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COLUMpodium 01-2005.pdf - Stiftung Columban

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Sozialpädagogik<br />

Abschiede von Doris Mehring<br />

Diesmal gibt es Grillfleisch und Kartoffelsalat. Dazu<br />

trinken wir Cola und alkoholfreies Bier. Manche dieser<br />

Henkersmahlzeiten bestehen aus Kaffee und Kuchen.<br />

Auch Pizza mit Rotwein hatten wir schon. Kommt immer<br />

auf den Typen an, der uns nach einer Weile wieder<br />

verlässt.<br />

Beim ersten Mal dachte ich noch, dass es keine<br />

schönen Tage mehr geben wird. Der Gedanke, nie<br />

wieder ihr Lachen zu hören, sie nie wieder riechen zu<br />

können, nie wieder ihren Arm auf meiner Schulter zu<br />

spüren, erschien mir unerträglich.<br />

Ihrem Versprechen, uns oft zu besuchen, habe ich<br />

anfänglich vertraut. Als sie immer seltener kam, habe<br />

ich mein Gesicht und meine Arme zerkratzt. „Ich bin<br />

schuld!“ habe ich gedacht. „Ich war nicht gut. Habe sie<br />

oft genervt, habe den Tischdienst nicht gemacht. Ich<br />

bin schlecht. Deshalb will sie nicht mehr hier arbeiten.“<br />

Der große Schmerz ist weggegangen, aber ein kleines<br />

wundes Loch ist in mir geblieben. Ich spüre es, wenn ich<br />

an sie denke.<br />

Als der Neue kam, habe ich ihm das Leben schwer<br />

gemacht. Er war nicht wie sie. Es hat lange gedauert,<br />

bis sich die alte Vertrautheit bei mir wieder einstellte. Als<br />

es gut war zwischen uns, weinte er beim Abschied. Er<br />

habe eine neue Stelle, die besser bezahlt würde, sagte<br />

er, und das habe nichts mit uns zu tun.<br />

Auch dieses kleine Loch ist noch in mir.<br />

Wenn das so weitergeht, sehe ich innen aus wie ein<br />

Schweizer Käse. Menschen kommen, begleiten uns ein<br />

Stück und hinterlassen kleine schmerzende Löcher,<br />

wenn sie uns verlassen.<br />

Ich würde mich gerne davor schützen, aber es gelingt<br />

mir nicht.<br />

Du hast mir erklärt, dass du nicht meine Mutter bist, die<br />

ein Leben lang für mich da war. Du bist nur eine<br />

Wegbegleiterin, die mir helfen soll, allein zu gehen. Du<br />

bist für mich da, solange du hier bist. Wenn du gehst,<br />

kommt ein anderer Mensch, nimmt deinen Platz ein,<br />

verlässlich wie du.<br />

Ich hoffe nur, mein Gedächtnis reicht aus, um mich an<br />

all die Wegbegleiter zu erinnern, die ein Stück mit mir<br />

gegangen sind und mein Inneres zerlöchert haben.<br />

Du sagst, es sei gut, dass es die Löcher gebe. Sie<br />

würden mir dabei helfen, Gefühle nicht zu vergessen.<br />

Text mit freundlicher Genehmigung des Verlages. Nachdruck aus<br />

Doris Mehring: Wieder so ein Tag. Geschichten für besondere<br />

Menschen, GwG-Verlag, Köln 2003, www.gwg-ev.org,<br />

verlag@gwg-ev.org; ISBN 3-926842-37-7<br />

20 <strong>COLUMpodium</strong> / Frühjahr 2005

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