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Download als PDF-Datei - Auswirkungen auf die Institution

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Traditionsleitung ist der Versuch, den Charakter, das Handeln und Denken durch<br />

äußere Zwänge, gesellschaftlicher und religiöser Art, zu formen. Die Seele, das<br />

Selbst des Menschen, soll dadurch Gott gefällig und der Erlösung fähig werden.<br />

Eine individuelle Entwicklung im Wachsen und Werden des einzelnen ist <strong>die</strong>sen<br />

Vorstellungen eher fremd. Es gibt vielmehr eine Form des "rechten" Lebens für<br />

jeden Stand und jeden Christen und <strong>die</strong>se Form muß übernommen werden.<br />

Obgleich das ursprüngliche Ziel in so etwas wie der subjektiven Bewußtheit einer<br />

innigen Beziehung zu Gott bestand, "erstarrt alles ... zu einer erschreckenden<br />

Alltäglichkeit, zu einer erstaunlichen Diesseitigkeit in jenseitigen Formen." 74 So läuft<br />

am Ende des Mittelalters <strong>die</strong> Suche nach dem Subjektiven in Veräußerlichung, in<br />

objektiven Formen aus, <strong>die</strong> der Entwicklung des Selbst alle nur möglichen<br />

Begrenzungen <strong>auf</strong>erlegen.<br />

Diese Begrenzungen des Einzelnen durch äußere Formen regen, wenn sie immer<br />

vielfältiger und komplexer werden, das Denken an, da durch das Denken eher ein<br />

richtiges Verhalten im Sinne <strong>die</strong>ser künstlich geschaffenen Regeln möglich<br />

erscheint. Auch <strong>die</strong> Schaffung der Regeln selbst erfordert Denken, und <strong>die</strong>ses<br />

Denken entfernt sich mit dem sich entwickelnden Regelsystem, von der lebendigen<br />

Religion, von der Suche einer unmittelbaren Verbindung zu Gott. Es gibt vermutlich<br />

viele Faktoren, <strong>die</strong> schließlich zur Befreiung des Denkens von der über es gesetzten<br />

Religion beigetragen haben. Es ist zudem zu berücksichtigen, daß wir nur <strong>die</strong> an der<br />

Oberfläche befindlichen Bestrebungen und Entwicklungen erkennen können,<br />

während uns <strong>die</strong> vielleicht entscheidenderen treibenden Kräfte im Unbewußten<br />

jener Zeiten verborgen bleiben. Wesentlich könnte jedoch gewesen sein, daß <strong>die</strong><br />

Herausforderung des Denkens <strong>die</strong> Fähigkeiten der mentalen Vorstellung, Analyse<br />

und Kombination entwickelt und damit eine Kraft in den Vordergrund gebracht hat,<br />

<strong>die</strong> ihren eigenen Gesetzen folgt. Das Denken entdeckt Widersprüche und es<br />

versucht, ein klares System zu entwickeln, wo es nur eine Vielfalt nicht eindeutig<br />

miteinander verknüpfter Regeln gibt. So macht sich das Denken allmählich<br />

unabhängig, befreit sich von der über es gesetzten Religion. Dadurch verdunstet der<br />

religiöse Gehalt der traditionellen Formen zunehmend, und sie erscheinen nur noch<br />

akzeptabel, wenn sie durch Argumente anderer Art, d. h. durch eine anderweitige<br />

Orientierung der Vernunft begründet werden können. Diese neue Orientierung findet<br />

<strong>die</strong> Vernunft, indem sie <strong>auf</strong> ihren Träger blickt (und nicht mehr <strong>auf</strong> Gott), im<br />

74 Huizinga 1969, S. 210.<br />

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