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Zeichen an der Wand Höhlenmalerei – Felsbilder – Graffiti

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Ein wichtiger Aspekt <strong>der</strong> Höhlen- und Felsmalerei liegt deswegen in ihrer Bedeutung<br />

als frühe Formen <strong>der</strong> Kunst. Vor ca. 40.000 Jahren scheinen die Umweltbedingungen<br />

den Beginn menschlicher Kunstkreativität beson<strong>der</strong>s unterstützt zu haben.<br />

Da war es offenbar möglich technische mit sozialer und sprachlicher Intelligenz<br />

zu kombinieren und in Form von <strong>Zeichen</strong> auszudrücken. Eine Folge dieses<br />

Verknüpfungsprozesses sind die bek<strong>an</strong>nten W<strong>an</strong>dkünste des Paläolithikums, die<br />

von einem Experten treffend beschrieben wurden: „Der Zug<strong>an</strong>g zu den ersten<br />

Heiligtümern <strong>der</strong> Menschheit k<strong>an</strong>n nicht ohne Gefühle erfolgen, ohne das unmittelbare<br />

Bewusstsein von <strong>der</strong> Großartigkeit <strong>der</strong> paläolithischen W<strong>an</strong>dkunst,einer<br />

vollständigen und zugleich vollendeten Kunst, die auf Anhieb alle künstlerischen Verfahrensweisen<br />

und Möglichkeiten <strong>der</strong> Darstellung meistert, welche die nachfolgenden<br />

Jahrhun<strong>der</strong>te und Jahrtausende wie<strong>der</strong>zufinden sich bemühten; einer Kunst, die<br />

sich des unterirdischen Raums bemächtigt, die gesamte Höhle zum Sprechen bringt,<br />

eine bewun<strong>der</strong>nswerte Synthese aus flächiger und räumlicher Darstellung, aus theatralischer<br />

Inszenierung, Poesie und Ges<strong>an</strong>g leistet, wobei nur diese verklungen<br />

sind, außer vielleicht in den Riten <strong>der</strong> letzten Jäger, den Wächtern des weit zurückreichenden<br />

Gedächtnisses <strong>der</strong> Menschheit“ <strong>–</strong> Michel Lorbl<strong>an</strong>chet.<br />

Mit dem zeitgenössischen Kulturphänomen <strong>Graffiti</strong> betreten wir die jüngere Verg<strong>an</strong>genheit<br />

und die Gegenwart. Heutzutage verstehen wohl die meisten Menschen<br />

unter <strong>Graffiti</strong> in <strong>der</strong> Regel Sprayereien, die von Jugendlichen <strong>–</strong> illegal <strong>–</strong> irgendwo<br />

<strong>an</strong>gebracht werden. Sachlich und objektiv formuliert sind <strong>Graffiti</strong> <strong>Zeichen</strong> und Bil<strong>der</strong>,<br />

Inschriften und Muster auf W<strong>an</strong>dflächen in Städten wie Mauern,Wänden o<strong>der</strong><br />

<strong>an</strong><strong>der</strong>en <strong>–</strong> fast immer <strong>–</strong> öffentlichen Flächen. An Plätzen und Orten, <strong>an</strong> denen Menschen<br />

zusammenkommen, finden sich denn auch beson<strong>der</strong>s viele <strong>Graffiti</strong>.<br />

Das Phänomen ist als eigenständige Kommunikationsform im öffentlichen Raum zu<br />

betrachten, weswegen für viele <strong>Graffiti</strong>-Forscher das Faktum, dass die Botschaft<br />

ungefragt und in <strong>der</strong> Regel <strong>an</strong>onym, von einzelnen Personen o<strong>der</strong> Gruppen auf öffentlichen<br />

o<strong>der</strong> jedenfalls fremden Oberflächen entst<strong>an</strong>den ist, ein wichtiges Definitionmerkmal<br />

von <strong>Graffiti</strong> darstellt.<br />

<strong>Graffiti</strong>, diese Tattoos auf Wänden, sind ein Ausdrucksmedium von Jugendlichen<br />

und jungen Erwachsenen und zwar vor allem männlichen Geschlechts. Statistische<br />

Untersuchungen zeigen, dass 95% <strong>der</strong> Writer, so eine Selbstbezeichnung <strong>der</strong> <strong>Graffiti</strong>-Künstler,<br />

zwischen 14 und 19 Jahre alt sind. Für m<strong>an</strong>che <strong>Graffiti</strong>experten h<strong>an</strong>delt<br />

es sich da um ein Pubertätsproblem junger Männer. Es ist zweifellos auch <strong>der</strong><br />

Reiz des Verbotenen, <strong>der</strong> diese Jugendlichen <strong>an</strong>treibt. Nicht das im Internet abgebildete<br />

Bild ist sp<strong>an</strong>nend und interess<strong>an</strong>t. Son<strong>der</strong>n das illegal, heimlich und <strong>an</strong> beson<strong>der</strong>s<br />

gefährlichen Plätzen gemalte Bild verdient den Respekt <strong>der</strong> Gleichgesinnten.<br />

Und erst <strong>der</strong> Druck seitens <strong>der</strong> Polizei macht für viele das Sprayen erst rich-<br />

tig verlockend und interess<strong>an</strong>t.Aber es ist vor allem das Bedürfnis <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

künstlerisch eine Botschaft aufzudrängen, die diese Jugendlichen <strong>an</strong> Stellen arbeiten<br />

lässt, die geradezu lebensgefährlich sind.<br />

Es sind häufig Botschaften und Themen, die Tabubereiche betreffen und die in den<br />

offiziellen Medien kaum bzw. unterproportional berücksichtigt werden, weil gerade<br />

diese Bevölkerungsgruppe kaum Zug<strong>an</strong>g zu <strong>an</strong><strong>der</strong>en Medien hat. Inhaltlich<br />

teilen sich die <strong>Graffiti</strong> vor allem in die größeren Bereiche Geschlechterbeziehungen<br />

und Politik, mit ihren ewigen Themen, Sexualität, <strong>der</strong> For<strong>der</strong>ung nach Freiheit<br />

und Selbstbestimmung,Tier- und Umweltschutz sowie Krieg und Frieden.<br />

Die eigentliche, mo<strong>der</strong>ne <strong>Graffiti</strong>-Bewegung beg<strong>an</strong>n Ende <strong>der</strong> 1960er Jahre vor allem<br />

in den westlichen Industriestaaten. Junge Leute in den Ghettos <strong>der</strong> ärmeren<br />

Bevölkerung in Nordamerika beg<strong>an</strong>nen mittels gesprühter Statements und Parolen<br />

auf ihre tristen sozialen Verhältnisse aufmerksam zu machen. Es waren die<br />

Bronx in New York wo mit Spraydosen für die eigene G<strong>an</strong>g geworben wurde.Anf<strong>an</strong>gs<br />

eher zaghaft wurden die gesprayten <strong>Zeichen</strong> <strong>an</strong> den Wänden immer größer,<br />

eindringlicher, exzentrischer und bunter. Aus den archaischen <strong>Zeichen</strong> <strong>an</strong> Felswänden<br />

wurden nunmehr politische Symbole einer Jugend, die vehement ihre Freiheit<br />

und eine Perspektive suchte und auch Gerechtigkeit einfor<strong>der</strong>te, die so nicht<br />

vorh<strong>an</strong>den war.<br />

Auch in Europa entst<strong>an</strong>den fast zeitgleich die so gen<strong>an</strong>nten Polit-<strong>Graffiti</strong>, die zunächst<br />

Ausdruck <strong>der</strong> Studentenunruhen und Friedensbekundungen, später auch<br />

<strong>der</strong> eines erwachenden Umweltbewusstseins waren, und fast immer öffentlich, <strong>an</strong><br />

Hauswänden o<strong>der</strong> auf Straßen gesprüht wurden. So wurde z. B. in Deutschl<strong>an</strong>d die<br />

Berliner Mauer zu einem <strong>der</strong> beliebtesten Malgründe.<br />

Ende <strong>der</strong> siebziger Jahre schwappte schließlich die <strong>Graffiti</strong>-Welle von Amerika<br />

nach Europa und in <strong>an</strong><strong>der</strong>e Teile <strong>der</strong> Welt über und zog eine Spur von Nord nach<br />

Süd, von Ost nach West, entl<strong>an</strong>g von Autobahnen und Schienensträngen, von Mauern<br />

und Hauswänden. Möglicherweise eine erste Welle <strong>der</strong> Globalisierung, die<br />

weltweit fast jede Region erreichte und kaum eine verschonte.<br />

Die „offizielle“ Kunst hat das Phänomen <strong>Graffiti</strong> relativ spät entdeckt. Erst seit den<br />

siebziger Jahren beginnen vermehrt auch Künstler und Künstlerinnen Graffitti auf<br />

Leinwände zu übertragen und in Ausstellungen zu präsentieren. Inzwischen gibt es<br />

so m<strong>an</strong>che Writer, die aus ihrer Leidenschaft einen künstlerischen Beruf machten<br />

und ihre qualitätvollen und großflächigen Pieces auf Leinwänden in Ausstellungen<br />

und Galerien präsentieren. Mittlerweile beauftragen auch Unternehmen und öffentliche<br />

Institutionen immer öfter junge KünstlerInnen mit <strong>der</strong> Gestaltung von<br />

Firmenflächen und Fassaden. An<strong>der</strong>erseits verlor das <strong>Graffiti</strong> mit <strong>der</strong> zunehmen-<br />

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