: Lehrstrategie Folgen der -, 93-96;<br />

Lehrstoff 85-87;<br />

- und Rahmenrichtlinien des<br />

- und operationalisierte Lehrziele Fremdsprachenunterrichts 121;<br />

124-125, 131-132; - und Schulsystem 189;<br />

- als Welt von Problemen 86-87, darbietende Verfahren bei -, 177;<br />

97-101; erarbeitende Verfahren bei -,<br />

- aus Sicht der S-R-Theorien 183-184;<br />

90-91 ; - und Vorwissen 177;<br />

- als System 86, 88-89 Ziel der -, 88, 96<br />

Lehrstrategie genetische (problem- Lehrverfahren; siehe: Entdeckung;<br />

entwickelnde) -, 9-10, 101-104;<br />

Nachvollzug; Übung<br />

Anwendung der -:<br />

Lehrziele (Lernziele) 124 ff.;<br />

im Fremdsprachenunterricht - und Ausarbeitung von Lehr<br />

118-121; strategien 125-126;<br />

im Mathematikunterricht Zweck-Mittel-Verhältnis von -<br />

109-115; und Lehrstrategien 126-127;<br />

im Philosophiestudium<br />

behavioristische Lerntheorie<br />

123-124; und -,34;<br />

- und Motivierung durch Kritik der Operationalisierung<br />

Argumente 143-144; von -, 127-132;<br />

- und Motivierung durch das - Verstehen 132-135<br />

Probleme 146-152, 1.54; Leistung und Aufmerksamkeit 57,<br />

- und moralische Bildung 10; 58 ff., 137-138;<br />

Entdeckung und -, 188; - bei hoher Aktivation 59;<br />

Geschichte der -, 104-107; - bei mittlerer Aktivation 61-62,<br />

darbietende Lehrverfahren bei -,175-177; - bei niederer Aktivation 60-61<br />

211


erarbeitende Lehrverfahren bei -, Leistungssteigerung 41 f.<br />

182-183; - durch äußere Rückkopplung<br />

Probleme der Anwendung der - 43-45<br />

in der Schule 189;<br />

- durch innere Rückkopplung<br />

- und Übungs<strong>auf</strong>gaben 114; 41-43<br />

Leitprogramme 181 - durch Lohn und Strafe 46,<br />

Lernen (Lernprozeß)<br />

48-49, 57-58, 136 ff.;<br />

Alltagstheorie des -s 7-8, 12;<br />

- durch Probleme 146 ff.;<br />

Aufmerksamkeit und -, 63-66; - durch bevorstehende Prüfungen<br />

Auswendig-, 17, 34-35, 69-70, 137-138;<br />

179; Situationsvariablen der -, 55-56;<br />

- und Erkenntnis 9-10, 62-63; Auswirkung starrer und<br />

forschendes -, 188; plastischer Steuerung <strong>auf</strong> <strong>die</strong> -,<br />

inzidentelles -, 64-65; 154-155;<br />

<strong>die</strong> Funktion von Kontiguität und Tätigkeitsvariablen der -, 56-57;<br />

Verstärkung beim -, 70-75; kognitive Theorie der -, 21-22,<br />

- bei Mensch und Tier 19-20; 25-28, 49 ff.;<br />

- als Ordnungsgewinn 62 Anm. - durch Verständlichkeit 163 ff.;<br />

73; - durch Verstärkungen 46-49,<br />

- als Problemlösen 66-70; 136 ft.<br />

Anwendung der Reiz-Reaktions- Operationalisierung; siehe: Lehrziele<br />

Theorie des -s 90-91;<br />

- als Anhäufung von Wissen 7-8, Philosophie 122-124<br />

12, 16-17, 90-91; Physik 86, 92, 97-98, 170<br />

siehe auch: Entdeckung;<br />

präattentative Mechanismen 27 f.,<br />

Nachvollzug; Übung 36 f., 42 f., 50 f., 68-69, 78-79,<br />

Lernhandlungen; siehe: 82, 121, 174, 179, 186<br />

Entdeckung; Nachvollzug; Übung Problemlösen 66 ff.;<br />

Lernstufen, Auswendiglernen als -, 69-70;<br />

Gagnésche, 34, 90-91 bedingter Reflex als -, 74-75;<br />

Lohn und Strafe; siehe: Motivation Funktion von Verstärkung und<br />

Kontiguität beim -, 72-73;<br />

Lernen als -, 69-70<br />

Maschinenschreiben 43 programmierter Unterricht 180-181<br />

Mathematik 105-106, 108-115, Projekte (Vorhaben) 181<br />

159-162, 171 Psychoanalyse 158<br />

Motivation, Motivierung 45 f.,<br />

135 f.; Rationalismus,<br />

- und ständige Aktiviertheit Ir-, 172;<br />

53-55; kritischer -, 11, 145-146, 172;<br />

Alltagstheorien der -, 13, 136; Pseudo-, 145<br />

- durch Argumente 136 ff.; Redundanztheorie 55 Anm.,<br />

Bedürfnisreduktionstheorien<br />

62 Anm.<br />

der -, 46-47, 136-137;<br />

Reflex,<br />

- durch Beziehungshaltigkeit bedingter -, 74-75<br />

156 ff.; regulative Kriterien 22, 52-53, 126<br />

212


- und Freiheit des Individuums Rückkopplung 41 ff.;<br />

52; - bei automatisch und <strong>auf</strong>merksam<br />

Kritik als - 154; gesteuerten Prozessen 43-44<br />

und genetische Lehrstrategie<br />

143-144, 148-152; Sport 42, 87<br />

Leistungs-, 47-48, 57, 144 Anm. Sprache 20, 37, 45, 73, 115-121,<br />

62; 165-166<br />

System; siehe: Lehrstrategie, - und Kritik 172;<br />

systemvermittelnde - - und kritischer Rationalismus 172;<br />

Technik (und Wissenschaft) 87 - von Texten 164-166<br />

Transfer; siehe: Kreativität<br />

Traum 39-40<br />

Verstärkung(-stheorie);<br />

siehe: Motivation; Lernen<br />

Verstehen; siehe: Lehrziele<br />

Übung 177 ff.;<br />

- bei genetischer Lehrstrategie Wahrnehmung 23 ff.;<br />

183-184; Alltagstheorie der -, 12;<br />

- bei systemvermittelnder Lehr- - als Analyse durch Synthese<br />

strategie 182-183; 24-25;<br />

Lernen durch -, 177-179; Funktionen der -, 31-32;<br />

Verfahren zur Steuerung der -, - als Schablonenvergleich 24-25;<br />

179-182; - und Erinnerung 38-40;<br />

- unter wechselnden Aspekten selektive -, 25-29<br />

178-179; Wiederholung<br />

- und Wiederholung 177-178 (beim Lernen) 34, 69-70, 178<br />

Unterricht; siehe: Lehrstrategie<br />

Wissenschaft<br />

Erziehungs- und Verantwortung<br />

Veranschaulichungen; 11-12<br />

siehe: Anschauungsmittel - und Definitionen 168-169, 171<br />

Verständlichkeit, Motivierung Anm. 83 u. 84;<br />

durch -, 163 ff.;<br />

- und genetische Lehrstrategie<br />

- durch Anschauungsmittel 9-10 22-23, 102, 106, 110, 149;<br />

166-168; - und Technik 87;<br />

- durch Definition von Begriffen Wachstum der -, 9, 17, 22-23;<br />

168-171; wertfreie - (Dualismus von<br />

- und wissenschaftlicher Fort- Werten und Tatsachen) 11-12,<br />

schritt 164; 22, 126-127<br />

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