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Zeichen an der Wand Höhlenmalerei – Felsbilder – Graffiti

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Zu Sprüchen, die allgemeine politische Utopien o<strong>der</strong> gar die Weltrevolution propagierten,<br />

gesellen sich zunehmend konkretere politische For<strong>der</strong>ungen.Vielen<br />

Sprayern war etwa die Freigabe von weichen Drogen ein Anliegen („Legalize C<strong>an</strong>nabis“).<br />

An<strong>der</strong>e wie<strong>der</strong>um setzten sich für die kostenlose Benutzung öffentlicher<br />

Verkehrsmittel ein („Freie Fahrt für alle“). In Amsterdam, Berlin, aber auch in Wien<br />

nahmen die Sprüher in ihren Botschaften Bezug auf Hausbesetzungen („Inst<strong>an</strong>dsetzen<br />

<strong>–</strong> statt kaputt besitzen“). Ein besetztes Haus war nie zu übersehen! Zahlreiche<br />

Sympathis<strong>an</strong>ten in Mitteleuropa bekundeten ab 1977 mit <strong>Graffiti</strong> ihre Solidarität<br />

mit den in den terroristischen Untergrund abgedrifteten Geiselnehmern<br />

<strong>der</strong> Roten-Armee-Fraktion („Freiheit für Andreas Baa<strong>der</strong>“).<br />

Rechtsextreme subkulturelle Gruppen bemächtigten sich seit Mitte 1970-er Jahre<br />

<strong>der</strong> <strong>Graffiti</strong>.Auch in Österreich beschmierten sie Grabsteine auf jüdischen Friedhöfen<br />

mit Hakenkreuzen und <strong>an</strong>tisemitischen Parolen(„Saujud“), o<strong>der</strong> in Wien das<br />

Denkmal Sigmund Freuds und das Gebäude <strong>der</strong> israelitischen Kultusgemeinde.Als<br />

in Kärnten zweisprachige Ortstafeln in gemischtsprachigen Gebieten aufgestellt<br />

werden sollten, wurde 1972 großflächig „Deutsch Kärnten“ auf Hausfassaden in<br />

Völkermarkt gemalt.<br />

Obwohl politische <strong>Graffiti</strong> bis zum Ende des kalten Krieges vor allem ein westliches<br />

Phänomen waren, gab es auch in Osteuropa Ansätze. In <strong>der</strong> DDR sprühte z.<br />

B. Birger Jesch 1976 ein Schablonengraffiti <strong>an</strong>lässlich <strong>der</strong> Ausbürgerung des Sängers<br />

Wolf Bierm<strong>an</strong>n. „Wolf Bierm<strong>an</strong>n Allee“ malte sie in Anspielung auf eines seiner Lie<strong>der</strong><br />

mit dem Titel: „Bau’n wir eine Stalin Allee“. Schon am nächsten Tag wurde das<br />

<strong>Graffiti</strong> entfernt und die Aktivistin festgenommen.<br />

In <strong>der</strong> Zeit des Wettrüstens zwischen Ost und West und <strong>an</strong>gesichts eines drohenden<br />

atomaren Schlagabtausches in Mitteleuropa wuchs vor allem im deutschsprachigen<br />

Raum wie<strong>der</strong>um die Friedensbewegung zu einer gewichtigen politischen<br />

Größe. Ihre Anhänger hinterließen Inschriften wie etwa „Schwerter zu<br />

Pflugscharen“, aber auch <strong>Graffiti</strong> mit dem Peace-<strong>Zeichen</strong>, mit Sonnenblumen und<br />

Friedenstauben. In den 1980-er Jahren wurde unsere Umwelt vielen Menschen ein<br />

zentrales Anliegen. In Österreich unterstützten ökologisch Bewusste die Besetzer<br />

<strong>der</strong> Kraftwerksbaustelle in <strong>der</strong> Hainburger Au mit W<strong>an</strong>dparolen („Rettet die Au“).<br />

„Atomkraft -Nein D<strong>an</strong>ke“ Sprüche waren damals weit verbreitet, und erleben spätestens<br />

seit <strong>der</strong> Inbetriebnahme des tschechischen Kernkraftwerkes Temelin eine<br />

Neuauflage. In <strong>der</strong> oberösterreichischen Grenzregion zu Böhmen rufen entl<strong>an</strong>g<br />

<strong>der</strong> Hauptdurchzugsstraßen Dutzende Wortgraffitis auf deutsch und tschechisch<br />

zur Stilllegung des Atommeilers auf. Ebenso benutzten m<strong>an</strong>che Feministinnen<br />

<strong>Graffiti</strong>, um ihren Anliegen Nachdruck zu verleihen, etwa als um den Abtreibungsparagrafen<br />

<strong>der</strong> Fristenlösung gerungen wurde („Mein Bauch gehört mir“). Hu-<br />

morvollere Auffor<strong>der</strong>ungen konnte und k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> mitunter <strong>an</strong> Toilettenwänden<br />

von Wohngemeinschaften lesen („Männer setzt euch hin“).<br />

Die größte Projektionsfläche <strong>der</strong> Geschichte <strong>–</strong> auch für politische <strong>Graffiti</strong> aller<br />

Couleur <strong>–</strong> war bis 1990 die Berliner Mauer auf westberliner Seite. Die Wortgraffiti<br />

waren freilich bunt vermischt mit Bildgraffiti und auch sehr persönlichen Inschriften<br />

<strong>–</strong> oft von Berlinern, die durch die Mauer von ihren Angehörigen getrennt<br />

waren. Einige Flächen <strong>der</strong> Mauer werden unter <strong>der</strong> Bezeichnung „East-Side-Gallery“<br />

bis heute als Museum und Mahnmal erhalten.<br />

Zu Wahlkampfzeiten ist es auch in Österreich seit Jahrzehnten ein harmloser<br />

Volkssport, die Konterfeis von Politikern auf Wahlplakaten mit Sprechblasen mehr<br />

o<strong>der</strong> weniger geistreichen Inhalts zu ergänzen.<br />

Ein häufiger Themenbereich aktueller politischer <strong>Graffiti</strong> ist die rechtliche Situation<br />

von Asylbewerbern („Kein Mensch ist illegal“).Türkische und serbische Jugendliche<br />

<strong>der</strong> zweiten Generation von Migr<strong>an</strong>ten bekunden oft in ihrer Muttersprache den<br />

Stolz auf ihre Herkunft. Mitunter entwickeln sich regelrechte Dialoge auf öffentlichen<br />

Wänden: Rassistische Schmierereien („Neger raus“) sieht m<strong>an</strong> zuweilen durchgestrichen<br />

und mit <strong>der</strong> Parole „Nazis raus“ be<strong>an</strong>twortet.Als Rückmeldung auf eine dieser<br />

Antworten war zu lesen: „Wohin denn <strong>–</strong> in die Türkei?“ (Wien 2003). Seit den 1990-<br />

er Jahren protestieren unter <strong>an</strong><strong>der</strong>em Anhänger <strong>der</strong> Bewegung „Attac“ <strong>an</strong>lässlich von<br />

Treffen des Weltwirtschaftsforums o<strong>der</strong> <strong>der</strong> G7-Staaten auf öffentlichen Flächen gegen<br />

die verheerenden Folgen <strong>der</strong> Globalisierung für Schwellenlän<strong>der</strong>.<br />

Politische <strong>Graffiti</strong> <strong>an</strong> internationalen Krisenschauplätzen<br />

In bürgerkriegsähnlichen Konflikten sind W<strong>an</strong>dparolen inzwischen weltweit ein fixer<br />

Best<strong>an</strong>dteil <strong>der</strong> politischen Agitation. Sie rufen zu Rache und bewaffnetem<br />

Wi<strong>der</strong>st<strong>an</strong>d auf, o<strong>der</strong> aber sie beschwören den Frieden und Versöhnung. Die Inschriften<br />

for<strong>der</strong>n die Freilassung von (politisch) Gef<strong>an</strong>genen, die territoriale Unabhängigkeit<br />

einer Region o<strong>der</strong> das Recht auf freie Religionsausübung.<br />

Mittellose Bauern in <strong>der</strong> mexik<strong>an</strong>ischen Provinz Chiapas äußern sich in Form von<br />

<strong>Graffiti</strong>, islamische Separatisten auf den Philippinen o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> russischen Provinz<br />

Tschetschenien. Gesprayt wird von Anhängern <strong>der</strong> IRA in Nordirl<strong>an</strong>d, von korsischen<br />

Separatisten in Fr<strong>an</strong>kreich, sowie von Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> baskischen Unabhängigkeitsbewegung<br />

ETA in Sp<strong>an</strong>ien. Bürgerkriegsparteien und unterdrückte Min<strong>der</strong>heiten<br />

im Freiheitskampf nützen mehr denn je politische <strong>Graffiti</strong> als Medium, um<br />

ihren Überzeugungen Ausdruck zu verleihen. Dies ist umso wichtiger, je mehr die<br />

jeweiligen Interessensgruppen im Untergrund operieren, und kaum einen Zug<strong>an</strong>g<br />

zu offiziellen Printmedien, Rundfunk und Fernsehen haben. Im Zeitalter allgegenwärtiger<br />

Medienpräsenz gewinnt die Bedeutung von <strong>Graffiti</strong> noch eine zusätzliche<br />

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