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GEIGENBAU IM SPIEGEL DER ZEITEN - geigenbau brueckner

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stefan andreas sethe<br />

<strong>GEIGENBAU</strong><br />

<strong>IM</strong><br />

<strong>SPIEGEL</strong> <strong>DER</strong> <strong>ZEITEN</strong><br />

die erfurter <strong>geigenbau</strong>erfamilie brückner<br />

erweckt seit fünf generationen holz zum leben


- 2 -<br />

W. A. M o z a r t<br />

Es handelt sich bei diesem insbesondere auch für die<br />

Darstellung im Internet geeigneten Erzeugnis um ein gekürzt<br />

und leicht variiert wiedergegebenes Sonderexemplar des<br />

2012 erschienen Buches „Geigenbau im Spiegel der Zeiten“.<br />

Autor: Stefan A. Sethe.<br />

Die Originalversion umfasst 112 Seiten im DIN-A5-Format.<br />

© 2012 Brückner & Brückner GbR


Wilhelm (1874-1925)<br />

Alfred (1906-1944)<br />

Wilhelm *1932<br />

Ruth *1962<br />

Christoph *1982<br />

- 3 -<br />

Vorwort<br />

Der vorliegende Band ist vorrangig dem Geigenbaumeister<br />

Wilhelm Brückner gewidmet, der in diesem Jahr seinen 80.<br />

Geburtstag feiert, aber auch seiner Tochter, Geigenbaumeisterin<br />

Ruth Brückner, die vier Tage später 50 Jahre alt wird.<br />

Es ist aber vor allem eine Hommage an ein wunderbares<br />

Handwerk und an die Zähigkeit einer Familie, die mit Fleiß,<br />

Kreativität, etwas Chuzpe und nicht zuletzt großem handwerklichem<br />

Geschick Weltkriege, Wirtschaftskrisen, den Nationalsozialismus,<br />

die sozialistische Planwirtschaft und etliche spätkapitalistische<br />

Zumutungen meisterte und nie den Glauben an<br />

die Kraft und Magie der Musik verlor.<br />

Scheinbar totes Holz wurde unter den Händen dieser Kunsthandwerker<br />

mit neuem Leben erfüllt. Anders als unsere<br />

schnelllebigen Wirtschaftsgüter, die meist schon nach vier<br />

Jahren „abgeschrieben“ sind, entwickeln sich Streichinstrumente<br />

über Jahrhunderte immer besser, wenn sie sich in<br />

Künstlerhand befinden 1 .<br />

In den 115 Jahren, die die Geigenbauerfamilie nunmehr in<br />

fünfter Generation ununterbrochen in Erfurt (davon über 100<br />

Jahre in der Regierungsstraße) ihr Handwerk betreibt, mögen<br />

600 Instrumente neu entstanden und bald 10.000 repariert<br />

oder veredelt worden sein. Diese Erfurter Kinder aus Ahorn<br />

und Fichte haben sich in aller Welt angesiedelt und etabliert.<br />

Einige Brückner-Bratschen, Geigen und Celli kann man auch<br />

in Thüringen hören: In Erfurt, Weimar und Meiningen. Die<br />

meisten haben jedoch ihre Reise angetreten in fremde Städte<br />

und ferne Länder. Auf allen Kontinenten sind heute Brückner-<br />

Instrumente vertreten. Jedes klingt ein wenig anders, mal<br />

etwas tiefer, mal heller, aber eine gewisse Familienähnlichkeit<br />

kann keines dieser Meisterinstrumente aus den Händen der<br />

Brückners verleugnen.<br />

Es war mir eine große Freude, dieses Buch über eine besondere<br />

Kunstfertigkeit zu verfassen und in den historischen<br />

Kontext zu stellen. Mögen weitere Generationen ihre Erfüllung<br />

im Geigenbau finden und der Musik ihr Leben widmen!!<br />

Stefan A. Sethe<br />

Erfurt, zum 30.9.2012<br />

1 Obwohl den großen Banken und Versicherungen Dank gebührt, wenn sie<br />

ihre kostbaren Stradivaris, Guarneris oder Amatis an junge, begabte<br />

Musiker verleihen, so tun sie dies nicht ganz uneigennützig, denn ein<br />

Streichinstrument wird im Safe nicht besser. Es muss gespielt werden, um<br />

nicht „einzurosten“ und seinen Klang weiter entwickeln zu können.


I n h a l t<br />

- 4 -<br />

Seite: 5 „Ihr Kurt Masur“<br />

6 Entwicklung der Musikinstrumente<br />

9 Aufstieg der Geige<br />

9 Anfänge in Italien<br />

10 Geigenbau in Europa<br />

10 im Vogtland<br />

12 Tafellieder<br />

14 Heinrich Albin Brückner<br />

15 Gründer der Brückner-Geigenbau-Dynastie<br />

16 Wanderjahre<br />

19 Standortsuche<br />

15 Die Stadtpfeifer<br />

20 Gründung der Brückner-Werkstatt in Erfurt<br />

21 Lage der Orchestermusiker um 1900<br />

24 Erster Weltkrieg<br />

26 Zwischen den Kriegen<br />

26 Alfred Ernst Konrad Brückner<br />

27 Wilhelm Brückner<br />

28 Zweiter Weltkrieg<br />

28 Schwere Jahre<br />

29 Lehrzeit<br />

31 Geigenbau in der DDR<br />

32 Forsche Schritte in der Selbständigkeit<br />

33 Durchbruch<br />

34 Wirken in der Fachgruppe der Geigenbaumeister der DDR<br />

36 Verband Bildender Künstler der DDR<br />

37 Mitgliedschaft in der LDPD<br />

38 Luis Spohr Wettbewerb<br />

38 Brückner-Bratsche<br />

41 Bratscherwitze<br />

42 Lehrlinge<br />

42 Auf dem Höhepunkt<br />

43 Udo Kretzschmann<br />

44 (W)ende der DDR<br />

45 Haifischbecken Geigenhandel<br />

46 Ruth Brückner<br />

48 GbR<br />

48 Christoph Brückner<br />

49 100jähriges Jubiläum<br />

51 Kleine Auswahl von Brückner-Kunden<br />

52 Zukunft<br />

52 Herstellung<br />

53 Hersteller von Musikinstrumenten<br />

53 Statistik<br />

55 Zusammenfassung<br />

56 Personenverzeichnis<br />

Großer Dank gebührt Geigenbaumeister Udo Kretzschmann aus Markneukirchen<br />

für seine engagierte fachliche Überprüfung und Korrektur des Manuskriptes.


- 5 -<br />

Am Sonntag, dem 9. Oktober 2005, schrieb nach dem Lunch in New York bei leichtem<br />

Regen und angenehmen 23 Grad der weltberühmte Dirigent Kurt Masur einen Brief an die<br />

Geigenbaumeisterin Ruth Brückner in Erfurt:<br />

Sehr geehrte Frau Ruth Brückner,<br />

leider kann ich Ihnen erst heute antworten, weil ich lange auf Tourneen<br />

und nicht in Leipzig war. Die Instrumente Ihres Vaters waren<br />

immer so wertvoll, dass man sie klanglich mit alten Italienischen<br />

vergleichen konnte. Ich bin sicher, daß Sie diese Tradition übernommen<br />

haben und weiß von Musikern, daß Ihre Instrumente hoch<br />

eingeschätzt werden. Leider müssen wir heute gemeinsam um die<br />

Anerkennung der Musik in unserer Gesellschaft ringen. Ich hoffe,<br />

daß in Ihrem Falle bei den verantwortlichen Stellen die Kenntnis<br />

und die Einsicht vorhanden ist, welch wichtige Rolle Kultur und<br />

speziell die Musikkultur im Leben eines Menschen darstellen.<br />

Die Tätigkeit eines Geigenbaumeisters ist eine künstlerisch<br />

hocheinzuschätzende, denn sie müssen nicht nur die handwerklichen<br />

Kenntnisse sondern auch das Ohr eines Musikers und<br />

das Fingerspitzengefühl besitzen, um solche wertvollen Instrumente<br />

zu bauen.<br />

In Hochachtung und lebendiger Erinnerung an Ihren Vater<br />

Ihr<br />

Kurt Masur<br />

Profaner Anlass für diese herzliche und rührende Ode an die<br />

künstlerische Qualität des Geigenbaues im Allgemeinen und das<br />

Ansehen Brücknerscher Instrumente im Besonderen, war ein<br />

Streit mit den Thüringer Steuerbehörden, ob der Bau von Meisterinstrumenten<br />

nur schnödes Gewerbe ist oder als kulturell<br />

hochstehende, kreative Leistung betrachtet werden kann. Spätestens<br />

nach diesem Schreiben waren allerdings selbst die Finanzbeamten<br />

überzeugt, dass ein mit Liebe und innerem Feuer<br />

hergestelltes Instrument, welches sich immer wieder neu an individueller<br />

klanglicher und optischer Schönheit orientiert und<br />

immer auch ein unverwechselbares Einzelstück bleiben wird,<br />

vielleicht doch nicht ganz mit jenen heute in Fernost gefertigten,<br />

geigenähnlichen Schachteln verglichen werden kann, die niemals<br />

die Hand eines Meisters gespürt haben und für 200 Euro<br />

inklusive Kasten und Bogen im Supermarkt feil geboten werden<br />

2 .<br />

2 Auf seiner ersten Sitzung nach dem Krieg legte der Geigenbauerverband<br />

1948 in Stuttgart fest: Eine Schülergeige müsse mehr als 60 Mark kosten.<br />

Was unter 20 Mark lag, solle nicht einmal zur Reparatur angenommen werden,<br />

denn es handele sich um Spielzeug und kein Musikinstrument. Wirkliche<br />

Meistergeigen könnten unter 400 Mark nicht hergestellt werden.<br />

rechts neben Kurt Masur<br />

der Solobratscher des<br />

Gewandhausorchesters,<br />

Wolfgang Espig, mit einer<br />

Brückner-Bratsche


Entwicklung der Musikinstrumente<br />

- 6 -<br />

Es war ein weiter Weg, den die Musiker und die Instrumentenbauer zurück legen mussten bis<br />

zur Eloge eines Kurt Masur. Nicht alle Geigenbauer waren so geachtet wie Antonius Stradivarius<br />

in Cremona. Im Gegenteil: Das fahrende Volk der Musiker – und damit auch deren Ausrüster<br />

– fand sich im Verlaufe der menschlichen Kulturgeschichte nicht selten am unteren<br />

Ende der sozialen Anerkennungsleiter.<br />

Wir können davon ausgehen, dass ursprünglich die Instrumente, wie Trommeln, Rasseln und<br />

Flöten, noch von den Musikanten selbst gefertigt wurden. Wenngleich es die ersten urkundlich<br />

belegten Instrumentenbauer erst im 13. Jahrhundert gab, dürfte sich das Berufsbild des<br />

Musikers von jenem des Instrumentenbauers schon vor 6000 Jahren getrennt haben. Es ist<br />

anzunehmen, dass handwerkliche Geschicklichkeit und musikalische Begabung nicht mehr<br />

Hand in Hand gingen, und es zu einer entsprechenden Arbeits- und Aufgabenteilung kam, als<br />

im Orient die ersten, kompliziert zu bauenden, mehrsaitigen Chordophone und Leiern entstanden,<br />

die wenig später zu Harfen mit Resonanzkörpern weiter entwickelt wurden. Künftig<br />

war das Ansehen der Instrumentenbauer gekoppelt mit und abhängig von der Fähigkeit der<br />

Komponisten und vom Geschick der Musiker, durch das Ausüben ihrer Kunst Freude und<br />

Bewunderung zu wecken.<br />

Detail aus Brueghels „Eiertanz“<br />

Das Bild der Musik, der Musiker und der Instrumentenhersteller war<br />

im Laufe der Zeiten immer wieder Schwankungen unterworfen. Zwar<br />

war der emotionale Zugang der Musik zum Ohr der Menschen immer<br />

gleich wichtig, aber die Akzeptanz des Berufsbildes hat sich permanent<br />

mit den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen gewandelt.<br />

Die Grundlagen der heutigen europäischen Musikkultur entwickelten sich im Spätmittelalter.<br />

Ein gravierender Wandlungsprozess setzte ein mit der technischen Entwicklung des Notendrucks<br />

und nutzte die sich entfaltenden Notationsmöglichkeiten. Damit verbesserten sich die<br />

Produktionshandhabe und die Verbreitungswege von Musik bedeutend und erlaubten eine<br />

praktische Kontrolle. Die aufkommende kontrapunktische Verregelung der Musik, die Qualifizierung<br />

von Zusammenklängen in einem System aus<br />

Konsonanzen und Dissonanzen und die Stimmführung<br />

in der sich entwickelnden Polyphonie ließen sich<br />

durch eine einheitliche grafische Ordnung wesentlich<br />

leichter bestimmen und prüfen. Die allgemeinen Folgen<br />

der Differenzierung waren die Rollenverteilung in<br />

die Bereiche Komposition, Interpretation und Distribution.<br />

Jenaer Liederhandschrift aus dem 14. Jahrhundert<br />

Im Mittelalter waren die Minnesänger meist auch die<br />

Interpreten ihrer eigenen Werke. Nun entwickelten<br />

sich sehr differenzierte Berufsbilder. In dem Maße,<br />

wie die Nachfrage nach Musik in den Kirchen und an<br />

den Fürstenhöfen wuchs, nahm auch die Bedeutung<br />

der Komponisten zu, die immer komplexere und differenziertere<br />

Werke schufen, welche technisch versierte<br />

Musiker erforderten und damit auch immer ausgereiftere und spezialisierte Instrumente.<br />

Dies galt auch und speziell für die Streichinstrumente. Insbesondere Corelli und Torelli<br />

forcierten die Entwicklung der Geige zum Soloinstrument, was wiederum die Geigenbauer zu<br />

neuen Anstrengungen veranlasste.


- 7 -<br />

Adolph Menzels Gemälde „Das Flötenkonzert Friedrich des Großen in Sanssouci“ (1852)<br />

Zwar blieben die Komponisten, Interpreten und damit im weiteren Sinn auch die Instrumentenbauer<br />

noch längere Zeit vom Mäzenatentum der Fürsten und Kirchen abhängig, aber zunehmend<br />

stiegen die jeweils besonders erfolgreichen Künstler ihres Faches sozial vom<br />

Dienstleister zum Prestigeträger auf.<br />

Bis ins 18. Jahrhundert waren Volks- und Unterhaltungsmusiker sozial schlecht gestellte<br />

städtische Spielleute oder Spezialisten innerhalb der Dorfgesellschaft, welche u.a. auf Dorf-<br />

und Stadtfesten die nicht immer sehr geachteten Volksbelustigungen umrahmten. Es gab hier<br />

noch keine Arbeitsteiligkeit, nur mündliche Überlieferungen der Musik und eine wenig differenzierte<br />

Funktion des Musikmachens. Volksmusiker waren in den Alltag und die Abläufe<br />

des Kirchenjahrs eingebunden, übernahmen aber auch die Rolle des Informationsübermittlers,<br />

etwa durch den Moritaten- und Bänkelsang. Mit der Industrialisierung kam auch in der Unterhaltungsmusik<br />

die Nachfrage nach „professioneller“ Musik.<br />

Die Erfindung des Notendrucks hatte dazu geführt, dass nunmehr auch das Bürgertum sich<br />

von der bisherigen Musikantenschar emanzipierte. Die spezifisch bürgerliche Salonmusik<br />

entwickelte sich im 19. Jahrhundert. Sie bestand größtenteils aus leichten Arrangements von<br />

Kunstmusik für die wohlhabenden Haushalte. Vor allem für das Klavier und kleine Hausmusikensembles<br />

wurden leicht spielbare und effektvolle Stücke komponiert. Sie dienten als<br />

Spielmaterial für den Musikunterricht. Carl Czernys „Schule der Geläufigkeit“ und andere<br />

Übungsmusik bildeten die Ausrüstung für den bürgerlichen Musiklehrer, der als neuer Berufszweig<br />

etablierte.<br />

Das Virtuosentum im Konzertsaal belebte den Musikmarkt und schuf die ersten international<br />

bekannten Stars wie Niccolò Paganini und Franz Liszt Franz. Ein David Garrett, der zum Entsetzen<br />

aller Musikliebhaber meint, den Hummelflug von Rimski-Korsakow in einer Minute<br />

und fünf Sekunden spielen zu müssen, was 13 Noten pro Sekunde entspricht, und zeitweilig<br />

einen Platz im Guinness-Buch der Rekorde sichert, braucht für seine zirzensischen Verrenkungen<br />

eine exzellente Violine und einen ebensolchen Bogen. Aber auch eine Anne-Sophie<br />

Mutter, die als Teenager schon künstlerisch ausgereifter war als es ein Garrett wohl je sein<br />

wird oder ein Paganini je war, braucht für ihre sensiblen Interpretationen ein qualitativ ausgereiftes<br />

Instrument. Beide spielen heute Geigen von Antonio Stradivari, jene legendären<br />

Streichinstrumente des Cremoneser Geigenbauers vom Anfang des 18ten Jahrhunderts, die<br />

heute für Millionenbeträge die Besitzer wechseln.


- 8 -<br />

Skizze von Stradivari mit Anmerkungen<br />

zum Geigenbau<br />

Deutlich wird bei dieser ein<br />

wenig an Da Vinci bzw. Dürer<br />

erinnernden mit geometrischen<br />

Kreisen angereicherten Skizze<br />

auch eine gewisse Mathematisierung<br />

der Geigenbaukunst.<br />

Zunehmend wurden physikalische<br />

Gesetzmäßigkeiten berücksichtigt,<br />

wenngleich der<br />

Status der klanglichen Experimentalphysik<br />

erst in der Neuzeit<br />

überschritten wurde.<br />

Demgegenüber wurde die Musik<br />

erst mit Aufkommen der<br />

gefühlsbetonten Romantik zu den<br />

Künsten gerechnet. Bei den<br />

antiken Pythagoreern galt sie noch<br />

als mathematische Wissenschaft,<br />

die in Bezug gesetzt wurde zur<br />

Ordnung des Kosmos.<br />

Aufstieg der Geige<br />

Seit den ersten Zupfinstrumenten<br />

vor 6000 Jahren bis zum<br />

Höhepunkt des Geigenbaues im<br />

18. Jahrhundert hatten tiefgreifende<br />

Entwicklungen stattgefunden:<br />

Die Zupfinstrumente mutierten<br />

nach und nach zu ausdrucksstärkeren<br />

und variableren Streichinstrumenten. Nun-mehr konnten Töne nicht mehr nur<br />

durch das Zupfen oder Schlagen der Saiten hervorgerufen werden. Das Streichen mit Bogenhaaren<br />

erzeugte wesentlich kompliziertere Schwingungen. Dazu waren bauliche Veränderungen<br />

notwendig. Um zu verhindern, dass die schwingenden Saiten auf den Resonanzkorpus<br />

oder das Griffbrett aufschlugen, war ein ausreichend hoher Steg erforderlich, die Befestigung<br />

der Saiten musste grundsätzlich verändert werden, und es wurde Platz geschaffen für den Bogenstrich.<br />

Die Instrumentenbauer experimentierten mit verschiedenen Modellen, die man zum Teil heute<br />

nur noch in Museen findet. So gab es die für eine deutsche Zunge kaum aussprechbare Crwth<br />

in Irland und Wales, die schon bekanntere aber inzwischen auch fast ausgestorbene Fidel, den<br />

Rebec (der trotz des halbbirnenförmigen Korpus natürlich nichts mit jenem Fontane-Gedicht<br />

des Herrn von Ribbeck zu tun hat), die Giga als ähnlich strukturierte, französische Variante,<br />

und das fast zwei Meter lange, einsaitige Trumscheit.<br />

Nach und nach verfeinerten und vereinheitlichten sich die Streichinstrumente. Der Steg bekam<br />

eine Wölbung und der Saitenabstand wurde größer, um das Streichen einzelner Saiten zu<br />

ermöglichen. Aus dem gleichen Grund wurde die „Taille“ verengt, womit dem Bogen ein<br />

größerer Aktionsradius eröffnet wurde. Die Saiten wurden dicker, der Bogen verstärkt. Es


- 9 -<br />

begannen Kräfte auf den Resonanzkorpus zu wirken, die eine Verstärkung im Inneren notwendig<br />

machten. Das war die Geburtsstunde eines kleinen Holzstäbchens unter dem Steg, der<br />

sogenannten Stimme, deren korrekter Sitz nunmehr einen ganz entscheidenden Einfluss haben<br />

sollte. Zur Stabilisierung der tiefen Saiten wurden Bassbalken eingepasst, selbst die Schalllöcher<br />

mussten neu geformt werden. Die Seitenwände (Zargen) wurden niedriger und mit dem<br />

Hinzufügen einer vierten Saite war vor 500 Jahren die Entwicklung zum heutigen Streichinstrument<br />

weitgehend abgeschlossen. Neuere Veränderungen betreffen vor allem das Zubehör,<br />

wie die Saiten, Halter, Stützen, und in allerneuster Zeit neue Materialien und elektronische<br />

Erweiterungen und Verbindungen.<br />

Anfänge in Italien<br />

Angesichts dieser Experimentierphase mit den neuen Streichinstrumenten verwundert es<br />

nicht, dass es anfangs noch keine speziellen Geigenbauer gab. Die frühen Meister fertigten<br />

Lauten, Gamben und experimentierten mit Violen und Violinen. Als erster Geigenbauer gilt<br />

mitunter Pietro Dardelli, ein Franziskanermönch aus Mantua. Auch Giambattista Rolini aus<br />

Pesaro wird genannt. Mit Sicherheit einer den Ersten war Zanetti da Montichiaro, von dem<br />

ein Geigenzettel von 1532 erhalten ist.<br />

Mit dem Aufstieg der Amati-Familie in Cremona erfolgte eine gewisse Standardisierung der<br />

Streichinstrumente. Einen wichtigen Durchbruch brachte damals ein Auftrag vom französischen<br />

König zum Bau von Streichinstrumenten, erstmals auch der neuen Violine.<br />

Mit da Salò begann um 1600 auch eine Tradition des Violabaus. Da Salòs Bratschen, die allerdings<br />

mittlerweile im Hinblick auf eine angenehmere Spielbarkeit meist verkleinert wurden,<br />

sind heute besonders begehrt.<br />

Es dauerte nun nur noch 200 Jahre, bis auch die Brückners, um die es vorrangig in diesem<br />

Buch gehen soll, als Geigen- und Bratschenbauer ins Geschehen eingriffen<br />

Geigenbau in Europa<br />

Mit Stradivari und seinen Zeitgenossen im weiteren Sinn erreichte der Streichinstrumentenbau<br />

in Italien eine gewisse Zentralisierung, Perfektionierung und seinen vorläufigen Höhepunkt.<br />

Ohne im Detail auf die Streitfrage eingehen zu wollen, ob die Instrumente von Stradivari und<br />

seiner legendären Zeitgenossen wirklich so viel besser sind als die heutigen, zumindest haben<br />

anonymisierte Hörtests und Vergleiche dieses nicht bestätigen können (im Gegenteil, moderne<br />

Instrumente wurden zum Teil sogar besser beurteilt), kann festgestellt werden, dass sich<br />

die Violinen Stradivaris durch objektivierbare Merkmale auszeichnen: Sie tragen besonders<br />

gut im Bereich zwischen 2.000 und 4.000 Hertz, dem Klangbereich, in dem das menschliche<br />

Gehör am empfindlichsten ist. Dies führt dazu, dass selbst ein sehr leise gespielter Ton in einer<br />

großen Konzerthalle weithin hörbar ist, wenn er auf einer Stradivari gespielt wird. Andererseits<br />

haben die Geigen Stradivaris deutliche Defizite, wenn es darauf ankommt, dunklere,<br />

sonore Töne zu erzeugen.<br />

Schwingungsanalysen zeigen, dass spezielle, asymmetrische Abweichungen der Materialstärke<br />

eine wichtige Rolle für den Klangcharakter spielen. Schließlich konnte Stradivari auf<br />

eine besondere Holzqualität zurück-greifen. Offenbar waren besondere klimatischen Verhältnisse<br />

in Europa während der sogenannten „Kleinen Eiszeit“ (16.-18.Jh.) dafür verantwortlich,<br />

dass zum Instrumentenbau Holzqualitäten verwendet werden konnten, die es heute nicht mehr


- 10 -<br />

gibt. Die geringeren Durchschnittstemperaturen führten zu verändertem Baumwachstum mit<br />

geringerem Jahrringabstand und reduziertem Spätholzanteil. Je weniger Spätholz pro Jahrring<br />

gebildet wird, desto geringer ist die Rohdichte, was sich auf die Klangqualität des Instrumentes<br />

günstig auswirken soll. Abgesehen von den Holz- und eventuell auch Lackeigenschaften<br />

verfügten Stradivari und sein Lehrmeister Amati oder auch Kollegen wie Guarneri etc. selbstverständlich<br />

über eine akribische Handwerkskunst, Voraussetzung für jedes Meisterinstrument.<br />

Spätere Modellveränderung waren veränderten Aufführungsgewohnheiten geschuldet. Die<br />

Instrumente vor 1750 waren meist für kleinere Säle, schwächere Besaitung, elegantere Spielart<br />

und einen tieferen Kammerton gebaut worden. Veränderungen in der Aufführungspraxis,<br />

insbesondere die größeren Säle und Orchester, machten auch Veränderungen bei den Instrumenten<br />

erforderlich. Der Hals der Geigen wurde verlängert, der Steg erhöht, was wiederum<br />

eine größere Neigung des Halses erforderte. Diese Umwandlungen waren ca. 1800 beendet,<br />

und weitere 50 Jahre später waren auch nahezu alle früher gebauten Meistergeigen umgebaut<br />

worden, wobei man selbst vor den großen Namen wenig Respekt zeigte. Instrumente von<br />

Amati, Stradivari, Guarneri etc. gibt es nur noch ganz vereinzelt im musealen Originalzustand.<br />

In dem Maß, wie sich eine gewisse Vereinheitlichung des Streichinstrumentenbaus durchsetzte,<br />

kam es gleichzeitig zu einer Dezentralisierung der Werkstätten. Neben Italien entwickelte<br />

sich in Frankreich ein eigener Geigenbau. Auch im süddeutschen Raum gab es hervorragende<br />

Geigenbaumeister. Berühmt wurden hier vor allem der 1618 geborene Tiroler Jakob<br />

Steiner. Gemessen an den Fälschungen, wobei in späteren Jahren seine nachgedruckten Geigenzettel<br />

in minderwertige Instrumente<br />

eingeklebt wurden, waren<br />

seine Instrumente sogar beliebter<br />

und berühmter als jene des nach<br />

ihm in Italien wirkenden Stradivari.<br />

Geigenzettel „Jakobus Stainer“ Geigenzettel„Antonius Stradivarius“<br />

In Süddeutschland entwickelten sich anschließend regelrechte Stammsitze von Geigenbauern.<br />

Matthias Klotz war in Mittenwald der Begründer einer Dynastie von 36 Geigenbauern. Die<br />

Fichtls stellten 25 Berufskollegen.<br />

Im Vogtland<br />

Etwa Mitte des 17. Jahrhunderts beginnt die Geschichte des vogtländischen Geigenbaus.<br />

Protestantische Auswanderer aus Böhmen brachten den wichtigen, neuen Wirtschaftszweig<br />

nach Markneukirchen und Klingenthal. Am 6. März 1677 bestätigte Herzog Moritz von Sachsen<br />

die Gründung der ersten Geigenbauer-Innung von Markneukirchen, zu der sich zwölf ins<br />

Vogtland eingewanderte böhmische Exulanten zusammengeschlossen hatten. Um die Qualität<br />

und Integrität der neuen Geigenproduktion zu gewährleisten, stellte die Innung strenge Regeln<br />

auf: Bewerber mussten aufwendige Meisterstücke präsentieren, hohe Aufnahmebeiträge entrichten<br />

und einen Fürsprecher gewinnen, der ihre Bewerbung unterstützte.<br />

Was zeichnet die vogtländische Violine aus? Kurz gesagt: Eine Typisierung ist nicht möglich.<br />

Eine einhellige Antwort zu geben ist schwierig, wenn nicht geradezu unmöglich, ein Schema<br />

zu nennen ausgeschlossen. Von Anfang an bauten die Geigenbauer des Vogtlandes nicht über<br />

einer Form, sondern schachtelten frei auf.


- 11 -<br />

Auf dieser Erkenntnis fußend stellte Christine Kröhner 3 am Korpus der meisten Vogtländer<br />

zumindest eine Seitengleiche fest. Allerdings: „Eine etwas oder stärker ausgezogene flache Oberbügelform<br />

ist schon nicht mehr als allgemeingültig zu betrachten. Die Vielfalt der vogtländischen Modelle ist auffällig. Zu den rein äußerlich<br />

erkennbaren Merkmalen der einzelnen Regelteile kommen die nicht ohne weiteres sichtbaren im Inneren der Violine.<br />

Bautechnische Kennzeichen, wie eingeschobene Oberzargen im Oberklotz oder Halsbefestigungen und -lagerungen haben<br />

ebenso wenig ihren Gemeinplatz. Die Eigentümlichkeiten in der Gestaltung - beispielsweise der Schnecke - sind bei den<br />

verschiedenen familiären Schulen unterschiedlich. Hinsichtlich der Wölbung gibt es flache und höhere Typen, etwa nach<br />

Jacob Stainer gehend. Vollkommen rundumlaufende Hohlkehlen zeichnen diese Modelle aus. Selbst die im oberen Drittel<br />

als Mulde gestalteten Seitenpartien des Wirbelkastens bleiben auf einzelne Familienschulen beschränkt.<br />

Oftmals besteht eine deutliche Demarkationslinie zwischen den glatten unteren zwei Dritteln der äußeren Seitenwand und<br />

der soeben genannten Mulde. Die Schneckenformen sind mannigfaltig und selbst bei ein und demselben Geigenmacher<br />

verschieden ausgefallen.<br />

Eine oft erwähnte, sog. gedrückte oder gequetschte Form der Schnecke, also keine gleichmäßige Rundung, kann nicht als<br />

gemein vogtländisch angesprochen werden. Gerade die Schnecken sind individuell geformt. Auch Größe und Position sind<br />

unterschiedlich. Breite Ohren – schmale Ohren, ausgeprägter Mittelgrad: Alles kommt vor. Schwach gekehlt - tiefer ausgestochen:<br />

Das sind ebenfalls individuelle Merkmale und keinesfalls fürs Vogtland generell gültige Normen. Was man<br />

vogtländischen Schnecken nachsagt, sind nach vorn unten nicht tief genug gekehlte, zeitig aufhörende Rinnen über dem<br />

eigentlichen Wirbelkasten. Aber dieses Merkmal besitzen andere Geigenbauschulen ebenso. Einfaches vogtländisches<br />

Ahornholz, kein Riegelahorn, und einheimische oder aus dem Böhmerwald stammende, engjährige Fichtendecken sind die<br />

meist verwendeten Materialien. Es gibt jedoch auch unregelmäßig eng geflammten Ahorn aus obervogtländischen Höhenlagen<br />

bis etwa 940 m NN (Kielberg 942 m, Aschberg 936 m). Hälse und Griffbretter aus wilden Obstbaumgehölzen, die Griffbretter<br />

furniert und/oder dunkel gebeizt, kommen vor. Als Standardausführungen können sie nicht gewertet werden. Dasselbe<br />

gilt von Drahtaufhängungen der Seitenhalter und deren Formen, wie das an alten Instrumenten gelegentlich zu beobachten<br />

ist.<br />

Die Geigenmacher stellten sich ihre Beize und Lacke selbst her. Die gelbe Gründung mit Safran ist als typisch vogtländisch<br />

zu betrachten. Der Lack hat gelbe, goldgelbe oder in allen Nuancen vorkommende braune bis schwarzbraune Farbe und ist<br />

oftmals gar nicht so steif und spröde, wie er immer hingestellt wird. Schwarzbrauner Lack mit Drachenblutharzbeigaben<br />

feuert in der Abendsonne dunkelrot. Direkte hellrote Farbe kennt der Vogtländer nicht. Klangvorstellungen entsprachen dem<br />

jeweiligen Zeitgeschmack. Steilgewölbte Violinen mit schmaler Brust geben im allgemeinen näselnde Töne, oft als Flötentöne<br />

bezeichnet. Breitere Modelle in flacher Bauweise klingen weich und zärtlich.“<br />

So unterschiedlich in der Form, so wechselvoll war auch die Geschichte des vogtländischen<br />

Geigenbaues. Nie war er frei von Problemen und Verwerfungen. Während der mittlerweile<br />

bald 400 Jahre, in denen im Vogtland Musikinstrumente gebaut wurden, genoss Markneukirchen<br />

nicht immer einen makellosen Ruf. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts sah sich Carl<br />

Wilhelm Heber veranlasst, in seinen Geigen einen zusätzlichen Zettel anzubringen:<br />

„Viel falsches nachgemacht<br />

Sich da und dort schleicht ein,<br />

Drum sieh mein Petschaft an<br />

Willst nicht betrogen seyn.“<br />

Mag auch der Vorwurf nicht berechtigt sein, im Vogtland seien mehr Geigen gefälscht und<br />

mit Faksimilezetteln versehen worden als überall sonst in den Geigenbauzentren, der Konkurrenzdruck<br />

war im südlichen Sachsen immer besonders hoch, das Arbeiten am Existenzminimum<br />

besonders häufig.<br />

Zwischen Markneukirchen und Klingenthal entspann sich ein Jahrhunderte andauernder Geigenbauerkrieg.<br />

So durfte kein Geigenbauer im jeweils anderen Ort seine Instrumente anbieten<br />

oder gar verkaufen. Die Zahl der Geigenbauer entwickelte sich inflationär. Von 1750 bis 1850<br />

verzehnfachte sich die Anzahl. Erst das Umschwenken auch auf andere Musikinstrumente<br />

brachte eine gewisse Entlastung an der Arbeitsfront. Die Geigenproduktion entwickelte sich<br />

dennoch ungebremst weiter.<br />

3 Diplomarbeit 1981 “Vogtländische Geigen von den Anfängen bis etwa 1850. Untersuchungen zu ihrer Origi-<br />

nalgestalt.” - zitiert nach dem Musikinstrumenten Museum: www.museum-markneukirchen.de/streich.htm


- 12 -<br />

Das Original befindet sich im Musikinstrumentenmuseum-Markneukirchen<br />

Melodie: O Tannenbaum, O Tannenbaum


- 13 -<br />

Es hatte inzwischen auch eine Professionalisierung des Vertriebes stattgefunden. Anders als<br />

Schuster oder Bäcker, die ihre Erzeugnisse am Ort verkaufen können, finden Geigenbauer nur<br />

selten Abnehmer direkt am Ort der Herstellung. 1713 wurde erstmals ein professioneller<br />

Händler in die Innung aufgenommen. Zuvor hatten die Meister weite Reisen auf sich genommen,<br />

um persönlich Märkte und potentielle Kunden zu besuchen. Dies über-nahm nun Johann<br />

Elias Pfretzschner zum Teil über sehr weite Entfernungen. Der Erfolg seiner Marketing-Aktivitäten<br />

führte allerdings dazu, dass größere Stückzahlen zu Dumpingpreisen geordert wurden,<br />

die industrielle Produktionsformen erforderten. Es begann 1719 mit einem spezialisierten<br />

Wirbeldrechsler. Bald kamen Werkstätten von Halsschnitzern, Decken- und Schachtelmachern<br />

hinzu. In den immer weniger werdenden Meisterbetrieben wurden die Einzelteile nur<br />

noch zusammengefügt. Für eine qualitativ überzeugende Geige rechnet man damals wie heute<br />

üblicherweise eine Produktionszeit von mindestens einem Monat 4 .<br />

Pro Monat wurden jedoch in Markneukirchen mitunter mehr als 1.500 Instrumente hergestellt.<br />

Markneukirchen entwickelte sich zu einer Musterstadt marxistischer Theorie: Fabrikmäßige<br />

Entfremdung vom eigentlichen Handwerksprodukt, extreme Gewinne auf der einen<br />

Seite und soziale Not bei den abhängigen Heimarbeitern, Gesellen und ihren Familien.<br />

1868 gründete Julius Berthold seine Firma zur Herstellung von Maschinen für den Musikinstrumentenbau.<br />

Zur mechanischen Herstellung von Böden und Decken erfand der Klingenthaler<br />

Ingenieur William Thau 1904 eine Kopierfräsmaschine. Zeitweilig wurden in Markneukirchen<br />

bis zu 80 % der Weltproduktion an Geigen hergestellt.<br />

Wirtschaftliche Not, Konkurrenzdruck,<br />

Monopolverhältnisse und<br />

nicht zuletzt auch Qualitätsansprüche,<br />

die sich im Vogtland nur noch<br />

sehr bedingt verwirklichen ließen,<br />

von innovativen Experimentieren<br />

ganz zu schweigen, ließ viele junge<br />

Geigenbauer auswandern.<br />

Markneukichener Werkstatt<br />

Anfang des 20. Jahrhunderts<br />

Mit einem solchen Wanderungsprozess beginnt auch die Geschichte der Geigenbau-Dynastie<br />

Brückner, über die in diesem Buch etwas ausführlicher berichtet werden soll.<br />

Trotz aller Widrigkeiten gibt es für die Markneukirchener allerdings auch genug Gründe, auf<br />

die eigene Geigenbautradition stolz zu sein. Der vogtländische Geigenbau ist ganz gewiss<br />

nicht nur mit der großen Zahl billiger Instrumente gleichzusetzen, die im 18. und 19. Jahrhundert<br />

in alle Welt verkauft wurden. Markneukirchen war immer auch Ausbildungsstätte vieler<br />

internationaler Geigenbaumeister, die z. B. in den USA, Russland und verschiedenen europäischen<br />

Metropolen wirkten. Qualität und Innovationskraft zeichneten aber auch viele Geigenbauer<br />

aus, die in ihrer Heimat geblieben waren.<br />

4 auch wenn das Innungsprivilegium der Geigenmacher zu Markneukirchen für die Meisterprüfung 1677 vorsah:<br />

"Kunststück binnen drey Wochen fertigen, als: 1. Eine Discant-Geige mit schönem Holze, den Halß rein eingelegt,<br />

das Griffbrett gewürffelt, den Boden und Decke auch mit dreyfachen Spähnen sauber eingelegt; 2. Eine Zitter von<br />

schönem Holz und rein auff dem Register; 3. Eine viola di Gambe mit Brücken und Sechs Seiten ohne tadel, und<br />

sollen alle drey Stücke in gelber Farbe seyn ohne Flecken. Der Anfang zu solcher Arbeit soll frühe Morgens umb<br />

Sechs Uhr gemacht werden ...“ 1723 wurde die Dreiwochen-Tortur noch um ein Instrument erweitert: „Violin,<br />

Laute, Viol di Gamba und Davids Harffe“.


- 14 -<br />

Zu den wichtigen Geigenbauer-Familien Markneukirchens gehört u.a. die Familie Heberlein,<br />

die sich international einen sehr guten Namen erworben hat. Ihr bekanntestes Mitglied ist<br />

Heinrich Theodor Heberlein jr. (1843-1910), der für die sehr gute Qualität seiner Instrumente<br />

bekannt war und vielfach ausgezeichnet wurde, u. a. als Ritter des Sächsischen Albrechtsordens.<br />

Aber auch schon Johann Gottlob Heberlein (1782-1856) war ein guter Geiger und experimentierfreudiger<br />

Geigenbauer, der 1813 gemeinsam mit einem Blasinstrumente-Macher<br />

eine Geige aus Messing herstellte – ein interessantes, „interdisziplinäres“ Detail der Markneukirchener<br />

Instrumentenbau-Geschichte.<br />

Mit der Verbindung zwischen der Geigenbauerfamilie Heberlein und der damaligen Gitarrenbauerfamilie<br />

Brückner beginnt vor fast 200 Jahren nach unserer historischen tour d'horizont,<br />

die mit der geographischen Verengung auf Markneukirchen endete, nun endgültig auch die<br />

Geschichte der weit verzweigten Geigenbaufamilie Brückner.<br />

Heinrich Albin Brückner<br />

Am 2. November 1834 wurde Augusta Friedericke Heberlein als Tochter des Christian Gottlob<br />

Heberlein (geb. 4.5.1802) und Enkelin des Karl Friedrich Heberlein (geb. 11.7.1767) in<br />

Markneukirchen geboren. Ihre Vorfahren waren durchweg Markneukirchener Baßmacher und<br />

Geigenbauer (mütterlicherseits Ficker). Sie heiratete mit 20 Jahren den ein Jahr älteren Gitarrenmacher<br />

Heinrich Albin Brückner. Auch Heinrich Albin konnte bei seiner Geburt am<br />

11.10.1833 schon auf eine 100jährige Tradition von Instrumente- und Bogenbauern verweisen.<br />

Besonderer Erwähnung verdient in diesem Zusammenhang u.a. der einen Tag vor Heiligabend<br />

1767 gestorbene Instrumentenbauer Michael Brückner.<br />

Im Brücknerhaus auf dem Berg wurden nunmehr im Zweijahresrhythmus fünf Söhne geboren:<br />

1855 der spätere Geigenbauer Alwin, 1857 Heinrich, der Zithermacher, und 1859, 1861<br />

und 1863 Ernst, Moritz und Konrad (Zithermacher), die den Beruf ihres Vaters ergriffen. Das<br />

Klima im Vogtland ist rau. Andernorts schlagen im Mai die Bäume aus, und sonnenfrohe<br />

Lieder werden angestimmt. Im Vogtland schlagen die Gefühle meist erst einen Monat später<br />

Kapriolen. Es kommt daher nicht von ungefähr, dass die fünf Brüder durchweg im März Geburtstag<br />

hatten. Diese Regelmäßigkeit wurde erst später durchbrochen: 1869 und 1872 bekam<br />

das Brüder-Quintett zwei Schwestern und am 30.6.1874 wurde als Nachzügler schließlich<br />

auch noch August Wilhelm Brückner geboren. Damals hatte Markneukirchen etwas mehr als<br />

4.000 Einwohner. Ein Viertel der Bevölkerung war als Instrumentenmacher beschäftigt, davon<br />

jeweils rund 100 als Geigen-, Zupfinstrumente- und Bogenmacher.<br />

Von August Wilhelm und dessen Nachkommen soll im Weiteren berichtet werden. Seine<br />

1879 schon fast 45jährige Mutter sorgte allerdings dafür, dass in jenem April die sechs Brüder<br />

noch eine dritte Schwester bekamen. Eine gewisse Belastbarkeit müssen die Kinder wohl von<br />

der Mutter geerbt haben, die 70 Jahre alt wurde. Der Vater starb schon wenige Tage nach seinem<br />

fünfzigsten Geburtstag. Da war Wilhelm gerade mal 10 Jahre alt. Die älteren Brüder<br />

hatten zum Glück das Elternhaus schon verlassen, aber für Wilhelm und seine drei Schwestern<br />

begannen besonders harte Zeiten, die Wilhelm nachhaltig geprägt haben mochten. Zum<br />

einen wurde er vielleicht noch früher als seine Brüder und Altersgenossen in den Häusern und<br />

Dörfern der Umgebung mit der harten Lebenswirklichkeit konfrontiert, zum anderen wirkte<br />

der reine Frauenhaushalt sensibilisierend und förderte die Kreativität. Charakterzüge, die sich<br />

auch bei seinem Enkel, Wilhelm Konrad, finden lassen; auch dieser musste in frühen Jahren<br />

auf den Vater verzichten, wuchs anschließend in einem Frauenhaushalt auf und lernte sehr<br />

früh Verantwortung zu übernehmen und hart zu arbeiten.


Gründer der Brückner-Geigenbau-Dynastie<br />

- 15 -<br />

August Wilhelm, wir wollen ihn zur besseren<br />

Unterscheidung mit seinem gleichnamigen<br />

Enkel den „UrWilhelm“ nennen,<br />

UrWilhelm also, wuchs auf dem Oberen<br />

Berg neben der<br />

Gaststätte "Zum Heiterer Blick“<br />

unter harten Bedingungen auf.<br />

Wer die Kindheit in diesen kleinen Häusern<br />

überlebte, war gestählt für das Leben.<br />

Die Nachbarschaft zur Gaststätte sorgte<br />

dafür, dass den Brückners hinfort eine gewisse<br />

Trinkfestigkeit nicht mehr abgesprochen<br />

werden konnte. Ein echter „Neikirgner“ ist auch schärfsten Flüssigkeiten nicht abhold.<br />

Andererseits war UrWilhelm eingebettet zwischen den drei Schwestern, ein Benjamin,<br />

dem oft besondere Zuwendung gegeben wird, und der oft auch seine Kreativität und seine<br />

Anlagen besonders gut entfalten kann. Schon als kleiner Junge begann er Singvögel einzufangen<br />

und sie sozusagen als Vorläufer des damals noch nicht erfundenen Plattenspielers in einem<br />

Vogelbauer zu halten. Mitunter verkaufte er sogar besonders sangesfreudige Stieglitze<br />

und andere gefiederte Künstler. Noch heute gehören daher Kuckucksuhr<br />

und ein Kanarienvogel zur Standardeinrichtung der Brückner-Werkstatt.<br />

„Bernhard Vogel“ aus der heutigen Brückner-<br />

werkstatt in der Erfurter Regierungsstraße 66<br />

entpuppte sich mittlerweile als „Bernhardine“<br />

Vor der Schule trug UrWilhelm Brötchen aus, um zur Ernährung der Familie<br />

beizutragen, denn die älteren Brüder zeigten sich sehr knauserig.<br />

Nicht von ungefähr sind es in den Märchen oft gerade die jüngeren Brüder,<br />

die pfiffig die Probleme lösen und auch der Benjamin in der Bibel<br />

war jener, der zu Großem bestimmt war. Vielleicht wäre unser kleiner<br />

Brückner-Spross ja tatsächlich Benjamin getauft worden, aber drei Jahre<br />

nach dem siegreichen deutsch-französischen Krieg und der Krönung Wilhelm Friedrich Ludwigs<br />

von Preußen zum Deutschen Kaiser schien den Eltern an jenem sommerlichen Dienstag<br />

im Juni 1874 Wilhelm dann doch der zukunftsträchtigere Name.<br />

An jenem Dienstag machte der Kaiser dem Russischen Zar in Jugenheim seine Aufwartung.<br />

Reichskanzler von Bismarck bereitete sich auf seinen Kuraufenthalt in Bad Kissingen vor, wo<br />

er wenige Tage später fast einem Attentat zum Opfer fiel. Im Anzeigenteil des Kladderadatsch<br />

bot zwischen Dresdner Bierkäse und mariniertem Elbaal ein Herr Stahl aus Lütjenburg<br />

in Holstein eine Geige von Jacobus Stainer an, die „im Besitz von Spohr gewesen“. Eine andere<br />

Stainer Violine versuchte ein Herr Zeller aus Pforzheim für 200 Reichsmark an den<br />

Mann zu bringen. Bruckner komponierte seine 4. Symphonie, Strauss die Fledermaus und<br />

Storm schrieb seinen Pole Poppenspäler. Im Vorgriff auf einen gewissen Herrn zu Guttenberg<br />

verspricht bereits damals eine Annonce einen „doctor in absentia“ mit „Discretion“ zu<br />

vermitteln.<br />

UrWilhelm strebte allerdings keineswegs nach einem bequemen „doctor in absentia“. Im Gegenteil,<br />

er wählte den harten und oftmals auch im wahrsten Sinn des Wortes körperlich<br />

schmerzhaften Weg. Vorzeitig verließ er die Schule und begann mit 13, im Jahr seiner


- 16 -<br />

Konfirmation, eine Lehre beim fast 20 Jahre älteren Bruder Alwin, um ebenfalls Geigenbauer<br />

zu werden. Der leichtere Weg<br />

wäre es sicher gewesen, bei<br />

einem seiner nicht gar so<br />

drakonisch gearteten Brüdern<br />

das Gitarren- oder Zitherbauhandwerk<br />

zu lernen.<br />

zwar sehr erfolgreich, wie sich schon bald zeigen sollte.<br />

Aber UrWilhelm hatten es die<br />

Geigen angetan. Das Verhältnis<br />

zwischen dem ältesten<br />

Bruder und dem Benjamin<br />

muss verheerend gewesen<br />

sein. UrWilhelm fühlte sich<br />

wohl meist als Aschenputtel,<br />

schaffte es aber trotz der<br />

Widrigkeiten, das Geigenbauhandwerk<br />

zu lernen – und<br />

Zunächst absolvierte er allerdings noch Gesellenjahre beim Geigenbauer Hans Jaeger und der<br />

Firma Todt in Markneukirchen.<br />

Wanderjahre<br />

Eine Woche nach seinem 18. Geburtstag zeigte UrWilhelm endlich, was in ihm steckte :<br />

Als erster der Familie<br />

verließ er Sachsen und<br />

das Vogtland, bestieg in<br />

Adorf den Zug nach<br />

München und verdingte<br />

sich beim Italiener Giuseppe<br />

Fiorini, dem damals<br />

besten Geigenbaumeister<br />

in Deutschland.<br />

Der erst 31 Jahre alte<br />

Fiorini hatte nach Lehre<br />

bei seinem Vater Raffaele<br />

und einem Jahrzehnt Tätigkeit<br />

in Bologna drei<br />

Jahre zuvor mit seinem<br />

Schwiegervater die Firma „Rieger und Fiorini” in der bayerischen Hauptstadt gegründet. Er<br />

gehörte 1904 zu den Gründern des Verbandes Deutscher Geigenbauer. Fiorini baute nur wenige<br />

Bratschen und Celli aber über 500 Geigen, meist im Stradivari-<br />

Stil. Seine Instrumente aus der damaligen Zeit werden heute mit ca.<br />

40.000 Euro gehandelt. Wer genau hin schaut erkennt einige prägende<br />

Einflüsse Fiorinis auch heute noch bei den Modellen der<br />

Brückner Dynastie, wenngleich Fiorini die länger gestreckten Modelle<br />

bevorzugte.<br />

Giuseppe Fiorini


- 17 -<br />

Wilhelm Brückners Aufenthalt in der damals 400.000 Einwohner<br />

zählenden drittgrößten Stadt Deutschlands nach Berlin und Hamburg<br />

bedeutete den Eintritt in eine ganz neue Dimension. München erlebte<br />

damals einen gewaltigen wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung.<br />

Die Münchner Secession mit Liebermann, Corinth und<br />

andern prominenten Künstlern rebellierte gegen den „tyrannischen<br />

Einfluss des Malerfürsten" Franz von Lenbach. Die Vereinigten<br />

Werkstätten für Kunst im Handwerk, eng verbunden mit der Bauhausbewegung,<br />

befanden sich in Gründung. Der Vorzeigeabsolvent<br />

der Technischen Hochschule München, Rudolf Diesel, hatte bereits<br />

seinen Motor patentieren lassen, erste Automobile tuckerten durch<br />

die Stadt. München lebte und pulsierte.<br />

Für unseren UrWilhelm müssen diese Erlebnisse ungeheuer beeindruckend gewesen sein.<br />

Einerseits musste sich der junge Sachse in der urbayerischen Umgebung behaupten, Heimweh<br />

aushalten und seine Provinzialität überwinden, andererseits bekam er ungeahnte Möglichkeiten,<br />

seinen Horizont zu erweitern, Auge und Ohr zu schulen. Erstmals kam er mit qualitativ<br />

hochwertigen Instrumenten in Berührung, die zur Reparatur, vor allem aber zum Verkauf<br />

angeliefert wurden. Fiorini hatte sich schon früh auch auf den Handel mit wertvollen alten<br />

Instrumenten spezialisiert. In späteren Jahren gelang es ihm sogar, die nach heutigen Maßstäben<br />

unbezahlbare Stradivarisammlung des Grafen Cozio di Salabue mit etlichen Violinen und<br />

vor allem Handschriften, Lackrezepten etc. für 100.000 Lire zu erwerben. UrWilhelm lernte<br />

zu vergleichen, zu differenzieren, den kleinsten Abweichungen entscheidende Bedeutungen<br />

beizumessen. Er kam mit gebildeten und gutsituierten Kunden zusammen, die mit jenen Musikern<br />

und Händlern, die er in der Heimat kennen gelernt hatte, kaum noch etwas gemein<br />

hatten. Aus einem talentierten, aber völlig unausgereiften Geigenbauer, wie er in Markneukirchen<br />

dutzendweise anzutreffen war, entwickelte sich in diesem an- und erregenden fachlichen<br />

und kulturellen Umfeld ein handwerklich nahezu perfekter Meister seines Faches, der<br />

nicht nur auf sein fachliches Können stolz sein konnte, sondern auch bewiesen hatte, dass er<br />

sich flexibel und mutig neuen Herausforderungen stellen konnte. Dies erkannte auch Fiorini,<br />

der ihn schon bald seinen anderen Gesellen vorzog und sich in späteren Jahren für die Aufnahme<br />

seines früheren Mitarbeiters in den elitären Deutschen Geigenbauerverband stark<br />

machte, obgleich UrWilhelm niemals die formalen Meisterweihen erlangt hatte, was damals<br />

aber nicht ungewöhnlich war.<br />

Trotz der engen und fruchtbaren Beziehung zu Fiorini musste der<br />

nunmehr gereifte UrWilhelm München schon nach drei Jahren wieder<br />

verlassen, weil ihn die Militärverwaltung in seiner Heimatstadt<br />

zur Musterung bestellt hatte. Der „Ehrendienst in der Schule der Nation“<br />

blieb ihm dann jedoch überraschend vorenthalten, da er aufgrund<br />

gesundheitlicher Vorbehalte ausgemustert wurde. Also suchte<br />

er sich wieder eine neue Station, um seine Kenntnisse zu vervollständigen.<br />

Diesmal folgte er dem Markneukirchener Geigenbauer<br />

August Paulus nach Dresden, der es kurz zuvor übernommen hatte,<br />

in eigener Werkstatt zusammen mit seinem Cousin Reinhold Paulus<br />

Modellvorgaben von Dr. Alfred Stelzner zu realisieren.<br />

Schon damals versuchte man den Geigenbau auch wissenschaftlich zu untermauern. Was<br />

nicht heißt, dass die Väter des Geigenbaues nicht ebenfalls methodisch und wissenschaftlich<br />

gearbeitet hätten. Aber während die großen Meister der Geigenbaukunst ihre Instrumente<br />

durch empirische Versuche weiter entwickelten und vervollkommneten, begann man nun ein<br />

theoretisches Geflecht physikalischer Gesetzmäßigkeiten um die Instrumente zu legen, um sie<br />

den wirklichen oder vermeintlichen Bedürfnissen des menschlichen Ohres und des musikalisch-handwerklichen<br />

Könnens anzupassen.


- 18 -<br />

Dr. Stelzner war einer der ersten Akustiker, der auf eine deduktive<br />

Weise versuchte, sich den alten Meistern wissenschaftlich<br />

zu nähern. Aufbauen konnte er auf Lord<br />

Rayleighs 1877 erschienene „Theory of Sounds“ Unter<br />

anderem propagierte er gebogene,<br />

also gespannte Decken 5 ,<br />

und erhob eine durchgehende<br />

Konstruktion auf der Basis<br />

von Ellipsen zum Prinzip,<br />

welches er sich am 7. März<br />

1893 auch noch in den USA<br />

patentieren ließ. Stelzner erfand<br />

die Violotta, eine große,<br />

tief klingende Bratsche und<br />

die noch eine Oktave tiefer<br />

gestimmte Cellone, eine großes Cello. Zunächst war er mit seinen<br />

Modellen recht erfolgreich und schien ein begnadeter Vermarktungskünstler zu sein.<br />

So nahm sich z.B. die Dresdner Kunst 1896 seiner an:<br />

„Der bisherige Instrumentenbau beruhte einfach auf der Nachahmung berühmter Muster. Vor Allem<br />

waren es Stradivari's Instrumente, die als Modelle dienten. Eine wissenschaftlich begründete Theorie<br />

des Geigenbaues war bisher nicht vorhanden. Die Gesetze, die Stelzner erkannt und angewandt hat,<br />

waren seit Jahrhunderten in Wirksamkeit, aber ihr Walten und Wirken war dem Zufall überlassen, nur<br />

wenn dem Geigenbauer durch ein glückliches Ungefähr ein Geigenkörper so gelang, wie die Gesetze<br />

der Tonentstehung es fordern, konnten sie sich in ihrer Kraft offenbaren. Dr. Stelzner hat das unschätzbare<br />

Verdienst, den Geigenbau von solch' unwürdigem Zufallsspiel befreit und ihm eine sichere<br />

Richtschnur gegeben zu haben.“<br />

Aus einer Abhandlung in der „Dresdner Kunst" Nr. 13, 1896/97<br />

Stelzner musste allerdings Anfang des 20. Jahrhunderts Konkurs anmelden. Stelzners Violotta<br />

UrWilhelm war wohl Realist genug, um schon bald zu erkennen, dass Stelzners Weg in eine<br />

Sackgasse führen würde. Er half zwar beim Bau der Stelzner Modelle und beim Experimentieren,<br />

und machte sich mit den Prinzipien der Akustik, alternativen Denkrichtungen, Modellen<br />

und Produktionsmethoden vertraut, vor allem aber nutzte er seinen Aufenthalt in Dresden,<br />

um sich nebenbei auch noch beim Bogenbauer Johann Wilhelm Knopf, einer der ganz Großen<br />

seines Fachs und seiner Zeit, zum Bogenbauer ausbilden zu lassen. Knopf Bögen sind auch<br />

heute noch sehr begehrt und mit ca. 7.000 Euro durchaus im obersten Preissegment.<br />

Aus heutiger wie damaliger Sicht hatte UrWilhelm nunmehr eine<br />

grundsolide Ausbildung. Insbesondere hatte er sich aus der Enge seiner<br />

Herkunft befreit und emanzipiert. Eine Rückkehr in die geduckte und<br />

bedrückende Heimat des Vogtlandes war ihm nicht mehr möglich<br />

und auch nicht mehr nötig. Er hatte in den letzten Jahren gut<br />

verdient, sich einen Beutel der damals im Umlauf<br />

befindlichen goldenen 5-Mark-Goldstücke 6<br />

mit dem Portrait seines Namensvetters auf<br />

der Vorderseite zusammen gespart und war nunmehr<br />

bereit, sich eine eigene Existenz aufzubauen.<br />

5 100 Jahre später baute Udo Kretzschmann, ein früherer Mitarbeiter vom Enkel des UrWilhelms<br />

Modelle Dr. Stelzners nach, womit sich der Kreis wieder zu schließen beginnt.<br />

6 1 Goldmark ca. 50 Euro nach heutiger Kaufkraft


Standortsuche<br />

- 19 -<br />

Das Orchesterwesen in Deutschland befand sich Ende des 19. Jahrhunderts im Umbruch. Um<br />

sich einen stabilen Kundenstamm schaffen zu können, ohne gleichzeitig auf zu große Konkurrenz<br />

zu treffen, musste man Ausschau halten nach einer nicht allzu großen Stadt mit gefestigter<br />

Orchesterlandschaft.<br />

In Dresden hatte UrWilhelm die Probleme kennen gelernt, die sich mit der Auflösung bzw.<br />

Umwandlung der Stadtpfeifertraditionen für die Musiker und damit indirekt auch für die Instrumentenbauer<br />

ergeben hatte. Der letzte Stadtmusikdirektor hatte 1872 wegen zu geringer<br />

Bezahlung gekündigt. Die Zunftbindung spielte für die städtische Musik schon länger keine<br />

Rolle mehr. Auch das Privileg, dass bei Hochzeiten und "öffentlichen Ausrichtungen" im<br />

Dresdner Gerichtsbezirk nur die Stadtpfeifer engagiert werden durften, war bereits 1843 entfallen.<br />

Der musikalisch-künstlerische Niedergang der Stadtpfeiferei hatte schon Endes des 17.<br />

Jahrhunderts begonnen und war u.a. auch mit der Entwicklung der Suite verbunden. Aus dem<br />

choralen Aufbau, wo die Sangesstimmen nach Bedarf durch ein Instrument ersetzt werden<br />

konnte, wurden differenziertere Kammersuiten, das Cembalo entwickelte sich zum Continuoinstrument,<br />

dem vermehrt Streichinstrumente zugefügt wurden, was auch dem Geigenbau<br />

großen Aufschwung brachte.<br />

Bewerber um eine Stadtpfeiferstelle mussten ihre Fähigkeiten auf etlichen Instrumenten beweisen:<br />

„Auff Euren Hochedlen und großherzigen Raths Verordnung hat der bißherige Stadtpfeifergeselle<br />

Carl Friedrich Pfaffe in Gegenwart derer andren Stadt Musicorum seine verlangte Probe abgelegt.<br />

Da sich denn befunden, daß er auf jedem Instrumente, so von denen Stadt Pfeiffern<br />

pfleget gebrauchet zu werden, als Violine, Hautbois, Flute Traverse, Posaune, Waldhorn und übrigen<br />

Bass Instrumenten, sich mit Beyfall aller Anwesenden gantz wohl habe hören laßen, und zu<br />

der gesuchten Adjunctur geschickt befunden worden.“<br />

Johann Sebastian Bach, Leipzig, 24. July 1745<br />

In Konkurrenz mit Hofkapellen, Liebhaberorchestern, Militärmusik und den ersten bürgerlichen<br />

Berufsorchestern hatten die Stadtpfeifer dramatisch an Bedeutung verloren. Zwar hielt<br />

sich die Stadtpfeifer-Ausbildung in einigen Städten noch lange, der Ruf der Stadtpfeifereien<br />

wurde bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts allerdings vor allem auch durch sogenannte<br />

Lehrlingsorchester beschädigt, die unter dem nun nicht mehr geschützten Namen der Stadtpfeifer<br />

kommerziell eine schlechte Ausbildung von Instrumentalisten anboten. Es begann ein<br />

heftiger, oft existenzieller Konkurrenzkampf. Die mit regulärem Sold ausgestatteten Musiker<br />

der Militärkapellen auf der einen Seite und die Lehrlingsorchester auf der anderen, von denen<br />

es in größeren Städten gleich mehrere gab, konnten ihre Dienste zu Dumpingpreisen anbieten.<br />

Das wirkte sich auch auf die Instrumentenhersteller<br />

aus, die ihre Instrumente<br />

zu immer ausbeuterischen<br />

Konditionen herstellen mussten. Einigermaßen<br />

typisch ist der nebenstehende<br />

Bericht eines Schülers. Immerhin<br />

waren die Geigen so billig geworden,<br />

dass es sich sein Lehrherr leisten<br />

konnte, im Zorn fünf davon auf dem<br />

Kopf seines Lehrlings zu zerschlagen.<br />

Zum Glück fand nach Gründung diverser Verbände 7 und energischer Gegenwehr das<br />

Lehrlingsorchesterunwesen bald ein Ende. Die Orchesterlandschafts stabilisierte sich.<br />

Eine schon weitgehend stabile Situation fand UrWilhelm 1897in Erfurt vor.<br />

7 u.a. der Allgemeine Deutsche Musiker-Verband und der Zentralverband der Zivilmusiker Deutschlands


- 20 -<br />

Gründung der Brückner-Werkstatt in Erfurt<br />

UrWilhelm hatte recht geschickt das Umfeld sondiert und sich für Erfurt als Standort für seine<br />

Werkstatt entschieden, weil er festgestellt hatte, dass Erfurt über eine gewachsene Musiktradition<br />

verfügte und mit einem Theaterorchester und drei Militärkapellen 8 überproportional gut<br />

ausgestattet war. Im 17. und 18. Jahrhundert wirkten in Erfurt zahlreiche Mitglieder der Familie<br />

Bach, die seit den 1630er Jahren über ein ganzes Jahrhundert das musikalische Leben<br />

der Stadt derart beherrschten, dass noch 1793 alle Erfurter Stadtpfeifer „Bache“ genannt wurden,<br />

obwohl damals längst kein Musiker dieses Namens mehr in Erfurt lebte. Von 1678 bis<br />

1690 war Johann Pachelbel als Organist an der Predigerkirche angestellt. Zudem verfügte<br />

Erfurt über zwei konkurrierende schon 1819 (Sollerscher Musikverein) und 1826 (Erfurter<br />

Musikverein) gegründete rege Musikvereine mit insgesamt über 1.000 Mitgliedern. Als professionelles<br />

Unternehmen war 1894 das Erfurter Orchester im Zusammenhang mit der Einrichtung<br />

eines ständigen und selbstständig wirtschaftenden Dreispartentheaters, dem „Stadttheater“,<br />

in Erfurt gegründet worden. Zwei Jahre zuvor hatte die Stadt das 1877 zunächst als<br />

privates Gastspieltheater betriebene Erfurter Opernhaus übernommen und als Musiktheater<br />

mit 1.025 Plätzen umgebaut. Erfurt war eine aufstrebende preußische Exklave mit 80.000<br />

Einwohnern. Binnen 30 Jahren hatte sich die Bevölkerungszahl verdoppelt und wuchs dynamisch<br />

weiter. Erfurt hatte damals mehr als 20 Millionäre. Rund 10 Prozent der Stadtbevölkerung<br />

verfügen über ein Jahreseinkommen von über 3.000 Mark und zählten damit zum mittleren-<br />

bzw. Großbürgertum.<br />

Fachlich war UrWilhelm bestens auf eine Selbstständigkeit vorbereitet. Er war in München<br />

und Dresden ein wirklicher Meister, ja Künstler seines Faches geworden. Bisher hatte er sich<br />

aber noch nie selbst mit Werbung oder gar Buchhaltung beschäftigen müssen. Offensive<br />

Kommunikation war nicht so sein Ding. Auch die verkürzte Schulbildung forderte ihren Tribut.<br />

Das Schreiben fiel ihm schwer. In eleganterer oder auch nur bürgerlicher Gesellschaft<br />

bewegte er sich immer noch etwas linkisch und schüchtern zurückhaltend. Eine weltmännische<br />

Souveränität, die er bei Fiorini und Stelzner erlebt hatte und die es Geschäftsleuten<br />

leichter macht, Kontakte in ein zahlungskräftiges Klientel hinein zu knüpfen, hatte er nun<br />

wirklich nicht mit der Muttermilch eingesogen. Intrigen der alteingesessenen Kollegen hatte<br />

er nichts Entsprechendes entgegen zu setzen.<br />

UrWilhelm musste sich allein auf sein immenses fachliches Können, seinen Fleiß, seine ehrliche<br />

Haut und eine typisch vogtländische Findigkeit verlassen. Auch eine schon in jungen Jahren<br />

neben dem Elternhaus auf dem Oberen Berg in der Gaststätte "Heiterer Blick“ erworbene<br />

und wohl in München vervollkommnete Trinkfestigkeit sollte sich für die Anbahnung von<br />

Geschäftskontakten als förderlich erweisen.<br />

Johannesstraße 16 (heutige Ansicht)<br />

Zunächst bezog er Quartier im Hinterhaus<br />

der Johannesstraße 16, einem historischen<br />

Anwesen aus dem 17. Jahrhundert, welches<br />

im Jahr 1638 erstmals als „Haus zum<br />

Jägerroß" Erwähnung fand. Die Johannesstraße<br />

beherbergte damals vornehmlich<br />

Handwerker, Kaufleute und kleine Beamte.<br />

Die beste Wohnlage war direkt hinter der Kaufmannskirche am Anger. Je weiter man sich die<br />

lange Johannesstraße zum Stadtrand hin bewegte, desto weniger attraktiv gestaltete sich allerdings<br />

das Wohnumfeld.<br />

8 Der 38. Infanterie Division in Erfurt unterstanden: 76. und 83. Infanterie Brigade Erfurt; 38. Kavallerie Brigade Erfurt;<br />

38. Feldartillerie Brigade Erfurt; Thüringer Feldartillerie Regiment Nr. 19; Landwehr-Inspektion Erfurt


- 21 -<br />

Die Lage der Orchestermusiker in Deutschland mit besonderer Berücksichtigung der Musikgeschäfte um 1900<br />

Auszüge aus einer Inaugural-Dissertation zur Erlangung der akademischen Doktorwürde<br />

der Hohen Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg - vorgelegt von Heinrich Waltz im Dezember 1905.<br />

Wie sich die Stadtpfeifereien in neuerer Zeit ausgestalteten, dafür bietet die Entwicklung der Orchesterverhältnisse in<br />

Chemnitz ein gutes Beispiel. Das Institut der Stadtpfeifer war hier schon 1832 abgeschafft worden, weil die damals<br />

noch vorhandenen 3 Stadtpfeifer mit 6 Gesellen den Bedürfnissen der Stadt nicht mehr gerecht werden könnten, und<br />

sämtliche Rechte und Pflichten der bisherigen Stadtpfeifer waren an einen einzigen Stadtmusikdirektor übertragen<br />

worden. Dieser hatte darnach das ausschließliche Recht, innerhalb des Stadtbezirks Musik entweder selbst zu besorgen<br />

oder die Besorgung durch andere zu gestatten; 2. das Recht, Gesellen und Lehrlinge halten zu dürfen; 3. die Befugnis,<br />

sich das Korps selbst zu wählen; 4. den Genuß sämtlicher fixer Emolumente, die bisher die 3 Stadtpfeifer<br />

genossen; 5. die Gerechtsame des jährlichen Neujahrsumganges. Seit 1853 erhielt der Musikdirektor eine Konkurrentin<br />

in der Militär-Kapelle (denn seit dem 1853 war es den Militär-Kapellen in Sachsen gestattet, Konzertmusik<br />

unbeschränkt, Tanzmusik in Privathäusem, bei Militärbällen und in geschlossenen Gesellschaften zu machen, so daß<br />

die Stadt ihm 1854 für die entrissenen Vorrechte eine jährliche Entschädigung von 200 Talern gewährte. Gleichzeitig<br />

wurde das Recht des Neujahrsumganges für weitere 100 Taler abgelöst.<br />

Auf dem Gewerbekammertage zu Eisenach im Oktober 1893 erklärte der Vertreter des preußischen Handelsministers<br />

Geh. Ober- Reg.-Rat Dr. Sieffert: »Sowohl in Berlin als auch in vielen Provinzstädten gibt es Musikbanden, die aus<br />

einem sog. Musikdirektor und einigen 20 halbwüchsigen Jungen bestehen. Diese armen Burschen müssen bei Tag<br />

üben oder häusliche Arbeiten verrichten und des Abends von 7 Uhr ab oft bis in den hellen Morgen hinein in Lokalen<br />

von bisweilen sehr zweifelhaftem Rufe ihre musikalischen Künste vortragen. Es ist das eine Ausbeutung der jugendlichen<br />

Kräfte, die unmöglich länger geduldet werden kann' und die die schlimmsten Gefahren sowohl für die Sittlichkeit<br />

als auch für die körperliche Entwicklung dieser jungen Leute besorgen läßt.<br />

Über eine Lehrlingskapelle von 20 - 25 Lehrlingen und 2 - 3 Gehilfen schreibt z. B. ein Musiker aus seiner Lehrlingszeit:<br />

»Im November 1899 war großer Umzug nach Erfurt; dort schliefen wir alle in einem Zimmer. Einen Ofen gab es<br />

nicht. Im November gegen Totensonntag bekam ich die Masern. Bis zu Ende derselben mußt ich in diesem kalten<br />

Zimmer bei allen Lehrlingen bleiben.«<br />

In Erfurt ist es vorgekommen, daß ein Musiker, der während des Winters im »Tristan« und den »Nibelungen« mitwirkt,<br />

im Sommer, um Brot für die Familie zu schaffen, beinahe 3 Monate Dienst mit Hacke und Schaufel als Streckenarbeiter<br />

bei der Eisenbahn hat tun müssen!<br />

Auch in Erfurt, Würzburg usw. ist von den Zivilmusikern das gänzliche Verbot des gewerbsmäßigen Musizierens für<br />

Beamte durchgesetzt worden, während in anderen Städten das Petitionieren bis heute ohne jeden Erfolg blieb.<br />

Seit dem Aufblühen des Vereinswesens hat das Musikleben ebenfalls einen Aufschwung genommen. Heute wütet<br />

erbitterter Kampf auf der ganzen Linie. Laut ertönt Ende 1904 »ein Notschrei der Deutschen Zivilmusiker« über die<br />

zermalmende Wucht der Militär-Konkurrenz, die sie brotlos macht.<br />

In Danzig sind während des Sommers sämtliche Lokale durch Militärmusiker besetzt, so daß die Mitglieder des Stadttheater-Orchesters<br />

gezwungen sind, sich ihr Brot außerhalb Danzigs zu suchen. Dasselbe wird von Augsburg und<br />

Erfurt berichtet.<br />

Es gibt heute weit mehr Musiker, als gebraucht werden. Mit der Präsenzstärke des Heeres ist die Zahl der Militär-<br />

Kapellen gestiegen, sie hat sich im Laufe der letzten 25 Jahre fast verdoppelt. Die Masse der sonstigen Konkurrenten<br />

ist gleichfalls erheblich gewachsen. — Beides macht sich dem Zivil-Musiker umso fühlbarer, als eine weitgehende<br />

Überfüllung des Berufes selbst eingetreten ist.<br />

Im Jahre 1887/88 war die Zahl der Militärmusiker um etwa 4.400 Mann (=75 % der im Statistischen Jahrbuch für<br />

das Deutsche Reich ausgewiesenen Gesamtzunahme von 5.830 Mann, worunter auch Trommler, Pfeifer und Hornisten<br />

sind) vermehrt worden.<br />

Die gewerbliche Tätigkeit der Militärkapellen ist eine in ihrer Art einzig dastehende Erscheinung, Wo tritt der Staat<br />

sonst noch in solcher Weise als Konkurrent von Gewerbetreibenden auf? Es gibt Ökonomie-Handwerker, aber diese<br />

arbeiten nur für den eigenen Bedarf der Heeresverwaltung, und ihre Zahl ist im Vergleich zur Zahl der sonstigen<br />

Handwerker verschwindend klein (7.675 nach dem Heeresetat für 1904, die sich auf etwa 12 verschiedene Handwerke<br />

verteilen). Es wird ferner viel geklagt über die Gefängnis-Konkurrenz, aber von welch relativ geringer Bedeutung<br />

ist sie gegenüber der Militär-Musiker-Konkurrenz? Wo der Staat mit 18.000 Mann einem Gewerbe von etwa 50.000<br />

Hauptberufstätigen den Erwerb wegzukapern sucht?<br />

Das Präsidium des A.D.M.V. (Allgemeiner Deutscher Musiker- Verband) schätzt die Zahl der heute in Deutschland<br />

vorhandenen Zivilorchestermusiker in einer runden Summe auf 50.000, von denen sich nur ca. 6.000 zeitweilig und<br />

ca. 2.000 dauernd in Engagement befinden sollen. In Berücksichtigung der früher mitgeteilten Schätzung, nach der<br />

wir 1905 die Zahl der männlichen Musiker, Schauspieler und Artisten zusammen auf etwa 65.600 anzunehmen<br />

hätten, erscheint mir die Zahl 50.000 zwar etwas sehr hoch gegriffen zu sein, bei dem absoluten Mangel einer genauen<br />

Statistik ist es aber natürlich nicht möglich, eine auf größere Glaubwürdigkeit Anspruch machende Schätzung<br />

hier anzuführen.<br />

Das weibliche Geschlecht ist unter den Orchestermusikern heute noch verhältnismäßig schwach vertreten. Unter den<br />

Ansässigen gibt es nur sehr wenige Frauen. Man findet sie in der Regel nur in Konzert- und Theaterkapellen meist als<br />

Harfenistinnen, Violinistinnen oder Cellistinnen. Dagegen ist die Zahl der reisenden Damenkapellen eine recht erhebliche.<br />

Eine Statistik des Herrn Vizepräsidenten Stempel des A.D.M.V., die er aus den im »Artist« vorhandenen Adressen<br />

gewonnen hat, ergab, daß in Deutschland über 200 Damenkapellen herumreisen. Nach der durchschnittlichen Zusammensetzung<br />

derselben zu urteilen, darf man demnach die Zahl der weiblichen Orchestermusiker vielleicht auf<br />

etwa 1.000—1.200 annehmen. Dem A.D.M.V. gehören nur ca. 100 Damen an.


- 22 -<br />

Fleiß und Qualitätsarbeit nutzten<br />

UrWilhelm zu Beginn seiner<br />

Selbständigkeit in Erfurt vorerst<br />

wenig. Lange hing es am seidenen<br />

Faden, ob er sich wirklich würde<br />

etablieren können. Zunächst saß<br />

er nur in seiner Werkstatt und<br />

wartete vergeblich auf Kunden.<br />

Die ersparten Goldstücke<br />

zerrannen ihm unter den Fingern.<br />

Fast wollte er aufgeben. Letztlich<br />

waren es dann nicht in erster Linie seine exzellente Ausbildung und Handwerkskunst als<br />

Geigen- und Bogenbauer, die ihm das Bleiben und Fortkommen in Erfurt ermöglichten,<br />

sondern in frühster Kindheit erworbene, sozusagen mit der Muttermilch eingesogene Kernkompetenzen<br />

und sein vogtländisch zähes Naturell, die ihm über die Durststrecke hinweg halfen:<br />

Neben seiner Werk- und Wohnstatt befand sich, wie er es von Kindheit auf gewohnt war eine<br />

Gaststätte, die er trinkfest und keineswegs maulfaul regelmäßig frequentierte. Dort freundete<br />

er sich mit Droschkenkutscher Schröder aus der Gotthardtstraße 22 an, der sozusagen als Taxifahrer<br />

Kontakt mit vielen auch einflussreichen Menschen hatte, und er lernte den Militär-<br />

Apotheker aus der schräg gegenübergelegenen Johannesstraße 185 kennen. Diese und andere<br />

Menschen aus der Nachbarschaft vermittelten ihm Aufträge, wobei sein allererster Auftrag<br />

nicht etwa das Metier betraf, welches er am besten beherrschte, sondern eine Gitarre war ihm<br />

zur Reparatur übergeben worden. Hier kam ihm die Kindheit in der Werkstatt seines Gitarren<br />

bauenden Vaters zu Gute. Er reparierte das Instrument so exzellent, dass man sich nun auch<br />

mit Streichinstrumenten in seine Werkstatt traute. Ein erster Durchbruch war geschafft.<br />

UrWilhelm konnte schon bald das<br />

Hinterhaus in der Johannesstraße<br />

verlassen und übernahm, begleitet<br />

von Klara, die ihm inzwischen zur<br />

Seite stand, auf der Krämerbrücke<br />

die Ladenwerkstatt des Juweliers<br />

und Goldarbeiters Enigk. Das „Haus<br />

zum Halben Mond“ firmiert heute<br />

unter der profanen Adresse:<br />

Krämerbrücke 29<br />

Inzwischen hatte man auch über die<br />

Grenzen Erfurts und Thüringens hinaus<br />

die Qualität der Arbeit des jungen<br />

Geigenbauers kennen und schätzen<br />

gelernt. UrWilhelm sonnte sich auf<br />

einer ersten Welle des Erfolges.<br />

Blick von der Krämerbrücke 29 über die Gera<br />

auf die Barfüßerkirche


- 23 -<br />

Der junge Geigenbauer hatte die Schneiderin Lina Friederike (Klara) Schmidt beim Tanz im<br />

zwischen der Johannesstraße und der Krämerbrücke gelegenen Kaisersaal kennen und lieben<br />

gelernt. Im Kaisersaal hatten sich 1808 auch Kaiser Napoleon I. und Zar Alexander I. kennen<br />

aber wohl weniger erfolgreich lieben gelernt. Friederike war am 26. September 1872 in Sömmerda<br />

geboren worden. Ihre Mutter Magdalene, eine geborene Schröder, war als Gemüsehändlerin<br />

tätig. Mutter und Tochter wohnten im Dalbergsweg 22. Der Vater, ein Zimmermann,<br />

war schon bald nach der Hochzeit entschwunden. Gleichwohl müssen wohl auch von<br />

dort etliche Gene, die der Holzbearbeitung förderlich sind (allerdings in diesem Fall der etwas<br />

gröberen Natur) ins<br />

Erbgut eingeflossen<br />

sein.<br />

An einem Donnerstag,<br />

exakt am 29. Geburtstag<br />

seiner Liebsten,<br />

heiratete 1901<br />

Wilhelm seine Klara.<br />

Eine der selteneren<br />

Hochzeiten bei den<br />

Brückners, die nicht<br />

durch sich bereits ankündigendenNachwuchs<br />

forciert worden<br />

war. Im Gegenteil:<br />

Der lang ersehnte<br />

Stammhalter ließ<br />

sich noch fast sechs<br />

Jahre Zeit bis 1907.<br />

August Wilhelm Brückner ca. 1894 Lina Friderike (Klara) Schmidt ca. 1900<br />

Die zwei Jahre ältere und deutlich reifere Friderike stellte sich rasch als ein stabilisierendes<br />

Element heraus, ohne das UrWilhelm sein Talent nicht in gewinnbringende Bahnen hätte lenken<br />

können. Schon vor der Hochzeit hatte sie begonnen, seinen Junggesellenhaushalt etwas in<br />

Ordnung zu bringen. Sie sorgte dafür, dass er nicht mehr Geld ins Gasthaus trug als er verdiente,<br />

überbrückte mit ihrer Schneiderwerkstatt Notzeiten und übernahm tageweise seinen<br />

Laden, um ihm Gelegenheit zu geben, über Land zu ziehen. Damals fand man in Thüringer<br />

Dörfern nicht selten noch gute alte Instrumente. UrWilhelms besonders bei Fiorini in München<br />

geschultes Auge entdeckte unter Staubschichten mitunter auch gute alte Italiener.<br />

Zum wirtschaftlichen Erfolg und zur glücklichen Partnerschaft gesellte sich 1907 endlich<br />

auch Söhnchen Alfred Ernst Konrad Brückner. Die Welt befand sich Anfang des 20ten Jahrhunderts<br />

im Umbruch, musste sich neu finden und definieren. An jenem 20. Februar 1907,<br />

einem Mittwoch, meldeten die Tageszeitungen unter anderem, dass der König von Preußen<br />

angekündigt habe, bei Majestätsbeleidigungen künftig von seinem Begnadigungsrecht häufiger<br />

Gebrauch zu machen, der konservative Graf Udo von Stoltenberg-Wernigerode wurde<br />

zum Präsidenten des Reichstages gewählt, Edisons Welttheater der lebenden Fotografie lockte<br />

die Menschen in die erste Kinos und Musikdirektor Maatz suchte „Söhne anständiger Eltern,<br />

welche Lust haben, die Musik zu erlernen“.


- 24 -<br />

Das gemütliche Domizil auf der Krämerbrücke war nunmehr zu klein geworden. Noch im<br />

gleichen Jahr wurde erneut umgezogen:<br />

Regierungsstraße 65<br />

(vormals „Haus zum Türsen“) lautete nunmehr<br />

die Adresse mit dem Garten zum alten Viti-<br />

Kirchhof. Damit war auch schon das Nachbarhaus<br />

zum heutigen Domizil bezogen worden,<br />

welches ebenfalls ca. 1650 erbaut wurde.<br />

Letztlich stand dem Glück der Brückners nichts<br />

mehr im Wege. Anlässlich der 4. Verbandstagung<br />

erfolgte am 1. August 1910 die Aufnahme Wilhelm<br />

Brückners in den illustren Verband Deutscher<br />

Geigenbauer e.V. im Berliner Künstlerhaus<br />

in der Bellevuestraße. Fiorini wird ihm den Weg<br />

dazu geebnet haben. Damit war UrWilhelm auch<br />

gesellschaftlich in einem Bereich angelangt, der<br />

Ansehen, Prestige, Ehre und Autorität versprach.<br />

Treffen des Verbandes Deutscher Geigenbauer 1912 in Mittenwald<br />

UrWilhelm oben links - Ausbildung in Mörfelden 1915<br />

Vervollkommnet wurde das Glück<br />

durch die Geburt von Tochter Helene<br />

am 31. Januar 1911.<br />

Erster Weltkrieg<br />

20 Jahre zuvor war UrWilhelm noch als untauglich<br />

ausgemustert worden. Diesmal wurde er nach kurzer<br />

Ausbildung an die Front geschickt. Ausgestattet mit<br />

der vogtländischen Chuzpe eines böhmischen<br />

Schwejk gelang es ihm, sich aus dem gröbsten<br />

Schlachtgetümmel heraus zu halten.<br />

Entlassungspapier<br />

vom 11.12.1918<br />

Seine schwerwiegendsten<br />

Blessuren im Felde waren ein Mückenstich, der<br />

sich entzündet hatte, und eine mehrwöchige Erkältung.<br />

Viel zu intelligent, um sich heldenhaft oder gar militaristisch<br />

in den Vordergrund zu schieben, gelang es ihm sogar,<br />

die zweite Hälfte des Krieges in der Gewehrfabrik in Erfurt<br />

Dienst zu tun. Aus der Gewehrfabrik ließ sich nebenbei<br />

auch das eine oder andere brauchbare Holzteil heraus<br />

schmuggeln, und abends kam er mitunter noch zum Geigenbau, womit sich der Soldatensold<br />

recht gut aufbessern ließ.


Erfurt 1910<br />

Weihnachten 1918 war bereits wieder relative<br />

Normalität ins Brücknerleben eingekehrt.<br />

Bitten anderer renommierter Geigenbauer,<br />

Arbeiten für sie zu übernehmen,<br />

musste UrWilhelm ablehnen, weil er schon<br />

selbst wieder genug Aufträge hatte, und bereits<br />

im Sommer 1919 hatte er so viel erspart,<br />

dass er beschloss, das Nachbarhaus,<br />

mit der Hausnummer 66 (vormals „Zum<br />

Rechen“) käuflich zu erwerben. Den Kaufpreis<br />

hätte er nahezu vollständig bar begleichen<br />

können, begnügte sich aber zunächst<br />

mit einem Drittel der 29.000 Mark. Ein Jahr<br />

später erfolgte der Umzug ins neu erworbene<br />

Domizil mit „Wasserspülabort“, welches<br />

bis dahin eine Seilerei, 250 Jahre zuvor aber<br />

z.B. auch schon Stadtmusikus Kaspar und<br />

wenig später den Rektor der Kaufmannsschule,<br />

Reichert, beherbergt hatte.<br />

Werkstätten der Geigenbaufirma<br />

Brückner in Erfurt seit 1897<br />

- 25 -<br />

Johannesstr. 16<br />

1897 bis 1901<br />

Krämerbrücke 29<br />

1901 bis 1907<br />

Regierungsstr. 65<br />

1907 bis 1920<br />

Krämerbrücke 29<br />

1901 bis 1907<br />

Regierungsstr. 66<br />

1920 bis heute<br />

Krämerbrücke 29<br />

Am 25.8.1920 wurde die<br />

Erlaubnis 1901 bis zur 1907<br />

Anbringung<br />

eines Firmenschildes am<br />

Haus Regierungsstraße 66<br />

beantragt, welches sich<br />

heute noch an gleicher<br />

Stelle befindet.<br />

Erfurt 2012


Zwischen den Kriegen<br />

- 26 -<br />

Obgleich der Krieg überstanden war, und dank der Investition in die Immobilie auch die Wirtschaftskrise<br />

mit ihrer Hyperinflation von den Brückners noch einigermaßen abgefedert werden<br />

konnte, begann der glückliche Stern, der UrWilhelm bislang begleitet hatte, zu verblassen.<br />

Gesundheitliche Probleme mit den auch damals schon nicht seltenen Fehldiagnosen und<br />

Fehlbehandlungen einiger Ärzte, eigene Fehlentscheidungen während der Wirtschaftskrise<br />

1923, die dazu führten, dass er wertvolle Instrumente im wahrsten Sinne für „nen Appel und<br />

nen Ei“ weggab, und Spätfolgen seines zeitweise doch sehr intensiven Alkoholgenusses<br />

machten das Leben und Arbeiten zunehmend beschwerlich. Zwar leuchtete der Glücksstern<br />

noch einmal kurz auf, als das Brücknerhaus vom Feuer verschont wurde, während der Rest<br />

der Häuserzeile nahezu vollständig abbrannte. Auch konnte sich UrWilhelm wirtschaftlich<br />

stabilisieren. Jährlich baute er ein halbes Dutzend Geigen, die er für 300 Mark verkaufen<br />

konnte, was damals ein recht stolzer Preis war. Oft wurden Ratenzahlungen vereinbart. Ein<br />

Großkunde war die Reichswehr in Meiningen. Seine nicht gerade spektakulären Kriegserlebnisse<br />

glaubte UrWilhelm überspielen zu müssen, indem es ihm gelang, diverse Ehren- und<br />

Kriegsdenkmünzen über die Reservistenverbände einzuheimsen.<br />

Aber die nun beginnende Zeit war nicht mehr die seine.<br />

Die unbeschwerten Jahre waren endgültig vorbei. Arztrechnungen<br />

häuften sich, der 55jährige wurde immer<br />

dünner. Er baute noch eine besonders schöne Stradivari-Geigenkopie,<br />

die er seinem Sohn widmete, renovierte<br />

das Haus, ein letzter Besuch in Markneukirchen<br />

schloss den Kreis zur Kindheit, die Ärzte sagten, man<br />

müsse sich überhaupt keine Sorgen machen; – am 5.<br />

Oktober 1929 starb UrWilhelm.<br />

Alfred Ernst Konrad Brückner<br />

Alfred übernahm das Staffelholz vom Firmengründer. Anders als der<br />

Vater war er schlecht auf das Leben vorbereitet. Er wählte oft die dünneren<br />

Bretter, sympathisierte mit den aufziehenden Nazis. Die Gesichtszüge<br />

zeugen beim Tod des Vaters noch von einer gewissen<br />

Weichheit. Vater und Mutter hatten offenbar die eigene Lebenskraft<br />

und neugierige Leichtigkeit nicht auf ihn übertragen können. Dies<br />

kommt erst wieder bei ihrem Enkel Wilhelm zum Ausbruch.<br />

Wilhelm Brückner Viola<br />

ca. 1918<br />

UrWilhelm hatte ab 1922 seinen Sohn Konrad noch zum Geigenbauer<br />

ausgebildet. Strenge und Ungeduld des Vaters verhinderten jedoch,<br />

dass Liebe und Leidenschaft des Vaters zum Handwerk auf den Sohn<br />

übersprangen. Alfred musizierte lieber auf den schon fertigen Instrumenten.<br />

Vater Wilhelm war es nicht gelungen, seinem Sohn jenes Selbstvertrauen und den<br />

Ehrgeiz einzuflößen, die zur Herstellung guter Instrumente gebraucht werden. Die Kassenbücher<br />

belegen, dass Alfred seinen Lebensunterhalt vorrangig mit dem Beziehen von Bögen und<br />

dem Zubehörhandel bestritt.<br />

Die Goldenen Zwanziger mit ihren gesellschaftlichen, zum Teil libertinären Umwälzungen<br />

und Vergnügungsmöglichkeiten zogen auch Konrad in ihren Bann. Bei der zu Wilhelm<br />

Buschs Zeiten noch frommen Helene konnte man nunmehr beim Badengehen runde und<br />

schöne Waden sehen, und nicht nur am Berliner Wannsee, sondern auch in der Provinz spross<br />

ungeniert der Spargel. Mann wie Frau schienen „von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“, und


- 27 -<br />

Anfang der 30er Jahre purzelten kleine grüne Kakteen vom Balkon. Die wenigsten Menschen<br />

ahnten, dass schon bald aus Liebe Hass würde und es statt Kakteen Bomben regnen sollte.<br />

Jazz und Charleston, Swing und Blues begeisterten die Jugend, und Konrad spielte regelmäßig<br />

als Stehgeiger in Tanzkapellen auf. So verstärkte er unter anderem auch die Tanzkapelle<br />

Hamberger in Markneukirchen. Bei dieser Gelegenheit freundete er sich mit seiner Cousine<br />

Elsa an, der am 19.4.1908 geborenen Tochter seines Onkels Konrad Brückner, der als Gitarrenmacher<br />

in Markneukirchen lebte. In der Silvesternacht 1931/32 kamen sich Cousine und<br />

Cousin näher, was bald schon einen sich deutlich rundenden Anlass für eine Heirat lieferte.<br />

Die Eheschließung erfolgt am 17. Mai 1932. Erneut verbanden sich die Gene und Wurzeln<br />

der Instrumentenbauer Brückner und Heberlein in nicht unvorteilhafter Weise.<br />

Wilhelm Brückner<br />

Auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise und bei einer Arbeitslosenquote in Deutschland<br />

von fast 44 Prozent erblickte Wilhelm Konrad am 30. September 1932, einem Freitag, das<br />

Licht einer sich verdüsternden Welt. Vor dem Fenster ging ein Gewitterregen nieder, unter<br />

der Krämerbrücke schwoll die Gera an. Im Nachbarort Wandersleben wurde ein 57jähriger<br />

Schäfer samt Herde und Hund vom Blitz erschlagen, schwere Unwetter überspülten die Rivera,<br />

Griechenland wurde von Erdbeben heimgesucht, und deutlich zu vernehmen war auch<br />

schon das Donnergrollen des heraufziehenden zweiten Weltkrieges:<br />

Unter der Sitzungsleitung der Kommunistin Klara Zetkin war der Nationalsozialist Hermann<br />

Göring kurz zuvor zum Reichstagspräsidenten gewählt worden, die volle Machtergreifung der<br />

Nationalsozialisten erfolgte wenige Monate später. Am Vorabend jenes 30. September reiste<br />

auf Anweisung des Reichskanzlers v. Papen Außenminister Freiherr von Neurath von der<br />

Konferenz des Völkerbundes in Genf ab. Der Versuch des Deutschen Reiches, nach Versailles<br />

wieder Gleichberechtigung in der Rüstung zu erreichen sei gescheitert, Frankreich trage<br />

dafür die volle Verantwortung. Karl Radek warnte an jenem Freitag in der Iswestia: „Selbst<br />

ein Blinder sieht nun, wie recht die russischen Abgeordneten auf der Abrüstungskonferenz<br />

hatten, wenn sie erklärten, alle Mächte müssten abrüsten, sonst sei ein neuer Krieg unvermeidlich.“<br />

Und der englische Delegierte in Genf, Lord Cecil mahnte zur Vernunft: „Wenn<br />

Frankreich und Deutschland im Geiste der Völkerbundsatzung ihre Streitigkeiten beilegen<br />

würden, würden damit 75 % der Unrast der Welt eine Ende nehmen.“<br />

Der Reichskanzler verdiente monatlich 2.500 Mark, ein Kohlenarbeiter schuftete für 136<br />

Mark, und eine vierköpfige Arbeitslosenfamilie erhielt 69,60 Mark. Ein Pfund Margarine<br />

kostete 29 Pfennig, weiße Bohnen 15 Pfennig, was für eine gebürtige Puffbohne, wie die Erfurter<br />

genannt werden, nicht ganz unwichtig ist. In<br />

Schwarzenberg wurden 39.000 Mark Lohngelder geraubt,<br />

aber beruhigt konnte die Zeitung vermelden: „Der Bank<br />

erwächst kein Verlust, da der Transport versichert war.“<br />

Na dann … war ja alles nicht so schlimm - und die<br />

Reichsregierung erklärt den Cäcilientag alljährlich zum<br />

„Tag der Hausmusik“. Barfüßerkirche vor der Zerstörung 1944<br />

In diese Wirren hinein schaute nun etwas verwundert der<br />

kleine Wilhelm. Getauft wurde er in der Barfüßerkirche,<br />

deren riesiges Kirchenschiff im Krieg zerbombt wurde und deren Ruine heute im Sommer für<br />

Shakespeares Lustspiele und Dramen bereit steht.<br />

Leicht würde Wilhelms Leben nicht werden.


Zweiter Weltkrieg<br />

- 28 -<br />

Wilhelms Vater Alfred hatte die vom UrWilhelm ererbte Werkstatt gleich nach dessen Tod<br />

übernommen, bislang aber nur wenige Instrumente gebaut und sich zunächst mehr dem fröhlichen<br />

Geigenspiel auf Tanzveranstaltungen gewidmet. Nun allerdings<br />

verlangten Frau und Kind ein solideres Lebensumfeld.<br />

Alfred begann sich an der väterlichen Werkbank mit Blick in die<br />

belebte Regierungsstraße intensiver den Reparaturen (2/3 des<br />

damaligen Umsatzes) und dem Handel zuzuwenden und beschloss<br />

schließlich, den Meisterbrief zu erwerben. Das Meisterstück<br />

war fast fertig, als Hitler-Deutschland in Polen einmarschierte<br />

und Alfred eingezogen wurde. 1798 hatten die Klingenthaler<br />

Geigenbauer als Künstler noch die Befreiung vom Militär<br />

erlangt, eine Bevorzugung, welche Alfreds Vater sicher sehr zupass<br />

gekommen wäre. Aber dieses Privileg lag inzwischen schon<br />

mehrere Generationen zurück, und es ist zu bezweifeln, dass Alfred<br />

Brückner als bekennender Stahlhelmer von diesem Sonderrecht<br />

freiwillig Gebrauch gemacht hätte.<br />

Alfred mit seiner Mutter „Klara“<br />

Sohn Wilhelm und Ehefrau Elsa sahen Vater und Ehemann nur noch in kurzen Urlaubswochen.<br />

Immerhin konnte am 20. Juni 1942 noch Tochter Ursula geboren werden. Ursula lernte<br />

später auch auf der Geige zu spielen und übertrug die Liebe zum Instrument auf ihren Sohn<br />

Fred Ullrich, der heute im Süden Deutschlands als erfolgreicher Orchestermusiker tätig ist.<br />

Alfred Brückner verlor jedoch 1944 vor Nowgorod sein Leben, beim unsinnigen Versuch,<br />

nahe des Illmensees zwischen Moskau und Sankt Petersburg mehr „Lebensraum im Osten“ zu<br />

erobern.<br />

Schwere Jahre<br />

Schon während des Krieges konnte die Firma Brückner nur noch auf<br />

„Sparflamme“ fortgeführt werden. Gegen Ende des Krieges war die<br />

Familie bei Elsas Verwandten in Markneukirchen untergekommen.<br />

Das Haupteinkommen der Familie war Alfreds Sold. Nach dem Krieg<br />

wurde dann die Werkstatt wieder auf einträglichere Beine gestellt.<br />

Wilhelm war als 13jähriger Schüler noch nicht in der Lage, die Werkstatt<br />

fortzuführen. Doch seine Mutter Elsa nahm die Geschicke der<br />

Firma in ihre tatkräftigen Hände. Sie intensivierte ihre Kontakte nach<br />

Markneukirchen und<br />

begann einen Musikalienhandel,<br />

der neben Streichinstrumenten auch<br />

Gitarren und Blockflöten, vor allem aber auch<br />

sehr gefragte Pfretschner-Bögen umfasste. Um<br />

den von UrWilhelm gegründeten guten Ruf der<br />

Instrumente aus der Brückner Werkstatt wach<br />

zu halten, stellte sie einige Jahre den aus Breslau<br />

geflohenen sehr guten Geigenbauer Stark<br />

ein. Wilhelm mit Stark in der heimischen Werkstatt<br />

Die Werkstatt füllte sich wieder mit Leben. Auch wenn Stark Erfurt Mitte der 50er Jahre wieder<br />

verließ, so war doch dafür gesorgt, dass Wilhelm die Firma Brückner in einem guten Zustand<br />

vorfand, als er sie vor mittlerweile mehr als 50 Jahren selbst übernahm.


Lehrzeit<br />

- 29 -<br />

Für Wilhelm begann zunächst eine harte Zeit. Der Verlust eines Elternteiles während der Pubertät<br />

ist immer besonders schwer zu verkraften. Wilhelm beendete noch die Schule in Erfurt.<br />

Mit 15 verließ er das Elternhaus und begann im 150 Kilometer entfernten Markneukirchen<br />

eine Lehre als Geigenbauer. Er wohnte bei<br />

Verwandten<br />

in der Erlbacher Straße 7 (Haus rechts)<br />

Zu jener Zeit gab es in Markneukirchen<br />

noch fast ein Dutzend noch fast ein Dutzend<br />

mehr oder minder weitläufig verwandte<br />

Geigenbauer namens Brückner.<br />

Wilhelms Mutter hatte ihrem Sohn jedoch<br />

als Lehrherren den Obermeister der Geigenbauer-Innung,<br />

Louis Willi Dölling jr, ausgesucht, der schräg gegenüber der Verwandtschaft<br />

in der Bismarkstraße 4 seine Werkstatt hatte und dem ein fachlich hervorragender Ruf<br />

voraus ging. Obgleich die Instrumente Döllings heute qualitativ nicht ganz so gut eingeschätzt<br />

werden wie die Instrumente etlicher seiner Lehrlinge, so konnte man in dieser<br />

Traditionswerkstatt fachlich tatsächlich viel lernen, zumal Dölling auch Mandolinen und<br />

Bässe herstellte. „Schnell und präzise“ war sein Arbeitsmotto. Die Atmosphäre war allerdings<br />

gezeichnet von düsterer Angst, Drohungen und Schlägen. Auch der begleitende<br />

Geigenunterricht, den Wilhelm beim alten Postrat Baumgarten nahm, war eine pädagogische<br />

Katastrophe. Nicht viel hätte gefehlt, und Geigenbau und Geigenspiel wären Wilhelm auf<br />

immer verleidet worden. Mehrfach stand er vor der Entscheidung, aufzugeben. Aber die<br />

äußeren Zwänge, das Verantwortungsgefühl für die Familie und letztlich auch das Erbe des<br />

Großvaters ließen ihn immer wieder die Zähne zusammen beißen. Es war damals nicht die<br />

Zeit, wo man Selbstverwirklichung und Traumata in großen Lettern vor sich her trug. Einzig<br />

die Schulung in der Fachschule für Instrumentenbau, die es in Markneukirchen noch bis in die<br />

60er Jahre hinein gab, brachte ein wenig Entspannung und Freude. Immerhin gingen aus der<br />

Dölling-Werkstatt einige beachtenswerte Geigenbauer hervor, z.B. die zu Wilhelms Zeiten<br />

ebenfalls bei Dölling beschäftigten Johannes Dick, der seit 1958 als Geigenbaumeister in<br />

Bremen ansässig ist, oder Ernst-Heinrich Roth III., der seine Ausbildung später in Bubenreuth<br />

beendete.<br />

Nach der Gesellenprüfung hielt es Wilhelm nicht mehr lange in Markneukirchen. Er fand eine<br />

Anstellung beim damals knapp 50jährigen Willi Lindörfer in Weimar.<br />

Willi Lindörfer war ein sehr guter Geigenbauer und eine etwas schillernde Persönlichkeit. Als<br />

recht guter Geiger mit ausgeprägtem künstlerischem Sachverstand und beachtlichem Geschäftssinn,<br />

hatte der gelernte Holzbildhauer sich den Geigenbau autodidaktisch beigebracht<br />

und bei dem renommierten Geigenbauer Otto Möckel und der Geigenhandlung Herrmann in<br />

Berlin vervollkommnet.<br />

Wilhelm musste seinen bei Dölling erlernten Arbeitsstil völlig umstellen. Bei Lindörfer, der<br />

seinen Schwerpunkt in der Restauration und dem peniblen Nachbau alter Instrumente sah,<br />

was qualitativ mitunter auch einer Fälscherwerkstatt zur Ehre gereicht hätte, hieß die Devise:<br />

Absolute Akkuratesse, wie lange es auch dauern mag.<br />

Ähnlich wie sich dem Großvater Brückner bei Fiorini in München und Stelzner in Dresden<br />

eine neue Welt eröffnet hatte, so öffnete sich auch für Enkel Wilhelm bei Lindörfer eine neuer<br />

Kosmos: Wirklich gute Musiker kamen in die Werkstatt im Süden Weimars. Kontakte, die


- 30 -<br />

Wilhelm im späteren Leben sehr dienlich waren. Lindörfer handelte auch mit hervorragenden<br />

alten Instrumenten, was den Blick und das Qualitätsbewusstsein seines Gesellen schärfte, und<br />

schließlich weckte er Wilhelms Interesse für die Kunst und<br />

für Künstler. Einigermaßen skurril war allerdings<br />

Lindörfers Geheimniskrämerei ums Lackieren. Er gehörte<br />

ersichtlich zu jener Geigenbauer-Fraktion, die dem Lack<br />

den entscheidenden Qualitätseinfluss beim Geigenbau<br />

zumessen. Beim Lackieren der Instrumente durfte ihm<br />

niemand zusehen. Oftmals lackierte er über Nacht, was sich<br />

jedoch angesichts der geringen Trocknungszeit kaum<br />

qualitätssteigernd ausgewirkt haben dürfte. Wilhelm mit Lindörfer auf dessen Holzboden<br />

Demgegenüber brachte allerdings seine Idee, uralte Balken aus Schlössern und Kirchen (einer<br />

stammte sogar aus dem Goethehaus in Weimar) vor der Verbrennung zu retten und zum Geigenbau<br />

zu verwenden, konkrete Erfolge 9 .<br />

Ehrgeizig und fleißig arbeitete<br />

Wilhelm in seiner Freizeit auch<br />

noch an eigenen Instrumenten<br />

in der heimischen Werkstatt in<br />

der Erfurter Regierungsstraße.<br />

der junge Meister<br />

Bereits 1956 konnte er sich zur<br />

Meisterprüfung anmelden. Es<br />

ist bezeichnend für seinen beruflichen<br />

Lebensweg, dass er<br />

als Meisterstück eine Bratsche vorlegte. Die<br />

besondere Liebe zur Bratsche sollte ihn nie wieder los<br />

lassen.<br />

Vorerst spielte aber noch eine andere Liebe eine bedeutendere<br />

Rolle:<br />

Beim Tanz anlässlich des Neptunfestes in Markneukirchen<br />

1958 hatten sich die Wege des Geigenbauers<br />

Wilhelm und der kaufmännischen Angestellten Johanna<br />

Dorothea Ott erstmals intensiver gekreuzt. Die ebenfalls 1932 geborene Dorothea entstammte<br />

vordergründig einem Haushaltswarengeschäft. Aber letztendlich ließen sich ihre Wurzeln wie<br />

bei fast jedem in Markneukirchen dann doch auch im Instrumentenbau verorten. Dorothea<br />

war ein Spross der traditionsreichen Markneukirchener Rorarius-Dynastie. Großvater und<br />

Urgroßvater waren Gitarrenbau-meister. Der Geigenbauer Friedrich August Rorarius war um<br />

1800 nach Wien ausgewandert und brachte es dort zum „Ausschließlich privilegiertem k.k.<br />

Hofinstrumentenmacher“, was damals nicht nur so hieß, sondern tat-sächlich mit erheblichen<br />

Privilegien und Rechten, aber auch Pflichten, verbunden war, die in vergleichbarer Form bis<br />

in die Neuzeit anhalten, wie beim privilegierten „Geigenmacher der Wiener Philharmoniker<br />

und der Wiener Staatsoper“, Otmar Lang, und dessen Nachfolger Wilfried Ramsaier, sozusagen<br />

berufliche Rorarius-Nachfahren, bis heute feststellbar ist.<br />

Ein halbes Jahr später schon verlobte sich das Paar. Mit 26 Jahren fühlte sich Wilhelm gerüstet,<br />

um in jeder Beziehung auf eigenen Beinen stehen und auch eine Familie ernähren zu können.<br />

Es zog ihn daher mit Macht weg von Lindörfer, um in der elterlichen Werkstatt sein eigener<br />

Herr zu sein. Eine schwere Erkrankung Lindörfers ließ ihn allerdings noch zwei Jahre<br />

9 Auch Wilhelm brachte es später auf diese Weise zu manch gutem Stück Holz: Mal ein alter Balken aus dem<br />

Waidspeicher an der Großen Arche, mal aus dem benachbarten Vierherren-Gehöft in der Regierungsstraße.


- 31 -<br />

länger als geplant in Weimar verweilen, bis Lindörfers Sohn Michael so weit war, seine Gesellenprüfung<br />

ablegen zu können.<br />

Wilhelm übernahm den elterlichen Betrieb endgültig Mitte 1960. Wenige Wochen später fand<br />

die Hochzeit mit Dorothea statt, und an einem Mittwoch, dem 3. Oktober 1962 erblickte Ruth<br />

Brückner das Licht der Welt.<br />

Es war kurz vor dem 13. Jahrestag der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik,<br />

und das Zentralkomitee der SED war in Berlin zu seiner 17. Sitzung zusammen getreten. Die<br />

stolzen Eltern waren gerade 30 Jahre alt geworden, und Erfurt verkündete als Spitzenmeldung<br />

des Tages, dass man bei der Kartoffelrodung an der Spitze der Bezirke stehe. Direktor Bala<br />

aus Kenia versicherte, dass ohne die Mauer der Frieden gefährdet sei. Stargeiger Oistrach<br />

wurde in Dresden umjubelt. 55 westdeutsche Schulgeographen waren zu einer Tagung nach<br />

Erfurt gereist. Der Wind wehte schwach vom Balkan; es war heiter und mit 26 Grad angenehm<br />

warm.<br />

Geigenbau in der DDR<br />

Die Mangelwirtschaft der DDR führte dazu, dass die notwendigen Materialien<br />

häufig gar nicht oder nur in schlechter Qualität und überteuert zu<br />

bekommen waren. Zum Glück konnte Wilhelm noch auf das recht umfangreiche<br />

Holzlager des Großvaters zurück greifen. Probleme hatte er<br />

allerdings beim Ebenholz für die Griffbretter, Wirbel und Einlagen. Auch<br />

war es nicht leicht, Saiten in ausreichender Zahl und guter Qualität zu<br />

bekommen. Bei den Saiten entwickelte sich der Handel in „umgekehrter<br />

Richtung“. Nicht der Geigenbauer verkaufte die Saiten an die Musiker,<br />

sondern die Musiker, die ein gewisses Kontingent guter Saiten erhielten,<br />

gingen so vorsichtig und sparsam mit den Saiten um, dass es ihnen möglich<br />

war, ihrerseits die privaten Geigenbauer zu beliefern.<br />

Um eine ordentliche Geige zu bauen, veranschlagt ein Geigenbauer ca. 6 Wochen. Das staatliche<br />

Preisdiktat sorgte allerdings dafür, dass der notwendige Verkaufspreis nicht erzielt werden<br />

konnte. Auch Wilhelm sah sich daher gezwungen, hochwertige Instrumente fast ausschließlich<br />

für Privatkunden auf Bestellung zu bauen.<br />

Die Zahl der Geigenbauer, die in der Lage waren, Meisterinstrumente herzustellen, war in der<br />

DDR überschaubar geworden. Zum einen hatte es vor dem Mauerbau einen Exodus in den<br />

Westen gegeben, zum anderen verhinderte die<br />

zentralisierte und mehr fabrikmäßige Ausbildung<br />

und Herstellung in der Musima (Musikinstrumentenbau<br />

Markneukirchen), wo bald<br />

über 50 % des Herstellungsprozesses mechanisiert worden war, die<br />

Entwicklung eines qualifizierten Nachwuchses. Der VEB Musima in<br />

Markneukirchen hatte ab 1953 mit zeitweise bis zu 1260 Mitarbeitern<br />

nahezu monopolistisch die Herstellung von Streich und Zupfinstrumenten<br />

übernommen. Die besseren Instrumente wurden ins Ausland exportiert.<br />

Die Zahl der Geigenbaubetriebe nahm kontinuierlich ab, da zunehmend<br />

nur noch Kleinst- und Familienbetriebe geduldet wurden. Neugründungen waren<br />

nahezu ausgeschlossen.


- 32 -<br />

Folgerichtig nahm auch die Zahl privater Ausbildungsplätze ab. Die Ausbildung erfolgte vorrangig<br />

unter spezifizierten Fabrikbedingungen und entsprach den Bedürfnissen der Massenproduktion<br />

im VEB Musima, wo die Geigenbauer - wie schon in den vogtländischen<br />

Werkstätten des 1900 Jahrhunderts - jeweils nur in Teilbereichen der Produktion eingesetzt<br />

wurden. Die in Markneukirchen ansässige Fachschule für Instrumentenbau wurde in den 60er<br />

Jahren geschlossen. Die theoretische Ausbildung erfolgte anschließend in Klingenthal.<br />

Neben dem Mangel an notwendigen Materialien waren die privaten Geigenbauer auch etlichen<br />

formalistischen Repressalien ausgesetzt. Um die Kontrollmechanismen weiter zu verschärfen<br />

musste z.B. ab 1970 jede als Künstlerinstrument ausgewiesene Meistergeige mit einem<br />

eigenen Namen ausgestattet werden und ein Prüfsigel aufweisen. Meisterinstrumente<br />

erhielten vom Amt für Standardisierung, Messwesen und Warenprüfung der DDR das Prädikat<br />

„Künstlerinstrument“. Hervorragende Meister, so auch später Wilhelm, wurden als „Anerkannter<br />

Kunstschaffender“ ausgezeichnet. Seit 1978 wurde jährlich der „Ehrenpreis für hervorragende<br />

Leistungen im Musikinstrumentenbau der DDR“ verliehen.<br />

Bereits kurz vor Kriegsende hatte sich die Migma (Musikinstrumenten Handwerker-Genossenschaft<br />

Markneukirchen) als Einkaufs- und Liefergenossenschaft gegründet. Nach Gründung<br />

der DDR war dies nahezu die einzig legale Art für die verbliebenen selbstständigen<br />

Geigenbauer, Materialien zu beschaffen. Sie mussten sich allerdings dazu verpflichten, einen<br />

Teil der Produktion weit unter Wert an die Genossenschaft zu geben, die sie dann unter eigenem<br />

Namen vertrieb. Die Auslandskontrakte mussten über die<br />

"Demusa GmbH" ab-gewickelt werden. Der Außenhandel der<br />

DDR unterlag einem staatlichen<br />

Monopol. Am 7. Dezember 1956<br />

erfolgte die Gründung die VE<br />

Deutsche Innen- und Außenhandel<br />

(DIA) Kulturwaren. Dies war<br />

der unmittelbare Vorgänger der<br />

Deutschen Musikinstrumenten-<br />

und Spielwaren Außenhandelsgesellschaft mbH Berlin<br />

(Demusa), die am 1. September 1960 ihre Tätigkeit aufnahm.<br />

Die Außenhandelsbetriebe waren allein zuständige Handelsunternehmen<br />

für einzelne fest definierte Erzeugnisse und<br />

Erzeugnisgruppen. Sie leiteten, steuerten und regelten die Außenhandelsbeziehungen in diesem<br />

Bereich. Die DEMUSA handelte zunächst mit Musikinstrumenten aller Art, Christbaumschmuck,<br />

Fest- und Scherzartikeln, Zündhölzern und Kinderwagen wobei das Handelssortiment<br />

unterlag bis 1988 etlichen Änderungen unterlag.<br />

Forsche Schritte in der Selbständigkeit<br />

Trotz staatlicher Repressalien und Einschränkungen entwickelte sich Wilhelms Werkstatt sehr<br />

zufriedenstellend. In fast jeder Beziehung konnte er an die erfolgreiche Tradition des Großvaters<br />

anknüpfen. Dabei half ihm die sozialistische Planwirtschaft insofern, als sich rasch ein<br />

Mangel an qualifiziertem Nachwuchs einstellte und etwa 4/5 der Geigenproduktion aus dem<br />

Vogtland, wo 97 % der DDR Streich- und Zupfinstrumente erzeugt wurden, ins Ausland exportiert<br />

wurde. Oft bekam die eigene Bevölkerung nur billige Sperrholzinstrumente bereit<br />

gestellt. D.h. es herrschte bald ein eklatantes Missverhältnis auf dem inländischen DDR-<br />

Markt zwischen Nachfrage und Angebot, insbesondere bei Qualitätserzeugnissen.


- 33 -<br />

Wilhelm gelang es, sich relativ schnell einen stabilen Kundenstamm zu schaffen, der ihm<br />

seine Instrumente zur Reparatur überließ. Er bereiste die Orte der Umgebung auf der Suche<br />

nach guten, alten Instrumenten, die er restaurierte und wieder veräußerte, und experimentierte<br />

mit Neubauten. In den ersten 10 Jahren wagte er sich an verschiedene Geigenmodelle, baute<br />

einige Bratschen und zwei Celli. Töchterchen Ruth bekam bereits zum vierten Geburtstag<br />

eine Achtelgeige in die Hand gelegt, in der vielleicht etwas zu ambitionierten Erwartung, sie<br />

würde sich zu einer Amadea Mozart entwickeln. Interessante Celli wurden ebenso nachgebaut<br />

wie die Stradivari von David Oistrach. Nicht einmal eine Tanzmeistergeige war vor Wilhelms<br />

Bau- und Experimentierlust sicher.<br />

Wilhelms Sordino (Tanzmeistergeige)<br />

Wilhelm hatte sich inzwischen<br />

auch einen guten<br />

Ruf als Restaurator<br />

erworben. So<br />

erhielt er eines<br />

Tages vom Loh-<br />

Orchester den Auftrag,<br />

ein wertvolles<br />

Amati-Cello zu reparieren.<br />

Die Stimme<br />

war durch die Decke<br />

gebrochen; so ziemlich das Schlimmste, was einem<br />

Streichinstrument passieren kann. Das Ergebnis der Reparatur<br />

war so überzeugend, dass ihm nunmehr auch die<br />

Qualifikation als Kunsthandwerker zugebilligt wurde, was<br />

bedeutete, dass er jetzt Künstlerinstrumente bauen durfte.<br />

Sein erstes derartig zertifiziertes Instrument taufte er auf den<br />

nicht gerade bescheidenen Namen „Gloriosa“.<br />

Durchbruch<br />

Mit der „Gloriosa“ begann im Mai 1972 der<br />

internationale Aufstieg der Geigenbauwerkstatt<br />

Brückner. Nach einer Operation etwas<br />

geschwächt hatte sich Wilhelm schließlich<br />

doch auf Drängen seiner Frau entschlossen,<br />

seine Gloriosa auf dem renommierten und<br />

ältesten Geigenbauwettbewerb Henryk<br />

Wieniawski, in Polen vorzustellen. Dort<br />

werden seit 1957 alle fünf Jahre von einer<br />

international prominent besetzten Jury 10<br />

sozusagen die „Oskars“ des internationalen<br />

Geigenbau verliehen.<br />

Gloriosa ist auch der Name der größten frei<br />

schwingenden Glocke der Welt, die sich im<br />

Dom zu Erfurt befindet. Und „Die<br />

Ruhmreiche“ machte ihrem Namen alle<br />

10 1972 waren dies u.a.: Jean Bauer– Frankreich, Władimir Bystrożynski– USSR, Vila Kuzel –CSSR, Renato<br />

Scrollavezza- Italien, Eckart Richter- DDR, Józef Świrek- Polen, Walter Voigt- BRD


- 34 -<br />

Ehre. Unter etlichen Hundert von einer illustren Schar renommierter Geigenbauer<br />

eingereichter Instrumente wurde die Gloriosa mit der Goldmedaille ausgezeichnet.<br />

Von nun an wurden Wilhelm die Instrumente aus den Händen gerissen,<br />

und er wurde als Devisenbringer hofiert. Die Materialfrage entschärfte<br />

sich, wenngleich der Export noch über den staatlichen Außenhandel erfolgen<br />

musste, was insofern äußerst unbefriedigend blieb, weil so der direkte<br />

Kontakt zum Kunden meist unmöglich war, dessen spezielle Wünsche und<br />

Anregungen im Dunkeln bleiben mussten, und natürlich auch keine angemessenen<br />

Preise erzielt werden konnten. Wilhelm fand nach der Wende<br />

heraus, dass Gewinnspannen von mehr als 500 Prozent bei der Demusa<br />

keineswegs die Ausnahme waren. So erhielt er z.B. für ein Instrument<br />

lediglich 2.200 Ostmark, welches von der Demusa für 3.600 Dollar in die USA verkauft<br />

worden war.<br />

Wirken in der Fachgruppe der Geigenbaumeister 11 der DDR<br />

Die gravierenden Probleme der Geigenbauer und des Geigenbaus in der DDR ließen sich immer<br />

weniger unter den Teppich kehren. Wilhelm war einer der Letzten gewesen, der noch<br />

einen internationalen Preis erringen konnte. Die Nachwuchssorgen waren evident und die<br />

Materiaprobleme immer weniger beherrschbar. Andererseits waren sich die DDR-Oberen<br />

durchaus bewusst, dass der Geigenbau im Osten Deutschlands natürlich eine Jahrhunderte<br />

lange erfolgreiche Tradition verkörperte und sehr wohl auch als Devisenbringer eingesetzt<br />

werden konnte.<br />

Die zentralisierte, fabrikmäßige Fabrikation der Instrumente im Vogtland hatte sich als Sackgasse<br />

erwiesen. Das ging letztlich sogar so weit, dass man sich durch das Baumsterben im<br />

Erzgebirge gezwungen sah, für die Industriegeigen Pressholz zu verwenden. Man brauchte die<br />

freien Geigenbaumeister, sah zunehmend die Notwenigkeit, sie zu fördern und zu unterstützen,<br />

wollte ihnen aber auch nicht zu viel Freiheit zubilligen. Als Kompromiss bot es sich an,<br />

den Geigenbauern eine eigene Organisationseinheit zu schaffen. Wie in diesen Fällen üblich,<br />

erfolgte die Gründung von „Oben“.<br />

Der Genosse Generaldirektor der Vereinigung Volkseigener Betriebe lud zur Gründungsversammlung.<br />

Die Gründung wurde an einem regnerisch kühlen Dienstag im Mai 1978 vollzogen.<br />

An jenem 23. Mai in Plauen zeigten sich die Abgesandten des Kulturministeriums und<br />

der Volkseigenen Betriebe erstaunlich einsichtig und selbstkritisch: Man sei inzwischen von<br />

der internationalen Entwicklung abgeschnitten, die Reparaturkapazitäten im eigenen Land<br />

seien nicht mehr ausreichend, man müsse sogar gute Instrumente und Werkzeuge importieren.<br />

Gemäß Vorschlag von „Oben“ wurde Eckart Richter aus Markneukirchen von den anwesenden<br />

19 Geigenbauern als Vorsitzender bestätigt. Die Bogenmacher stießen erst 1981 dazu.<br />

Richters Stellvertreter wurde Wilhelm Brückner. In den folgenden 10 Jahren entwickelte sich<br />

11 ab 8.10.1984 „Fachgruppe der Geigen- und Bogenbaumeister der Deutschen Demokratischen Republik


- 35 -<br />

zwischen diesen Beiden eine gute Arbeitsteilung. Kollege Richter versuchte zu vermitteln und<br />

Wilhelm formulierte mitunter etwas sehr deutlich die Kritikpunkte. So äußerte er schon früh<br />

seinen Unmut über die mangelnde Unterstützung bei Wettbewerben, thematisierte die Absurdität,<br />

Wirbel und andere Kleinbestandteile selbst produzieren zu müssen, und provozierte mit<br />

der schon fast „kapitalistisch-konterrevolutionären“ Vermutung, die Arbeiter seien auf Grund<br />

des zu niedrigen Lohnniveaus zu wenig motiviert, Qualitätsarbeit zu liefern; d.h. Wirbel würden<br />

abbrechen, Feinstimmer passten nicht an die Saitenhalter, etc. Dies wurde natürlich vom<br />

VEB-Betriebsdirektor entschieden zurückgewiesen!<br />

Die Volkseigenen Betriebe insbesondere die Musima zeigten sich auch im Weiteren in keiner<br />

Weise kooperativ, und das Ministerium vertraute im Wesentlichen auf die Kreativität der<br />

Geigenbauer, sich selbst zu helfen. Immerhin war die Mitgliedschaft in der Fachgruppe nicht<br />

zuletzt durch Vorträge und Informationsaustausch auf hohem Niveau so attraktiv, dass es<br />

nach etlichen Jahren gelungen war, sämtliche Geigenbaumeister der DDR zusammen zu führen.<br />

Es gelang der Fachgruppe, Richtwerte für Reparaturpreise zu entwickeln, die Lehrlingsausbildung<br />

konnte geringfügig verbessert werden. Schließlich weckten aber ausgiebige Berichte<br />

über Reisen einiger Kollegen, deren Instrumente als Devisenbringer besonders begehrt<br />

waren, auch und vor allem ins westliche Ausland, ein gewisses kritisches Selbstbewusstsein<br />

bei allen Geigen- und Bogenbauern und politisch heikle Begehrlichkeiten. Dies führte 1985<br />

sogar zu dem schier revolutionären Akt, die Fachgruppenleitung in geheimer Wahl zu bestimmen.<br />

Wilhelm wurde erneut in den Vorstand gewählt, gab aber den Stellvertreterposten<br />

an den Bogenbauer H.-K. Schmidt ab.<br />

Erste Verhandlungen<br />

zur Vereinigung<br />

der<br />

Fachgruppe mit<br />

dem VDG beim<br />

Kollegen Franke<br />

(Mitte) in Leipzig.<br />

Links daneben<br />

der VDG<br />

Vorsitzende<br />

Bühnagel; ganz<br />

rechts: Wilhelm<br />

Mit der Wende kam das Ende der Fachgruppe. Wilhelm, der inzwischen das Schatzmeisteramt<br />

übernommen hatte, berichtete auf der Vorstandssitzung am 3.2.1990 in Halle noch vom<br />

Problem, in der untergegangenen DDR ein Konto zu eröffnen, auf dem er das Vereinsvermögen<br />

von 5436,33 Mark einzahlen konnte.<br />

Im Mai 1991 erfolgte in Bamberg die Vereinigung mit dem Verband Deutscher Geigen- und<br />

Bogenbauer, dem die Kollegen aus den Neuen Bundesländern geschlossen beitraten. Und<br />

wieder schloss sich ein Kreis. Schwerpunktthema in Bamberg war die Viola. Wilhelm hielt<br />

den Kernvortrag zum „Bau der Viola“; exakt 13 Jahre nach der Einladung zur Gründungsversammlung<br />

der Fachgruppe – und wieder regnete es und war relativ kühl. In seinem letzten<br />

öffentlich gehaltenen Vortrag ließ Wilhelm alle Erfahrungen und Erkenntnisse einfließen, die<br />

er in über 40 Jahren als Geigenbauer gesammelt hatte. Seine Offenheit wurde von den Westkollegen<br />

ungläubig staunend bewundert. Geprägt vom marktwirtschaftlichen Konkurrenzdruck<br />

waren sie ein so partnerschaftliches Entgegenkommen nicht gewohnt. Wilhelm allerdings,<br />

der noch maßgeblich die Verhandlungen zur Vereinigung mit bewirkt hatte, zog sich in<br />

seinem nunmehr 60. Lebensjahr aus der Gremienarbeit zurück.<br />

Für Außenstehende ist es ohnehin kaum erklärlich, wie dieses Energiepaket so lange Werkstatt,<br />

Familie, Gremientätigkeit, Geigenbauerverband, Kunsthandwerkerverband mit den damit<br />

zusammenhängenden zahlreichen Reisen im In- und Ausland, Prüfer, Gutachter, Schachverein,<br />

Kegelgemeinschaft etc. miteinander verbinden und dennoch in jedem Bereich solide<br />

Arbeit und Erfolge aufweisen konnte.


Verband Bildender Künstler der DDR<br />

- 36 -<br />

Um etwas freier agieren zu können, war es für einen selbständigen Handwerksmeister zu<br />

DDR-Zeiten äußerst wichtig, sich soziale Netzwerke zu schaffen. Es nimmt daher nicht Wunder,<br />

dass der umtriebige Wilhelm sich nicht nur fachlich als Stellvertretender Obermeister der<br />

Handwerkskammer, Berufener Gutachter und Kultursachverständiger im Rat des Bezirks<br />

sondern auch gesellschaftlich sehr intensiv engagierte. Politisch eher zurückhaltend, wirkte er<br />

doch in der Nationalen Front und der Volkssolidarität mit und war als Turnierschachspieler,<br />

Elternaktivvorsitzender, Kegler und im Wohnbezirksausschuss aktiv.<br />

Um sich jedoch auch international mehr Bewegungsfreiraum zu schaffen und die Preisgestaltung<br />

für seine Instrumente autonomer festlegen zu können 12 , war Wilhelm ein ambitionierter<br />

und in der DDR bisher einmaliger Gedanke gekommen, den er bald schon engagiert umzusetzen<br />

begann:<br />

Die Restauration des Amati-Cellos hatte Wilhelm im Juli 1970 die Anerkennung als Kulturschaffender<br />

des Handwerks gebracht. Dies war natürlich nicht nur ein Ehrentitel, sondern damit<br />

verband sich eine größere Flexibilität bei der Preisgestaltung und vor allem die Berechtigung,<br />

Künstlerinstrumente herstellen zu dürfen. Wilhelm wollte nunmehr allerdings einen<br />

konsequenten zweiten Schritt gehen: Mit zähem Selbstbewusstsein betrieb er seine Aufnahme<br />

in den Verband Bildender Künstler der DDR.<br />

Bei Gründung der Künstlervereinigung der DDR, wie der Verband bis 1970 hieß, waren 1950<br />

sechs Landesverbände und sechs Fachgruppen eingerichtet worden:<br />

1. Maler und Grafiker<br />

2. Bildhauer<br />

3. Gebrauchs- und Fotografiker<br />

4. Werkkünstler und Formgestalter<br />

5. Architekten, Ausstellungsgestalter und Bühnenbildner<br />

6. Kopisten und Restauratoren<br />

Die letzte Fachgruppe bot die theoretische Zugangsmöglichkeiten auch für Geigenbauer,<br />

wenngleich dies noch nie einem Instrumentenbauer zugestanden worden war.<br />

Wilhelms Erfolg in Posen und der damals schon damit verbundene Medienrummel führten<br />

tatsächlich dazu, dass er trotz einiger Widerstände im September 1979 als erster Geigenbauer<br />

überhaupt in diesem Verband Fuß fassen konnte. 1983 gelang es Wilhelm, den Kollegen<br />

Schade und ein Jahr später auch den Bogenbauer H.-K.-Schmidt in den VBK aufnehmen zu<br />

lassen. 1984 war dann insofern eine gewisse Normalität eingezogen, als objektivierbare Kriterien<br />

für die Aufnahme von Instrumentenbauer formuliert werden konnten.<br />

Voraussetzung für die Aufnahme im VBK war ein abgeschlossenes künstlerisches Fach- oder<br />

Hochschulstudium oder die Prüfung durch eine der Sektionsleitungen. Nach einem Status als<br />

Kandidat erfolgte die Aufnahme als vollwertiges Mitglied des Verbandes. Eine Mitgliedschaft<br />

war wichtig, da sie den Zugang zum staatlichen Kunsthandel darstellte und die öffentliche<br />

Vergabe von künstlerischen Aufträgen nur an Mitglieder des Verbandes erfolgte. Die größte<br />

Abteilung des Verbandes bildete Ende der 80er Jahre die Reisestelle der Abteilung Internationale<br />

Beziehungen, da die Reisetätigkeit der Künstler (Studienreisen, Museumsbesuche im<br />

12 § 2 Abs.2 der Honorarordnung Bildende Kunst: „Grundlage für die Festlegung des Honorars innerhalb des<br />

Honorarrahmens ist die erwartete bzw. erreichte inhaltliche und künstlerische Qualität des Werkes, wobei die<br />

nationale bzw. internationale Anerkennung des Künstlers berücksichtigt werden kann.“


- 37 -<br />

Ausland) zunahm und diese durch den VBK organisiert und finanziert wurden. Bei der Auflösung<br />

des Verbandes 1990 hatte der VBK ca. 6.000 Mitglieder.<br />

Für Wilhelm hatte sich mit seiner Aufnahme das Fenster in den Westen ein Stück weiter geöffnet.<br />

Dass teilweise die Kosten für Auslandsreisen vom Verband übernommen wurden, war<br />

in diesem Zusammenhang weniger wichtig als die Hilfestellung bei der Genehmigung der<br />

Westreisen – teils direkt, teils indirekt über den Rat des Bezirkes. Damit konnten immer mal<br />

wieder die Bremser und Bedenkenträger des VVB-Apparates in Plauen umgangen werden.<br />

Die ersten Studienreisen führten ihn z.B. 1981 nach Mittenwald, wo er nicht nur Kontakte zu<br />

Kollegen und Kunden knüpfte sondern sich vor allem auch mit dringend benötigten Werkzeugen<br />

und Materialien eindecken konnte. 1983 gelang es Wilhelm über den VBK nach Kassel<br />

zu reisen, 1985 nach Cremona.<br />

Mitgliedschaft in der LDPD<br />

Typischerweise wurden Handwerksmeister und Kleinunternehmer, soweit sie ihre Selbständigkeit<br />

in der DDR behalten konnten, Mitglieder der LDPD. Nicht selten wurden sogar Interessenten<br />

für eine Mitgliedschaft in der SED zur Auffüllung an eine der Blockparteien verwiesen.<br />

Wilhelm fiel hier insofern aus dem Rahmen, als er schon Anfang<br />

1948 Mitglied der LDP wurde, wie sie damals noch hieß. Die<br />

LDP, die ihren ersten Parteitag in Erfurt abhielt, war bei den letzten<br />

freien Wahlen 1946 in der sowjetischen Besatzungszone mit knapp 25<br />

Prozent der Stimmen noch vor der CDU zweitstärkste Partei hinter<br />

der SED geworden. Nach dem Tod des ersten Parteivorsitzenden Wilhelm<br />

Külz im April 1948 wurde die LDP kritischer gegenüber der<br />

SED. Ende 1948, auf dem Höhepunkt ihres Widerstandes gegen die<br />

Machtergreifung der SED, hatte die LDP mehr als 200.000 Mitglieder,<br />

von denen 23 Prozent jünger als 25 Jahre waren. Dazu gehörte<br />

auch Wilhelm.<br />

Den kritischen Kurs konnte die LDP allerdings nicht lange durchhalten. Säuberungen, Verhaftungen,<br />

Todesurteile brachten die LDP auf Linie. Jungpolitikern, wie Genscher, Mischnick<br />

und Flach, gelang noch rechtzeitig die Flucht in den Westen. Mit der Umbenennung in Liberal-Demokratische<br />

Partei Deutschlands (LDPD) war die Eigenständigkeit am 27. Oktober<br />

1951 endgültig beendet. Jene „48er Jungrebellen“, welche die Säuberungsaktionen überstanden<br />

hatten, wurden künftig mit einem Gemisch aus vorsichtigem Misstrauen und heimlicher<br />

Bewunderung betrachtet. Für Wilhelm bot die LDPD einen gewissen Schutz vor politischen<br />

Zumutungen der SED und eine Einbindung in eine berufliche Interessengemeinschaft.<br />

Gleichwohl vermied er es, sich politisch zu sehr zu engagieren. Seine Anwesenheit bei Parteiveranstaltungen<br />

dieser „Thüringenpartei “ beschränkte er auf Fachvorträge. Angesichts<br />

seiner Meriten für den „sozialistischen Aufbau“ nehmen sich seine Orden und Ehrungen daher<br />

auch vergleichsweise bescheiden aus: Aktivist der sozialistischen Arbeit (womit allerdings<br />

ca. 2/3 der DDR-Bevölkerung ausgezeichnet wurden), das goldene Ehrenzeichen des<br />

Handwerks, eine Medaille zum 30. Jahrestag der Staatsgründung und die silberne Ehrennadel<br />

der Nationalen Front gehörten zur relativ mageren Aus-beute. Die Familie kaufte sich auch<br />

insofern politisch frei, als z.B. zum IV. Pioniertreffen 1961 in Erfurt eine Gruppe Junger Pioniere<br />

ein Brückner-Instrument zum Geschenk erhielt, und ab 1977 mit Ehefrau Dorothea noch<br />

ein zweites zahlendes Mitglied die LDPD-Statistik schönte.


Louis Spohr Wettbewerb 1983<br />

- 38 -<br />

Dass die für Wilhelm bahnbrechende Preisverleihung 1972 in Polen<br />

keine Eintagsfliege war, hatte sich im Folgenden mehrfach gezeigt.<br />

1979 wurde Wilhelm bei der Triennale in Cremona ein Diplom<br />

verliehen, 1981 erhielt er beim Wieniawsky Wettbewerb die<br />

Goldmedaille des Geigenbauerverbandes der BRD und den Goldenen<br />

Groblics des polnischen Geigenbauerverbandes für höchste Individualität.<br />

Wilhelm konnte sich nunmehr als „Reisekader“ bezeichnen.<br />

1981 reiste er nach Mittenwald mit Besuch der dortigen Geigenbauschule.<br />

1985 war er zum Wettbewerb in Cremona. 1987 verbrachte er<br />

fünf Wochen als Ausbilder des skandinavischen Geigenbaunachwuchses<br />

in Schweden.<br />

Ein ganz entscheidender Meilenstein war aber Wilhelms Auftritt und Erfolg in Kassel 1983.<br />

Die notorisch unter zu geringem Selbstbewusstsein hinsichtlich der eigenen Leistungsfähigkeit<br />

leidenden DDR-Kader sahen darin etwas fast so Rühmliches wie eine kulturelle Olympiamedaille.<br />

Immerhin konnten Wilhelms Bratschen eine Silbermedaille und 5 der in Kassel zu<br />

vergebenden 30 Diplome einheimsen. Er war damit erfolgreichster Geigenbauer des Ostblocks.<br />

Der internationale Louis Spohr Wettbewerb jenseits der Mauer war insofern ein besonders<br />

herausragender und bedeutender Wettbewerb, als er erstmals vom Verband (West-)Deutscher<br />

Geigenbauer ausgelobt worden war mit maßgeblicher Unterstützung der Stadt Kassel, des<br />

Hessischen Rundfunks und potenter Geldgeber. Die ursprüngliche Intention, den Wettbewerb<br />

alle 4 Jahre alternierend zur Documenta stattfinden zu lassen und damit Deutschlands<br />

„Kunsthauptstadt“ auch zur „Musikhauptstadt“ zu machen, erwies sich allerdings als zu ambitioniert.<br />

Gleichwohl war es ein international sehr beachteter Wettbewerb. 400 Exponate galt<br />

es zu begutachten.<br />

Wiederum wurden intensive Kontakte geknüpft. Der Solobratscher des Orchesters vom Hessischen<br />

Rundfunk, Bodo Hersen, verliebte sich sofort in eine Brücknerbratsche und kaufte sie<br />

auf dem komplizierten Weg über die DDR-Aussenhandelsgesellschaft. Langjährige, zum Teil<br />

bis heute anhaltende Freundschaften und Vertrauensverhältnisse entstanden.<br />

Brückner Bratsche<br />

Letztlich war es immer wieder der Bratschenbau, der seit über 50 Jahren<br />

die Geschicke der Geigenbauwerkstatt Brückner in der einen oder<br />

anderen Weise maßgeblich beeinflusste. Die Weichen dafür waren<br />

schon 1956 gestellt worden, denn nicht ganz von ungefähr hatte Wilhelm<br />

(wie 34 Jahre später dann auch Tochter Ruth) eine Bratsche<br />

zum Meisterstück gewählt.<br />

Diese Meisterbratsche wurde vom damaligen 1. Konzertmeister der<br />

Landeskapelle Eisenach, Alfred Lipka, erworben. In Böhmen<br />

geboren, hatte Lipka seine Violin- und Violastudien u.a. in Erfurt<br />

absolviert. Die Verbindung zwischen Lipka und Wilhelm sollte nie wieder abreißen, auch<br />

wenn sich der Musiker räumlich immer weiter von Erfurt entfernte. Von 1958 bis 1963 war er<br />

Solo-Bratscher des Rundfunk–Sinfonieorchesters Leipzig, anschließend Solo-Bratscher der<br />

Deutschen Staatsoper Berlin, bis ihm 1975 eine Professor an der Hochschule für Musik<br />

"Hanns Eisler" Berlin angetragen wurde.


- 39 -<br />

In Berlin hatte sich Lipka von Wilhelms Meisterbratsche getrennt und die größere Bratsche<br />

eines Kollegen aus Gotha erworben. Dies wurmte den ehrgeizigen Wilhelm dann doch sehr,<br />

und er begann intensiv zu experimentieren, um den Klang seiner Bratschen zu optimieren.<br />

Eine Bratsche in Gambenform stellte sich rasch als Sackgasse<br />

heraus. Bald jedoch war er auf dem richtigen Weg.<br />

Ausgehend vom voluminösen Modell der Tertis Viola, die<br />

allerdings wegen der Breite am Hals schwierig zu spielen<br />

ist, entwickelte er 1976 eine<br />

„breitarschige“ Form, die im unteren<br />

Teil sehr ausladende Maße<br />

aufwies.<br />

Prof. Lipka mit der „Urmutter“<br />

Die „Urmutter“ war entstanden. Der frischgebackene Professor Lipka<br />

war so begeistert, dass er sie noch unlackiert in den Konzertsaal mitnehmen<br />

wollte.<br />

Lionel Tertis<br />

mit seinem Viola-Modell<br />

Im Folgenden perfektionierte Wilhelm sein Modell, stumpfte die Ecken ab und verlagerte die<br />

C-Bügel, um die Spielbarkeit zu erleichtern. Auch Lipkas Schüler, u.a. die späteren Viola-<br />

Professoren Schwarz, Krüger und Selditz waren begeistert und entschieden sich für das neue<br />

Brücknermodell. Dies wurde daraufhin von etlichen Kollegen kopiert, aber die ausgewogene<br />

Brückner-Reife wurde dann doch nicht erreicht, wie sich auch bei den Geigenbau-Wettbewerben<br />

heraus stellte, die Wilhelm zunehmend mit seinen Violen bestritt.<br />

prominente Lipka-Schüler:<br />

Prof. Felix Schwartz, Rostock Prof. Erich Wolfgang Krüger, Weimar Prof. Thomas Selditz, Wien<br />

1.Solobratschist Staatskapelle Berlin Mitglied diverser Kammermusikensembles u.a. Mitglied des Gaede Trios<br />

Bratschen führten längere Zeit in den Orchestern der Welt ein Schattendasein, obgleich sie<br />

zur Standardbesetzung in jedem Streichquartett gehören. Oft wurden die Bratschen von ehemaligen<br />

Geigern gespielt, denen nachgesagt wurde, als Geiger nicht reüssieren zu können.<br />

Mit Ostfriesen und Blondinen teilten die Bratscher oft das wenig schmeichelhafte Los, bevorzugtes<br />

Ziel von Witzeschmieden zu sein.<br />

Zunehmend wandelt sich allerdings das Bild. Es gibt sehr anspruchsvolle Kompositionen für<br />

Solobratsche, und es gibt vor allem Bratschenvirtuosen, die den Spitzengeigern in nichts<br />

nachstehen. Längst gibt es kein Qualitätsgefälle mehr. Ausschließlich das subjektive Empfinden<br />

entscheidet inzwischen darüber, ob man sich als Spieler oder Zuhörer mehr für den helleren<br />

Geigenklang oder den dunkleren Bratschenklang begeistert. Vielen scheint heute sogar<br />

der geheimnisvollere Bratschenklang eher geeignet, in Herz und Seele vorzudringen.


- 40 -<br />

Die japanische Spitzenbratscherin Nobuko Imai<br />

(hier mit Wilhelm Brückner und dem Bratscher<br />

Kuron Davis aus Großbritannien 1995 in London)<br />

wurde von der Musikzeitschrift „ensemble“<br />

(Nr.11/2011) nach der Spezifik des Violaklangs<br />

befragt: (nebenstehend)<br />

Eine schönere Liebeserklärung für die oftmals<br />

verkannte (vgl. Seite 41) Viola lässt sich kaum<br />

denken, und das Interview erklärt plastisch, warum<br />

sich die Familie Brückner diesem Instrument<br />

in ganz besonderer<br />

Weise<br />

verbunden fühlt,<br />

und warum Ruth<br />

Brückner (links)<br />

schon seit KindertagenBratsche<br />

spielt und<br />

sich heute u.a. im Akademischen Orchester<br />

Erfurt (früher Universitätsorchester) neben<br />

ihrem Beruf als Geigenbauerin noch intensiv als<br />

Hobby-Bratscherin betätigt.<br />

Akademisches Orchester, Erfurt 2011<br />

mit Universitätsmusikdirektor Sebastian Krahnert,<br />

Konzertmeisterin Regine Solle und Ruth Brückner (Pfeile)


- 41 -<br />

Bratscherwitze<br />

Wenn jemand einen Geiger-Witz erzählt lachen die Zuhörer. Wenn jemand einen Bratscher-Witz erzählt nicken<br />

alle zustimmend.<br />

Was macht man mit dem ersten Geiger nach einem Schlaganfall? - Man setzt ihn an die erste Bratsche! Was<br />

macht man, wenn er kurz darauf stirbt? - Er kommt einfach in die zweite Reihe!<br />

Welches ist das Lieblingsinstrument der Bratscher? Die Harfe: Nur Pizzicato, nur leere Saiten und kein Vibrato.<br />

Unterschied zwischen Bratsche und Zwiebel? Wenn man eine Bratsche klein hackt, weint kein Mensch.<br />

Woran erkennt man, dass ein Bratscher falsch spielt? - Der Bogen bewegt sich!!!<br />

Wie schützt man eine Geige vor Diebstahl? - Man legt sie in einen Bratschen-Koffer!<br />

Warum bevorzugen Bratscher durchsichtige Brotdosen? - Damit sie auf einen Blick wissen, ob sie auf dem Weg<br />

zur Probe sind oder schon auf dem Heimweg.<br />

Wie heißt die Endrunde im Bratschistenwettbewerb?- Achtelfinale.<br />

Warum sind Bratschen auf modernen CD-Einspielungen nicht zu hören? - Weil die Technik inzwischen Aufnahmen<br />

ohne jegliche Nebengeräusche produzieren kann.<br />

Warum üben Bratscher immer mit Metronom? - Irgendwas muss sich ja beim Üben bewegen.<br />

Was haben ein Bratscher und ein Unwetter gemeinsam? - Beide setzen meistens zum falschen Zeitpunkt ein.<br />

Wie nennt man es, wenn ein Bratscher sein Instrument aus dem Fenster wirft? - Schöner Wohnen!<br />

Zwei Violinisten treffen sich nach langer Zeit. Einer von beiden trägt einen Bratschenkasten. Fragt der andere:<br />

"Hattest Du einen Schlaganfall?"<br />

Orchesterkonzert. Am 2. Bratschenpult große Verwirrung. Ratsuchende Frage an das 3. Pult der 2. Geigen: "Wo<br />

sind wir?" Antwort: "Takt 165 ... Takt 166 ... Takt 167 ..." Der Bratschist: "Keine Details - welches Stück!"<br />

Der Dirigent zum Bratschisten: "Du hast da Triolen!" - Der Bratschist starrt auf sein Hemd: "Wo, wo, wo ... tu sie<br />

weg!"<br />

Ein Bratscher geht zum Psychiater und sagt: "Herr Doktor, ich habe ein Problem: Ich rede im Schlaf." - "Das machen<br />

doch viele Leute." - "Ja, aber das ganze Orchester lacht schon über mich!"<br />

Es werden die Einsparmaßnahmen in einem Orchester diskutiert. Durchgesetzt hat sich dann doch die Idee, bei<br />

den Pultlampen der Bratschisten Bewegungsmelder zu installieren.<br />

Die Orchestermitglieder beobachten, wie ein Bratscher vor jeder Probe einen Zettel aus seinem Spind nimmt und<br />

einen heimlichen Blick darauf wirft. Der Konzertmeister beobachtet das eine Weile und wird zuletzt so neugierig,<br />

dass er eine kurze Abwesenheit des Bratschers nutzt und sich den geheimnisvollen Zettel anschaut. Verdutzt liest<br />

er die wenigen Worte: Bratsche links, Bogen rechts!<br />

Alle Kinder in der Klasse werden vom Lehrer gefragt, was ihre Väter von Beruf sind. Der eine sagt: "Mein Vater ist<br />

Dachdecker", ein anderer sagt: "Meiner ist Maler." So geht es weiter. Als Peter an der Reihe ist, sagt er: "Mein<br />

Vater ist Striptease-Tänzer in einer Nacktbar." Der Lehrer wird rot. Am nächsten Tag kommt der Lehrer zu Peter<br />

und sagt: "Ich war gestern bei einem Konzert und habe deinen Vater als Musiker im Sinfonieorchester mit seiner<br />

Bratsche gesehen. Wieso sagst du, er wäre Striptease-Tänzer?" Darauf Peter: "Ich habe mich so geschämt."<br />

Zoff im Orchester: Klarinettist und Bratscher streiten sich lautstark. Der Dirigent unterbricht die beiden und fragt<br />

den Klarinettisten: "Was ist denn in Sie gefahren?" Dieser antwortet: "Der Bratscher hat mir alle Klappen verdreht!"<br />

Daraufhin befragt der Dirigent den Bratscher: "Was haben Sie dazu zu sagen?"- "Also", jammert dieser,<br />

"der Klarinettist ist ja so gemein! Er hat mir eine Saite verstimmt und will mir nicht sagen, welche!"<br />

Ein Bratschist war in einem Konzert bei einem Pianisten. Nach dem Konzert geht er nach vorne und gratuliert<br />

ihm begeistert.<br />

Bratschist: "Also am besten hat mir die Stelle mit dem Teufelstriller gefallen."<br />

Pianist (verwundert): "Was für ein Teufelstriller?"<br />

Bratschist: "Na die: di-di-di-di-di-da-da-da-daaa" (für Elise)<br />

In einem Eisenbahnabteil sitzen ein langsamer Bratscher, ein schneller Bratscher, ein Konzertmeister und ein<br />

Kontrabassist. Auf dem kleinen Klapptisch vorm Fenster liegt eine Tafel Schokolade. Der Zug fährt durch einen<br />

Tunnel, anschließend ist die Schokolade verschwunden. Wer hat sie genommen? Der langsame Bratscher. Der<br />

Konzertmeister interessiert sich nicht für Schokolade. Bis der Bassist was mitbekommt, ist eh alles gelaufen. Und<br />

hast du schon mal einen schnellen Bratscher gesehen?


Lehrlinge<br />

- 42 -<br />

Mitte der 70er Jahre reifte, nicht zuletzt auch durch den Preis, den Wilhelm in Polen errungen<br />

hatte, bei den DDR-Oberen die Erkenntnis, dass nicht nur mit Billigprodukten Devisen erzielt<br />

werden konnten, es aber zunehmend am qualifiziert ausgebildeten Nachwuchs fehlte. Es<br />

wurde daher eine Ausbildungsinitiative gestartet, die für erfolgreiche Lehrlings- und Gesellenausbildung<br />

Prämien vergab.<br />

Wilhelm musste die Werkstatt umbauen und einen weiteren Arbeitsplatz einrichten, um Platz<br />

für einen Lehrling zu schaffen. Wie oft in derartigen Fällen waren es vor<br />

allem persönliche Beziehungen, die dazu führten, dass Wilhelm 1975<br />

Matthias Misch als Lehrling in seine Obhut nahm. Matthias hatte zwar<br />

Geigenunterricht erhalten, sich aber zur Geigenbaulehre eher der Not<br />

gehorchend entschlossen, da ihm aus einem sehr christlichen<br />

Akademikerhaushalt stammend der Weg ins Studium verwehrt war.<br />

Wilhelm selbst hatte eine harte Lehrzeit durchlitten und war selbst<br />

vermutlich auch nicht gerade der<br />

geduldigste Lehrmeister.<br />

Matthias Misch hat heute eine<br />

Geigenbauwerkstatt in Erfurt<br />

Wilhelms nächster Lehrling<br />

wurde 1981 nunmehr die<br />

vierte Brückner-Generation:<br />

Tochter Ruth, die kurz zuvor<br />

an der Humboldt Oberschule<br />

ihr Abitur abgelegt hatte.<br />

Auf dem Höhepunkt<br />

Spätestens mit dem erfolgreichen Abschneiden auch „beim Klassenfeind“<br />

hatte Wilhelm Brückner endgültig den internationalen Durchbruch geschafft. Hatte man<br />

während des Spohr-Wettbewerbes noch gezögert, ihm eine Reiseerlaubnis ins nur 150 km<br />

entfernte Kassel zu erteilen und ihn erst ziehen lassen, als sich im Verlauf des Wettbewerbes<br />

heraus kristallisierte, dass die Brücknerinstrumente hervorragend<br />

abschneiden würden, so erhielt er nunmehr weitere Reiseprivilegien.<br />

Selbstverständlich ahnte man, dass die über den Genex<br />

Geschenkdienst GmbH mit einem ersten Trabi schon 1974 ohne<br />

die üblichen Wartezeiten abgewickelten Autokäufe nicht etwa von<br />

einer reichen Westverwandtschaft initiiert wurden, sondern<br />

Äquivalent waren, für geschickt eingefädelte Instrumentenverkäufe<br />

auf eigene Rechnung. Nicht selten kamen z.B. Musiker<br />

aus dem Westen nach Erfurt, betraten die Werkstatt in der Regierungsstraße<br />

mit einem minderwertigen Instrument und verließen<br />

sie mit einer Geige oder einer Bratsche, bei welcher der Brückner-<br />

Brandstempel von nichtssagenden Zetteln überklebt war.<br />

Genex-Katalog 1986<br />

Diese Praktiken wurden aber, obwohl sie ganz sicher nicht verborgen bleiben konnten, stillschweigend<br />

geduldet. Bei erfolgreichen Devisenbringern, wie es Wilhelm inzwischen war,<br />

sportlichen oder kulturell hervorstechenden Prestigeträgern und natürlich besonders bei der<br />

politischen Nomenklatura drückte man diesbezüglich in aller Regel ein Auge zu; schon um im<br />

Fall der Fälle einen zu steilen Höhenflug sehr schnell und nachhaltig beenden zu können.<br />

Wilhelm durfte sogar nach Cremona reisen, obgleich dort eine Wettbewerbsbeteiligung wenig<br />

Erfolg versprach. Immerhin lernte er bei dieser Gelegenheit den Leiter einer Geigenbauklasse


- 43 -<br />

aus Schweden kennen. Wilhelms Ruf als Spitzen<strong>geigenbau</strong>er hatte sich auch nach Skandinavien<br />

herum gesprochen. Er erhielt eine Einladung, dort 5 Wochen als Gastdozent und<br />

Lehrer zu wirken. Wider Erwarten wurde sogar dieses Engagement genehmigt. Dass bei dieser<br />

Gelegenheit eine Brücknergeige im Westen blieb, während in einem Geigenkorpus unter<br />

einem Brettchen versteckt Westmark<br />

ihren Weg in den real existierenden<br />

Sozialismus antraten, um im Intershop<br />

Verwendung zu finden, verstand sich<br />

von selbst.<br />

Geigenbauunterricht 1987 in Schweden<br />

Im Spätsommer 1987 unterrichtete Wilhelm<br />

an der Schule für Kunsthandwerk<br />

zusammen mit dem Bogenbauer Schmidt<br />

ein Dutzend Lehrlinge aus ganz Skandinavien: Schweden, Finnen, Norweger und Dänen. An<br />

der Musikhochschule in Stockholm wurde er zu einem Vortrag gebeten<br />

Udo Kretzschmann<br />

Wilhelm sah sich außer Stande, die anfallenden Aufträge noch alleine abarbeiten zu können.<br />

Nicht selten wurde ihm Arroganz unterstellt, wenn er Aufträge<br />

schlichtweg ablehnen musste, weil er über Jahre hinweg<br />

ausgebucht war. Er ging auf die Suche nach einem<br />

begabten Gehilfen und fand ihn im frisch gebackenen<br />

Meister Udo Kretzschmann aus Markneukirchen.<br />

zusammen mit Wilhelm 1982<br />

Udo stammte selbst auch aus einer Geigenbauerfamilie mit<br />

langer Tradition, hatte aber nicht „die Gnade der frühen<br />

Geburt“ gehabt sondern war voll in die Musima-Mühlen geraten, was eine ordentliche<br />

Ausbildung drastisch erschwert hatte. Zäh und zielstrebig war er jedoch neben seiner<br />

normalen Arbeitszeit noch bei einem traditionellen Geigenbauer, dem Wilhelm fachlich<br />

durchaus ebenbürtigen Eckard Richter, in Markneukirchen in die Lehre gegangen.<br />

mit der u.a. auch von ihm gebauten größten spielbaren Geige der Welt<br />

Die Zusammenarbeit mit Wilhelm entwickelte sich beiderseits<br />

erfolgreich und vor allem vertrauensvoll, was zu DDR-<br />

Zeiten – wenngleich aus anderen Gründen – nicht minder<br />

selten war, wie im kapitalistischen Konkurrenzkampf. Zwar<br />

war Wilhelm darauf bedacht, dass Udo „im Keller beschäftigt“<br />

war, wenn er heikle Verkaufsgespräche führte oder gar<br />

Schmuggelaktionen mit Westkundschaft organisierte, was<br />

letztlich auch dem Selbstschutz des jungen Kollegen dienlich<br />

war, aber fachlich gab es keine Geheimnisse. Udo mag das<br />

langsamere, präzise Arbeiten oder z.B. das Hobeln in Kurven<br />

von Wilhelm gelernt haben, während Wilhelm sich z.B. neue Techniken beim Einlegen des<br />

Ebenholzes abschaute. Udos Hoffnung, Lackiergeheimnisse und Tricks zu erfahren, blieben<br />

allerdings insofern unerfüllt, als Wilhelm zwar einige Konstante bei der Lackmischung verwendet<br />

aber letztlich bis heute immer wieder experimentiert, variiert und sich die detaillierte<br />

Lackzusammensetzung verändert. Letztlich bestätigt sich bei ihm, dass zwar eine Meistergeige<br />

auch einen passenden Lack benötigt, aber kein noch so guter Lack macht aus einem<br />

schlecht gearbeiteten Korpus ein gutes Instrument. Umgekehrt hört man bei einer guten Geige<br />

auch dann noch den Meister heraus, wenn der Lack nicht optimal abgestimmt ist.


(W)ende der DDR<br />

- 44 -<br />

Wilhelm war nie der Typ des Widerstandskämpfers gewesen.<br />

Als intelligenter, fleißiger Pragmatiker mit einer<br />

gehörigen Portion zäher Schlitzohrigkeit gesegnet, hatte<br />

er sich aber eine gewisse Unabhängigkeit erarbeitet und<br />

immer bewahrt.<br />

Erfurter Ausweis für den Objektschutz 1989<br />

Schon relativ früh war ihm klar geworden, dass die DDR<br />

nicht mehr zu halten war. Wilhelm gehörte daher auch zu<br />

jenen, die energisch die staatliche Abwicklung und Neukonzeption<br />

mit betrieben. Er wurde z.B. ins Bürgerkomitee berufen und zur Objektwache eingesetzt,<br />

um die Vernichtung der Stasi-Akten zu verhindern.<br />

Doch auch wenn er die Wende hatte kommen sehen, war er ebenso wie alle anderen, in keiner<br />

Weise darauf vorbereitet, was ihn wirtschaftlich erwarten sollte. Zur Wendezeit gab es in der<br />

DDR 88 Orchester, die jährlich 6.600 Konzerte gaben und damit 3,5 Millionen Besucher erreichten.<br />

Die Orchesterdichte auf je 100.000 Einwohner gerechnet betrug 5,5, in der BRD 1,6.<br />

Andererseits lag die DDR bei den Musikschulplätzen an letzter Stelle in Europa, obgleich sich<br />

ca. 10.000 Streicher in der Ausbildung befanden. In Angleichung an die Westquoten begann<br />

bald nach der Wende ein dramatisches Orchestersterben im Osten. Der vormals innerstaatliche<br />

Markt brach zunächst weg, zumal sich die profilierteren Musiker aus dem Osten nun nach<br />

alten Instrumenten im Westen umschauten. Anderseits kam manchem Geigenbauer zugute,<br />

dass sich im Westen herumsprach, dass im Osten Qualität zu einem günstigen Preis zu haben<br />

war.<br />

Zu DDR-Zeiten reichte es noch aus, die Kalkulationskosten eines Instrumentes aufzuschlüsseln,<br />

indem die Materialkosten für Decke, Boden, Halskantel, Zargen und Zubehör aneinander<br />

gereiht wurden, was sich bei einer Brücknerbratsche auf 732 Mark summierte, und 237 Arbeitsstunden<br />

zu 10 Mark anzusetzen, machte insgesamt 3102 Mark. Im Kapitalismus führt<br />

eine solche Rechnung unweigerlich zum Konkursrichter, denn es fehlten in den Herstellungskosten<br />

ganz entscheidende Positionen, wie Miete, Mietnebenkosten, Telefon, Internet, Bürobedarf,<br />

Porto, Werbung, Mitgliedschaften, Beiträge, Fachliteratur, Versicherungen, Steuer,<br />

Buchführung, Produktion von Ausschuss, Werkzeugabschreibung bzw. Rücklagen, ggf.<br />

PKW, Fortbildung, Zinsen, ggf. Forschungskosten, Ausfall durch Krankheit, Reparatur, Instandhaltung,<br />

unternehmerisches Wagnis etc. etc.. Nicht nur Geigenbauer kapitulierten vor<br />

den Problemen, die sich nun auftaten. Vertrieb (schon gar ins Ausland), Werbung, Kalkulation,<br />

Versicherungen, Steuern und sonstige bürokratische Hemmnisse ließen die bisherige<br />

Mangelwirtschaft dagegen als das wesentlich beherrschbarere Übel erscheinen.<br />

Wilhelm und Tochter Ruth, die sich gerade auf ihre Meisterprüfung vorbereitete, fanden allerdings<br />

den Anschluss an die neue Zeit relativ leicht, weil die Firma schon internationale<br />

Kontakte hatte, und es die finanziellen Rücklagen erlaubten, sich externen Rates und fremder<br />

Dienstleistungen zu bedienen. Dennoch war eine grundsätzliche Neuausrichtung der Firma<br />

erforderlich.<br />

Selbst in der Kundendatei der renommierten GEWA (Georg Walther) Musikalienhandlung,<br />

die schon UrWilhelm seit 1925 beliefert hatte, und die in den 50er Jahren aus dem Vogtland<br />

nach Bayern verlegt worden war, tauchte 40 Jahre nach der letzten Bestellung die Firma<br />

Brückner problemlos wieder auf. Der Neustart in der Marktwirtschaft begann.


Haifischbecken Geigenhandel<br />

- 45 -<br />

Natürlich haben die Brückners in ihrer über hundertjährigen Geschichte oft auch mit alten<br />

Instrumenten gehandelt oder alte Instrumente gutachtlich bewertet. Eine gute Ausbildung und<br />

generationsübergreifende Erfahrung hat sie immer befähigt, sehr sichere Expertisen vorzunehmen.<br />

Dennoch haben sie diesen Bereich nie zu einem Hauptstandbein entwickelt, obgleich<br />

die Möglichkeiten angesichts der erworbenen Reputation und Autorität durchaus gegeben<br />

gewesen wären. Mit Handel und Expertisen lassen sich sehr gute Geschäfte machen. Allerdings<br />

sind auch die Risiken beträchtlich, denn mitunter lassen sich Instrumente nach mehreren<br />

Umbauten und Neulackierungen nicht präzise zuordnen, Fälschungen sind an der Tagesordnung.<br />

Ganz wenige Sachverständige haben sich den internationalen Markt aufgeteilt.<br />

Diese Mechanismen haben sich schon über Generationen eingespielt. Neuankömmlinge haben<br />

nur wenige Chancen, sich zu etablieren. Gerichte sind auf die Expertenansichten dieser Handvoll<br />

Experten angewiesen, die wiederum bemüht sind, sich mit ihren Expertisen nicht zu widersprechen.<br />

Bei den Expertisen tauchten in der Regel immer wieder dieselben Namen auf:<br />

z.B. Hermann (New York), Hill (London) und Werro (Bern) und die allerdings schon 1982<br />

aufgelöste deutsche Firma Hamma. Der letzte „Geigen-Krieg“ liegt schon über 50 Jahre zurück.<br />

Damals war der Berner Altgeigenhändler und Geigenbaumeister Henry Werro beschuldigt<br />

worden, alte Geigen für wertvoller erklärt zu haben, als sie in Wahrheit sind, bzw. Instrumente<br />

anderen, höher im Kurs stehenden Geigenbauern zugeschrieben zu haben – d.h. im<br />

Branchenjargon: die Geigen "promoviert" zu haben. Als Gegengutachter fungierte die renommierte<br />

Geigenhandelsfirma Hill aus London, der „Frischling“ (erst in dritter Generation<br />

tätig) Werro ins Gehege gekommen war, während sich Hill mittlerweile in sechster Generation<br />

im illustren und monopolistisch agierende Kreis als Doyen fühlen mochte. Letztlich<br />

mussten bei diesem Prozess beide Federn lassen und verließen die Wallstatt mit dramatischem<br />

Reputationsverlust.<br />

Die Geschäfte mit alten Instrumenten entwickeln sich in den<br />

letzten Jahren nicht zuletzt auch durch Unsicherheiten an den Finanzmärkten<br />

in schwindelerregende Dimensionen. So wurde im<br />

Juni 2011 die „Lady Blunt“-Stradivari für 15,9 Millionen Dollar<br />

in Japan versteigert. Es passt allerdings auch zur gegenwärtigen<br />

Hype, dass einen Monat später ein smarter Geigenhändler verhaftet<br />

wurde, weil er seine Kunden um 27 Millionen Euro betrogen<br />

haben soll. „Auf Englisch heißt Geige ‚fiddle’“, sagt einer der<br />

wichtigen europäischen Sachverständigen, Roger Hargrave.<br />

„Aber ‚to fiddle’ heißt auch betrügen.“ Und wie schrieb kürzlich<br />

der Tagesspiegel: „Früher waren in den Geigenkästen der Gangster<br />

Maschinenpistolen. Heute sind nicht selten richtige Geigen<br />

darin.“ Oft werden die Betrugsvorgänge allerdings totgeschwiegen,<br />

weil beim Kauf Schwarzgelder geflossen sind, wo dann<br />

Skandale den Beteiligten eher schaden.<br />

Schon 1901 wurde der internationale<br />

Geigenhandel kritisch durchleuchtet.<br />

Wie bei Gemälden kann auch bei den Streichinstrumenten jeder geschickte Kopist ein Meisterwerk<br />

täuschend ähnlich nacharbeiten. Es beginnt mit der Ausarbeitung typischer Merkmale<br />

z.B. bei Schnecke, F-Löchern oder Rand, unter Verwendung möglichst alten Holzes. Da<br />

wird von außen mit Lakritzwasser, Kaffeesud, Holzessig und Nußschalenextrakt gearbeitet,<br />

künstliche Abnützungsstellen unter dem Kinn oder auf Handhöhe durch Bürsten oder Einreiben<br />

mit Ruß und Fett geschaffen. Hohlräume werden mit einem Gemenge von unter anderem<br />

Rübsamen und Kolophoniumpulver verfärbt, Holzwurmlöcher eingearbeitet, und zum Schluss<br />

darf im Inneren ein alter Geigenbauerzettel mit mehr oder minder kunstvoll gefälschtem Pa-


- 46 -<br />

pier, Druckerschwärze, Tinte und Schrift oder ein Brandstempel nicht fehlen. Schließlich wird<br />

noch ein „Lebenslauf“ um das Instrument gerankt, ohne den es auch bei der Gemäldefälschung<br />

nicht geht.<br />

Bis vor wenigen Jahren waren die Expertisen der wenigen internationalen Spitzenexperten<br />

sakrosankt, die sich nahezu ausschließlich auf ihr geschultes Auge und ihre jahrzehntelangen<br />

Erfahrungswerte stützen konnten und mussten. Ein einmal gefälltes Urteil wurde in aller Regel<br />

nicht mehr angezweifelt. Heute kann sich die Analyse alter Instrumente neuer Methoden<br />

bedienen. Schon länger ist die Quarzlampe in Gebrauch. Die Fluoreszenzanalyse lässt erkennen,<br />

ob und an welchen Stellen ein Instrument nachgearbeitet oder repariert worden ist. Nicht<br />

selten wurden daher bei Fälschungen auch gleich Reparaturen mit vorgetäuscht. Erst in allerneuster<br />

Zeit ermöglichen winzige Holzproben und mikrochemische Verfahren, wie sie der<br />

kriminalistische Erkennungsdienst für andere Aufgaben schon länger kennt, dass der Experte<br />

unter dem Mikroskop das Alter anhand der Oberflächenbehandlung, Verleimung und Lackierung<br />

erkennt. Letztlich stoßen aber auch die chemischen oder physikalischen Untersuchungsmethoden<br />

an ihre Grenzen. Echtheit lässt sich damit zwar oft ausschließen, nicht aber positiv<br />

bestätigen. Insbesondere die Zuordnung zu einem bestimmten Geigenbaumeister oder seiner<br />

Werkstatt bedarf weiter der subjektiven, auf Erfahrung und Kennerschaft beruhenden Einschätzung<br />

eines Experten.<br />

Zur Preisbestimmung alter Streichinstrumente wird die in Deutschland herausgegebene, international<br />

gültige "Fuchs-Taxe" herangezogen. Dieses Verzeichnis ist etwa der Schwacke-Liste<br />

für Gebrauchtwagen vergleichbar. Die Fuchs-Taxe, zusammengestellt von den Fachverbänden<br />

der Geigenbauer, wird ab der gehobenen Mittelklasse etwas vage. Die Einschätzung der<br />

absoluten Spitzengeigen findet nach wie vor mehr oder minder im Verborgenen statt. Von<br />

diesem Haifischbecken, wo der Kampf tobt um die Bewertungshoheit über hoch- und<br />

höchstpreisige Instrumente und damit das ganz große Geschäft, haben sich die Brückners<br />

ganz bewusst immer fern gehalten: „Wir sind Kunsthandwerker und keine Finanzjongleure.“<br />

Ruth Brückner<br />

Ruth hatte es neben ihrem erfolgreichen Vater nicht leicht. Wilhelm, der<br />

willensstarke, ehrgeizige, oft aufbrausenden Aktivist, hatte sich aufgemacht,<br />

in seinem Metier die Welt zu erobern. Dem hatte sich alles unterzuordnen.<br />

Oft zerbrechen die Kinder am Anspruch der Eltern oder am<br />

Erwartungsdruck, der in diesen Fällen von außen an sie herangetragen<br />

wird. Es kommt daher nicht von ungefähr, dass Extrembegabungen und<br />

starke Charaktere oft nicht an die direkten Nachkommen weitergegeben<br />

werden, sondern, wie auch bei UrWilhelm erst nach Überspringen einer<br />

Generation.<br />

Für Ruth war eine Karriere als Violinvirtuosin vorgesehen worden. Sie brachte es auch auf<br />

der Bratsche (wo auch sonst?) zu einer gewissen Meisterschaft und Konzertreife. Die Tür zur<br />

Musikhochschule stand ihr offen. Letztlich konnte sie ihr diesbezügliches Talent allerdings<br />

doch gut und selbstkritisch einschätzen. Für eine Solokarriere würde es nicht reichen, und es<br />

erschien der eher introvertierten jungen Frau wenig attraktiv, die nächsten 50 Jahre in engen,<br />

stickigen Orchestergräben zu verbringen. Innenarchitektin hätte sie werden mögen, was sich<br />

zu DDR-Zeiten nicht bewerkstelligen ließ. Ruth wählte künstlerisch begabt und handwerklich<br />

geschickt den Notausgang, der sich allerdings als Gewinn herausstellen sollte: Sie beschloss,<br />

die Familientradition fortzuführen, obgleich Geigenbau damals fast noch ein reiner Männerberuf<br />

war. Und wieder ließ der Staat seine Muskeln spielen. Manchen war der erfolgreiche<br />

Vater schon etwas zu weit vom Proletariat entfernt. Eine Lehrstelle bei einem renommierten


- 47 -<br />

Geigenbauer im Vogtland wurde ihr verwehrt. Notgedrungen trat sie die Lehre beim Vater an.<br />

Man kann sich vorstellen, dass es nicht ganz einfach war, sich Tag für Tag auf Armlänge neben<br />

ihm behaupten zu müssen.<br />

Wen wundert es, dass Ruths Hobby die Beschäftigung mit starken Frauenpersönlichkeiten<br />

in der Literatur ist. Gleich nach der Wende abonnierte<br />

sie – wohl als eine der wenigen DDR-Frauen – die EMMA, was<br />

sie allerdings nicht daran hinderte, auch den eigenen Sohn wieder ein<br />

wenig zum Pascha zu erziehen, wenngleich<br />

dieser jüngste Geigenbauer in der<br />

Familie noch leicht an sich arbeiten muss,<br />

wenn er die ehrgeizige Zielstrebigkeit des<br />

„alten Silberrücken und Alpha-Tieres“ Wilhelm<br />

übertreffen will.<br />

Ruths sehr früher Ausbruchsversuch in die Ehe scheiterte.<br />

Gesundheitliche Probleme folgten. Doch Ruth biss sich<br />

durch. Zäh absolvierte sie die Ausbildung, machte im<br />

Sommer 1990 ihren Meister, nahm erfolgreich an Wettbewerben<br />

teil und setzte sich vom Vater auch fachlich ab.<br />

Schwankend zwischen Stolz, Verwunderung und leichtem<br />

Unglauben musste es Wilhelm immer häufiger erleben,<br />

dass Ruths Instrumente einen neuen, eigenen Kundenstamm<br />

fanden. Sensible Ohren hören durchaus den Unterschied<br />

heraus zwischen<br />

Wilhelms kraftvollen Instrumenten,<br />

denen immer ein Hauch jener in Polen<br />

preisgekrönten goldenen „Gloriosa“ anhaftet, und jenen<br />

von innerer Harmonie getragenen Instrumenten<br />

der jungen Geigenbaumeisterin.<br />

Zeitweilig waren Ruths Instrumente sogar erfolgreicher<br />

als jene des Vaters. Immerhin spielt das<br />

gesamte Orchester von Andrè Rieu ausschließlich<br />

Bratschen von Ruth, und auch sonst gibt es noch etliche<br />

Brückner-Geigen und ein Cello in diesem Orchester. Rieu selbst spielt<br />

auf einer Geige von Antonius Stradivari und auf einer Bratsche von – klar, von Ruth<br />

Stradivaria-Brückner.<br />

1999 wurde Ruth in den Bund Thüringer Kunsthandwerker aufgenommen.


GbR<br />

- 48 -<br />

Erfolg wird erst dadurch geadelt, dass man verantwortungsvoll damit umgeht und in andere<br />

Hände weiter-geben kann. In seiner Rede zum 100jährigen Firmenjubiläum kündigte Wilhelm<br />

daher an, die Firma fast vollständig auf seine Tochter übertragen zu wollen. Und so geschah<br />

es wenig später. Eine Gesellschaft bürgerlichen Rechtes wurde gegründet, in der Wilhelm nur<br />

noch mit wenigen Prozenten beteiligt ist. Genug, um sich noch als Mitinhaber zu fühlen, motiviert<br />

in der Werkstatt mitzuarbeiten und den Kunden zu verdeutlichen, dass die Erfahrung<br />

des Alters noch präsent ist, zu wenig, um sich verantwortlich fühlen zu müssen, um den täglichen<br />

Druck einer kapitalistischen Marktwirtschaft hautnah auf sich einwirken zu lassen.<br />

Das Verhältnis zwischen den beiden „Geschäftsführern“, Meisterin und Meister, Chefin und<br />

Seniorchef ist ausgeglichen, die Erfolgserlebnisse halten sich die Waage, wenngleich Ruth<br />

seltener zum Neubau kommt, denn auch Reparaturen müssen übernommen werden, und irgendjemand<br />

muss sich nach dem Tod der Mutter um die ungeliebten Verwaltungsaufgaben<br />

kümmern. So leicht, wie noch zu DDR-Zeiten die Kalkulation eines Instrumentes selbst in der<br />

Meisterprüfung dargestellt wurde, kann es sich ein mittelständischer Betrieb heute nicht mehr<br />

machen. Kämpfte man früher mit Materialschwierigkeiten, so ist es heute die überbordende<br />

Bürokratie, die mehrtägige Seminare der Berufsgenossenschaft zum Arbeitsschutz einfordert<br />

und über Vorschriften informiert, die zum Beruf und zur Werkstatt eines Geigenbauers passen<br />

wie ein Vorschlaghammer zum Uhrmacher.<br />

Christoph Brückner<br />

Zum Glück kann sich die überbordende Arbeit wieder auf ein Schulternpaar mehr verteilen.<br />

Christoph entstammt einer Generation, die mit den beiden Wilhelms alter Prägung kaum noch<br />

etwas gemein hat. Als am Samstag, dem 17. Juli 1982 der jüngste Spross der Brückner-Dynastie<br />

geboren wurde, hatte gerade eben die frisch von Ulrich Merkel geschiedene Angela<br />

Merkel 28 Kerzen auf ihrem Geburtstagskuchen ausgeblasen und in Berlin tagte der Friedensrat<br />

der DDR. Wie bei der Geburt des Großvaters bebte in Griechenland die Erde und Gewitter<br />

unterbrachen den Badespaß an den Seen in Thüringen. In den Alpen wurden drei Bergsteiger<br />

vom Blitz erschlagen, und in Weimar fielen in kürzester Zeit 12 Liter auf den Quadratmeter.<br />

Erfurter Volkskünstler des Kombinats der Umformtechnik stellten auf der IGA aus. Am Theater<br />

in Weimar sorgten „Faust“, „Das Tagebuch der Anne Frank“ und das Musical „Alexis<br />

Sorbas“ für Furore.<br />

Schon früh musste Christoph den Vater entbehren, oft übernahm Opa Wilhelm diese Rolle.<br />

Für einen halbwüchsigen Knaben war dies nicht gerade das ultimative Vorbild, um sich für<br />

die Bearbeitung des harten Holzes zu begeistern. Obgleich auch mit sensiblen, künstlerischen<br />

Attributen ausgestattet wusste er früh: Wenn er eines nicht werden wollte, - dann<br />

Geigenbauer.<br />

Gerade wenn man aus einer traditionsreichen Geigenbauerfamilie kommt,<br />

die mit Preisen und Anerkennungen überhäuft wurde und noch wird, und<br />

die seit Generationen zu den besten ihres Handwerks gezählt wird, dann<br />

will man sich in einem gewissen Alter nicht diesem vorbestimmten - fast<br />

schon - Zwang unterwerfen und vor allem in jugendlichem Protest- und<br />

Abgrenzungsbemühen ganz etwas anders machen. Christoph reizte daher<br />

zunächst der gänzlich andere Pol, d.h. ein Informatikstudium, welches dann<br />

aber schon bald einem „gemäßigterem“ Studium der Sozialwissenschaften<br />

wich, mit Philosophie, Geschichte, Politik und Ähnlichem.


- 49 -<br />

Aber immer wenn er in den Semesterferien oder mal am Wochenende heim kam und aus der<br />

Werkstatt Geigenklänge hörte, den schon seit frühster Kindheit gewohnten Geruch von Holz<br />

und Leim und Lack wahr nahm, dem leisen Schaben der kleinen Hobel und Schnitzmesser<br />

lauschte, gab es kleine Stiche. Irgendwann war es dann doch so weit, und er bewarb sich um<br />

eine Lehrstelle bei Mutter und Großvater.<br />

Die Beiden wurden davon völlig überrascht und reagierten zunächst sehr zurückhaltend, aber<br />

es gelang ihm, zu überzeugen. Die Gesellenprüfung erledigte er schier mit Links und die ersten<br />

noch in der Lehrzeit entstandenen Instrumente konnten zu einem gar nicht schlechten<br />

Preis schon neue Besitzer finden.<br />

nunmehr zu Dritt<br />

Auch der fünfte Brückner in dieser Reihe scheint<br />

seine endgültige Berufung und Bestimmung erfolgreich<br />

erkannt haben und weiter zu entwickeln.<br />

Gerade der Geigenbau lehrt, dass das<br />

Bohren oder Hobeln an dünnen Lebensbrettern<br />

nicht nachhaltig glücklich macht. Geigenbau<br />

bedeutet schwere Handarbeit und fordert viel<br />

Geduld, Disziplin, Sensibilität und auch<br />

künstlerische Präzision. Aber wo sonst sieht man<br />

in der heutigen Zeit schon nach wenigen Wochen so rasch<br />

ein natürliches Wachsen und einen Erfolg sich entwickeln? Wo und wie<br />

sonst kann man Musiker und Konzertbesucher so erkennbar glücklich machen?<br />

100jähriges Jubiläum<br />

Der Zufall wollte es, dass das 100jährige Werkstattjubiläum in<br />

Erfurt mit Wilhelms 65jährigem Geburtstag zusammen fiel, was<br />

allerdings weder in ersten noch im zweiten Fall darauf hindeutete,<br />

dass damit schon ein Zenit der Schaffenskraft erreicht worden<br />

wäre. Wilhelm steht auch beim 115 jährigem Werkstattjubiläum<br />

noch jeden Tag in der Werkstatt, wenngleich er sich heute auch<br />

schon mal vorzeitig verabschiedet, um ins Fitnessstudio zu entschwinden<br />

oder sich zu einer Partie Schach zu verabreden.<br />

Der Gedanke, das Firmenjubiläum im größeren Rahmen zu begehen,<br />

reifte bereits ein Jahr zuvor. Ganz entscheidenden Anteil am<br />

Gelingen der Gründungsfeierlichkeiten hatte der Cellist Dr.<br />

Wolfgang Müller. Dr. Müller ist Gründungsmitglied<br />

des Thüringer Landesmusikrates und<br />

des Landesverbandes der Thüringer Laienorchester. Damals noch in der<br />

Staatskanzlei tätig, sorgte er dafür dass die Feierlichkeit im schönsten und<br />

repräsentativsten Ambiente Erfurts, dem Barocksaal der Staatskanzlei und<br />

den angrenzenden Salons stattfinden konnte.<br />

Dr. Müller 2011 bei der Verleihung Thüringer Verdienstorden<br />

für seine Leistungen beim Aufbau der Kulturlandschaft in Thüringen<br />

Damit war dann auch der Rahmen für die Veranstaltung vorgegeben.<br />

Wilhelm rief, und Alle kamen. Umrahmt von einer umfangreichen und künstlerisch professionell<br />

gestalteten Ausstellung fanden sich drei Generationen (Cello und Geige vom<br />

UrWilhelm, Bratsche von Wilhelm und Geige von Ruth zu einem Streichquartett zusammen.


- 50 -<br />

Renommierte Künstler, wie Prof. Tatjana Masurenko oder Prof. Jürgen Kussmaul, dem<br />

Wilhelm 1992 eine Linkshänder-Bratsche gebaut hatte, ließen es sich nicht nehmen, den Tag<br />

musikalisch zu umrahmen. Die Laudatio hielt Prof. Lipka.<br />

Dorothea Wilhelm Ruth<br />

links: Ruth im Interview<br />

aus dem Gästebuch:<br />

Dies war der letzte Höhepunkt<br />

in der erlebnisreichen Brückner<br />

Entwicklung, den Wilhelms treue<br />

Lebensbegleiterin Dorothea noch<br />

gesund und stolz miterleben konnte.<br />

Sie half noch mit, das berufliche Feld für die<br />

nächsten Generationen zu bestellen und verstarb 2008.<br />

rechts: Tatjana Masurenko<br />

Thüringens<br />

Ministerpräsident,<br />

Dr. Bernhard Vogel,<br />

erbat etwas später<br />

noch eine „Privat-<br />

audienz“ in der<br />

Brückner-<br />

werkstatt.<br />

Wilhelm steht unermüdlich weiter jeden Tag in der Werkstatt.<br />

Man muss zwar ein ganz alter Freund und Kunde sein, um ihn<br />

noch zu einer Reparatur zu bewegen, das überlässt er lieber dem<br />

Nachwuchs,<br />

aber „Kinder<br />

produziert“ er<br />

immer noch<br />

voller Freude<br />

und Elan. Zum<br />

80. Geburtstag<br />

hofft er, Kind<br />

Nummer 333<br />

wohltönend und<br />

frisch lackiert in die Welt entlassen zu können.


Kleine Auswahl von Brückner-Kunden<br />

Academy of St. Martin in<br />

the fields (Smissen 3.oben)<br />

Wilhelm 1995 mit Tabea<br />

Zimmermann in London<br />

Wolfgang Espig 1989 mit Wilhelm und Ruth<br />

Hong-Kyoung Lee, Seoul<br />

Thomas Leipold, Philharmonisches Orchester, Erfurt<br />

Prof. Anne-Kathrin Lindig, Hochschule für Musik, Weimar<br />

Prof. Alfred Lipka �, Hochschule für Musik; Staatskapelle, Berlin<br />

Alexander Lipkind, Staatstheater, Meiningen<br />

Eugen Mantu, Philharmonisches Orchester, Erfurt<br />

Prof. Tatjana Masurenko, Hochschule für Musik, Leipzig<br />

Tom Morisson, Sinfonieorchester, Aachen<br />

Sophia Reuter, Philharmoniker, Duisburg<br />

André Rieu, Maastricht<br />

Suzan Rous, Amstelveen<br />

Matthias Sannemüller, MDR-Sinfonieorchester, Leipzig<br />

Tanja Schneider, Philharmoniker, Berlin<br />

Prof. Felix Schwartz, Hochschule für Musik, Rostock,<br />

Staatskapelle, Berlin<br />

Niklas Schwarz, Philharmonie, Essen<br />

Prof. Thomas Selditz, Univ. für Musik, Wien<br />

Linda Skride, Noord Nederlands Orkest, Groningen<br />

Robert Smissen, Academy of St.Martin in the Fields, London<br />

Prof. Frank Strauch, Hochschule für Musik, Weimar<br />

Barbara Switalska, Real Filharmonia deGalicia, Santiago de<br />

Compostela<br />

Fred Ullrich, Philharmonie, Bad Reichenhall<br />

Prof. Jost Witter, Hochschule für Musik, Weimar<br />

Matthias Worm, Philharmonie, Chemnitz; Festspielorchester,<br />

Bayreuth<br />

Yi Zhang, Peking<br />

Knut Zimmermann, Staatskapelle Berlin<br />

rechts: Michael<br />

Chomitzer<br />

links: Ariana Burstein<br />

mit Robert Lignani<br />

- 51 -<br />

50 Solisten und Professoren aus der Kundenliste<br />

(ausgewählt vom Autor ohne Anspruch auf Vollständigkeit)<br />

Amalia Aubert, Sinfonieorchester, Berlin<br />

Hans-Christian Bartel, Gewandhaus, Leipzig<br />

Ivo Bauer, Streichquartett, Leipzig<br />

Prof. Hatto Beyerle, Hochschule für Musik, Basel<br />

Ruth Bernewitz, Gewandhaus, Leipzig<br />

Prof. Matthias Brandis, Dt. Kinderärzteorchester, Freiburg<br />

Ariana Burstein, Willstätt/Straßburg<br />

Prof. Claudia Bussian, Hochschule für Musik, Mainz<br />

Adrian Constantin, Kammerphilharmonie, Schönebeck<br />

Jürg Daehler, Musikkollegium, Winterthur/Zürich<br />

Cedric David, Welsh National Opera, Festivalorchester, Basel<br />

Ricarda Exner, Staatstheater, Meiningen<br />

Wolfgang Espig, Gewandhaus, Leipzig<br />

Harald Först, Berlin-Brandenburgisches-Sinfonieorchesters, Berlin<br />

Burckhard Goethe, Spandauer Salonorchester, Berlin<br />

Gerd Grötzschel, HR-Sinfonieorchester, Frankfurt,<br />

Festspielorchester, Bayreuth<br />

Andreas Hartmann, MDR-Sinfonieorchester, Leipzig<br />

Dorothea Hemken, Gewandhaus, Leipzig<br />

Bodo Hersen �, Radio-Sinfonie-Orchester, Frankfurt<br />

Prof. Jörg Hofmann, Hochschule für Musik, Freiburg<br />

Prof. Leonid Kagan �, Moskau<br />

Tilmann Kircher, Real Filharmonia deGalicia, Santiago de<br />

Compostela<br />

Delphine Krenn-Viard, Alea-Quartett, Graz<br />

Prof. Erich Krüger, Hochschule für Musik, Weimar<br />

Prof. Oleg Kryssa, New York, Moskau<br />

Prof. Jürgen Kussmaul, Hochschule für Musik, Düsseldorf,<br />

Amsterdam<br />

David<br />

Oistrach<br />

mit dem<br />

jungen<br />

Wilhelm<br />

1974 in<br />

Weimar<br />

Andrè Rieu<br />

hier mit<br />

Ruth Brückner<br />

2004 in Erfurt<br />

In seinem Orchester<br />

werden sieben von<br />

Ruth gebaute Brat-<br />

schen sowie drei<br />

Geigen und ein<br />

Cello von Wilhelm<br />

gespielt.


- 52 -<br />

Zukunft<br />

Herstellung<br />

Bautechnisch gab es in den letzten Jahrhunderten etliche Versuche für gestalterische und<br />

technische Reformen. So wurden zum Beispiel einst reich verzierte Geigen mit anderen Ornamenten<br />

gebaut (etwa mit Menschen- oder Löwenkopf anstelle der Schnecke) oder Instrumente<br />

für arme Leute aus Blech. Bekanntheit erlangten auch trapezförmige Geigen oder<br />

Streichinstrumente in Jugendstilformen oder asymmetrische Instrumente und neuerdings<br />

Kunststoffviolinen.<br />

Gewisse (negative) Einflüsse hatten immer auch Epochen, in denen besonders viele Manufakturgeigen<br />

gebaut wurden. So z.B. die Konzentration von Billiginstrumente schon zu Beginn<br />

des 19. Jahrhunderts in den deutschen und französischen Geigenbauzentren. In Japan<br />

hatte der industrielle Geigenbau seinen Ursprung durch Masakichi Suzuki, dem Vater des<br />

berühmten Violinpädagogen Shinichi Suzuki. Dessen Betrieb beschäftigte bereits nach kurzer<br />

Anlaufzeit über 1000 Mitarbeiter und stellte innerhalb eines Monats bis zu 400 Violinen und<br />

4000 Bögen her. In Serie gebaute Billiggeigen aus Holz klingen allerdings oft schrill, liefern<br />

wenig tiefe Frequenzen und verderben so den Spaß am Üben.<br />

Wirkliche Veränderungen gibt es allenfalls beim Experiment mit neuen Materialien. Die<br />

Kunststoff-Violinen von Mario Maccaferri (1970er-/1980er-Jahre) waren technisch noch<br />

unausgereift bzw. gehörten zu den „anders klingenden“ Geigen, doch stehen mit heutiger,<br />

computergestützter Schwingungsanalyse und -simulation (wie sie unter anderem von Glockengießern<br />

genutzt wird) ganz andere Werkzeuge zum systematischen Design von Klangkörpern<br />

zur Verfügung, was die Massenproduktion einer angenehm klingenden und wetterfesten<br />

„Volksvioline“ aus Kunststoff nahelegt. Vielleicht wird es diese dann als exakte<br />

Klangkopien alter Meistergeigen geben, und vielleicht werden neue Materialien der Musik<br />

auch Klangwelten erschließen, die heute noch unbekannt sind. Momentan sind holzfreie Geigen<br />

in Serienfertigung nur aus kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff (CFK) erhältlich, die jedoch<br />

teuer sind und klanglich im Mittelfeld liegen. Ähnliches gilt für Saiten aus Spinnenseide.<br />

Große Veränderungen im klassischen Geigenbau sind derzeit allerdings nicht zu beobachten<br />

und wohl auch nicht zu erwarten. Die diesbezüglichen Experimente mit veränderten Bassbalken,<br />

ausgehöhlten Griffbrettern, verschobenen F-Löchern bis hinein in die Zargen,<br />

asymmetrischen Korpi, Stimmstöcken aus Glas oder Metall oder wesentlichen<br />

Größenverschiebungen im Stile Stelzners haben sich nicht durchsetzen können. Allenfalls<br />

leichte Modellvariationen, wie das Tertis-Modell und die diesem nicht unähnliche Brückner-<br />

Bratsche haben einen nennenswerte Zahl von Liebhabern und damit auch Nachahmern<br />

gefunden.<br />

Das 1990 weniger aus akustischen als ergonomischen Gründen konstruierte<br />

„Pellegrina“-Modell von David Rivinus (USA) mit zusätzlichen Schalllöchern<br />

an den Flanken ist leicht zu handhaben und wird schon von 60 Musikern gespielt.<br />

Die zeitgenössische Musik erfordert nicht unbedingt neue Modelle, wohl aber<br />

mitunter ein Umstimmen der Instrumente. Das früher zu verzeichnende schleichende<br />

Erhöhen des Kammertones A ist schon längere Zeit nicht mehr zu beobachten.<br />

Neue Klangeffekte entstehen durch Nutzung (Klopfen, Kratzen, Schaben<br />

etc.) aller Teile der Streichinstrumente, nicht aber durch deren Veränderung.<br />

Wenn überhaupt Veränderungen erforderlich werden, dann allenfalls im Zusammenhang mit<br />

einer Rückentwicklung und –besinnung auf alte Formen, Längen und Materialien, um einen<br />

möglichst authentisch-historischen Ton erzeugen zu können, wie er z.B. von Nicolaus Harnoncourt<br />

bei seinen Interpretationen präferiert wird. In diesem Zusammenhang kann auch<br />

prognostiziert werden, dass neben dem Neubau die Restaurierung in dem Sinn noch mehr an<br />

Bedeutung gewinnen wird, als zwar möglicherweise weniger Instrumente davon betroffen<br />

sein werden, diese aber – schon angesichts der Preisentwicklungen – intensiverer Zuwendung<br />

bedürfen.


- 53 -<br />

Hersteller von Musikinstrumenten<br />

u.a.: Streichinstrumente-Pianos-Holzblasinstrumente-Harmonika/Akkordion-Orgel/Harmonium<br />

Quelle: Dt. Musiktat-Musikinformationszentrum<br />

Statistik<br />

In den letzten Jahren lässt sich eine deutliche Umkehr von einem Exportüberschuss zu einem Importüberschuss<br />

bei den Stückzahlen feststellen:<br />

Geigen 2002 2003 2004 2005 2006 2007<br />

Export 27.055 24.901 22.057 27.819 23.253 22.224<br />

Import 18.194 22.540 25.663 36.096 41.832 30.526<br />

In Bezug auf den Wert der Instrumente, wird allerdings immer noch rund fünf Mal mehr aus- als<br />

eingeführt (2010 ca.11 zu 2 Mill €).


Herstellung von Musikinstrumenten<br />

- 54 -<br />

2000 2004 2006 2008 2004-2006 2006-2008<br />

Unternehmen 1.167 1.175 1.195 1.267 1,7 6,0<br />

Beschäftigte(Musikinstrumentenbau) 7.083 6.620 6.425 6.297 - 2,9 - 2,0<br />

Umsatz (Mill. Euro) 599 631 704 701 11,6 - 0,4<br />

Einzelhandel (incl. Materialien) 2.516 2.342 2.291 2.254 - 2,2 - 1,6<br />

Umsatz (Mill. Euro) 958 966 1.051 1.043 8,7 - 0,7<br />

Die Zahl der Musikschüler bei den Streichinstrumenten hat in den letzten 10 Jahren deutlich<br />

zugenommen:<br />

Instrument 2000 Prozent 2009 Prozent Steigerung in Prozent<br />

Violine 48.678 7,84 56.619 8,10 16,31<br />

Viola 2.024 0,33 2.592 0,37 28,06<br />

Cello 12.396 2,00 16.687 2,39 34,62<br />

Bass 1.320 0,21 2.259 0,32 71,14<br />

demgegenüber stagnieren die Zahlen an den Musikhochschulen:<br />

Zwar ist eine Steigerung bei den Neuanfängern zu verzeichnen:<br />

2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009<br />

1.259 1.334 1.202 1.177 1.143 1.101 1.238 1.207 1.365 1.469<br />

die Gesamtstudentenzahl an den 24 Musikhochschulen im Bereich der Instrumental- und Orchestermusik<br />

bleibt aber konstant, was allerdings auch an einem schnelleren Studium oder<br />

einer größeren Zahl von Studienabbrechern liegen könnte.<br />

2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009<br />

8.208 8.276 8.419 8.084 7.899 7.781 7.947 7.828 7.923 8.133<br />

(davon 58% weiblich; 58 % Ausländer)<br />

In den 680 im BDLO (Bundesverband Deutscher Liebhaberorchester e.V.) zusammen geschlossenen<br />

Amateur Symphonie- und Streichorchestern spielen derzeit rund 23.000 Musiker,<br />

davon rund ¼ Jugendliche.<br />

1992 gab es noch 168 öffentlich finanzierte Orchester. Seither wurden 35 Ensembles aufgelöst<br />

oder eingegliedert (2010), was nicht immer gleichbedeutend war mit einer völligen Auflösung<br />

der Orchester. So fusionierten z.B. 2006 die beiden Orchester in Halle zur ‘Staatskapelle’<br />

mit 152 Musikern und damit zum zweitgrößten Orchester in Deutschland nach dem<br />

Gewandhaus Orchester in Leipzig.<br />

Anteile klassischer Musik im öffentlichen Rundfunk in Prozent:<br />

BR HR MDR NDR RB RBB SR SWR WDR Total<br />

16,6 10,2 8,6 6,4 22,5 20,4 17,6 6,3 17,4 12,9<br />

Entwicklung der Ausbildungsplätze im Geigenbau:<br />

1991 1999 2004 2006<br />

58 37 13 16<br />

Die Zahl der ausgewiesenen Stellen für Musiker<br />

hat seit 1992 von 12.159 abgenommen auf 9.922 im Jahr 2010, also um 2.237 oder 18 %<br />

1.742 Musiker wurden in Ostdeutschland eingespart, 495 im Westen


- 55 -<br />

Während die Zahl der klassischen Konzerte im weitesten Sinn und deren Zuhörer eher stieg,<br />

(bei Zunahme der Sitzplatzauslastung bei den Konzerten und Abnahme bei der Oper)<br />

nahm die Zahl der Musiker dramatisch ab 13 :<br />

Musiker 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 % 1992-2010<br />

Ostdeutschland 5.032 4.411 4.198 4.032 3.878 3.637 3.545 3.398 3.372 3.290 - 34,62<br />

Westdeutschland 7.127 7.075 7.018 6.991 6.961 6.808 6.780 6.654 6.665 6.632 - 6,95<br />

Total 12.159 11.486 11.216 11.023 10.839 10.445 10.325 10.052 10.037 9.922 - 18,40<br />

Zusammenfassung<br />

Die Zukunft wird problematisch. Die Zahl der Geigenbaubetriebe in Deutschland nimmt kontinuierlich<br />

zu, während die Nachfrage nach Instrumenten abnimmt. Der Verband Deutscher<br />

Geigenbauer hat derzeit knapp 300 Mitglieder, man muss aber mit zusätzlich mindestens 50<br />

nichtorganisierten Geigenbauern rechnen. Die Musikschulen haben zwar trotz der Konkurrenz<br />

von Computer und Handy im Kinderzimmer noch Zuwächse, die Orchestermusiker, für die<br />

Meistergeigen im Preissegment von 5.000 bis 20.000 Euro erforderlich sind, nehmen ab. Die<br />

billigen Schülerinstrumente oder Instrumente, die nur für den gelegentlichen Gebrauch bestimmt<br />

sind, im Preissegment bis 2.000 Euro können die Schwellenländer mit ihren niedrigen<br />

Löhnen wesentlich kostengünstiger herstellen. Hier eröffnet sich für die deutschen Geigenbauer<br />

allenfalls noch ein Markt für Reparaturen oder die internationale Zusammenarbeit, wie<br />

mit dem Shimro-Modell in Markneukirchen geschehen: Seit 2001 bezog man dort vorgefertigte<br />

Einzelteile für Schülergeigen und Celli aus dem Mutterwerk in Korea und ließ diese in<br />

Markneukirchen verfeinern, zusammensetzen, schleifen und lackieren. Diese spezielle Konstruktion<br />

scheiterte allerdings 2010 wieder.<br />

Die Geigenbauwerkstatt der Zukunft wird wohl weit häufiger als bisher akustische Laborarbeit<br />

nutzen und in den Fertigungsprozess integrieren. Dazu gehört auch, dass ganz neue<br />

Werkzeuge entwickelt und genutzt werden.<br />

Auch wenn das Deutschen Musikinformationszentrum grundsätzlich empfiehlt, das sogenannte<br />

mittlere Preissegment nicht länger zu vernachlässigen, denn die deutschen Musikinstrumentenbauer<br />

versuchen bislang vorrangig durch hochpreisige Qualitätsinstrumente und<br />

andererseits preiswerte Dumpingprodukte dem Wettbewerbsdruck auszuweichen, können die<br />

deutschen Geigenbauer und speziell die Firma Brückner diesen Rat nur sehr bedingt beherzigen.<br />

Demgegenüber muss von allen Beteiligten ein Hauptaugenmerk darauf gelegt werden, dass<br />

das aktive Musizieren noch intensiver gefördert wird als bisher. Gelingt es, das Musikmachen<br />

attraktiver zu machen, werden sich auch neue Absatzperspektiven im eigenen Land finden<br />

lassen.<br />

13 dazu passt folgende Erklärung zu „Schuberts Unvollendeter“:<br />

Der Vorstandschef eines großen Unternehmens überlässt seinem Controller die Einladung zu einem<br />

Konzert. Aufgeführt werden soll Schuberts Unvollendete. Auf die Frage des Vorstandschefs am<br />

nächsten Tag: "Wie hat Ihnen das Konzert gefallen?" sagt der Controller ihm einen schriftlichen<br />

Bericht zu. Der Bericht ging einen Tag später ein. Sein Inhalt:<br />

1. Die vier Oboisten hatten über einen längeren Zeitraum nichts zu tun. Ihre Anzahl sollte<br />

deshalb gekürzt, ihre Aufgaben auf das gesamte Orchester verteilt werden. Dadurch können Arbeitsspitzen<br />

vermieden werden.<br />

2. Die zwölf Geiger spielten alle die gleichen Noten. Die Anzahl der Mitarbeiter in diesem Bereich<br />

sollte daher drastisch gekürzt werden. Sollte hier tatsächlich eine große Lautstärke<br />

erforderlich sein, kann das auch mit einem elektronischen Verstärker erreicht werden.<br />

3. Das Spielen von Viertelnoten erfordert einen hohen Aufwand. Dies scheint mir eine übertriebene<br />

Verfeinerung. Ich empfehle daher, alle Noten auf die nächstliegende halbe aufzurunden.<br />

Dann können dafür Studenten und Mitarbeiter mit geringen Qualitäten eingesetzt werden.<br />

4. Wenig sinnvoll ist es, dass die Hornisten Passagen wiederholen, die die Streicher bereits<br />

gespielt haben. Würden derlei überflüssige Passagen gestrichen, könnte das Konzert von zwei<br />

Stunden auf zwanzig Minuten gekürzt werden.<br />

5. Hätte Schubert dies alles beachtet, dann hätte er zweifellos seine Sinfonie beenden können.<br />

zitiert aus einer Rede von Staatssekretär Helmut Stuhl vgl. FAZ vom 16.11.1981


- 56 -<br />

Die Zukunft für den traditionellen Qualitätsbau kann nur heißen „Luxusinstrumente made in<br />

Germany“, d.h. weitere Qualitätssteigerungen ohne neuere Techniken zu verteufeln. Bei<br />

Brückners wird alles noch mit der Hand hergestellt. Aber ist es wirklich nötig, auch die<br />

Schnecke ohne Einsatz einer Fräse heraus zu schnitzen? Selbstverständlich darf man nicht den<br />

Mythos unterschätzen, der den Geigenbau und vor allem auch den Geigenhandel seit jeher<br />

begleitet hat. Nur wenige Musiker können sich diesen Glaubensmythen entziehen, wenn sie<br />

z.B. eine Stradivari – und sei es auch nur eine vermeintliche, in der Hand halten. Ist das Stradivariholz<br />

wirklich so gut, weil es bei Vollmond geschlagen wurde? Ist eine moderne Geige<br />

wirklich so viel besser, weil sie hypermoderne Schallschwinguntersuchungen unterzogen<br />

wurde? Der Glaube versetzt zwar keine Berge, ist aber gut geeignet, eine Null mehr auf der<br />

Rechnung zu rechtfertigen. Und hat nicht die mit Handwerkerschweiß gefertigte Schnecke<br />

ganz entscheidenden Einfluss auf den späteren Klang des Instrumentes? Muss nicht notgedrungen<br />

eine Geige leicht metallen klingen, wenn sie irgendwann mit einer Fräse in Berührung<br />

gekommen ist? Realistische Aufklärung tut Not. Es gibt Elemente im Geigenbau, die<br />

werden immer die Hand des Meisters spüren müssen, weil kein Computer mit so vielen Variablen<br />

gefüttert werden kann, wie es die Bearbeitung eines auch als Scheit noch lebenden<br />

Holzstückes erfordert. Aber es gibt auch Teile am Instrument, bei deren Herstellung die menschliche<br />

Sensibilität nicht im Vordergrund steht. Werte kann man oft nur durch Veränderung bewahren.<br />

Personenverzeichnis<br />

(die Mitglieder der Familie Brückner wurden, wie auch die Kunden auf S. 51, nicht gesondert aufgeführt)<br />

S e i t e<br />

Alexander 23<br />

Amati 8 ff., 33, 36<br />

Bach 19 f.<br />

Bala 31<br />

Bauer 33<br />

Baumgarten 29<br />

Berthold 13<br />

Bruckner 15<br />

Brueghel 6<br />

Bühnagel 35<br />

Burstein 51<br />

Busch 26<br />

Bystrozynski 33<br />

Cecil 27<br />

Chomitzer 51<br />

Corelli 6<br />

Corinth 17<br />

Czerny 7<br />

Da Montichiaro 9<br />

Da Salò 9<br />

Da Vinci 8<br />

Dardelli 9<br />

Davis 40<br />

di Salabue 17<br />

Dick 29<br />

Diesel 17<br />

Dölling 29<br />

Dürer 8<br />

Die Musik hat von allen Künsten den tiefsten Einfluss auf das Gemüt.<br />

Ein Gesetzgeber sollte sie deshalb am meisten unterstützen.<br />

Napoleon I.<br />

Wollt ihr wissen, ob ein Land wohl regiert und gut gesittet sei, so hört seine Musik.<br />

Konfuzius<br />

Wo die Sprache aufhört, fängt die Musik an.<br />

E.T.A. Hoffmann<br />

Edison 23<br />

Enigk 22<br />

Espig 5, 51<br />

Fichtl 10<br />

Ficker 15<br />

Fiorini 16,20,23f.,29<br />

Flach 37<br />

Fontane 9<br />

Franke 35<br />

Friedrich d.G. 7<br />

Garrett 7<br />

Genscher 37<br />

Göring 27<br />

Guarneri 8, 10<br />

Hamma 45<br />

Hargrave 45<br />

Harnoncourt 53<br />

Heber 12<br />

Heberlein 14, 27<br />

Hermann 45<br />

Herrmann 29<br />

Hersen 38<br />

Hill 45<br />

Hitler 28<br />

Imai 40<br />

Jaeger 16<br />

Kaspar 25<br />

Klotz 10<br />

Knopf 18<br />

Krahnert 40<br />

Kretzschmann 4, 42<br />

Kröhner 11<br />

Krüger 39<br />

Külz 37<br />

Kussmaul 50<br />

Kuzel 33<br />

Lang 30<br />

Liebermann 17<br />

Lignani 51<br />

Lindörfer 29 f.<br />

Lipka 38 f., 50<br />

Liszt 7<br />

Maatz 23<br />

Maccaferri 52<br />

Masur 5 f.<br />

Masurenko 50<br />

Menzel 7<br />

Merkel 48<br />

Misch 42<br />

Mischnick 37<br />

Möckel 29<br />

Mozart 33<br />

Müller 49<br />

Mutter 7<br />

Napoleon 23<br />

Oistrach 31, 33, 51<br />

Pachelbel 20<br />

Paganini 7<br />

Paulus 17<br />

Pfaffe 19<br />

Pfretzschner 13, 28<br />

Radek 27<br />

Ramsaier 30<br />

Reichart 25<br />

Ribbeck 9<br />

Richter 33 f., 42<br />

Rieger 16<br />

Rieu 47, 51<br />

Rimski-Korsakow 7<br />

Rivinus 52<br />

Rolini 9<br />

Rorarius 30<br />

Roth 29<br />

Schade 36<br />

Schmidt, J.-F. 23<br />

Schmidt, K.-H. 35f,43<br />

Schröder 22 f.<br />

Schwarz 39<br />

Scrollavezza 33<br />

Selditz 39<br />

Shakespeare 27<br />

Sieffert 21<br />

Smissen 51<br />

Solle 40<br />

Spohr 15, 38, 42<br />

Stahl 15<br />

Stark 28<br />

Steiner 10 f., 15<br />

Stelzner 17f., 20, 29<br />

Stempel 21<br />

Storm 15<br />

Stradivarius 6 ff, 17,<br />

33, 45, 47, 56<br />

Strauss 15<br />

Suzuki 52<br />

Swirek 33<br />

Tertis 39<br />

Thau 13<br />

Todt 16<br />

Torelli 6<br />

Ullrich 28<br />

Vogel 50<br />

Voigt 33<br />

von Bismarck 15<br />

von Lenbach 17<br />

von Neurath 27<br />

von Papen 27<br />

von Preußen 15<br />

von Sachsen….10<br />

von Stoltenberg-<br />

Wernigerode 23<br />

Walther 44<br />

Waltz 21<br />

Werro 45<br />

Wieniawsky 33, 38<br />

Zeller 15<br />

Zetkin 27<br />

Zimmermann 51<br />

zu Guttenberg 15<br />

* * *


- 57 -<br />

ein Leben für den Geigenbau 1932 bis 2012


- 58 -<br />

G E I G E N B A U<br />

im<br />

<strong>SPIEGEL</strong> <strong>DER</strong> <strong>ZEITEN</strong><br />

In den Werkstätten der Geigenbaumeister sieht es heute noch fast<br />

genauso aus wie vor Hunderten von Jahren. Es riecht nach Holz<br />

und Lack und Leim. Werkzeuge und Fertigungstechniken haben<br />

sich seit den Zeiten Antonio Stradivaris kaum verändert.<br />

Nur wenige Berufe lassen es heute noch zu, die Entstehung eines<br />

Produktes bis zur Fertigstellung mit den eigenen Händen zu<br />

verfolgen. Ob ein Instrument gut oder gar sehr gut gelungen ist,<br />

erleben die Musikliebhaber täglich in den Konzertsälen der Welt.<br />

Kenntnisreich und unterhaltsam beschreibt der Autor am Beispiel<br />

einer schon in fünfter Generation wirkenden Geigenbauerfamilie<br />

die Entwicklung dieses Traditionshandwerkes durch die Historie.<br />

Neben der allgemeinen Geschichte des Geigenbaus und den persönlichen<br />

Erlebnissen der Familie Brückner werden immer wieder<br />

historische Bezüge zu politischen und kulturellen Ereignissen<br />

Deutschlands und Erfurts hergestellt, wo die Familie Brückner seit<br />

1897 erfolgreich ihrem kunstreichen Handwerk nachgeht.<br />

Ein Buch für Musikliebhaber und historisch Interessierte und alle Menschen, die<br />

in unserer schnelllebigen Zeit jene seltene Authentizität suchen, wo sich Sein und<br />

Bestimmung, Wissen und Können noch in harmonischer Übereinstimmung befinden.

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