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02.11.2012 Aufrufe

10 Essay Think global, act global Issever Bahri auf der Fashion Week in jakarta Fashion Week jakarta mit Issever Bahri (2. und 4. von links) und Starstyling (2. und 3. von rechts) Von Jan Joswig Wollen Berliner Label wachsen, müssen sie über den Tellerrand der deutschen Hauptstadt hinausblicken. Nur so findet man kongeniale Käufer – und wird alte Zöpfe los. Wir haben einen bunten Strauß an Erfahrungsberichten von Berliner Designern auf internationalemparkett gepflückt. „Think global, act local.“ Diese Binsenweisheit der Grassroots- Bewegung haben sich Berliner Modedesigner längst abgeschminkt. „Think global, act global“ heißt die Erfolgsstrategie für kleinere Label. Deutschland lahmt sowohl als produktionsstandort wie als Absatzmarkt, wenn man in einem Avantgardefeld jenseits der Kaufhausstange agiert. Selbst Lala Berlin, eine Erfolgsstory auf dem deutschen Markt, spart sich diese Saison nach jahrelanger Nibelungentreue eine Show auf der Berlin Fashion Week, um die Kräfte für die Expansion im Ausland zu bündeln. Aber wohin wendet man sich abseits der konventionellen Achse Berlin-paris? Nach japan und dorthin, wohin der Wind – sprich Einladungen der jeweiligen Landesinstitutionen und des Goethe Instituts – einen weht. Oder dahin, wohin einen Kneipenbekanntschaften vermitteln. Esther perbandt, seit fünf jahren mit eigenem Laden in Berlin Mitte ansässig und längst ein etablierter Name, kam so zehn jahre nach Mauerfall nach Moskau: „Während des Studiums bin ich im Sommer 1999 nach Moskau gegangen, als sich alle anderen nach paris orientierten. Ich arbeitete damals mit langen blonden Zöpfen in der Boogie Bar hinterm Tresen. Dort lernte ich jemanden kennen, der mir einen Kontakt in Moskau empfahl. Kauf dir ein Ticket und fahr da hin. Ich bin ein paar Tage mit dem rus- sischen Künstler durch Moskau gelaufen. Ich kannte ihn nicht, aber es stellte sich heraus, dass es Gosha Ostretsov war, der zehn jahre lang bei jean- Charles de Castelbajac in paris gearbeitet hatte. Er hat Skulpturen gebaut, gemalt, war aber auch als Stylist für die russische Vogue tätig. Er konnte kein Englisch, ich nur wenig russisch und kein Französisch. Er rief mich eines Abends an, ob ich ihm bei einem Kleid helfen könne. Wir haben die Nacht durchgearbeitet. Mensch, hat er sich gedacht, die Deutsche kann ja richtig reinhauen. Daraufhin haben wir eine komplette Kollektion erstellt, 30 Outfits, handbedruckte Stoffe, Latex. Mit der Kollektion wurden wir nach Tiflis auf ein Avantgardefestival eingeladen, alles von der Mafia organisiert. Wir mussten eine Nacht auf der Straße schlafen, weil das Hotel nicht bezahlt worden war. Vor Moskau war ich das nette Mädchen mit den blonden Zöpfen. Ich habe mir noch dort die Haare abgeschnitten.“ Organisierter läuft der Mix aus Kulturaustausch und Geschäftsanbahnung ab, wenn man als eingeführte Größe von Modeinstitutionen ins Ausland eingeladen wird. Katja Schlegel und Kai Seifried von Starstyling äußern sich euphorisch über ihre Asienerfahrungen: „Unsere Termine in Korea haben besser funktioniert als die Shows in Deutschland. Wir hatten hier zwar Hunderte von Clippings, aber auf den Verkauf hat sich das kaum ausgewirkt. Eingeladen wurden wir in Korea von einer staatlich subventionierten Agentur. Korea ist ein riesiges produktionsland, hat aber wenig Design. Sie wollten europäisch gewachsenes Design in ihre Messe integrieren, um international Angriffspunkte zu bieten. Die Britney Spears von Korea hat sich einen pulli von uns geholt, den wir nagelneu mitgebracht hatten. Das produkt läuft seitdem 1a. Die Mädels, die auf die Musikerin stehen, schreiben uns koreanische Emails: Welcher pulli ist das, welche Größe, ich will den gleichen! Das funktioniert ohne pressearbeit. Das Testimonial war der Türöffner. Dann folgten die Stylisten. Die fliegen zum Teil auch nach japan, wo wir bei ‚Wut Berlin‘ verkaufen. Einer der koreanischen Topstylisten hat dort unsere gesamte Special Edition aufgekauft.“ Etwas ambivalentere Erfahrungen haben Derya Issever und Cimen Bachri vom Label Issever Bahri, preisträger des „premium Young Designers Award“ und des Senats-Wettbewerbs „Start your fashion business“, in Istanbul gesammelt: „Wir lieben Istanbul, wir haben beide türkische Verwandtschaft. Es ist wichtig für uns, den Fuß auch in den türkischen Markt zu bekommen“, bekräftigt Cimen Bachri. „Aber die Messe in Istanbul hat für uns nichts gebracht“, räumt Derya Issever Freitag, 06. juli 2012 ein, „wir haben uns sehr gefreut, dort eingeladen worden zu sein. Aber für unser spezielles Angebot ist die Messe viel zu breit aufgestellt, zeigt von Kinderdaunenjacken über Unterwäsche bis zu Abendkleidern alles. Obendrein saßen wir direkt neben einer Showbühne mit ohrenbetäubendem programm von morgens bis abends …“ Nach solch einer Ernüchterung ist man auch wieder froh, trotz der Schwierigkeiten in Deutschland und der globalen Ausrichtung vom sexy Berlin umarmt zu werden. „Ich freue mich riesig“, strahlt Esther perbandt, „nach 1 1/2 jahren endlich wieder in Berlin zu zeigen!“ Jan Joswig jan joswig schreibt als freier journalist über Mode, Menschen und Sensationen. Wenn er nicht gerade für das Fashion Daily in die Tasten haut, schreibt er unter anderem für Zoo Magazine, Zitty, Intersection oder De:Bug. Neben seinen spannenden und humorvollen Texten, ist er vor allem für seine außergewöhnlichen Outfits bekannt und viel unterwegs als Kurator, Art Director, popspezialist und Dj.

10 Essay<br />

Think global, act global<br />

Issever Bahri auf der <strong>Fashion</strong> <strong>We</strong>ek in jakarta <strong>Fashion</strong> <strong>We</strong>ek jakarta mit Issever Bahri (2. und 4. von links) und Starstyling (2. und 3. von rechts)<br />

Von Jan Joswig<br />

Wollen Berliner<br />

Label wachsen,<br />

müssen sie über<br />

den Tellerrand<br />

der deutschen<br />

Hauptstadt hinausblicken.<br />

Nur<br />

so findet man<br />

kongeniale Käufer<br />

– und wird<br />

alte Zöpfe los.<br />

Wir haben einen<br />

bunten Strauß<br />

an Erfahrungsberichten<br />

von<br />

Berliner Designern<br />

auf internationalemparkett<br />

gepflückt.<br />

„Think global, act local.“ Diese<br />

Binsenweisheit der Grassroots-<br />

Bewegung haben sich Berliner<br />

Modedesigner längst abgeschminkt.<br />

„Think global, act global“<br />

heißt die Erfolgsstrategie<br />

für kleinere Label. Deutschland<br />

lahmt sowohl als produktionsstandort<br />

wie als Absatzmarkt,<br />

wenn man in einem Avantgardefeld<br />

jenseits der Kaufhausstange<br />

agiert. Selbst Lala Berlin, eine<br />

Erfolgsstory auf dem deutschen<br />

Markt, spart sich diese Saison<br />

nach jahrelanger Nibelungentreue<br />

eine Show auf der Berlin<br />

<strong>Fashion</strong> <strong>We</strong>ek, um die Kräfte<br />

für die Expansion im Ausland<br />

zu bündeln. Aber wohin wendet<br />

man sich abseits der konventionellen<br />

Achse Berlin-paris?<br />

Nach japan und dorthin, wohin<br />

der Wind – sprich Einladungen<br />

der jeweiligen Landesinstitutionen<br />

und des Goethe Instituts –<br />

einen weht. Oder dahin, wohin<br />

einen Kneipenbekanntschaften<br />

vermitteln. Esther perbandt,<br />

seit fünf jahren mit eigenem<br />

Laden in Berlin Mitte ansässig<br />

und längst ein etablierter Name,<br />

kam so zehn jahre nach Mauerfall<br />

nach Moskau: „Während des<br />

Studiums bin ich im Sommer<br />

1999 nach Moskau gegangen,<br />

als sich alle anderen nach paris<br />

orientierten. Ich arbeitete damals<br />

mit langen blonden Zöpfen<br />

in der Boogie Bar hinterm Tresen.<br />

Dort lernte ich jemanden<br />

kennen, der mir einen Kontakt<br />

in Moskau empfahl. Kauf dir<br />

ein Ticket und fahr da hin. Ich<br />

bin ein paar Tage mit dem rus-<br />

sischen Künstler durch Moskau<br />

gelaufen. Ich kannte ihn nicht,<br />

aber es stellte sich heraus,<br />

dass es Gosha Ostretsov war,<br />

der zehn jahre lang bei jean-<br />

Charles de Castelbajac in paris<br />

gearbeitet hatte. Er hat Skulpturen<br />

gebaut, gemalt, war aber<br />

auch als Stylist für die russische<br />

Vogue tätig. Er konnte kein Englisch,<br />

ich nur wenig russisch und<br />

kein Französisch. Er rief mich eines<br />

Abends an, ob ich ihm bei<br />

einem Kleid helfen könne. Wir<br />

haben die Nacht durchgearbeitet.<br />

Mensch, hat er sich gedacht,<br />

die Deutsche kann ja richtig<br />

reinhauen. Daraufhin haben wir<br />

eine komplette Kollektion erstellt,<br />

30 Outfits, handbedruckte<br />

Stoffe, Latex. Mit der Kollektion<br />

wurden wir nach Tiflis auf<br />

ein Avantgardefestival eingeladen,<br />

alles von der Mafia organisiert.<br />

Wir mussten eine Nacht<br />

auf der Straße schlafen, weil das<br />

Hotel nicht bezahlt worden war.<br />

Vor Moskau war ich das nette<br />

Mädchen mit den blonden Zöpfen.<br />

Ich habe mir noch dort die<br />

Haare abgeschnitten.“<br />

Organisierter läuft der Mix<br />

aus Kulturaustausch und Geschäftsanbahnung<br />

ab, wenn<br />

man als eingeführte Größe von<br />

Modeinstitutionen ins Ausland<br />

eingeladen wird. Katja Schlegel<br />

und Kai Seifried von Starstyling<br />

äußern sich euphorisch über<br />

ihre Asienerfahrungen: „Unsere<br />

Termine in Korea haben besser<br />

funktioniert als die Shows in<br />

Deutschland. Wir hatten hier<br />

zwar Hunderte von Clippings,<br />

aber auf den Verkauf hat sich<br />

das kaum ausgewirkt. Eingeladen<br />

wurden wir in Korea von<br />

einer staatlich subventionierten<br />

Agentur. Korea ist ein riesiges<br />

produktionsland, hat aber wenig<br />

Design. Sie wollten europäisch<br />

gewachsenes Design in ihre<br />

Messe integrieren, um international<br />

Angriffspunkte zu bieten.<br />

Die Britney Spears von Korea<br />

hat sich einen pulli von uns geholt,<br />

den wir nagelneu mitgebracht<br />

hatten. Das produkt läuft<br />

seitdem 1a. Die Mädels, die auf<br />

die Musikerin stehen, schreiben<br />

uns koreanische Emails: <strong>We</strong>lcher<br />

pulli ist das, welche Größe,<br />

ich will den gleichen! Das funktioniert<br />

ohne pressearbeit. Das<br />

Testimonial war der Türöffner.<br />

Dann folgten die Stylisten. Die<br />

fliegen zum Teil auch nach japan,<br />

wo wir bei ‚Wut Berlin‘ verkaufen.<br />

Einer der koreanischen<br />

Topstylisten hat dort unsere<br />

gesamte Special Edition aufgekauft.“<br />

Etwas ambivalentere Erfahrungen<br />

haben Derya Issever und<br />

Cimen Bachri vom Label Issever<br />

Bahri, preisträger des „premium<br />

Young Designers Award“<br />

und des Senats-<strong>We</strong>ttbewerbs<br />

„Start your fashion business“,<br />

in Istanbul gesammelt: „Wir<br />

lieben Istanbul, wir haben beide<br />

türkische Verwandtschaft.<br />

Es ist wichtig für uns, den Fuß<br />

auch in den türkischen Markt<br />

zu bekommen“, bekräftigt Cimen<br />

Bachri. „Aber die Messe<br />

in Istanbul hat für uns nichts<br />

gebracht“, räumt Derya Issever<br />

Freitag, 06. juli 2012<br />

ein, „wir haben uns sehr gefreut,<br />

dort eingeladen worden zu sein.<br />

Aber für unser spezielles Angebot<br />

ist die Messe viel zu breit<br />

aufgestellt, zeigt von Kinderdaunenjacken<br />

über Unterwäsche<br />

bis zu Abendkleidern alles.<br />

Obendrein saßen wir direkt<br />

neben einer Showbühne mit<br />

ohrenbetäubendem programm<br />

von morgens bis abends …“ Nach<br />

solch einer Ernüchterung ist<br />

man auch wieder froh, trotz der<br />

Schwierigkeiten in Deutschland<br />

und der globalen Ausrichtung<br />

vom sexy Berlin umarmt zu<br />

werden. „Ich freue mich riesig“,<br />

strahlt Esther perbandt, „nach<br />

1 1/2 jahren endlich wieder in<br />

Berlin zu zeigen!“<br />

Jan Joswig<br />

jan joswig schreibt als freier<br />

journalist über Mode, Menschen<br />

und Sensationen. <strong>We</strong>nn er nicht<br />

gerade für das <strong>Fashion</strong> <strong>Daily</strong> in<br />

die Tasten haut, schreibt er unter<br />

anderem für Zoo Magazine, Zitty,<br />

Intersection oder De:Bug. Neben<br />

seinen spannenden und humorvollen<br />

Texten, ist er vor allem für<br />

seine außergewöhnlichen Outfits<br />

bekannt und viel unterwegs als<br />

Kurator, Art Director, popspezialist<br />

und Dj.

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