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Zeichen an der Wand Höhlenmalerei – Felsbilder – Graffiti

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Magie<br />

In <strong>der</strong> ersten Hälfte des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts war eine magische Interpretation <strong>der</strong><br />

Höhlenbil<strong>der</strong> weit verbreitet. Eine Leitfigur dieser Interpretation war <strong>der</strong> geniale<br />

Henri Breuil.<br />

Die Tiere <strong>an</strong> den Wänden wurden gezeichnet und m<strong>an</strong>chmal mit einer Waffenspitze<br />

verwundet, um sie in die Macht des Jägers zu bringen und den Jag<strong>der</strong>folg zu<br />

sichern. Darstellungen trächtiger Tiere (die es tatsächlich praktisch nicht gibt) sollten<br />

die Vermehrung des Wildbrets gar<strong>an</strong>tieren.<br />

In dieser Auffassung waren die <strong>Zeichen</strong> keine Symbole, son<strong>der</strong>n die Wie<strong>der</strong>gabe<br />

konkreter Dinge: Häuser (die Tectiformes), Tierfallen (leiterförmige <strong>Zeichen</strong>),<br />

Speere (pfeilförmige <strong>Zeichen</strong>) u.a.<br />

Im Rahmen dieser magischen Interpretation waren die <strong>an</strong> den Höhlenwänden gezeichneten<br />

Tiere etc. Einzeldarstellungen, jeweils aus einem konkreten Anlass entst<strong>an</strong>den,<br />

die sich erst im Lauf <strong>der</strong> Zeit zu Bildfel<strong>der</strong>n summierten.<br />

Mythologie<br />

Schon zur Zeit Henri Breuils hat Max Raphael versucht, die Zusammengehörigkeit<br />

<strong>der</strong> Bildkompositionen und <strong>der</strong>en erzählenden Charakter herauszustellen. Im<br />

Zentrum <strong>der</strong> Überlegungen st<strong>an</strong>d dabei die Höhlendecke von Altamira.<br />

Raphael war kein Praktiker und hat kein einziges Höhlenbild selbst entziffert und<br />

veröffentlicht; seine Ideen zu Altamira stützten sich auf die Zeichnungen Breuils<br />

(dies ist übrigens bis heute so geblieben, auch wenn viele Spezialisten sagen, dass<br />

es in Breuils Entzifferung Fehler gäbe und eine Neuaufnahme nötig wäre). Auch<br />

deshalb hatte er damals keine Ch<strong>an</strong>ce und wurde oft auch nicht ernst genommen.<br />

Seit den 1960er Jahren hatten diese Ideen durch die Arbeiten von Annette Laming<br />

und vor allem André Leroi-Gourh<strong>an</strong> eine große Renaiss<strong>an</strong>ce. Leroi-Gourh<strong>an</strong><br />

strukturierte die Bil<strong>der</strong> in den Höhlen. Auf <strong>der</strong> Grundlage von Statistiken definierte<br />

er zentrale Kompositionen, meist aus Pferd und Rind,Tiere am Anf<strong>an</strong>g und<br />

Tiere am Ende. Die <strong>Zeichen</strong> teilte er <strong>–</strong> mit teilweise gewagten Ableitungen <strong>–</strong> in<br />

eine männliche und eine weibliche Gruppe. Durch Zuordnung <strong>der</strong> männlichen und<br />

weiblichen <strong>Zeichen</strong> zu bestimmten Tieren st<strong>an</strong>den auch die Tiere für das männliche<br />

o<strong>der</strong> das weibliche Prinzip. So entst<strong>an</strong>d ein System, das die in den Höhlen dargestellte<br />

Überlieferung letztendlich auf einen Dualismus männlich/weiblich zurückführt.<br />

André Leroi-Gourh<strong>an</strong> unterstützte seine Interpretation mit dem Hinweis,<br />

dass ein <strong>der</strong>artiger Dualismus auch die Triebfe<strong>der</strong> aller <strong>an</strong><strong>der</strong>en (großen) Religionen<br />

sei; entsprechend sieht er in <strong>der</strong> eiszeitlichen Höhlenkunst religiöse Darstellungen.<br />

Wichtig ist, dass in dieser Auffassung die Bil<strong>der</strong> <strong>an</strong> den Höhlenwänden zusammengehören,<br />

keineswegs unabhängig vonein<strong>an</strong><strong>der</strong> entst<strong>an</strong>den sind, wie es die<br />

magische Interpretation <strong>an</strong>nahm. In <strong>der</strong> Tat spricht alles dafür, dass die Bildfel<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Grotte Chauvet, <strong>der</strong> Saal <strong>der</strong> Stiere und das Axiale Divertikel von Lascaux, <strong>der</strong><br />

Schwarze Salon von Niaux o<strong>der</strong> die Darstellungen im S<strong>an</strong>ctuaire von Les Trois Frères<br />

eine Einheit bilden und eine Geschichte erzählen. Henri Breuil muss das gespürt<br />

haben <strong>–</strong> auch wenn er in Lascaux die Bil<strong>der</strong> noch nach den Farben geordnet<br />

und g<strong>an</strong>z offensichtlich zusammenhängende Bil<strong>der</strong> verschiedenen Zeiten zugewiesen<br />

hat. Es wird berichtet, dass er nach <strong>der</strong> Entdeckung von Rouffignac (Dordogne)<br />

und <strong>der</strong> Betrachtung <strong>der</strong> offensichtlich von einer H<strong>an</strong>d gezeichneten Mammutund<br />

Nashornfriese resignierend darauf hinwies, er sei zu alt <strong>–</strong> Breuil war zu dieser<br />

Zeit schon 80 <strong>–</strong> um seine Auffassungen noch einmal zu überdenken.<br />

Tr<strong>an</strong>ce<br />

Schon A. von Scheltema meinte, dass die Bil<strong>der</strong> in den Höhlen aus einem inneren<br />

Zw<strong>an</strong>g entst<strong>an</strong>den. Die Menschen trügen diese Bil<strong>der</strong> in sich und kopierten sie auf<br />

die Wände.<br />

Von Scheltema verglich dies mit <strong>der</strong> Eidethik, einer psychologischen Ver<strong>an</strong>lagung<br />

und einem Kr<strong>an</strong>kheitsbild.<br />

Auf einer <strong>an</strong><strong>der</strong>en Grundlage kommt David Lewis-Williams neuerdings zu ähnlichen<br />

Schlussfolgerungen. Aufgrund von Informationen zu südafrik<strong>an</strong>ischen Felsbil<strong>der</strong>n<br />

sieht er auch in den eiszeitlichen Höhlenbil<strong>der</strong>n das Ergebnis eines eigenwillig<br />

interpretierten Scham<strong>an</strong>ismus. In den unterschiedlichen Stadien <strong>der</strong> Tr<strong>an</strong>ce<br />

seien dem Scham<strong>an</strong>en o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Scham<strong>an</strong>in unterschiedliche Bil<strong>der</strong> erschienen, die<br />

auf den Höhlenwänden festgehalten wurden. Mitunter seien die Bil<strong>der</strong> auch aus<br />

dem Inneren des Fels gekommen und haben sich auf <strong>der</strong> W<strong>an</strong>d gleichsam durchgepaust.<br />

Nicht die Magie mit dem Wunsch, etwas zu beeinflussen, nicht die Mythologie mit<br />

<strong>der</strong> Darstellung <strong>der</strong> Überlieferungen, son<strong>der</strong>n die Tr<strong>an</strong>ce <strong>der</strong> Scham<strong>an</strong>en wäre<br />

demnach die Erklärung für die eiszeitliche Höhlenkunst.<br />

Ein wichtiger Kritikpunkt <strong>an</strong> den referierten Interpretationen ist sicher ihr Alleinvertretungs-Anspruch.<br />

Magie, Mythologie o<strong>der</strong> Tr<strong>an</strong>ce wollen jeweils alles erklären.<br />

Missionarisch beschränken sie sich dabei nicht auf die Höhlenkunst, son<strong>der</strong>n<br />

integrieren und interpretieren auch die gravierten Plaketten und verzierten<br />

Gegenstände <strong>der</strong> Kleinkunst. Und selbstverständlich sind alle <strong>an</strong><strong>der</strong>en Ged<strong>an</strong>ken<br />

und Erklärungen schlicht falsch.<br />

Solche Verallgemeinerung macht diese Interpretationen unglaubwürdig, auch wenn<br />

sie im Einzelfall zutreffen mögen. Der Zeitraum von 20 000 Jahren und das große<br />

Teile Europas umfassende Gebiet machen es sehr wahrscheinlich, dass es unterschiedliche<br />

Inhalte <strong>der</strong> eiszeitlichen Höhlenkunst und unterschiedliche Gründe für<br />

die Anfertigung <strong>der</strong> Bil<strong>der</strong> gab.<br />

Die gravierten Steinplatten und verzierten Gegenstände aus den Siedlungsschichten<br />

bleiben dabei am besten unberücksichtigt.<br />

Festzuhalten ist, dass die Bil<strong>der</strong> in Höhlen <strong>an</strong>gebracht wurden. Dies muss für ihre<br />

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