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Zeichen an der Wand Höhlenmalerei – Felsbilder – Graffiti

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Politische <strong>Graffiti</strong><br />

<strong>Zeichen</strong> auf öffentlichen Flächen haben stets eine politische Dimension, auch wenn<br />

sie durch ihre bildliche Qualität zur Geltung kommen. Namhafte <strong>Graffiti</strong>-Forscher<br />

wie Thomas Northoff o<strong>der</strong> Bernhard v<strong>an</strong> Treek sprechen jedoch speziell d<strong>an</strong>n von<br />

politischen <strong>Graffiti</strong>, wenn <strong>der</strong> Inhalt des geschriebenen Wortes Bezug auf soziale,<br />

politische o<strong>der</strong> gesellschaftliche Verhältnisse nimmt, unabhängig davon, ob diese<br />

Äußerungen nun to<strong>der</strong>nst gemeint sind o<strong>der</strong> mit einem Augenzwinkern.<br />

Politische <strong>Graffiti</strong> gehören zu den traditionsreichsten Formen <strong>der</strong> <strong>Graffiti</strong> mit <strong>der</strong><br />

weitesten Verbreitung.Vor allem Oppositionelle und Angehörige subkultureller Bewegungen<br />

nutzen den öffentlichen Raum für politischen Stellungnahmen und Parolen.<br />

Durch dieses einfache Medium erreichen die Verfasser <strong>der</strong> Inschriften ein<br />

großes <strong>–</strong> und teils unfreiwilliges <strong>–</strong> Publikum gleich Gesinnter und <strong>an</strong><strong>der</strong>s Denken<strong>der</strong><br />

in ihrer unmittelbaren Umgebung.<br />

Der Inhalt <strong>der</strong> meist kurzlebigen Botschaften ist situationsbedingt und in <strong>der</strong> Regel<br />

prägn<strong>an</strong>t auf den Punkt gebracht. Die Pass<strong>an</strong>ten sollen auf den ersten Blick verstehen,<br />

was gemeint ist.Viele Inschriften sind einfache Protestnoten und drücken<br />

reale und utopische For<strong>der</strong>ungen aus. Die artikulierten Wünsche und Befürchtungen<br />

werden für die Bevölkerung zugänglich, und es können Diskussionen über ihre<br />

Bedeutung bzw. Rechtmäßigkeit entbrennen. Sie können die Ohnmacht eines sich<br />

h<strong>an</strong>dlungsunfähig fühlenden Subjektes bezeugen, das sich <strong>an</strong>onym Luft macht. Sie<br />

können auch als geheime Sprache von unterdrückten Min<strong>der</strong>heiten auftauchen, die<br />

ein<strong>an</strong><strong>der</strong> über politische Lebensziele und Auffassungen verständigen. In <strong>der</strong> sie<br />

kennzeichnenden Anonymität geben ihre Urheber unverfälscht ihre Meinungen<br />

preis.Aus historischen politischen <strong>Graffiti</strong> k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> Meinungen, Einstellungen und<br />

Probleme von Menschen früherer Epochen herauslesen. Die Meinungen <strong>der</strong> jeweils<br />

zeitgenössischen <strong>Graffiti</strong> erschließen sich dem Betrachter meistens unmittelbar.<br />

Politische <strong>Graffiti</strong> bis zur Nachkriegszeit<br />

Ins Blickfeld <strong>der</strong> bildenden Künstler gerieten politische <strong>Graffiti</strong> bereits seit den<br />

Zeiten <strong>der</strong> fr<strong>an</strong>zösischen Revolution. Zeugnisse dieser frühen politischen Meinungsäußerungen<br />

sind freilich spärlich überliefert.Vor allem auf den Mauern von<br />

Gefängniszellen hinterlassene Inschriften aus dem 19. Jahrhun<strong>der</strong>t dokumentieren<br />

in Fr<strong>an</strong>kreich und Deutschl<strong>an</strong>d Protestäußerungen von Häftlingen <strong>–</strong> oft waren es<br />

Studenten <strong>–</strong> gegen das jeweils herrschende System. Sie pr<strong>an</strong>gern Missstände und<br />

Vetternwirtschaft <strong>an</strong>, for<strong>der</strong>n „Freiheit, Gleichheit, Brü<strong>der</strong>lichkeit“ o<strong>der</strong> rufen zur<br />

Revolution auf.<br />

Auch dem jeweiligen politischen Regime wohl gesonnene Meinungsäußerungen<br />

finden sich auf öffentlichen Flächen. Im Ersten Weltkrieg bemalten deutsche Soldaten,<br />

die sich als Freiwillige gemeldet hatten, zahlreiche Waggons, mit denen sie<br />

zur Front nach Fr<strong>an</strong>kreich tr<strong>an</strong>sportiert wurden, mit siegesgewissen Parolen (z. B.<br />

„Im Herbst sind wir wie<strong>der</strong> zu Hause“). Aber auch die herrschenden Systeme<br />

selbst versuchten, Einfluss über <strong>Graffiti</strong> auf das Volk zu nehmen. So ließ die Sowjetunion<br />

zu Propag<strong>an</strong>dazwecken von staatstreuen Künstlern in den zw<strong>an</strong>ziger und<br />

dreißiger Jahren g<strong>an</strong>zseitig Züge bemalen mit Aufschriften wie: „Die Sowjetregierung<br />

gibt den Arbeitenden Bücher, Zeitungen,Wissen und kostenlose Ausbildung“<br />

(Bundeszentrale für politische Bildung, 1990).<br />

In <strong>der</strong> Diktatur des „Dritten Reiches“ bediente sich zunächst das Propag<strong>an</strong>daministerium<br />

öffentlicher Inschriften. So ließen die Nationalsozialisten zahlreiche<br />

Schablonengraffitis mit politischen Aussagen (z. B. „Zerschlagt den Zersetzungswillen<br />

des Feindes“ o<strong>der</strong> „Jedes Opfer für den Sieg“) auf zahlreiche Wände malen.<br />

Schergen <strong>der</strong> SS und SA beschmierten im Vorfeld <strong>der</strong> „Reichkristallnacht“ Schaufenster<br />

und Auslagen jüdischer Geschäftsleute großflächig mit <strong>an</strong>tisemitischen<br />

Symbolen wie dem Davidsstern und Fratzen mit Hakennasen, sowie mit Parolen<br />

wie „Kauft nicht bei Juden“, „Bin in Dachau“, o<strong>der</strong> einfach „Jude“. In Wien wurden<br />

jüdische Hausbewohner und Lokalinhaber sogar gezwungen, unter den Blicken eines<br />

geifernden Mobs die Fassaden ihrer eigenen Häuser zu beschmieren. Die zynischen<br />

Schmierereien verfehlten ihre Wirkung nicht: Diese Demütigung <strong>der</strong> jüdischen<br />

Mitbürger war eine Vorstufe zu noch maßloseren Verbrechen. Zudem wagten<br />

die meisten „arischen“ Kunden fort<strong>an</strong> nicht mehr, ein solcherart gekennzeichnetes<br />

Geschäft zu betreten, um bloß nicht als „Judenfreund“ zu gelten.<br />

Schon vor dem Anschluss <strong>an</strong> das Deutsche Reich hatten österreichische Nationalsozialisten<br />

Hakenkreuze und Nazisymbole als „Wahlwerbung“ auf öffentliche<br />

Plätze gemalt. Anhänger von Dollfuß’ autoritärem Regime wie<strong>der</strong>um hatten ihre<br />

eigenen faschistischen Parolen auf Straßen und Gehsteige geschrieben. Nach dem<br />

Triumph <strong>der</strong> Nazis 1938 wurden schließlich jüdische Österreicher in Wien von<br />

den Nazis dazu gezwungen, diese Parolen <strong>der</strong> „österreichischen Heimwehr“ mit<br />

Bürsten kniend von den Gehsteigen zu schrubben <strong>–</strong> begleitet von höhnischen Zurufen<br />

johlen<strong>der</strong> Nazis.<br />

Die <strong>an</strong>tifaschistischen Wi<strong>der</strong>st<strong>an</strong>dsbewegungen entdeckten <strong>Graffiti</strong> als eine <strong>der</strong><br />

wenigen Möglichkeiten, <strong>an</strong>gesichts <strong>der</strong> zensurierten Medien ihre Meinung kundzutun.<br />

Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Münchener Bewegung „Weiße Rose“ <strong>der</strong> Geschwister Scholl<br />

druckten und verteilten nicht nur Flugblätter mit Aufrufen zum Wi<strong>der</strong>st<strong>an</strong>d gegen<br />

das Nazi-Regime. Sie bemalten u.a. die Wände <strong>der</strong> Universität München mit Parolen<br />

wie „Hitler = Krieg“, o<strong>der</strong> „Hitler ist unser Unterg<strong>an</strong>g“. Überführte Wi<strong>der</strong>st<strong>an</strong>dskämpfer<br />

wurden auch wegen solcher <strong>Graffiti</strong> zu KZ-Strafen verurteilt. Anhänger<br />

<strong>der</strong> österreichische Wi<strong>der</strong>st<strong>an</strong>dsbewegung gegen das Nazi-Regime verteilten<br />

ab 1943 so gen<strong>an</strong>nte „H<strong>an</strong>dzettel“ <strong>–</strong> kleinste Flugblätter sytemkritischen Inhalts.<br />

Ihr Symbol für die Unabhängigkeitsbestrebung von Hitler-Deutschl<strong>an</strong>d<br />

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