Zeichen an der Wand Höhlenmalerei – Felsbilder – Graffiti
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evolte von 1968 die Mauern <strong>an</strong> Universitäten, öffentlichen Gebäuden und Bahnhöfen<br />
als Projektionsflächen für meist politisch links gerichtete Aussagen und Protestaufrufe.<br />
Das „A“ als <strong>Zeichen</strong> für Anarchie etwa, wurde zu einem weltweit bek<strong>an</strong>nten<br />
Protestsymbol.<br />
Neonazis wie<strong>der</strong>um schmierten Hakenkreuze und rechte Parolen.An<strong>der</strong>e W<strong>an</strong>dmaler<br />
beg<strong>an</strong>nen so gen<strong>an</strong>nte Sponti-Sprüche mit gezieltem Nonsens zu schreiben,<br />
o<strong>der</strong> auch poetische Kurzgedichte.<br />
Auch Jugendbewegungen wie die Punk-Rocker und Skinheads <strong>der</strong> 1970-er und<br />
1980-er Jahre benutzten in Folge <strong>Graffiti</strong>, um ihre Zugehörigkeit zu ihrer jeweiligen<br />
Szene zu m<strong>an</strong>ifestieren.<br />
Einen wesentliche Anteil zur stilistischen Entwicklung und internationalen Verbreitung<br />
von <strong>Graffiti</strong> trägt die Hip-Hop Bewegung bei, die ihren Ursprung in den 1960-<br />
erJahren in New York City hatte und weltweit in urb<strong>an</strong>en Zentren unter <strong>der</strong> Bezeichnung<br />
„Americ<strong>an</strong> <strong>Graffiti</strong>“ Nachahmer f<strong>an</strong>d.<br />
Viele <strong>der</strong> jungen W<strong>an</strong>dzeichner verstehen sich auch heute als Nachfolger dieser<br />
<strong>Graffiti</strong>-Tradition.<br />
An<strong>der</strong>e Gestalter von W<strong>an</strong>dbil<strong>der</strong>n wie<strong>der</strong>um lehnen den Begriff „<strong>Graffiti</strong>“ grundsätzlich<br />
ab, da sie ihn ausschließlich mit <strong>der</strong> amerik<strong>an</strong>ischen Hip-Hop Bewegung<br />
verbinden, und ihre Werke nicht in diese Stilrichtung eingeordnet wissen wollen.<br />
Lieber nennen sie sich „Maler“, „Schreiber“ bzw. auf englisch „Writer“.<br />
Wortherkunft und Verwendung<br />
Das Wort „Graffito” stammt aus dem Italienischen: Ursprung war das lateinische<br />
Verb „graphire“ <strong>–</strong> das Schreiben o<strong>der</strong> Zeichnen mit einem „graphium stilo per<br />
scrivere“. Die Wurzel dieses lateinischen Begriffes liegt im griechischen Verb „graphein“<br />
. Das italienische „Il graffito“ bedeutet das Gekratzte. Der Duden beschreibt<br />
das „Graffito“ als eine Inschrift, die in eine W<strong>an</strong>d gekratzt ist. Die Verwendung<br />
des Wortes in <strong>der</strong> Mehrzahl „<strong>Graffiti</strong>“ meint ein W<strong>an</strong>dgekritzel auf Mauern<br />
und Fassaden. „<strong>Graffiti</strong>“ steht ebenfalls für Parolen, die in gesprühter o<strong>der</strong> gemalter<br />
Form vorkommen.<br />
Der amerik<strong>an</strong>ische <strong>Graffiti</strong>-Forscher Robert Reisner brachte die Bezeichnung<br />
„<strong>Graffiti</strong>“ in das Englische. Er verwendete diesen Begriff in seinem 1967 erschienenen<br />
Buch „selected scrawls from bathroom walls“, welches sich mit Toiletteninschriften<br />
befasste. Sein Untersuchungsgegenst<strong>an</strong>d und die Benutzung dieses Wortes<br />
f<strong>an</strong>den so großen Ankl<strong>an</strong>g, dass <strong>der</strong> Rea<strong>der</strong>’s Digest den Ausdruck „<strong>Graffiti</strong>“ in<br />
sein monatlich erscheinendes Verzeichnis <strong>der</strong> aktuellen Wörter hinzunahm. Seit<br />
diesem Zeitpunkt steht „<strong>Graffiti</strong>“ für <strong>–</strong> meist subkulturelle <strong>–</strong> Inschriften und Aufschriften<br />
im öffentlichen Raum. Über das Englische f<strong>an</strong>d <strong>der</strong> Begriff den Weg in die<br />
deutsche Sprache. In <strong>der</strong> Umg<strong>an</strong>gssprache wird das Plural-„i“ inzwischen auch für<br />
den Singular verwendet.<br />
Wortgraffiti und Mitteilungszeichen<br />
In <strong>der</strong> heutigen Pluralität <strong>der</strong> Kommunikationsformen stellen die Äußerungen<br />
mittels verbaler <strong>Graffiti</strong> eine <strong>der</strong> Möglichkeiten dar, sich mitzuteilen.Anscheinend<br />
nicht die bedeutungsloseste. Darum hat sich das Phänomen <strong>Graffiti</strong> seit Erfindung<br />
<strong>der</strong> Schrift bis heute als Kulturkonst<strong>an</strong>te gehalten. Die Themenbreite <strong>der</strong> „Sprache<br />
<strong>an</strong> den Wänden“ ist enorm. Sie reicht von Befreiungsversuchen emotioneller Natur<br />
(Ventilfunktion) über die Sexualität bis zu politischen Drohungen, von Warnungen<br />
(Menetekelfunktion), die keine Veröffentlichung in Medien finden, bis zu<br />
Auffor<strong>der</strong>ungen, auf bestimmte Weise politisch zu h<strong>an</strong>deln (Auffor<strong>der</strong>ungsfunktion).<br />
Das Themenspektrum blieb seit <strong>der</strong> Antike etwa das gleiche, jedoch ambivalent<br />
in den Themenschwerpunkten.<br />
<strong>Graffiti</strong> können die Ohnmacht eines sich h<strong>an</strong>dlungsunfähig fühlenden Subjektes bezeugen,<br />
das sich <strong>an</strong>onym Luft macht. Sie können auch als geheime Sprache von<br />
unterdrückten Min<strong>der</strong>heiten auftauchen, die ein<strong>an</strong><strong>der</strong> über politische o<strong>der</strong> allgemeine<br />
Lebensziele und Auffassungen verständigen <strong>–</strong> in <strong>der</strong> Anonymität vielleicht<br />
erfolgreicher, als dies sonst möglich wäre.<br />
Signaturen und Sprüche<br />
Auch heute noch ritzen mitunter Verliebte Ihren Namen mit einem Herz in Baumrinden.<br />
Bereits Fr<strong>an</strong>z Schubert zitiert in seinem Lied vom Lindenbaum diesen<br />
Brauch („ich schnitt in seine Rinde so m<strong>an</strong>ches liebe Wort …“).<br />
Schon l<strong>an</strong>ge vor Beginn des Massentourismus pflegten Reisende ihre Namen auf<br />
Mauern und Aussichtstürme zu ritzen. So ist überliefert, dass auch Joh<strong>an</strong>n Wolfg<strong>an</strong>g<br />
von Goethe seinen Namen als Kratzgraffiti auf dem Turm des Straßburger<br />
Münsters verewigte.<br />
Klosettwände in öffentlichen Gebäuden, in Gasthäusern, Universitäten und Schulen<br />
bieten dem W<strong>an</strong>dschreiber seit jeher eine <strong>an</strong>onyme, wohl kaum strafbare, und<br />
doch höchst publikumswirksame Plattform für Stellungnahmen und Äußerungen<br />
jeglicher Art.Am stillen Örtchen hat fast je<strong>der</strong> die Muße zur Lektüre, und die Anonymität<br />
senkt die Hemmschwelle zu schreiben.<br />
Vor allem Toilettensprüche mit zotigem o<strong>der</strong> (vermeintlich) witzigem Inhalt erfreuen<br />
sich weltweit großer Beliebtheit. Darunter mischen sich auch Kurzgedichte,<br />
Zitate und politische Aussagen.<br />
Häufig entwickeln sich lebhafte Dialoge unter den Verfassern <strong>der</strong> Botschaften, wobei<br />
die Schreiber direkt Bezug auf die Wortmeldungen ihrer Vorgänger nehmen.<br />
Die Wiener Toilettenfrau Wetti Himmlisch veröffentlichte schon 1906 ihre Sammlung<br />
von Klosprüchen in ihren Memoiren unter dem Titel „Leben, Meinungen und<br />
Wirken <strong>der</strong> Witwe Wetti Himmlisch“.<br />
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