Download als PDF-Datei - Auswirkungen auf die Institution

einer für sein Leben bedeutsam erachteten Ordnung seiner Vorstellungen zu
gelangen. Es ist nicht uninteressant, daß Disziplinschwierigkeiten sich verringern
oder allmählich ganz verschwinden, wenn es den Lernenden ermöglicht wird, eine
solche Ordnung weitgehend selbständig zu finden. 29
7.2 Erfahrung des Selbst
Die Bildung des Ich (Persönlichkeitsstärkung) erfolgt durch die mehr oder weniger
selbständige Erkundung der (Außen-)Welt. Selbständigkeit von Anfang an ist
möglich, weil eine innere Ordnung, die durch jene Erkundung der Außenwelt immer
weiter differenziert und auf jeweils höheren Stufen integriert wird, schon gegeben
ist. Aber die Welt hört im Äußeren nicht auf, sie setzt sich im Inneren jedes
Einzelnen fort. Wie die äußere, ist auch die innere Welt unendlich. Vermutlich
vermissen viele Menschen als Kinder die Untersuchung jener inneren Welt. Man
vergleiche hierzu die folgende Stelle aus der Autobiographie von Jacques
Lusseyrand, der als Kind erblindete. Manche Blinde leben vielleicht, der Natur des
Blindseins gemäß, mehr in einer inneren Welt.
"Ich konnte nicht verstehen, warum die Lehrer niemals über das sprachen,
was in ihnen oder in uns vorging. Sie sprachen in großer Ausführlichkeit von
der Entstehung der Gebirge, der Ermordung Julius Caesars, den Eigenschaften
von Dreiecken, auf welche Weise und in welchem Rhythmus sich
Maikäfer fortpflanzen, oder über die Verbrennung von Kohlengas. ... sogar
über Menschen, doch immer nur insofern, als es sich um Figuren handelte; ...
die Figuren der Alten Geschichte, die Figuren der Renaissance oder der
Komödien Molieres ... Das Thema aller Themen, die Tatsache, daß die Welt
nicht draußen aufhört, sondern sich in uns fortsetzt, war nicht existent." 30
Diese innere Welt ist die Welt des Selbst. Sie zu untersuchen, bedeutet einen
Anfang zur Entwicklung von Selbst-Bewußtheit zu machen. Selbst-Bewußtheit
bedeutet, sich seiner selbst bewußt zu sein, während man fühlt, denkt, handelt usw.
In der Regel ist es uns nur möglich, unsere Gefühle, Gedanken, Handlungen nachträglich
zu reflektieren. Wenn man jemanden unvermittelt fragt, was er gerade
denkt, fühlt usw., weiß er es sehr oft nicht. Selbstbewußtheit bedeutet weiter, zu
29 Vgl. etwa Bert/Guhlke 1977; Rogers 1974, sowie zahlreiche Erfahrungsberichte etwa von
Gaudig 1929 bzw. aus der gesamten Reformpädagogik in den USA und Deutschland oder
der Montessori-Pädagogik.
30 Lusseyrand 1981, S. 67.
205