GEIGENBAU IM SPIEGEL DER ZEITEN - geigenbau brueckner
GEIGENBAU IM SPIEGEL DER ZEITEN - geigenbau brueckner
GEIGENBAU IM SPIEGEL DER ZEITEN - geigenbau brueckner
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stefan andreas sethe<br />
<strong>GEIGENBAU</strong><br />
<strong>IM</strong><br />
<strong>SPIEGEL</strong> <strong>DER</strong> <strong>ZEITEN</strong><br />
die erfurter <strong>geigenbau</strong>erfamilie brückner<br />
erweckt seit fünf generationen holz zum leben
- 2 -<br />
W. A. M o z a r t<br />
Es handelt sich bei diesem insbesondere auch für die<br />
Darstellung im Internet geeigneten Erzeugnis um ein gekürzt<br />
und leicht variiert wiedergegebenes Sonderexemplar des<br />
2012 erschienen Buches „Geigenbau im Spiegel der Zeiten“.<br />
Autor: Stefan A. Sethe.<br />
Die Originalversion umfasst 112 Seiten im DIN-A5-Format.<br />
© 2012 Brückner & Brückner GbR
Wilhelm (1874-1925)<br />
Alfred (1906-1944)<br />
Wilhelm *1932<br />
Ruth *1962<br />
Christoph *1982<br />
- 3 -<br />
Vorwort<br />
Der vorliegende Band ist vorrangig dem Geigenbaumeister<br />
Wilhelm Brückner gewidmet, der in diesem Jahr seinen 80.<br />
Geburtstag feiert, aber auch seiner Tochter, Geigenbaumeisterin<br />
Ruth Brückner, die vier Tage später 50 Jahre alt wird.<br />
Es ist aber vor allem eine Hommage an ein wunderbares<br />
Handwerk und an die Zähigkeit einer Familie, die mit Fleiß,<br />
Kreativität, etwas Chuzpe und nicht zuletzt großem handwerklichem<br />
Geschick Weltkriege, Wirtschaftskrisen, den Nationalsozialismus,<br />
die sozialistische Planwirtschaft und etliche spätkapitalistische<br />
Zumutungen meisterte und nie den Glauben an<br />
die Kraft und Magie der Musik verlor.<br />
Scheinbar totes Holz wurde unter den Händen dieser Kunsthandwerker<br />
mit neuem Leben erfüllt. Anders als unsere<br />
schnelllebigen Wirtschaftsgüter, die meist schon nach vier<br />
Jahren „abgeschrieben“ sind, entwickeln sich Streichinstrumente<br />
über Jahrhunderte immer besser, wenn sie sich in<br />
Künstlerhand befinden 1 .<br />
In den 115 Jahren, die die Geigenbauerfamilie nunmehr in<br />
fünfter Generation ununterbrochen in Erfurt (davon über 100<br />
Jahre in der Regierungsstraße) ihr Handwerk betreibt, mögen<br />
600 Instrumente neu entstanden und bald 10.000 repariert<br />
oder veredelt worden sein. Diese Erfurter Kinder aus Ahorn<br />
und Fichte haben sich in aller Welt angesiedelt und etabliert.<br />
Einige Brückner-Bratschen, Geigen und Celli kann man auch<br />
in Thüringen hören: In Erfurt, Weimar und Meiningen. Die<br />
meisten haben jedoch ihre Reise angetreten in fremde Städte<br />
und ferne Länder. Auf allen Kontinenten sind heute Brückner-<br />
Instrumente vertreten. Jedes klingt ein wenig anders, mal<br />
etwas tiefer, mal heller, aber eine gewisse Familienähnlichkeit<br />
kann keines dieser Meisterinstrumente aus den Händen der<br />
Brückners verleugnen.<br />
Es war mir eine große Freude, dieses Buch über eine besondere<br />
Kunstfertigkeit zu verfassen und in den historischen<br />
Kontext zu stellen. Mögen weitere Generationen ihre Erfüllung<br />
im Geigenbau finden und der Musik ihr Leben widmen!!<br />
Stefan A. Sethe<br />
Erfurt, zum 30.9.2012<br />
1 Obwohl den großen Banken und Versicherungen Dank gebührt, wenn sie<br />
ihre kostbaren Stradivaris, Guarneris oder Amatis an junge, begabte<br />
Musiker verleihen, so tun sie dies nicht ganz uneigennützig, denn ein<br />
Streichinstrument wird im Safe nicht besser. Es muss gespielt werden, um<br />
nicht „einzurosten“ und seinen Klang weiter entwickeln zu können.
I n h a l t<br />
- 4 -<br />
Seite: 5 „Ihr Kurt Masur“<br />
6 Entwicklung der Musikinstrumente<br />
9 Aufstieg der Geige<br />
9 Anfänge in Italien<br />
10 Geigenbau in Europa<br />
10 im Vogtland<br />
12 Tafellieder<br />
14 Heinrich Albin Brückner<br />
15 Gründer der Brückner-Geigenbau-Dynastie<br />
16 Wanderjahre<br />
19 Standortsuche<br />
15 Die Stadtpfeifer<br />
20 Gründung der Brückner-Werkstatt in Erfurt<br />
21 Lage der Orchestermusiker um 1900<br />
24 Erster Weltkrieg<br />
26 Zwischen den Kriegen<br />
26 Alfred Ernst Konrad Brückner<br />
27 Wilhelm Brückner<br />
28 Zweiter Weltkrieg<br />
28 Schwere Jahre<br />
29 Lehrzeit<br />
31 Geigenbau in der DDR<br />
32 Forsche Schritte in der Selbständigkeit<br />
33 Durchbruch<br />
34 Wirken in der Fachgruppe der Geigenbaumeister der DDR<br />
36 Verband Bildender Künstler der DDR<br />
37 Mitgliedschaft in der LDPD<br />
38 Luis Spohr Wettbewerb<br />
38 Brückner-Bratsche<br />
41 Bratscherwitze<br />
42 Lehrlinge<br />
42 Auf dem Höhepunkt<br />
43 Udo Kretzschmann<br />
44 (W)ende der DDR<br />
45 Haifischbecken Geigenhandel<br />
46 Ruth Brückner<br />
48 GbR<br />
48 Christoph Brückner<br />
49 100jähriges Jubiläum<br />
51 Kleine Auswahl von Brückner-Kunden<br />
52 Zukunft<br />
52 Herstellung<br />
53 Hersteller von Musikinstrumenten<br />
53 Statistik<br />
55 Zusammenfassung<br />
56 Personenverzeichnis<br />
Großer Dank gebührt Geigenbaumeister Udo Kretzschmann aus Markneukirchen<br />
für seine engagierte fachliche Überprüfung und Korrektur des Manuskriptes.
- 5 -<br />
Am Sonntag, dem 9. Oktober 2005, schrieb nach dem Lunch in New York bei leichtem<br />
Regen und angenehmen 23 Grad der weltberühmte Dirigent Kurt Masur einen Brief an die<br />
Geigenbaumeisterin Ruth Brückner in Erfurt:<br />
Sehr geehrte Frau Ruth Brückner,<br />
leider kann ich Ihnen erst heute antworten, weil ich lange auf Tourneen<br />
und nicht in Leipzig war. Die Instrumente Ihres Vaters waren<br />
immer so wertvoll, dass man sie klanglich mit alten Italienischen<br />
vergleichen konnte. Ich bin sicher, daß Sie diese Tradition übernommen<br />
haben und weiß von Musikern, daß Ihre Instrumente hoch<br />
eingeschätzt werden. Leider müssen wir heute gemeinsam um die<br />
Anerkennung der Musik in unserer Gesellschaft ringen. Ich hoffe,<br />
daß in Ihrem Falle bei den verantwortlichen Stellen die Kenntnis<br />
und die Einsicht vorhanden ist, welch wichtige Rolle Kultur und<br />
speziell die Musikkultur im Leben eines Menschen darstellen.<br />
Die Tätigkeit eines Geigenbaumeisters ist eine künstlerisch<br />
hocheinzuschätzende, denn sie müssen nicht nur die handwerklichen<br />
Kenntnisse sondern auch das Ohr eines Musikers und<br />
das Fingerspitzengefühl besitzen, um solche wertvollen Instrumente<br />
zu bauen.<br />
In Hochachtung und lebendiger Erinnerung an Ihren Vater<br />
Ihr<br />
Kurt Masur<br />
Profaner Anlass für diese herzliche und rührende Ode an die<br />
künstlerische Qualität des Geigenbaues im Allgemeinen und das<br />
Ansehen Brücknerscher Instrumente im Besonderen, war ein<br />
Streit mit den Thüringer Steuerbehörden, ob der Bau von Meisterinstrumenten<br />
nur schnödes Gewerbe ist oder als kulturell<br />
hochstehende, kreative Leistung betrachtet werden kann. Spätestens<br />
nach diesem Schreiben waren allerdings selbst die Finanzbeamten<br />
überzeugt, dass ein mit Liebe und innerem Feuer<br />
hergestelltes Instrument, welches sich immer wieder neu an individueller<br />
klanglicher und optischer Schönheit orientiert und<br />
immer auch ein unverwechselbares Einzelstück bleiben wird,<br />
vielleicht doch nicht ganz mit jenen heute in Fernost gefertigten,<br />
geigenähnlichen Schachteln verglichen werden kann, die niemals<br />
die Hand eines Meisters gespürt haben und für 200 Euro<br />
inklusive Kasten und Bogen im Supermarkt feil geboten werden<br />
2 .<br />
2 Auf seiner ersten Sitzung nach dem Krieg legte der Geigenbauerverband<br />
1948 in Stuttgart fest: Eine Schülergeige müsse mehr als 60 Mark kosten.<br />
Was unter 20 Mark lag, solle nicht einmal zur Reparatur angenommen werden,<br />
denn es handele sich um Spielzeug und kein Musikinstrument. Wirkliche<br />
Meistergeigen könnten unter 400 Mark nicht hergestellt werden.<br />
rechts neben Kurt Masur<br />
der Solobratscher des<br />
Gewandhausorchesters,<br />
Wolfgang Espig, mit einer<br />
Brückner-Bratsche
Entwicklung der Musikinstrumente<br />
- 6 -<br />
Es war ein weiter Weg, den die Musiker und die Instrumentenbauer zurück legen mussten bis<br />
zur Eloge eines Kurt Masur. Nicht alle Geigenbauer waren so geachtet wie Antonius Stradivarius<br />
in Cremona. Im Gegenteil: Das fahrende Volk der Musiker – und damit auch deren Ausrüster<br />
– fand sich im Verlaufe der menschlichen Kulturgeschichte nicht selten am unteren<br />
Ende der sozialen Anerkennungsleiter.<br />
Wir können davon ausgehen, dass ursprünglich die Instrumente, wie Trommeln, Rasseln und<br />
Flöten, noch von den Musikanten selbst gefertigt wurden. Wenngleich es die ersten urkundlich<br />
belegten Instrumentenbauer erst im 13. Jahrhundert gab, dürfte sich das Berufsbild des<br />
Musikers von jenem des Instrumentenbauers schon vor 6000 Jahren getrennt haben. Es ist<br />
anzunehmen, dass handwerkliche Geschicklichkeit und musikalische Begabung nicht mehr<br />
Hand in Hand gingen, und es zu einer entsprechenden Arbeits- und Aufgabenteilung kam, als<br />
im Orient die ersten, kompliziert zu bauenden, mehrsaitigen Chordophone und Leiern entstanden,<br />
die wenig später zu Harfen mit Resonanzkörpern weiter entwickelt wurden. Künftig<br />
war das Ansehen der Instrumentenbauer gekoppelt mit und abhängig von der Fähigkeit der<br />
Komponisten und vom Geschick der Musiker, durch das Ausüben ihrer Kunst Freude und<br />
Bewunderung zu wecken.<br />
Detail aus Brueghels „Eiertanz“<br />
Das Bild der Musik, der Musiker und der Instrumentenhersteller war<br />
im Laufe der Zeiten immer wieder Schwankungen unterworfen. Zwar<br />
war der emotionale Zugang der Musik zum Ohr der Menschen immer<br />
gleich wichtig, aber die Akzeptanz des Berufsbildes hat sich permanent<br />
mit den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen gewandelt.<br />
Die Grundlagen der heutigen europäischen Musikkultur entwickelten sich im Spätmittelalter.<br />
Ein gravierender Wandlungsprozess setzte ein mit der technischen Entwicklung des Notendrucks<br />
und nutzte die sich entfaltenden Notationsmöglichkeiten. Damit verbesserten sich die<br />
Produktionshandhabe und die Verbreitungswege von Musik bedeutend und erlaubten eine<br />
praktische Kontrolle. Die aufkommende kontrapunktische Verregelung der Musik, die Qualifizierung<br />
von Zusammenklängen in einem System aus<br />
Konsonanzen und Dissonanzen und die Stimmführung<br />
in der sich entwickelnden Polyphonie ließen sich<br />
durch eine einheitliche grafische Ordnung wesentlich<br />
leichter bestimmen und prüfen. Die allgemeinen Folgen<br />
der Differenzierung waren die Rollenverteilung in<br />
die Bereiche Komposition, Interpretation und Distribution.<br />
Jenaer Liederhandschrift aus dem 14. Jahrhundert<br />
Im Mittelalter waren die Minnesänger meist auch die<br />
Interpreten ihrer eigenen Werke. Nun entwickelten<br />
sich sehr differenzierte Berufsbilder. In dem Maße,<br />
wie die Nachfrage nach Musik in den Kirchen und an<br />
den Fürstenhöfen wuchs, nahm auch die Bedeutung<br />
der Komponisten zu, die immer komplexere und differenziertere<br />
Werke schufen, welche technisch versierte<br />
Musiker erforderten und damit auch immer ausgereiftere und spezialisierte Instrumente.<br />
Dies galt auch und speziell für die Streichinstrumente. Insbesondere Corelli und Torelli<br />
forcierten die Entwicklung der Geige zum Soloinstrument, was wiederum die Geigenbauer zu<br />
neuen Anstrengungen veranlasste.
- 7 -<br />
Adolph Menzels Gemälde „Das Flötenkonzert Friedrich des Großen in Sanssouci“ (1852)<br />
Zwar blieben die Komponisten, Interpreten und damit im weiteren Sinn auch die Instrumentenbauer<br />
noch längere Zeit vom Mäzenatentum der Fürsten und Kirchen abhängig, aber zunehmend<br />
stiegen die jeweils besonders erfolgreichen Künstler ihres Faches sozial vom<br />
Dienstleister zum Prestigeträger auf.<br />
Bis ins 18. Jahrhundert waren Volks- und Unterhaltungsmusiker sozial schlecht gestellte<br />
städtische Spielleute oder Spezialisten innerhalb der Dorfgesellschaft, welche u.a. auf Dorf-<br />
und Stadtfesten die nicht immer sehr geachteten Volksbelustigungen umrahmten. Es gab hier<br />
noch keine Arbeitsteiligkeit, nur mündliche Überlieferungen der Musik und eine wenig differenzierte<br />
Funktion des Musikmachens. Volksmusiker waren in den Alltag und die Abläufe<br />
des Kirchenjahrs eingebunden, übernahmen aber auch die Rolle des Informationsübermittlers,<br />
etwa durch den Moritaten- und Bänkelsang. Mit der Industrialisierung kam auch in der Unterhaltungsmusik<br />
die Nachfrage nach „professioneller“ Musik.<br />
Die Erfindung des Notendrucks hatte dazu geführt, dass nunmehr auch das Bürgertum sich<br />
von der bisherigen Musikantenschar emanzipierte. Die spezifisch bürgerliche Salonmusik<br />
entwickelte sich im 19. Jahrhundert. Sie bestand größtenteils aus leichten Arrangements von<br />
Kunstmusik für die wohlhabenden Haushalte. Vor allem für das Klavier und kleine Hausmusikensembles<br />
wurden leicht spielbare und effektvolle Stücke komponiert. Sie dienten als<br />
Spielmaterial für den Musikunterricht. Carl Czernys „Schule der Geläufigkeit“ und andere<br />
Übungsmusik bildeten die Ausrüstung für den bürgerlichen Musiklehrer, der als neuer Berufszweig<br />
etablierte.<br />
Das Virtuosentum im Konzertsaal belebte den Musikmarkt und schuf die ersten international<br />
bekannten Stars wie Niccolò Paganini und Franz Liszt Franz. Ein David Garrett, der zum Entsetzen<br />
aller Musikliebhaber meint, den Hummelflug von Rimski-Korsakow in einer Minute<br />
und fünf Sekunden spielen zu müssen, was 13 Noten pro Sekunde entspricht, und zeitweilig<br />
einen Platz im Guinness-Buch der Rekorde sichert, braucht für seine zirzensischen Verrenkungen<br />
eine exzellente Violine und einen ebensolchen Bogen. Aber auch eine Anne-Sophie<br />
Mutter, die als Teenager schon künstlerisch ausgereifter war als es ein Garrett wohl je sein<br />
wird oder ein Paganini je war, braucht für ihre sensiblen Interpretationen ein qualitativ ausgereiftes<br />
Instrument. Beide spielen heute Geigen von Antonio Stradivari, jene legendären<br />
Streichinstrumente des Cremoneser Geigenbauers vom Anfang des 18ten Jahrhunderts, die<br />
heute für Millionenbeträge die Besitzer wechseln.
- 8 -<br />
Skizze von Stradivari mit Anmerkungen<br />
zum Geigenbau<br />
Deutlich wird bei dieser ein<br />
wenig an Da Vinci bzw. Dürer<br />
erinnernden mit geometrischen<br />
Kreisen angereicherten Skizze<br />
auch eine gewisse Mathematisierung<br />
der Geigenbaukunst.<br />
Zunehmend wurden physikalische<br />
Gesetzmäßigkeiten berücksichtigt,<br />
wenngleich der<br />
Status der klanglichen Experimentalphysik<br />
erst in der Neuzeit<br />
überschritten wurde.<br />
Demgegenüber wurde die Musik<br />
erst mit Aufkommen der<br />
gefühlsbetonten Romantik zu den<br />
Künsten gerechnet. Bei den<br />
antiken Pythagoreern galt sie noch<br />
als mathematische Wissenschaft,<br />
die in Bezug gesetzt wurde zur<br />
Ordnung des Kosmos.<br />
Aufstieg der Geige<br />
Seit den ersten Zupfinstrumenten<br />
vor 6000 Jahren bis zum<br />
Höhepunkt des Geigenbaues im<br />
18. Jahrhundert hatten tiefgreifende<br />
Entwicklungen stattgefunden:<br />
Die Zupfinstrumente mutierten<br />
nach und nach zu ausdrucksstärkeren<br />
und variableren Streichinstrumenten. Nun-mehr konnten Töne nicht mehr nur<br />
durch das Zupfen oder Schlagen der Saiten hervorgerufen werden. Das Streichen mit Bogenhaaren<br />
erzeugte wesentlich kompliziertere Schwingungen. Dazu waren bauliche Veränderungen<br />
notwendig. Um zu verhindern, dass die schwingenden Saiten auf den Resonanzkorpus<br />
oder das Griffbrett aufschlugen, war ein ausreichend hoher Steg erforderlich, die Befestigung<br />
der Saiten musste grundsätzlich verändert werden, und es wurde Platz geschaffen für den Bogenstrich.<br />
Die Instrumentenbauer experimentierten mit verschiedenen Modellen, die man zum Teil heute<br />
nur noch in Museen findet. So gab es die für eine deutsche Zunge kaum aussprechbare Crwth<br />
in Irland und Wales, die schon bekanntere aber inzwischen auch fast ausgestorbene Fidel, den<br />
Rebec (der trotz des halbbirnenförmigen Korpus natürlich nichts mit jenem Fontane-Gedicht<br />
des Herrn von Ribbeck zu tun hat), die Giga als ähnlich strukturierte, französische Variante,<br />
und das fast zwei Meter lange, einsaitige Trumscheit.<br />
Nach und nach verfeinerten und vereinheitlichten sich die Streichinstrumente. Der Steg bekam<br />
eine Wölbung und der Saitenabstand wurde größer, um das Streichen einzelner Saiten zu<br />
ermöglichen. Aus dem gleichen Grund wurde die „Taille“ verengt, womit dem Bogen ein<br />
größerer Aktionsradius eröffnet wurde. Die Saiten wurden dicker, der Bogen verstärkt. Es
- 9 -<br />
begannen Kräfte auf den Resonanzkorpus zu wirken, die eine Verstärkung im Inneren notwendig<br />
machten. Das war die Geburtsstunde eines kleinen Holzstäbchens unter dem Steg, der<br />
sogenannten Stimme, deren korrekter Sitz nunmehr einen ganz entscheidenden Einfluss haben<br />
sollte. Zur Stabilisierung der tiefen Saiten wurden Bassbalken eingepasst, selbst die Schalllöcher<br />
mussten neu geformt werden. Die Seitenwände (Zargen) wurden niedriger und mit dem<br />
Hinzufügen einer vierten Saite war vor 500 Jahren die Entwicklung zum heutigen Streichinstrument<br />
weitgehend abgeschlossen. Neuere Veränderungen betreffen vor allem das Zubehör,<br />
wie die Saiten, Halter, Stützen, und in allerneuster Zeit neue Materialien und elektronische<br />
Erweiterungen und Verbindungen.<br />
Anfänge in Italien<br />
Angesichts dieser Experimentierphase mit den neuen Streichinstrumenten verwundert es<br />
nicht, dass es anfangs noch keine speziellen Geigenbauer gab. Die frühen Meister fertigten<br />
Lauten, Gamben und experimentierten mit Violen und Violinen. Als erster Geigenbauer gilt<br />
mitunter Pietro Dardelli, ein Franziskanermönch aus Mantua. Auch Giambattista Rolini aus<br />
Pesaro wird genannt. Mit Sicherheit einer den Ersten war Zanetti da Montichiaro, von dem<br />
ein Geigenzettel von 1532 erhalten ist.<br />
Mit dem Aufstieg der Amati-Familie in Cremona erfolgte eine gewisse Standardisierung der<br />
Streichinstrumente. Einen wichtigen Durchbruch brachte damals ein Auftrag vom französischen<br />
König zum Bau von Streichinstrumenten, erstmals auch der neuen Violine.<br />
Mit da Salò begann um 1600 auch eine Tradition des Violabaus. Da Salòs Bratschen, die allerdings<br />
mittlerweile im Hinblick auf eine angenehmere Spielbarkeit meist verkleinert wurden,<br />
sind heute besonders begehrt.<br />
Es dauerte nun nur noch 200 Jahre, bis auch die Brückners, um die es vorrangig in diesem<br />
Buch gehen soll, als Geigen- und Bratschenbauer ins Geschehen eingriffen<br />
Geigenbau in Europa<br />
Mit Stradivari und seinen Zeitgenossen im weiteren Sinn erreichte der Streichinstrumentenbau<br />
in Italien eine gewisse Zentralisierung, Perfektionierung und seinen vorläufigen Höhepunkt.<br />
Ohne im Detail auf die Streitfrage eingehen zu wollen, ob die Instrumente von Stradivari und<br />
seiner legendären Zeitgenossen wirklich so viel besser sind als die heutigen, zumindest haben<br />
anonymisierte Hörtests und Vergleiche dieses nicht bestätigen können (im Gegenteil, moderne<br />
Instrumente wurden zum Teil sogar besser beurteilt), kann festgestellt werden, dass sich<br />
die Violinen Stradivaris durch objektivierbare Merkmale auszeichnen: Sie tragen besonders<br />
gut im Bereich zwischen 2.000 und 4.000 Hertz, dem Klangbereich, in dem das menschliche<br />
Gehör am empfindlichsten ist. Dies führt dazu, dass selbst ein sehr leise gespielter Ton in einer<br />
großen Konzerthalle weithin hörbar ist, wenn er auf einer Stradivari gespielt wird. Andererseits<br />
haben die Geigen Stradivaris deutliche Defizite, wenn es darauf ankommt, dunklere,<br />
sonore Töne zu erzeugen.<br />
Schwingungsanalysen zeigen, dass spezielle, asymmetrische Abweichungen der Materialstärke<br />
eine wichtige Rolle für den Klangcharakter spielen. Schließlich konnte Stradivari auf<br />
eine besondere Holzqualität zurück-greifen. Offenbar waren besondere klimatischen Verhältnisse<br />
in Europa während der sogenannten „Kleinen Eiszeit“ (16.-18.Jh.) dafür verantwortlich,<br />
dass zum Instrumentenbau Holzqualitäten verwendet werden konnten, die es heute nicht mehr
- 10 -<br />
gibt. Die geringeren Durchschnittstemperaturen führten zu verändertem Baumwachstum mit<br />
geringerem Jahrringabstand und reduziertem Spätholzanteil. Je weniger Spätholz pro Jahrring<br />
gebildet wird, desto geringer ist die Rohdichte, was sich auf die Klangqualität des Instrumentes<br />
günstig auswirken soll. Abgesehen von den Holz- und eventuell auch Lackeigenschaften<br />
verfügten Stradivari und sein Lehrmeister Amati oder auch Kollegen wie Guarneri etc. selbstverständlich<br />
über eine akribische Handwerkskunst, Voraussetzung für jedes Meisterinstrument.<br />
Spätere Modellveränderung waren veränderten Aufführungsgewohnheiten geschuldet. Die<br />
Instrumente vor 1750 waren meist für kleinere Säle, schwächere Besaitung, elegantere Spielart<br />
und einen tieferen Kammerton gebaut worden. Veränderungen in der Aufführungspraxis,<br />
insbesondere die größeren Säle und Orchester, machten auch Veränderungen bei den Instrumenten<br />
erforderlich. Der Hals der Geigen wurde verlängert, der Steg erhöht, was wiederum<br />
eine größere Neigung des Halses erforderte. Diese Umwandlungen waren ca. 1800 beendet,<br />
und weitere 50 Jahre später waren auch nahezu alle früher gebauten Meistergeigen umgebaut<br />
worden, wobei man selbst vor den großen Namen wenig Respekt zeigte. Instrumente von<br />
Amati, Stradivari, Guarneri etc. gibt es nur noch ganz vereinzelt im musealen Originalzustand.<br />
In dem Maß, wie sich eine gewisse Vereinheitlichung des Streichinstrumentenbaus durchsetzte,<br />
kam es gleichzeitig zu einer Dezentralisierung der Werkstätten. Neben Italien entwickelte<br />
sich in Frankreich ein eigener Geigenbau. Auch im süddeutschen Raum gab es hervorragende<br />
Geigenbaumeister. Berühmt wurden hier vor allem der 1618 geborene Tiroler Jakob<br />
Steiner. Gemessen an den Fälschungen, wobei in späteren Jahren seine nachgedruckten Geigenzettel<br />
in minderwertige Instrumente<br />
eingeklebt wurden, waren<br />
seine Instrumente sogar beliebter<br />
und berühmter als jene des nach<br />
ihm in Italien wirkenden Stradivari.<br />
Geigenzettel „Jakobus Stainer“ Geigenzettel„Antonius Stradivarius“<br />
In Süddeutschland entwickelten sich anschließend regelrechte Stammsitze von Geigenbauern.<br />
Matthias Klotz war in Mittenwald der Begründer einer Dynastie von 36 Geigenbauern. Die<br />
Fichtls stellten 25 Berufskollegen.<br />
Im Vogtland<br />
Etwa Mitte des 17. Jahrhunderts beginnt die Geschichte des vogtländischen Geigenbaus.<br />
Protestantische Auswanderer aus Böhmen brachten den wichtigen, neuen Wirtschaftszweig<br />
nach Markneukirchen und Klingenthal. Am 6. März 1677 bestätigte Herzog Moritz von Sachsen<br />
die Gründung der ersten Geigenbauer-Innung von Markneukirchen, zu der sich zwölf ins<br />
Vogtland eingewanderte böhmische Exulanten zusammengeschlossen hatten. Um die Qualität<br />
und Integrität der neuen Geigenproduktion zu gewährleisten, stellte die Innung strenge Regeln<br />
auf: Bewerber mussten aufwendige Meisterstücke präsentieren, hohe Aufnahmebeiträge entrichten<br />
und einen Fürsprecher gewinnen, der ihre Bewerbung unterstützte.<br />
Was zeichnet die vogtländische Violine aus? Kurz gesagt: Eine Typisierung ist nicht möglich.<br />
Eine einhellige Antwort zu geben ist schwierig, wenn nicht geradezu unmöglich, ein Schema<br />
zu nennen ausgeschlossen. Von Anfang an bauten die Geigenbauer des Vogtlandes nicht über<br />
einer Form, sondern schachtelten frei auf.
- 11 -<br />
Auf dieser Erkenntnis fußend stellte Christine Kröhner 3 am Korpus der meisten Vogtländer<br />
zumindest eine Seitengleiche fest. Allerdings: „Eine etwas oder stärker ausgezogene flache Oberbügelform<br />
ist schon nicht mehr als allgemeingültig zu betrachten. Die Vielfalt der vogtländischen Modelle ist auffällig. Zu den rein äußerlich<br />
erkennbaren Merkmalen der einzelnen Regelteile kommen die nicht ohne weiteres sichtbaren im Inneren der Violine.<br />
Bautechnische Kennzeichen, wie eingeschobene Oberzargen im Oberklotz oder Halsbefestigungen und -lagerungen haben<br />
ebenso wenig ihren Gemeinplatz. Die Eigentümlichkeiten in der Gestaltung - beispielsweise der Schnecke - sind bei den<br />
verschiedenen familiären Schulen unterschiedlich. Hinsichtlich der Wölbung gibt es flache und höhere Typen, etwa nach<br />
Jacob Stainer gehend. Vollkommen rundumlaufende Hohlkehlen zeichnen diese Modelle aus. Selbst die im oberen Drittel<br />
als Mulde gestalteten Seitenpartien des Wirbelkastens bleiben auf einzelne Familienschulen beschränkt.<br />
Oftmals besteht eine deutliche Demarkationslinie zwischen den glatten unteren zwei Dritteln der äußeren Seitenwand und<br />
der soeben genannten Mulde. Die Schneckenformen sind mannigfaltig und selbst bei ein und demselben Geigenmacher<br />
verschieden ausgefallen.<br />
Eine oft erwähnte, sog. gedrückte oder gequetschte Form der Schnecke, also keine gleichmäßige Rundung, kann nicht als<br />
gemein vogtländisch angesprochen werden. Gerade die Schnecken sind individuell geformt. Auch Größe und Position sind<br />
unterschiedlich. Breite Ohren – schmale Ohren, ausgeprägter Mittelgrad: Alles kommt vor. Schwach gekehlt - tiefer ausgestochen:<br />
Das sind ebenfalls individuelle Merkmale und keinesfalls fürs Vogtland generell gültige Normen. Was man<br />
vogtländischen Schnecken nachsagt, sind nach vorn unten nicht tief genug gekehlte, zeitig aufhörende Rinnen über dem<br />
eigentlichen Wirbelkasten. Aber dieses Merkmal besitzen andere Geigenbauschulen ebenso. Einfaches vogtländisches<br />
Ahornholz, kein Riegelahorn, und einheimische oder aus dem Böhmerwald stammende, engjährige Fichtendecken sind die<br />
meist verwendeten Materialien. Es gibt jedoch auch unregelmäßig eng geflammten Ahorn aus obervogtländischen Höhenlagen<br />
bis etwa 940 m NN (Kielberg 942 m, Aschberg 936 m). Hälse und Griffbretter aus wilden Obstbaumgehölzen, die Griffbretter<br />
furniert und/oder dunkel gebeizt, kommen vor. Als Standardausführungen können sie nicht gewertet werden. Dasselbe<br />
gilt von Drahtaufhängungen der Seitenhalter und deren Formen, wie das an alten Instrumenten gelegentlich zu beobachten<br />
ist.<br />
Die Geigenmacher stellten sich ihre Beize und Lacke selbst her. Die gelbe Gründung mit Safran ist als typisch vogtländisch<br />
zu betrachten. Der Lack hat gelbe, goldgelbe oder in allen Nuancen vorkommende braune bis schwarzbraune Farbe und ist<br />
oftmals gar nicht so steif und spröde, wie er immer hingestellt wird. Schwarzbrauner Lack mit Drachenblutharzbeigaben<br />
feuert in der Abendsonne dunkelrot. Direkte hellrote Farbe kennt der Vogtländer nicht. Klangvorstellungen entsprachen dem<br />
jeweiligen Zeitgeschmack. Steilgewölbte Violinen mit schmaler Brust geben im allgemeinen näselnde Töne, oft als Flötentöne<br />
bezeichnet. Breitere Modelle in flacher Bauweise klingen weich und zärtlich.“<br />
So unterschiedlich in der Form, so wechselvoll war auch die Geschichte des vogtländischen<br />
Geigenbaues. Nie war er frei von Problemen und Verwerfungen. Während der mittlerweile<br />
bald 400 Jahre, in denen im Vogtland Musikinstrumente gebaut wurden, genoss Markneukirchen<br />
nicht immer einen makellosen Ruf. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts sah sich Carl<br />
Wilhelm Heber veranlasst, in seinen Geigen einen zusätzlichen Zettel anzubringen:<br />
„Viel falsches nachgemacht<br />
Sich da und dort schleicht ein,<br />
Drum sieh mein Petschaft an<br />
Willst nicht betrogen seyn.“<br />
Mag auch der Vorwurf nicht berechtigt sein, im Vogtland seien mehr Geigen gefälscht und<br />
mit Faksimilezetteln versehen worden als überall sonst in den Geigenbauzentren, der Konkurrenzdruck<br />
war im südlichen Sachsen immer besonders hoch, das Arbeiten am Existenzminimum<br />
besonders häufig.<br />
Zwischen Markneukirchen und Klingenthal entspann sich ein Jahrhunderte andauernder Geigenbauerkrieg.<br />
So durfte kein Geigenbauer im jeweils anderen Ort seine Instrumente anbieten<br />
oder gar verkaufen. Die Zahl der Geigenbauer entwickelte sich inflationär. Von 1750 bis 1850<br />
verzehnfachte sich die Anzahl. Erst das Umschwenken auch auf andere Musikinstrumente<br />
brachte eine gewisse Entlastung an der Arbeitsfront. Die Geigenproduktion entwickelte sich<br />
dennoch ungebremst weiter.<br />
3 Diplomarbeit 1981 “Vogtländische Geigen von den Anfängen bis etwa 1850. Untersuchungen zu ihrer Origi-<br />
nalgestalt.” - zitiert nach dem Musikinstrumenten Museum: www.museum-markneukirchen.de/streich.htm
- 12 -<br />
Das Original befindet sich im Musikinstrumentenmuseum-Markneukirchen<br />
Melodie: O Tannenbaum, O Tannenbaum
- 13 -<br />
Es hatte inzwischen auch eine Professionalisierung des Vertriebes stattgefunden. Anders als<br />
Schuster oder Bäcker, die ihre Erzeugnisse am Ort verkaufen können, finden Geigenbauer nur<br />
selten Abnehmer direkt am Ort der Herstellung. 1713 wurde erstmals ein professioneller<br />
Händler in die Innung aufgenommen. Zuvor hatten die Meister weite Reisen auf sich genommen,<br />
um persönlich Märkte und potentielle Kunden zu besuchen. Dies über-nahm nun Johann<br />
Elias Pfretzschner zum Teil über sehr weite Entfernungen. Der Erfolg seiner Marketing-Aktivitäten<br />
führte allerdings dazu, dass größere Stückzahlen zu Dumpingpreisen geordert wurden,<br />
die industrielle Produktionsformen erforderten. Es begann 1719 mit einem spezialisierten<br />
Wirbeldrechsler. Bald kamen Werkstätten von Halsschnitzern, Decken- und Schachtelmachern<br />
hinzu. In den immer weniger werdenden Meisterbetrieben wurden die Einzelteile nur<br />
noch zusammengefügt. Für eine qualitativ überzeugende Geige rechnet man damals wie heute<br />
üblicherweise eine Produktionszeit von mindestens einem Monat 4 .<br />
Pro Monat wurden jedoch in Markneukirchen mitunter mehr als 1.500 Instrumente hergestellt.<br />
Markneukirchen entwickelte sich zu einer Musterstadt marxistischer Theorie: Fabrikmäßige<br />
Entfremdung vom eigentlichen Handwerksprodukt, extreme Gewinne auf der einen<br />
Seite und soziale Not bei den abhängigen Heimarbeitern, Gesellen und ihren Familien.<br />
1868 gründete Julius Berthold seine Firma zur Herstellung von Maschinen für den Musikinstrumentenbau.<br />
Zur mechanischen Herstellung von Böden und Decken erfand der Klingenthaler<br />
Ingenieur William Thau 1904 eine Kopierfräsmaschine. Zeitweilig wurden in Markneukirchen<br />
bis zu 80 % der Weltproduktion an Geigen hergestellt.<br />
Wirtschaftliche Not, Konkurrenzdruck,<br />
Monopolverhältnisse und<br />
nicht zuletzt auch Qualitätsansprüche,<br />
die sich im Vogtland nur noch<br />
sehr bedingt verwirklichen ließen,<br />
von innovativen Experimentieren<br />
ganz zu schweigen, ließ viele junge<br />
Geigenbauer auswandern.<br />
Markneukichener Werkstatt<br />
Anfang des 20. Jahrhunderts<br />
Mit einem solchen Wanderungsprozess beginnt auch die Geschichte der Geigenbau-Dynastie<br />
Brückner, über die in diesem Buch etwas ausführlicher berichtet werden soll.<br />
Trotz aller Widrigkeiten gibt es für die Markneukirchener allerdings auch genug Gründe, auf<br />
die eigene Geigenbautradition stolz zu sein. Der vogtländische Geigenbau ist ganz gewiss<br />
nicht nur mit der großen Zahl billiger Instrumente gleichzusetzen, die im 18. und 19. Jahrhundert<br />
in alle Welt verkauft wurden. Markneukirchen war immer auch Ausbildungsstätte vieler<br />
internationaler Geigenbaumeister, die z. B. in den USA, Russland und verschiedenen europäischen<br />
Metropolen wirkten. Qualität und Innovationskraft zeichneten aber auch viele Geigenbauer<br />
aus, die in ihrer Heimat geblieben waren.<br />
4 auch wenn das Innungsprivilegium der Geigenmacher zu Markneukirchen für die Meisterprüfung 1677 vorsah:<br />
"Kunststück binnen drey Wochen fertigen, als: 1. Eine Discant-Geige mit schönem Holze, den Halß rein eingelegt,<br />
das Griffbrett gewürffelt, den Boden und Decke auch mit dreyfachen Spähnen sauber eingelegt; 2. Eine Zitter von<br />
schönem Holz und rein auff dem Register; 3. Eine viola di Gambe mit Brücken und Sechs Seiten ohne tadel, und<br />
sollen alle drey Stücke in gelber Farbe seyn ohne Flecken. Der Anfang zu solcher Arbeit soll frühe Morgens umb<br />
Sechs Uhr gemacht werden ...“ 1723 wurde die Dreiwochen-Tortur noch um ein Instrument erweitert: „Violin,<br />
Laute, Viol di Gamba und Davids Harffe“.
- 14 -<br />
Zu den wichtigen Geigenbauer-Familien Markneukirchens gehört u.a. die Familie Heberlein,<br />
die sich international einen sehr guten Namen erworben hat. Ihr bekanntestes Mitglied ist<br />
Heinrich Theodor Heberlein jr. (1843-1910), der für die sehr gute Qualität seiner Instrumente<br />
bekannt war und vielfach ausgezeichnet wurde, u. a. als Ritter des Sächsischen Albrechtsordens.<br />
Aber auch schon Johann Gottlob Heberlein (1782-1856) war ein guter Geiger und experimentierfreudiger<br />
Geigenbauer, der 1813 gemeinsam mit einem Blasinstrumente-Macher<br />
eine Geige aus Messing herstellte – ein interessantes, „interdisziplinäres“ Detail der Markneukirchener<br />
Instrumentenbau-Geschichte.<br />
Mit der Verbindung zwischen der Geigenbauerfamilie Heberlein und der damaligen Gitarrenbauerfamilie<br />
Brückner beginnt vor fast 200 Jahren nach unserer historischen tour d'horizont,<br />
die mit der geographischen Verengung auf Markneukirchen endete, nun endgültig auch die<br />
Geschichte der weit verzweigten Geigenbaufamilie Brückner.<br />
Heinrich Albin Brückner<br />
Am 2. November 1834 wurde Augusta Friedericke Heberlein als Tochter des Christian Gottlob<br />
Heberlein (geb. 4.5.1802) und Enkelin des Karl Friedrich Heberlein (geb. 11.7.1767) in<br />
Markneukirchen geboren. Ihre Vorfahren waren durchweg Markneukirchener Baßmacher und<br />
Geigenbauer (mütterlicherseits Ficker). Sie heiratete mit 20 Jahren den ein Jahr älteren Gitarrenmacher<br />
Heinrich Albin Brückner. Auch Heinrich Albin konnte bei seiner Geburt am<br />
11.10.1833 schon auf eine 100jährige Tradition von Instrumente- und Bogenbauern verweisen.<br />
Besonderer Erwähnung verdient in diesem Zusammenhang u.a. der einen Tag vor Heiligabend<br />
1767 gestorbene Instrumentenbauer Michael Brückner.<br />
Im Brücknerhaus auf dem Berg wurden nunmehr im Zweijahresrhythmus fünf Söhne geboren:<br />
1855 der spätere Geigenbauer Alwin, 1857 Heinrich, der Zithermacher, und 1859, 1861<br />
und 1863 Ernst, Moritz und Konrad (Zithermacher), die den Beruf ihres Vaters ergriffen. Das<br />
Klima im Vogtland ist rau. Andernorts schlagen im Mai die Bäume aus, und sonnenfrohe<br />
Lieder werden angestimmt. Im Vogtland schlagen die Gefühle meist erst einen Monat später<br />
Kapriolen. Es kommt daher nicht von ungefähr, dass die fünf Brüder durchweg im März Geburtstag<br />
hatten. Diese Regelmäßigkeit wurde erst später durchbrochen: 1869 und 1872 bekam<br />
das Brüder-Quintett zwei Schwestern und am 30.6.1874 wurde als Nachzügler schließlich<br />
auch noch August Wilhelm Brückner geboren. Damals hatte Markneukirchen etwas mehr als<br />
4.000 Einwohner. Ein Viertel der Bevölkerung war als Instrumentenmacher beschäftigt, davon<br />
jeweils rund 100 als Geigen-, Zupfinstrumente- und Bogenmacher.<br />
Von August Wilhelm und dessen Nachkommen soll im Weiteren berichtet werden. Seine<br />
1879 schon fast 45jährige Mutter sorgte allerdings dafür, dass in jenem April die sechs Brüder<br />
noch eine dritte Schwester bekamen. Eine gewisse Belastbarkeit müssen die Kinder wohl von<br />
der Mutter geerbt haben, die 70 Jahre alt wurde. Der Vater starb schon wenige Tage nach seinem<br />
fünfzigsten Geburtstag. Da war Wilhelm gerade mal 10 Jahre alt. Die älteren Brüder<br />
hatten zum Glück das Elternhaus schon verlassen, aber für Wilhelm und seine drei Schwestern<br />
begannen besonders harte Zeiten, die Wilhelm nachhaltig geprägt haben mochten. Zum<br />
einen wurde er vielleicht noch früher als seine Brüder und Altersgenossen in den Häusern und<br />
Dörfern der Umgebung mit der harten Lebenswirklichkeit konfrontiert, zum anderen wirkte<br />
der reine Frauenhaushalt sensibilisierend und förderte die Kreativität. Charakterzüge, die sich<br />
auch bei seinem Enkel, Wilhelm Konrad, finden lassen; auch dieser musste in frühen Jahren<br />
auf den Vater verzichten, wuchs anschließend in einem Frauenhaushalt auf und lernte sehr<br />
früh Verantwortung zu übernehmen und hart zu arbeiten.
Gründer der Brückner-Geigenbau-Dynastie<br />
- 15 -<br />
August Wilhelm, wir wollen ihn zur besseren<br />
Unterscheidung mit seinem gleichnamigen<br />
Enkel den „UrWilhelm“ nennen,<br />
UrWilhelm also, wuchs auf dem Oberen<br />
Berg neben der<br />
Gaststätte "Zum Heiterer Blick“<br />
unter harten Bedingungen auf.<br />
Wer die Kindheit in diesen kleinen Häusern<br />
überlebte, war gestählt für das Leben.<br />
Die Nachbarschaft zur Gaststätte sorgte<br />
dafür, dass den Brückners hinfort eine gewisse<br />
Trinkfestigkeit nicht mehr abgesprochen<br />
werden konnte. Ein echter „Neikirgner“ ist auch schärfsten Flüssigkeiten nicht abhold.<br />
Andererseits war UrWilhelm eingebettet zwischen den drei Schwestern, ein Benjamin,<br />
dem oft besondere Zuwendung gegeben wird, und der oft auch seine Kreativität und seine<br />
Anlagen besonders gut entfalten kann. Schon als kleiner Junge begann er Singvögel einzufangen<br />
und sie sozusagen als Vorläufer des damals noch nicht erfundenen Plattenspielers in einem<br />
Vogelbauer zu halten. Mitunter verkaufte er sogar besonders sangesfreudige Stieglitze<br />
und andere gefiederte Künstler. Noch heute gehören daher Kuckucksuhr<br />
und ein Kanarienvogel zur Standardeinrichtung der Brückner-Werkstatt.<br />
„Bernhard Vogel“ aus der heutigen Brückner-<br />
werkstatt in der Erfurter Regierungsstraße 66<br />
entpuppte sich mittlerweile als „Bernhardine“<br />
Vor der Schule trug UrWilhelm Brötchen aus, um zur Ernährung der Familie<br />
beizutragen, denn die älteren Brüder zeigten sich sehr knauserig.<br />
Nicht von ungefähr sind es in den Märchen oft gerade die jüngeren Brüder,<br />
die pfiffig die Probleme lösen und auch der Benjamin in der Bibel<br />
war jener, der zu Großem bestimmt war. Vielleicht wäre unser kleiner<br />
Brückner-Spross ja tatsächlich Benjamin getauft worden, aber drei Jahre<br />
nach dem siegreichen deutsch-französischen Krieg und der Krönung Wilhelm Friedrich Ludwigs<br />
von Preußen zum Deutschen Kaiser schien den Eltern an jenem sommerlichen Dienstag<br />
im Juni 1874 Wilhelm dann doch der zukunftsträchtigere Name.<br />
An jenem Dienstag machte der Kaiser dem Russischen Zar in Jugenheim seine Aufwartung.<br />
Reichskanzler von Bismarck bereitete sich auf seinen Kuraufenthalt in Bad Kissingen vor, wo<br />
er wenige Tage später fast einem Attentat zum Opfer fiel. Im Anzeigenteil des Kladderadatsch<br />
bot zwischen Dresdner Bierkäse und mariniertem Elbaal ein Herr Stahl aus Lütjenburg<br />
in Holstein eine Geige von Jacobus Stainer an, die „im Besitz von Spohr gewesen“. Eine andere<br />
Stainer Violine versuchte ein Herr Zeller aus Pforzheim für 200 Reichsmark an den<br />
Mann zu bringen. Bruckner komponierte seine 4. Symphonie, Strauss die Fledermaus und<br />
Storm schrieb seinen Pole Poppenspäler. Im Vorgriff auf einen gewissen Herrn zu Guttenberg<br />
verspricht bereits damals eine Annonce einen „doctor in absentia“ mit „Discretion“ zu<br />
vermitteln.<br />
UrWilhelm strebte allerdings keineswegs nach einem bequemen „doctor in absentia“. Im Gegenteil,<br />
er wählte den harten und oftmals auch im wahrsten Sinn des Wortes körperlich<br />
schmerzhaften Weg. Vorzeitig verließ er die Schule und begann mit 13, im Jahr seiner
- 16 -<br />
Konfirmation, eine Lehre beim fast 20 Jahre älteren Bruder Alwin, um ebenfalls Geigenbauer<br />
zu werden. Der leichtere Weg<br />
wäre es sicher gewesen, bei<br />
einem seiner nicht gar so<br />
drakonisch gearteten Brüdern<br />
das Gitarren- oder Zitherbauhandwerk<br />
zu lernen.<br />
zwar sehr erfolgreich, wie sich schon bald zeigen sollte.<br />
Aber UrWilhelm hatten es die<br />
Geigen angetan. Das Verhältnis<br />
zwischen dem ältesten<br />
Bruder und dem Benjamin<br />
muss verheerend gewesen<br />
sein. UrWilhelm fühlte sich<br />
wohl meist als Aschenputtel,<br />
schaffte es aber trotz der<br />
Widrigkeiten, das Geigenbauhandwerk<br />
zu lernen – und<br />
Zunächst absolvierte er allerdings noch Gesellenjahre beim Geigenbauer Hans Jaeger und der<br />
Firma Todt in Markneukirchen.<br />
Wanderjahre<br />
Eine Woche nach seinem 18. Geburtstag zeigte UrWilhelm endlich, was in ihm steckte :<br />
Als erster der Familie<br />
verließ er Sachsen und<br />
das Vogtland, bestieg in<br />
Adorf den Zug nach<br />
München und verdingte<br />
sich beim Italiener Giuseppe<br />
Fiorini, dem damals<br />
besten Geigenbaumeister<br />
in Deutschland.<br />
Der erst 31 Jahre alte<br />
Fiorini hatte nach Lehre<br />
bei seinem Vater Raffaele<br />
und einem Jahrzehnt Tätigkeit<br />
in Bologna drei<br />
Jahre zuvor mit seinem<br />
Schwiegervater die Firma „Rieger und Fiorini” in der bayerischen Hauptstadt gegründet. Er<br />
gehörte 1904 zu den Gründern des Verbandes Deutscher Geigenbauer. Fiorini baute nur wenige<br />
Bratschen und Celli aber über 500 Geigen, meist im Stradivari-<br />
Stil. Seine Instrumente aus der damaligen Zeit werden heute mit ca.<br />
40.000 Euro gehandelt. Wer genau hin schaut erkennt einige prägende<br />
Einflüsse Fiorinis auch heute noch bei den Modellen der<br />
Brückner Dynastie, wenngleich Fiorini die länger gestreckten Modelle<br />
bevorzugte.<br />
Giuseppe Fiorini
- 17 -<br />
Wilhelm Brückners Aufenthalt in der damals 400.000 Einwohner<br />
zählenden drittgrößten Stadt Deutschlands nach Berlin und Hamburg<br />
bedeutete den Eintritt in eine ganz neue Dimension. München erlebte<br />
damals einen gewaltigen wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung.<br />
Die Münchner Secession mit Liebermann, Corinth und<br />
andern prominenten Künstlern rebellierte gegen den „tyrannischen<br />
Einfluss des Malerfürsten" Franz von Lenbach. Die Vereinigten<br />
Werkstätten für Kunst im Handwerk, eng verbunden mit der Bauhausbewegung,<br />
befanden sich in Gründung. Der Vorzeigeabsolvent<br />
der Technischen Hochschule München, Rudolf Diesel, hatte bereits<br />
seinen Motor patentieren lassen, erste Automobile tuckerten durch<br />
die Stadt. München lebte und pulsierte.<br />
Für unseren UrWilhelm müssen diese Erlebnisse ungeheuer beeindruckend gewesen sein.<br />
Einerseits musste sich der junge Sachse in der urbayerischen Umgebung behaupten, Heimweh<br />
aushalten und seine Provinzialität überwinden, andererseits bekam er ungeahnte Möglichkeiten,<br />
seinen Horizont zu erweitern, Auge und Ohr zu schulen. Erstmals kam er mit qualitativ<br />
hochwertigen Instrumenten in Berührung, die zur Reparatur, vor allem aber zum Verkauf<br />
angeliefert wurden. Fiorini hatte sich schon früh auch auf den Handel mit wertvollen alten<br />
Instrumenten spezialisiert. In späteren Jahren gelang es ihm sogar, die nach heutigen Maßstäben<br />
unbezahlbare Stradivarisammlung des Grafen Cozio di Salabue mit etlichen Violinen und<br />
vor allem Handschriften, Lackrezepten etc. für 100.000 Lire zu erwerben. UrWilhelm lernte<br />
zu vergleichen, zu differenzieren, den kleinsten Abweichungen entscheidende Bedeutungen<br />
beizumessen. Er kam mit gebildeten und gutsituierten Kunden zusammen, die mit jenen Musikern<br />
und Händlern, die er in der Heimat kennen gelernt hatte, kaum noch etwas gemein<br />
hatten. Aus einem talentierten, aber völlig unausgereiften Geigenbauer, wie er in Markneukirchen<br />
dutzendweise anzutreffen war, entwickelte sich in diesem an- und erregenden fachlichen<br />
und kulturellen Umfeld ein handwerklich nahezu perfekter Meister seines Faches, der<br />
nicht nur auf sein fachliches Können stolz sein konnte, sondern auch bewiesen hatte, dass er<br />
sich flexibel und mutig neuen Herausforderungen stellen konnte. Dies erkannte auch Fiorini,<br />
der ihn schon bald seinen anderen Gesellen vorzog und sich in späteren Jahren für die Aufnahme<br />
seines früheren Mitarbeiters in den elitären Deutschen Geigenbauerverband stark<br />
machte, obgleich UrWilhelm niemals die formalen Meisterweihen erlangt hatte, was damals<br />
aber nicht ungewöhnlich war.<br />
Trotz der engen und fruchtbaren Beziehung zu Fiorini musste der<br />
nunmehr gereifte UrWilhelm München schon nach drei Jahren wieder<br />
verlassen, weil ihn die Militärverwaltung in seiner Heimatstadt<br />
zur Musterung bestellt hatte. Der „Ehrendienst in der Schule der Nation“<br />
blieb ihm dann jedoch überraschend vorenthalten, da er aufgrund<br />
gesundheitlicher Vorbehalte ausgemustert wurde. Also suchte<br />
er sich wieder eine neue Station, um seine Kenntnisse zu vervollständigen.<br />
Diesmal folgte er dem Markneukirchener Geigenbauer<br />
August Paulus nach Dresden, der es kurz zuvor übernommen hatte,<br />
in eigener Werkstatt zusammen mit seinem Cousin Reinhold Paulus<br />
Modellvorgaben von Dr. Alfred Stelzner zu realisieren.<br />
Schon damals versuchte man den Geigenbau auch wissenschaftlich zu untermauern. Was<br />
nicht heißt, dass die Väter des Geigenbaues nicht ebenfalls methodisch und wissenschaftlich<br />
gearbeitet hätten. Aber während die großen Meister der Geigenbaukunst ihre Instrumente<br />
durch empirische Versuche weiter entwickelten und vervollkommneten, begann man nun ein<br />
theoretisches Geflecht physikalischer Gesetzmäßigkeiten um die Instrumente zu legen, um sie<br />
den wirklichen oder vermeintlichen Bedürfnissen des menschlichen Ohres und des musikalisch-handwerklichen<br />
Könnens anzupassen.
- 18 -<br />
Dr. Stelzner war einer der ersten Akustiker, der auf eine deduktive<br />
Weise versuchte, sich den alten Meistern wissenschaftlich<br />
zu nähern. Aufbauen konnte er auf Lord<br />
Rayleighs 1877 erschienene „Theory of Sounds“ Unter<br />
anderem propagierte er gebogene,<br />
also gespannte Decken 5 ,<br />
und erhob eine durchgehende<br />
Konstruktion auf der Basis<br />
von Ellipsen zum Prinzip,<br />
welches er sich am 7. März<br />
1893 auch noch in den USA<br />
patentieren ließ. Stelzner erfand<br />
die Violotta, eine große,<br />
tief klingende Bratsche und<br />
die noch eine Oktave tiefer<br />
gestimmte Cellone, eine großes Cello. Zunächst war er mit seinen<br />
Modellen recht erfolgreich und schien ein begnadeter Vermarktungskünstler zu sein.<br />
So nahm sich z.B. die Dresdner Kunst 1896 seiner an:<br />
„Der bisherige Instrumentenbau beruhte einfach auf der Nachahmung berühmter Muster. Vor Allem<br />
waren es Stradivari's Instrumente, die als Modelle dienten. Eine wissenschaftlich begründete Theorie<br />
des Geigenbaues war bisher nicht vorhanden. Die Gesetze, die Stelzner erkannt und angewandt hat,<br />
waren seit Jahrhunderten in Wirksamkeit, aber ihr Walten und Wirken war dem Zufall überlassen, nur<br />
wenn dem Geigenbauer durch ein glückliches Ungefähr ein Geigenkörper so gelang, wie die Gesetze<br />
der Tonentstehung es fordern, konnten sie sich in ihrer Kraft offenbaren. Dr. Stelzner hat das unschätzbare<br />
Verdienst, den Geigenbau von solch' unwürdigem Zufallsspiel befreit und ihm eine sichere<br />
Richtschnur gegeben zu haben.“<br />
Aus einer Abhandlung in der „Dresdner Kunst" Nr. 13, 1896/97<br />
Stelzner musste allerdings Anfang des 20. Jahrhunderts Konkurs anmelden. Stelzners Violotta<br />
UrWilhelm war wohl Realist genug, um schon bald zu erkennen, dass Stelzners Weg in eine<br />
Sackgasse führen würde. Er half zwar beim Bau der Stelzner Modelle und beim Experimentieren,<br />
und machte sich mit den Prinzipien der Akustik, alternativen Denkrichtungen, Modellen<br />
und Produktionsmethoden vertraut, vor allem aber nutzte er seinen Aufenthalt in Dresden,<br />
um sich nebenbei auch noch beim Bogenbauer Johann Wilhelm Knopf, einer der ganz Großen<br />
seines Fachs und seiner Zeit, zum Bogenbauer ausbilden zu lassen. Knopf Bögen sind auch<br />
heute noch sehr begehrt und mit ca. 7.000 Euro durchaus im obersten Preissegment.<br />
Aus heutiger wie damaliger Sicht hatte UrWilhelm nunmehr eine<br />
grundsolide Ausbildung. Insbesondere hatte er sich aus der Enge seiner<br />
Herkunft befreit und emanzipiert. Eine Rückkehr in die geduckte und<br />
bedrückende Heimat des Vogtlandes war ihm nicht mehr möglich<br />
und auch nicht mehr nötig. Er hatte in den letzten Jahren gut<br />
verdient, sich einen Beutel der damals im Umlauf<br />
befindlichen goldenen 5-Mark-Goldstücke 6<br />
mit dem Portrait seines Namensvetters auf<br />
der Vorderseite zusammen gespart und war nunmehr<br />
bereit, sich eine eigene Existenz aufzubauen.<br />
5 100 Jahre später baute Udo Kretzschmann, ein früherer Mitarbeiter vom Enkel des UrWilhelms<br />
Modelle Dr. Stelzners nach, womit sich der Kreis wieder zu schließen beginnt.<br />
6 1 Goldmark ca. 50 Euro nach heutiger Kaufkraft
Standortsuche<br />
- 19 -<br />
Das Orchesterwesen in Deutschland befand sich Ende des 19. Jahrhunderts im Umbruch. Um<br />
sich einen stabilen Kundenstamm schaffen zu können, ohne gleichzeitig auf zu große Konkurrenz<br />
zu treffen, musste man Ausschau halten nach einer nicht allzu großen Stadt mit gefestigter<br />
Orchesterlandschaft.<br />
In Dresden hatte UrWilhelm die Probleme kennen gelernt, die sich mit der Auflösung bzw.<br />
Umwandlung der Stadtpfeifertraditionen für die Musiker und damit indirekt auch für die Instrumentenbauer<br />
ergeben hatte. Der letzte Stadtmusikdirektor hatte 1872 wegen zu geringer<br />
Bezahlung gekündigt. Die Zunftbindung spielte für die städtische Musik schon länger keine<br />
Rolle mehr. Auch das Privileg, dass bei Hochzeiten und "öffentlichen Ausrichtungen" im<br />
Dresdner Gerichtsbezirk nur die Stadtpfeifer engagiert werden durften, war bereits 1843 entfallen.<br />
Der musikalisch-künstlerische Niedergang der Stadtpfeiferei hatte schon Endes des 17.<br />
Jahrhunderts begonnen und war u.a. auch mit der Entwicklung der Suite verbunden. Aus dem<br />
choralen Aufbau, wo die Sangesstimmen nach Bedarf durch ein Instrument ersetzt werden<br />
konnte, wurden differenziertere Kammersuiten, das Cembalo entwickelte sich zum Continuoinstrument,<br />
dem vermehrt Streichinstrumente zugefügt wurden, was auch dem Geigenbau<br />
großen Aufschwung brachte.<br />
Bewerber um eine Stadtpfeiferstelle mussten ihre Fähigkeiten auf etlichen Instrumenten beweisen:<br />
„Auff Euren Hochedlen und großherzigen Raths Verordnung hat der bißherige Stadtpfeifergeselle<br />
Carl Friedrich Pfaffe in Gegenwart derer andren Stadt Musicorum seine verlangte Probe abgelegt.<br />
Da sich denn befunden, daß er auf jedem Instrumente, so von denen Stadt Pfeiffern<br />
pfleget gebrauchet zu werden, als Violine, Hautbois, Flute Traverse, Posaune, Waldhorn und übrigen<br />
Bass Instrumenten, sich mit Beyfall aller Anwesenden gantz wohl habe hören laßen, und zu<br />
der gesuchten Adjunctur geschickt befunden worden.“<br />
Johann Sebastian Bach, Leipzig, 24. July 1745<br />
In Konkurrenz mit Hofkapellen, Liebhaberorchestern, Militärmusik und den ersten bürgerlichen<br />
Berufsorchestern hatten die Stadtpfeifer dramatisch an Bedeutung verloren. Zwar hielt<br />
sich die Stadtpfeifer-Ausbildung in einigen Städten noch lange, der Ruf der Stadtpfeifereien<br />
wurde bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts allerdings vor allem auch durch sogenannte<br />
Lehrlingsorchester beschädigt, die unter dem nun nicht mehr geschützten Namen der Stadtpfeifer<br />
kommerziell eine schlechte Ausbildung von Instrumentalisten anboten. Es begann ein<br />
heftiger, oft existenzieller Konkurrenzkampf. Die mit regulärem Sold ausgestatteten Musiker<br />
der Militärkapellen auf der einen Seite und die Lehrlingsorchester auf der anderen, von denen<br />
es in größeren Städten gleich mehrere gab, konnten ihre Dienste zu Dumpingpreisen anbieten.<br />
Das wirkte sich auch auf die Instrumentenhersteller<br />
aus, die ihre Instrumente<br />
zu immer ausbeuterischen<br />
Konditionen herstellen mussten. Einigermaßen<br />
typisch ist der nebenstehende<br />
Bericht eines Schülers. Immerhin<br />
waren die Geigen so billig geworden,<br />
dass es sich sein Lehrherr leisten<br />
konnte, im Zorn fünf davon auf dem<br />
Kopf seines Lehrlings zu zerschlagen.<br />
Zum Glück fand nach Gründung diverser Verbände 7 und energischer Gegenwehr das<br />
Lehrlingsorchesterunwesen bald ein Ende. Die Orchesterlandschafts stabilisierte sich.<br />
Eine schon weitgehend stabile Situation fand UrWilhelm 1897in Erfurt vor.<br />
7 u.a. der Allgemeine Deutsche Musiker-Verband und der Zentralverband der Zivilmusiker Deutschlands
- 20 -<br />
Gründung der Brückner-Werkstatt in Erfurt<br />
UrWilhelm hatte recht geschickt das Umfeld sondiert und sich für Erfurt als Standort für seine<br />
Werkstatt entschieden, weil er festgestellt hatte, dass Erfurt über eine gewachsene Musiktradition<br />
verfügte und mit einem Theaterorchester und drei Militärkapellen 8 überproportional gut<br />
ausgestattet war. Im 17. und 18. Jahrhundert wirkten in Erfurt zahlreiche Mitglieder der Familie<br />
Bach, die seit den 1630er Jahren über ein ganzes Jahrhundert das musikalische Leben<br />
der Stadt derart beherrschten, dass noch 1793 alle Erfurter Stadtpfeifer „Bache“ genannt wurden,<br />
obwohl damals längst kein Musiker dieses Namens mehr in Erfurt lebte. Von 1678 bis<br />
1690 war Johann Pachelbel als Organist an der Predigerkirche angestellt. Zudem verfügte<br />
Erfurt über zwei konkurrierende schon 1819 (Sollerscher Musikverein) und 1826 (Erfurter<br />
Musikverein) gegründete rege Musikvereine mit insgesamt über 1.000 Mitgliedern. Als professionelles<br />
Unternehmen war 1894 das Erfurter Orchester im Zusammenhang mit der Einrichtung<br />
eines ständigen und selbstständig wirtschaftenden Dreispartentheaters, dem „Stadttheater“,<br />
in Erfurt gegründet worden. Zwei Jahre zuvor hatte die Stadt das 1877 zunächst als<br />
privates Gastspieltheater betriebene Erfurter Opernhaus übernommen und als Musiktheater<br />
mit 1.025 Plätzen umgebaut. Erfurt war eine aufstrebende preußische Exklave mit 80.000<br />
Einwohnern. Binnen 30 Jahren hatte sich die Bevölkerungszahl verdoppelt und wuchs dynamisch<br />
weiter. Erfurt hatte damals mehr als 20 Millionäre. Rund 10 Prozent der Stadtbevölkerung<br />
verfügen über ein Jahreseinkommen von über 3.000 Mark und zählten damit zum mittleren-<br />
bzw. Großbürgertum.<br />
Fachlich war UrWilhelm bestens auf eine Selbstständigkeit vorbereitet. Er war in München<br />
und Dresden ein wirklicher Meister, ja Künstler seines Faches geworden. Bisher hatte er sich<br />
aber noch nie selbst mit Werbung oder gar Buchhaltung beschäftigen müssen. Offensive<br />
Kommunikation war nicht so sein Ding. Auch die verkürzte Schulbildung forderte ihren Tribut.<br />
Das Schreiben fiel ihm schwer. In eleganterer oder auch nur bürgerlicher Gesellschaft<br />
bewegte er sich immer noch etwas linkisch und schüchtern zurückhaltend. Eine weltmännische<br />
Souveränität, die er bei Fiorini und Stelzner erlebt hatte und die es Geschäftsleuten<br />
leichter macht, Kontakte in ein zahlungskräftiges Klientel hinein zu knüpfen, hatte er nun<br />
wirklich nicht mit der Muttermilch eingesogen. Intrigen der alteingesessenen Kollegen hatte<br />
er nichts Entsprechendes entgegen zu setzen.<br />
UrWilhelm musste sich allein auf sein immenses fachliches Können, seinen Fleiß, seine ehrliche<br />
Haut und eine typisch vogtländische Findigkeit verlassen. Auch eine schon in jungen Jahren<br />
neben dem Elternhaus auf dem Oberen Berg in der Gaststätte "Heiterer Blick“ erworbene<br />
und wohl in München vervollkommnete Trinkfestigkeit sollte sich für die Anbahnung von<br />
Geschäftskontakten als förderlich erweisen.<br />
Johannesstraße 16 (heutige Ansicht)<br />
Zunächst bezog er Quartier im Hinterhaus<br />
der Johannesstraße 16, einem historischen<br />
Anwesen aus dem 17. Jahrhundert, welches<br />
im Jahr 1638 erstmals als „Haus zum<br />
Jägerroß" Erwähnung fand. Die Johannesstraße<br />
beherbergte damals vornehmlich<br />
Handwerker, Kaufleute und kleine Beamte.<br />
Die beste Wohnlage war direkt hinter der Kaufmannskirche am Anger. Je weiter man sich die<br />
lange Johannesstraße zum Stadtrand hin bewegte, desto weniger attraktiv gestaltete sich allerdings<br />
das Wohnumfeld.<br />
8 Der 38. Infanterie Division in Erfurt unterstanden: 76. und 83. Infanterie Brigade Erfurt; 38. Kavallerie Brigade Erfurt;<br />
38. Feldartillerie Brigade Erfurt; Thüringer Feldartillerie Regiment Nr. 19; Landwehr-Inspektion Erfurt
- 21 -<br />
Die Lage der Orchestermusiker in Deutschland mit besonderer Berücksichtigung der Musikgeschäfte um 1900<br />
Auszüge aus einer Inaugural-Dissertation zur Erlangung der akademischen Doktorwürde<br />
der Hohen Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg - vorgelegt von Heinrich Waltz im Dezember 1905.<br />
Wie sich die Stadtpfeifereien in neuerer Zeit ausgestalteten, dafür bietet die Entwicklung der Orchesterverhältnisse in<br />
Chemnitz ein gutes Beispiel. Das Institut der Stadtpfeifer war hier schon 1832 abgeschafft worden, weil die damals<br />
noch vorhandenen 3 Stadtpfeifer mit 6 Gesellen den Bedürfnissen der Stadt nicht mehr gerecht werden könnten, und<br />
sämtliche Rechte und Pflichten der bisherigen Stadtpfeifer waren an einen einzigen Stadtmusikdirektor übertragen<br />
worden. Dieser hatte darnach das ausschließliche Recht, innerhalb des Stadtbezirks Musik entweder selbst zu besorgen<br />
oder die Besorgung durch andere zu gestatten; 2. das Recht, Gesellen und Lehrlinge halten zu dürfen; 3. die Befugnis,<br />
sich das Korps selbst zu wählen; 4. den Genuß sämtlicher fixer Emolumente, die bisher die 3 Stadtpfeifer<br />
genossen; 5. die Gerechtsame des jährlichen Neujahrsumganges. Seit 1853 erhielt der Musikdirektor eine Konkurrentin<br />
in der Militär-Kapelle (denn seit dem 1853 war es den Militär-Kapellen in Sachsen gestattet, Konzertmusik<br />
unbeschränkt, Tanzmusik in Privathäusem, bei Militärbällen und in geschlossenen Gesellschaften zu machen, so daß<br />
die Stadt ihm 1854 für die entrissenen Vorrechte eine jährliche Entschädigung von 200 Talern gewährte. Gleichzeitig<br />
wurde das Recht des Neujahrsumganges für weitere 100 Taler abgelöst.<br />
Auf dem Gewerbekammertage zu Eisenach im Oktober 1893 erklärte der Vertreter des preußischen Handelsministers<br />
Geh. Ober- Reg.-Rat Dr. Sieffert: »Sowohl in Berlin als auch in vielen Provinzstädten gibt es Musikbanden, die aus<br />
einem sog. Musikdirektor und einigen 20 halbwüchsigen Jungen bestehen. Diese armen Burschen müssen bei Tag<br />
üben oder häusliche Arbeiten verrichten und des Abends von 7 Uhr ab oft bis in den hellen Morgen hinein in Lokalen<br />
von bisweilen sehr zweifelhaftem Rufe ihre musikalischen Künste vortragen. Es ist das eine Ausbeutung der jugendlichen<br />
Kräfte, die unmöglich länger geduldet werden kann' und die die schlimmsten Gefahren sowohl für die Sittlichkeit<br />
als auch für die körperliche Entwicklung dieser jungen Leute besorgen läßt.<br />
Über eine Lehrlingskapelle von 20 - 25 Lehrlingen und 2 - 3 Gehilfen schreibt z. B. ein Musiker aus seiner Lehrlingszeit:<br />
»Im November 1899 war großer Umzug nach Erfurt; dort schliefen wir alle in einem Zimmer. Einen Ofen gab es<br />
nicht. Im November gegen Totensonntag bekam ich die Masern. Bis zu Ende derselben mußt ich in diesem kalten<br />
Zimmer bei allen Lehrlingen bleiben.«<br />
In Erfurt ist es vorgekommen, daß ein Musiker, der während des Winters im »Tristan« und den »Nibelungen« mitwirkt,<br />
im Sommer, um Brot für die Familie zu schaffen, beinahe 3 Monate Dienst mit Hacke und Schaufel als Streckenarbeiter<br />
bei der Eisenbahn hat tun müssen!<br />
Auch in Erfurt, Würzburg usw. ist von den Zivilmusikern das gänzliche Verbot des gewerbsmäßigen Musizierens für<br />
Beamte durchgesetzt worden, während in anderen Städten das Petitionieren bis heute ohne jeden Erfolg blieb.<br />
Seit dem Aufblühen des Vereinswesens hat das Musikleben ebenfalls einen Aufschwung genommen. Heute wütet<br />
erbitterter Kampf auf der ganzen Linie. Laut ertönt Ende 1904 »ein Notschrei der Deutschen Zivilmusiker« über die<br />
zermalmende Wucht der Militär-Konkurrenz, die sie brotlos macht.<br />
In Danzig sind während des Sommers sämtliche Lokale durch Militärmusiker besetzt, so daß die Mitglieder des Stadttheater-Orchesters<br />
gezwungen sind, sich ihr Brot außerhalb Danzigs zu suchen. Dasselbe wird von Augsburg und<br />
Erfurt berichtet.<br />
Es gibt heute weit mehr Musiker, als gebraucht werden. Mit der Präsenzstärke des Heeres ist die Zahl der Militär-<br />
Kapellen gestiegen, sie hat sich im Laufe der letzten 25 Jahre fast verdoppelt. Die Masse der sonstigen Konkurrenten<br />
ist gleichfalls erheblich gewachsen. — Beides macht sich dem Zivil-Musiker umso fühlbarer, als eine weitgehende<br />
Überfüllung des Berufes selbst eingetreten ist.<br />
Im Jahre 1887/88 war die Zahl der Militärmusiker um etwa 4.400 Mann (=75 % der im Statistischen Jahrbuch für<br />
das Deutsche Reich ausgewiesenen Gesamtzunahme von 5.830 Mann, worunter auch Trommler, Pfeifer und Hornisten<br />
sind) vermehrt worden.<br />
Die gewerbliche Tätigkeit der Militärkapellen ist eine in ihrer Art einzig dastehende Erscheinung, Wo tritt der Staat<br />
sonst noch in solcher Weise als Konkurrent von Gewerbetreibenden auf? Es gibt Ökonomie-Handwerker, aber diese<br />
arbeiten nur für den eigenen Bedarf der Heeresverwaltung, und ihre Zahl ist im Vergleich zur Zahl der sonstigen<br />
Handwerker verschwindend klein (7.675 nach dem Heeresetat für 1904, die sich auf etwa 12 verschiedene Handwerke<br />
verteilen). Es wird ferner viel geklagt über die Gefängnis-Konkurrenz, aber von welch relativ geringer Bedeutung<br />
ist sie gegenüber der Militär-Musiker-Konkurrenz? Wo der Staat mit 18.000 Mann einem Gewerbe von etwa 50.000<br />
Hauptberufstätigen den Erwerb wegzukapern sucht?<br />
Das Präsidium des A.D.M.V. (Allgemeiner Deutscher Musiker- Verband) schätzt die Zahl der heute in Deutschland<br />
vorhandenen Zivilorchestermusiker in einer runden Summe auf 50.000, von denen sich nur ca. 6.000 zeitweilig und<br />
ca. 2.000 dauernd in Engagement befinden sollen. In Berücksichtigung der früher mitgeteilten Schätzung, nach der<br />
wir 1905 die Zahl der männlichen Musiker, Schauspieler und Artisten zusammen auf etwa 65.600 anzunehmen<br />
hätten, erscheint mir die Zahl 50.000 zwar etwas sehr hoch gegriffen zu sein, bei dem absoluten Mangel einer genauen<br />
Statistik ist es aber natürlich nicht möglich, eine auf größere Glaubwürdigkeit Anspruch machende Schätzung<br />
hier anzuführen.<br />
Das weibliche Geschlecht ist unter den Orchestermusikern heute noch verhältnismäßig schwach vertreten. Unter den<br />
Ansässigen gibt es nur sehr wenige Frauen. Man findet sie in der Regel nur in Konzert- und Theaterkapellen meist als<br />
Harfenistinnen, Violinistinnen oder Cellistinnen. Dagegen ist die Zahl der reisenden Damenkapellen eine recht erhebliche.<br />
Eine Statistik des Herrn Vizepräsidenten Stempel des A.D.M.V., die er aus den im »Artist« vorhandenen Adressen<br />
gewonnen hat, ergab, daß in Deutschland über 200 Damenkapellen herumreisen. Nach der durchschnittlichen Zusammensetzung<br />
derselben zu urteilen, darf man demnach die Zahl der weiblichen Orchestermusiker vielleicht auf<br />
etwa 1.000—1.200 annehmen. Dem A.D.M.V. gehören nur ca. 100 Damen an.
- 22 -<br />
Fleiß und Qualitätsarbeit nutzten<br />
UrWilhelm zu Beginn seiner<br />
Selbständigkeit in Erfurt vorerst<br />
wenig. Lange hing es am seidenen<br />
Faden, ob er sich wirklich würde<br />
etablieren können. Zunächst saß<br />
er nur in seiner Werkstatt und<br />
wartete vergeblich auf Kunden.<br />
Die ersparten Goldstücke<br />
zerrannen ihm unter den Fingern.<br />
Fast wollte er aufgeben. Letztlich<br />
waren es dann nicht in erster Linie seine exzellente Ausbildung und Handwerkskunst als<br />
Geigen- und Bogenbauer, die ihm das Bleiben und Fortkommen in Erfurt ermöglichten,<br />
sondern in frühster Kindheit erworbene, sozusagen mit der Muttermilch eingesogene Kernkompetenzen<br />
und sein vogtländisch zähes Naturell, die ihm über die Durststrecke hinweg halfen:<br />
Neben seiner Werk- und Wohnstatt befand sich, wie er es von Kindheit auf gewohnt war eine<br />
Gaststätte, die er trinkfest und keineswegs maulfaul regelmäßig frequentierte. Dort freundete<br />
er sich mit Droschkenkutscher Schröder aus der Gotthardtstraße 22 an, der sozusagen als Taxifahrer<br />
Kontakt mit vielen auch einflussreichen Menschen hatte, und er lernte den Militär-<br />
Apotheker aus der schräg gegenübergelegenen Johannesstraße 185 kennen. Diese und andere<br />
Menschen aus der Nachbarschaft vermittelten ihm Aufträge, wobei sein allererster Auftrag<br />
nicht etwa das Metier betraf, welches er am besten beherrschte, sondern eine Gitarre war ihm<br />
zur Reparatur übergeben worden. Hier kam ihm die Kindheit in der Werkstatt seines Gitarren<br />
bauenden Vaters zu Gute. Er reparierte das Instrument so exzellent, dass man sich nun auch<br />
mit Streichinstrumenten in seine Werkstatt traute. Ein erster Durchbruch war geschafft.<br />
UrWilhelm konnte schon bald das<br />
Hinterhaus in der Johannesstraße<br />
verlassen und übernahm, begleitet<br />
von Klara, die ihm inzwischen zur<br />
Seite stand, auf der Krämerbrücke<br />
die Ladenwerkstatt des Juweliers<br />
und Goldarbeiters Enigk. Das „Haus<br />
zum Halben Mond“ firmiert heute<br />
unter der profanen Adresse:<br />
Krämerbrücke 29<br />
Inzwischen hatte man auch über die<br />
Grenzen Erfurts und Thüringens hinaus<br />
die Qualität der Arbeit des jungen<br />
Geigenbauers kennen und schätzen<br />
gelernt. UrWilhelm sonnte sich auf<br />
einer ersten Welle des Erfolges.<br />
Blick von der Krämerbrücke 29 über die Gera<br />
auf die Barfüßerkirche
- 23 -<br />
Der junge Geigenbauer hatte die Schneiderin Lina Friederike (Klara) Schmidt beim Tanz im<br />
zwischen der Johannesstraße und der Krämerbrücke gelegenen Kaisersaal kennen und lieben<br />
gelernt. Im Kaisersaal hatten sich 1808 auch Kaiser Napoleon I. und Zar Alexander I. kennen<br />
aber wohl weniger erfolgreich lieben gelernt. Friederike war am 26. September 1872 in Sömmerda<br />
geboren worden. Ihre Mutter Magdalene, eine geborene Schröder, war als Gemüsehändlerin<br />
tätig. Mutter und Tochter wohnten im Dalbergsweg 22. Der Vater, ein Zimmermann,<br />
war schon bald nach der Hochzeit entschwunden. Gleichwohl müssen wohl auch von<br />
dort etliche Gene, die der Holzbearbeitung förderlich sind (allerdings in diesem Fall der etwas<br />
gröberen Natur) ins<br />
Erbgut eingeflossen<br />
sein.<br />
An einem Donnerstag,<br />
exakt am 29. Geburtstag<br />
seiner Liebsten,<br />
heiratete 1901<br />
Wilhelm seine Klara.<br />
Eine der selteneren<br />
Hochzeiten bei den<br />
Brückners, die nicht<br />
durch sich bereits ankündigendenNachwuchs<br />
forciert worden<br />
war. Im Gegenteil:<br />
Der lang ersehnte<br />
Stammhalter ließ<br />
sich noch fast sechs<br />
Jahre Zeit bis 1907.<br />
August Wilhelm Brückner ca. 1894 Lina Friderike (Klara) Schmidt ca. 1900<br />
Die zwei Jahre ältere und deutlich reifere Friderike stellte sich rasch als ein stabilisierendes<br />
Element heraus, ohne das UrWilhelm sein Talent nicht in gewinnbringende Bahnen hätte lenken<br />
können. Schon vor der Hochzeit hatte sie begonnen, seinen Junggesellenhaushalt etwas in<br />
Ordnung zu bringen. Sie sorgte dafür, dass er nicht mehr Geld ins Gasthaus trug als er verdiente,<br />
überbrückte mit ihrer Schneiderwerkstatt Notzeiten und übernahm tageweise seinen<br />
Laden, um ihm Gelegenheit zu geben, über Land zu ziehen. Damals fand man in Thüringer<br />
Dörfern nicht selten noch gute alte Instrumente. UrWilhelms besonders bei Fiorini in München<br />
geschultes Auge entdeckte unter Staubschichten mitunter auch gute alte Italiener.<br />
Zum wirtschaftlichen Erfolg und zur glücklichen Partnerschaft gesellte sich 1907 endlich<br />
auch Söhnchen Alfred Ernst Konrad Brückner. Die Welt befand sich Anfang des 20ten Jahrhunderts<br />
im Umbruch, musste sich neu finden und definieren. An jenem 20. Februar 1907,<br />
einem Mittwoch, meldeten die Tageszeitungen unter anderem, dass der König von Preußen<br />
angekündigt habe, bei Majestätsbeleidigungen künftig von seinem Begnadigungsrecht häufiger<br />
Gebrauch zu machen, der konservative Graf Udo von Stoltenberg-Wernigerode wurde<br />
zum Präsidenten des Reichstages gewählt, Edisons Welttheater der lebenden Fotografie lockte<br />
die Menschen in die erste Kinos und Musikdirektor Maatz suchte „Söhne anständiger Eltern,<br />
welche Lust haben, die Musik zu erlernen“.
- 24 -<br />
Das gemütliche Domizil auf der Krämerbrücke war nunmehr zu klein geworden. Noch im<br />
gleichen Jahr wurde erneut umgezogen:<br />
Regierungsstraße 65<br />
(vormals „Haus zum Türsen“) lautete nunmehr<br />
die Adresse mit dem Garten zum alten Viti-<br />
Kirchhof. Damit war auch schon das Nachbarhaus<br />
zum heutigen Domizil bezogen worden,<br />
welches ebenfalls ca. 1650 erbaut wurde.<br />
Letztlich stand dem Glück der Brückners nichts<br />
mehr im Wege. Anlässlich der 4. Verbandstagung<br />
erfolgte am 1. August 1910 die Aufnahme Wilhelm<br />
Brückners in den illustren Verband Deutscher<br />
Geigenbauer e.V. im Berliner Künstlerhaus<br />
in der Bellevuestraße. Fiorini wird ihm den Weg<br />
dazu geebnet haben. Damit war UrWilhelm auch<br />
gesellschaftlich in einem Bereich angelangt, der<br />
Ansehen, Prestige, Ehre und Autorität versprach.<br />
Treffen des Verbandes Deutscher Geigenbauer 1912 in Mittenwald<br />
UrWilhelm oben links - Ausbildung in Mörfelden 1915<br />
Vervollkommnet wurde das Glück<br />
durch die Geburt von Tochter Helene<br />
am 31. Januar 1911.<br />
Erster Weltkrieg<br />
20 Jahre zuvor war UrWilhelm noch als untauglich<br />
ausgemustert worden. Diesmal wurde er nach kurzer<br />
Ausbildung an die Front geschickt. Ausgestattet mit<br />
der vogtländischen Chuzpe eines böhmischen<br />
Schwejk gelang es ihm, sich aus dem gröbsten<br />
Schlachtgetümmel heraus zu halten.<br />
Entlassungspapier<br />
vom 11.12.1918<br />
Seine schwerwiegendsten<br />
Blessuren im Felde waren ein Mückenstich, der<br />
sich entzündet hatte, und eine mehrwöchige Erkältung.<br />
Viel zu intelligent, um sich heldenhaft oder gar militaristisch<br />
in den Vordergrund zu schieben, gelang es ihm sogar,<br />
die zweite Hälfte des Krieges in der Gewehrfabrik in Erfurt<br />
Dienst zu tun. Aus der Gewehrfabrik ließ sich nebenbei<br />
auch das eine oder andere brauchbare Holzteil heraus<br />
schmuggeln, und abends kam er mitunter noch zum Geigenbau, womit sich der Soldatensold<br />
recht gut aufbessern ließ.
Erfurt 1910<br />
Weihnachten 1918 war bereits wieder relative<br />
Normalität ins Brücknerleben eingekehrt.<br />
Bitten anderer renommierter Geigenbauer,<br />
Arbeiten für sie zu übernehmen,<br />
musste UrWilhelm ablehnen, weil er schon<br />
selbst wieder genug Aufträge hatte, und bereits<br />
im Sommer 1919 hatte er so viel erspart,<br />
dass er beschloss, das Nachbarhaus,<br />
mit der Hausnummer 66 (vormals „Zum<br />
Rechen“) käuflich zu erwerben. Den Kaufpreis<br />
hätte er nahezu vollständig bar begleichen<br />
können, begnügte sich aber zunächst<br />
mit einem Drittel der 29.000 Mark. Ein Jahr<br />
später erfolgte der Umzug ins neu erworbene<br />
Domizil mit „Wasserspülabort“, welches<br />
bis dahin eine Seilerei, 250 Jahre zuvor aber<br />
z.B. auch schon Stadtmusikus Kaspar und<br />
wenig später den Rektor der Kaufmannsschule,<br />
Reichert, beherbergt hatte.<br />
Werkstätten der Geigenbaufirma<br />
Brückner in Erfurt seit 1897<br />
- 25 -<br />
Johannesstr. 16<br />
1897 bis 1901<br />
Krämerbrücke 29<br />
1901 bis 1907<br />
Regierungsstr. 65<br />
1907 bis 1920<br />
Krämerbrücke 29<br />
1901 bis 1907<br />
Regierungsstr. 66<br />
1920 bis heute<br />
Krämerbrücke 29<br />
Am 25.8.1920 wurde die<br />
Erlaubnis 1901 bis zur 1907<br />
Anbringung<br />
eines Firmenschildes am<br />
Haus Regierungsstraße 66<br />
beantragt, welches sich<br />
heute noch an gleicher<br />
Stelle befindet.<br />
Erfurt 2012
Zwischen den Kriegen<br />
- 26 -<br />
Obgleich der Krieg überstanden war, und dank der Investition in die Immobilie auch die Wirtschaftskrise<br />
mit ihrer Hyperinflation von den Brückners noch einigermaßen abgefedert werden<br />
konnte, begann der glückliche Stern, der UrWilhelm bislang begleitet hatte, zu verblassen.<br />
Gesundheitliche Probleme mit den auch damals schon nicht seltenen Fehldiagnosen und<br />
Fehlbehandlungen einiger Ärzte, eigene Fehlentscheidungen während der Wirtschaftskrise<br />
1923, die dazu führten, dass er wertvolle Instrumente im wahrsten Sinne für „nen Appel und<br />
nen Ei“ weggab, und Spätfolgen seines zeitweise doch sehr intensiven Alkoholgenusses<br />
machten das Leben und Arbeiten zunehmend beschwerlich. Zwar leuchtete der Glücksstern<br />
noch einmal kurz auf, als das Brücknerhaus vom Feuer verschont wurde, während der Rest<br />
der Häuserzeile nahezu vollständig abbrannte. Auch konnte sich UrWilhelm wirtschaftlich<br />
stabilisieren. Jährlich baute er ein halbes Dutzend Geigen, die er für 300 Mark verkaufen<br />
konnte, was damals ein recht stolzer Preis war. Oft wurden Ratenzahlungen vereinbart. Ein<br />
Großkunde war die Reichswehr in Meiningen. Seine nicht gerade spektakulären Kriegserlebnisse<br />
glaubte UrWilhelm überspielen zu müssen, indem es ihm gelang, diverse Ehren- und<br />
Kriegsdenkmünzen über die Reservistenverbände einzuheimsen.<br />
Aber die nun beginnende Zeit war nicht mehr die seine.<br />
Die unbeschwerten Jahre waren endgültig vorbei. Arztrechnungen<br />
häuften sich, der 55jährige wurde immer<br />
dünner. Er baute noch eine besonders schöne Stradivari-Geigenkopie,<br />
die er seinem Sohn widmete, renovierte<br />
das Haus, ein letzter Besuch in Markneukirchen<br />
schloss den Kreis zur Kindheit, die Ärzte sagten, man<br />
müsse sich überhaupt keine Sorgen machen; – am 5.<br />
Oktober 1929 starb UrWilhelm.<br />
Alfred Ernst Konrad Brückner<br />
Alfred übernahm das Staffelholz vom Firmengründer. Anders als der<br />
Vater war er schlecht auf das Leben vorbereitet. Er wählte oft die dünneren<br />
Bretter, sympathisierte mit den aufziehenden Nazis. Die Gesichtszüge<br />
zeugen beim Tod des Vaters noch von einer gewissen<br />
Weichheit. Vater und Mutter hatten offenbar die eigene Lebenskraft<br />
und neugierige Leichtigkeit nicht auf ihn übertragen können. Dies<br />
kommt erst wieder bei ihrem Enkel Wilhelm zum Ausbruch.<br />
Wilhelm Brückner Viola<br />
ca. 1918<br />
UrWilhelm hatte ab 1922 seinen Sohn Konrad noch zum Geigenbauer<br />
ausgebildet. Strenge und Ungeduld des Vaters verhinderten jedoch,<br />
dass Liebe und Leidenschaft des Vaters zum Handwerk auf den Sohn<br />
übersprangen. Alfred musizierte lieber auf den schon fertigen Instrumenten.<br />
Vater Wilhelm war es nicht gelungen, seinem Sohn jenes Selbstvertrauen und den<br />
Ehrgeiz einzuflößen, die zur Herstellung guter Instrumente gebraucht werden. Die Kassenbücher<br />
belegen, dass Alfred seinen Lebensunterhalt vorrangig mit dem Beziehen von Bögen und<br />
dem Zubehörhandel bestritt.<br />
Die Goldenen Zwanziger mit ihren gesellschaftlichen, zum Teil libertinären Umwälzungen<br />
und Vergnügungsmöglichkeiten zogen auch Konrad in ihren Bann. Bei der zu Wilhelm<br />
Buschs Zeiten noch frommen Helene konnte man nunmehr beim Badengehen runde und<br />
schöne Waden sehen, und nicht nur am Berliner Wannsee, sondern auch in der Provinz spross<br />
ungeniert der Spargel. Mann wie Frau schienen „von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“, und
- 27 -<br />
Anfang der 30er Jahre purzelten kleine grüne Kakteen vom Balkon. Die wenigsten Menschen<br />
ahnten, dass schon bald aus Liebe Hass würde und es statt Kakteen Bomben regnen sollte.<br />
Jazz und Charleston, Swing und Blues begeisterten die Jugend, und Konrad spielte regelmäßig<br />
als Stehgeiger in Tanzkapellen auf. So verstärkte er unter anderem auch die Tanzkapelle<br />
Hamberger in Markneukirchen. Bei dieser Gelegenheit freundete er sich mit seiner Cousine<br />
Elsa an, der am 19.4.1908 geborenen Tochter seines Onkels Konrad Brückner, der als Gitarrenmacher<br />
in Markneukirchen lebte. In der Silvesternacht 1931/32 kamen sich Cousine und<br />
Cousin näher, was bald schon einen sich deutlich rundenden Anlass für eine Heirat lieferte.<br />
Die Eheschließung erfolgt am 17. Mai 1932. Erneut verbanden sich die Gene und Wurzeln<br />
der Instrumentenbauer Brückner und Heberlein in nicht unvorteilhafter Weise.<br />
Wilhelm Brückner<br />
Auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise und bei einer Arbeitslosenquote in Deutschland<br />
von fast 44 Prozent erblickte Wilhelm Konrad am 30. September 1932, einem Freitag, das<br />
Licht einer sich verdüsternden Welt. Vor dem Fenster ging ein Gewitterregen nieder, unter<br />
der Krämerbrücke schwoll die Gera an. Im Nachbarort Wandersleben wurde ein 57jähriger<br />
Schäfer samt Herde und Hund vom Blitz erschlagen, schwere Unwetter überspülten die Rivera,<br />
Griechenland wurde von Erdbeben heimgesucht, und deutlich zu vernehmen war auch<br />
schon das Donnergrollen des heraufziehenden zweiten Weltkrieges:<br />
Unter der Sitzungsleitung der Kommunistin Klara Zetkin war der Nationalsozialist Hermann<br />
Göring kurz zuvor zum Reichstagspräsidenten gewählt worden, die volle Machtergreifung der<br />
Nationalsozialisten erfolgte wenige Monate später. Am Vorabend jenes 30. September reiste<br />
auf Anweisung des Reichskanzlers v. Papen Außenminister Freiherr von Neurath von der<br />
Konferenz des Völkerbundes in Genf ab. Der Versuch des Deutschen Reiches, nach Versailles<br />
wieder Gleichberechtigung in der Rüstung zu erreichen sei gescheitert, Frankreich trage<br />
dafür die volle Verantwortung. Karl Radek warnte an jenem Freitag in der Iswestia: „Selbst<br />
ein Blinder sieht nun, wie recht die russischen Abgeordneten auf der Abrüstungskonferenz<br />
hatten, wenn sie erklärten, alle Mächte müssten abrüsten, sonst sei ein neuer Krieg unvermeidlich.“<br />
Und der englische Delegierte in Genf, Lord Cecil mahnte zur Vernunft: „Wenn<br />
Frankreich und Deutschland im Geiste der Völkerbundsatzung ihre Streitigkeiten beilegen<br />
würden, würden damit 75 % der Unrast der Welt eine Ende nehmen.“<br />
Der Reichskanzler verdiente monatlich 2.500 Mark, ein Kohlenarbeiter schuftete für 136<br />
Mark, und eine vierköpfige Arbeitslosenfamilie erhielt 69,60 Mark. Ein Pfund Margarine<br />
kostete 29 Pfennig, weiße Bohnen 15 Pfennig, was für eine gebürtige Puffbohne, wie die Erfurter<br />
genannt werden, nicht ganz unwichtig ist. In<br />
Schwarzenberg wurden 39.000 Mark Lohngelder geraubt,<br />
aber beruhigt konnte die Zeitung vermelden: „Der Bank<br />
erwächst kein Verlust, da der Transport versichert war.“<br />
Na dann … war ja alles nicht so schlimm - und die<br />
Reichsregierung erklärt den Cäcilientag alljährlich zum<br />
„Tag der Hausmusik“. Barfüßerkirche vor der Zerstörung 1944<br />
In diese Wirren hinein schaute nun etwas verwundert der<br />
kleine Wilhelm. Getauft wurde er in der Barfüßerkirche,<br />
deren riesiges Kirchenschiff im Krieg zerbombt wurde und deren Ruine heute im Sommer für<br />
Shakespeares Lustspiele und Dramen bereit steht.<br />
Leicht würde Wilhelms Leben nicht werden.
Zweiter Weltkrieg<br />
- 28 -<br />
Wilhelms Vater Alfred hatte die vom UrWilhelm ererbte Werkstatt gleich nach dessen Tod<br />
übernommen, bislang aber nur wenige Instrumente gebaut und sich zunächst mehr dem fröhlichen<br />
Geigenspiel auf Tanzveranstaltungen gewidmet. Nun allerdings<br />
verlangten Frau und Kind ein solideres Lebensumfeld.<br />
Alfred begann sich an der väterlichen Werkbank mit Blick in die<br />
belebte Regierungsstraße intensiver den Reparaturen (2/3 des<br />
damaligen Umsatzes) und dem Handel zuzuwenden und beschloss<br />
schließlich, den Meisterbrief zu erwerben. Das Meisterstück<br />
war fast fertig, als Hitler-Deutschland in Polen einmarschierte<br />
und Alfred eingezogen wurde. 1798 hatten die Klingenthaler<br />
Geigenbauer als Künstler noch die Befreiung vom Militär<br />
erlangt, eine Bevorzugung, welche Alfreds Vater sicher sehr zupass<br />
gekommen wäre. Aber dieses Privileg lag inzwischen schon<br />
mehrere Generationen zurück, und es ist zu bezweifeln, dass Alfred<br />
Brückner als bekennender Stahlhelmer von diesem Sonderrecht<br />
freiwillig Gebrauch gemacht hätte.<br />
Alfred mit seiner Mutter „Klara“<br />
Sohn Wilhelm und Ehefrau Elsa sahen Vater und Ehemann nur noch in kurzen Urlaubswochen.<br />
Immerhin konnte am 20. Juni 1942 noch Tochter Ursula geboren werden. Ursula lernte<br />
später auch auf der Geige zu spielen und übertrug die Liebe zum Instrument auf ihren Sohn<br />
Fred Ullrich, der heute im Süden Deutschlands als erfolgreicher Orchestermusiker tätig ist.<br />
Alfred Brückner verlor jedoch 1944 vor Nowgorod sein Leben, beim unsinnigen Versuch,<br />
nahe des Illmensees zwischen Moskau und Sankt Petersburg mehr „Lebensraum im Osten“ zu<br />
erobern.<br />
Schwere Jahre<br />
Schon während des Krieges konnte die Firma Brückner nur noch auf<br />
„Sparflamme“ fortgeführt werden. Gegen Ende des Krieges war die<br />
Familie bei Elsas Verwandten in Markneukirchen untergekommen.<br />
Das Haupteinkommen der Familie war Alfreds Sold. Nach dem Krieg<br />
wurde dann die Werkstatt wieder auf einträglichere Beine gestellt.<br />
Wilhelm war als 13jähriger Schüler noch nicht in der Lage, die Werkstatt<br />
fortzuführen. Doch seine Mutter Elsa nahm die Geschicke der<br />
Firma in ihre tatkräftigen Hände. Sie intensivierte ihre Kontakte nach<br />
Markneukirchen und<br />
begann einen Musikalienhandel,<br />
der neben Streichinstrumenten auch<br />
Gitarren und Blockflöten, vor allem aber auch<br />
sehr gefragte Pfretschner-Bögen umfasste. Um<br />
den von UrWilhelm gegründeten guten Ruf der<br />
Instrumente aus der Brückner Werkstatt wach<br />
zu halten, stellte sie einige Jahre den aus Breslau<br />
geflohenen sehr guten Geigenbauer Stark<br />
ein. Wilhelm mit Stark in der heimischen Werkstatt<br />
Die Werkstatt füllte sich wieder mit Leben. Auch wenn Stark Erfurt Mitte der 50er Jahre wieder<br />
verließ, so war doch dafür gesorgt, dass Wilhelm die Firma Brückner in einem guten Zustand<br />
vorfand, als er sie vor mittlerweile mehr als 50 Jahren selbst übernahm.
Lehrzeit<br />
- 29 -<br />
Für Wilhelm begann zunächst eine harte Zeit. Der Verlust eines Elternteiles während der Pubertät<br />
ist immer besonders schwer zu verkraften. Wilhelm beendete noch die Schule in Erfurt.<br />
Mit 15 verließ er das Elternhaus und begann im 150 Kilometer entfernten Markneukirchen<br />
eine Lehre als Geigenbauer. Er wohnte bei<br />
Verwandten<br />
in der Erlbacher Straße 7 (Haus rechts)<br />
Zu jener Zeit gab es in Markneukirchen<br />
noch fast ein Dutzend noch fast ein Dutzend<br />
mehr oder minder weitläufig verwandte<br />
Geigenbauer namens Brückner.<br />
Wilhelms Mutter hatte ihrem Sohn jedoch<br />
als Lehrherren den Obermeister der Geigenbauer-Innung,<br />
Louis Willi Dölling jr, ausgesucht, der schräg gegenüber der Verwandtschaft<br />
in der Bismarkstraße 4 seine Werkstatt hatte und dem ein fachlich hervorragender Ruf<br />
voraus ging. Obgleich die Instrumente Döllings heute qualitativ nicht ganz so gut eingeschätzt<br />
werden wie die Instrumente etlicher seiner Lehrlinge, so konnte man in dieser<br />
Traditionswerkstatt fachlich tatsächlich viel lernen, zumal Dölling auch Mandolinen und<br />
Bässe herstellte. „Schnell und präzise“ war sein Arbeitsmotto. Die Atmosphäre war allerdings<br />
gezeichnet von düsterer Angst, Drohungen und Schlägen. Auch der begleitende<br />
Geigenunterricht, den Wilhelm beim alten Postrat Baumgarten nahm, war eine pädagogische<br />
Katastrophe. Nicht viel hätte gefehlt, und Geigenbau und Geigenspiel wären Wilhelm auf<br />
immer verleidet worden. Mehrfach stand er vor der Entscheidung, aufzugeben. Aber die<br />
äußeren Zwänge, das Verantwortungsgefühl für die Familie und letztlich auch das Erbe des<br />
Großvaters ließen ihn immer wieder die Zähne zusammen beißen. Es war damals nicht die<br />
Zeit, wo man Selbstverwirklichung und Traumata in großen Lettern vor sich her trug. Einzig<br />
die Schulung in der Fachschule für Instrumentenbau, die es in Markneukirchen noch bis in die<br />
60er Jahre hinein gab, brachte ein wenig Entspannung und Freude. Immerhin gingen aus der<br />
Dölling-Werkstatt einige beachtenswerte Geigenbauer hervor, z.B. die zu Wilhelms Zeiten<br />
ebenfalls bei Dölling beschäftigten Johannes Dick, der seit 1958 als Geigenbaumeister in<br />
Bremen ansässig ist, oder Ernst-Heinrich Roth III., der seine Ausbildung später in Bubenreuth<br />
beendete.<br />
Nach der Gesellenprüfung hielt es Wilhelm nicht mehr lange in Markneukirchen. Er fand eine<br />
Anstellung beim damals knapp 50jährigen Willi Lindörfer in Weimar.<br />
Willi Lindörfer war ein sehr guter Geigenbauer und eine etwas schillernde Persönlichkeit. Als<br />
recht guter Geiger mit ausgeprägtem künstlerischem Sachverstand und beachtlichem Geschäftssinn,<br />
hatte der gelernte Holzbildhauer sich den Geigenbau autodidaktisch beigebracht<br />
und bei dem renommierten Geigenbauer Otto Möckel und der Geigenhandlung Herrmann in<br />
Berlin vervollkommnet.<br />
Wilhelm musste seinen bei Dölling erlernten Arbeitsstil völlig umstellen. Bei Lindörfer, der<br />
seinen Schwerpunkt in der Restauration und dem peniblen Nachbau alter Instrumente sah,<br />
was qualitativ mitunter auch einer Fälscherwerkstatt zur Ehre gereicht hätte, hieß die Devise:<br />
Absolute Akkuratesse, wie lange es auch dauern mag.<br />
Ähnlich wie sich dem Großvater Brückner bei Fiorini in München und Stelzner in Dresden<br />
eine neue Welt eröffnet hatte, so öffnete sich auch für Enkel Wilhelm bei Lindörfer eine neuer<br />
Kosmos: Wirklich gute Musiker kamen in die Werkstatt im Süden Weimars. Kontakte, die
- 30 -<br />
Wilhelm im späteren Leben sehr dienlich waren. Lindörfer handelte auch mit hervorragenden<br />
alten Instrumenten, was den Blick und das Qualitätsbewusstsein seines Gesellen schärfte, und<br />
schließlich weckte er Wilhelms Interesse für die Kunst und<br />
für Künstler. Einigermaßen skurril war allerdings<br />
Lindörfers Geheimniskrämerei ums Lackieren. Er gehörte<br />
ersichtlich zu jener Geigenbauer-Fraktion, die dem Lack<br />
den entscheidenden Qualitätseinfluss beim Geigenbau<br />
zumessen. Beim Lackieren der Instrumente durfte ihm<br />
niemand zusehen. Oftmals lackierte er über Nacht, was sich<br />
jedoch angesichts der geringen Trocknungszeit kaum<br />
qualitätssteigernd ausgewirkt haben dürfte. Wilhelm mit Lindörfer auf dessen Holzboden<br />
Demgegenüber brachte allerdings seine Idee, uralte Balken aus Schlössern und Kirchen (einer<br />
stammte sogar aus dem Goethehaus in Weimar) vor der Verbrennung zu retten und zum Geigenbau<br />
zu verwenden, konkrete Erfolge 9 .<br />
Ehrgeizig und fleißig arbeitete<br />
Wilhelm in seiner Freizeit auch<br />
noch an eigenen Instrumenten<br />
in der heimischen Werkstatt in<br />
der Erfurter Regierungsstraße.<br />
der junge Meister<br />
Bereits 1956 konnte er sich zur<br />
Meisterprüfung anmelden. Es<br />
ist bezeichnend für seinen beruflichen<br />
Lebensweg, dass er<br />
als Meisterstück eine Bratsche vorlegte. Die<br />
besondere Liebe zur Bratsche sollte ihn nie wieder los<br />
lassen.<br />
Vorerst spielte aber noch eine andere Liebe eine bedeutendere<br />
Rolle:<br />
Beim Tanz anlässlich des Neptunfestes in Markneukirchen<br />
1958 hatten sich die Wege des Geigenbauers<br />
Wilhelm und der kaufmännischen Angestellten Johanna<br />
Dorothea Ott erstmals intensiver gekreuzt. Die ebenfalls 1932 geborene Dorothea entstammte<br />
vordergründig einem Haushaltswarengeschäft. Aber letztendlich ließen sich ihre Wurzeln wie<br />
bei fast jedem in Markneukirchen dann doch auch im Instrumentenbau verorten. Dorothea<br />
war ein Spross der traditionsreichen Markneukirchener Rorarius-Dynastie. Großvater und<br />
Urgroßvater waren Gitarrenbau-meister. Der Geigenbauer Friedrich August Rorarius war um<br />
1800 nach Wien ausgewandert und brachte es dort zum „Ausschließlich privilegiertem k.k.<br />
Hofinstrumentenmacher“, was damals nicht nur so hieß, sondern tat-sächlich mit erheblichen<br />
Privilegien und Rechten, aber auch Pflichten, verbunden war, die in vergleichbarer Form bis<br />
in die Neuzeit anhalten, wie beim privilegierten „Geigenmacher der Wiener Philharmoniker<br />
und der Wiener Staatsoper“, Otmar Lang, und dessen Nachfolger Wilfried Ramsaier, sozusagen<br />
berufliche Rorarius-Nachfahren, bis heute feststellbar ist.<br />
Ein halbes Jahr später schon verlobte sich das Paar. Mit 26 Jahren fühlte sich Wilhelm gerüstet,<br />
um in jeder Beziehung auf eigenen Beinen stehen und auch eine Familie ernähren zu können.<br />
Es zog ihn daher mit Macht weg von Lindörfer, um in der elterlichen Werkstatt sein eigener<br />
Herr zu sein. Eine schwere Erkrankung Lindörfers ließ ihn allerdings noch zwei Jahre<br />
9 Auch Wilhelm brachte es später auf diese Weise zu manch gutem Stück Holz: Mal ein alter Balken aus dem<br />
Waidspeicher an der Großen Arche, mal aus dem benachbarten Vierherren-Gehöft in der Regierungsstraße.
- 31 -<br />
länger als geplant in Weimar verweilen, bis Lindörfers Sohn Michael so weit war, seine Gesellenprüfung<br />
ablegen zu können.<br />
Wilhelm übernahm den elterlichen Betrieb endgültig Mitte 1960. Wenige Wochen später fand<br />
die Hochzeit mit Dorothea statt, und an einem Mittwoch, dem 3. Oktober 1962 erblickte Ruth<br />
Brückner das Licht der Welt.<br />
Es war kurz vor dem 13. Jahrestag der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik,<br />
und das Zentralkomitee der SED war in Berlin zu seiner 17. Sitzung zusammen getreten. Die<br />
stolzen Eltern waren gerade 30 Jahre alt geworden, und Erfurt verkündete als Spitzenmeldung<br />
des Tages, dass man bei der Kartoffelrodung an der Spitze der Bezirke stehe. Direktor Bala<br />
aus Kenia versicherte, dass ohne die Mauer der Frieden gefährdet sei. Stargeiger Oistrach<br />
wurde in Dresden umjubelt. 55 westdeutsche Schulgeographen waren zu einer Tagung nach<br />
Erfurt gereist. Der Wind wehte schwach vom Balkan; es war heiter und mit 26 Grad angenehm<br />
warm.<br />
Geigenbau in der DDR<br />
Die Mangelwirtschaft der DDR führte dazu, dass die notwendigen Materialien<br />
häufig gar nicht oder nur in schlechter Qualität und überteuert zu<br />
bekommen waren. Zum Glück konnte Wilhelm noch auf das recht umfangreiche<br />
Holzlager des Großvaters zurück greifen. Probleme hatte er<br />
allerdings beim Ebenholz für die Griffbretter, Wirbel und Einlagen. Auch<br />
war es nicht leicht, Saiten in ausreichender Zahl und guter Qualität zu<br />
bekommen. Bei den Saiten entwickelte sich der Handel in „umgekehrter<br />
Richtung“. Nicht der Geigenbauer verkaufte die Saiten an die Musiker,<br />
sondern die Musiker, die ein gewisses Kontingent guter Saiten erhielten,<br />
gingen so vorsichtig und sparsam mit den Saiten um, dass es ihnen möglich<br />
war, ihrerseits die privaten Geigenbauer zu beliefern.<br />
Um eine ordentliche Geige zu bauen, veranschlagt ein Geigenbauer ca. 6 Wochen. Das staatliche<br />
Preisdiktat sorgte allerdings dafür, dass der notwendige Verkaufspreis nicht erzielt werden<br />
konnte. Auch Wilhelm sah sich daher gezwungen, hochwertige Instrumente fast ausschließlich<br />
für Privatkunden auf Bestellung zu bauen.<br />
Die Zahl der Geigenbauer, die in der Lage waren, Meisterinstrumente herzustellen, war in der<br />
DDR überschaubar geworden. Zum einen hatte es vor dem Mauerbau einen Exodus in den<br />
Westen gegeben, zum anderen verhinderte die<br />
zentralisierte und mehr fabrikmäßige Ausbildung<br />
und Herstellung in der Musima (Musikinstrumentenbau<br />
Markneukirchen), wo bald<br />
über 50 % des Herstellungsprozesses mechanisiert worden war, die<br />
Entwicklung eines qualifizierten Nachwuchses. Der VEB Musima in<br />
Markneukirchen hatte ab 1953 mit zeitweise bis zu 1260 Mitarbeitern<br />
nahezu monopolistisch die Herstellung von Streich und Zupfinstrumenten<br />
übernommen. Die besseren Instrumente wurden ins Ausland exportiert.<br />
Die Zahl der Geigenbaubetriebe nahm kontinuierlich ab, da zunehmend<br />
nur noch Kleinst- und Familienbetriebe geduldet wurden. Neugründungen waren<br />
nahezu ausgeschlossen.
- 32 -<br />
Folgerichtig nahm auch die Zahl privater Ausbildungsplätze ab. Die Ausbildung erfolgte vorrangig<br />
unter spezifizierten Fabrikbedingungen und entsprach den Bedürfnissen der Massenproduktion<br />
im VEB Musima, wo die Geigenbauer - wie schon in den vogtländischen<br />
Werkstätten des 1900 Jahrhunderts - jeweils nur in Teilbereichen der Produktion eingesetzt<br />
wurden. Die in Markneukirchen ansässige Fachschule für Instrumentenbau wurde in den 60er<br />
Jahren geschlossen. Die theoretische Ausbildung erfolgte anschließend in Klingenthal.<br />
Neben dem Mangel an notwendigen Materialien waren die privaten Geigenbauer auch etlichen<br />
formalistischen Repressalien ausgesetzt. Um die Kontrollmechanismen weiter zu verschärfen<br />
musste z.B. ab 1970 jede als Künstlerinstrument ausgewiesene Meistergeige mit einem<br />
eigenen Namen ausgestattet werden und ein Prüfsigel aufweisen. Meisterinstrumente<br />
erhielten vom Amt für Standardisierung, Messwesen und Warenprüfung der DDR das Prädikat<br />
„Künstlerinstrument“. Hervorragende Meister, so auch später Wilhelm, wurden als „Anerkannter<br />
Kunstschaffender“ ausgezeichnet. Seit 1978 wurde jährlich der „Ehrenpreis für hervorragende<br />
Leistungen im Musikinstrumentenbau der DDR“ verliehen.<br />
Bereits kurz vor Kriegsende hatte sich die Migma (Musikinstrumenten Handwerker-Genossenschaft<br />
Markneukirchen) als Einkaufs- und Liefergenossenschaft gegründet. Nach Gründung<br />
der DDR war dies nahezu die einzig legale Art für die verbliebenen selbstständigen<br />
Geigenbauer, Materialien zu beschaffen. Sie mussten sich allerdings dazu verpflichten, einen<br />
Teil der Produktion weit unter Wert an die Genossenschaft zu geben, die sie dann unter eigenem<br />
Namen vertrieb. Die Auslandskontrakte mussten über die<br />
"Demusa GmbH" ab-gewickelt werden. Der Außenhandel der<br />
DDR unterlag einem staatlichen<br />
Monopol. Am 7. Dezember 1956<br />
erfolgte die Gründung die VE<br />
Deutsche Innen- und Außenhandel<br />
(DIA) Kulturwaren. Dies war<br />
der unmittelbare Vorgänger der<br />
Deutschen Musikinstrumenten-<br />
und Spielwaren Außenhandelsgesellschaft mbH Berlin<br />
(Demusa), die am 1. September 1960 ihre Tätigkeit aufnahm.<br />
Die Außenhandelsbetriebe waren allein zuständige Handelsunternehmen<br />
für einzelne fest definierte Erzeugnisse und<br />
Erzeugnisgruppen. Sie leiteten, steuerten und regelten die Außenhandelsbeziehungen in diesem<br />
Bereich. Die DEMUSA handelte zunächst mit Musikinstrumenten aller Art, Christbaumschmuck,<br />
Fest- und Scherzartikeln, Zündhölzern und Kinderwagen wobei das Handelssortiment<br />
unterlag bis 1988 etlichen Änderungen unterlag.<br />
Forsche Schritte in der Selbständigkeit<br />
Trotz staatlicher Repressalien und Einschränkungen entwickelte sich Wilhelms Werkstatt sehr<br />
zufriedenstellend. In fast jeder Beziehung konnte er an die erfolgreiche Tradition des Großvaters<br />
anknüpfen. Dabei half ihm die sozialistische Planwirtschaft insofern, als sich rasch ein<br />
Mangel an qualifiziertem Nachwuchs einstellte und etwa 4/5 der Geigenproduktion aus dem<br />
Vogtland, wo 97 % der DDR Streich- und Zupfinstrumente erzeugt wurden, ins Ausland exportiert<br />
wurde. Oft bekam die eigene Bevölkerung nur billige Sperrholzinstrumente bereit<br />
gestellt. D.h. es herrschte bald ein eklatantes Missverhältnis auf dem inländischen DDR-<br />
Markt zwischen Nachfrage und Angebot, insbesondere bei Qualitätserzeugnissen.
- 33 -<br />
Wilhelm gelang es, sich relativ schnell einen stabilen Kundenstamm zu schaffen, der ihm<br />
seine Instrumente zur Reparatur überließ. Er bereiste die Orte der Umgebung auf der Suche<br />
nach guten, alten Instrumenten, die er restaurierte und wieder veräußerte, und experimentierte<br />
mit Neubauten. In den ersten 10 Jahren wagte er sich an verschiedene Geigenmodelle, baute<br />
einige Bratschen und zwei Celli. Töchterchen Ruth bekam bereits zum vierten Geburtstag<br />
eine Achtelgeige in die Hand gelegt, in der vielleicht etwas zu ambitionierten Erwartung, sie<br />
würde sich zu einer Amadea Mozart entwickeln. Interessante Celli wurden ebenso nachgebaut<br />
wie die Stradivari von David Oistrach. Nicht einmal eine Tanzmeistergeige war vor Wilhelms<br />
Bau- und Experimentierlust sicher.<br />
Wilhelms Sordino (Tanzmeistergeige)<br />
Wilhelm hatte sich inzwischen<br />
auch einen guten<br />
Ruf als Restaurator<br />
erworben. So<br />
erhielt er eines<br />
Tages vom Loh-<br />
Orchester den Auftrag,<br />
ein wertvolles<br />
Amati-Cello zu reparieren.<br />
Die Stimme<br />
war durch die Decke<br />
gebrochen; so ziemlich das Schlimmste, was einem<br />
Streichinstrument passieren kann. Das Ergebnis der Reparatur<br />
war so überzeugend, dass ihm nunmehr auch die<br />
Qualifikation als Kunsthandwerker zugebilligt wurde, was<br />
bedeutete, dass er jetzt Künstlerinstrumente bauen durfte.<br />
Sein erstes derartig zertifiziertes Instrument taufte er auf den<br />
nicht gerade bescheidenen Namen „Gloriosa“.<br />
Durchbruch<br />
Mit der „Gloriosa“ begann im Mai 1972 der<br />
internationale Aufstieg der Geigenbauwerkstatt<br />
Brückner. Nach einer Operation etwas<br />
geschwächt hatte sich Wilhelm schließlich<br />
doch auf Drängen seiner Frau entschlossen,<br />
seine Gloriosa auf dem renommierten und<br />
ältesten Geigenbauwettbewerb Henryk<br />
Wieniawski, in Polen vorzustellen. Dort<br />
werden seit 1957 alle fünf Jahre von einer<br />
international prominent besetzten Jury 10<br />
sozusagen die „Oskars“ des internationalen<br />
Geigenbau verliehen.<br />
Gloriosa ist auch der Name der größten frei<br />
schwingenden Glocke der Welt, die sich im<br />
Dom zu Erfurt befindet. Und „Die<br />
Ruhmreiche“ machte ihrem Namen alle<br />
10 1972 waren dies u.a.: Jean Bauer– Frankreich, Władimir Bystrożynski– USSR, Vila Kuzel –CSSR, Renato<br />
Scrollavezza- Italien, Eckart Richter- DDR, Józef Świrek- Polen, Walter Voigt- BRD
- 34 -<br />
Ehre. Unter etlichen Hundert von einer illustren Schar renommierter Geigenbauer<br />
eingereichter Instrumente wurde die Gloriosa mit der Goldmedaille ausgezeichnet.<br />
Von nun an wurden Wilhelm die Instrumente aus den Händen gerissen,<br />
und er wurde als Devisenbringer hofiert. Die Materialfrage entschärfte<br />
sich, wenngleich der Export noch über den staatlichen Außenhandel erfolgen<br />
musste, was insofern äußerst unbefriedigend blieb, weil so der direkte<br />
Kontakt zum Kunden meist unmöglich war, dessen spezielle Wünsche und<br />
Anregungen im Dunkeln bleiben mussten, und natürlich auch keine angemessenen<br />
Preise erzielt werden konnten. Wilhelm fand nach der Wende<br />
heraus, dass Gewinnspannen von mehr als 500 Prozent bei der Demusa<br />
keineswegs die Ausnahme waren. So erhielt er z.B. für ein Instrument<br />
lediglich 2.200 Ostmark, welches von der Demusa für 3.600 Dollar in die USA verkauft<br />
worden war.<br />
Wirken in der Fachgruppe der Geigenbaumeister 11 der DDR<br />
Die gravierenden Probleme der Geigenbauer und des Geigenbaus in der DDR ließen sich immer<br />
weniger unter den Teppich kehren. Wilhelm war einer der Letzten gewesen, der noch<br />
einen internationalen Preis erringen konnte. Die Nachwuchssorgen waren evident und die<br />
Materiaprobleme immer weniger beherrschbar. Andererseits waren sich die DDR-Oberen<br />
durchaus bewusst, dass der Geigenbau im Osten Deutschlands natürlich eine Jahrhunderte<br />
lange erfolgreiche Tradition verkörperte und sehr wohl auch als Devisenbringer eingesetzt<br />
werden konnte.<br />
Die zentralisierte, fabrikmäßige Fabrikation der Instrumente im Vogtland hatte sich als Sackgasse<br />
erwiesen. Das ging letztlich sogar so weit, dass man sich durch das Baumsterben im<br />
Erzgebirge gezwungen sah, für die Industriegeigen Pressholz zu verwenden. Man brauchte die<br />
freien Geigenbaumeister, sah zunehmend die Notwenigkeit, sie zu fördern und zu unterstützen,<br />
wollte ihnen aber auch nicht zu viel Freiheit zubilligen. Als Kompromiss bot es sich an,<br />
den Geigenbauern eine eigene Organisationseinheit zu schaffen. Wie in diesen Fällen üblich,<br />
erfolgte die Gründung von „Oben“.<br />
Der Genosse Generaldirektor der Vereinigung Volkseigener Betriebe lud zur Gründungsversammlung.<br />
Die Gründung wurde an einem regnerisch kühlen Dienstag im Mai 1978 vollzogen.<br />
An jenem 23. Mai in Plauen zeigten sich die Abgesandten des Kulturministeriums und<br />
der Volkseigenen Betriebe erstaunlich einsichtig und selbstkritisch: Man sei inzwischen von<br />
der internationalen Entwicklung abgeschnitten, die Reparaturkapazitäten im eigenen Land<br />
seien nicht mehr ausreichend, man müsse sogar gute Instrumente und Werkzeuge importieren.<br />
Gemäß Vorschlag von „Oben“ wurde Eckart Richter aus Markneukirchen von den anwesenden<br />
19 Geigenbauern als Vorsitzender bestätigt. Die Bogenmacher stießen erst 1981 dazu.<br />
Richters Stellvertreter wurde Wilhelm Brückner. In den folgenden 10 Jahren entwickelte sich<br />
11 ab 8.10.1984 „Fachgruppe der Geigen- und Bogenbaumeister der Deutschen Demokratischen Republik
- 35 -<br />
zwischen diesen Beiden eine gute Arbeitsteilung. Kollege Richter versuchte zu vermitteln und<br />
Wilhelm formulierte mitunter etwas sehr deutlich die Kritikpunkte. So äußerte er schon früh<br />
seinen Unmut über die mangelnde Unterstützung bei Wettbewerben, thematisierte die Absurdität,<br />
Wirbel und andere Kleinbestandteile selbst produzieren zu müssen, und provozierte mit<br />
der schon fast „kapitalistisch-konterrevolutionären“ Vermutung, die Arbeiter seien auf Grund<br />
des zu niedrigen Lohnniveaus zu wenig motiviert, Qualitätsarbeit zu liefern; d.h. Wirbel würden<br />
abbrechen, Feinstimmer passten nicht an die Saitenhalter, etc. Dies wurde natürlich vom<br />
VEB-Betriebsdirektor entschieden zurückgewiesen!<br />
Die Volkseigenen Betriebe insbesondere die Musima zeigten sich auch im Weiteren in keiner<br />
Weise kooperativ, und das Ministerium vertraute im Wesentlichen auf die Kreativität der<br />
Geigenbauer, sich selbst zu helfen. Immerhin war die Mitgliedschaft in der Fachgruppe nicht<br />
zuletzt durch Vorträge und Informationsaustausch auf hohem Niveau so attraktiv, dass es<br />
nach etlichen Jahren gelungen war, sämtliche Geigenbaumeister der DDR zusammen zu führen.<br />
Es gelang der Fachgruppe, Richtwerte für Reparaturpreise zu entwickeln, die Lehrlingsausbildung<br />
konnte geringfügig verbessert werden. Schließlich weckten aber ausgiebige Berichte<br />
über Reisen einiger Kollegen, deren Instrumente als Devisenbringer besonders begehrt<br />
waren, auch und vor allem ins westliche Ausland, ein gewisses kritisches Selbstbewusstsein<br />
bei allen Geigen- und Bogenbauern und politisch heikle Begehrlichkeiten. Dies führte 1985<br />
sogar zu dem schier revolutionären Akt, die Fachgruppenleitung in geheimer Wahl zu bestimmen.<br />
Wilhelm wurde erneut in den Vorstand gewählt, gab aber den Stellvertreterposten<br />
an den Bogenbauer H.-K. Schmidt ab.<br />
Erste Verhandlungen<br />
zur Vereinigung<br />
der<br />
Fachgruppe mit<br />
dem VDG beim<br />
Kollegen Franke<br />
(Mitte) in Leipzig.<br />
Links daneben<br />
der VDG<br />
Vorsitzende<br />
Bühnagel; ganz<br />
rechts: Wilhelm<br />
Mit der Wende kam das Ende der Fachgruppe. Wilhelm, der inzwischen das Schatzmeisteramt<br />
übernommen hatte, berichtete auf der Vorstandssitzung am 3.2.1990 in Halle noch vom<br />
Problem, in der untergegangenen DDR ein Konto zu eröffnen, auf dem er das Vereinsvermögen<br />
von 5436,33 Mark einzahlen konnte.<br />
Im Mai 1991 erfolgte in Bamberg die Vereinigung mit dem Verband Deutscher Geigen- und<br />
Bogenbauer, dem die Kollegen aus den Neuen Bundesländern geschlossen beitraten. Und<br />
wieder schloss sich ein Kreis. Schwerpunktthema in Bamberg war die Viola. Wilhelm hielt<br />
den Kernvortrag zum „Bau der Viola“; exakt 13 Jahre nach der Einladung zur Gründungsversammlung<br />
der Fachgruppe – und wieder regnete es und war relativ kühl. In seinem letzten<br />
öffentlich gehaltenen Vortrag ließ Wilhelm alle Erfahrungen und Erkenntnisse einfließen, die<br />
er in über 40 Jahren als Geigenbauer gesammelt hatte. Seine Offenheit wurde von den Westkollegen<br />
ungläubig staunend bewundert. Geprägt vom marktwirtschaftlichen Konkurrenzdruck<br />
waren sie ein so partnerschaftliches Entgegenkommen nicht gewohnt. Wilhelm allerdings,<br />
der noch maßgeblich die Verhandlungen zur Vereinigung mit bewirkt hatte, zog sich in<br />
seinem nunmehr 60. Lebensjahr aus der Gremienarbeit zurück.<br />
Für Außenstehende ist es ohnehin kaum erklärlich, wie dieses Energiepaket so lange Werkstatt,<br />
Familie, Gremientätigkeit, Geigenbauerverband, Kunsthandwerkerverband mit den damit<br />
zusammenhängenden zahlreichen Reisen im In- und Ausland, Prüfer, Gutachter, Schachverein,<br />
Kegelgemeinschaft etc. miteinander verbinden und dennoch in jedem Bereich solide<br />
Arbeit und Erfolge aufweisen konnte.
Verband Bildender Künstler der DDR<br />
- 36 -<br />
Um etwas freier agieren zu können, war es für einen selbständigen Handwerksmeister zu<br />
DDR-Zeiten äußerst wichtig, sich soziale Netzwerke zu schaffen. Es nimmt daher nicht Wunder,<br />
dass der umtriebige Wilhelm sich nicht nur fachlich als Stellvertretender Obermeister der<br />
Handwerkskammer, Berufener Gutachter und Kultursachverständiger im Rat des Bezirks<br />
sondern auch gesellschaftlich sehr intensiv engagierte. Politisch eher zurückhaltend, wirkte er<br />
doch in der Nationalen Front und der Volkssolidarität mit und war als Turnierschachspieler,<br />
Elternaktivvorsitzender, Kegler und im Wohnbezirksausschuss aktiv.<br />
Um sich jedoch auch international mehr Bewegungsfreiraum zu schaffen und die Preisgestaltung<br />
für seine Instrumente autonomer festlegen zu können 12 , war Wilhelm ein ambitionierter<br />
und in der DDR bisher einmaliger Gedanke gekommen, den er bald schon engagiert umzusetzen<br />
begann:<br />
Die Restauration des Amati-Cellos hatte Wilhelm im Juli 1970 die Anerkennung als Kulturschaffender<br />
des Handwerks gebracht. Dies war natürlich nicht nur ein Ehrentitel, sondern damit<br />
verband sich eine größere Flexibilität bei der Preisgestaltung und vor allem die Berechtigung,<br />
Künstlerinstrumente herstellen zu dürfen. Wilhelm wollte nunmehr allerdings einen<br />
konsequenten zweiten Schritt gehen: Mit zähem Selbstbewusstsein betrieb er seine Aufnahme<br />
in den Verband Bildender Künstler der DDR.<br />
Bei Gründung der Künstlervereinigung der DDR, wie der Verband bis 1970 hieß, waren 1950<br />
sechs Landesverbände und sechs Fachgruppen eingerichtet worden:<br />
1. Maler und Grafiker<br />
2. Bildhauer<br />
3. Gebrauchs- und Fotografiker<br />
4. Werkkünstler und Formgestalter<br />
5. Architekten, Ausstellungsgestalter und Bühnenbildner<br />
6. Kopisten und Restauratoren<br />
Die letzte Fachgruppe bot die theoretische Zugangsmöglichkeiten auch für Geigenbauer,<br />
wenngleich dies noch nie einem Instrumentenbauer zugestanden worden war.<br />
Wilhelms Erfolg in Posen und der damals schon damit verbundene Medienrummel führten<br />
tatsächlich dazu, dass er trotz einiger Widerstände im September 1979 als erster Geigenbauer<br />
überhaupt in diesem Verband Fuß fassen konnte. 1983 gelang es Wilhelm, den Kollegen<br />
Schade und ein Jahr später auch den Bogenbauer H.-K.-Schmidt in den VBK aufnehmen zu<br />
lassen. 1984 war dann insofern eine gewisse Normalität eingezogen, als objektivierbare Kriterien<br />
für die Aufnahme von Instrumentenbauer formuliert werden konnten.<br />
Voraussetzung für die Aufnahme im VBK war ein abgeschlossenes künstlerisches Fach- oder<br />
Hochschulstudium oder die Prüfung durch eine der Sektionsleitungen. Nach einem Status als<br />
Kandidat erfolgte die Aufnahme als vollwertiges Mitglied des Verbandes. Eine Mitgliedschaft<br />
war wichtig, da sie den Zugang zum staatlichen Kunsthandel darstellte und die öffentliche<br />
Vergabe von künstlerischen Aufträgen nur an Mitglieder des Verbandes erfolgte. Die größte<br />
Abteilung des Verbandes bildete Ende der 80er Jahre die Reisestelle der Abteilung Internationale<br />
Beziehungen, da die Reisetätigkeit der Künstler (Studienreisen, Museumsbesuche im<br />
12 § 2 Abs.2 der Honorarordnung Bildende Kunst: „Grundlage für die Festlegung des Honorars innerhalb des<br />
Honorarrahmens ist die erwartete bzw. erreichte inhaltliche und künstlerische Qualität des Werkes, wobei die<br />
nationale bzw. internationale Anerkennung des Künstlers berücksichtigt werden kann.“
- 37 -<br />
Ausland) zunahm und diese durch den VBK organisiert und finanziert wurden. Bei der Auflösung<br />
des Verbandes 1990 hatte der VBK ca. 6.000 Mitglieder.<br />
Für Wilhelm hatte sich mit seiner Aufnahme das Fenster in den Westen ein Stück weiter geöffnet.<br />
Dass teilweise die Kosten für Auslandsreisen vom Verband übernommen wurden, war<br />
in diesem Zusammenhang weniger wichtig als die Hilfestellung bei der Genehmigung der<br />
Westreisen – teils direkt, teils indirekt über den Rat des Bezirkes. Damit konnten immer mal<br />
wieder die Bremser und Bedenkenträger des VVB-Apparates in Plauen umgangen werden.<br />
Die ersten Studienreisen führten ihn z.B. 1981 nach Mittenwald, wo er nicht nur Kontakte zu<br />
Kollegen und Kunden knüpfte sondern sich vor allem auch mit dringend benötigten Werkzeugen<br />
und Materialien eindecken konnte. 1983 gelang es Wilhelm über den VBK nach Kassel<br />
zu reisen, 1985 nach Cremona.<br />
Mitgliedschaft in der LDPD<br />
Typischerweise wurden Handwerksmeister und Kleinunternehmer, soweit sie ihre Selbständigkeit<br />
in der DDR behalten konnten, Mitglieder der LDPD. Nicht selten wurden sogar Interessenten<br />
für eine Mitgliedschaft in der SED zur Auffüllung an eine der Blockparteien verwiesen.<br />
Wilhelm fiel hier insofern aus dem Rahmen, als er schon Anfang<br />
1948 Mitglied der LDP wurde, wie sie damals noch hieß. Die<br />
LDP, die ihren ersten Parteitag in Erfurt abhielt, war bei den letzten<br />
freien Wahlen 1946 in der sowjetischen Besatzungszone mit knapp 25<br />
Prozent der Stimmen noch vor der CDU zweitstärkste Partei hinter<br />
der SED geworden. Nach dem Tod des ersten Parteivorsitzenden Wilhelm<br />
Külz im April 1948 wurde die LDP kritischer gegenüber der<br />
SED. Ende 1948, auf dem Höhepunkt ihres Widerstandes gegen die<br />
Machtergreifung der SED, hatte die LDP mehr als 200.000 Mitglieder,<br />
von denen 23 Prozent jünger als 25 Jahre waren. Dazu gehörte<br />
auch Wilhelm.<br />
Den kritischen Kurs konnte die LDP allerdings nicht lange durchhalten. Säuberungen, Verhaftungen,<br />
Todesurteile brachten die LDP auf Linie. Jungpolitikern, wie Genscher, Mischnick<br />
und Flach, gelang noch rechtzeitig die Flucht in den Westen. Mit der Umbenennung in Liberal-Demokratische<br />
Partei Deutschlands (LDPD) war die Eigenständigkeit am 27. Oktober<br />
1951 endgültig beendet. Jene „48er Jungrebellen“, welche die Säuberungsaktionen überstanden<br />
hatten, wurden künftig mit einem Gemisch aus vorsichtigem Misstrauen und heimlicher<br />
Bewunderung betrachtet. Für Wilhelm bot die LDPD einen gewissen Schutz vor politischen<br />
Zumutungen der SED und eine Einbindung in eine berufliche Interessengemeinschaft.<br />
Gleichwohl vermied er es, sich politisch zu sehr zu engagieren. Seine Anwesenheit bei Parteiveranstaltungen<br />
dieser „Thüringenpartei “ beschränkte er auf Fachvorträge. Angesichts<br />
seiner Meriten für den „sozialistischen Aufbau“ nehmen sich seine Orden und Ehrungen daher<br />
auch vergleichsweise bescheiden aus: Aktivist der sozialistischen Arbeit (womit allerdings<br />
ca. 2/3 der DDR-Bevölkerung ausgezeichnet wurden), das goldene Ehrenzeichen des<br />
Handwerks, eine Medaille zum 30. Jahrestag der Staatsgründung und die silberne Ehrennadel<br />
der Nationalen Front gehörten zur relativ mageren Aus-beute. Die Familie kaufte sich auch<br />
insofern politisch frei, als z.B. zum IV. Pioniertreffen 1961 in Erfurt eine Gruppe Junger Pioniere<br />
ein Brückner-Instrument zum Geschenk erhielt, und ab 1977 mit Ehefrau Dorothea noch<br />
ein zweites zahlendes Mitglied die LDPD-Statistik schönte.
Louis Spohr Wettbewerb 1983<br />
- 38 -<br />
Dass die für Wilhelm bahnbrechende Preisverleihung 1972 in Polen<br />
keine Eintagsfliege war, hatte sich im Folgenden mehrfach gezeigt.<br />
1979 wurde Wilhelm bei der Triennale in Cremona ein Diplom<br />
verliehen, 1981 erhielt er beim Wieniawsky Wettbewerb die<br />
Goldmedaille des Geigenbauerverbandes der BRD und den Goldenen<br />
Groblics des polnischen Geigenbauerverbandes für höchste Individualität.<br />
Wilhelm konnte sich nunmehr als „Reisekader“ bezeichnen.<br />
1981 reiste er nach Mittenwald mit Besuch der dortigen Geigenbauschule.<br />
1985 war er zum Wettbewerb in Cremona. 1987 verbrachte er<br />
fünf Wochen als Ausbilder des skandinavischen Geigenbaunachwuchses<br />
in Schweden.<br />
Ein ganz entscheidender Meilenstein war aber Wilhelms Auftritt und Erfolg in Kassel 1983.<br />
Die notorisch unter zu geringem Selbstbewusstsein hinsichtlich der eigenen Leistungsfähigkeit<br />
leidenden DDR-Kader sahen darin etwas fast so Rühmliches wie eine kulturelle Olympiamedaille.<br />
Immerhin konnten Wilhelms Bratschen eine Silbermedaille und 5 der in Kassel zu<br />
vergebenden 30 Diplome einheimsen. Er war damit erfolgreichster Geigenbauer des Ostblocks.<br />
Der internationale Louis Spohr Wettbewerb jenseits der Mauer war insofern ein besonders<br />
herausragender und bedeutender Wettbewerb, als er erstmals vom Verband (West-)Deutscher<br />
Geigenbauer ausgelobt worden war mit maßgeblicher Unterstützung der Stadt Kassel, des<br />
Hessischen Rundfunks und potenter Geldgeber. Die ursprüngliche Intention, den Wettbewerb<br />
alle 4 Jahre alternierend zur Documenta stattfinden zu lassen und damit Deutschlands<br />
„Kunsthauptstadt“ auch zur „Musikhauptstadt“ zu machen, erwies sich allerdings als zu ambitioniert.<br />
Gleichwohl war es ein international sehr beachteter Wettbewerb. 400 Exponate galt<br />
es zu begutachten.<br />
Wiederum wurden intensive Kontakte geknüpft. Der Solobratscher des Orchesters vom Hessischen<br />
Rundfunk, Bodo Hersen, verliebte sich sofort in eine Brücknerbratsche und kaufte sie<br />
auf dem komplizierten Weg über die DDR-Aussenhandelsgesellschaft. Langjährige, zum Teil<br />
bis heute anhaltende Freundschaften und Vertrauensverhältnisse entstanden.<br />
Brückner Bratsche<br />
Letztlich war es immer wieder der Bratschenbau, der seit über 50 Jahren<br />
die Geschicke der Geigenbauwerkstatt Brückner in der einen oder<br />
anderen Weise maßgeblich beeinflusste. Die Weichen dafür waren<br />
schon 1956 gestellt worden, denn nicht ganz von ungefähr hatte Wilhelm<br />
(wie 34 Jahre später dann auch Tochter Ruth) eine Bratsche<br />
zum Meisterstück gewählt.<br />
Diese Meisterbratsche wurde vom damaligen 1. Konzertmeister der<br />
Landeskapelle Eisenach, Alfred Lipka, erworben. In Böhmen<br />
geboren, hatte Lipka seine Violin- und Violastudien u.a. in Erfurt<br />
absolviert. Die Verbindung zwischen Lipka und Wilhelm sollte nie wieder abreißen, auch<br />
wenn sich der Musiker räumlich immer weiter von Erfurt entfernte. Von 1958 bis 1963 war er<br />
Solo-Bratscher des Rundfunk–Sinfonieorchesters Leipzig, anschließend Solo-Bratscher der<br />
Deutschen Staatsoper Berlin, bis ihm 1975 eine Professor an der Hochschule für Musik<br />
"Hanns Eisler" Berlin angetragen wurde.
- 39 -<br />
In Berlin hatte sich Lipka von Wilhelms Meisterbratsche getrennt und die größere Bratsche<br />
eines Kollegen aus Gotha erworben. Dies wurmte den ehrgeizigen Wilhelm dann doch sehr,<br />
und er begann intensiv zu experimentieren, um den Klang seiner Bratschen zu optimieren.<br />
Eine Bratsche in Gambenform stellte sich rasch als Sackgasse<br />
heraus. Bald jedoch war er auf dem richtigen Weg.<br />
Ausgehend vom voluminösen Modell der Tertis Viola, die<br />
allerdings wegen der Breite am Hals schwierig zu spielen<br />
ist, entwickelte er 1976 eine<br />
„breitarschige“ Form, die im unteren<br />
Teil sehr ausladende Maße<br />
aufwies.<br />
Prof. Lipka mit der „Urmutter“<br />
Die „Urmutter“ war entstanden. Der frischgebackene Professor Lipka<br />
war so begeistert, dass er sie noch unlackiert in den Konzertsaal mitnehmen<br />
wollte.<br />
Lionel Tertis<br />
mit seinem Viola-Modell<br />
Im Folgenden perfektionierte Wilhelm sein Modell, stumpfte die Ecken ab und verlagerte die<br />
C-Bügel, um die Spielbarkeit zu erleichtern. Auch Lipkas Schüler, u.a. die späteren Viola-<br />
Professoren Schwarz, Krüger und Selditz waren begeistert und entschieden sich für das neue<br />
Brücknermodell. Dies wurde daraufhin von etlichen Kollegen kopiert, aber die ausgewogene<br />
Brückner-Reife wurde dann doch nicht erreicht, wie sich auch bei den Geigenbau-Wettbewerben<br />
heraus stellte, die Wilhelm zunehmend mit seinen Violen bestritt.<br />
prominente Lipka-Schüler:<br />
Prof. Felix Schwartz, Rostock Prof. Erich Wolfgang Krüger, Weimar Prof. Thomas Selditz, Wien<br />
1.Solobratschist Staatskapelle Berlin Mitglied diverser Kammermusikensembles u.a. Mitglied des Gaede Trios<br />
Bratschen führten längere Zeit in den Orchestern der Welt ein Schattendasein, obgleich sie<br />
zur Standardbesetzung in jedem Streichquartett gehören. Oft wurden die Bratschen von ehemaligen<br />
Geigern gespielt, denen nachgesagt wurde, als Geiger nicht reüssieren zu können.<br />
Mit Ostfriesen und Blondinen teilten die Bratscher oft das wenig schmeichelhafte Los, bevorzugtes<br />
Ziel von Witzeschmieden zu sein.<br />
Zunehmend wandelt sich allerdings das Bild. Es gibt sehr anspruchsvolle Kompositionen für<br />
Solobratsche, und es gibt vor allem Bratschenvirtuosen, die den Spitzengeigern in nichts<br />
nachstehen. Längst gibt es kein Qualitätsgefälle mehr. Ausschließlich das subjektive Empfinden<br />
entscheidet inzwischen darüber, ob man sich als Spieler oder Zuhörer mehr für den helleren<br />
Geigenklang oder den dunkleren Bratschenklang begeistert. Vielen scheint heute sogar<br />
der geheimnisvollere Bratschenklang eher geeignet, in Herz und Seele vorzudringen.
- 40 -<br />
Die japanische Spitzenbratscherin Nobuko Imai<br />
(hier mit Wilhelm Brückner und dem Bratscher<br />
Kuron Davis aus Großbritannien 1995 in London)<br />
wurde von der Musikzeitschrift „ensemble“<br />
(Nr.11/2011) nach der Spezifik des Violaklangs<br />
befragt: (nebenstehend)<br />
Eine schönere Liebeserklärung für die oftmals<br />
verkannte (vgl. Seite 41) Viola lässt sich kaum<br />
denken, und das Interview erklärt plastisch, warum<br />
sich die Familie Brückner diesem Instrument<br />
in ganz besonderer<br />
Weise<br />
verbunden fühlt,<br />
und warum Ruth<br />
Brückner (links)<br />
schon seit KindertagenBratsche<br />
spielt und<br />
sich heute u.a. im Akademischen Orchester<br />
Erfurt (früher Universitätsorchester) neben<br />
ihrem Beruf als Geigenbauerin noch intensiv als<br />
Hobby-Bratscherin betätigt.<br />
Akademisches Orchester, Erfurt 2011<br />
mit Universitätsmusikdirektor Sebastian Krahnert,<br />
Konzertmeisterin Regine Solle und Ruth Brückner (Pfeile)
- 41 -<br />
Bratscherwitze<br />
Wenn jemand einen Geiger-Witz erzählt lachen die Zuhörer. Wenn jemand einen Bratscher-Witz erzählt nicken<br />
alle zustimmend.<br />
Was macht man mit dem ersten Geiger nach einem Schlaganfall? - Man setzt ihn an die erste Bratsche! Was<br />
macht man, wenn er kurz darauf stirbt? - Er kommt einfach in die zweite Reihe!<br />
Welches ist das Lieblingsinstrument der Bratscher? Die Harfe: Nur Pizzicato, nur leere Saiten und kein Vibrato.<br />
Unterschied zwischen Bratsche und Zwiebel? Wenn man eine Bratsche klein hackt, weint kein Mensch.<br />
Woran erkennt man, dass ein Bratscher falsch spielt? - Der Bogen bewegt sich!!!<br />
Wie schützt man eine Geige vor Diebstahl? - Man legt sie in einen Bratschen-Koffer!<br />
Warum bevorzugen Bratscher durchsichtige Brotdosen? - Damit sie auf einen Blick wissen, ob sie auf dem Weg<br />
zur Probe sind oder schon auf dem Heimweg.<br />
Wie heißt die Endrunde im Bratschistenwettbewerb?- Achtelfinale.<br />
Warum sind Bratschen auf modernen CD-Einspielungen nicht zu hören? - Weil die Technik inzwischen Aufnahmen<br />
ohne jegliche Nebengeräusche produzieren kann.<br />
Warum üben Bratscher immer mit Metronom? - Irgendwas muss sich ja beim Üben bewegen.<br />
Was haben ein Bratscher und ein Unwetter gemeinsam? - Beide setzen meistens zum falschen Zeitpunkt ein.<br />
Wie nennt man es, wenn ein Bratscher sein Instrument aus dem Fenster wirft? - Schöner Wohnen!<br />
Zwei Violinisten treffen sich nach langer Zeit. Einer von beiden trägt einen Bratschenkasten. Fragt der andere:<br />
"Hattest Du einen Schlaganfall?"<br />
Orchesterkonzert. Am 2. Bratschenpult große Verwirrung. Ratsuchende Frage an das 3. Pult der 2. Geigen: "Wo<br />
sind wir?" Antwort: "Takt 165 ... Takt 166 ... Takt 167 ..." Der Bratschist: "Keine Details - welches Stück!"<br />
Der Dirigent zum Bratschisten: "Du hast da Triolen!" - Der Bratschist starrt auf sein Hemd: "Wo, wo, wo ... tu sie<br />
weg!"<br />
Ein Bratscher geht zum Psychiater und sagt: "Herr Doktor, ich habe ein Problem: Ich rede im Schlaf." - "Das machen<br />
doch viele Leute." - "Ja, aber das ganze Orchester lacht schon über mich!"<br />
Es werden die Einsparmaßnahmen in einem Orchester diskutiert. Durchgesetzt hat sich dann doch die Idee, bei<br />
den Pultlampen der Bratschisten Bewegungsmelder zu installieren.<br />
Die Orchestermitglieder beobachten, wie ein Bratscher vor jeder Probe einen Zettel aus seinem Spind nimmt und<br />
einen heimlichen Blick darauf wirft. Der Konzertmeister beobachtet das eine Weile und wird zuletzt so neugierig,<br />
dass er eine kurze Abwesenheit des Bratschers nutzt und sich den geheimnisvollen Zettel anschaut. Verdutzt liest<br />
er die wenigen Worte: Bratsche links, Bogen rechts!<br />
Alle Kinder in der Klasse werden vom Lehrer gefragt, was ihre Väter von Beruf sind. Der eine sagt: "Mein Vater ist<br />
Dachdecker", ein anderer sagt: "Meiner ist Maler." So geht es weiter. Als Peter an der Reihe ist, sagt er: "Mein<br />
Vater ist Striptease-Tänzer in einer Nacktbar." Der Lehrer wird rot. Am nächsten Tag kommt der Lehrer zu Peter<br />
und sagt: "Ich war gestern bei einem Konzert und habe deinen Vater als Musiker im Sinfonieorchester mit seiner<br />
Bratsche gesehen. Wieso sagst du, er wäre Striptease-Tänzer?" Darauf Peter: "Ich habe mich so geschämt."<br />
Zoff im Orchester: Klarinettist und Bratscher streiten sich lautstark. Der Dirigent unterbricht die beiden und fragt<br />
den Klarinettisten: "Was ist denn in Sie gefahren?" Dieser antwortet: "Der Bratscher hat mir alle Klappen verdreht!"<br />
Daraufhin befragt der Dirigent den Bratscher: "Was haben Sie dazu zu sagen?"- "Also", jammert dieser,<br />
"der Klarinettist ist ja so gemein! Er hat mir eine Saite verstimmt und will mir nicht sagen, welche!"<br />
Ein Bratschist war in einem Konzert bei einem Pianisten. Nach dem Konzert geht er nach vorne und gratuliert<br />
ihm begeistert.<br />
Bratschist: "Also am besten hat mir die Stelle mit dem Teufelstriller gefallen."<br />
Pianist (verwundert): "Was für ein Teufelstriller?"<br />
Bratschist: "Na die: di-di-di-di-di-da-da-da-daaa" (für Elise)<br />
In einem Eisenbahnabteil sitzen ein langsamer Bratscher, ein schneller Bratscher, ein Konzertmeister und ein<br />
Kontrabassist. Auf dem kleinen Klapptisch vorm Fenster liegt eine Tafel Schokolade. Der Zug fährt durch einen<br />
Tunnel, anschließend ist die Schokolade verschwunden. Wer hat sie genommen? Der langsame Bratscher. Der<br />
Konzertmeister interessiert sich nicht für Schokolade. Bis der Bassist was mitbekommt, ist eh alles gelaufen. Und<br />
hast du schon mal einen schnellen Bratscher gesehen?
Lehrlinge<br />
- 42 -<br />
Mitte der 70er Jahre reifte, nicht zuletzt auch durch den Preis, den Wilhelm in Polen errungen<br />
hatte, bei den DDR-Oberen die Erkenntnis, dass nicht nur mit Billigprodukten Devisen erzielt<br />
werden konnten, es aber zunehmend am qualifiziert ausgebildeten Nachwuchs fehlte. Es<br />
wurde daher eine Ausbildungsinitiative gestartet, die für erfolgreiche Lehrlings- und Gesellenausbildung<br />
Prämien vergab.<br />
Wilhelm musste die Werkstatt umbauen und einen weiteren Arbeitsplatz einrichten, um Platz<br />
für einen Lehrling zu schaffen. Wie oft in derartigen Fällen waren es vor<br />
allem persönliche Beziehungen, die dazu führten, dass Wilhelm 1975<br />
Matthias Misch als Lehrling in seine Obhut nahm. Matthias hatte zwar<br />
Geigenunterricht erhalten, sich aber zur Geigenbaulehre eher der Not<br />
gehorchend entschlossen, da ihm aus einem sehr christlichen<br />
Akademikerhaushalt stammend der Weg ins Studium verwehrt war.<br />
Wilhelm selbst hatte eine harte Lehrzeit durchlitten und war selbst<br />
vermutlich auch nicht gerade der<br />
geduldigste Lehrmeister.<br />
Matthias Misch hat heute eine<br />
Geigenbauwerkstatt in Erfurt<br />
Wilhelms nächster Lehrling<br />
wurde 1981 nunmehr die<br />
vierte Brückner-Generation:<br />
Tochter Ruth, die kurz zuvor<br />
an der Humboldt Oberschule<br />
ihr Abitur abgelegt hatte.<br />
Auf dem Höhepunkt<br />
Spätestens mit dem erfolgreichen Abschneiden auch „beim Klassenfeind“<br />
hatte Wilhelm Brückner endgültig den internationalen Durchbruch geschafft. Hatte man<br />
während des Spohr-Wettbewerbes noch gezögert, ihm eine Reiseerlaubnis ins nur 150 km<br />
entfernte Kassel zu erteilen und ihn erst ziehen lassen, als sich im Verlauf des Wettbewerbes<br />
heraus kristallisierte, dass die Brücknerinstrumente hervorragend<br />
abschneiden würden, so erhielt er nunmehr weitere Reiseprivilegien.<br />
Selbstverständlich ahnte man, dass die über den Genex<br />
Geschenkdienst GmbH mit einem ersten Trabi schon 1974 ohne<br />
die üblichen Wartezeiten abgewickelten Autokäufe nicht etwa von<br />
einer reichen Westverwandtschaft initiiert wurden, sondern<br />
Äquivalent waren, für geschickt eingefädelte Instrumentenverkäufe<br />
auf eigene Rechnung. Nicht selten kamen z.B. Musiker<br />
aus dem Westen nach Erfurt, betraten die Werkstatt in der Regierungsstraße<br />
mit einem minderwertigen Instrument und verließen<br />
sie mit einer Geige oder einer Bratsche, bei welcher der Brückner-<br />
Brandstempel von nichtssagenden Zetteln überklebt war.<br />
Genex-Katalog 1986<br />
Diese Praktiken wurden aber, obwohl sie ganz sicher nicht verborgen bleiben konnten, stillschweigend<br />
geduldet. Bei erfolgreichen Devisenbringern, wie es Wilhelm inzwischen war,<br />
sportlichen oder kulturell hervorstechenden Prestigeträgern und natürlich besonders bei der<br />
politischen Nomenklatura drückte man diesbezüglich in aller Regel ein Auge zu; schon um im<br />
Fall der Fälle einen zu steilen Höhenflug sehr schnell und nachhaltig beenden zu können.<br />
Wilhelm durfte sogar nach Cremona reisen, obgleich dort eine Wettbewerbsbeteiligung wenig<br />
Erfolg versprach. Immerhin lernte er bei dieser Gelegenheit den Leiter einer Geigenbauklasse
- 43 -<br />
aus Schweden kennen. Wilhelms Ruf als Spitzen<strong>geigenbau</strong>er hatte sich auch nach Skandinavien<br />
herum gesprochen. Er erhielt eine Einladung, dort 5 Wochen als Gastdozent und<br />
Lehrer zu wirken. Wider Erwarten wurde sogar dieses Engagement genehmigt. Dass bei dieser<br />
Gelegenheit eine Brücknergeige im Westen blieb, während in einem Geigenkorpus unter<br />
einem Brettchen versteckt Westmark<br />
ihren Weg in den real existierenden<br />
Sozialismus antraten, um im Intershop<br />
Verwendung zu finden, verstand sich<br />
von selbst.<br />
Geigenbauunterricht 1987 in Schweden<br />
Im Spätsommer 1987 unterrichtete Wilhelm<br />
an der Schule für Kunsthandwerk<br />
zusammen mit dem Bogenbauer Schmidt<br />
ein Dutzend Lehrlinge aus ganz Skandinavien: Schweden, Finnen, Norweger und Dänen. An<br />
der Musikhochschule in Stockholm wurde er zu einem Vortrag gebeten<br />
Udo Kretzschmann<br />
Wilhelm sah sich außer Stande, die anfallenden Aufträge noch alleine abarbeiten zu können.<br />
Nicht selten wurde ihm Arroganz unterstellt, wenn er Aufträge<br />
schlichtweg ablehnen musste, weil er über Jahre hinweg<br />
ausgebucht war. Er ging auf die Suche nach einem<br />
begabten Gehilfen und fand ihn im frisch gebackenen<br />
Meister Udo Kretzschmann aus Markneukirchen.<br />
zusammen mit Wilhelm 1982<br />
Udo stammte selbst auch aus einer Geigenbauerfamilie mit<br />
langer Tradition, hatte aber nicht „die Gnade der frühen<br />
Geburt“ gehabt sondern war voll in die Musima-Mühlen geraten, was eine ordentliche<br />
Ausbildung drastisch erschwert hatte. Zäh und zielstrebig war er jedoch neben seiner<br />
normalen Arbeitszeit noch bei einem traditionellen Geigenbauer, dem Wilhelm fachlich<br />
durchaus ebenbürtigen Eckard Richter, in Markneukirchen in die Lehre gegangen.<br />
mit der u.a. auch von ihm gebauten größten spielbaren Geige der Welt<br />
Die Zusammenarbeit mit Wilhelm entwickelte sich beiderseits<br />
erfolgreich und vor allem vertrauensvoll, was zu DDR-<br />
Zeiten – wenngleich aus anderen Gründen – nicht minder<br />
selten war, wie im kapitalistischen Konkurrenzkampf. Zwar<br />
war Wilhelm darauf bedacht, dass Udo „im Keller beschäftigt“<br />
war, wenn er heikle Verkaufsgespräche führte oder gar<br />
Schmuggelaktionen mit Westkundschaft organisierte, was<br />
letztlich auch dem Selbstschutz des jungen Kollegen dienlich<br />
war, aber fachlich gab es keine Geheimnisse. Udo mag das<br />
langsamere, präzise Arbeiten oder z.B. das Hobeln in Kurven<br />
von Wilhelm gelernt haben, während Wilhelm sich z.B. neue Techniken beim Einlegen des<br />
Ebenholzes abschaute. Udos Hoffnung, Lackiergeheimnisse und Tricks zu erfahren, blieben<br />
allerdings insofern unerfüllt, als Wilhelm zwar einige Konstante bei der Lackmischung verwendet<br />
aber letztlich bis heute immer wieder experimentiert, variiert und sich die detaillierte<br />
Lackzusammensetzung verändert. Letztlich bestätigt sich bei ihm, dass zwar eine Meistergeige<br />
auch einen passenden Lack benötigt, aber kein noch so guter Lack macht aus einem<br />
schlecht gearbeiteten Korpus ein gutes Instrument. Umgekehrt hört man bei einer guten Geige<br />
auch dann noch den Meister heraus, wenn der Lack nicht optimal abgestimmt ist.
(W)ende der DDR<br />
- 44 -<br />
Wilhelm war nie der Typ des Widerstandskämpfers gewesen.<br />
Als intelligenter, fleißiger Pragmatiker mit einer<br />
gehörigen Portion zäher Schlitzohrigkeit gesegnet, hatte<br />
er sich aber eine gewisse Unabhängigkeit erarbeitet und<br />
immer bewahrt.<br />
Erfurter Ausweis für den Objektschutz 1989<br />
Schon relativ früh war ihm klar geworden, dass die DDR<br />
nicht mehr zu halten war. Wilhelm gehörte daher auch zu<br />
jenen, die energisch die staatliche Abwicklung und Neukonzeption<br />
mit betrieben. Er wurde z.B. ins Bürgerkomitee berufen und zur Objektwache eingesetzt,<br />
um die Vernichtung der Stasi-Akten zu verhindern.<br />
Doch auch wenn er die Wende hatte kommen sehen, war er ebenso wie alle anderen, in keiner<br />
Weise darauf vorbereitet, was ihn wirtschaftlich erwarten sollte. Zur Wendezeit gab es in der<br />
DDR 88 Orchester, die jährlich 6.600 Konzerte gaben und damit 3,5 Millionen Besucher erreichten.<br />
Die Orchesterdichte auf je 100.000 Einwohner gerechnet betrug 5,5, in der BRD 1,6.<br />
Andererseits lag die DDR bei den Musikschulplätzen an letzter Stelle in Europa, obgleich sich<br />
ca. 10.000 Streicher in der Ausbildung befanden. In Angleichung an die Westquoten begann<br />
bald nach der Wende ein dramatisches Orchestersterben im Osten. Der vormals innerstaatliche<br />
Markt brach zunächst weg, zumal sich die profilierteren Musiker aus dem Osten nun nach<br />
alten Instrumenten im Westen umschauten. Anderseits kam manchem Geigenbauer zugute,<br />
dass sich im Westen herumsprach, dass im Osten Qualität zu einem günstigen Preis zu haben<br />
war.<br />
Zu DDR-Zeiten reichte es noch aus, die Kalkulationskosten eines Instrumentes aufzuschlüsseln,<br />
indem die Materialkosten für Decke, Boden, Halskantel, Zargen und Zubehör aneinander<br />
gereiht wurden, was sich bei einer Brücknerbratsche auf 732 Mark summierte, und 237 Arbeitsstunden<br />
zu 10 Mark anzusetzen, machte insgesamt 3102 Mark. Im Kapitalismus führt<br />
eine solche Rechnung unweigerlich zum Konkursrichter, denn es fehlten in den Herstellungskosten<br />
ganz entscheidende Positionen, wie Miete, Mietnebenkosten, Telefon, Internet, Bürobedarf,<br />
Porto, Werbung, Mitgliedschaften, Beiträge, Fachliteratur, Versicherungen, Steuer,<br />
Buchführung, Produktion von Ausschuss, Werkzeugabschreibung bzw. Rücklagen, ggf.<br />
PKW, Fortbildung, Zinsen, ggf. Forschungskosten, Ausfall durch Krankheit, Reparatur, Instandhaltung,<br />
unternehmerisches Wagnis etc. etc.. Nicht nur Geigenbauer kapitulierten vor<br />
den Problemen, die sich nun auftaten. Vertrieb (schon gar ins Ausland), Werbung, Kalkulation,<br />
Versicherungen, Steuern und sonstige bürokratische Hemmnisse ließen die bisherige<br />
Mangelwirtschaft dagegen als das wesentlich beherrschbarere Übel erscheinen.<br />
Wilhelm und Tochter Ruth, die sich gerade auf ihre Meisterprüfung vorbereitete, fanden allerdings<br />
den Anschluss an die neue Zeit relativ leicht, weil die Firma schon internationale<br />
Kontakte hatte, und es die finanziellen Rücklagen erlaubten, sich externen Rates und fremder<br />
Dienstleistungen zu bedienen. Dennoch war eine grundsätzliche Neuausrichtung der Firma<br />
erforderlich.<br />
Selbst in der Kundendatei der renommierten GEWA (Georg Walther) Musikalienhandlung,<br />
die schon UrWilhelm seit 1925 beliefert hatte, und die in den 50er Jahren aus dem Vogtland<br />
nach Bayern verlegt worden war, tauchte 40 Jahre nach der letzten Bestellung die Firma<br />
Brückner problemlos wieder auf. Der Neustart in der Marktwirtschaft begann.
Haifischbecken Geigenhandel<br />
- 45 -<br />
Natürlich haben die Brückners in ihrer über hundertjährigen Geschichte oft auch mit alten<br />
Instrumenten gehandelt oder alte Instrumente gutachtlich bewertet. Eine gute Ausbildung und<br />
generationsübergreifende Erfahrung hat sie immer befähigt, sehr sichere Expertisen vorzunehmen.<br />
Dennoch haben sie diesen Bereich nie zu einem Hauptstandbein entwickelt, obgleich<br />
die Möglichkeiten angesichts der erworbenen Reputation und Autorität durchaus gegeben<br />
gewesen wären. Mit Handel und Expertisen lassen sich sehr gute Geschäfte machen. Allerdings<br />
sind auch die Risiken beträchtlich, denn mitunter lassen sich Instrumente nach mehreren<br />
Umbauten und Neulackierungen nicht präzise zuordnen, Fälschungen sind an der Tagesordnung.<br />
Ganz wenige Sachverständige haben sich den internationalen Markt aufgeteilt.<br />
Diese Mechanismen haben sich schon über Generationen eingespielt. Neuankömmlinge haben<br />
nur wenige Chancen, sich zu etablieren. Gerichte sind auf die Expertenansichten dieser Handvoll<br />
Experten angewiesen, die wiederum bemüht sind, sich mit ihren Expertisen nicht zu widersprechen.<br />
Bei den Expertisen tauchten in der Regel immer wieder dieselben Namen auf:<br />
z.B. Hermann (New York), Hill (London) und Werro (Bern) und die allerdings schon 1982<br />
aufgelöste deutsche Firma Hamma. Der letzte „Geigen-Krieg“ liegt schon über 50 Jahre zurück.<br />
Damals war der Berner Altgeigenhändler und Geigenbaumeister Henry Werro beschuldigt<br />
worden, alte Geigen für wertvoller erklärt zu haben, als sie in Wahrheit sind, bzw. Instrumente<br />
anderen, höher im Kurs stehenden Geigenbauern zugeschrieben zu haben – d.h. im<br />
Branchenjargon: die Geigen "promoviert" zu haben. Als Gegengutachter fungierte die renommierte<br />
Geigenhandelsfirma Hill aus London, der „Frischling“ (erst in dritter Generation<br />
tätig) Werro ins Gehege gekommen war, während sich Hill mittlerweile in sechster Generation<br />
im illustren und monopolistisch agierende Kreis als Doyen fühlen mochte. Letztlich<br />
mussten bei diesem Prozess beide Federn lassen und verließen die Wallstatt mit dramatischem<br />
Reputationsverlust.<br />
Die Geschäfte mit alten Instrumenten entwickeln sich in den<br />
letzten Jahren nicht zuletzt auch durch Unsicherheiten an den Finanzmärkten<br />
in schwindelerregende Dimensionen. So wurde im<br />
Juni 2011 die „Lady Blunt“-Stradivari für 15,9 Millionen Dollar<br />
in Japan versteigert. Es passt allerdings auch zur gegenwärtigen<br />
Hype, dass einen Monat später ein smarter Geigenhändler verhaftet<br />
wurde, weil er seine Kunden um 27 Millionen Euro betrogen<br />
haben soll. „Auf Englisch heißt Geige ‚fiddle’“, sagt einer der<br />
wichtigen europäischen Sachverständigen, Roger Hargrave.<br />
„Aber ‚to fiddle’ heißt auch betrügen.“ Und wie schrieb kürzlich<br />
der Tagesspiegel: „Früher waren in den Geigenkästen der Gangster<br />
Maschinenpistolen. Heute sind nicht selten richtige Geigen<br />
darin.“ Oft werden die Betrugsvorgänge allerdings totgeschwiegen,<br />
weil beim Kauf Schwarzgelder geflossen sind, wo dann<br />
Skandale den Beteiligten eher schaden.<br />
Schon 1901 wurde der internationale<br />
Geigenhandel kritisch durchleuchtet.<br />
Wie bei Gemälden kann auch bei den Streichinstrumenten jeder geschickte Kopist ein Meisterwerk<br />
täuschend ähnlich nacharbeiten. Es beginnt mit der Ausarbeitung typischer Merkmale<br />
z.B. bei Schnecke, F-Löchern oder Rand, unter Verwendung möglichst alten Holzes. Da<br />
wird von außen mit Lakritzwasser, Kaffeesud, Holzessig und Nußschalenextrakt gearbeitet,<br />
künstliche Abnützungsstellen unter dem Kinn oder auf Handhöhe durch Bürsten oder Einreiben<br />
mit Ruß und Fett geschaffen. Hohlräume werden mit einem Gemenge von unter anderem<br />
Rübsamen und Kolophoniumpulver verfärbt, Holzwurmlöcher eingearbeitet, und zum Schluss<br />
darf im Inneren ein alter Geigenbauerzettel mit mehr oder minder kunstvoll gefälschtem Pa-
- 46 -<br />
pier, Druckerschwärze, Tinte und Schrift oder ein Brandstempel nicht fehlen. Schließlich wird<br />
noch ein „Lebenslauf“ um das Instrument gerankt, ohne den es auch bei der Gemäldefälschung<br />
nicht geht.<br />
Bis vor wenigen Jahren waren die Expertisen der wenigen internationalen Spitzenexperten<br />
sakrosankt, die sich nahezu ausschließlich auf ihr geschultes Auge und ihre jahrzehntelangen<br />
Erfahrungswerte stützen konnten und mussten. Ein einmal gefälltes Urteil wurde in aller Regel<br />
nicht mehr angezweifelt. Heute kann sich die Analyse alter Instrumente neuer Methoden<br />
bedienen. Schon länger ist die Quarzlampe in Gebrauch. Die Fluoreszenzanalyse lässt erkennen,<br />
ob und an welchen Stellen ein Instrument nachgearbeitet oder repariert worden ist. Nicht<br />
selten wurden daher bei Fälschungen auch gleich Reparaturen mit vorgetäuscht. Erst in allerneuster<br />
Zeit ermöglichen winzige Holzproben und mikrochemische Verfahren, wie sie der<br />
kriminalistische Erkennungsdienst für andere Aufgaben schon länger kennt, dass der Experte<br />
unter dem Mikroskop das Alter anhand der Oberflächenbehandlung, Verleimung und Lackierung<br />
erkennt. Letztlich stoßen aber auch die chemischen oder physikalischen Untersuchungsmethoden<br />
an ihre Grenzen. Echtheit lässt sich damit zwar oft ausschließen, nicht aber positiv<br />
bestätigen. Insbesondere die Zuordnung zu einem bestimmten Geigenbaumeister oder seiner<br />
Werkstatt bedarf weiter der subjektiven, auf Erfahrung und Kennerschaft beruhenden Einschätzung<br />
eines Experten.<br />
Zur Preisbestimmung alter Streichinstrumente wird die in Deutschland herausgegebene, international<br />
gültige "Fuchs-Taxe" herangezogen. Dieses Verzeichnis ist etwa der Schwacke-Liste<br />
für Gebrauchtwagen vergleichbar. Die Fuchs-Taxe, zusammengestellt von den Fachverbänden<br />
der Geigenbauer, wird ab der gehobenen Mittelklasse etwas vage. Die Einschätzung der<br />
absoluten Spitzengeigen findet nach wie vor mehr oder minder im Verborgenen statt. Von<br />
diesem Haifischbecken, wo der Kampf tobt um die Bewertungshoheit über hoch- und<br />
höchstpreisige Instrumente und damit das ganz große Geschäft, haben sich die Brückners<br />
ganz bewusst immer fern gehalten: „Wir sind Kunsthandwerker und keine Finanzjongleure.“<br />
Ruth Brückner<br />
Ruth hatte es neben ihrem erfolgreichen Vater nicht leicht. Wilhelm, der<br />
willensstarke, ehrgeizige, oft aufbrausenden Aktivist, hatte sich aufgemacht,<br />
in seinem Metier die Welt zu erobern. Dem hatte sich alles unterzuordnen.<br />
Oft zerbrechen die Kinder am Anspruch der Eltern oder am<br />
Erwartungsdruck, der in diesen Fällen von außen an sie herangetragen<br />
wird. Es kommt daher nicht von ungefähr, dass Extrembegabungen und<br />
starke Charaktere oft nicht an die direkten Nachkommen weitergegeben<br />
werden, sondern, wie auch bei UrWilhelm erst nach Überspringen einer<br />
Generation.<br />
Für Ruth war eine Karriere als Violinvirtuosin vorgesehen worden. Sie brachte es auch auf<br />
der Bratsche (wo auch sonst?) zu einer gewissen Meisterschaft und Konzertreife. Die Tür zur<br />
Musikhochschule stand ihr offen. Letztlich konnte sie ihr diesbezügliches Talent allerdings<br />
doch gut und selbstkritisch einschätzen. Für eine Solokarriere würde es nicht reichen, und es<br />
erschien der eher introvertierten jungen Frau wenig attraktiv, die nächsten 50 Jahre in engen,<br />
stickigen Orchestergräben zu verbringen. Innenarchitektin hätte sie werden mögen, was sich<br />
zu DDR-Zeiten nicht bewerkstelligen ließ. Ruth wählte künstlerisch begabt und handwerklich<br />
geschickt den Notausgang, der sich allerdings als Gewinn herausstellen sollte: Sie beschloss,<br />
die Familientradition fortzuführen, obgleich Geigenbau damals fast noch ein reiner Männerberuf<br />
war. Und wieder ließ der Staat seine Muskeln spielen. Manchen war der erfolgreiche<br />
Vater schon etwas zu weit vom Proletariat entfernt. Eine Lehrstelle bei einem renommierten
- 47 -<br />
Geigenbauer im Vogtland wurde ihr verwehrt. Notgedrungen trat sie die Lehre beim Vater an.<br />
Man kann sich vorstellen, dass es nicht ganz einfach war, sich Tag für Tag auf Armlänge neben<br />
ihm behaupten zu müssen.<br />
Wen wundert es, dass Ruths Hobby die Beschäftigung mit starken Frauenpersönlichkeiten<br />
in der Literatur ist. Gleich nach der Wende abonnierte<br />
sie – wohl als eine der wenigen DDR-Frauen – die EMMA, was<br />
sie allerdings nicht daran hinderte, auch den eigenen Sohn wieder ein<br />
wenig zum Pascha zu erziehen, wenngleich<br />
dieser jüngste Geigenbauer in der<br />
Familie noch leicht an sich arbeiten muss,<br />
wenn er die ehrgeizige Zielstrebigkeit des<br />
„alten Silberrücken und Alpha-Tieres“ Wilhelm<br />
übertreffen will.<br />
Ruths sehr früher Ausbruchsversuch in die Ehe scheiterte.<br />
Gesundheitliche Probleme folgten. Doch Ruth biss sich<br />
durch. Zäh absolvierte sie die Ausbildung, machte im<br />
Sommer 1990 ihren Meister, nahm erfolgreich an Wettbewerben<br />
teil und setzte sich vom Vater auch fachlich ab.<br />
Schwankend zwischen Stolz, Verwunderung und leichtem<br />
Unglauben musste es Wilhelm immer häufiger erleben,<br />
dass Ruths Instrumente einen neuen, eigenen Kundenstamm<br />
fanden. Sensible Ohren hören durchaus den Unterschied<br />
heraus zwischen<br />
Wilhelms kraftvollen Instrumenten,<br />
denen immer ein Hauch jener in Polen<br />
preisgekrönten goldenen „Gloriosa“ anhaftet, und jenen<br />
von innerer Harmonie getragenen Instrumenten<br />
der jungen Geigenbaumeisterin.<br />
Zeitweilig waren Ruths Instrumente sogar erfolgreicher<br />
als jene des Vaters. Immerhin spielt das<br />
gesamte Orchester von Andrè Rieu ausschließlich<br />
Bratschen von Ruth, und auch sonst gibt es noch etliche<br />
Brückner-Geigen und ein Cello in diesem Orchester. Rieu selbst spielt<br />
auf einer Geige von Antonius Stradivari und auf einer Bratsche von – klar, von Ruth<br />
Stradivaria-Brückner.<br />
1999 wurde Ruth in den Bund Thüringer Kunsthandwerker aufgenommen.
GbR<br />
- 48 -<br />
Erfolg wird erst dadurch geadelt, dass man verantwortungsvoll damit umgeht und in andere<br />
Hände weiter-geben kann. In seiner Rede zum 100jährigen Firmenjubiläum kündigte Wilhelm<br />
daher an, die Firma fast vollständig auf seine Tochter übertragen zu wollen. Und so geschah<br />
es wenig später. Eine Gesellschaft bürgerlichen Rechtes wurde gegründet, in der Wilhelm nur<br />
noch mit wenigen Prozenten beteiligt ist. Genug, um sich noch als Mitinhaber zu fühlen, motiviert<br />
in der Werkstatt mitzuarbeiten und den Kunden zu verdeutlichen, dass die Erfahrung<br />
des Alters noch präsent ist, zu wenig, um sich verantwortlich fühlen zu müssen, um den täglichen<br />
Druck einer kapitalistischen Marktwirtschaft hautnah auf sich einwirken zu lassen.<br />
Das Verhältnis zwischen den beiden „Geschäftsführern“, Meisterin und Meister, Chefin und<br />
Seniorchef ist ausgeglichen, die Erfolgserlebnisse halten sich die Waage, wenngleich Ruth<br />
seltener zum Neubau kommt, denn auch Reparaturen müssen übernommen werden, und irgendjemand<br />
muss sich nach dem Tod der Mutter um die ungeliebten Verwaltungsaufgaben<br />
kümmern. So leicht, wie noch zu DDR-Zeiten die Kalkulation eines Instrumentes selbst in der<br />
Meisterprüfung dargestellt wurde, kann es sich ein mittelständischer Betrieb heute nicht mehr<br />
machen. Kämpfte man früher mit Materialschwierigkeiten, so ist es heute die überbordende<br />
Bürokratie, die mehrtägige Seminare der Berufsgenossenschaft zum Arbeitsschutz einfordert<br />
und über Vorschriften informiert, die zum Beruf und zur Werkstatt eines Geigenbauers passen<br />
wie ein Vorschlaghammer zum Uhrmacher.<br />
Christoph Brückner<br />
Zum Glück kann sich die überbordende Arbeit wieder auf ein Schulternpaar mehr verteilen.<br />
Christoph entstammt einer Generation, die mit den beiden Wilhelms alter Prägung kaum noch<br />
etwas gemein hat. Als am Samstag, dem 17. Juli 1982 der jüngste Spross der Brückner-Dynastie<br />
geboren wurde, hatte gerade eben die frisch von Ulrich Merkel geschiedene Angela<br />
Merkel 28 Kerzen auf ihrem Geburtstagskuchen ausgeblasen und in Berlin tagte der Friedensrat<br />
der DDR. Wie bei der Geburt des Großvaters bebte in Griechenland die Erde und Gewitter<br />
unterbrachen den Badespaß an den Seen in Thüringen. In den Alpen wurden drei Bergsteiger<br />
vom Blitz erschlagen, und in Weimar fielen in kürzester Zeit 12 Liter auf den Quadratmeter.<br />
Erfurter Volkskünstler des Kombinats der Umformtechnik stellten auf der IGA aus. Am Theater<br />
in Weimar sorgten „Faust“, „Das Tagebuch der Anne Frank“ und das Musical „Alexis<br />
Sorbas“ für Furore.<br />
Schon früh musste Christoph den Vater entbehren, oft übernahm Opa Wilhelm diese Rolle.<br />
Für einen halbwüchsigen Knaben war dies nicht gerade das ultimative Vorbild, um sich für<br />
die Bearbeitung des harten Holzes zu begeistern. Obgleich auch mit sensiblen, künstlerischen<br />
Attributen ausgestattet wusste er früh: Wenn er eines nicht werden wollte, - dann<br />
Geigenbauer.<br />
Gerade wenn man aus einer traditionsreichen Geigenbauerfamilie kommt,<br />
die mit Preisen und Anerkennungen überhäuft wurde und noch wird, und<br />
die seit Generationen zu den besten ihres Handwerks gezählt wird, dann<br />
will man sich in einem gewissen Alter nicht diesem vorbestimmten - fast<br />
schon - Zwang unterwerfen und vor allem in jugendlichem Protest- und<br />
Abgrenzungsbemühen ganz etwas anders machen. Christoph reizte daher<br />
zunächst der gänzlich andere Pol, d.h. ein Informatikstudium, welches dann<br />
aber schon bald einem „gemäßigterem“ Studium der Sozialwissenschaften<br />
wich, mit Philosophie, Geschichte, Politik und Ähnlichem.
- 49 -<br />
Aber immer wenn er in den Semesterferien oder mal am Wochenende heim kam und aus der<br />
Werkstatt Geigenklänge hörte, den schon seit frühster Kindheit gewohnten Geruch von Holz<br />
und Leim und Lack wahr nahm, dem leisen Schaben der kleinen Hobel und Schnitzmesser<br />
lauschte, gab es kleine Stiche. Irgendwann war es dann doch so weit, und er bewarb sich um<br />
eine Lehrstelle bei Mutter und Großvater.<br />
Die Beiden wurden davon völlig überrascht und reagierten zunächst sehr zurückhaltend, aber<br />
es gelang ihm, zu überzeugen. Die Gesellenprüfung erledigte er schier mit Links und die ersten<br />
noch in der Lehrzeit entstandenen Instrumente konnten zu einem gar nicht schlechten<br />
Preis schon neue Besitzer finden.<br />
nunmehr zu Dritt<br />
Auch der fünfte Brückner in dieser Reihe scheint<br />
seine endgültige Berufung und Bestimmung erfolgreich<br />
erkannt haben und weiter zu entwickeln.<br />
Gerade der Geigenbau lehrt, dass das<br />
Bohren oder Hobeln an dünnen Lebensbrettern<br />
nicht nachhaltig glücklich macht. Geigenbau<br />
bedeutet schwere Handarbeit und fordert viel<br />
Geduld, Disziplin, Sensibilität und auch<br />
künstlerische Präzision. Aber wo sonst sieht man<br />
in der heutigen Zeit schon nach wenigen Wochen so rasch<br />
ein natürliches Wachsen und einen Erfolg sich entwickeln? Wo und wie<br />
sonst kann man Musiker und Konzertbesucher so erkennbar glücklich machen?<br />
100jähriges Jubiläum<br />
Der Zufall wollte es, dass das 100jährige Werkstattjubiläum in<br />
Erfurt mit Wilhelms 65jährigem Geburtstag zusammen fiel, was<br />
allerdings weder in ersten noch im zweiten Fall darauf hindeutete,<br />
dass damit schon ein Zenit der Schaffenskraft erreicht worden<br />
wäre. Wilhelm steht auch beim 115 jährigem Werkstattjubiläum<br />
noch jeden Tag in der Werkstatt, wenngleich er sich heute auch<br />
schon mal vorzeitig verabschiedet, um ins Fitnessstudio zu entschwinden<br />
oder sich zu einer Partie Schach zu verabreden.<br />
Der Gedanke, das Firmenjubiläum im größeren Rahmen zu begehen,<br />
reifte bereits ein Jahr zuvor. Ganz entscheidenden Anteil am<br />
Gelingen der Gründungsfeierlichkeiten hatte der Cellist Dr.<br />
Wolfgang Müller. Dr. Müller ist Gründungsmitglied<br />
des Thüringer Landesmusikrates und<br />
des Landesverbandes der Thüringer Laienorchester. Damals noch in der<br />
Staatskanzlei tätig, sorgte er dafür dass die Feierlichkeit im schönsten und<br />
repräsentativsten Ambiente Erfurts, dem Barocksaal der Staatskanzlei und<br />
den angrenzenden Salons stattfinden konnte.<br />
Dr. Müller 2011 bei der Verleihung Thüringer Verdienstorden<br />
für seine Leistungen beim Aufbau der Kulturlandschaft in Thüringen<br />
Damit war dann auch der Rahmen für die Veranstaltung vorgegeben.<br />
Wilhelm rief, und Alle kamen. Umrahmt von einer umfangreichen und künstlerisch professionell<br />
gestalteten Ausstellung fanden sich drei Generationen (Cello und Geige vom<br />
UrWilhelm, Bratsche von Wilhelm und Geige von Ruth zu einem Streichquartett zusammen.
- 50 -<br />
Renommierte Künstler, wie Prof. Tatjana Masurenko oder Prof. Jürgen Kussmaul, dem<br />
Wilhelm 1992 eine Linkshänder-Bratsche gebaut hatte, ließen es sich nicht nehmen, den Tag<br />
musikalisch zu umrahmen. Die Laudatio hielt Prof. Lipka.<br />
Dorothea Wilhelm Ruth<br />
links: Ruth im Interview<br />
aus dem Gästebuch:<br />
Dies war der letzte Höhepunkt<br />
in der erlebnisreichen Brückner<br />
Entwicklung, den Wilhelms treue<br />
Lebensbegleiterin Dorothea noch<br />
gesund und stolz miterleben konnte.<br />
Sie half noch mit, das berufliche Feld für die<br />
nächsten Generationen zu bestellen und verstarb 2008.<br />
rechts: Tatjana Masurenko<br />
Thüringens<br />
Ministerpräsident,<br />
Dr. Bernhard Vogel,<br />
erbat etwas später<br />
noch eine „Privat-<br />
audienz“ in der<br />
Brückner-<br />
werkstatt.<br />
Wilhelm steht unermüdlich weiter jeden Tag in der Werkstatt.<br />
Man muss zwar ein ganz alter Freund und Kunde sein, um ihn<br />
noch zu einer Reparatur zu bewegen, das überlässt er lieber dem<br />
Nachwuchs,<br />
aber „Kinder<br />
produziert“ er<br />
immer noch<br />
voller Freude<br />
und Elan. Zum<br />
80. Geburtstag<br />
hofft er, Kind<br />
Nummer 333<br />
wohltönend und<br />
frisch lackiert in die Welt entlassen zu können.
Kleine Auswahl von Brückner-Kunden<br />
Academy of St. Martin in<br />
the fields (Smissen 3.oben)<br />
Wilhelm 1995 mit Tabea<br />
Zimmermann in London<br />
Wolfgang Espig 1989 mit Wilhelm und Ruth<br />
Hong-Kyoung Lee, Seoul<br />
Thomas Leipold, Philharmonisches Orchester, Erfurt<br />
Prof. Anne-Kathrin Lindig, Hochschule für Musik, Weimar<br />
Prof. Alfred Lipka �, Hochschule für Musik; Staatskapelle, Berlin<br />
Alexander Lipkind, Staatstheater, Meiningen<br />
Eugen Mantu, Philharmonisches Orchester, Erfurt<br />
Prof. Tatjana Masurenko, Hochschule für Musik, Leipzig<br />
Tom Morisson, Sinfonieorchester, Aachen<br />
Sophia Reuter, Philharmoniker, Duisburg<br />
André Rieu, Maastricht<br />
Suzan Rous, Amstelveen<br />
Matthias Sannemüller, MDR-Sinfonieorchester, Leipzig<br />
Tanja Schneider, Philharmoniker, Berlin<br />
Prof. Felix Schwartz, Hochschule für Musik, Rostock,<br />
Staatskapelle, Berlin<br />
Niklas Schwarz, Philharmonie, Essen<br />
Prof. Thomas Selditz, Univ. für Musik, Wien<br />
Linda Skride, Noord Nederlands Orkest, Groningen<br />
Robert Smissen, Academy of St.Martin in the Fields, London<br />
Prof. Frank Strauch, Hochschule für Musik, Weimar<br />
Barbara Switalska, Real Filharmonia deGalicia, Santiago de<br />
Compostela<br />
Fred Ullrich, Philharmonie, Bad Reichenhall<br />
Prof. Jost Witter, Hochschule für Musik, Weimar<br />
Matthias Worm, Philharmonie, Chemnitz; Festspielorchester,<br />
Bayreuth<br />
Yi Zhang, Peking<br />
Knut Zimmermann, Staatskapelle Berlin<br />
rechts: Michael<br />
Chomitzer<br />
links: Ariana Burstein<br />
mit Robert Lignani<br />
- 51 -<br />
50 Solisten und Professoren aus der Kundenliste<br />
(ausgewählt vom Autor ohne Anspruch auf Vollständigkeit)<br />
Amalia Aubert, Sinfonieorchester, Berlin<br />
Hans-Christian Bartel, Gewandhaus, Leipzig<br />
Ivo Bauer, Streichquartett, Leipzig<br />
Prof. Hatto Beyerle, Hochschule für Musik, Basel<br />
Ruth Bernewitz, Gewandhaus, Leipzig<br />
Prof. Matthias Brandis, Dt. Kinderärzteorchester, Freiburg<br />
Ariana Burstein, Willstätt/Straßburg<br />
Prof. Claudia Bussian, Hochschule für Musik, Mainz<br />
Adrian Constantin, Kammerphilharmonie, Schönebeck<br />
Jürg Daehler, Musikkollegium, Winterthur/Zürich<br />
Cedric David, Welsh National Opera, Festivalorchester, Basel<br />
Ricarda Exner, Staatstheater, Meiningen<br />
Wolfgang Espig, Gewandhaus, Leipzig<br />
Harald Först, Berlin-Brandenburgisches-Sinfonieorchesters, Berlin<br />
Burckhard Goethe, Spandauer Salonorchester, Berlin<br />
Gerd Grötzschel, HR-Sinfonieorchester, Frankfurt,<br />
Festspielorchester, Bayreuth<br />
Andreas Hartmann, MDR-Sinfonieorchester, Leipzig<br />
Dorothea Hemken, Gewandhaus, Leipzig<br />
Bodo Hersen �, Radio-Sinfonie-Orchester, Frankfurt<br />
Prof. Jörg Hofmann, Hochschule für Musik, Freiburg<br />
Prof. Leonid Kagan �, Moskau<br />
Tilmann Kircher, Real Filharmonia deGalicia, Santiago de<br />
Compostela<br />
Delphine Krenn-Viard, Alea-Quartett, Graz<br />
Prof. Erich Krüger, Hochschule für Musik, Weimar<br />
Prof. Oleg Kryssa, New York, Moskau<br />
Prof. Jürgen Kussmaul, Hochschule für Musik, Düsseldorf,<br />
Amsterdam<br />
David<br />
Oistrach<br />
mit dem<br />
jungen<br />
Wilhelm<br />
1974 in<br />
Weimar<br />
Andrè Rieu<br />
hier mit<br />
Ruth Brückner<br />
2004 in Erfurt<br />
In seinem Orchester<br />
werden sieben von<br />
Ruth gebaute Brat-<br />
schen sowie drei<br />
Geigen und ein<br />
Cello von Wilhelm<br />
gespielt.
- 52 -<br />
Zukunft<br />
Herstellung<br />
Bautechnisch gab es in den letzten Jahrhunderten etliche Versuche für gestalterische und<br />
technische Reformen. So wurden zum Beispiel einst reich verzierte Geigen mit anderen Ornamenten<br />
gebaut (etwa mit Menschen- oder Löwenkopf anstelle der Schnecke) oder Instrumente<br />
für arme Leute aus Blech. Bekanntheit erlangten auch trapezförmige Geigen oder<br />
Streichinstrumente in Jugendstilformen oder asymmetrische Instrumente und neuerdings<br />
Kunststoffviolinen.<br />
Gewisse (negative) Einflüsse hatten immer auch Epochen, in denen besonders viele Manufakturgeigen<br />
gebaut wurden. So z.B. die Konzentration von Billiginstrumente schon zu Beginn<br />
des 19. Jahrhunderts in den deutschen und französischen Geigenbauzentren. In Japan<br />
hatte der industrielle Geigenbau seinen Ursprung durch Masakichi Suzuki, dem Vater des<br />
berühmten Violinpädagogen Shinichi Suzuki. Dessen Betrieb beschäftigte bereits nach kurzer<br />
Anlaufzeit über 1000 Mitarbeiter und stellte innerhalb eines Monats bis zu 400 Violinen und<br />
4000 Bögen her. In Serie gebaute Billiggeigen aus Holz klingen allerdings oft schrill, liefern<br />
wenig tiefe Frequenzen und verderben so den Spaß am Üben.<br />
Wirkliche Veränderungen gibt es allenfalls beim Experiment mit neuen Materialien. Die<br />
Kunststoff-Violinen von Mario Maccaferri (1970er-/1980er-Jahre) waren technisch noch<br />
unausgereift bzw. gehörten zu den „anders klingenden“ Geigen, doch stehen mit heutiger,<br />
computergestützter Schwingungsanalyse und -simulation (wie sie unter anderem von Glockengießern<br />
genutzt wird) ganz andere Werkzeuge zum systematischen Design von Klangkörpern<br />
zur Verfügung, was die Massenproduktion einer angenehm klingenden und wetterfesten<br />
„Volksvioline“ aus Kunststoff nahelegt. Vielleicht wird es diese dann als exakte<br />
Klangkopien alter Meistergeigen geben, und vielleicht werden neue Materialien der Musik<br />
auch Klangwelten erschließen, die heute noch unbekannt sind. Momentan sind holzfreie Geigen<br />
in Serienfertigung nur aus kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff (CFK) erhältlich, die jedoch<br />
teuer sind und klanglich im Mittelfeld liegen. Ähnliches gilt für Saiten aus Spinnenseide.<br />
Große Veränderungen im klassischen Geigenbau sind derzeit allerdings nicht zu beobachten<br />
und wohl auch nicht zu erwarten. Die diesbezüglichen Experimente mit veränderten Bassbalken,<br />
ausgehöhlten Griffbrettern, verschobenen F-Löchern bis hinein in die Zargen,<br />
asymmetrischen Korpi, Stimmstöcken aus Glas oder Metall oder wesentlichen<br />
Größenverschiebungen im Stile Stelzners haben sich nicht durchsetzen können. Allenfalls<br />
leichte Modellvariationen, wie das Tertis-Modell und die diesem nicht unähnliche Brückner-<br />
Bratsche haben einen nennenswerte Zahl von Liebhabern und damit auch Nachahmern<br />
gefunden.<br />
Das 1990 weniger aus akustischen als ergonomischen Gründen konstruierte<br />
„Pellegrina“-Modell von David Rivinus (USA) mit zusätzlichen Schalllöchern<br />
an den Flanken ist leicht zu handhaben und wird schon von 60 Musikern gespielt.<br />
Die zeitgenössische Musik erfordert nicht unbedingt neue Modelle, wohl aber<br />
mitunter ein Umstimmen der Instrumente. Das früher zu verzeichnende schleichende<br />
Erhöhen des Kammertones A ist schon längere Zeit nicht mehr zu beobachten.<br />
Neue Klangeffekte entstehen durch Nutzung (Klopfen, Kratzen, Schaben<br />
etc.) aller Teile der Streichinstrumente, nicht aber durch deren Veränderung.<br />
Wenn überhaupt Veränderungen erforderlich werden, dann allenfalls im Zusammenhang mit<br />
einer Rückentwicklung und –besinnung auf alte Formen, Längen und Materialien, um einen<br />
möglichst authentisch-historischen Ton erzeugen zu können, wie er z.B. von Nicolaus Harnoncourt<br />
bei seinen Interpretationen präferiert wird. In diesem Zusammenhang kann auch<br />
prognostiziert werden, dass neben dem Neubau die Restaurierung in dem Sinn noch mehr an<br />
Bedeutung gewinnen wird, als zwar möglicherweise weniger Instrumente davon betroffen<br />
sein werden, diese aber – schon angesichts der Preisentwicklungen – intensiverer Zuwendung<br />
bedürfen.
- 53 -<br />
Hersteller von Musikinstrumenten<br />
u.a.: Streichinstrumente-Pianos-Holzblasinstrumente-Harmonika/Akkordion-Orgel/Harmonium<br />
Quelle: Dt. Musiktat-Musikinformationszentrum<br />
Statistik<br />
In den letzten Jahren lässt sich eine deutliche Umkehr von einem Exportüberschuss zu einem Importüberschuss<br />
bei den Stückzahlen feststellen:<br />
Geigen 2002 2003 2004 2005 2006 2007<br />
Export 27.055 24.901 22.057 27.819 23.253 22.224<br />
Import 18.194 22.540 25.663 36.096 41.832 30.526<br />
In Bezug auf den Wert der Instrumente, wird allerdings immer noch rund fünf Mal mehr aus- als<br />
eingeführt (2010 ca.11 zu 2 Mill €).
Herstellung von Musikinstrumenten<br />
- 54 -<br />
2000 2004 2006 2008 2004-2006 2006-2008<br />
Unternehmen 1.167 1.175 1.195 1.267 1,7 6,0<br />
Beschäftigte(Musikinstrumentenbau) 7.083 6.620 6.425 6.297 - 2,9 - 2,0<br />
Umsatz (Mill. Euro) 599 631 704 701 11,6 - 0,4<br />
Einzelhandel (incl. Materialien) 2.516 2.342 2.291 2.254 - 2,2 - 1,6<br />
Umsatz (Mill. Euro) 958 966 1.051 1.043 8,7 - 0,7<br />
Die Zahl der Musikschüler bei den Streichinstrumenten hat in den letzten 10 Jahren deutlich<br />
zugenommen:<br />
Instrument 2000 Prozent 2009 Prozent Steigerung in Prozent<br />
Violine 48.678 7,84 56.619 8,10 16,31<br />
Viola 2.024 0,33 2.592 0,37 28,06<br />
Cello 12.396 2,00 16.687 2,39 34,62<br />
Bass 1.320 0,21 2.259 0,32 71,14<br />
demgegenüber stagnieren die Zahlen an den Musikhochschulen:<br />
Zwar ist eine Steigerung bei den Neuanfängern zu verzeichnen:<br />
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009<br />
1.259 1.334 1.202 1.177 1.143 1.101 1.238 1.207 1.365 1.469<br />
die Gesamtstudentenzahl an den 24 Musikhochschulen im Bereich der Instrumental- und Orchestermusik<br />
bleibt aber konstant, was allerdings auch an einem schnelleren Studium oder<br />
einer größeren Zahl von Studienabbrechern liegen könnte.<br />
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009<br />
8.208 8.276 8.419 8.084 7.899 7.781 7.947 7.828 7.923 8.133<br />
(davon 58% weiblich; 58 % Ausländer)<br />
In den 680 im BDLO (Bundesverband Deutscher Liebhaberorchester e.V.) zusammen geschlossenen<br />
Amateur Symphonie- und Streichorchestern spielen derzeit rund 23.000 Musiker,<br />
davon rund ¼ Jugendliche.<br />
1992 gab es noch 168 öffentlich finanzierte Orchester. Seither wurden 35 Ensembles aufgelöst<br />
oder eingegliedert (2010), was nicht immer gleichbedeutend war mit einer völligen Auflösung<br />
der Orchester. So fusionierten z.B. 2006 die beiden Orchester in Halle zur ‘Staatskapelle’<br />
mit 152 Musikern und damit zum zweitgrößten Orchester in Deutschland nach dem<br />
Gewandhaus Orchester in Leipzig.<br />
Anteile klassischer Musik im öffentlichen Rundfunk in Prozent:<br />
BR HR MDR NDR RB RBB SR SWR WDR Total<br />
16,6 10,2 8,6 6,4 22,5 20,4 17,6 6,3 17,4 12,9<br />
Entwicklung der Ausbildungsplätze im Geigenbau:<br />
1991 1999 2004 2006<br />
58 37 13 16<br />
Die Zahl der ausgewiesenen Stellen für Musiker<br />
hat seit 1992 von 12.159 abgenommen auf 9.922 im Jahr 2010, also um 2.237 oder 18 %<br />
1.742 Musiker wurden in Ostdeutschland eingespart, 495 im Westen
- 55 -<br />
Während die Zahl der klassischen Konzerte im weitesten Sinn und deren Zuhörer eher stieg,<br />
(bei Zunahme der Sitzplatzauslastung bei den Konzerten und Abnahme bei der Oper)<br />
nahm die Zahl der Musiker dramatisch ab 13 :<br />
Musiker 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 % 1992-2010<br />
Ostdeutschland 5.032 4.411 4.198 4.032 3.878 3.637 3.545 3.398 3.372 3.290 - 34,62<br />
Westdeutschland 7.127 7.075 7.018 6.991 6.961 6.808 6.780 6.654 6.665 6.632 - 6,95<br />
Total 12.159 11.486 11.216 11.023 10.839 10.445 10.325 10.052 10.037 9.922 - 18,40<br />
Zusammenfassung<br />
Die Zukunft wird problematisch. Die Zahl der Geigenbaubetriebe in Deutschland nimmt kontinuierlich<br />
zu, während die Nachfrage nach Instrumenten abnimmt. Der Verband Deutscher<br />
Geigenbauer hat derzeit knapp 300 Mitglieder, man muss aber mit zusätzlich mindestens 50<br />
nichtorganisierten Geigenbauern rechnen. Die Musikschulen haben zwar trotz der Konkurrenz<br />
von Computer und Handy im Kinderzimmer noch Zuwächse, die Orchestermusiker, für die<br />
Meistergeigen im Preissegment von 5.000 bis 20.000 Euro erforderlich sind, nehmen ab. Die<br />
billigen Schülerinstrumente oder Instrumente, die nur für den gelegentlichen Gebrauch bestimmt<br />
sind, im Preissegment bis 2.000 Euro können die Schwellenländer mit ihren niedrigen<br />
Löhnen wesentlich kostengünstiger herstellen. Hier eröffnet sich für die deutschen Geigenbauer<br />
allenfalls noch ein Markt für Reparaturen oder die internationale Zusammenarbeit, wie<br />
mit dem Shimro-Modell in Markneukirchen geschehen: Seit 2001 bezog man dort vorgefertigte<br />
Einzelteile für Schülergeigen und Celli aus dem Mutterwerk in Korea und ließ diese in<br />
Markneukirchen verfeinern, zusammensetzen, schleifen und lackieren. Diese spezielle Konstruktion<br />
scheiterte allerdings 2010 wieder.<br />
Die Geigenbauwerkstatt der Zukunft wird wohl weit häufiger als bisher akustische Laborarbeit<br />
nutzen und in den Fertigungsprozess integrieren. Dazu gehört auch, dass ganz neue<br />
Werkzeuge entwickelt und genutzt werden.<br />
Auch wenn das Deutschen Musikinformationszentrum grundsätzlich empfiehlt, das sogenannte<br />
mittlere Preissegment nicht länger zu vernachlässigen, denn die deutschen Musikinstrumentenbauer<br />
versuchen bislang vorrangig durch hochpreisige Qualitätsinstrumente und<br />
andererseits preiswerte Dumpingprodukte dem Wettbewerbsdruck auszuweichen, können die<br />
deutschen Geigenbauer und speziell die Firma Brückner diesen Rat nur sehr bedingt beherzigen.<br />
Demgegenüber muss von allen Beteiligten ein Hauptaugenmerk darauf gelegt werden, dass<br />
das aktive Musizieren noch intensiver gefördert wird als bisher. Gelingt es, das Musikmachen<br />
attraktiver zu machen, werden sich auch neue Absatzperspektiven im eigenen Land finden<br />
lassen.<br />
13 dazu passt folgende Erklärung zu „Schuberts Unvollendeter“:<br />
Der Vorstandschef eines großen Unternehmens überlässt seinem Controller die Einladung zu einem<br />
Konzert. Aufgeführt werden soll Schuberts Unvollendete. Auf die Frage des Vorstandschefs am<br />
nächsten Tag: "Wie hat Ihnen das Konzert gefallen?" sagt der Controller ihm einen schriftlichen<br />
Bericht zu. Der Bericht ging einen Tag später ein. Sein Inhalt:<br />
1. Die vier Oboisten hatten über einen längeren Zeitraum nichts zu tun. Ihre Anzahl sollte<br />
deshalb gekürzt, ihre Aufgaben auf das gesamte Orchester verteilt werden. Dadurch können Arbeitsspitzen<br />
vermieden werden.<br />
2. Die zwölf Geiger spielten alle die gleichen Noten. Die Anzahl der Mitarbeiter in diesem Bereich<br />
sollte daher drastisch gekürzt werden. Sollte hier tatsächlich eine große Lautstärke<br />
erforderlich sein, kann das auch mit einem elektronischen Verstärker erreicht werden.<br />
3. Das Spielen von Viertelnoten erfordert einen hohen Aufwand. Dies scheint mir eine übertriebene<br />
Verfeinerung. Ich empfehle daher, alle Noten auf die nächstliegende halbe aufzurunden.<br />
Dann können dafür Studenten und Mitarbeiter mit geringen Qualitäten eingesetzt werden.<br />
4. Wenig sinnvoll ist es, dass die Hornisten Passagen wiederholen, die die Streicher bereits<br />
gespielt haben. Würden derlei überflüssige Passagen gestrichen, könnte das Konzert von zwei<br />
Stunden auf zwanzig Minuten gekürzt werden.<br />
5. Hätte Schubert dies alles beachtet, dann hätte er zweifellos seine Sinfonie beenden können.<br />
zitiert aus einer Rede von Staatssekretär Helmut Stuhl vgl. FAZ vom 16.11.1981
- 56 -<br />
Die Zukunft für den traditionellen Qualitätsbau kann nur heißen „Luxusinstrumente made in<br />
Germany“, d.h. weitere Qualitätssteigerungen ohne neuere Techniken zu verteufeln. Bei<br />
Brückners wird alles noch mit der Hand hergestellt. Aber ist es wirklich nötig, auch die<br />
Schnecke ohne Einsatz einer Fräse heraus zu schnitzen? Selbstverständlich darf man nicht den<br />
Mythos unterschätzen, der den Geigenbau und vor allem auch den Geigenhandel seit jeher<br />
begleitet hat. Nur wenige Musiker können sich diesen Glaubensmythen entziehen, wenn sie<br />
z.B. eine Stradivari – und sei es auch nur eine vermeintliche, in der Hand halten. Ist das Stradivariholz<br />
wirklich so gut, weil es bei Vollmond geschlagen wurde? Ist eine moderne Geige<br />
wirklich so viel besser, weil sie hypermoderne Schallschwinguntersuchungen unterzogen<br />
wurde? Der Glaube versetzt zwar keine Berge, ist aber gut geeignet, eine Null mehr auf der<br />
Rechnung zu rechtfertigen. Und hat nicht die mit Handwerkerschweiß gefertigte Schnecke<br />
ganz entscheidenden Einfluss auf den späteren Klang des Instrumentes? Muss nicht notgedrungen<br />
eine Geige leicht metallen klingen, wenn sie irgendwann mit einer Fräse in Berührung<br />
gekommen ist? Realistische Aufklärung tut Not. Es gibt Elemente im Geigenbau, die<br />
werden immer die Hand des Meisters spüren müssen, weil kein Computer mit so vielen Variablen<br />
gefüttert werden kann, wie es die Bearbeitung eines auch als Scheit noch lebenden<br />
Holzstückes erfordert. Aber es gibt auch Teile am Instrument, bei deren Herstellung die menschliche<br />
Sensibilität nicht im Vordergrund steht. Werte kann man oft nur durch Veränderung bewahren.<br />
Personenverzeichnis<br />
(die Mitglieder der Familie Brückner wurden, wie auch die Kunden auf S. 51, nicht gesondert aufgeführt)<br />
S e i t e<br />
Alexander 23<br />
Amati 8 ff., 33, 36<br />
Bach 19 f.<br />
Bala 31<br />
Bauer 33<br />
Baumgarten 29<br />
Berthold 13<br />
Bruckner 15<br />
Brueghel 6<br />
Bühnagel 35<br />
Burstein 51<br />
Busch 26<br />
Bystrozynski 33<br />
Cecil 27<br />
Chomitzer 51<br />
Corelli 6<br />
Corinth 17<br />
Czerny 7<br />
Da Montichiaro 9<br />
Da Salò 9<br />
Da Vinci 8<br />
Dardelli 9<br />
Davis 40<br />
di Salabue 17<br />
Dick 29<br />
Diesel 17<br />
Dölling 29<br />
Dürer 8<br />
Die Musik hat von allen Künsten den tiefsten Einfluss auf das Gemüt.<br />
Ein Gesetzgeber sollte sie deshalb am meisten unterstützen.<br />
Napoleon I.<br />
Wollt ihr wissen, ob ein Land wohl regiert und gut gesittet sei, so hört seine Musik.<br />
Konfuzius<br />
Wo die Sprache aufhört, fängt die Musik an.<br />
E.T.A. Hoffmann<br />
Edison 23<br />
Enigk 22<br />
Espig 5, 51<br />
Fichtl 10<br />
Ficker 15<br />
Fiorini 16,20,23f.,29<br />
Flach 37<br />
Fontane 9<br />
Franke 35<br />
Friedrich d.G. 7<br />
Garrett 7<br />
Genscher 37<br />
Göring 27<br />
Guarneri 8, 10<br />
Hamma 45<br />
Hargrave 45<br />
Harnoncourt 53<br />
Heber 12<br />
Heberlein 14, 27<br />
Hermann 45<br />
Herrmann 29<br />
Hersen 38<br />
Hill 45<br />
Hitler 28<br />
Imai 40<br />
Jaeger 16<br />
Kaspar 25<br />
Klotz 10<br />
Knopf 18<br />
Krahnert 40<br />
Kretzschmann 4, 42<br />
Kröhner 11<br />
Krüger 39<br />
Külz 37<br />
Kussmaul 50<br />
Kuzel 33<br />
Lang 30<br />
Liebermann 17<br />
Lignani 51<br />
Lindörfer 29 f.<br />
Lipka 38 f., 50<br />
Liszt 7<br />
Maatz 23<br />
Maccaferri 52<br />
Masur 5 f.<br />
Masurenko 50<br />
Menzel 7<br />
Merkel 48<br />
Misch 42<br />
Mischnick 37<br />
Möckel 29<br />
Mozart 33<br />
Müller 49<br />
Mutter 7<br />
Napoleon 23<br />
Oistrach 31, 33, 51<br />
Pachelbel 20<br />
Paganini 7<br />
Paulus 17<br />
Pfaffe 19<br />
Pfretzschner 13, 28<br />
Radek 27<br />
Ramsaier 30<br />
Reichart 25<br />
Ribbeck 9<br />
Richter 33 f., 42<br />
Rieger 16<br />
Rieu 47, 51<br />
Rimski-Korsakow 7<br />
Rivinus 52<br />
Rolini 9<br />
Rorarius 30<br />
Roth 29<br />
Schade 36<br />
Schmidt, J.-F. 23<br />
Schmidt, K.-H. 35f,43<br />
Schröder 22 f.<br />
Schwarz 39<br />
Scrollavezza 33<br />
Selditz 39<br />
Shakespeare 27<br />
Sieffert 21<br />
Smissen 51<br />
Solle 40<br />
Spohr 15, 38, 42<br />
Stahl 15<br />
Stark 28<br />
Steiner 10 f., 15<br />
Stelzner 17f., 20, 29<br />
Stempel 21<br />
Storm 15<br />
Stradivarius 6 ff, 17,<br />
33, 45, 47, 56<br />
Strauss 15<br />
Suzuki 52<br />
Swirek 33<br />
Tertis 39<br />
Thau 13<br />
Todt 16<br />
Torelli 6<br />
Ullrich 28<br />
Vogel 50<br />
Voigt 33<br />
von Bismarck 15<br />
von Lenbach 17<br />
von Neurath 27<br />
von Papen 27<br />
von Preußen 15<br />
von Sachsen….10<br />
von Stoltenberg-<br />
Wernigerode 23<br />
Walther 44<br />
Waltz 21<br />
Werro 45<br />
Wieniawsky 33, 38<br />
Zeller 15<br />
Zetkin 27<br />
Zimmermann 51<br />
zu Guttenberg 15<br />
* * *
- 57 -<br />
ein Leben für den Geigenbau 1932 bis 2012
- 58 -<br />
G E I G E N B A U<br />
im<br />
<strong>SPIEGEL</strong> <strong>DER</strong> <strong>ZEITEN</strong><br />
In den Werkstätten der Geigenbaumeister sieht es heute noch fast<br />
genauso aus wie vor Hunderten von Jahren. Es riecht nach Holz<br />
und Lack und Leim. Werkzeuge und Fertigungstechniken haben<br />
sich seit den Zeiten Antonio Stradivaris kaum verändert.<br />
Nur wenige Berufe lassen es heute noch zu, die Entstehung eines<br />
Produktes bis zur Fertigstellung mit den eigenen Händen zu<br />
verfolgen. Ob ein Instrument gut oder gar sehr gut gelungen ist,<br />
erleben die Musikliebhaber täglich in den Konzertsälen der Welt.<br />
Kenntnisreich und unterhaltsam beschreibt der Autor am Beispiel<br />
einer schon in fünfter Generation wirkenden Geigenbauerfamilie<br />
die Entwicklung dieses Traditionshandwerkes durch die Historie.<br />
Neben der allgemeinen Geschichte des Geigenbaus und den persönlichen<br />
Erlebnissen der Familie Brückner werden immer wieder<br />
historische Bezüge zu politischen und kulturellen Ereignissen<br />
Deutschlands und Erfurts hergestellt, wo die Familie Brückner seit<br />
1897 erfolgreich ihrem kunstreichen Handwerk nachgeht.<br />
Ein Buch für Musikliebhaber und historisch Interessierte und alle Menschen, die<br />
in unserer schnelllebigen Zeit jene seltene Authentizität suchen, wo sich Sein und<br />
Bestimmung, Wissen und Können noch in harmonischer Übereinstimmung befinden.