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Offenen Brief an die Regierung

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An<br />

- <strong>die</strong> Präsidentin und <strong>die</strong> Vizepräsidenten des BRK<br />

- den L<strong>an</strong>desvorst<strong>an</strong>d des Bayerischen Roten Kreuzes<br />

- <strong>die</strong> L<strong>an</strong>desausschüsse der BRK-Gemeinschaften<br />

- <strong>die</strong> Vorstände der BRK Bezirks- und Kreisverbände<br />

- das Bayerische Staatsministerium des Innern<br />

- Ausschuss für kommunale Fragen und innere Sicherheit<br />

im Bayerischen L<strong>an</strong>dtag<br />

- Ausschuss für Staatshaushalt und Fin<strong>an</strong>zfragen im<br />

Bayerischen L<strong>an</strong>dtag<br />

- Kommunalen Spitzenverbände<br />

- <strong>die</strong> L<strong>an</strong>despressestelle des BRK<br />

Katastrophenschutz<br />

Ihr Schreiben vom Ihr Zeichen Bearbeiter/in Telefon Telefax Datum<br />

Hr. Cermak 089/9241-1345 089/9241-1485 Juli 2004<br />

Der Terror rückt näher<br />

Offener <strong>Brief</strong> des Katastrophenschutzbeauftragten des Bayerischen Roten Kreuzes<br />

Der verheerende Anschlag in Madrid, <strong>die</strong> Erpressung des Staates Fr<strong>an</strong>kreich durch<br />

terroristische Zellen, das gepl<strong>an</strong>te Attentat auf Alt-Bundespräsident Rau, sowie <strong>die</strong> in<br />

jüngster Verg<strong>an</strong>genheit verübten Anschläge auf s.g. „weiche Ziele“ lassen befürchten,<br />

dass auch Deutschl<strong>an</strong>d demnächst Ziel solcher Attentate werden könnte.<br />

Die Aussage des zuständigen Innenministers, wonach Bayern hierfür gut vorbereitet sei,<br />

mag für den Präventionsbereich für <strong>die</strong> Polizei und <strong>die</strong> Nachrichten<strong>die</strong>nste gelten, sicher<br />

aber nicht für <strong>die</strong> s.g. „nichtpolizeiliche Gefahrenabwehr“, zu der insbesondere der<br />

S<strong>an</strong>itäts- und Betreuungs<strong>die</strong>nst der Hilfsorg<strong>an</strong>isationen zählen.<br />

Richtig ist, dass <strong>die</strong> Bürgerinnen und Bürger nicht gegen alle auftretenden Gefahren<br />

hundertprozentig geschützt werden können. Wenn aber im Vorfeld einer - hoffentlich nie<br />

eintretenden - Katastrophensituation sehenden Auges von staatlicher Seite keinerlei<br />

Anstrengungen unternommen werden, auch für den S<strong>an</strong>itäts- und Betreuungsbereich<br />

Vorsorge zu treffen, ist <strong>die</strong>s unver<strong>an</strong>twortlich.<br />

Die Kapazitäten des Rettungs<strong>die</strong>nstes werden in einem Großschadensfall relativ schnell<br />

erschöpft sein, da Personal und Fahrzeuge hierfür nur in unzureichendem Umf<strong>an</strong>g zur<br />

Verfügung stehen. Unterstützend müssen Einheiten des Katastrophenschutzes eingesetzt<br />

werden. Damit sind erhebliche Probleme verbunden:


Ì Um <strong>die</strong> Patienten schnellstmöglich versorgen und in <strong>die</strong> umliegenden Kr<strong>an</strong>kenhäuser<br />

tr<strong>an</strong>sportieren zu können, muss auf das vorh<strong>an</strong>dene Fahrzeugpotential der<br />

Hilfsorg<strong>an</strong>isationen zurückgegriffen werden.<br />

In erster Linie stehen Viertragen-Kr<strong>an</strong>kentr<strong>an</strong>sportwagen (KTW4) des Bundes zur<br />

Verfügung, <strong>die</strong> 20 und mehr Jahre alt sind. Aufgrund der nicht vorgenommenen<br />

Ersatzbeschaffung fehlen zudem in Bayern bereits 60 Stück, sodass <strong>die</strong><br />

Tr<strong>an</strong>sportkapazität erheblich eingeschränkt ist.<br />

Als Ergänzung werden den Hilfsorg<strong>an</strong>isationen ausgesonderte Fahrzeuge des<br />

Rettungs<strong>die</strong>nstes <strong>an</strong>geboten, <strong>die</strong> mindestens 180.000 km Fahrleistung „auf dem<br />

Buckel“ haben. Diese Fahrzeugtypen stehen aufgrund des hohen Alters maximal noch<br />

mittelfristig bereit. Den Hilfsorg<strong>an</strong>isationen selbst stehen für Ersatzbeschaffungen<br />

keine Mittel zur Verfügung. Der Freistaat Bayern beruft sich seit Jahren darauf, dass<br />

der Bund seiner Verpflichtung der Fahrzeugneubeschaffung völlig unzureichend<br />

nachkommt. Er lässt aber dabei völlig außer Acht, dass der Bund <strong>die</strong>se Fahrzeuge als<br />

reine „Ergänzung“ der – nicht vorh<strong>an</strong>denen - Fahrzeugflotte des friedensmäßigen<br />

Katastrophenschutzes zur Verfügung stellen muss. Dem Freistaat Bayern, der<br />

eigentlich dafür zuständig ist, war es jedoch seit den späten 80er Jahren nicht<br />

möglich, nach Abschaffung der so gen<strong>an</strong>nten „Bayerischen S<strong>an</strong>itätszüge“ neue<br />

Kr<strong>an</strong>kentr<strong>an</strong>sportfahrzeuge für den Katastrophenschutz zu beschaffen!<br />

Ì Für den Betreuungs<strong>die</strong>nst, der <strong>die</strong> von einem Großschadensfall Betroffenen versorgt<br />

und betreut, sind zum Tr<strong>an</strong>sport der mobilen Feldkochherde Betreuungs-LKW des<br />

Bundes vorgesehen. Insgesamt sollten in Bayern seit 1997 davon 126 stationiert sein.<br />

Tatsache ist, dass tatsächlich nur 10 <strong>die</strong>ser Fahrzeuge ausgeliefert, aber 126<br />

Feldkochherde (FKH) zu tr<strong>an</strong>sportieren sind. Hilfsweise werden zum Ziehen der FKH<br />

in einigen Kreisverbänden Traktoren (!) eingesetzt, da auch <strong>die</strong> so gen<strong>an</strong>nte<br />

Platzhalterfahrzeuge (Arzttruppfahrzeug mit Anhängerkupplung) inzwischen meist<br />

nur noch Schrottwert haben. Für den Tr<strong>an</strong>sport des Personals mit ihrem<br />

umf<strong>an</strong>greichen Equipment zum Betreiben der Betreuungsstellen sind insgesamt 189<br />

Kombis vorgesehen. Auch davon sind nur noch wenige – leider uralte – Fahrzeuge<br />

vorh<strong>an</strong>den. 58 Stück zum Tr<strong>an</strong>sport von je 6 Helfern (gesamt = 348 Helfern) fehlen<br />

komplett!<br />

Ì Unsere ehrenamtlichen Helfer sind hoch motiviert und gut ausgebildet - leider aber<br />

nur für Einsätze, <strong>die</strong> nicht in Bereich des ABC-Schutzes fallen. Jedoch von <strong>die</strong>sem<br />

Bereich gehen massive terroristische Gefahren aus. Auf den in Jord<strong>an</strong>ien gerade noch<br />

verhinderten Anschlag Ende April sei hier hingewiesen. Im Falle eines solchen<br />

Szenarios wären <strong>die</strong> Helferinnen und Helfer des S<strong>an</strong>itäts<strong>die</strong>nstes in der Situation,<br />

aufgrund der Kontamination der Verletzen nicht helfen zu dürfen und nicht helfen zu<br />

können.<br />

Zum Eigenschutz der Helferinnen und Helfer stehen weder entsprechende<br />

persönliche Ausrüstungsgegenstände bereit, noch verfügen <strong>die</strong> Kräfte der<br />

Hilfsorg<strong>an</strong>isationen über entsprechende Ausbildungen.<br />

Die Versorgung und Dekontamination eines Patienten dauert, abhängig vom<br />

Schweregrad der Verletzung, etwa 20 Minuten. Erst d<strong>an</strong>ach k<strong>an</strong>n eine weitere, vom<br />

Patienten ausgehende Gefährdung des Umfelds (Personal, Kr<strong>an</strong>kenhaus, etc.)<br />

ausgeschlossen und der Tr<strong>an</strong>sport durchgeführt werden. M<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n leicht<br />

hochrechnen, wie l<strong>an</strong>ge <strong>die</strong>ser Vorg<strong>an</strong>g bei einer großen Zahl von schwerverletzten<br />

Patienten dauert, auch wenn dazu mehrere „Schleusen“ eingerichtet sind. Von wem –<br />

und womit - werden <strong>die</strong>se Patienten in den „sauberen“ Bereich, der vielleicht<br />

kilometerweit von der eigentlichen Schadenstelle entfernt ist, und wo <strong>die</strong><br />

Kr<strong>an</strong>kenfahrzeuge der Hilfsorg<strong>an</strong>isationen Aufstellung genommen haben, gebracht?<br />

Auch <strong>die</strong> Feuerwehren werden hier schnell <strong>an</strong> ihre Grenzen stoßen.


Ì Die Einsatzkräfte des Bayerischen Roten Kreuzes haben - im Gegensatz zu den<br />

Helfern der Freiwilligen Feuerwehren - keinen Anspruch auf Freistellung gegenüber<br />

ihrem Arbeitgeber und auch - ebenso wie <strong>die</strong> Arbeitgeber - keinen Anspruch auf<br />

Vergütung der Ver<strong>die</strong>nstausfallkosten im Einsatzfall. Leider ist festzustellen, dass<br />

aufgrund <strong>die</strong>ser fehlenden Regelungen, Arbeitgeber auf <strong>die</strong> Anstellung von Rot-<br />

Kreuz-Helfern teilweise verzichten<br />

Diese Ungleichbeh<strong>an</strong>dlung ergibt sich nicht nur für Katastrophenschutzeinsätze,<br />

sondern insbesondere bei größeren Schadensereignissen (z. B. Busunfälle,<br />

Massenkarambolagen) oder Bereitstellungen, wo <strong>die</strong> regulären Einsatzeinheiten des<br />

Rettungs<strong>die</strong>nstes mit freiwilligen Einheiten der BRK-Bereitschaften unterstützt werden<br />

müssen. Gleiches gilt für reguläre Rettungs<strong>die</strong>nsteinsätze der Berg- und<br />

Wasserwacht, wenn <strong>die</strong>se Einsätze während der Arbeitszeit durchgeführt werden.<br />

Für alle <strong>die</strong>se Einsätze, <strong>die</strong> so selbstverständlich von der Bevölkerung hingenommen<br />

werden, aber insbesondere auch im Hinblick auf <strong>die</strong> Fußballweltmeisterschaft 2006,<br />

haben wir bereits klar unsere Befürchtungen zum Ausdruck gebracht, dass<br />

Helferinnen und Helfer aufgrund der oben dargestellten Missstände für <strong>die</strong><br />

nichtpolizeiliche Gefahrenabwehr nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen.<br />

Bei einem tatsächlichen Großschadensfall wäre <strong>die</strong>s mit fatalen Folgen verbunden.<br />

Fazit:<br />

Es ist Pflicht des Bayerischen Roten Kreuzes auf <strong>die</strong> Mängel im Bevölkerungsschutz<br />

hinzuweisen und entsprechende Vorschläge zu deren Beseitigung zu unterbreiten. Dies<br />

wurde mit großer Ausdauer - bisher leider vergeblich - immer wieder versucht.<br />

Mit <strong>die</strong>sem Schreiben soll den politisch Ver<strong>an</strong>twortlichen <strong>die</strong> Ernsthaftigkeit und<br />

Bedrohlichkeit der Situation klargemacht und der spätere Vorwurf, <strong>die</strong><br />

Hilfsorg<strong>an</strong>isationen hätten auf <strong>die</strong>se elementaren Schwachstellen nicht<br />

eindringlich hingewiesen, vermieden werden.<br />

Dieses Schreiben soll auch ein eindringlicher Appell sein, unverzüglich zu h<strong>an</strong>deln<br />

um so in einem Großschadensfall das Leid zahlreicher Bürgerinnen und Bürger<br />

wenn schon nicht verhindern, so doch zumindest deutlich lindern zu können.<br />

Rudi Cermak<br />

Geschäftsführer der BRK-Bereitschaften<br />

und Katastrophenschutzbeauftragter des<br />

Bayerischen Roten Kreuzes

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