3 Die UNS Fallstudie - ETH Zurich - Natural and Social Science ...
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<strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> 2000<br />
Zukunft Schiene Schweiz 2 –<br />
Ökologisches Potenzial<br />
des Schienengüterverkehrs<br />
am Beispiel der Region<br />
Zugersee<br />
Herausgegeben von:<br />
Harald A. Mieg, Peter Hübner, Michael Stauffacher,<br />
S<strong>and</strong>ro Bösch, Marianne Balmer<br />
<strong>Die</strong> vorliegende Untersuchung wurde finanziell<br />
unterstützt durch die SBB AG und das Nationale<br />
Forschungsprogramm «Verkehr und Umwelt, Wechselwirkungen<br />
Schweiz-Europa»<br />
Patronat: Eidgenössisches Department für Umwelt,<br />
Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK), <strong>Die</strong>nst<br />
für Gesamtverkehrsfragen<br />
VERLAG RÜEGGER<br />
in Zusammenarbeit mit<br />
PABST SCIENCE PUBLISHERS
Impressum<br />
Herausgeber<br />
Gesamtredaktion,<br />
Lektorat<br />
Titelseite<br />
Satz und Layout<br />
Harald A. Mieg, Peter Hübner,<br />
Michael Stauffacher,<br />
S<strong>and</strong>ro Bösch, Marianne Balmer<br />
<strong>Die</strong>ter Kaufmann unter Mithilfe<br />
von Simone Schärer<br />
S<strong>and</strong>ro Bösch (Gestaltung und<br />
Fotos)<br />
Pabst <strong>Science</strong> Publishers<br />
Umweltnatur- und Umweltsozialwissenschaften (<strong>UNS</strong>)<br />
<strong>ETH</strong> Zürich<br />
<strong>Fallstudie</strong>nbüro<br />
<strong>ETH</strong> Zentrum HAD E4<br />
Haldenbachstr. 44<br />
CH-8092 Zürich<br />
Tel.: 01-632 64 46<br />
Trotz aller Bemühungen war es uns leider nicht möglich,<br />
alle Inhaber von Urheberrechten ausfindig zu machen.<br />
Falls Ansprüche bestehen, werden die Inhaber gebeten,<br />
mit den Herausgebern Kontakt aufzunehmen.<br />
<strong>Die</strong> Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme<br />
Zukunft Schiene Schweiz 2 – Ökologisches Potenzial des<br />
Schienengüterverkehrs am Beispiel der Region Zugersee:<br />
<strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> 2000 / hrsg. von: Harald A. Mieg ... –<br />
Zürich: Verlag Rüegger AG, 2000<br />
ISBN 3-7253-0699-0<br />
NE: Mieg, Harald A. (Hrsg.)<br />
© 2001<br />
Verlag Rüegger, Zürich in Zusammenarbeit mit<br />
Pabst <strong>Science</strong> Publishers, Lengerich<br />
ISBN 3-7253-0699-0<br />
www.rueggerverlag.ch – info@rueggerverlag.ch
Inhaltsverzeichnis<br />
Vorworte 5<br />
Executive Summary 13<br />
Wie kommen die Güter auf die Bahn?<br />
Auf dem Weg zu einer ökologischen Bewertung<br />
der Verkehrsträger 25<br />
Bahn und Umwelte – <strong>Die</strong> Perspektive der SBB 49<br />
Unterwegs zu einem nachhaltigen<br />
Güterverkehr? – <strong>Die</strong> Perspektive des NFP 41 59<br />
So kam Zug zum Zug –<br />
<strong>Die</strong> Perspektive der Region Zug 73<br />
<strong>Die</strong> Ökoeffizienz von Transportketten 89<br />
Naturraum 113<br />
Akteure im regionalen Transportgewerbe 137<br />
Szenarien – Bahn und Umwelt 155<br />
Lärm im Gütertransport – Ökobilanzierungen 181<br />
<strong>Fallstudie</strong> im W<strong>and</strong>el – <strong>Die</strong> <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>n<br />
1994 bis 2000 203<br />
<strong>Fallstudie</strong>ndidaktik – <strong>Die</strong> Steuerung von<br />
gruppendynamischen Prozessen in einem<br />
transdisziplinären Lehrprojekt 217<br />
Entwicklung der <strong>Fallstudie</strong>nmethoden 229<br />
Transdisziplinaritäts-Laboratorium <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong><br />
<strong>Fallstudie</strong> – Werkstatt für ein neuartiges<br />
Zusammenwirken von Wissenschaft und Praxis 243<br />
Abkürzungsverzeichnis 255<br />
Index 256<br />
Studierende und TutorInnen 259<br />
Wie kommen die Güter auf die Bahn?<br />
Auf dem Weg zu einer ökologischen Bewertung<br />
der Verkehrsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25<br />
1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27<br />
2 Hintergrund: Güterverkehr im Umbruch . . . . . 28<br />
2.1 Umweltbonus versus Bahnmalus . . . . . . . . . 28<br />
2.2 Der ökologische Vorsprung schmilzt . . . . . . . 30<br />
3 <strong>Die</strong> <strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>: Analyse, Kommunikation,<br />
Wissensintegration . . . . . . . . . . . . . . . . . 31<br />
3.1 Struktur der <strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> 2000 . . . . . . . . . 31<br />
3.2 Systemabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . 33<br />
4 Perspektiven auf den Fall: SBB AG, NFP 41,<br />
KantonZug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> '00 1
Inhaltsverzeichnis<br />
4.1 SBB – Unternehmen im W<strong>and</strong>el . . . . . . . . . 33<br />
4.2 NFP 41 «Verkehr und Umwelt» – Wissenschaft<br />
und «Zukunftsgüterbahn» . . . . . . . . . . . . . 35<br />
4.3 Region Zug – ein Modellfall? . . . . . . . . . . . 37<br />
4.4 Der <strong>Fallstudie</strong>nbeirat . . . . . . . . . . . . . . . 39<br />
5 <strong>Die</strong> Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40<br />
5.1 Ökoeffizienz – Ökonomie und Ökologie des<br />
Gütertransports . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40<br />
5.2 Naturraum – die grundsätzlichen Schwierigkeiten<br />
des Vergleichs von Schiene und Strasse . . 41<br />
5.3 Akteure – Transportieren ist Vertrauenssache . . 42<br />
5.4 Szenarien – Unternehmenserfolg mit oder<br />
ohneÖkologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43<br />
5.5 Lärm – Lärmschutz als Aktivposten einer<br />
Ökobilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44<br />
6 Résumé und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . 44<br />
Bahn und Umwelt – <strong>Die</strong> Perspektive der SBB . . . . . . 49<br />
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51<br />
2 <strong>Die</strong>Bahnreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51<br />
2.1 Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51<br />
2.2 Eigenschaften der Bahnreform . . . . . . . . . . 52<br />
2.3 Auswirkungen auf die SBB . . . . . . . . . . . . 52<br />
3 Umweltschutz bei der SBB . . . . . . . . . . . . 53<br />
3.1 Umweltstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . 53<br />
3.2 Umweltmanagement bei der SBB AG . . . . . . . 53<br />
3.3 Umweltrelevante Problemfelder . . . . . . . . . 55<br />
3.4 Das BahnUmwelt-Center . . . . . . . . . . . . . 57<br />
3.5 Zusammenarbeit im Umweltnetzwerk . . . . . . 57<br />
4 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58<br />
Unterwegs zu einem nachhaltigen Güterverkehr? –<br />
<strong>Die</strong> Perspektive des NFP 41 . . . . . . . . . . . . . . . 59<br />
1 Was ist das NFP 41? . . . . . . . . . . . . . . . . 61<br />
1.1 NFP als orientierte und orientierende<br />
Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61<br />
1.2 Breite Themenpalette . . . . . . . . . . . . . . . 61<br />
2 Bausteine eines nachhaltigen Güterverkehrs . . . 65<br />
2.1 Regionale Zusammenarbeit im Güterverkehr . . . 65<br />
2.2 Alpenquerende Güter unter Zugzwang . . . . . . 66<br />
2.2.1 Angebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66<br />
2.2.2 Nachfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66<br />
2.2.3 Politische Einflussgrössen . . . . . . . . . . . . . 66<br />
3 Erste Synthese zum Güterverkehr . . . . . . . . . 67<br />
3.1 Politische Gewichtung . . . . . . . . . . . . . . . 67<br />
3.2 Kombinierter Verkehr: Potenziale und<br />
Hindernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67<br />
3.3 City-Logistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67<br />
3.4 Güterverkehrszentren . . . . . . . . . . . . . . . 67<br />
3.5 Umweltverträglichkeit und Produktivität . . . . . 68<br />
3.6 <strong>Die</strong> Rollen des Staates . . . . . . . . . . . . . . . 68<br />
4 Stossrichtungen für die künftige Politik . . . . . . 69<br />
5 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71<br />
So kam Zug zum Zug –<br />
<strong>Die</strong> Perspektive der Region Zug . . . . . . . . . . . . . 73<br />
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75<br />
2 St<strong>and</strong>ort Zug: Magnet für den <strong>Die</strong>nstleistungssektor<br />
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76<br />
3 Bevölkerungszuwachs: Wie lange noch? . . . . . 77<br />
4 Vom Kuh- zum Erdölh<strong>and</strong>el . . . . . . . . . . . . 78<br />
4.1 Geschichtlicher Abriss . . . . . . . . . . . . . . . 78<br />
4.2 Von Milch und Kühen . . . . . . . . . . . . . . . 79<br />
4.3 Flachs und Hanf per Bahn . . . . . . . . . . . . . 79<br />
4.4 Tüftler gründet einen Zuger Weltkonzern . . . . 80<br />
4.5 Europapremiere in Zug . . . . . . . . . . . . . . 81<br />
5 Streitsüchtige Eisenbahnbauer . . . . . . . . . . 82<br />
6 Preiskampf im Gütertransport . . . . . . . . . . . 83<br />
7 Stadtbahn gegen Verkehrskollaps . . . . . . . . . 85<br />
8 Schlusswort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86<br />
<strong>Die</strong> Ökoeffizienz von Transportketten . . . . . . . . . . 89<br />
1 Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91<br />
2 Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91<br />
3 Was ist Ökoeffizienz? . . . . . . . . . . . . . . . 92<br />
4 Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94<br />
4.1 <strong>Die</strong> Ökobilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94<br />
4.2 <strong>Die</strong> Datenbank ECOINVENT . . . . . . . . . . . 94<br />
4.3 Eco-Indicator 99 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95<br />
4.4 Transportnutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96<br />
4.4.1 <strong>Die</strong> funktionelle Einheit in der Ökobilanzierung<br />
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96<br />
4.4.2 Der Index «Gütertransportnutzen» (GTN) als<br />
funktionelle Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . 97<br />
5 Transportketten und ihre Ökobilanz . . . . . . . . 99<br />
5.1 V-Zug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99<br />
5.1.1 Untersuchte Transportketten für die Auslieferung<br />
in den Raum Basel . . . . . . . . . . . . 99<br />
5.1.2 Ökobilanz der untersuchten Transportkette<br />
von V-ZUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99<br />
5.2 Cham Paper Group . . . . . . . . . . . . . . . . 100<br />
5.2.1 Untersuchte Transportketten zur Anlieferung<br />
von Zellstoff aus Antwerpen . . . . . . . . . . . . 100<br />
5.2.2 Ökobilanz der untersuchten Transportkette<br />
der Cham Paper Group . . . . . . . . . . . . . . 101<br />
5.3 Migros . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101<br />
5.3.1 <strong>Die</strong> untersuchten Transportketten zur Lieferung<br />
von Dosentomaten Pelati an den MMM Zugerl<strong>and</strong><br />
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102<br />
5.3.2 Ökobilanz der untersuchten Transportketten<br />
derMigros . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102<br />
5.4 Diskussion der Resultate . . . . . . . . . . . . . . 103<br />
6 Der Versuch zur Bestimmung des Gütertransportnutzens<br />
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104<br />
7 Vergleich der Ökoeffizienz der Transportketten . . 106<br />
8 Zukunftsperspektiven . . . . . . . . . . . . . . . 107<br />
8.1 Kombinierter Güterverkehr . . . . . . . . . . . . 107<br />
8.2 Eisenbahngüterverkehr . . . . . . . . . . . . . . . 107<br />
8.3 Strassengüterverkehr (erdgasbetriebene<br />
Motoren) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108<br />
8.4 Ein Rechenbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . 108<br />
9 Schlussfolgerungen und Ausblick . . . . . . . . . 109<br />
9.1 Was wurde erreicht? . . . . . . . . . . . . . . . . 109<br />
9.2 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110<br />
Naturraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113<br />
1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115<br />
1.1 Untersuchungsgegenst<strong>and</strong> . . . . . . . . . . . . . 115<br />
1.2 Problematischer Vergleich Schiene - Strasse . . . . 115<br />
1.3 Projektarchitektur und angewendete<br />
Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116<br />
2 Streckenauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117<br />
3 Kleinraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119<br />
3.1 Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119<br />
3.2 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120<br />
4 Grossraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122<br />
4.1 Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122<br />
4.2 Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123<br />
4.3 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124<br />
5 L<strong>and</strong>schaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125<br />
5.1 L<strong>and</strong>schaftstypen der Strecke Rotkreuz -<br />
Arth-Goldau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125<br />
5.2 St<strong>and</strong>ortsauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126<br />
2 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> '00
Inhaltsverzeichnis<br />
5.3 Methode der L<strong>and</strong>schaftsbewertung . . . . . . . 127<br />
5.4 Resultate der L<strong>and</strong>schaftsbewertung . . . . . . . 127<br />
5.5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128<br />
6 Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130<br />
6.1 Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . 130<br />
6.2 Schwierigkeiten einer Gesamtbewertung . . . . . 130<br />
6.3 Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131<br />
7 Zukunft Böschung . . . . . . . . . . . . . . . . . 132<br />
7.1 <strong>Die</strong> heutige Böschungspflege . . . . . . . . . . . 132<br />
7.2 Alternative Möglichkeiten der Böschungspflege<br />
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132<br />
7.3 Umsetzung der Massnahmen . . . . . . . . . . . 134<br />
Akteure im regionalen Transportgewerbe . . . . . . . 137<br />
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139<br />
2 Ökobilanz von Transportketten . . . . . . . . . . 140<br />
2.1 Der ökologische Vergleich von Strasse und<br />
Schiene im Güterverkehr . . . . . . . . . . . . . 141<br />
2.2 LSVA und Entwicklung der Verkehrsleistung<br />
auf Schiene und Strasse . . . . . . . . . . . . . . 143<br />
2.3 Résumé . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144<br />
3 Akteursgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144<br />
3.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144<br />
3.2 Akteursnetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144<br />
3.3 Interessen und Positionen der Akteure . . . . . . 145<br />
3.3.1 SBB Cargo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145<br />
3.3.2 Strassen-Transportunternehmer . . . . . . . . . . 146<br />
3.3.3 Verlader . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146<br />
3.3.4 Öffentliche H<strong>and</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . 146<br />
3.4 Zusammenfassung der Akteurspositionen . . . . 147<br />
4 Das Güterforum Region Zug . . . . . . . . . . . 148<br />
4.1 Das Forum als Methode . . . . . . . . . . . . . . 148<br />
4.2 Ziel des «Güterforums Region Zug» . . . . . . . . 148<br />
4.3 Erarbeitete Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . 149<br />
5 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151<br />
5.1 H<strong>and</strong>lungsoptionen . . . . . . . . . . . . . . . . 151<br />
5.2 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152<br />
Szenarien – Bahn und Umwelt . . . . . . . . . . . . . 155<br />
1 Wirtschaftlichkeit und ökologische Leistung:<br />
Widerspruch oder Synergie? . . . . . . . . . . . 157<br />
2 Formative Szenarioanalyse Schritt für Schritt . . . 158<br />
2.1 Szenarioanalyse: Eine Methode der<br />
strategischen Planung . . . . . . . . . . . . . . . 158<br />
2.2 Systemverständnis und Dekomposition:<br />
<strong>Die</strong> Auswahl der Einflussfaktoren . . . . . . . . . 159<br />
2.3 Untersuchung der Einflüsse zwischen den<br />
Einflussfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159<br />
2.4 Variation: «Hier wird die Zukunft gemacht...» . . . 160<br />
2.5 Konsistenzanalyse: «...auf innere Widersprüche<br />
überprüft...» . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160<br />
2.6 Szenarienauswahl: «...und in Szenarien<br />
gegossen.» . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164<br />
3 Vier Szenarien in Wort und Bild . . . . . . . . . . 166<br />
3.1 Trend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166<br />
3.2 Erfolg dank Ökologie . . . . . . . . . . . . . . . 167<br />
3.3 Gewinnmaximierung . . . . . . . . . . . . . . . 168<br />
3.4 Misere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168<br />
3.5 Gegenüberstellung der Szenarien . . . . . . . . . 169<br />
4 Schmilzt der ökologische Vorsprung der<br />
Schiene? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170<br />
4.1 Vorgehen bei der ökologischen Bewertung . . . . 170<br />
4.2 Resultate der ökologischen Bewertung:<br />
Umweltauswirkungen in den Szenarien . . . . . 171<br />
4.3 Einschränkungen bei Durchführung und<br />
Interpretation der ökologischen Bewertung . . . 176<br />
5 <strong>Die</strong> Szenarien in ihrem Kontext . . . . . . . . . . 176<br />
5.1 <strong>Die</strong> strategischen Ziele der SBB . . . . . . . . . . 176<br />
5.2 Szenarien aus dem NFP 41 «Verkehr und<br />
Umwelt» und dem UIC Railplan . . . . . . . . . . 176<br />
6 Was konnten wir aus Szenarien und Bewertung<br />
lernen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177<br />
7 Undwieweiter? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178<br />
7.1 Fazit für die SBB AG . . . . . . . . . . . . . . . . 178<br />
7.2 <strong>Die</strong> Szenarien werden Realität: Ein Blick in die<br />
Tagespresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178<br />
Lärm im Gütertransport – Ökobilanzierungen . . . . . 181<br />
1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183<br />
1.1 Gegenst<strong>and</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183<br />
1.2 Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183<br />
2 Einbezug von Strassenlärm in den Eco-<br />
Indicator 99 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184<br />
2.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184<br />
2.2 Ausbreitungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . 184<br />
2.3 Expositionsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . 185<br />
2.4 Abschätzung von Dosis-Wirkungs-<br />
Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186<br />
2.5 Schadenabschätzung . . . . . . . . . . . . . . . 187<br />
2.6 Berechnung des Lärmschadens . . . . . . . . . . 188<br />
3 Modell für die Auswirkungen des<br />
Schienenlärms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189<br />
3.1 Ausbreitungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . 189<br />
3.1.1 Emissionskataster der SBB . . . . . . . . . . . . . 189<br />
3.1.2 Berechnung der Zunahme des Lärmpegels<br />
durch den Verkehr zusätzlicher Züge auf<br />
einem Streckenabschnitt . . . . . . . . . . . . . . 189<br />
3.1.3 Kategorisierung des SBB-Streckennetzes . . . . . 190<br />
3.1.4 Berechnung des ∆Leq für jede Kategorie . . . . . 191<br />
3.1.5 Diskussion der Resultate . . . . . . . . . . . . . . 191<br />
3.1.6 Diskussion des Vorgehens . . . . . . . . . . . . . 191<br />
3.2 Expositionsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . 192<br />
3.3 Abschätzung von Dosis-Wirkungs-<br />
Beziehungen und des Schadens . . . . . . . . . . 192<br />
3.4 Berechnung des Lärmschadens . . . . . . . . . . 193<br />
3.5 Umrechnung von Fahrzeug- in Tonnenkilometer<br />
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193<br />
3.5.1 Strasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193<br />
3.5.2 Eisenbahn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193<br />
4 Vergleich der Bewertung von Strassen- und<br />
Schienenlärm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194<br />
4.1 Resultatevergleich - ein Beispiel . . . . . . . . . . 194<br />
4.2 Modellvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194<br />
4.3 Anpassung der Methode von Müller-Wenk . . . . 196<br />
5 Lärmbilanz konkreter Transportketten . . . . . . . 197<br />
5.1 Ausgewählte Transportketten und ihre<br />
Lärmbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197<br />
5.1.1 V-Zug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197<br />
5.1.2 Cham Paper Group . . . . . . . . . . . . . . . . 198<br />
5.1.3 Migros . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198<br />
5.1.4 Annahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198<br />
5.1.5 Fehlerabschätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . 200<br />
5.2 Lärmbilanz pro Tonnenkilometer . . . . . . . . . 200<br />
6 Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200<br />
6.1 Diskussion der Methoden . . . . . . . . . . . . . 200<br />
6.1.1 Unsicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200<br />
6.1.2 Übertragbarkeit der Schweizer Verhältnisse<br />
aufEuropa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200<br />
6.1.3 Zeitliche Bezugsbasis . . . . . . . . . . . . . . . 200<br />
6.1.4 Betroffene Personen . . . . . . . . . . . . . . . . 201<br />
6.2 Wichtige Einflussfaktoren . . . . . . . . . . . . . 201<br />
6.3 Schlusswort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> '00 3
Inhaltsverzeichnis<br />
<strong>Fallstudie</strong> im W<strong>and</strong>el – <strong>Die</strong> <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>n<br />
1994 bis 2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203<br />
1 Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205<br />
1.1 Der Studiengang Umweltnaturwissenschaften . . 205<br />
1.2 <strong>Die</strong> umweltnaturwissenschaftliche <strong>Fallstudie</strong> . . . 205<br />
2 Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206<br />
3 <strong>Fallstudie</strong>nbüro . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208<br />
3.1 Allgemeine Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . 208<br />
3.2 Zusammenarbeit mit der <strong>Fallstudie</strong>nkommission<br />
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209<br />
3.3 Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210<br />
4 Projektorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . 210<br />
4.1 Modularisierung und Synthese . . . . . . . . . . 210<br />
4.2 Zeitplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212<br />
5 Produkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212<br />
6 Zukunft der <strong>Fallstudie</strong> . . . . . . . . . . . . . . . 215<br />
Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255<br />
Index . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256<br />
Studierende der einzelnen Synthesegruppen . . . . . . . 259<br />
TutorInnen der einzelnen Synthesegruppen . . . . . . . 260<br />
<strong>Fallstudie</strong>ndidaktik – <strong>Die</strong> Steuerung von gruppendynamischen<br />
Prozessen in einem transdisziplinären<br />
Lehrprojekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217<br />
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219<br />
2 Studierende: selbstverantwortliches Lernen<br />
und spezifische Aufgaben . . . . . . . . . . . . . 220<br />
3 Tutorierende: Lehrpersonen als Coach . . . . . . 221<br />
4 <strong>Die</strong> Steuerung von Gruppenprozessen als<br />
zentrale Schwierigkeit . . . . . . . . . . . . . . . 222<br />
5 Werkzeuge zur Steuerung des Gruppenprozesses<br />
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224<br />
6 Mögliche Weiterentwicklungen: Verstehen<br />
von Gruppenprozessen als Lernziel . . . . . . . . 226<br />
Entwicklung der <strong>Fallstudie</strong>nmethoden . . . . . . . . . 229<br />
1 Ursprung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231<br />
2 Charakteristika: Synthese und Wissensintegration<br />
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232<br />
3 Vom Lehre-Forschungs-Anwendungs-Paradigma<br />
zur Wissensintegration . . . . . . . . . . . . . . 234<br />
4 Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238<br />
4.1 Methodenüberblick . . . . . . . . . . . . . . . . 238<br />
4.2 Methoden zur Fallrepräsentation und<br />
Modellierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238<br />
4.3 Methoden zur Fallbewertung und Evaluation . . . 239<br />
4.4 Methoden zur Fallentwicklung und Fallveränderung<br />
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240<br />
4.5 Methoden zur Unterstützung der <strong>Fallstudie</strong>n-<br />
Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240<br />
5 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241<br />
Transdisziplinaritäts-Laboratorium <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong><br />
<strong>Fallstudie</strong> – Werkstatt für ein neuartiges Zusammenwirken<br />
von Wissenschaft und Praxis . . . . . . . . . . 243<br />
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243<br />
2 Geschichte und Theorie des TDL . . . . . . . . . 245<br />
2.1 Hintergrund und Grundsätze . . . . . . . . . . . 245<br />
2.2 Transdisziplinarität: ein Bedürfnis der Praxis . . . 246<br />
2.3 Prinzipien des Wissenschaft-Praxis-Dialogs . . . . 247<br />
3 Praxis des TDL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248<br />
3.1 Schnittstellen: «boundary objects» als<br />
Vermittlungsinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . 248<br />
3.2 Kommunikation: eine Reihe von Zwischenprodukten<br />
als Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . 249<br />
3.3 Qualitätskontrolle: verschiedene sich<br />
gegenseitig ergänzende Elemente . . . . . . . . 251<br />
4 Folgerungen: Institutionalisierung transdisziplinärer<br />
Schnittstellen . . . . . . . . . . . . . 252<br />
4 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> '00
Vorwort<br />
Lebendige Netzwerke<br />
Harald A. Mieg<br />
Professor für Mensch-Umwelt-<br />
Beziehungen<br />
Leiter der <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong><br />
2000<br />
Fachgrenzen hinweg austauschen, langfristig Kontakte pflegen...<br />
Unser Dank gilt der SBB AG für die enge Zusammenarbeit<br />
und dem Kanton Zug sowie dem NFP 41 «Verkehr und<br />
Umwelt» für die wertvolle Unterstützung. Mein persönlicher<br />
Dank gilt auch den Studentinnen und Studenten, welche<br />
mit viel Engagement zum Erfolg der <strong>Fallstudie</strong> beigetragen<br />
haben, sowie all den Tutorierenden, welche die <strong>Fallstudie</strong>narbeit<br />
fachlich und aufmunternd unterstützten.<br />
Der Schweizer Verkehr endet nicht an den Grenzen, sondern<br />
wird wesentlich von dem Geschehen in der EU bestimmt.<br />
So würde es uns freuen, wenn der Forschungs- und<br />
Gedankenaustausch, der unsere <strong>Fallstudie</strong> geprägt hat, über<br />
den Kanton Zug und die Schweiz hinaus getragen wird.<br />
«No man is an isl<strong>and</strong>», heisst es bei John Donne. Ob in der<br />
Wissenschaft, in der Industrie oder im Bereich öffentlicher<br />
Verwaltung: Erfolgreiches Vorgehen ist selten im Alleingang<br />
möglich. Notwendig sind Kooperations-Netzwerke<br />
zwischen Akteuren und Forschung. <strong>Die</strong>s gilt auch für Fragen<br />
des Verkehrs und im besonderen für unsere <strong>Fallstudie</strong><br />
zum ökologischen Potenzial des Schienengüterverkehrs.<br />
Umweltbelastungen durch den individuellen Personenverkehr<br />
sind seit Jahren Gegenst<strong>and</strong> heftiger gesellschaftlicher<br />
Diskussionen. Der Güterverkehr hingegen bleibt unserem<br />
Alltagsproblembewusstsein entzogen. Gerade im Güterverkehr<br />
hat die Bahn gegenüber der Strasse an Anteilen<br />
verloren. <strong>Die</strong> Politik – in der Schweiz wie im übrigen<br />
Europa – hat hierauf reagiert und ist bemüht, mittels Bahnreformen<br />
die Produktivität der Bahnen anzuschieben. Aufgrund<br />
von Produktivitäts-Sprüngen beim Strassentransport<br />
verringern sich derzeit die Emissionen von dieser Seite; die<br />
Bahn ist nah daran, ihren Vorsprung als umweltfreundliches<br />
Transportmittel gegenüber der Strasse zu verlieren.<br />
Güterverkehr geht notwendig mit dem Verbrauch von<br />
Ressourcen einher: L<strong>and</strong> wird versiegelt; Energie wird verzehrt.<br />
Wir können den Güterverkehr jedoch nicht einfach<br />
«herunterfahren» oder einstellen. Es gilt vielmehr, die Ressourcen<br />
effizient einzusetzen. Wir müssen den Nutzen von<br />
Transport und die transportbedingten Umweltauswirkungen<br />
gegenein<strong>and</strong>er abwägen. Auf wissenschaftlicher Seite erfordert<br />
dies den Beitrag von so unterschiedlichen Disziplinen<br />
wie Ökonomie und Umweltwissenschaften. Auf welche<br />
Weise der Güterverkehr tatsächlich gestaltet wird, darüber<br />
entscheidet im konkreten Fall nicht die Wissenschaft, sondern<br />
das Zusammenspiel von Kunden, Transporteuren und<br />
regulierenden Stellen. <strong>Die</strong>s zeigt unsere <strong>Fallstudie</strong>.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Fallstudie</strong> ist ein Lehrprojekt, das ein Stück Forschungs-<br />
und Entwicklungsarbeit leistet: sei es zur Frage der<br />
Ökoeffizienz oder bei der Ausrichtung einer Kommunikationsplattform<br />
für die regionalen Akteure im Transportgewerbe.<br />
In der <strong>Fallstudie</strong> in der Region Zugersee arbeiteten 52<br />
Studierende zusammen mit 8 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen<br />
der SBB AG sowie 14 Mitarbeitern aus Forschung,<br />
Privatwirtschaft und Verwaltung. Unsere <strong>Fallstudie</strong> wollte<br />
Prozesse anstossen, Gestaltungsideen liefern, Methoden testen<br />
und vor allem: Netzwerke beleben oder neu knüpfen.<br />
<strong>Die</strong>s heisst: Leute an einen Tisch bringen, Wissen über<br />
Ein kritisches Hinterfragen der<br />
Umweltpositionierung der SBB<br />
Peter Hübner<br />
Delegierter Umwelt der SBB<br />
<strong>Die</strong> Mitarbeit der SBB AG in der <strong>Fallstudie</strong> «Zukunft Schiene<br />
Schweiz» st<strong>and</strong> von Anfang an vor dem Hintergrund<br />
ihrer Umweltstrategie: <strong>Die</strong> SBB AG will sich nachhaltig<br />
entwickeln und hat sich in ihrer Umweltstrategie die dazu<br />
notwendigen strategischen Leitsätze gegeben. <strong>Die</strong> umweltrelevante<br />
Positionierung der SBB in den Gebieten Lärm,<br />
Erschütterungen, Energie, Altlasten, Gewässerschutz, Natur-<br />
und Heimatschutz sind bekannt, Aktionsprogramme zur<br />
Verbesserung der Positionierung sind in die Wege geleitet.<br />
<strong>Die</strong> erreichten Ziele hat das fürs Umweltmanagement der<br />
SBB zuständige BahnUmwelt-Center im Umweltbericht der<br />
SBB AG dokumentiert. Für die künftig noch auszubauende<br />
Umweltberichterstattung fehlen den SBB, aber auch <strong>and</strong>eren<br />
europäischen Bahnen, noch Instrumente zum wissenschaftlichen<br />
Erfassen der Ökoeffizienz.<br />
Während die erste Phase (1999) der <strong>Fallstudie</strong> «Zukunft<br />
Schiene Schweiz» mehr generellen Fragen gewidmet war,<br />
richtete sich der Fokus der zweiten Phase (2000) nun einerseits<br />
auf konkrete Untersuchungen: Wie ist der Grünraum<br />
der Bahn zu werten im Vergleich zur Strasse? Welches sind<br />
die Chancen im Güterverkehr, wenn und falls unsere Kunden<br />
bei der Wahl der Transportart die ökologischen Vorteile<br />
der Bahn berücksichtigen? Wie sind für die Ökoeffizenz die<br />
ökologischen Rechnungseinheiten, z.B. für den Lärm, zu<br />
konkretisieren? Um das Arbeitsfeld begreifbarer zu ma-<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 5
Vorwort<br />
chen, konzentrierten sich die Untersuchungen auf den Raum<br />
Zug. Anderseits sollte wieder ein Bogen zu den generellen<br />
Fragen geschlagen werden: Welche Szenarien können sich<br />
für künftige Entwicklungen darbieten? Und: Wie sind die<br />
Resultate der beiden <strong>Fallstudie</strong>nphasen zusammenzufügen?<br />
Wie in der ersten Phase der <strong>Fallstudie</strong> erwartete die SBB<br />
AG ein kritisches Hinterfragen ihrer eigenen Einschätzungen<br />
der Umweltpositionierung sowie eine Vertiefung und<br />
Konkretisierung der Frage der Ökoeffizienz. Weiterhin<br />
wichtig war uns die externe Sicht und Kritik durch junge und<br />
engagierte künftige Fachkollegen. <strong>Die</strong> zweite Phase war<br />
auch einer externen Beurteilung unseres Umgangs mit Kunden<br />
und den daraus abzuleitenden Chancen gewidmet. <strong>Die</strong><br />
Resultate haben uns wieder gezeigt, dass von den engagierten<br />
Studenten eine Vielzahl von positiven Anregungen gekommen<br />
ist, die bei den SBB aufgenommen werden. <strong>Die</strong><br />
Ökoeffizienzfragen konnten einerseits vertieft werden, <strong>and</strong>erseits<br />
zeigt sich – wie zu erwarten war – weiterer Forschungs-<br />
und Entwicklungsbedarf.<br />
<strong>Die</strong> ganze <strong>Fallstudie</strong> zeigt für die SBB AG neben den als<br />
Produkten vorliegenden beiden <strong>Fallstudie</strong>nbänden mit ihren<br />
beeindruckenden und vielen direkt messbaren Resultaten<br />
auch einen gleichwertigen Erfolg für eine aktive Umweltkommunikationsmöglichkeit<br />
der SBB. Wir schätzten die<br />
Gelegenheit, künftigen WissenschaftlerInnen, Führungskräften<br />
und vielleicht auch künftigen KollegInnen intensiv<br />
die Chancen, Grenzen und Risiken der umweltfreundlichen<br />
Bahn im Transportmarkt aufzuzeigen. Sie konnten sich mit<br />
den praktischen Schwierigkeiten des Umweltschutzes im<br />
Spannungsfeld zwischen Ökologie und Ökonomie ausein<strong>and</strong>ersetzen.<br />
<strong>Die</strong> SBB AG hofft, dabei auch künftige gewichtige<br />
Promotoren des Transportmittels Bahn oder sogar<br />
den einen oder <strong>and</strong>ern künftigen Mitarbeitenden gewonnen<br />
zu haben.<br />
Vorgeschmack auf die Realität im<br />
beruflichen Alltag<br />
Martin Bütikofer<br />
Leiter Amt für öffentlichen<br />
Verkehr des Kantons Zug<br />
<strong>Die</strong> vorliegende <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> «Zukunft Schiene<br />
Schweiz 2» ist ein gemeinsames Projekt zwischen der SBB<br />
AG und dem Bereich Umweltnaturwissenschaften der <strong>ETH</strong><br />
Zürich. Nachdem die <strong>Fallstudie</strong> 1999 «Zukunft Schiene<br />
Schweiz 1» hauptsächlich versuchte, ökologisch verträgliche<br />
Wege aufzuzeigen, befasst sich die <strong>Fallstudie</strong> 2000 mit<br />
dem konkreten Problem der ökologischen Bewertung des<br />
Bahngüterverkehrs an Fallbeispielen aus der Region Zug.<br />
Neue Methoden wurden geprüft und es konnten wertvolle<br />
Ergebnisse erzielt werden. Nun wird es Aufgabe der beteiligten<br />
Partner sein, die daraus gewonnenen Erkenntnisse<br />
situationsbezogen zur Stärkung der Abwicklung des Güterverkehrs<br />
auf der Schiene umzusetzen.<br />
Als Beirat der <strong>Fallstudie</strong> 2000 und als Leiter des Amts für<br />
öffentlichen Verkehr im Kanton Zug kam ich verschiedene<br />
Male in direkten Kontakt mit Studierenden, sei es im Rahmen<br />
kleiner Arbeitsgruppen oder bei grösseren Veranstaltungen.<br />
<strong>Die</strong> Freude und das Engagement der Studierenden<br />
haben mich darin bestätigt, dass der Ansatz einer grossen<br />
<strong>Fallstudie</strong>, wie sie das Departement Umweltnaturwissenschaften<br />
seit 1992 durchführt, einen wertvollen Beitrag<br />
leisten kann, um den Studierenden bereits während des<br />
Studiums einen Vorgeschmack auf die Realität im beruflichen<br />
Alltag zu geben. Nebst der Wissensvermittlung bot<br />
diese <strong>Fallstudie</strong> den Studierenden auch die Möglichkeit,<br />
sich in den Bereichen Projektorganisation, Schnittstellenmanagement<br />
und Kommunikation weiterzubilden und sich<br />
selbst anh<strong>and</strong> praktischer Möglichkeiten zu erfahren.<br />
Ich danke den Verantwortlichen, dass der Kanton Zug Teil<br />
dieser <strong>Fallstudie</strong> sein durfte. <strong>Die</strong>ser Prozess war für uns eine<br />
spannende, neuartige und äusserst wertvolle Erfahrung.<br />
6 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Vorwort<br />
Brücken von der Forschung zur<br />
Praxis schlagen<br />
Erfahrungen mit neuen<br />
Arbeitsweisen<br />
Felix Walter<br />
Leiter des Nationalen<br />
Forschungsprogramms<br />
«Verkehr und Umwelt»<br />
(NFP 41)<br />
<strong>Die</strong> <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> und das Nationale Forschungsprogramm<br />
«Verkehr und Umwelt» (NFP 41) haben eines<br />
gemeinsam: Sie versuchen, Brücken von der Forschung zur<br />
Praxis zu schlagen. Wer diese exponierte Brücke begehen<br />
will, setzt sich den Vorwürfen von zwei Seiten aus: Aus dem<br />
Elfenbeinturm hört man, praxisnahe <strong>Fallstudie</strong>n oder als<br />
politische Entscheidungsgrundlagen konzipierte Berichte<br />
seien keine «echte» Forschung. Umgekehrt sind die Vorurteile<br />
der PraktikerInnen nicht leicht auszurotten, auch angew<strong>and</strong>te<br />
Forschung sei in jedem Fall noch etwas Abgehobenes,<br />
Unbrauchbares.<br />
Ganz <strong>and</strong>ers sehen es die meisten, die an einer praxisgerechten<br />
Ausbildung von Nachwuchskräften und/oder an<br />
besseren, seriösen Entscheidungsgrundlagen für eine nachhaltige<br />
Politik interessiert sind: Für sie ist klar, dass diese<br />
Brücke begangen, die angew<strong>and</strong>te Forschung gewagt werden<br />
muss, sei es nun mit der orientierten Forschung in einem<br />
NFP oder mit praxisnahen (vornehmer: transdisziplinären)<br />
<strong>Fallstudie</strong>n in der Ausbildung. Damit wird die Grundlagenforschung<br />
in keiner Weise herabgemindert, im Gegenteil:<br />
sie erhält ein Aushängeschild und kann ihren Nutzen demonstrieren,<br />
was in der Zeit von knappen Kassen unerlässlich<br />
ist.<br />
Damit der Brückenbau erfolgreich ist, braucht es ein<br />
ausserordentliches Engagement der Initianten, in diesem<br />
Fall des Lehrkörpers der <strong>Fallstudie</strong>, und genau so habe ich<br />
das Leitungsteam der <strong>Fallstudie</strong>n erlebt: offen für die Partnerschaft,<br />
zum Beispiel mit dem NFP 41, vor allem aber<br />
bereit, Ausserordentliches zu leisten, und zwar sowohl im<br />
Umgang mit aktuellen wissenschaftlichen Impulsen (zum<br />
Beispiel aus dem NFP 41), wie auch im Umgang mit Vertreterinnen<br />
und Vertretern der Praxis.<br />
<strong>Die</strong> vorliegende Publikation ist ein weiterer eindrücklicher<br />
Beleg dafür, was aus dieser Art von Ausbildung und<br />
Forschung entstehen kann. Ich hoffe, sie trage auch dazu bei,<br />
das Plädoyer für gute orientierte Forschung ebenso wie für<br />
praxisgerechte Ausbildung weiter herum hörbar zu machen.<br />
Für die gute Zusammenarbeit und die Gelegenheit zu einem<br />
Beitrag an dieses Werk danke ich allen Beteiligten bestens.<br />
Martin Weymann &<br />
Martina Rivola<br />
Studierende der <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong><br />
<strong>Fallstudie</strong> 2000<br />
Mit dem «Güterverkehr der SBB AG in der Region Zugersee»<br />
war der Fall gut gewählt worden: Ein grosses Unternehmen<br />
im Umbruch, mit dem wir täglich in Kontakt kommen.<br />
Der Fall forderte von uns Studierenden eine Ausein<strong>and</strong>ersetzung<br />
mit der vielgesichtigen Problematik der «realen<br />
Welt»; Ausein<strong>and</strong>ersetzung mit der Umwelt des Grossunternehmens<br />
SBB und Begegnung mit den Menschen, die diese<br />
Umwelt mit ihrer Arbeit prägen. Durch die Vertreter der<br />
SBB AG und <strong>and</strong>ere Fachpersonen wurden wir mit ihrem<br />
Berufsalltag, ihren Meinungen und Ideen konfrontiert. <strong>Die</strong>se<br />
Zusammenarbeit war sehr fruchtbar.<br />
Während vier Monaten diskutierten wir mit ihnen Fragen<br />
wie die folgenden: Welche ökologischen Probleme sind<br />
kurzfristig und längerfristig bei der SBB AG zu lösen? Wie<br />
wird die Ökoeffizienz des Transportnutzens berechnet? Wie<br />
sieht eine ökologische Gestaltung der Bahnareale aus (Böschungspflege,<br />
Einbettung in die L<strong>and</strong>schaft, Passierbarkeit<br />
für Tiere etc.)? Welches sind die grössten Konflikte zwischen<br />
den Transportunternehmen, Städteplanern und der<br />
SBB AG in der Region Zug? Wie könnte die SBB AG im<br />
Jahre 2015 aussehen und welche Strategie müsste sie verfolgen,<br />
um zum einen oder <strong>and</strong>eren Szenario zu gelangen?<br />
Interessant an der <strong>Fallstudie</strong> waren die neuen Arbeitsweisen:<br />
Wir planten und leiteten Sitzungen, präsentierten Ergebnisse,<br />
erarbeiteten neue Konzepte, interviewten, steuerten<br />
Gruppenprozesse und organisierten ein Diskussionsforum.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Fallstudie</strong> gab uns die Möglichkeit, zahlreiche<br />
praktische Fertigkeiten zu üben, die wir im späteren Berufsleben<br />
beherrschen müssen. Im Rahmen dieser <strong>Fallstudie</strong><br />
sammelten wir Erfahrungen, wie ein grosses Projekt geplant,<br />
organisiert und gemanagt wird.<br />
Wir sehen aber auch Entwicklungspotenzial: Fachwissen<br />
konnten wir nur wenig anwenden oder neu gewinnen. <strong>Die</strong><br />
für den Arbeitsprozess aufgewendete Zeit war gross. Wir<br />
denken, dass die <strong>Fallstudie</strong> eine wichtige Komponente unserer<br />
Ausbildung ist – diese aber weiterentwickelt werden<br />
muss, damit die Studierenden neben dem Erlernen von<br />
Führungsqualitäten und neuen Methoden auch ihr Fachwissen<br />
gezielter einsetzen können.<br />
Für uns Studierende bleibt die Frage: Wird die diesjährige<br />
<strong>Fallstudie</strong> im Gütertransport etwas bewirken, oder bleibt sie<br />
ein interessanter Ansatz? In diesem <strong>Fallstudie</strong>nb<strong>and</strong> präsentieren<br />
wir Ihnen unsere <strong>Fallstudie</strong>narbeit betreffend Ökobi-<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 7
Vorwort<br />
lanzierung, ökologischer Gestaltung von Bahnarealen,<br />
Szenarioanalyse und Diskussionsforen zwischen den Transportnutzern<br />
und -anbietern. Wir wünschen uns, dass Sie von<br />
den Ansätzen profitieren, angeregt werden und diese<br />
weiterentwickeln.<br />
Challenges in Teaching<br />
Environmental <strong>Science</strong>s<br />
ongoing research within the Department into how knowledge<br />
from a wide range of perspectives can be integrated to<br />
address complex problems <strong>and</strong> improve future choices.<br />
These issues of transdisciplinary methodology are dealt with<br />
in detail in some of the later chapters. Finally, of course, this<br />
book is also a serious attempt to analyse questions of the<br />
sustainability <strong>and</strong> ecological impact of rail transport in<br />
Switzerl<strong>and</strong>. The study analyses many of the important<br />
environmental issues faced by the rail industry, <strong>and</strong> provides<br />
suggestions for how these problems may be tackled. Despite<br />
its origins as a teaching activity, we believe that the study<br />
makes a valuable contribution to the search for sustainable<br />
transport systems.<br />
Peter Edwards<br />
Chairman, Department of<br />
Environmental <strong>Science</strong>s (Umweltnaturwissenschaften),<br />
<strong>ETH</strong><br />
A university education in environmental sciences is<br />
challenging, not only for the students but also for their<br />
teachers. Underst<strong>and</strong>ing how the natural environment works<br />
requires a sound background not only in the traditional<br />
scientific disciplines of physics, chemistry <strong>and</strong> biology, but<br />
also in the social sciences, including economics <strong>and</strong> law.<br />
However, the biggest challenge lies, not so much in the<br />
breadth of subject matter, but in learning how to use this<br />
knowledge to tackle complex interdisciplinary problems. To<br />
achieve this objective calls for new forms of teaching <strong>and</strong><br />
learning. In the Department of Environmental <strong>Science</strong>s at<br />
<strong>ETH</strong>, activities directed towards synthesising <strong>and</strong> using<br />
knowledge play an important part in our teaching. A core<br />
element in the undergraduate course are case studies (<strong>Fallstudie</strong>n),<br />
in which students are confronted with complex<br />
«real world» environmental problems whose solution requires<br />
an inter- or trans-disciplinary approach.<br />
The book you have before describes the case study for<br />
environmental science students at <strong>ETH</strong> in the year 2000. As<br />
a document it can be viewed at several different levels.<br />
Firstly, it is the product of a teaching activity. Most of the<br />
work was carried out by students in their eighth semester,<br />
supported by their tutors <strong>and</strong> advisors. The case study was<br />
designed to give students experience in a major transdisciplinary<br />
project, involving phases of conceptual development,<br />
collection <strong>and</strong> analysis of data, <strong>and</strong> presentation of<br />
findings in both an oral <strong>and</strong> written form. Secondly, the case<br />
study represents a collaboration between the Department of<br />
Environmental <strong>Science</strong>s at <strong>ETH</strong> <strong>and</strong> outside organizations,<br />
in particular the SBB <strong>and</strong> the administrative authorities of<br />
the canton of Zug. It is my pleasure to thank these organizations<br />
for their valuable contribution. The time <strong>and</strong> care<br />
devoted by our collaborators was an enormous stimulus for<br />
the students, <strong>and</strong> contributed greatly to the quality of the<br />
final product. Thirdly, the case study also forms part of<br />
8 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Dank<br />
Dank<br />
<strong>Die</strong> <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> lebt vom grossen Einsatz der<br />
Studierenden und der beteiligten Tutorierenden aus Hochschule,<br />
Ämtern und privaten Unternehmen. Um ein solch<br />
angew<strong>and</strong>tes Lehr-Grossprojekt aber überhaupt durchführen<br />
zu können, sind wir auf die Unterstützung und das<br />
Engagement vieler weiterer Personen aus der SBB AG, von<br />
Privatbahnen, Betrieben, Ämtern und Privaten angewiesen.<br />
Allen Personen, die im Rahmen der <strong>Fallstudie</strong> 2000 Vorträge<br />
gehalten, mit Studierenden diskutiert und sie in Fachfragen<br />
beraten haben, allen, die uns Dokumentationsmaterial<br />
und Daten zur Verfügung gestellt oder sich Zeit für<br />
Interviews oder Befragungen genommen haben, sowie den<br />
Reviewern des B<strong>and</strong>es möchten wir an dieser Stelle ganz<br />
herzlich danken.<br />
<strong>Die</strong> untenstehende Liste ist sicher unvollständig – so viele<br />
Kontakte hat es während der vierzehn intensiven Wochen<br />
der <strong>Fallstudie</strong> gegeben, dass es kaum möglich ist, alle zu<br />
erfassen. Bei all denjenigen Helferinnen und Helfern, die<br />
auf den folgenden Seiten nicht erwähnt sind, möchten wir<br />
uns hier entschuldigen: Auch ihr Beitrag hat zum erfolgreichen<br />
Abschluss des Projektes entscheidend beigetragen.<br />
Cyrus Abivardi<br />
Geobotanik <strong>ETH</strong>, Zürich<br />
Claudia Arnold<br />
SBB AG, Luzern<br />
Michael Bächler<br />
Bertschi AG, Dürrenäsch<br />
Ruedi Bär<br />
Planzer Transport AG, <strong>Die</strong>tikon<br />
Peter Balmer<br />
SBB AG, Luzern<br />
Hansueli Baumgartner<br />
SBB AG, Rangierbahnhof Limmattal, Spreitenbach<br />
Ernst Berger<br />
BUWAL, Bern<br />
Marc Birchmeier<br />
SBB Cargo Logistik, Zürich<br />
Bruno Birnbaumer<br />
Bundesamt für Strasse ASTRA, Bern<br />
Franziska Borer<br />
<strong>Die</strong>nst für Gesamtverkehrsfragen, Bern<br />
Heinrich Brändli<br />
Verkehrsplanung IVT <strong>ETH</strong>, Zürich<br />
Peter Braun<br />
Migros Genossenschaftsbund, Zürich<br />
Martin Bütikofer<br />
Amt für öffentlichen Verkehr, Zug<br />
Urs Dahinden<br />
Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung<br />
Universität Zürich, Zürich<br />
Peter Dudler<br />
SBB AG, Luzern<br />
Stephan Durrer<br />
Natura Basell<strong>and</strong>, Liestal<br />
Peter Edwards<br />
Geobotanik <strong>ETH</strong>, Zürich<br />
Walter Ellenberger<br />
SBB Cargo, Bern<br />
Markus Epper<br />
SBB Wagenreinigungsdienst, Zürich<br />
Hansruedi Erismann<br />
SBB Cargo, Zürich<br />
Barbara Flückiger<br />
Nationales Forschungsprogramm, Bern<br />
Christoph Frei<br />
SBB Cargo Marketing, Bern<br />
Jean Marc Frei<br />
Natur und L<strong>and</strong>schaft, Bern<br />
Ueli Frey<br />
L<strong>and</strong>wirtschaftsamt Kanton ZG, Zug<br />
Peter Füglistaler<br />
SBB AG Generalsekretariat, Bern<br />
Fern<strong>and</strong>e Gächter<br />
SBB AG BahnUmwelt-Center, Bern<br />
Thaddeus Galliker<br />
Pro Natura Schwyz, Arth-Goldau<br />
Peter Galliker sen.<br />
Galliker Transport AG, Altishofen<br />
Urs Germann<br />
Baudepartement Kanton SZ, Brunnen<br />
Philipp Gieger<br />
Baudirektion Kanton ZG, Zug<br />
Ulrich Giezendanner<br />
Giezendanner Transport AG, Rothrist<br />
Andreas Gigon<br />
Geobotanik <strong>ETH</strong>, Zürich<br />
Peter Glanzmann<br />
Bauamt Gemeinde Risch, Rotkreuz<br />
Raymund Gmünder<br />
L<strong>and</strong>wirtschaftliches Bildungszentrum Kanton ZG,<br />
Cham<br />
Georg Graf<br />
Zentrum für Zukunftsforschung, St. Gallen<br />
Andreas Grieder<br />
Hangartner AG, Aarau<br />
Armin Grimm<br />
Papierfabrik Cham-Tenero AG, Cham<br />
Jakob Gunthardt<br />
GIS-Fachstelle Kanton ZG, Zug<br />
Barbara Haering Binder<br />
econcept AG, Zürich<br />
Heinz Haueter<br />
SBB AG, Bahnhof Burgdorf<br />
Iris Heller-Kellerberger<br />
WSL, Birmensdorf<br />
Luka Henryk<br />
FIBL, Frick<br />
Mike Heusser<br />
Papierfabrik Cham-Tenero AG, Cham<br />
Matthias Hirzel<br />
Logistik V-Zug AG, Zug<br />
Ueli Hofer<br />
KARCH, Bern<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 9
Dank<br />
Patrick Hofstetter<br />
National Risk Management Research Laboratory,<br />
Cincinnati USA<br />
Matthias Holenstein<br />
Ernst Basler + Partner AG, Zollikon<br />
Hans Peter Holliger<br />
Rangierbahnhof Limmattal, Spreitenbach<br />
Otto Holzgang<br />
Schweizerische Vogelwarte, Sempach<br />
Hans-Peter Howald<br />
Abteilung für Verkehr Kanton AG, Aarau<br />
René Hutter<br />
Baudirektion Kanton ZG, Zug<br />
Kurt Iten<br />
Qualitätssicherung V-Zug AG, Zug<br />
Jochen Jäger<br />
Akademie für Technikfolgenabschätzung, Stuttgart<br />
Beat Jäggi<br />
SBB AG Hauptwerkstätte, Olten<br />
Sigi Jehle<br />
SBB Cargo Service Center, Zürich<br />
Tobias Kamer<br />
Natur- und Tierpark, Goldau<br />
Rolf Kaufmann<br />
Leiter Logistik, Papierfabrik Cham-Tenero AG, Cham<br />
Felix Kienast<br />
WSL, Birmensdorf<br />
Peter Kiser<br />
Logistik & Transport Migros Genossenschaftsbund,<br />
Zürich<br />
Peter Klaus<br />
SBB AG, Bahnhof Zug<br />
Hans-<strong>Die</strong>tmar Köppel<br />
Stöckli, Kienast & Köppel, Wettingen<br />
Theodor Koller<br />
Umwelthygiene <strong>ETH</strong>, Zürich<br />
Bertil Krüsi<br />
WSL, Birmensdorf<br />
Sonya Kuchen<br />
LBL, Lindau<br />
Christian Küng<br />
<strong>Die</strong>nst für Gesamtverkehrsfragen, Bern<br />
Helmut Kuppelwieser<br />
SBB AG BahnUmwelt-Center SBB, Bern<br />
Erwin Leupi<br />
AG Natur und L<strong>and</strong>schaft, Luzern<br />
Bruno Lifart<br />
Bruno Lifart Consulting, Rickenbach<br />
Jürg Mägerle<br />
Socioeconomic Institute Universität Zürich, Zürich<br />
Rico Maggi<br />
Università della Svizzera Italiana di Lugano, Lugano<br />
Markus Maibach<br />
Infras AG, Zürich<br />
Ueli Maurer<br />
Hangartner AG, Aarau<br />
Philipp Meier<br />
SBB AG, Bahnhof Zürich Flughafen<br />
Ruedi Meier<br />
GSBVE, Bern<br />
Ivo Menzinger<br />
Swiss Re, Zürich<br />
Niklaus Messerli<br />
L<strong>and</strong>wirtschaftliches Bildungszentrum Kanton ZG,<br />
Cham<br />
Walter Moser<br />
SBB AG Generalsekretariat, Bern<br />
Albert Müller<br />
SBB AG Infrastruktur, Arth-Goldau<br />
<strong>Die</strong>ter Müller<br />
Stiftung Lebens- und Wirtschaftsraum Zug, Zug<br />
Ruedi Müller-Wenck<br />
Institut für Wirtschaft und Ökologie Universität<br />
St. Gallen, St. Gallen<br />
Ludwig Näf<br />
SBB AG, Rollmaterial Unterhalt, Zürich<br />
Astrid Nägeli<br />
SBB AG BahnUmwelt-Center, Zürich<br />
Edwin Neurauter<br />
Naturschutzkommission Zug, Buonas<br />
Bernhard Nievergelt<br />
Zoologisches Institut Universität Zürich, Zürich<br />
Werner Oberholzer<br />
KLB, Kriens<br />
Thomas Peter<br />
Atmosphärenphysik <strong>ETH</strong>, Zürich<br />
Daniel Peter<br />
INFRAS, Zürich<br />
Max Plüss<br />
SBB AG Baudienstwerkstätte, Hägendorf<br />
Edy Ramp<br />
Amt für Raumplanung Kanton SZ, Schwyz<br />
Barbara Rechsteiner<br />
HUPAC Intermodal SA, Chiasso<br />
Beny Reichmuth<br />
Baudepartement Kanton SZ, Schwyz<br />
Martin Renggli<br />
Bundesamt für Energie, Bern<br />
Isabelle Rihm<br />
Werkstadt Basel, Basel<br />
Stefan Rohrer<br />
L<strong>and</strong>wirtschaftsamt Kanton ZG, Zug<br />
Kurt Rüfenacht<br />
SBB AG BahnUmwelt-Center, Bern<br />
Walter Rütschi<br />
LEGO Produktion AG, Baar<br />
Samuel Ruggli<br />
Kunden Service SBB, Fribourg<br />
Armin Rutishauser<br />
Amt für Umweltschutz Kanton ZG, Zug<br />
Patrick Schild<br />
Übersetzungen, Zürich<br />
Andreas Schlatter<br />
COSIT AG, Zürich<br />
Hermann Schwarz<br />
Roche Diagnostics Tegimenta AG, Rotkreuz<br />
Martin Schwarze<br />
Hesse, Schwarze & Partner, Zürich<br />
Hans Ulrich Schwarzenbach<br />
ZEBA, Cham<br />
10 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Dank<br />
Marianne Sedlak<br />
Übersetzungen, Zürich<br />
Esther Seitz<br />
Gartenbau- & L<strong>and</strong>wirtschaftsamt, Zürich<br />
Markus Siegenthaler<br />
SBB Cargo Gotthard Nord, Luzern<br />
Peter Spörri<br />
Amt für Verkehr, Zürich<br />
Oswald Stadelmann<br />
SBB AG, Luzern<br />
Ruedi Stäheli<br />
SBB AG, Bagage Zürich HB, Zürich<br />
Manfred Steffen<br />
Beratung, St. Urban<br />
Ulrich Straub<br />
Stiftung Lebens- und Wirtschaftsraum Zug, Zug<br />
Thomas Streiff<br />
Swiss Re, Zürich<br />
Emil Stutz<br />
Stadtökologe, Zug<br />
Urs Tester<br />
Pro Natura, Basel<br />
Thomas Thalmann<br />
SBB Cargo, Zürich<br />
Alain Thierstein<br />
Institut für öffentliche <strong>Die</strong>nstleistungen und<br />
Tourismus, St. Gallen<br />
Leo Ursprung<br />
SBB AG Rangierbahnhof Limmattal, Spreitenbach<br />
Hans-Peter Vogel<br />
SBB Cargo, Bern<br />
Josef von Rohr<br />
SBB AG Bahnhof Langenthal<br />
Roman von Sury<br />
AG Natur und L<strong>and</strong>schaft, Luzern<br />
Felix Walter<br />
Programmleiter NFP 41, Bern<br />
Jost Wichser<br />
Verkehrsplanung IVT <strong>ETH</strong>, Zürich<br />
Rol<strong>and</strong> Widmer<br />
PPC Electronic AG, Cham<br />
Walter Wyss<br />
Beratungsbüro, Zug<br />
Armin Zach<br />
SBB AG Infrastruktur, Bern<br />
Josef Zettel<br />
Coop Zentralschweiz, Kriens<br />
Rolf Züst<br />
SBB Cargo, Zürich<br />
Silvia Zumbach<br />
KARCH, Bern<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 11
Executive Summary / Kurzfassung<br />
Executive Summary / Kurzfassung<br />
Ausgangslage und Ziel<br />
Im Studiengang Umweltnaturwissenschaften der Eidgenössischen<br />
Technischen Hochschule Zürich (<strong>ETH</strong>) findet für<br />
alle Studierenden eines Jahrgangs eine forschungs- und<br />
praxisorientierte Lehrveranstaltung statt – die <strong>Fallstudie</strong>.<br />
Schwerpunkt der <strong>Fallstudie</strong>narbeit ist die interdisziplinäre<br />
Ausein<strong>and</strong>ersetzung mit einem realen, komplexen Problem<br />
der Umweltplanung.<br />
<strong>Die</strong> <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>n 1999 und 2000 erfolgten in<br />
Zusammenarbeit mit den Schweizerischen Bundesbahnen<br />
(SBB AG). <strong>Die</strong> gemeinsame Ausgangsfrage lautete: Wie<br />
lässt sich der Verkehrsträger Schiene aus Umweltsicht bewerten?<br />
Das Ziel der <strong>Fallstudie</strong>n war, ökologisch verträgliche<br />
Wege für die «Zukunft Schiene Schweiz» aufzuzeigen.<br />
In der <strong>Fallstudie</strong> 1999 ging es hauptsächlich um die vergleichende<br />
Bewertung von Umweltmassnahmen der Bahn.<br />
Hierzu wurden die ökologischen Rechnungseinheiten als<br />
Mass für eine integrative Bewertung der umweltschutzrelevanten<br />
Investitionen der SBB erarbeitet. <strong>Die</strong> <strong>Fallstudie</strong> 2000<br />
führte die Arbeit der <strong>Fallstudie</strong> 1999 fort und befasste sich<br />
mit dem konkreten Problem der ökologischen Bewertung<br />
des Schienengüterverkehrs am konkreten Beispiel des SBB-<br />
Güterverkehrs in der Region Zugersee.<br />
<strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> 2000 in der Region Zugersee<br />
Für die <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> 2000 best<strong>and</strong> von Beginn an<br />
eine enge Zusammenarbeit mit dem Kanton Zug und dem<br />
NFP 41. Insbesondere ging die <strong>Fallstudie</strong> vom NFP 41-Bericht<br />
«Unternehmensstrategien und Güterverkehr» (Thierstein<br />
et al., 1999) aus, welcher Vorschläge für die regionale<br />
Zusammenarbeit in der Region Zug vorstellt. Der Untersuchungsort<br />
Zug stellt sich als enger Verbund ländlicher Räume<br />
und städtischer Agglomeration dar, die Region Zug ist<br />
im schweizerischen Vergleich überdurchschnittlich industrialisiert<br />
und weist ein hohes Wirtschaftswachstum, einen<br />
überdurchschnittlichen Zuwachs an <strong>Die</strong>nstleistungsarbeitsplätzen,<br />
sowie regionsübergreifende Wirtschafts- und Güterverkehrsbeziehungen<br />
auf. Der Anteil der Bahn am Güterverkehrsaufkommen<br />
in der Region Zug ist sinkend und für<br />
Schweizer Verhältnisse unterdurchschnittlich. In der <strong>Fallstudie</strong><br />
2000 wird die Region Zug als Modellfall für eine<br />
mögliche Entwicklung in der Schweiz angesehen.<br />
Im Mittelpunkt der <strong>Fallstudie</strong> 2000 st<strong>and</strong>en (vgl. Abb. 1):<br />
Analysen zur Ökoeffizienz, die Bewertung der Auswirkungen<br />
von Schiene und Strasse auf den Naturraum, die Kommunikation<br />
unter den Akteuren des Güterverkehrs sowie die<br />
Entwicklung von Szenarien für den Güterverkehr.<br />
Projekte und Ergebnisse<br />
Ökoeffizienz<br />
Ökoeffizienz ist ein Indikator, der eine Beziehung zwischen<br />
einer wirtschaftlichen Leistung und den dadurch hervorgerufenen<br />
Umweltbelastungen herstellt. Für den Güterverkehr<br />
wurde die Ökoeffizienz bisher noch nie berechnet. Deshalb<br />
wurde zur Untersuchung der Ökoeffizienz des Güterverkehrs<br />
eine neue Methode erarbeitet.<br />
Schienengüterverkehr<br />
<strong>Die</strong> Situation der SBB ist geprägt durch die Bahnreform.<br />
Das Hauptanliegen der Bahnreform ist es, die Produktivität<br />
der Bahnunternehmen zu steigern und damit die Marktstellung<br />
des Schienenverkehrs zu stärken. In der EU wie auch<br />
in der Schweiz ist vor allem der Güterverkehr ein Sorgenkind<br />
der ehemals nationalen Eisenbahnunternehmen: Seit<br />
den 70er-Jahren stieg das gesamte Frachtvolumen in der EU<br />
um etwa 90%. Im gleichen Zeitraum sank aber der prozentuale<br />
Anteil der Bahn auf etwa die Hälfte. In der Schweiz hat<br />
in diesem Zeitraum sowohl der Anteil der Bahn am Verkehrsaufkommen<br />
(transportierte Tonnen) als auch der Anteil an<br />
der erbrachten Verkehrsleistung (transportierte Tonnenkilometer)<br />
um mehr als 20% abgenommen.<br />
Abb. 1: Aufbau der <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> 2000.<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 13
Executive Summary / Kurzfassung<br />
<strong>Die</strong> Berechnung der Umweltbelastung erfolgte mittels<br />
Eco-Indicator 99, einer schadensorientierten Ökobilanz-<br />
Bewertungsmethode. Für den ökologischen Vergleich wurden<br />
bei drei konkreten Transportketten alle für eine Ökobilanz<br />
mittels Eco-Indicator 99 notwendigen Daten erhoben.<br />
Ausgewählt wurden typische Güter und Transportketten<br />
dreier Firmen mit überregionalen Gütertransporten (Migros,<br />
V-Zug, Cham Paper Group). Zusätzlich wurden alternative<br />
Transportketten mit <strong>and</strong>eren Transportmitteln oder neuen<br />
Technologien definiert und deren hypothetische Umweltbelastung<br />
berechnet.<br />
Ein höherer Bahnanteil führte in allen untersuchten Transportketten<br />
zu einer besseren Ökobilanz und Ökoeffizienz<br />
(vgl. Abb. 2). Aber die Unterschiede zwischen Bahn- und<br />
Strassentransport sind nicht so gross, wie man sie aufgrund<br />
des emissionsarmen Betriebs der Bahn vermuten würde.<br />
Das Ergebnis der Bahn wird vor allem dadurch beeinflusst,<br />
dass in der Ökobilanz dem Wagenladungsverkehr relativ<br />
hohe Aufwendungen zur Infrastrukturbereitstellung zugeschrieben<br />
werden. <strong>Die</strong>s wiederum ist das Resultat einer<br />
relativ tiefen Auslastung des Eisenbahnnetzes.<br />
<strong>Die</strong> herkömmliche Verwendung von Tonnenkilometern<br />
als Mass der wirtschaftlichen Leistung ist zur Berechnung<br />
der Ökoeffizienz ungenügend. In der funktionellen Einheit<br />
Gütertransportnutzen sollten auch die Kosten sowie die<br />
Transportqualitäten, die von den Verladern erwartet werden,<br />
enthalten sein. Noch kein befriedigendes Ergebnis erbrachte<br />
der Versuch der Messung des Gütertransportnutzens bei den<br />
Verladern.<br />
Naturraum<br />
Vergleichende Untersuchungen der Umweltauswirkungen<br />
des Transportes von Personen und Gütern auf der Schiene<br />
wie auf der Strasse sind bereits mithilfe von Ökobilanzen<br />
vorgenommen worden. Dabei wurden Primärenergieverbrauch<br />
und Emissionen von Luftschadstoffen als Bewertungskriterien<br />
herangezogen. Ein Vergleich der Verkehrsträger<br />
Schiene und Strasse bezüglich ihrer Auswirkungen auf<br />
die Schutzgüter L<strong>and</strong>schaft und Naturraum fehlt bisher. <strong>Die</strong><br />
Gruppe Naturraum untersuchte an Fallbeispielen die Möglichkeiten,<br />
einen solchen Vergleich vorzunehmen.<br />
Je nach Wirkungsperimeter und Spezifikation des Schutzgutes<br />
ergeben sich <strong>and</strong>ere Bewertungsperspektiven, und<br />
unterschiedliche Untersuchungsmethoden werden erforderlich.<br />
Untersucht wurden Habitatqualitäten (Projekt Kleinraum,<br />
Methode: Vegetationsaufnahme und Waldr<strong>and</strong>bewertung);<br />
Wildtierkorridore (Projekt Grossraum, Methode:<br />
Geographisches Informationssystem); und L<strong>and</strong>schaftsästhetik<br />
(Projekt L<strong>and</strong>schaft; Methode: L<strong>and</strong>schaftsbewertung).<br />
Daraus resultiert ein z.T. widersprüchliches Gesamtbild.<br />
Zum Beispiel zeigte die Vegetationsaufnahme bei den Autobahnböschungen<br />
mehr Arten als bei den Schienenböschungen;<br />
das Ergebnis der Waldr<strong>and</strong>bewertung hingegen war bei<br />
der Autobahn unbefriedigend, bei der Schiene zufriedenstellend.<br />
Brücken können aus l<strong>and</strong>schaftsästhetischer Sicht<br />
störende Elemente sein, hingegen stellen sie auch nützliche<br />
Wildtierkorridore dar.<br />
In Ergänzung zu den Fallbeispielen entwickelte die Gruppe<br />
Naturraum Ideen für eine finanzierbare und ökologisch<br />
sinnvolle Böschungspflege. Das Schweizer Schienennetz<br />
weist eine hohe Dichte auf; die Böschungen bilden somit<br />
vernetzte, schützenswerte Lebensräume («Grünes Netz»).<br />
Abb. 2: Ökoeffizienz verschiedener<br />
Transportketten für drei Firmen in<br />
der Region Zug. Ökoeffizienz wird<br />
hier ausgedrückt in tkm pro EI 99<br />
Punkt; grosse Werte sind als positiv<br />
zu betrachten. tkm: Tonnenkilometer<br />
(Verkehrsleistung); EI 99: Eco-Indicator<br />
99; EURO I, EURO III: EU-<br />
Normen für Emissionsgrenzwerte für<br />
LKWs; Sonderangebot: direkte<br />
Fahrt von Basel nach Rotkreuz und<br />
Cham (bei grösseren Mengen); zentralisiert:<br />
über das geplante zentrale<br />
Migros-Verteilzentrum Suhr.<br />
14 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Executive Summary / Kurzfassung<br />
Akteure<br />
Trägt eine Verbesserung der Kommunikation im Transportgewerbe<br />
dazu bei, dass ökologisch wertvollere Transportketten<br />
realisiert werden? Fördert Kommunikation die Sensibilität<br />
für ökologische Anliegen bei den Entscheidungsträgern?<br />
Zur Beantwortung dieser Fragen wurde am 16. Juni<br />
2000 ein sogenanntes Güterforum in Zug durchgeführt (Methode:<br />
Fokusgruppe). Eingeladen waren die SBB Cargo,<br />
Verlader und Spediteure aus der Region sowie Vertreter der<br />
öffentlichen H<strong>and</strong>. Vorgestellt wurden Berechnungen zur<br />
ökologischen Relevanz ausgesuchter Transportketten. Im<br />
Mittelpunkt st<strong>and</strong> die Diskussion von Ansatzpunkten für<br />
eine optimale Nutzung der ökologischen Potenziale durch<br />
alle Akteure. Auch der Kontakt per se zwischen all diesen<br />
Akteuren schien von Wichtigkeit zu sein. Das Güterforum<br />
zeigte eine Form des Informationsaustausches, um die Kooperationsnetze<br />
im Transportgewerbe – unter Einbezug der<br />
Bahn – zu fördern.<br />
<strong>Die</strong> Diskussionen zeigten, dass:<br />
– Vertrauen und persönliche Kontakte zwischen Spediteuren,<br />
Transportunternehmen und Verladen beim Transport<br />
ausschlaggebend sind,<br />
– ökologische Neuerungen im Transportgewerbe meist<br />
auch von ökonomischem Nutzen sind (z.B. Optimierung<br />
des Fahrzeugparks),<br />
– die SBB Cargo als Gesamtlogistik-Anbieterin den Kontakt<br />
zum Kunden intensivieren könnte und<br />
– die Veränderungen im Transportgewerbe auch auf regionaler<br />
Ebene eine verstärkte Zusammenarbeit nötig machen.<br />
Szenarien<br />
Wie kann sich die SBB AG in Zukunft wirtschaftlich erfolgreich<br />
entwickeln und ökologisch aktiv bleiben? Welches<br />
sind die Schlüsselbereiche für unternehmerischen Erfolg<br />
und ökologische Qualität? Um planungsrelevante Zukunftsbilder<br />
für das Unternehmen SBB AG zu erarbeiten, wurden<br />
mit einer formativen Szenarioanalyse Schlüsselfaktoren der<br />
Entwicklung bestimmt und deren Zusammenwirken abgeschätzt.<br />
Aus dieser Arbeit resultierten vier Szenarien, die in etwa<br />
die Entwicklung des zukünftigen Marktsystems, in das die<br />
SBB AG eingebettet ist, bis ins Jahr 2015 abdecken sollen.<br />
Es zeigt sich, dass Erfolgsszenarien mit und ohne Ökologie<br />
möglich sind (Tab. 1) und dass der ökologische Vorsprung<br />
der Bahn längerfristig schmilzt. <strong>Die</strong> zu geringe Auslastung<br />
ist der Hauptgrund dafür, dass die Bahn im Personenverkehr<br />
einen weitaus geringeren ökologischen Vorsprung vor der<br />
Strasse besitzt als im Güterverkehr.<br />
Das Szenario «Erfolg dank Ökologie» führt zu der oben<br />
erwähnten Erhaltung von Marktanteilen und zur Verbesserung<br />
der Umweltleistung. Strategische Voraussetzung hierfür<br />
ist eine «Ökostromstrategie». Hier zeigt sich die Bedeutung<br />
des SBB-Strommixes. <strong>Die</strong>ser weist dank Wasserkraft<br />
eine vergleichsweise gute Ökobilanz auf. <strong>Die</strong> Gesamtökobilanz<br />
der SBB AG würde sich jedoch dramatisch verschlechtern,<br />
falls die SBB auf den europäischen UCPTE-Strommix<br />
wechseln sollte.<br />
Aus den erarbeiteten Szenarien wird ersichtlich, dass für<br />
den wirtschaftlichen Erfolg der SBB eine aktive Gesamtstrategie<br />
massgebend ist (z.B. Kooperation mit <strong>and</strong>eren<br />
Transportunternehmen). Umweltanstrengungen sind als Investitionen<br />
in die Marke «SBB» zu bewerten: Eine klare<br />
ökologische Positionierung kann sich auf dem Markt von<br />
morgen auszahlen.<br />
Lärm<br />
Lärm ist zwar als Umweltbelastung anerkannt, bleibt aber in<br />
Ökobilanzen meist unberücksichtigt, obwohl er in Studien<br />
zu den externen Kosten des Verkehrs 5% bis 75% der<br />
Gesamtkosten ausmacht. Mit Hilfe eines Modells von Müller-Wenk<br />
(1999), mit welchem die Lärmemissionen von<br />
Strassenverkehr in die Ökobilanzmethode Eco-Indicator 99<br />
integriert werden, wurde ein entsprechendes Modell für den<br />
Einbezug von Schienenlärm – speziell für den Wagenladungsverkehr<br />
– erarbeitet. Um die Resultate von Eisenbahn<br />
und Strasse direkt vergleichen zu können, wurden an der<br />
Methode von Müller-Wenk Anpassungen vorgenommen.<br />
<strong>Die</strong> Unsicherheiten beim Einbezug von Lärm in die gesamte<br />
Ökobilanz sind jedoch relativ gross.<br />
Tab. 1: Szenarien über die Entwicklung der SBB bis etwa ins Jahr 2015.<br />
Szenario Kurzbeschrieb Entscheidende Faktoren<br />
Trend Unveränderte Geschäfts- und Umweltstrategie - Vorsichtiger Erfolg im Güterverkehr<br />
- Bahnreform wirkt<br />
Erfolg dank Ökologie<br />
Gewinnmaximierung<br />
Misere<br />
Eine klare ökologische Position am Markt<br />
führt zum Erfolg<br />
Kurzfristiges, rein betriebswirtschaftlich<br />
orientiertes Agieren führt zum Erfolg<br />
Passivität der SBB AG führt in eine «Abwärtsspirale»<br />
- SBB stark im Personenverkehr (S-Bahn-CH)<br />
- innovativ im Güterverkehr (globale Transportketten)<br />
- Aufteilung der SBB in mehrere Firmen<br />
- etablierter Güterverkehrsanbieter<br />
- schlanker Personenverkehr<br />
- Scheitern im Bereich Güterverkehr<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 15
Executive Summary / Kurzfassung<br />
In der Analyse von konkreten Transportketten der Firmen<br />
Migros, V-Zug und Cham Paper Group differieren die<br />
Lärmbilanzen von Eisenbahn und Strasse nicht stark. Ein<br />
wichtiger Parameter der Bilanz ist die Auslastung des Transportmittels,<br />
weshalb auf deren genaue Bestimmung Wert<br />
gelegt werden muss. Auch das Nachtfahrverbot für Lastwagen<br />
ist bedeutend, dahingegen findet ein grosser Teil der<br />
Eisenbahngütertransporte in der Nacht statt, was sich im<br />
Vergleich der Lärmbilanzen zum Nachteil der Eisenbahn<br />
auswirkt. <strong>Die</strong> Daten zu von Lärm betroffenen Personen<br />
stammen aus dem Jahre 1990, seither hat die SBB viel in<br />
Lärmschutzmassnahmen investiert; bei Verwendung von<br />
aktuellen Daten könnte sich die Bilanz wiederum zugunsten<br />
der SBB verbessern, auch wenn das Verbesserungspotenzial<br />
noch lange nicht ausgeschöpft ist.<br />
Prozesse als Produkte<br />
<strong>Die</strong> Produkte der <strong>Fallstudie</strong> umfassen nicht nur die wissenschaftliche<br />
Analyse und die Berichte über die erarbeiteten<br />
Resultate, sondern auch Kommunikationsprozesse. Deshalb<br />
zählt das Güterforum der Gruppe Akteure ebenso zu den<br />
Produkten wie die Böschungspflege-Gespräche der Gruppe<br />
Naturraum mit den Entscheidungsträgern im Kanton Zug.<br />
Auf diese Weise kann die <strong>Fallstudie</strong> helfen, weiter gehende<br />
Entscheidungsprozesse auszulösen.<br />
Zu den Prozess-Produkten gehört nicht zuletzt der Lernprozess,<br />
den die Studierenden und die Fallvertreter in der<br />
<strong>Fallstudie</strong> gemeinsam erlebten. <strong>Die</strong>ser Lernprozess ermöglicht<br />
ein wechselseitiges Lernen zwischen Hochschule und<br />
Praxis (mutual learning between science <strong>and</strong> society).<br />
16 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Executive Summary / Version abrégée<br />
Executive Summary /<br />
Version abrégée<br />
Point de départ et objectif<br />
Dans la filière <strong>Science</strong>s de l’environnement de l’École Polytechnique<br />
Fédérale <strong>Zurich</strong> (EPFZ), un cours axé sur la<br />
recherche et la pratique est organisé pour tous les étudiants<br />
d’une même année: l’étude de cas. Le travail d’étude de cas<br />
met l’accent sur l’analyse interdisciplinaire d’un problème<br />
réel et complexe de la planification de l’environnement.<br />
Les études de cas EPFZ-<strong>UNS</strong> 1999 et 2000 ont été réalisées<br />
en collaboration avec les Chemins de fer fédéraux<br />
(CFF SA). La question initiale commune était la suivante:<br />
comment peut-on évaluer le transporteur rail du point de vue<br />
de l’environnement? L’objectif des études de cas était de<br />
mettre en évidence les voies compatibles pour l’«avenir rail<br />
Suisse». Dans l’étude de cas 1999, il était surtout question<br />
de l’évaluation comparative des mesures écologiques du<br />
chemin de fer. À cet effet, des unités de compte écologiques<br />
ont été élaborées comme paramètre d’une évaluation<br />
intégrante des investissements des CFF essentiels en termes<br />
de protection de l’environnement. L’étude de cas 2000<br />
poursuivit le travail de l’étude de cas 1999 et traita le<br />
problème concret de l’évaluation écologique du transport<br />
ferroviaire des march<strong>and</strong>ises en prenant comme exemple<br />
concret le trafic des march<strong>and</strong>ises des CFF dans la région du<br />
lac de Zoug.<br />
Étude de cas EPFZ-<strong>UNS</strong> 2000 dans la<br />
région du lac de Zoug<br />
Dès le début, l’étude de cas EPFZ-<strong>UNS</strong> 2000 a été effectuée<br />
en étroite collaboration avec le canton de Zoug et le PNR 41.<br />
L’étude de cas s’est appuyée en particulier sur le rapport<br />
PNR 41 «Stratégies de l’entreprise et trafic ferroviaire»<br />
(Thierstein et al., 1999). Ce dernier présente des propositions<br />
de coopération régionale dans la région de Zoug. La<br />
localité à l’examen, Zoug, est constituée d’espaces ruraux et<br />
d’agglomérations urbaines fortement reliés et connaît un<br />
taux de croissance économique élevé, une création d’emplois<br />
dans les services supérieure à la moyenne ainsi que des<br />
relations commerciales et un réseau de trafic de march<strong>and</strong>ises<br />
qui dépassent le cadre de la région. La part du chemin de<br />
fer au volume total du trafic de march<strong>and</strong>ises dans la région<br />
de Zoug est en baisse et inférieure à la moyenne suisse.<br />
L’étude de cas 2000 considère la région de Zoug comme un<br />
cas-type pour un possible développement en Suisse.<br />
L’étude de cas 2000 était centrée sur les points énumérés<br />
ci-après (voir illustration 1): les analyses concernant l’écoefficience,<br />
l’évaluation des conséquences du rail et de la<br />
route sur le milieu naturel, la communication entre les<br />
acteurs du trafic de march<strong>and</strong>ises ainsi que le développement<br />
de scénarios pour le trafic de march<strong>and</strong>ises.<br />
Trafic de march<strong>and</strong>ises par le rail<br />
La situation des CFF est marquée par la réforme des chemins<br />
de fer. Cette réforme cherche avant tout à accroître la productivité<br />
des entreprises des chemins de fer tout en consolidant<br />
la position sur le marché du trafic ferroviaire. Dans<br />
l’Union européenne et en Suisse, le trafic ferroviaire en<br />
particulier est resté un souci constant des anciennes entreprises<br />
ferroviaires nationales: depuis les années 70, le volume<br />
de fret total dans l’Union a augmenté de quelque 90%. Dans<br />
la même période, la part en pour cent des chemins de fer dans<br />
le volume global du trafic (tonnes transportées) ainsi que la<br />
part dans les prestations de trafic fournies (tonnes-kilomètres<br />
transportées) a baissé de plus de 20%.<br />
Illustration 1: Structure de l’étude de cas EPFZ-<strong>UNS</strong> 2000.<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 17
Executive Summary / Version abrégée<br />
Projets et résultats<br />
Éco-efficience<br />
L’éco-efficience est un indicateur qui met en corrélation un<br />
rendement économique et les incidences qu’il produit sur<br />
l’environnement. Dans la mesure où l’éco-efficience du<br />
trafic de march<strong>and</strong>ises n’a jamais été chiffrée jusqu’à<br />
présent, une nouvelle méthode a donc été créée permettant<br />
l’analyse de l’éco-efficience du trafic de march<strong>and</strong>ises.<br />
Le calcul des nuisances de l’environnement a été fait au<br />
moyen de l’Eco-Indicator 99, une méthode d’évaluation du<br />
bilan écologique avec les nuisances comme repère principal.<br />
Afin de permettre une comparaison écologique, toutes les<br />
données nécessaires pour un bilan écologique moyennant<br />
l’Eco-Indicator 99 ont été recueillies auprès de trois chaînes<br />
de transport concrètes. On a choisi des chaînes de march<strong>and</strong>ises<br />
et de transport caractéristiques de trois entreprises avec<br />
des trafics de march<strong>and</strong>ises interrégionaux (Migros, V-Zug,<br />
Cham Paper Group). On a également défini des chaînes de<br />
transport alternatives avec d’autres moyens de transport ou<br />
de nouvelles technologies et on a chiffré leurs nuisances<br />
hypothétiques sur l’environnement.<br />
L’élargissement de la part du chemin de fer se traduit dans<br />
toutes les chaînes de transport étudiées par une amélioration<br />
du bilan écologique et de l’éco-efficience (voir illustration<br />
2). Mais les écarts entre le transport sur rail et le transport<br />
routier ne sont pas aussi marqués que l’exploitation peu<br />
polluante du chemin de fer pourrait le laisser supposer. En<br />
effet, le trafic par wagons complets exige des dépenses<br />
plutôt élevées d’infrastructure avec un pourcentage d’utilisation<br />
relativement bas.<br />
La tonne-kilomètre habituellement utilisée pour mesurer<br />
le rendement économique s’avère insuffisante quant il s’agit<br />
de mesurer l’éco-efficience. L’unité fonctionnelle avantage<br />
du trafic de march<strong>and</strong>ises devrait inclure également les<br />
coûts et les qualités de transport que les expéditeurs attendent.<br />
L’essai de mesure de l’avantage du trafic de march<strong>and</strong>ises<br />
pour les transporteurs n’a pas encore donné de résultats<br />
satisfaisants.<br />
Espace naturel<br />
Des études comparatives des effets sur l’environnement du<br />
trafic de personnes et de march<strong>and</strong>ises sur le rail ainsi que<br />
par route ont déjà été réalisées à l’aide de bilans écologiques.<br />
On y a pris la consommation d’énergie primaire et les<br />
émissions des produits de pollution atmosphérique comme<br />
critères d’évaluation. Il n’existe toujours aucune comparaison<br />
de faite des transporteurs sur le rail et par route quant à<br />
leurs effets sur les biens à sauvegarder paysage et milieu<br />
naturel. A l’aide d’exemples de cas, le groupe Espace naturel<br />
a analysé la possibilité d’établir une telle comparaison.<br />
Selon le périmètre d’action et les spécifications du bien à<br />
sauvegarder, les perspectives d’évaluation varient, requérant<br />
diverses méthodes d’approche. On a procédé à des<br />
études de qualités d’habitat (projet petit espace, méthode:<br />
prise de vue de la végétation et évaluation de la lisière de la<br />
forêt); corridors du gibier (projet gr<strong>and</strong>s espaces, méthode:<br />
système d’information géographique) et esthétique des paysages<br />
(projet paysage; méthode: évaluation du paysage).<br />
Il en ressort une vue d’ensemble en partie contradictoire.<br />
Par exemple, la prise de vue de la végétation des talus des<br />
autoroutes a révélé plus d’espèces que dans les talus longeant<br />
les rails; le résultat de l’évaluation des lisières des forêts<br />
était cependant peu satisfaisant près des autoroutes et satisfaisant<br />
près des rails. Bien que les ponts puissent constituer<br />
des éléments dérangeants du point de vue de l’esthétique du<br />
paysage, ils peuvent également s’avérer utiles comme corridors<br />
pour le gibier.<br />
Illustration 2: L’éco-efficience des<br />
différentes chaînes de transport pour<br />
trois entreprises dans la région de<br />
Zoug. L’éco-efficience est exprimée<br />
ici en tkm par point EI 99; les gr<strong>and</strong>es<br />
valeurs sont à considérer comme positives.<br />
tkm: tonne-kilomètre (prestation<br />
de transport); EI 99: Eco-Indicator<br />
99; EURO I, EURO III: normes<br />
UE pour valeurs limites d’émission<br />
pour camions; offre spéciale: trajet<br />
direct de Bâle à Rokreuz et Cham (en<br />
cas de gr<strong>and</strong>es quantités); centralisé:<br />
via la centrale de distribution en projet<br />
de Migros à Suhr.<br />
18 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Executive Summary / Version abrégée<br />
En complément des exemples de cas, le groupe Espace<br />
naturel a développé des idées pour un entretien judicieux des<br />
talus du point de vue à la fois financier et écologique. Le<br />
réseau ferroviaire suisse présente une forte densité; les talus<br />
constituent donc des espaces vitaux dignes d’être protégés<br />
(«réseau vert»).<br />
Acteurs<br />
L’amélioration de la communication dans les transports<br />
contribue-t-elle à la réalisation des chaînes de transport de<br />
plus haute valeur écologique? La communication encourage-t-elle<br />
la sensibilité pour les revendications écologiques<br />
chez les décideurs? Pour répondre à ces questions, un<br />
dénommé Forum March<strong>and</strong>ises a eu lieu le 16 juin 2000 à<br />
Zoug (méthode: groupe focus) avec la participation de CFF<br />
Cargo, des transporteurs et expéditeurs de la région ainsi que<br />
des représentants des collectivités publiques. À cette occasion,<br />
des calculs de la portée écologique de certaines chaînes<br />
de transport furent présentés. La discussion porta principalement<br />
sur les amorces de solutions d’une utilisation optimale<br />
des potentiels écologiques par l’ensemble des acteurs. Les<br />
relations entre tous ces acteurs revêtaient, elles aussi, une<br />
certaine importance. Le forum march<strong>and</strong>ises montra une<br />
forme d’échange d’informations visant à promouvoir les<br />
réseaux de coopération dans les transports, chemins de fer<br />
inclus.<br />
Les discussions ont démontré que:<br />
– la confiance et les contacts personnels entre expéditeurs,<br />
entreprises de transport et chargeurs sont déterminants,<br />
– les innovations écologiques dans le secteur des transports<br />
sont généralement aussi d’utilité écologique (par ex.<br />
optimisation du parc automobile),<br />
– CFF Cargo en tant que fournisseur de logistique globale<br />
pourrait intensifier le contact avec la clientèle et<br />
– les changements dans les transports exigent aussi à niveau<br />
régional une collaboration plus étroite.<br />
Scénarios<br />
Comment la CFF SA peut-elle se développer économiquement<br />
avec succès et rester active écologiquement? Quels<br />
sont les secteurs clé pour le succès opérationnel et la qualité<br />
écologique? Afin d’élaborer des projets d’avenir pour l’entreprise<br />
CFF SA, des facteurs clé du développement ont été<br />
fixés et leur synergie estimée à l’aide d’une analyse de<br />
scénario formative.<br />
Il en découle quatre scénarios qui prennent en considération<br />
jusqu’à l’an 2015 le développement du futur système de<br />
marché dont la CFF SA fait partie intégrante. Il s’est avéré<br />
que les scénarios de succès sont viables avec et sans écologie<br />
(tableau 1) et que l’avantage écologique du chemin de fer<br />
s’effrite à long terme. Le taux d’utilisation trop peu important<br />
est la raison principale pour que le chemin de fer ne<br />
possède dans le trafic de passagers qu’un avantage écologique<br />
beaucoup trop insignifiant par rapport au trafic de<br />
march<strong>and</strong>ises.<br />
Le scénario «Succès dû à l’écologie», comme il a été dit<br />
précédemment, aide à maintenir les parts de marché et à<br />
améliorer le rendement écologique. Ceci exige une<br />
«stratégie de courant écologique». C’est ici que le mélange<br />
de courant CFF prend toute son ampleur car il possède un<br />
bilan écologique comparativement bon et ce, grâce à l’énergie<br />
hydraulique. Le bilan écologique global de CFF SA se<br />
verrait cependant dramatiquement détérioré si les CFF optaient<br />
pour le mélange de courant européen UCPTE.<br />
Les scénarios élaborés ont démontré qu’une stratégie globale<br />
active peut décider du succès économique des CFF (par<br />
ex. coopération avec d’autres entreprises de transport). Les<br />
efforts portés sur l’environnement doivent être compris<br />
comme des investissements dans la marque «CFF»: un<br />
positionnement écologique évident peut s’avérer payant sur<br />
le marché de demain.<br />
Tableau 1: scénarios concernant le développement des CFF approximativement jusqu’à 2015.<br />
Scénario Description abrégée Facteurs décisifs<br />
Tendance<br />
Stratégie commerciale et écologique<br />
inchangée<br />
- Succès prudent dans le trafic de<br />
march<strong>and</strong>ises<br />
- Réforme du chemin de fer agit<br />
Succès dû à l’écologie<br />
Maximisation du profit<br />
Situation déplorable<br />
Un positionnement sur le marché<br />
distinctement écologique mène au succès<br />
L’action à court terme axée exclusivement<br />
sur la gestion mène au succès<br />
La passivité place CFF SA dans une «spirale<br />
descendante»<br />
- CFF fort dans le trafic de passagers<br />
(S-Bahn-CH)<br />
- Innovateur dans le trafic de march<strong>and</strong>ises<br />
(chaînes de trafic globales)<br />
- Division des CFF en plusieurs entreprises<br />
- Offrants de transport de march<strong>and</strong>ises<br />
établis<br />
- Transport de passagers plus souple<br />
- Échec dans le domaine du trafic de<br />
march<strong>and</strong>ises<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 19
Executive Summary / Version abrégée<br />
Bruit<br />
Bien que le bruit soit reconnu comme incidence sur l’environnement,<br />
il reste généralement absent des bilans écologiques,<br />
même s’il représente de 5% à 75% des coûts globaux<br />
dans les études sur les coûts externes du trafic. En faisant<br />
appel au modèle de Müller-Wenk (1999) grâce auquel les<br />
émissions sonores du trafic routier sont intégrées dans la<br />
méthode bilan écologique Eco-Indicator, un modèle analogue<br />
pour l’inclusion du bruit du rail, particulièrement pour<br />
le trafic par wagons complets, a été élaboré. Pour pouvoir<br />
comparer directement les résultats du chemin de fer et ceux<br />
de la route, des ajustements dans la méthode de Müller-<br />
Wenk ont été nécessaires. Néanmoins, les incertitudes quant<br />
à l’inclusion du bruit dans le bilan écologique global sont<br />
relativement gr<strong>and</strong>es.<br />
Quant aux analyses de chaînes de transport concrètes des<br />
entreprises Migros, V-Zug et Cham Paper Group, les écarts<br />
entre les bilans du bruit du chemin de fer et de la route ne<br />
diffèrent pas énormément. Un paramètre essentiel du bilan<br />
est constitué par le degré d’utilisation des moyens de transport,<br />
ce qui implique la nécessité de connaître la destination<br />
exacte. L’interdiction de rouler la nuit pour les camions est<br />
aussi importante. Par contre, une gr<strong>and</strong>e partie des transports<br />
de march<strong>and</strong>ises par rail se fait la nuit, ce qui est au désavantage<br />
du chemin de fer dans la comparaison des bilans des<br />
nuisances sonores. Les données quant aux personnes gênées<br />
par le bruit datent de 1990 et depuis cette date, les CFF ont<br />
beaucoup investi dans les mesures de protection contre le<br />
bruit. En utilisant les données actuelles, le bilan pourrait<br />
s’améliorer de nouveau en faveur des CFF, même si le<br />
potentiel d’amélioration est encore loin d’être épuisé.<br />
Processus comme produits<br />
Les produits de l’étude de cas comprennent non seulement<br />
l’analyse scientifique et les rapports sur les résultats obtenus,<br />
mais également les processus de communication.<br />
C’est pourquoi le forum march<strong>and</strong>ises du groupe Acteurs<br />
compte autant parmi les produits que les pourparlers sur<br />
l’entretien des talus du groupe Milieu naturel avec les décideurs<br />
du canton de Zoug. De cette manière, l’étude de cas<br />
peut aider à déclencher des processus de décision plus<br />
approfondis.<br />
Last but not least, le processus d’apprentissage fait aussi<br />
partie des produits de processus que les étudiants et les<br />
représentants de cas ont vécu ensemble au cours de l’étude<br />
de cas (mutual learning between science <strong>and</strong> society).<br />
20 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Executive Summary<br />
Executive Summary<br />
Starting point <strong>and</strong> objectives<br />
Every year, the <strong>ETH</strong> <strong>Zurich</strong>’s Environmental Studies Program<br />
conducts a research- <strong>and</strong> practice-oriented course – the<br />
case study – for all students of the eighth semester. The case<br />
study focusses on an interdisciplinary examination of a real,<br />
complex problem of environmental planning.<br />
The <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> case studies 1999 <strong>and</strong> 2000 were carried<br />
out in co-operation with the Swiss Federal Railways (SBB<br />
AG). The common initial question was: How can the railway,<br />
as a traffic bearer, be assessed environmentally? The<br />
goal of the case studies was to demonstrate environmentally<br />
tolerable paths for the «future railway Switzerl<strong>and</strong>». Case<br />
study 1999 focussed on a comparative assessment of environmental<br />
measures regarding the rail. For this purpose<br />
environmental units of account were developed as measure<br />
for an integrative assessment of the SBB’s environmentally<br />
relevant investments. The case study 2000 continued the<br />
studies of 1999 <strong>and</strong> dealt with the particular problem of<br />
environmentally assessing freight rail traffic with the specific<br />
example of SBB freight traffic in the region of the Lake<br />
of Zug.<br />
Freight rail traffic<br />
The SBB’s situation is characterized by the rail reform. The<br />
rail reform’s chief objective is to increase productivity<br />
within the rail companies, thus strengthening the rail’s market<br />
position. In the EU, as in Switzerl<strong>and</strong>, freight traffic is<br />
causing the former national railway companies a big headache:<br />
Since the 70s the total freight volume increased by<br />
approximately 90% within the EU. At the same time, however,<br />
the railway’s percentage decreased by approximately<br />
50%. In Switzerl<strong>and</strong> the rail’s shares of both volume of<br />
traffic (transported tons) <strong>and</strong> extension of transport (transported<br />
ton-km) have decreased by 20%.<br />
the railway’s percentage of freight traffic is decreasing <strong>and</strong><br />
below Swiss average. The case study 2000 views the region<br />
of Zug as a model case for a possible development in<br />
Switzerl<strong>and</strong>.<br />
The case study 2000 focussed on: analyses regarding<br />
eco-efficiency, assessment of rail <strong>and</strong> road’s impact on the<br />
natural environment, communication among protagonists<br />
of freight traffic as well as the development of scenarios for<br />
freight traffic (see diagram 1)<br />
Projects <strong>and</strong> Results<br />
Eco-efficiency<br />
Eco-efficiency is an indicator constituting a relationship<br />
between an economic performance <strong>and</strong> the corresponding<br />
environmental damages. So far, the eco-efficiency of freight<br />
transport has never been calculated. For this reason, a new<br />
method was established for the examination of the eco-efficiency<br />
of freight traffic.<br />
The assessment of the environmental impact was executed<br />
by means of Eco-Indicator 99, a damage-oriented life-cycle<br />
assessment method. For environmental comparison, the necessary<br />
data for an environmental assessment of three con-<br />
<strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> case study 2000 in the region of the Lake of<br />
Zug<br />
From the beginning on, the <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> case study 2000 saw<br />
a close co-operation between the canton of Zug <strong>and</strong> the NFP<br />
41. In particular, the case study was based on the NFP 41<br />
report «Unternehmensstrategien und Güterverkehr» («Business<br />
strategies <strong>and</strong> freight traffic», Thierstein et al., 1999)<br />
which made suggestions for the regional co-operation<br />
around Zug. The examined location of Zug constitutes a<br />
close combine of rural areas with urban agglomeration. The<br />
region of Zug is industrialized above Swiss average <strong>and</strong><br />
shows high economic growth, an above-average increase of<br />
jobs in the service industries as well as supra-regional economic<br />
<strong>and</strong> freight-transport relations. In the region of Zug<br />
Diagram 1: Structure of the <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> case study 2000.<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 21
Executive Summary<br />
crete chains of transport were established by means of<br />
Eco-Indicator 99. Typical chains of freight <strong>and</strong> transport of<br />
three supra-regional companies were selected (Migros, V-<br />
Zug, Cham Paper Group). In addition, alternative chains of<br />
transport or new technologies were defined <strong>and</strong> their hypothetical<br />
environmental impact was calculated.<br />
In all cases, an increased railway percentage led to an<br />
improved environmental assessment <strong>and</strong> eco-efficiency (see<br />
diagram 2). However, rail <strong>and</strong> road-transport do not differ as<br />
greatly as one might imagine in view of the rail’s low<br />
emission. Freight transport dem<strong>and</strong>s relatively high efforts<br />
for infrastructure maintenance, <strong>and</strong> capacity utilization for<br />
the railway network is relatively low.<br />
The conventional use of ton-kilometres as measure of<br />
economic performance is insufficient for environmental<br />
assessment. The functional unit of freight-transport benefit<br />
should also include the costs <strong>and</strong> qualities of transportation<br />
expected by shipment companies. So far, the attempt to<br />
measure freight-transport benefits of shipping companies<br />
has not been successful.<br />
<strong>Natural</strong> environment<br />
Comparative environmental impact studies of passenger <strong>and</strong><br />
freight transport by rail or road have already been carried out<br />
by means of life-cycle assessment. Assessment criteria included<br />
primary energy consumption, emissions of air-pollutants.<br />
A comparison of the traffic bearers rail <strong>and</strong> road<br />
regarding their impact on the l<strong>and</strong>scape <strong>and</strong> natural environment<br />
have been missing up until now. Studying particular<br />
examples, the group «natural environment» examined the<br />
possibilities to draw such a comparison.<br />
Depending on the perimeter of impact <strong>and</strong> the specification<br />
of the protected good, different assessment perspectives<br />
become visible <strong>and</strong> different assessment methods are required.<br />
The analyses included quality of habitat (project smallscale<br />
environment, methods: inventory of vegetation <strong>and</strong><br />
assessment of forest boundaries); wild animal corridors<br />
(project large-scale environment, method: geographic information<br />
systems); <strong>and</strong> aesthetics of the countryside (project<br />
l<strong>and</strong>scape; methods: assessment of l<strong>and</strong>scape).<br />
All this leads to a partially contradictory overall-view. For<br />
instance, the botanical inventory showed higher bio-diversity<br />
among highway embankments than on railway embankments;<br />
the assessment of forest boundaries, however, was<br />
insufficient with highways <strong>and</strong> satisfactory with the rail.<br />
Bridges can disturb an aesthetics view of the countryside,<br />
however, they also constitute important corridors for wild<br />
animals.<br />
In completion to the case studies, the group natural environment<br />
developed ideas for a financeable <strong>and</strong> ecologically<br />
sensible cultivation of embankments. The Swiss railway<br />
network has a high density; consequently, embankments<br />
form integrated habitats, worthy of protection («green network»)<br />
Protagonists<br />
Does improved communication in the transport business<br />
help realize environmentally more valuable chains of transport?<br />
Does communication enhance decision-makers’ sensitivity<br />
towards environmental dem<strong>and</strong>s? In order to answer<br />
these questions, a so-called freight forum was carried out in<br />
Zug on June 16 th 2000 (method: focus groups). Among the<br />
invited were: SBB Cargo, shipment companies <strong>and</strong> transport<br />
companies from the region as well as representants of<br />
the public sector. Calculations regarding environmental relevance<br />
of selected chains of transport were presented. The<br />
Diagram 2: Eco-efficiency of various<br />
chains of transport for the three companies<br />
in the region of Zug. Eco-efficiency<br />
is expressed in tkm per EI 99<br />
point; high values are to be valued<br />
positively. tkm: ton-kilometer (traffic<br />
performance); EI 99: Eco-indicator<br />
99; EURO I, EURO III: EU norms for<br />
emission threshold value for trucks;<br />
special offer: direct routing from Basle<br />
to Rotkreuz <strong>and</strong> Cham (for larger<br />
amounts); centralized: via the planned<br />
central Migros-distribution center<br />
in Suhr.<br />
22 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Executive Summary<br />
central discussion focussed on approaches for an optimal<br />
exploitation of environmental potentials by means of all<br />
protagonists. Moreover, the contact as such between all<br />
protagonists seemed to be of importance. The freight forum<br />
demonstrated a means of exchanging information in order to<br />
enhance the networks of co-operation within the transport<br />
business – including the railway.<br />
The discussions demonstrated that<br />
– Confidence <strong>and</strong> personal contacts among shipping <strong>and</strong><br />
transport companies were crucial.<br />
– Environmental innovations within the transport business<br />
are usually also of economic use (e.g. optimization of<br />
vehicle parks).<br />
– SBB Cargo, as provider of the entire logistics, could<br />
intensify the contact with its clients <strong>and</strong><br />
– Changes within the transport business also call for increased<br />
co-operation on regional basis.<br />
Scenarios<br />
How can the SBB AG both maintain an environmentally<br />
successful development in the future while remaining environmentally<br />
active? Which are the key areas for business<br />
success <strong>and</strong> environmental quality? For the establishment of<br />
developmental future visions for the company SBB AG, key<br />
factors of development were determined <strong>and</strong> coinciding<br />
effects thereof were assessed by means of scenario analysis.<br />
These studies produced four scenarios that should cover<br />
the development of the future market system surrounding<br />
the SBB AG up until the year 2015. It turns out that successful<br />
scenarios are feasible with <strong>and</strong> without the environment<br />
(see table 1) <strong>and</strong> that, from a long-term point of view, the<br />
railway is losing its environmental lead. The incomplete<br />
capacity utilization is the main reason that, in comparison<br />
with the road, the railway possesses a much smaller environmental<br />
lead regarding passenger transport than regarding<br />
freight transport.<br />
The scenario «success due to the environment» leads to<br />
the maintenance of market shares <strong>and</strong> improvement of environmental<br />
achievement as mentioned above. A strategic<br />
pre-requisite is a «strategy of eco-electricity». The significance<br />
of the SBB’s mix of electrical power can be seen here.<br />
Due to hydropower it shows a comparatively good environmental<br />
assessment. The total environmental assessment of<br />
the SBB AG would deteriorate rapidly, however, if the SBB<br />
should switch to the European UCPTE power-mix.<br />
The established scenarios show that an active total strategy<br />
is crucial for the economic success of the SBB (e.g.<br />
co-operation with other transport companies). Environmental<br />
efforts should be valued as investments in the br<strong>and</strong><br />
«SBB»: a clear environmental positioning could pay off in<br />
tomorrow’s marketplace.<br />
Noise<br />
Although noise is recognized as pollutant, it usually remains<br />
unconsidered in environmental assessments, in spite of studies<br />
showing it to make up 5% to 70% of the total external<br />
costs produced by traffic. Based upon a model by Müller-<br />
Wenk (1999) which integrates noise emissions of road traffic<br />
into the life-cycle assessment method Eco-Indicator 99,<br />
a corresponding model for integrating railway noise – particularly<br />
for freight transport – was established. The method<br />
by Müller-Wenk was adapted for direct comparison of the<br />
results of rail <strong>and</strong> road respectively. However, the uncertainties<br />
regarding the integration of noise into the total environmental<br />
assessment are relatively large.<br />
The noise assessments of railway <strong>and</strong> road do not differ<br />
much in the analysis of concrete chains of transport of the<br />
companies Migros, V-Zug <strong>and</strong> Cham Paper Group. One<br />
important assessment parameter is the capacity utilization of<br />
the respective means of transport, which is why an exact<br />
determination thereof has to be emphasized. The ban on<br />
trucks during the night is significant as well; a large share of<br />
the freight transport by rail is conducted by night, which is<br />
to the railway’s disadvantage when comparing noise assessments.<br />
The data regarding people affected by noise were<br />
established in 1990. Since then, the SBB has invested a lot<br />
in noise protection measures. Using more recent data could<br />
improve the assessment to the SBB’s benefit, although the<br />
potential of improvement has by no means been used exhaustively.<br />
Table 1: Scenarios about the development of the SBB AG up until the year 2015.<br />
Scenario Brief description Determining factors<br />
Trend<br />
Unchanged business <strong>and</strong> environmental - Cautious success in freight traffic<br />
strategy<br />
- functioning railway reform<br />
Success due to the<br />
environmental<br />
Profit maximization<br />
Clear environmental position in the market<br />
leads to success<br />
Short-termed, purely economically oriented<br />
actions lead to success<br />
- Strong SBB in the passenger realm (S-Bahn<br />
CH)<br />
- Innovative regarding freight traffic (global<br />
chains of transport)<br />
- Splitting of SBB into several companies<br />
- Established freight transport providers<br />
- Slim passenger transport<br />
Plight Passivity takes the SBB downhill - Failure regarding freight traffic<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 23
Executive Summary<br />
Processes as products<br />
The product of this case study includes not only the scientific<br />
analysis <strong>and</strong> reports on the established results, but communicative<br />
processes as well. Therefore, the freight forum of<br />
the protagonists-group is a product just like the natural-environment-group’s<br />
embankment-cultivation-talks with decision-makers<br />
of the canton of Zug too. This is how the case<br />
study can help evoke further decision-making processes.<br />
Last but not least, the process products include the shared<br />
learning process experienced by students <strong>and</strong> case representatives<br />
within the case study. This learning process enables<br />
a mutual learning between science <strong>and</strong> society.<br />
24 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Wie kommen die Güter auf die<br />
Bahn?<br />
Auf dem Weg zu einer ökologischen<br />
Bewertung der Verkehrsträger<br />
Autor:<br />
Harald A. Mieg<br />
Inhalt<br />
1. Einführung 25<br />
2. Hintergrund: Güterverkehr im Umbruch 27<br />
3. <strong>Die</strong> <strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>: Analyse, Kommunikation, Wissensintegration 31<br />
4. Perspektiven auf den Fall: SBB AG, NFP 41, Kanton Zug 33<br />
5. <strong>Die</strong> Ergebnisse 40<br />
6. Résumé und Ausblick 44
Wie kommen die Güter auf die Bahn?<br />
Zusammenfassung<br />
<strong>Die</strong> <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> ist eine<br />
Lehrveranstaltung des Departements<br />
Umweltnaturwissenschaften der Eidgenössischen<br />
Technischen Hochschule<br />
(<strong>ETH</strong>) in Zürich. <strong>Die</strong> <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong><br />
<strong>Fallstudie</strong> 2000 untersuchte gemeinsam<br />
mit der SBB AG ökologische Potenziale<br />
L für den Schienengüterverkehr.<br />
Das konkrete Fallbeispiel war<br />
i<br />
der SBB-Güterverkehr in der Region<br />
t Zugersee. An der <strong>Fallstudie</strong> 2000 nah-<br />
52 Studierende teil und unter-<br />
emen<br />
suchten ökologische Grundlagen und<br />
rFolgen von strategischen Unter-<br />
im Bereich<br />
anehmensentscheidungen<br />
Güterverkehr in enger Zusammenarbeit<br />
mit Partnern der SBB, aus For-<br />
t<br />
uschung, Privatwirtschaft und Verwal-<br />
<strong>Die</strong> Arbeit erfolgte in enger Ko-<br />
rtung.<br />
operation mit dem Kanton Zug sowie<br />
dem I Nationalen Forschungspro-<br />
41 «Verkehr und Umwelt».<br />
ngramm<br />
<strong>Die</strong> Themenbereiche umfassten:<br />
d– Ökobilanzierung von Transportketten<br />
von und nach der Region<br />
e<br />
x Zugersee (Gruppe Ökoeffizienz),<br />
– Szenarioanalyse der SBB-Unternehmenspolitik<br />
(Gruppe Szenarien),<br />
– Fokussierung der Kommunikationsstrukturen<br />
lokaler Akteure aus<br />
dem Transportgewerbe (Gruppe<br />
Akteure),<br />
– vergleichende Bewertung der Wirkungen<br />
von Strasse und Schiene<br />
auf den Naturraum (Gruppe Naturraum).<br />
Der folgende Beitrag gibt einen<br />
Überblick über Vorgehen und Einzelergebnisse.<br />
Unser Resümee ist: Ökologisch<br />
relevante, strategische Entscheidungen<br />
(und nicht nur diese)<br />
brauchen eine methodengestützte Bewertung<br />
und ein Denken in Varianten;<br />
ihre Umsetzung erfordert umsichtige<br />
Kommunikation und die Pflege von<br />
Akteurs-Netzwerken.<br />
Résumé<br />
L’étude de cas EPFZ-<strong>UNS</strong> est un<br />
cours du Département des <strong>Science</strong>s de<br />
l’Environnement de l’École Polytechnique<br />
Fédérale (EPF) à <strong>Zurich</strong>.<br />
L’étude de cas EPFZ-<strong>UNS</strong> 2000 a étudié<br />
conjointement avec les CFF SA les<br />
potentiels écologiques du transport de<br />
march<strong>and</strong>ises sur le rail. L’exemple de<br />
cas concret était le transport de march<strong>and</strong>ises<br />
CFF dans la région du lac de<br />
Zoug. À l’étude de cas 2000 ont participé<br />
52 étudiants qui ont analysé les<br />
bases et les conséquences écologiques<br />
des décisions stratégiques des entreprises<br />
dans le domaine du transport<br />
des march<strong>and</strong>ises en étroite collaboration<br />
avec des partenaires des CFF, de<br />
la recherche, de l’économie privée et<br />
de l’administration. Le travail s’est<br />
déroulé en étroite coopération avec le<br />
canton de Zoug ainsi que le programme<br />
de recherche national 41 «Trafic et<br />
environnement».<br />
Les thèmes comprenaient:<br />
– L’analyse de cycle de vie des<br />
chaînes de transport de et à destination<br />
de la région du lac de Zoug<br />
(groupe Eco-efficience).<br />
– L’analyse de scénario de la politique<br />
de l’entreprise des CFF<br />
(groupe Scénarios).<br />
– La focalisation des structures de<br />
communication des acteurs locaux<br />
du secteur des transports (groupe<br />
Acteurs).<br />
– L’évaluation comparative des effets<br />
de la route et du rail sur l’espace<br />
naturel (groupe Espace naturel).<br />
L’article suivant donne un aperçu<br />
du procédé et des résultats isolés. Voici<br />
notre résumé: les décisions stratégiques<br />
et écologiquement significatives<br />
(pour ne citer que celles-ci)<br />
nécessitent une évaluation méthodique<br />
et une réflexion sous forme de<br />
variantes; leur réalisation requiert une<br />
communication réfléchie et le souci<br />
des réseaux d’acteurs.<br />
Summary<br />
The <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> case study is part of<br />
the curriculum of the Department for<br />
Environmental <strong>Science</strong>s of the <strong>ETH</strong> in<br />
<strong>Zurich</strong>. In co-operation with the SBB<br />
AG, the <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> case study 2000<br />
examined the environmental potential<br />
for freight transport by rail. The particular<br />
case example was the SBB’s<br />
freight transport in the region of the<br />
Lake of Zug. 52 students participated<br />
in the case study 2000 <strong>and</strong> – in close<br />
co-operation with partners of the SBB,<br />
researchers, private industry <strong>and</strong> the<br />
authorities – analyzed environmental<br />
fundamentals <strong>and</strong> consequences of<br />
strategic management decisions concerning<br />
freight transport. The study<br />
was conducted in close co-operation<br />
with the Canton of Zug as well as with<br />
the National Research Program 41<br />
«traffic <strong>and</strong> the environment».<br />
The subject areas included:<br />
– Environmental assessment of<br />
chains of transport in <strong>and</strong> out of the<br />
region of the Lake of Zug (eco-efficiency<br />
group)<br />
– Scenario analysis of the SBB’s entrepreneurial<br />
policy (scenario<br />
group)<br />
– Focussing of communicational<br />
structures of protagonists within<br />
the local transport-industry (protagonists<br />
group)<br />
– Comparative assessment of the effects<br />
on the natural environment<br />
through rail <strong>and</strong> road respectively<br />
(natural environment group).<br />
The following article gives an overview<br />
of the procedure <strong>and</strong> particular<br />
results. Our bottom line is: Environmentally<br />
relevant strategic decisions<br />
(as well as others too) require a methodological<br />
assessment <strong>and</strong> thinking in<br />
alternatives; their implementation<br />
calls for comprehensive communication<br />
<strong>and</strong> the cultivation of protagonists’<br />
networks.<br />
26 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Wie kommen die Güter auf die Bahn?<br />
1 Einführung<br />
«Jede Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene ist eine<br />
ökologische Tat», lesen wir im Bahnmagazin der SBB:<br />
«Was für die Bahn gut ist, tut der Umwelt gut» (VIA,<br />
4/2000, S. 25). In diesem Sinne wurde in der Schweiz eine<br />
ganze Reihe von Verlagerungs-Massnahmen in die Wege<br />
geleitet. Insbesondere möchte man den Transitgüterverkehr<br />
von der Strasse auf die Schiene bringen. Zu den Neuerungen<br />
zählt die LSVA, die leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe.<br />
Zu Beginn des Jahres 2001 werden alle LKW und<br />
PKW mit einem Gewicht von mehr als 3,5 t abgabepflichtig.<br />
<strong>Die</strong>s gilt für jeden Strassenverkehr in und durch die<br />
Schweiz. Seit 1997 erfolgt zudem eine wissenschaftliche<br />
Bewertung der Verkehrsströme auf nationaler Ebene im<br />
Nationalen Forschungsprogramm «Verkehr und Umwelt»<br />
(NFP 41). Betrachtet werden ökonomische, technische und<br />
ökologische Aspekte des Verkehrs im Allgemeinen und der<br />
Verkehrs-Verlagerung im Speziellen.<br />
<strong>Die</strong> Verkehrsverlagerung ist eine Planungsfrage, der eine<br />
Bewertungsfrage zugeordnet ist. <strong>Die</strong>se lautet: Wie lässt sich<br />
der Verkehrsträger Schiene aus Umweltsicht bewerten? Mit<br />
dieser Ausgangsfrage ging Anfang 1999 die <strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong><br />
eine Kooperation mit der SBB AG ein. Ziel war, ökologisch<br />
verträgliche Wege in die «Zukunft Schiene Schweiz» aufzuzeigen.<br />
Als Lehrprojekt der Umweltnaturwissenschaften<br />
der <strong>ETH</strong> Zürich hatte die <strong>Fallstudie</strong> die Freiheit, langfristige<br />
Entwicklungen in Betrachtung zu ziehen und Methoden der<br />
Umweltwirkungsanalyse auszuprobieren. In der <strong>Fallstudie</strong><br />
1999 ging es hauptsächlich um die vergleichende Bewertung<br />
von Umweltmassnahmen der Bahn («Ökologische<br />
Rechnungseinheiten»). Auf dieser Grundlage befasste sich<br />
die <strong>Fallstudie</strong> 2000 mit dem konkreten Problem der ökologischen<br />
Bewertung von Schienengüterverkehr an einem<br />
Fallbeispiel, das auch Untersuchungsort eines NFP 41-Projektes<br />
war: die Region Zug.<br />
Der vorliegende B<strong>and</strong> ist der Schlussbericht der <strong>UNS</strong><br />
<strong>Fallstudie</strong> 2000, des gemeinsamen Projekts mit der SBB.<br />
Das Ergebnis einer <strong>Fallstudie</strong> lässt sich nicht in einem Satz<br />
darstellen. <strong>Die</strong> Berichtlegung ist ein wichtiger aber nicht<br />
endgültiger Abschnitt im Nachgang zur <strong>Fallstudie</strong>, der eine<br />
Best<strong>and</strong>saufnahme erlaubt: Methoden sind geprüft, Ergebnisse<br />
und Teilergebnisse erzielt worden. Mit dieser Einführung<br />
und Zusammenfassung möchte ich die nötige Übersicht<br />
über die geleistete Arbeit vermitteln und zugleich<br />
immer wieder auf die Ausgangsfrage fokussieren: Wie können<br />
wir den Verkehrsträger Schiene aus Umweltsicht bewerten?<br />
Zu einer solchen Bewertung braucht es<br />
– geeignete Masse und Methoden der Umweltwirkungsbewertung<br />
(z.B. Ökobilanzierung);<br />
– eine Systemabgrenzung (was betrachten wir als gefährdeten<br />
Naturraum?);<br />
– eine klare Differenzierung der Bewertungsperspektiven<br />
(die Bahn hat eine <strong>and</strong>ere Sicht als ihre Kunden; die Sicht<br />
der Umweltnaturwissenschaften ist wiederum ein <strong>and</strong>ere).<br />
Im einzelnen werde ich das Folgende einführend vorstellen:<br />
– den Schienengüterverkehr als das Problem-Umfeld der<br />
<strong>Fallstudie</strong>; ein besonderes Augenmerk wird dem schwindenden<br />
ökologischen Vorsprung der Bahn gegenüber der<br />
Strasse gelten;<br />
– die Struktur und Geschichte der <strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> 2000;<br />
hierzu gehört nicht zuletzt die besondere Form der Kooperation<br />
zwischen Hochschule und Praxis (Transdisziplinarität);<br />
– die Ergebnisse der einzelnen Gruppen sowie die verschiedenen<br />
Beiträge zu diesem B<strong>and</strong>, die von den Kooperationspartnern<br />
stammen: der SBB AG, dem NFP 41, und<br />
der Region Zug.<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 27
Wie kommen die Güter auf die Bahn?<br />
2 Hintergrund: Güterverkehr im<br />
Umbruch<br />
<strong>Die</strong> Zukunft der Schiene Schweiz wird nicht allein in der<br />
Schweiz entschieden. Eine Studie des internationalen Eisenbahnverb<strong>and</strong>s<br />
resümiert: «<strong>Die</strong> heutigen nationalen Eisenbahnunternehmen<br />
können die Mehranforderungen nicht erfüllen,<br />
weil sie ineffiziente, überholte und produktionsorientierte<br />
Monopole sind.» (UIC, 1997, S. 10). <strong>Die</strong>s hat in<br />
Europa – und der Schweiz – zur Politik der Liberalisierung<br />
bei den Eisenbahnen geführt. <strong>Die</strong> Idee ist, durch Konkurrenz<br />
und freien Markt die Produktivität der Bahnen zu erhöhen.<br />
Ein Sorgenkind ist der Güterverkehr. Gerade im Bereich<br />
Güterverkehr wird die Zukunft der europäischen Bahnen<br />
entschieden, so urteilt Hartmut Mehdorn, Chef der Deutschen<br />
Bahn AG. Einige Zahlen können die bisherige, für die<br />
Bahn ungünstige Entwicklung dokumentieren:<br />
– Zwischen 1970 und 1996 stieg das gesamte Frachtvolumen<br />
in der EU um 90% und beträgt nunmehr 160 Milliarden<br />
Tonnenkilometer (beförderte Last x gefahrene<br />
Strecke).<br />
– Im gleichen Zeitraum sank der Anteil der Bahn von 32%<br />
auf 14%.<br />
Auch in der Schweiz hat der Anteil der Bahn am Gütertransport<br />
zwischen 1970 und 1996 abgenommen. Der Bahnanteil<br />
am Verkehrsaufkommen (gemessen in transportierten<br />
Tonnen) sank von 10,5% im Jahr 1970 auf 8,1% im Jahr<br />
1995, der Anteil an der erbrachten Verkehrsleistung (gemessen<br />
in Tonnenkilometern) sank von 28,4% auf 17,5%. <strong>Die</strong><br />
Dramatik dieser Entwicklung wird deutlich, wenn man die<br />
Zahlen von 1950 heranzieht: Damals betrug der Anteil der<br />
Bahn am Verkehrsaufkommen 18,1% und bei der Verkehrsleistung<br />
51,2%. <strong>Die</strong>se Zahlen gelten für den schweizerischen<br />
Verkehr. Rechnet man den Transitverkehr hinzu, so<br />
stellt sich der Anteil der Bahn etwas besser dar. Tab. 2.1 zeigt<br />
die Situation für 1996. Dass dieser Anteil bei der Verkehrsleistung<br />
höher liegt als beim Verkehrsaufkommen findet<br />
seine Ursache darin, dass bahnaffine Güter wie Kohle oder<br />
chemische Grundstoffe meist längere Strecken transportiert<br />
werden als Güter im Strassenverkehr (es ergibt sich also eine<br />
höhere Zahl an Tonnenkilometern).<br />
Einige Projekte des nationalen Forschungsprogramms<br />
«Verkehr und Umwelt» (NFP 41) befassen sich denn auch<br />
mit dem Schienengüterverkehr in der Schweiz. <strong>Die</strong> Studie<br />
«Zukunftsgüterbahn» (Lebküchner, Schreyer & Maibach<br />
2000) zeigt ein Entwicklungsdilemma in diesem Bereich<br />
auf: Einerseits sind umfangreiche, längerfristig ausgerichtete<br />
Investitionen notwendig, um in einem «qualitativen<br />
Quantensprung» (S. 63) die Wettbewerbsfähigkeit der Bahn<br />
zu verbessern. Andererseits sind langfristige Investitionen<br />
im dynamischen Güterverkehrsmarkt mit sehr viel Risiko<br />
verbunden. Gerade weil die Bahnen heute gezwungen sind,<br />
betriebswirtschaftlich zu denken, sind sie mit solchen Investitionen<br />
zurückhaltend.<br />
Ein Grundproblem im Güterverkehr besteht darin, dass<br />
der Transport oft Teil einer Logistikkette darstellt. <strong>Die</strong>se<br />
Logistikkette ist wiederum ein Best<strong>and</strong>teil des Produktionsund<br />
Vertriebsprozesses und damit «sehr störanfällig» (UIC,<br />
1997, S. 18). Abb. 2.1 zeigt verschiedene typische Gütertransportwege<br />
mit der Bahn. <strong>Die</strong> Bahn kann ihre Stärken nur<br />
dann ausspielen, wenn sie «ihre Transporte bündeln und<br />
über längere Strecken transportieren kann» (Lebküchner et<br />
al., 2000, S. K-9). Gerade der Bahn-Einzelwagenladungs-<br />
Verkehr ist dann ökologisch konkurrenzlos, wenn bereits<br />
vorh<strong>and</strong>ene Anschlussgleise genutzt werden können. «<strong>Die</strong><br />
CO2-Emissionen machen bei heutigem Strommix pro transportierte<br />
Tonne nur 3% derjenigen eines durchschnittlichen<br />
LKW aus.» (Maibach, Schenkel, Peter & Gehrig, 1997, S.<br />
11). Ende 1999 waren in der Schweiz noch rund 2600<br />
Anschlussgleise in Betrieb; darauf wurden etwa 95% des<br />
Wagenladungsverkehrs abgewickelt (Schweizerische Bundesbahnen<br />
(SBB), 1999, S. 6).<br />
2.1 Umweltbonus versus Bahnmalus<br />
Wiederholt wird das Argument ins Feld geführt, die Bahn<br />
solle ihren Ökobonus als umweltfreundlicher Transporteur<br />
besser vermarkten. Hierfür ist ausschlaggebend, ob die<br />
Bahnkunden diesen Ökobonus für sich selber imagefördernd<br />
nutzen können. Was für die Versorger Migros und<br />
Coop gelten mag, muss jedoch nicht auf kleine und mittlere<br />
Unternehmen zutreffen. Im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms<br />
41 «Verkehr und Umwelt» wurden Studien<br />
zur Wechselbereitschaft von Verladern durchgeführt.<br />
Rico Maggi von der Universität Lugano erfasste die Umsteigeelastizitäten<br />
zwischen Verkehrsträgern auf Seiten der Verlader.<br />
<strong>Die</strong> Umsteigeelastizitäten zeigen an, in welchem Aus-<br />
Tab. 2.1: Schweizerischer Güterverkehr 1996 nach Verkehrsträgern, inkl. Transit (Quelle: LITRA, 1999).<br />
Verkehrsträger Verkehrsaufkommen Verkehrsleistung<br />
Mio. t % Mio. tkm %<br />
Strasse 306.3 80.0 12’861 55.9<br />
Schiene 44.2 11.5 7’907 34.4<br />
Pipelines 19.2 5.0 2’026 8.8<br />
Wasser und Luft 13.3 3.5 209 0.9<br />
Total pro Jahr 383.0 100.0 23’003 100.0<br />
28 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Wie kommen die Güter auf die Bahn?<br />
Abb. 2.1: Schienengüterverkehr mit der SBB AG als Teil einer Logistikkette. Oben: Von Anschlussgleis zu Anschlussgleis.<br />
Mitte: Kombinierter Verkehr, hier Feinverteilung per LKW (über Service Center). Unten: Bahntransport von Terminal zu<br />
Terminal als ein Glied einer Transportkette (Quelle: SBB, 1999).<br />
Tab. 2.2: Verkehrsmittelspezifische Elastizitäten. <strong>Die</strong> Umsteigeelastizitäten sind bei der Schiene am höchsten, gefolgt vom<br />
Kombiverkehr. Lesebeispiel: Es führt eine relative Erhöhung des Transportpreises bei der Bahn eher zum Umsteigen auf ein<br />
<strong>and</strong>eres Transportmittel als bei der Strasse (-0.68 vs. -0.48), ebenso bei einem Sinken der Zuverlässigkeit der Transporte<br />
(0.75 vs. 0.52; das Vorzeichen zeigt nur die Richtung der Änderung, nicht deren Stärke an). Erfragt wurden hypothetische<br />
Alternativen (Quelle: Maggi et al., 1999).<br />
Strasse Schiene Kombiverkehr<br />
Transportpreis -0.48 -0.68 -0.59<br />
Transportzeit -0.19 -0.27 -0.24<br />
Zuverlässigkeit 0.52 0.75 0.65<br />
Häufigkeit 0.02 0.03 0.02<br />
Flexibilität 0.05 0.07 0.06<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 29
Wie kommen die Güter auf die Bahn?<br />
mass die Befragten zum Wechsel auf eine Transportalternative<br />
bereit sind, wenn sich eine Transportqualität (Preis,<br />
Transportzeit, etc.) verändert. Hierbei zeigt sich statt eines<br />
Ökobonus eher ein Bahnmalus: Bei gleichem Leistungsangebot<br />
von Schiene und Strasse (Preis, Zuverlässigkeit, etc.)<br />
bevorzugen die Verlader deutlich den Transport auf der<br />
Strasse.<br />
<strong>Die</strong> Gründe für einen fehlenden Ökobonus können vielfältig<br />
sein. Zum einen kann es wie erwähnt daran liegen,<br />
dass der Umweltvorteil für den spezifischen Kundenkreis<br />
eines verladenen Unternehmens nicht interessant ist – etwa<br />
im Business-to-Business-Geschäft (Lieferung von Halbfertigprodukten).<br />
Zum <strong>and</strong>eren könnte auch darin ein Grund zu<br />
finden sein, dass die Bahn als wenig flexibler Akteur im<br />
Transportgewerbe angesehen wird. Einen Strassen-Spediteur<br />
kann man rasch wechseln, nicht jedoch ein Anschlussgleis.<br />
<strong>Die</strong> NFP 41-Studie «Unternehmensstrukturen und Güterverkehr»<br />
resümiert: «Entgegen dem Leitsatz, dass eine Effektivierung<br />
des Güterverkehrs dann eintritt, wenn ein bestimmtes<br />
Gut mit dem ‘wesensgerechten’ Verkehrsmittel<br />
transportiert wird, ist festzustellen, dass heute auch dort auf<br />
der Strasse transportiert wird, wo der Schienenverkehr, zumindest<br />
als Teil des kombinierten Verkehrs, als ‘wesensgemäss’<br />
anzusehen ist.» (Thierstein, Schnell & Schwegler,<br />
1999, S. 5).<br />
2.2 Der ökologische Vorsprung schmilzt<br />
<strong>Die</strong> wissenschaftliche Begründung für die politische Bevorzugung<br />
der Bahn liegt in den externen Kosten des Verkehrs,<br />
zumal des Strassenverkehrs. Gemeint sind Umweltbelastungen,<br />
die durch den Verkehr entstehen, sich aber nicht unmittelbar<br />
in den Fahrtkosten niederschlagen. Solche Kosten<br />
trägt in der Regel nicht der Fahrgast oder Transportunternehmer,<br />
sondern die Allgemeinheit. Wie Tabelle 2.3 zeigt,<br />
hat die Bahn einen gewaltigen Vorteil im Bereich Luftschadstoffe<br />
(CO2, NOx). Betrachtet man Betrieb und Bereitstellung<br />
von Energie im Personenverkehr, so ist die Bahn 140<br />
mal besser als ein Personenkraftwagen. Beim Güterverkehr<br />
liegt der ökologische Vorteil bei einem Faktor grösser 40.<br />
Der ökologische Vergleich der Transportwege ist abhängig<br />
von R<strong>and</strong>parametern wie dem Auslastungsgrad. Würde<br />
die durchschnittliche Auslastung eines Personenwagen von<br />
heute 1.6 Personen auf 2 Personen steigen, würden die<br />
Indikatoren für die Umweltbelastung um 20% sinken (Maibach<br />
et al., 1997, S. Z-7). Änderungen ergeben sich auch<br />
infolge technischen und rechtlichen W<strong>and</strong>els. So liegt das<br />
Reduktionspotenzial bei den Luftschadstoffen im Personenverkehr<br />
bei etwa 80-90% (a.a.O.).<br />
Tatsächlich schmilzt der ökologische Vorsprung der Bahn<br />
gegenüber der Strasse. Während im Personenverkehr strengere<br />
Abgasvorschriften oftmals durch eine Tendenz zu grösseren<br />
Personenwagen aufgehoben werden, machen sich im<br />
Güterverkehr technische Neuerungen rasch bemerkbar. Das<br />
Forschungs-Institut Infras kommt für den Güterverkehr zum<br />
Schluss: «Weil die Strasse dank technischen Fortschritten<br />
im Abgasbereich ihre NOx-Emissionen drastisch senken<br />
kann, verschwindet auf längere Frist dieser Umweltvorteil<br />
der Bahn» (a.a.O, S. Z-8).<br />
So weist auch Hans-Jörg Bertschi (1999, S. 2), Schweizer<br />
Chemie-Transportunternehmer und Verfechter des kombinierten<br />
Verkehrs, darauf hin, dass der Ressourcenverbrauch<br />
und die Umweltbelastung des Strassenverkehrs «massiv<br />
gesenkt wurden und weiter gesenkt werden». <strong>Die</strong> Verlagerung<br />
auf die Schiene bringe in absehbarer Zeit keine Umweltvorteile.<br />
Bertschi leitet daraus die Forderung ab: «<strong>Die</strong><br />
Schiene wird sich in Zukunft im Markt behaupten müssen»<br />
(a.a.O.).<br />
Tab. 2.3: Umweltindikatoren im Verkehr, Zahlen für 1995. Lesebeispiel: Der Betrieb eines Personenkraftwagens benötigt<br />
pro Personenkilometer 7 mal soviel Energie wie ein Personenzug. Berücksichtigt man alle indirekten Belastungen, so<br />
verringert sich der Vorteil des Zugs auf den Faktor 1.7 (entspricht Figur Z-2 in Maibach et al., 1997).<br />
Personenverkehr (Bahn = 1) Güterverkehr (Bahn = 1)<br />
nur Betrieb Betrieb &<br />
Bereitstellung<br />
Energie<br />
nur Betrieb Betrieb &<br />
Bereitstellung<br />
Energie<br />
Gesamt<br />
(inkl. aller<br />
indirekten<br />
Belastungen)<br />
Gesamt<br />
(inkl. aller<br />
indirekten<br />
Belastungen)<br />
Energie 7 5 1.7 8 5 2.5<br />
CO 2 70 4 78 40 5<br />
NO x 140 4 50 44 15<br />
Lärm 0.4 0.4 0.4 1 1 1<br />
Fläche 45 0.7 32 2<br />
Unfälle 10 6<br />
30 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Wie kommen die Güter auf die Bahn?<br />
3 <strong>Die</strong> <strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>: Analyse,<br />
Kommunikation,<br />
Wissensintegration<br />
Um den Umweltvorteil der Bahn besser einschätzen zu<br />
können, müssen wir die Umweltauswirkungen des Verkehrsträgers<br />
Bahn genauer erfassen und den Vergleich mit<br />
dem Strassenverkehr einbeziehen. <strong>Die</strong>ser Aufgabe nahm<br />
sich die <strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> 2000 am Beispiel des SBB-Güterverkehrs<br />
in der Region Zugersee an. <strong>Die</strong> <strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> ist<br />
ein Lehrprojekt der Umweltnaturwissenschaften der <strong>ETH</strong><br />
Zürich. <strong>UNS</strong> steht für die Professur «Umweltnatur- und<br />
Umweltsozialwissenschaften» (Prof. Scholz), die 1993 mit<br />
der Reorganisation dieser Lehrform beauftragt worden ist.<br />
Grundsätzlich geht es in den <strong>Fallstudie</strong>n darum:<br />
– In einem konkreten Fall, der für die Umweltplanung<br />
relevant ist,<br />
– gemeinsam mit den relevanten Akteuren,<br />
– auf der Grundlage von umweltnaturwissenschaftlichem<br />
Wissen,<br />
– die bestehenden H<strong>and</strong>lungsoptionen zu bewerten.<br />
Ausgangspunkt ist die Einsicht, dass im Bereich Umweltplanung<br />
beides nötig ist: Analyse und Kommunikation. Es<br />
braucht eine fach- und fallgerechte Analyse der ökologischen<br />
Situation und eine aktive Kommunikation der Analyse<br />
bei den Akteuren und Betroffenen. Das Vorgehen der <strong>UNS</strong><br />
<strong>Fallstudie</strong> ist transdisziplinär: <strong>Die</strong> <strong>Fallstudie</strong> erfordert nicht<br />
nur den Einbezug verschiedener Wissenschaften (= interdisziplinär),<br />
sondern auch eine wesentliche Zusammenarbeit<br />
von Hochschule und Praxis (Häberli, Scholz, Bill & Welti,<br />
2000; vgl. auch Mieg, 1996). Wesentliche Zusammenarbeit<br />
meint in diesem Zusammenhang etwas <strong>and</strong>eres als zum<br />
Beispiel einen Auftrag, den die Hochschule übernimmt.<br />
Vielmehr sollte das gemeinsame Vorgehen einen bedeutenden<br />
Teil des Produkts darstellen. Wir können dies in Form<br />
von zwei Prinzipien erörtern:<br />
– «Mutual Learning», wechselseitiges Lernen Hochschule-Praxis<br />
(vgl. Scholz, 1999): Im gemeinsamen Prozess<br />
lernt man, ein Problem der Umweltplanung aus einer<br />
<strong>and</strong>eren Perspektive zu sehen und anzugehen. Hierzu<br />
gehört, dass die Definition des Problems gemeinsam<br />
getroffen wird.<br />
– «Networking», Ausbildung nachhaltiger, lokaler Netzwerke<br />
(vgl. Mieg, Scholz & Stünzi, 1996): Durch die<br />
gemeinsame Arbeit sollen Netzwerke, die das relevante<br />
Wissen und die entscheidenden Personen zusammenführen,<br />
gestärkt werden.<br />
3.1 Struktur der <strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> 2000<br />
In der <strong>Fallstudie</strong> 2000 arbeiteten 52 Studierende zusammen<br />
mit 8 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der SBB sowie 14<br />
Mitarbeitern aus Forschung, Privatwirtschaft und Verwaltung.<br />
Sie wurden unterstützt von 3 Hochschulinstituten,<br />
darunter dem <strong>ETH</strong>-Institut für Verkehrsplanung, Transporttechnik,<br />
Strassen- und Eisenbahnbau (IVT).<br />
<strong>Die</strong> <strong>Fallstudie</strong> 2000 in der Region Zugersee baut auf den<br />
Arbeiten der <strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> ‘99 auf (vgl. Scholz, Bösch,<br />
Oswald & Stauffacher, 2001). Letztere erstellten eine vergleichende<br />
Bewertung der umweltschutzrelevanten Investitionen<br />
der SBB in den Tätigkeitsfeldern:<br />
– Lärm,<br />
– Altlasten,<br />
– Energie,<br />
– L<strong>and</strong>schaft.<br />
Ein Vergleich der getätigten Investition hinsichtlich ihrem<br />
Umweltnutzen ist nicht immer einfach. Wie soll man, um ein<br />
Beispiel zu geben, den Erfolg von Lärmschutz mit Ausgleichsmassnahmen<br />
im Naturschutzbereich vergleichen?<br />
<strong>Die</strong> <strong>Fallstudie</strong> 1999 erarbeitete hierzu ein Mass für eine<br />
integrative Bewertung der umweltschutzrelevanten Investitionen<br />
der SBB: die Ökologischen Rechnungseinheiten<br />
(vgl. Scholz & Baumgartner, 2001).<br />
<strong>Die</strong> <strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> 2000 führte die Arbeit der <strong>Fallstudie</strong><br />
1999 in gewissen Sinn fort und untersuchte konkret den<br />
Güterverkehr in der Region Zugersee. <strong>Die</strong> <strong>Fallstudie</strong> unterteilte<br />
sich in drei Synthesegruppen und eine Arbeitsgruppe<br />
mit Spezialauftrag. Eine Synthesegruppe ist ein Team aus<br />
Studierenden, Tutoren, SBB-Vertretern und Experten, das in<br />
eigener Regie den Fall unter einem bestimmten Aspekt<br />
angeht und eine Synthese des vorliegenden Wissens erarbeitet.<br />
<strong>Die</strong> drei Synthesegruppen waren (vgl. Abb. 3.1):<br />
– Synthesegruppe «Ökoeffizienz»: <strong>Die</strong> Gruppe sollte unmittelbar<br />
die Analysen zur Ökoeffizienz aus der <strong>Fallstudie</strong><br />
1999 aufgreifen. Konkret ging es darum, Güter-<br />
Transportketten der Region Zug zu modellieren und vergleichende<br />
Ökobilanzen von Strassen- vs. Schienentransport<br />
zu rechnen.<br />
– Synthesegruppe «Akteure»: <strong>Die</strong>se Gruppe beh<strong>and</strong>elte die<br />
Kommunikation unter den Akteuren des Güterverkehrs<br />
(Verlader, SBB, Spediteure, öffentliche H<strong>and</strong> etc.). <strong>Die</strong><br />
beim NFP 41 «Verkehr und Umwelt» vorliegenden<br />
H<strong>and</strong>lungsvorschläge, z.B. im Logistikbereich, sollten<br />
hierzu untersucht und bewertet werden.<br />
– Synthesegruppe «Naturraum»: <strong>Die</strong>se Gruppe versuchte,<br />
die Auswirkungen von Schiene und Strasse auf den Naturraum<br />
zu bewerten. Im speziellen ging die Gruppe der<br />
Frage nach, welche Habitatsqualität das Schienennetz im<br />
Vergleich mit der Strasse aufweist.<br />
– Zudem gab es die Arbeitsgruppe «Szenarien». Sie arbeitete<br />
zusammen mit leitenden Vertretern der SBB. Ihr<br />
Spezialauftrag best<strong>and</strong> darin, aus einer unternehmensorientierten<br />
Sicht Szenarien für den Güterverkehr zu<br />
entwickeln und Unternehmensstrategien zu bewerten.<br />
Sie trug wesentlich dazu bei, die Arbeiten der beiden<br />
<strong>Fallstudie</strong>n 1999 und 2000 zu einem Gesamtbild «Zukunft<br />
Schiene Schweiz» zu verdichten.<br />
<strong>Die</strong> Hauptarbeit der Gruppen erfolgte während des Sommersemesters,<br />
also von Anfang April bis Anfang Juli 2000.<br />
Zu ergänzen ist der Aspekt der Wissensintegration. <strong>Die</strong><br />
methodengestützte Wissensintegration ist ein zentrales<br />
Lern- und Projektziel der <strong>Fallstudie</strong>n (Scholz & Tietje,<br />
1996, in prep; vgl. auch Kap. <strong>Fallstudie</strong>nmethoden). <strong>Die</strong><br />
genutzten Methoden, z.B. Ökobilanzierung und Szenario-<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 31
Wie kommen die Güter auf die Bahn?<br />
Abb. 3.1: Aufbau der <strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> 2000.<br />
Abb. 3.2: <strong>Die</strong> Reform des Schienengüterverkehrs<br />
ist ein gesamteuropäisches<br />
Problem. Auch die<br />
Güterverkehrsbeziehungen vieler<br />
in der Region Zug ansässigen Firmen<br />
reichen weit über die Region<br />
hinaus (<strong>Die</strong> lokale Darstellung<br />
zeigt das Zuger Stadtbahnprojekt<br />
für vertakteten Personenverkehr).<br />
32 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Wie kommen die Güter auf die Bahn?<br />
analyse, unterstützen in gleichem Masse die sachliche, fallorientierte<br />
Wissensintegration wie auch den «kollektiven<br />
Problemlöseprozess» in den Synthesegruppen (vgl. Mieg,<br />
2000). <strong>Die</strong> Wissensintegration umfasst:<br />
– verschiedene Disziplinen: Umweltnaturwissenschaften,<br />
Verkehrstechnik, politische Ökonomie, etc.,<br />
– verschiedene Wissenstypen: akademisches Wissen<br />
(<strong>ETH</strong>), Planungswissen (SBB), lokales Erfahrungswissen<br />
(kantonale Stellen), etc.,<br />
– verschiedene Systeme: Naturraum, Verkehrssystem, Akteursnetz,<br />
etc.,<br />
– verschiedene Interessen: akademische Ausbildung<br />
(UMNW), Unternehmen (SBB, Verlader), angew<strong>and</strong>te<br />
Forschung (NFP), etc.<br />
3.2 Systemabgrenzung<br />
So klein die Schweiz auch von aussen besehen wirken mag,<br />
als Fall und System für die <strong>Fallstudie</strong> 2000 schien sie zu<br />
gross. Zu vielfältig sind in der Schweiz die Akteursbeziehungen<br />
im Transportgewerbe und die lokalen Besonderheiten<br />
hinsichtlich Gütern und Transporteuren. <strong>Die</strong> Region Zug<br />
ist hingegen mit Blick auf ihre Wirtschafts- und Verkehrsentwicklung<br />
ein Modellfall für die zukünftige Entwicklung<br />
in weiten Teile der ganzen Schweiz. <strong>Die</strong> Region stellt sich<br />
als ein enger Verbund ländlicher Räume und städtischer<br />
Agglomeration dar, sie ist infrastrukturell hoch entwickelt<br />
und weist ein hohes Wirtschaftswachstum sowie regionsübergreifende<br />
Wirtschafts- und Güterverkehrsbeziehungen<br />
auf. In den letzten Jahren exp<strong>and</strong>ierten die wertschöpfungsstarken,<br />
kommerziellen <strong>Die</strong>nstleistungen, vor allem in den<br />
Bereichen Planung und Beratung, Banken und Versicherungen.<br />
Wenig verwunderlich ist, dass der Anteil der Bahn am<br />
Güterverkehrsaufkommen in der Region Zug nicht nur<br />
sinkt, sondern auch für Schweizer Verhältnisse unterdurchschnittlich<br />
ist. <strong>Die</strong> Region Zug war das Fallbeispiel für die<br />
NFP 41-Studie zu «Unternehmensstrategien und Güterverkehr»<br />
(Thierstein et al., 1999).<br />
Der Kanton Zug ist recht aktiv im Bereich Personenverkehr.<br />
Bis 2004 soll eine Stadtbahn im Kanton eingeführt<br />
werden (vgl. auch Abb. 3.2). Sie wird die wichtigsten Orte<br />
im Viertelstundentakt verbinden. Vergleichbare Initiativen<br />
im Güterverkehr gibt es jedoch nicht. Der Güterverlad am<br />
Bahnhof Zug ist eingestellt worden. Mit dem Bahnhof Rotkreuz<br />
besitzt die Region einen strategisch günstig gelegenen<br />
Güterumschlag-St<strong>and</strong>ort, dessen Infrastruktur jedoch «noch<br />
entwicklungsbedürftig» ist (Thierstein et al., 1999, S. 8).<br />
Einige in der Region ansässige Firmen wie V-Zug, Migros<br />
oder Cham Paper Group nutzen ihre bestehenden Anschlussgleise.<br />
Für die <strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> 2000 erweiterten wir die Systemgrenze<br />
der Betrachtung auf die Region Zugersee. Der südliche<br />
Teil des Zugersees liegt im Kanton Schwyz; es führen<br />
im Osten wie im Westen wichtige Trassen am Zugersee<br />
entlang in Richtung Süden. Sie treffen sich in Arth-Goldau<br />
und führen von dort weiter einerseits Richtung Gotthard-<br />
Tunnel und <strong>and</strong>ererseits Richtung Pfäffikon am Zürich See.<br />
<strong>Die</strong> Gotthard-Strecke ist die wichtigste Gütertransit-Strecke<br />
der Schweiz.<br />
4 Perspektiven auf den Fall:<br />
SBB AG, NFP 41, Kanton Zug<br />
Der Schienengüterverkehr in der Region Zugersee lässt sich<br />
aus sehr unterschiedlichen Perspektiven betrachten; die umweltnaturwissenschaftliche<br />
<strong>ETH</strong>-Perspektive ist nur eine<br />
davon. Im vorliegenden B<strong>and</strong> stellen die wichtigen Kooperationspartner<br />
ihre Sicht vor. Es h<strong>and</strong>elt sich hierbei um<br />
– die Sicht der SBB als unternehmerischer Entscheidungsträger,<br />
– die Sicht des NFP 41 «Verkehr und Umwelt» als nationales<br />
Wissenschaftsprogramm,<br />
– die Sicht der Region Zug als Region mit eigener Geschichte<br />
und Entwicklung.<br />
4.1 SBB – Unternehmen im W<strong>and</strong>el<br />
<strong>Die</strong> Situation der SBB ist geprägt durch die Bahnreform. Als<br />
die Kooperation zwischen <strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> und SBB verh<strong>and</strong>elt<br />
wurde – das war 1998 – waren die SBB noch eine<br />
Anstalt des Bundes. Mit der Bahnreform sind die SBB zu<br />
einer AG des Bundes geworden. Der Bereich Güterverkehr,<br />
die SBB Cargo, ist eine eigenständige Division geworden.<br />
Dank einer massiven Entschuldung erhält die SBB AG die<br />
«vielleicht einmalige Chance», «ihre unternehmerische Leistungsfähigkeit<br />
unter Beweis zu stellen» (vgl.<br />
www.sbb.ch/about_d). Zentrale Elemente der Schweizer<br />
Bahnreform sind:<br />
– Wettbewerb: In Zukunft soll Wettbewerb zwischen den<br />
Bahnen möglich sein. Eine Öffnung ist grundsätzlich für<br />
den gesamten Güterverkehr sowie den internationalen<br />
Personenverkehr geplant, nicht aber im eng abgestimmten<br />
nationalen Personenverkehr.<br />
– Netzzugang durch Dritte (open access): <strong>Die</strong> Bahnunternehmen<br />
müssen ihre Infrastruktur auch Dritten gegen<br />
eine Gebühr diskriminierungsfrei zur Verfügung stellen.<br />
– Trennung von Infrastruktur- und Verkehrsbereich: <strong>Die</strong><br />
Bahnreform verlangt von den SBB nicht nur eine rechnerische,<br />
sondern auch eine organisatorische Trennung der<br />
beiden Bereiche. Sie sollen je unabhängig mit eigener<br />
Erfolgsrechnung und Bilanz geführt werden.<br />
In Sachen Umweltschutz ist die SBB mit sehr unterschiedlichen<br />
Anliegen konfrontiert, die vom Lärmschutz über<br />
Fragen der L<strong>and</strong>schaftsentwicklung bis hin zum Problem<br />
Abfall reichen. Abb. 4.1.1 zeigt eine Relevanzmatrix der<br />
SBB für umweltbezogene Tätigkeitsfelder. Hohe Relevanz<br />
sieht die SBB insbesondere in den beiden Bereichen «Lärm»<br />
und «Gewässerschutz, Bodenschutz, Altlasten». <strong>Die</strong> Strategie<br />
der SBB im Bereich «Lärmschutz» sieht bis 2015 eine<br />
Reihe von Massnahmen vor:<br />
– Sanierung sämtlichen Rollmaterials der SBB,<br />
– Prüfung von maximal 2 Meter hohen Lärmschutzwänden<br />
mit Hilfe einer Wirtschaftlichkeitsberechnung (KNI, Kosten-Nutzen-Index,<br />
vgl. Hübner, 1997) an den Orten, an<br />
denen die Immissionsgrenzwerte trotz Rollmaterialsanierung<br />
noch überschritten sind,<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 33
Wie kommen die Güter auf die Bahn?<br />
Abb. 4.1.1: Relevanzmatrix für umweltrelevante Tätigkeitsfelder der SBB (Quelle: Hübner & Kuppelwieser, 1997).<br />
– Finanzierung oder Teilfinanzierung von Lärmschutzfenstern<br />
bei den Gebäuden, wo Lärmschutzwände wirtschaftlich<br />
nicht tragbar sind oder nicht ausreichen, um<br />
die Immissionsgrenzwerte einzuhalten.<br />
In der <strong>Fallstudie</strong> 1999 wurde mit Hilfe von Szenarioanalysen<br />
die Lämstrategie bewertet und für praktikabel und<br />
ökologisch sinnvoll befunden. Eine schriftliche Befragung<br />
von Bahnanwohnern ergab hingegen, dass bei der betroffenen<br />
Bevölkerung noch ein erhebliches Informationsdefizit<br />
über die Lärmschutzstrategie der SBB besteht (Schild,<br />
Schürmann & Hofer, 2001).<br />
Der in diesem B<strong>and</strong> vorliegende Beitrag zur Perspektive<br />
der SBB AG wurde vom BahnUmwelt-Center (BUC) verfasst.<br />
Dessen Leiter ist Peter Hübner. Während der <strong>Fallstudie</strong><br />
war er Mitglied des Beirats und unterstützte die Arbeitsgruppe<br />
Szenarien.<br />
Das BahnUmwelt-Center koordiniert die Umwelttätigkeiten<br />
der SBB AG. Es gehört seit der Bahnreform 1999<br />
dem Konzernstab an und stellt eine Schnittstelle nach aussen<br />
wie nach innen dar (vgl. Abb. 4.1.2). Zu den Aufgaben des<br />
BahnUmwelt-Centers gehören die strategische Ausrichtung<br />
in Umweltfragen, das Umweltmanagement, die Umweltberichterstattung<br />
und die Umweltbilanzierung. Ausserdem ist<br />
es das Kompetenzzentrum für umwelttechnische Fragen.<br />
Das BahnUmwelt-Center ist innerhalb der SBB AG die<br />
koordinierende Stelle im Umweltnetzwerk. Während das<br />
BahnUmwelt-Center als Kompetenzzentrum und Koordinationsstelle<br />
vorwiegend konzeptionell und organisatorisch<br />
tätig ist, obliegt die Umsetzung der Umweltmassnahmen<br />
den einzelnen Geschäftsbereichen. Das Umweltnetzwerk<br />
besteht aus den Mitgliedern des BahnUmwelt-Centers sowie<br />
den Umweltbeauftragten der Geschäftsbereiche. Es<br />
dient dazu, durch Kontakte und Workshops den fachlichen<br />
Austausch und die Koordination zwischen den Umweltfachleuten<br />
sicherzustellen. Es ermöglicht somit die Vernetzung<br />
der Umweltbeauftragten und Umweltprojekte quer<br />
durch die Unternehmung. In dieser Hinsicht ist es gewiss<br />
vorbildlich für unternehmensinternes Umweltmanagement.<br />
34 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Wie kommen die Güter auf die Bahn?<br />
Abb. 4.1.2: <strong>Die</strong> Funktion des<br />
BahnUmwelt-Centers (BUC)<br />
der SBB (Quelle: SBB-BUC).<br />
4.2 NFP 41 «Verkehr und Umwelt» –<br />
Wissenschaft und «Zukunftsgüterbahn»<br />
Für die <strong>Fallstudie</strong>n 1999 und 2000 best<strong>and</strong> von Beginn an<br />
eine enge Verbindung zum NFP 41. NFP 41 steht für das<br />
Nationale Forschungsprogramm «Verkehr und Umwelt,<br />
Wechselwirkungen Schweiz-Europa». Der Hintergrund des<br />
NFP 41 sei kurz berichtet: Der Bundesrat gibt periodisch<br />
dem Schweizerischen Nationalfonds den Auftrag, zu gesellschaftlich<br />
und politisch wichtigen Fragen die wissenschaftlichen<br />
Grundlagen zu verbessern. Der Nationalfonds führt<br />
diese Forschungsprogramme mit Blick auf die Bedürfnisse<br />
der Adressaten in Politik und Verwaltung durch. Das NFP<br />
41 läuft seit 1997, einige der wichtigen Berichte lagen im<br />
Jahr 2000 bereits vor. Den vorliegenden Beitrag zum NFP<br />
41 verfasste Felix Walter, der Projektleiter des NFP 41 (auch<br />
er war Mitglied des <strong>Fallstudie</strong>nbeirats). Sein Beitrag vermittelt<br />
Ziele, Umfeld und Hauptergebnisse dieses Nationalen<br />
Forschungsprogramms.<br />
Mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgten wir die Arbeit<br />
des NFP 41-Projekts «Zukunftsgüterbahn» (Maibach,<br />
Schreyer, Lebküchner & Mauch, 1998; Lebküchner et al.,<br />
2000). In dem Projekt ging es darum, «Innovationslinien»<br />
für eine nachhaltige Entwicklung des Güterverkehrbreichs<br />
aufzuzeigen. Als Zielgrösse diente dem Projekt die Vorgabe<br />
«Faktor 4»: eine Verdoppelung der Produktivität der Schiene<br />
bei Halbierung der Umweltbelastung (vgl. a. von<br />
Weizsäcker, Lovins & Lovins, 1995). Mit Zukunftsgüterbahn<br />
ist eine «Faktor-4»-Bahn in dem genannten Sinne<br />
– Umweltgerechte Bahntechnologie: z.B. im Bereich<br />
Lärm neue Bremstechnologien, Radschallabsorber,<br />
Radschürzen; im Bereich Energie Rekuperationssysteme;<br />
– Intelligente Zugsbildung und Transportketten: z.B.<br />
automatische Kupplung, automatische Wagenerkennung;<br />
– Intelligente Zugsabwicklung: betriebliche Entflechtung<br />
von Personen- und Güterverkehr; Einführung des<br />
ETCS (European Train Control System);<br />
– Interoperable transnationale Systeme: für eine effiziente<br />
internationale Güterabwicklung, v.a. bei Strom<br />
und Sicherheit.<br />
Kasten 4.2: Innovationslinien für eine «Zunkunftsgüterbahn»<br />
nach Maibach et al. (1998).<br />
gemeint. In der Vorstudie zu «Zukunftsgüterbahn» beschrieben<br />
Maibach et al. (1998) die Innovationslinien, die in der<br />
Hauptsache auf technischen Lösungen beruhen (vgl. Kasten<br />
4.2).<br />
In der Hauptstudie skizzieren Lebküchner et al. (2000) die<br />
Zukunftsgüterbahn über die möglichen strategischen Ausrichtungen.<br />
Für eine Zukunftsgüterbahn ergeben sich grundsätzlich<br />
drei verschiedene Stossrichtungen, nämlich als (S.<br />
48ff.; vgl. Abb. 4.2):<br />
– Gesamtlogistikanbieter: <strong>Die</strong> Bahn entwirft im engen<br />
Kontakt mit den Kunden massgeschneiderte Logistik-<br />
Lösungen (wobei der Entscheid für einen Bahntransport<br />
nur eine nachrangige Rolle spielt).<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 35
Wie kommen die Güter auf die Bahn?<br />
Abb: 4.2: Systemebenen, Marktsegmentierung und «Angebotsinnovation» einer Zukunftsgüterbahn. <strong>Die</strong> verschiedenen<br />
Angebotsinnovationen sind stark abhängig von der Struktur des Transportmarktes (Marktsegmentierung). Wird die SBB als<br />
Bahn-Systemanbieter tätig (untere Ebene), so macht die Führung von Ganzzügen nur Sinn, wenn auch das Güteraufkommen<br />
hoch ist. Zu Details und Abkürzungen vgl. die angegebene Quelle (Quelle: Lebküchner et al., 2000, leicht verändert).<br />
– Integrator von Transportketten: <strong>Die</strong> Herausforderung<br />
besteht darin, die Teilsysteme einer Logistikkette «zu<br />
verzahnen», um für die Kunden Tür-zu-Tür-Angebote zu<br />
ermöglichen.<br />
– Bahn-Systemanbieter: <strong>Die</strong> Bahn stellt <strong>and</strong>eren Transportunternehmen<br />
eine moderne, weitgehend für automatischen<br />
Betrieb eingerichtete Infrastruktur zur Verfügung.<br />
Unabhängig von der gewählten Stossrichtung wird eine<br />
Faktor-4-Bahn nur dann Wirklichkeit, so resümieren Lebküchner<br />
et al. (2000, S. K-8), «wenn ein kundengerechtes<br />
Verhalten absolut oberste Priorität aufweist».<br />
Zwischen NFP 41 und den beiden <strong>Fallstudie</strong>n «Zukunft<br />
Schiene Schweiz» gab es enge Verbindungen. Tab. 4.2 gibt<br />
einen Überblick. Im einzelnen sind zu nennen:<br />
36 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Wie kommen die Güter auf die Bahn?<br />
Tab. 4.2: <strong>Die</strong> wichtigsten Berichte des NFP 41, die in die Arbeit der beiden <strong>Fallstudie</strong>n «Zukunft Schiene Schweiz», 1999<br />
und 2000, einflossen.<br />
Titel Autoren (Jahr) Bericht Gruppe<br />
Unternehmensstrategien und Güterverkehr: Wirkungen und A. Thierstein et al. (1999) B3 Akteure<br />
Zusammenhänge – gezeigt am Beispiel der Region Zug<br />
Multimodale Potenziale im transalpinen Güterverkehr R. Maggi et al. (1999) B4 Ökoeffizienz<br />
Zukunftsgüterbahn – Vorstudie M. Maibach et al. (1998) B5 Szenarien<br />
Zukunftsgüterbahn – Hauptstudie M. Lebküchner et al. (2000) B5+ Szenarien<br />
Kosten und Nutzen im Natur- und L<strong>and</strong>schaftsschutz Infraconsult (1999) C1 <strong>Fallstudie</strong> ‘99<br />
– <strong>Die</strong> Synthesegruppe Natur & L<strong>and</strong>schaft der <strong>Fallstudie</strong><br />
1999 testete den Monetarisierungs-Ansatz des NFP-Projektes<br />
«Kosten und Nutzen im Natur- und L<strong>and</strong>schaftsschutz».<br />
Es ging darum, den Nutzen von Naturschutzvorhaben<br />
durch Zahlungsbereitschaften zu erfassen («Wieviel<br />
mehr Sie für ein Ticket bezahlen, wenn mit dem<br />
Aufpreis der Naturschutz gefördert wird»). Der Ansatz<br />
wurde differenziert (Zahlungsbereitschaft Anwohner vs.<br />
Zugreisende; differenzierte Nutzenbewertung) und in<br />
den Gegenden Limmattal und Rotsee erfolgreich angew<strong>and</strong>t.<br />
– <strong>Die</strong> <strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> 2000 ging von dem Bericht «Unternehmensstrategien<br />
und Güterverkehr» (Thierstein et al.,<br />
1999) aus. In diesem Bericht werden verschiedene Vorschläge<br />
für die regionale Zusammenarbeit in der Region<br />
Zug vorgestellt. <strong>Die</strong> Synthesegruppe Akteure veranstaltete<br />
hierzu ein Güterforum mit SBB Cargo, Verladern<br />
und Transporteuren aus der Region.<br />
– Ein besonderes Ziel der <strong>Fallstudie</strong> 2000, das die Anliegen<br />
von <strong>Fallstudie</strong>, SBB AG und NFP 41 verbindet, war die<br />
Weiterentwicklung des Masses der Ökoeffizienz, um<br />
Transporte ökologisch-ökonomisch bilanzieren zu können.<br />
<strong>Die</strong>ser Aufgabe nahm sich die Synthesegruppe<br />
Ökoeffizienz an und griff dabei auf die Ergebnisse des<br />
NFP 41-Projektes «Multimodale Potenziale im transalpinen<br />
Güterverkehr» (Maggi et al., 1999) zurück.<br />
– <strong>Die</strong> Gruppe Szenarien orientierte sich in ihrer Arbeit an<br />
dem NFP 41-Projekt «Zukunftsgüterbahn» (Maibach et<br />
al., 1998; Lebküchner et al., 2000) und erstellte Szenarien<br />
für einen ökologischen Bahnverkehr der Zukunft. Im<br />
Vorgriff auf die Ergebnisse lässt sich sagen: Hier wie dort<br />
zeigt sich die Bedeutung des SBB-Strommixes. <strong>Die</strong>ser<br />
weist heutzutage dank Wasserkraft eine vergleichsweise<br />
gute Ökobilanz auf. <strong>Die</strong> Gesamtökobilanz der SBB AG<br />
würde sich jedoch dramatisch verschlechtern, sobald die<br />
SBB – aus welchen Gründen auch immer – auf den<br />
europäischen UCPTE-Strommix wechseln sollte.<br />
4.3 Region Zug – ein Modellfall?<br />
«Stunde ersehnt so lang!<br />
Stunde gehofft so bang!<br />
Bist zu L<strong>and</strong>esfrommen<br />
Endlich du gekommen?<br />
Nun dann grüßen wir All<br />
Dich drum viel tausendmal.<br />
Eisenbahn! Eisenbahn! – machtest viel Batzen uns schwitzen,<br />
Um dich, zärtlich gepflegtes Kind, einmal zu erlangen!<br />
Mach nicht hoffnungstäuschend uns ins Pech etwa sitzen,<br />
Wie es so viel <strong>and</strong>ern vor uns schon mit Dir ergangen. [...]»<br />
Mit diesen Worten begrüsste der Zuger Bote auf Seite 1<br />
die Eröffnung der Eisenbahnlinie Zürich–Zug–Luzern am<br />
30. Mai 1864 (Dossenbach, 1864, Auszug; zitiert nach<br />
Schalch, 1997, S. 135). Der Wunsch «Mach nicht hoffnungstäuschend<br />
uns ins Pech etwa sitzen» kam nicht von<br />
ungefähr. Drei Jahre zuvor, 1861, war die Schweizerische<br />
Ost-West-Bahn-Gesellschaft (OWB) bankrott gegangen<br />
und musste liquidiert werden. Damit starb auch das ehrgeizige<br />
Projekt, eine direkte Eisenbahnverbindung von Lausanne<br />
über Zug nach St. Gallen zu schaffen. <strong>Die</strong>se Geschichte<br />
vom Kampf um Konzessionen und politische Unterstützung,<br />
in dem letztlich die Zürcher Nordostbahn (NOB)<br />
obsiegte, liest sich wie ein Krimi; er findet sich mit grosser<br />
Sorgfalt in dem Buch «Zug kommt zum Zug» von J.A.J.<br />
Schalch (1997) dokumentiert.<br />
Den Beitrag über die Region Zug verfasste die «Stiftung<br />
Wirtschafts- und Lebensraum Zug». Sie hat auch das NFP<br />
41-Projekt «Unternehmensstrategien und Güterverkehr»<br />
(Thierstein et al., 1999) unterstützt und 1995 unter dem Titel<br />
«Modell Zug» eine umfangreiche Studie zum St<strong>and</strong>ort Zug<br />
veröffentlicht (durchgeführt u.a. von A. Thierstein). Auch<br />
wir fassen die Region Zug als einen Modellfall für die<br />
mögliche Entwicklung in der Schweiz auf. Zwei Punkte<br />
möchte ich besonders hervorheben:<br />
– Am St<strong>and</strong>ort Zug zeigt sich die wirtschaftliche Entwicklung<br />
in der Schweiz in einem fortgeschrittenen Stadium.<br />
<strong>Die</strong>s gilt vor allem für den tertiären Sektor, den <strong>Die</strong>nstleistungs-Bereich.<br />
<strong>Die</strong>se Entwicklung wird früher oder<br />
später die Schweiz als Ganze prägen.<br />
– <strong>Die</strong> Region Zug stellt sich dar als ein Nebenein<strong>and</strong>er von<br />
Bergen, Seen und Wirtschaftstätigkeiten mit überregio-<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 37
Wie kommen die Güter auf die Bahn?<br />
naler Bedeutung. Auch das Bild der Schweiz wird geprägt<br />
von Naturverbundenheit. <strong>Die</strong>s lässt leicht vergessen,<br />
dass die Schweiz zu einem der früh und am stärksten<br />
industrialisierten Ländern der Welt gehört. Das gilt auch<br />
für Zug.<br />
Entwicklung des tertiären Sektors<br />
Dass das Güterverkehrsaufkommen der Bahn in der Region<br />
Zug vergleichsweise gering ist, hat weniger mit geringer<br />
industrieller Produktion zu tun als vielmehr mit dem wirtschaftlichen<br />
W<strong>and</strong>el. Um ein Beispiel zu geben: 1878 transportierte<br />
die Anglo-Swiss Condensed Milk Co. für damals<br />
71’000 Franken Vergütung Güter mit der NOB. Darunter<br />
waren 90 Wagen Weissblech, 100 Wagen Zucker, 312 Wagen<br />
Steine, 68 Wagen leere Büchsen und 391 Wagen Kondensmilch,<br />
welche weiter nach London exportiert wurden<br />
(Schalch, 1997, S. 169). <strong>Die</strong> Anglo-Swiss Condensed Milk<br />
Co. ist seit der Fusion 1905 in der Nestlé AG aufgegangen,<br />
der Fimensitz in Cham ist erhalten geblieben, auch wenn<br />
dort heute nicht mehr produziert wird.<br />
Tabelle 4.3 zeigt die Veränderungen des Schienengüterverkehrs<br />
im Kanton Zug in den vergangenen Jahren. Wie<br />
man sieht, beträgt der Anteil des Zuger Einzelwagen-Ladungsverkehrs<br />
am Schweizer Gesamtaufkommen etwa 1%,<br />
beim Kombiverkehr liegt er noch tiefer. Das Transportgutaufkommen<br />
hat in Zug ebenso abgenommen wie in der<br />
Schweiz (wenn auch die Abnahme im Kanton Zug geringer<br />
ausfiel). Auffallend ist, dass – <strong>and</strong>ers als in der Schweiz –<br />
der Zuger Import stark zugenommen hat, während der Export<br />
sank. Was Zug heute exportiert sind nicht Industriegüter<br />
sondern «Brainware». Der Kanton ist ein «Arbeitsmarktmagnet»<br />
(Stiftung Wirtschafts- und Lebensraum Zug, 1995,<br />
S. 52): Fast ein Viertel aller Beschäftigten sind Zupendler<br />
aus <strong>and</strong>eren Kantonen. Auch im Vergleich mit der Gesamtschweiz<br />
dominiert im Kanton Zug der <strong>Die</strong>nstleistungssektor,<br />
voran die Geschäftstätigkeit von Banken, Beratung,<br />
Treuh<strong>and</strong>wesen und Finanzgesellschaften (a.a.O., S. 32f.).<br />
«Zug – Weltst<strong>and</strong>ort und Idylle»<br />
So titelte die Neue Zürcher Zeitung im Mai 1997 eine<br />
Sonderausgabe zum St<strong>and</strong>ort Zug. <strong>Die</strong>se Verschwisterung<br />
von Weltst<strong>and</strong>ort und Idylle zeigt sich auch in der Bevölkerungsbefragung<br />
zur Lebensqualität, die die «Stiftung Wirtschafts-<br />
und Lebensraum Zug» 1994 durchführen liess (vgl.<br />
Abb. 4.3): Obenan stehen die Steuersituation und die L<strong>and</strong>schaft.<br />
Hoch geschätzt werden zudem der öffentliche Verkehr,<br />
die Wohnverhältnisse und die medizinische Versorgung.<br />
Nicht ohne Grund sind die Mieten seit 1985 in Zug so<br />
hoch wie in Zürich (a.a.O., S. 16). <strong>Die</strong> drei Weltkonzerne<br />
Shell, BP und Unilever verlegten 1993 bzw. 1995 ihren<br />
Schweizer Sitz von Zürich nach Zug. <strong>Die</strong>ses Nebenein<strong>and</strong>er<br />
von Natur und Moderne ist keineswegs spezifisch für den<br />
Kanton Zug. Es scheint vielmehr für viele Orte der Schweiz<br />
typisch und kann Geltung für die Schweiz als Ganzes beanspruchen.<br />
Betrachten wir den Güterverkehr in unserem Fallbeispiel<br />
Region Zug, so fällt auf und bleibt festzuhalten:<br />
– Wie jeder <strong>and</strong>ere Kanton löst auch der Kanton Zug grosse<br />
Güterströme aus, vor allem bei den Abfällen. <strong>Die</strong>se werden<br />
zum grossen Teil im Kombinierten Verkehr transportiert.<br />
– Wir können annehmen, dass auch die internationalen<br />
Firmen aus Zug Transporte grösseren Ausmasses auslösen:<br />
nämlich international. <strong>Die</strong> Entscheidungen für solche<br />
globalen Transporte fallen lokal – auch im Kanton<br />
Zug.<br />
– Wegen der Lärmbelastung ist der Schienengüterverkehr<br />
der Lebensqualität am St<strong>and</strong>ort Zug nicht förderlich.<br />
Schon deshalb ist eine Ausweitung des Schienengüterverkehrs<br />
im Kanton Zug nicht naheliegend.<br />
– Hinzukommt das Stadtbahnprojekt, das einen S-Bahn-<br />
Betrieb für die Region vorsieht: <strong>Die</strong> Frage des Trassenzugangs<br />
kann hier in einen Konflikt zwischen Personenund<br />
Güterverkehr führen (auf Kosten des Schienengüterverkehrs).<br />
Tab. 4.3: Vergleich von 1986 und 1996 auf der Bahn transportierten Güter in Zug und der Schweiz (Quelle: Thierstein et al.,<br />
1999, leicht korrigiert).<br />
Kanton Zug<br />
Transportgut<br />
[in 1000 t]<br />
Schweiz<br />
Differenz<br />
1986-1996<br />
[in %]<br />
1986 1996 1986 1996 Zug CH<br />
Wagenladungsverkehr 395 362 38’683 32’460 -8 -16<br />
Binnenverkehr 257 186 17’388 15’270 -28 -12<br />
Export 10 5 2’047 2’296 -50 +12<br />
Import 128 170 11’311 7’675 +33 -32<br />
Transit 0 1 0 1 7’937 7’220 +0 -9<br />
Kombinierter Verkehr 8 15 5’130 11’106 +88 +116<br />
1 Für den Transit durch den Kanton Zug ergibt sich kein Wert, da der Transitgüterverkehr nur zwischen Schweizer Grenzbahnhöfen gerechnet wird.<br />
38 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Wie kommen die Güter auf die Bahn?<br />
Abb. 4.3: Bewertungsprofil der Lebensqualität<br />
in der Region Zug (Quelle:<br />
Stiftung Wirtschafts- und Lebensraum<br />
Zug, 1995).<br />
– Beachtenswert ist die Rolle des Kantons beziehungsweise<br />
der kantonalen Verwaltung. Der Kanton tritt nicht nur<br />
als Besteller für Leistungen im Personennahverkehr auf.<br />
Er betreibt auch aktive St<strong>and</strong>ortpolitik und Ansiedlungsberatung<br />
für Firmen. Wichtige Entscheide über die Art<br />
der Verkehrsanbindung fallen im Gespräch zwischen<br />
Firma und kantonaler Verwaltung.<br />
Wie sich zeigt: <strong>Die</strong> Region Zug ist relevant und durchaus<br />
repräsentativ für aktuelle Probleme im Güterverkehr in der<br />
Schweiz.<br />
4.4 Der <strong>Fallstudie</strong>nbeirat<br />
<strong>Die</strong> vorgestellten Perspektiven und Akteursgruppen waren<br />
aktiv im <strong>Fallstudie</strong>nbeirat der <strong>Fallstudie</strong> 2000 vertreten<br />
(vgl. Kasten 4.4). In diesem Beirat sassen Vertreter der SBB<br />
(Zentralbereich SBB, SBB Cargo) und der <strong>ETH</strong>-Umweltnaturwissenschaften<br />
sowie Vertreter von Wirtschaft und Politik<br />
der Region Zug. Nicht zu vergessen Felix Walter als<br />
Leiter des NFP 41 «Verkehr und Umwelt». Der <strong>Fallstudie</strong>nbeirat<br />
diente der inhaltlichen Steuerung und Beratung der<br />
<strong>Fallstudie</strong>. Er diskutierte die Konzepte der Synthesegruppen,<br />
deren Ergebnisse sowie die Nutzung der <strong>Fallstudie</strong>narbeit<br />
als Ganzes.<br />
Beirat der <strong>Fallstudie</strong> 2000<br />
SBB<br />
Dr. Peter Füglistaler, Generalsekretär SBB AG<br />
Peter Hübner, Delegierter Umwelt SBB, BahnUmwelt-<br />
Center SBB<br />
Dr. Hans-Peter Vogel, SBB Cargo<br />
Markus Siegenthaler, Division Güterverkehr, Region 4 -<br />
Produktion<br />
Kanton Zug / Region Zugersee<br />
Martin Bütikofer, Leiter Amt für öffentlichen Verkehr<br />
René Hutter, Kantonsplaner<br />
Kurt Iten, Vizedirektor Stab und Qualitätssicherung, V-<br />
Zug AG<br />
<strong>ETH</strong> Zürich Departement Umweltnaturwissenschaften<br />
Prof. Peter Edwards, Geobotanisches Institut<br />
Prof. Thomas Peter, Laboratorium für Atmosphärenphysik<br />
NFP 41 – Verkehr und Umwelt<br />
Felix Walter, Programmleiter NFP 41<br />
Kasten 4.4: Beirat der <strong>Fallstudie</strong> 2000.<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 39
Wie kommen die Güter auf die Bahn?<br />
5 <strong>Die</strong> Ergebnisse<br />
Der vorliegende B<strong>and</strong> präsentiert die Arbeiten der drei<br />
Synthesegruppen (Ökoeffizienz, Naturraum, Akteure) und<br />
der Arbeitsgruppe Szenarien sowie einer Teilprojektgruppe<br />
zum Thema Lärm. Vor dem Hintergrund des gemeinsamen<br />
Ziels – der ökologischen Bewertung des Verkehrsträgers<br />
Schiene – scheinen in den Beiträgen der Gruppen drei<br />
gemeinsame Fragen auf:<br />
1) Das Bewertungsproblem: Wie lässt sich die Umweltbelastung<br />
hinreichend spezifisch-wissenschaftlich und<br />
doch pragmatisch-nützlich beurteilen? Wie aussagekräftig<br />
sind Ökobilanzen? Welche <strong>and</strong>eren umweltnaturwissenschaftlich<br />
geeigneten Methoden lassen sich finden?<br />
2) Der Strasse-Schiene-Vergleich: Das wachsende Transportaufkommen<br />
– ganz gleich auf welchem Verkehrsträger<br />
– kann aus Umweltsicht nicht nachhaltig sein. Für<br />
eine Bewertung müssen wir mit Vergleichen von Schienen-<br />
vs. Strassentransporten arbeiten. <strong>Die</strong> Frage ist: Welche<br />
Betrachtungsebene der Umweltauswirkungen wählen<br />
wir (global vs. lokal), und welche spezifischen Streckenalternativen<br />
(Strasse-Schiene) ziehen wir für einen<br />
Vergleich heran?<br />
3) Das Thema Logistik: <strong>Die</strong> Transportketten müssen heute<br />
über mehrere Verkehrssysteme hinweg bewertet, gesteuert<br />
und optimiert werden. <strong>Die</strong>s erfordert Logistik. Da die<br />
Transportkosten derzeit tief sind, werden Innovationen<br />
aus dem Logistikbereich nur zögerlich umgesetzt (Logistik<br />
ist mehr als der Transport Gut X von A nach B). <strong>Die</strong><br />
Wertschöpfung der Bahn entsteht hingegen (bislang) nur<br />
auf den Bahnstrecken.<br />
<strong>Die</strong> Gruppen sind mit diesen Fragen recht unterschiedlich<br />
umgegangen.<br />
5.1 Ökoeffizienz – Ökonomie und<br />
Ökologie des Gütertransports<br />
Was ist Ökoeffizienz? <strong>Die</strong> Definition des World Business<br />
Council for Sustainable Development (WBCSD) von 1992<br />
lautete:<br />
«Ökoeffizienz bezeichnet die zunehmende Produktion<br />
von nützlichen Gütern und <strong>Die</strong>nstleistungen bei laufend<br />
abnehmendem Verbrauch von natürlichen Ressourcen, also<br />
Rohmaterialien und Energie.» (von Weizsäcker & Seiler-<br />
Hausmann, 1999)<br />
<strong>Die</strong> Gruppe Ökoeffizienz erarbeitete für den Güterverkehr<br />
eine neue Methode, um die Ökoeffizienz von Transporten zu<br />
berechnen. Hierzu ging sie im Wesentlichen in zwei Schritten<br />
vor:<br />
Ökobilanzierung<br />
Verschiedene Alternativen eines Transportes (mit definierter<br />
Menge und Strecke) wurden ausschliesslich bezüglich<br />
ihrer Umweltbelastung verglichen. <strong>Die</strong> Berechnung der<br />
Umweltbelastung erfolgte mittels Eco-Indicator 99, einer<br />
schadensorientierten Ökobilanz-Bewertungsmethode<br />
(Goedkoop & Spriensma, 1999).<br />
Für den ökologischen Vergleich wurden konkrete Transportketten<br />
inventarisiert. Ausgewählt wurden typische Güter<br />
und Transportketten für drei Firmen mit überregionalen<br />
Gütertransporten. <strong>Die</strong> Firmen waren V-Zug (Transportgut:<br />
Küchengeräte), Cham Paper Group (Transportgut: Zellstoff)<br />
und Migros (Transportgut: Tomatenkonserven). Es<br />
wurden alle für eine Ökobilanz mittels Eco-Indicator 99<br />
notwendigen Daten erhoben. Dazu mussten erfasst werden:<br />
– die spezifischen Transportstrecken,<br />
– die Transportmittel (inkl. Umladevorgänge),<br />
– die Tonnage und<br />
– die Transporthäufigkeiten.<br />
Zusätzlich wurden alternative Transportketten mit <strong>and</strong>eren<br />
Transportmitteln bzw. mit neuen Technologien definiert<br />
und deren hypothetische Umweltbelastung errechnet.<br />
Vergleich der Ökoeffizienz auf zwei Arten:<br />
A<br />
Nach der St<strong>and</strong>arddefinition (Formel A) ist es fraglich, ob<br />
man hier wirklich von Ökoeffizienz sprechen kann, da der<br />
ökonomische Aspekt mit dem Mass der Tonnenkilometer<br />
nur ungenügend berücksichtigt wird.<br />
Um den individuellen Ansprüchen gerecht zu werden, die<br />
Firmen an Transporte stellen, wurde eine Methode entwickelt,<br />
die diese firmenspezifischen Faktoren in der Berechnung<br />
der Ökoeffizienz miteinbezieht. Im sogenannten Gütertransportnutzen<br />
(GTN) werden nicht nur die Tonnenkilometer<br />
– die in der Ökobilanzierung übliche funktionelle<br />
Einheit – sondern auch die Kosten und Transportqualitäten<br />
(Transportzeit, Zuverlässigkeit, Häufigkeit und Flexibilität)<br />
berücksichtigt. Als Grundlage diente der NFP 41-Bericht<br />
von Maggi et al. (1999).<br />
B<br />
Tonnenkilometer<br />
Ökoeffizienz =<br />
Eco - Indicator Punkte<br />
Gütertransportnutzen (GTN)<br />
Ökoeffizienz =<br />
Eco - Indicator Punkte<br />
Durch den Einbezug des GTN in Formel B werden auch<br />
ökonomische Aspekte berücksichtigt.<br />
Wesentliche Aussagen der Gruppe Ökoeffizienz sind:<br />
1) <strong>Die</strong> herkömmliche Verwendung von Tonnenkilometer<br />
(als funktionelle Einheit) zur Berechnung der Ökoeffizienz<br />
ist ungenügend (Formel A). <strong>Die</strong> funktionelle Einheit<br />
(definiert als «Gütertransportnutzen») sollte um die<br />
Kosten sowie die Transportqualitäten ergänzt werden<br />
(Formel B).<br />
2) Eine Transportkette ist umso ökologischer, je grösser der<br />
Anteil der Bahn ist. <strong>Die</strong>s gilt nicht nur für eine Ökobilanz,<br />
sondern auch für die Berechnung der Ökoeffizienz<br />
mit Tonnenkilometern pro Umweltbelastung.<br />
40 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Wie kommen die Güter auf die Bahn?<br />
Noch kein befriedigendes Ergebnis erbrachte der Versuch<br />
der Messung des Gütertransportnutzens bei den Verladern.<br />
<strong>Die</strong>s erfordert mehr Zeit und weitere Überlegungen hinsichtlich<br />
der Form der Erhebung.<br />
5.2 Naturraum – die grundsätzlichen<br />
Schwierigkeiten des Vergleichs von<br />
Schiene und Strasse<br />
<strong>Die</strong> Gruppe Naturraum versuchte, die Auswirkungen von<br />
Schiene und Strasse auf den Naturraum zu bewerten. <strong>Die</strong><br />
Infrastruktur und der Betrieb dieser Verkehrssysteme haben<br />
einen grossen Einfluss auf ökologische Systeme. <strong>Die</strong> Verkehrssysteme<br />
verbrauchen L<strong>and</strong>, zerschneiden Ökosysteme<br />
und belasten Wasser, Boden und Luft. Andererseits können<br />
gerade die Bahn- und Strassenböschungen einen wertvollen<br />
Lebensraum darstellen und verfügen über ein Vernetzungspotential.<br />
Vergleichende Untersuchungen der Umweltauswirkungen<br />
von Schiene und Strasse sind bereits mithilfe von Ökobilanzen<br />
vorgenommen worden. Als Bewertungskriterien<br />
wurden Primärenergieverbrauch und Emissionen von Luftschadstoffen<br />
herangezogen. Ein Vergleich der Verkehrsträger<br />
Schiene und Strasse in ihrer Auswirkung auf L<strong>and</strong>schaft<br />
und Naturraum fehlt jedoch bisher weitgehend. Das Eidgenössische<br />
Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und<br />
Kommunikation (UVEK) plant eine Erhebung der externen<br />
Kosten des Verkehrs im Bereich Natur und L<strong>and</strong>schaft. Eine<br />
Vorstudie definierte die Bewertungsschwerpunkte als:<br />
– Habitatsverlust,<br />
– Habitatsqualitätsverlust,<br />
– Habitatsfragmentierung (Ökoskop, 1998).<br />
Bei genauerem Hinsehen erweist sich jedoch das Problem<br />
des naturräumlichen Vergleichs von Strasse und Schiene als<br />
komplexer. <strong>Die</strong> Umweltauswirkungen der beiden Verkehrsträger<br />
auf Wasser, Boden und Luft sind nicht auf eine<br />
Beeinträchtigung von Habitaten beschränkt. Das Bewertungsproblem<br />
ist insbesondere von der Art des Schutzgutes<br />
und dem Wirkungsperimeter abhängig. Zu berücksichtigen<br />
sind:<br />
– Wirkungsperimeter / Auflösungsgrad: Es ist eine kleinräumliche<br />
Betrachtung von Habitaten ebenso nötig wie<br />
die Bewertung von L<strong>and</strong>schaftsveränderungen.<br />
– Schutzgut / Bewertungsperspektive: Betrachten wir Ökosysteme<br />
oder Wildpfade, oder h<strong>and</strong>elt es sich um eine<br />
kulturelle, ästhetische Bewertung?<br />
– Art der Daten und Methoden: Mal h<strong>and</strong>elt es sich um<br />
Inventare, mal um Modellierungen, mal um Schätzgrössen<br />
bzw. Wertungen.<br />
Das Kapitel Naturraum beschreibt die grundsätzlichen<br />
Schwierigkeiten des ökologischen Vergleichs von Strasse<br />
und Schiene an Fallbeispielen aus der Region Zug. <strong>Die</strong><br />
Schwierigkeiten beginnen mit der Streckenwahl. Was sind<br />
vergleichbare, äquivalente Strassen- und Schienenstrecken?<br />
Liegen sie zu nah beiein<strong>and</strong>er, so sind die Wirkungen auf<br />
den Naturraum nicht mehr trennbar. Liegen sie zu weit<br />
ausein<strong>and</strong>er, so sind unterschiedliche Naturräume betroffen.<br />
<strong>Die</strong> Gruppe Naturraum entschied sich für die Trasse Rotkreuz<br />
– Arth-Goldau, die für den Güterverkehr genutzt wird<br />
und zu der parallel die Autobahn A4 führt. Es wurde eine<br />
Bewertung aus klein- und grossräumlicher Sicht sowie unter<br />
dem Gesichtspunkt der L<strong>and</strong>schaftsästhetik vorgenommen<br />
(vgl. Tab. 5.2.1).<br />
<strong>Die</strong> Ergebnisse ergaben ein widersprüchliches Gesamtbild:<br />
– <strong>Die</strong> Vegetationsaufnahme zeigte bei den Autobahnböschungen<br />
20% mehr Arten als bei den Schienenböschungen.<br />
– Das Ergebnis der Waldr<strong>and</strong>bewertung war bei der Autobahn<br />
unbefriedigend, bei der Schiene zufriedenstellend.<br />
– <strong>Die</strong> Wildtierkorridore wurden für den Rothirsch modelliert.<br />
Es zeigt sich, dass beide Verkehrssysteme die Ausbreitung<br />
des Rothirsches stark beeinträchtigen. <strong>Die</strong> vorh<strong>and</strong>enen<br />
Brücken und Tunnels vermindern bei Strasse<br />
wie Schiene den Barriereeffekt.<br />
– Bei der l<strong>and</strong>schaftsästhetischen Bewertung nach drei<br />
Aspekten (naturgeschichtlicher Aspekt; kulturhistorischer<br />
und ästhetischer Aspekt; funktionaler Aspekt)<br />
schnitt die Infrastruktur bei der Schiene besser ab als bei<br />
der Autobahn.<br />
<strong>Die</strong> Aussagekraft wird dadurch begrenzt, dass keine Erhebungen<br />
entlang der gesamten Strecke möglich waren. Wie<br />
sich zeigte, sind die Bewertungsprobleme grundsätzlicher<br />
Natur. Gravierend sind Widersprüche bei der naturräumlichen<br />
Bewertung von Strasse und Schiene: Tab. 5.2.2 zeigt,<br />
dass die Wirkungen einiger Verkehrsinfrastruktur-Elemente<br />
Tab. 5.2.1: Struktur der Arbeit der Gruppe Naturraum für einen ökologischen Vergleich Strasse-Schiene.<br />
Wirkungsperimeter/<br />
Auflösungsgrad<br />
Schutzgut/Bewertungsperspektive<br />
Art der Daten und Methode<br />
Kleinraum Habitatqualitäten Vegetationsaufnahme nach Braun-Blanquet (1964) und Ellenberg<br />
(1956); Waldr<strong>and</strong>bewertung nach Krüsi & Schütz (1994)<br />
Grossraum Wildtierkorridore Modellierung mittels des Geographischen Informationssystems<br />
(GIS)<br />
L<strong>and</strong>schaft L<strong>and</strong>schaftsästhetik Gemäss Checkliste zur Beurteilung von L<strong>and</strong>schaftsveränderungen<br />
des Kantons Aargau (2000) und Rodewald (1999)<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 41
Wie kommen die Güter auf die Bahn?<br />
Tab. 5.2.2: Widersprüche in der naturräumlichen Bewertung von Strasse und Schiene.<br />
Elemente - +<br />
Brücken störendes optisches Element durchlässig für Tiere<br />
Verbuschte Böschungen unattraktives Habitat für Tagfalter senken Mortalitätsrate bei Greifvögeln<br />
Wildzäune Barriere für viele Tiere senken Kollisionsrate<br />
Trasse Barriere Habitat (z.B. für Reptilien)<br />
Hecken<br />
unterstreichen Linearität der<br />
L<strong>and</strong>schaft<br />
verdecken das Verkehrssystem<br />
je nach Schutzgut und Wirkungsperimeter konträr zu beurteilen<br />
sind.<br />
Nicht zuletzt wegen der grundsätzlichen Bewertungsprobleme,<br />
die eine vollständige ökologische Bewertung erschweren,<br />
hat sich die Gruppe Naturraum unter einer pragmatischen<br />
Sicht mit der Frage der Böschungspflege ausein<strong>and</strong>ergesetzt.<br />
Sobald eine Gleisstrecke gebaut ist, kann gerade<br />
die Böschungspflege als entscheidend für eine lokale<br />
Optimierung der Einflüsse der Schiene auf den Naturraum<br />
gelten. Für die SBB ist Böschungspflege aus sicherheitstechnischer<br />
Sicht ein wichtiger Best<strong>and</strong>teil des Unterhaltsdienstes.<br />
<strong>Die</strong> prioritäre Aufgabe des Unterhaltsdienstes ist<br />
aber nicht die Böschungspflege im engeren Sinn, sondern<br />
die Inst<strong>and</strong>haltung der Gleisinfrastruktur. In Ergänzung hat<br />
die Gruppe Naturraum Ideen für eine finanzierbare und<br />
ökologisch sinnvolle Böschungspflege entwickelt.<br />
5.3 Akteure – Transportieren ist<br />
Vertrauenssache<br />
Der Gütertransport auf der Schiene involviert eine Reihe<br />
von Akteuren. Dazu zählen:<br />
1. Verlader: <strong>Die</strong>s sind in der Regel Firmen, die ihre Güter<br />
transportieren müssen und oftmals <strong>and</strong>ere Akteure mit dieser<br />
Aufgabe betrauen.<br />
2. Spediteure: Sie organisieren Transporte für Dritte, oftmals<br />
mit eigenen Fahrzeugen. In den vergangenen Jahren<br />
haben sich die Spediteure zunehmend zu Logistik-<strong>Die</strong>nstleistern<br />
entwickelt. Neben der Transportorganisation übernehmen<br />
sie auch Aufgaben wie Lagerung, Verpackung,<br />
Etikettierung, etc. (vgl. a. Ernst Basler + Partner AG, 2000,<br />
S. 3).<br />
3. Transportunternehmen (Frachtführer): Sie führen Transporte<br />
als Kerngeschäft aus. <strong>Die</strong> SBB Cargo ist ein solches<br />
Transportunternehmen.<br />
Im Kombinierten Verkehr treten die Betreiber der Umschlags-Terminals<br />
als weitere Akteure auf. Nicht vergessen<br />
sollten wir die Kantone und kantonalen Verwaltungen, die<br />
durch Verkehrsplanung und Firmen-Beratung den Güterverkehr<br />
beeinflussen.<br />
In der <strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> 2000 gingen wir von der Arbeit des<br />
NFP 41-Projektes «Unternehmensstrategien und Güterverkehr»<br />
aus (Thierstein et al., 1999). In diesem Projekt wurde<br />
eine Vermittlung der Interessen zwischen dem Verlader<br />
V-Zug und den SBB als Transportunternehmen angeregt.<br />
Kriterien für eine bessere Zusammenarbeit<br />
– Es liegen keine Systemprobleme vor; die technischen<br />
und betrieblichen Voraussetzungen sind gegeben. Gemeinsame<br />
Schritte bezüglich Hardwareausstattung<br />
sind nicht vonnöten.<br />
– An die Bahn werden zwei Grundforderungen gestellt:<br />
– feste Zeiten (Bestellungsmöglichkeit bis 17.00<br />
Uhr, danach Beladen und Abholung der<br />
Wechselbrücken, Bereitstellung am Folgetag um<br />
07.00 Uhr am Bestimmungsort),<br />
– es muss ein «vernünftiger» Preis angeboten werden.<br />
– Beide Partner sind sich einig in der Einschätzung der<br />
Vorteile des Wechselpritschenkonzepts 1 :<br />
– Einsparungen bei Personal und Fahrzeugen sind<br />
erreichbar,<br />
– die Kilometerleistung auf der Strasse würde massiv<br />
sinken,<br />
– die Vereinbarung fester Zeiten bringt bessere Disponierbarkeit,<br />
– beide Firmen können den «Ökobonus» imagewirksam<br />
vermarkten.<br />
– Es bestehen Unterschiede in der Problemwahrnehmung:<br />
<strong>Die</strong> Bahn möchte gern die Bedürfnisse des<br />
Verladers genauer kennen, um dann die Zielorte optimieren<br />
zu können. Der Verlader möchte die Verlademöglichkeiten<br />
der Bahn in der Schweiz genau kennen,<br />
damit er sein St<strong>and</strong>ortkonzept daraufhin prüfen kann.<br />
Beide Seiten sind der Meinung, der <strong>and</strong>ere sei jetzt am<br />
Zug. Dadurch ist unklar, wie und wann die unterschiedlichen<br />
Auffassungen zum weiteren Vorgehen und zum<br />
Preis ausgeräumt werden sollen.<br />
Kasten 5.3: Voraussetzungen für eine bessere Kooperation<br />
zwischen V-Zug als Verlader und SBB als Transportunternehmen<br />
gemäss des NFP 41-Berichts von Thierstein et al.<br />
(1999).<br />
1 Wechselpritschenkonzept: Zum Einsatz kommt ein nicht stapelfähiger<br />
Transportbehälter (meist mit ausklappbaren Stützen), der als speziell konstruierter<br />
Aufsatz vom LKW gelöst und gesondert be-/entladen bzw. transportiert<br />
werden kann.<br />
42 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Wie kommen die Güter auf die Bahn?<br />
Sie stellten in ihren Interviews fest, dass eine gute Basis für<br />
eine bessere Zusammenarbeit gegeben sei (vgl. Kasten 5.3).<br />
<strong>Die</strong> Gruppe Akteure führte am 16. Juni 2000 ein sogenanntes<br />
Güterforum in Zug durch. Eingeladen waren die<br />
SBB Cargo, Verlader und Transporteure aus der Region. <strong>Die</strong><br />
Organisation des Güterforums entspricht dem Format der<br />
Fokusgruppen im Umweltbereich (Dürrenberger & Behringer,<br />
1999). Fokusgruppen sind moderierte Diskussionsgruppen.<br />
Ziel ist nicht ein Interessensausgleich, vielmehr werden<br />
Themen diskutiert und Informationen ausgetauscht.<br />
<strong>Die</strong> Themen des Güterforums waren «Möglichkeiten im<br />
Logistikbereich zur ökologischeren Transportkettenführung»,<br />
«Pooling», «Gesamtlogistik», «Kapazitäten der bestehenden<br />
Infrastrukturen», «gesetzliche Rahmenbedingungen»<br />
und das «Transportwesen von heute und morgen».<br />
Informiert wurde über die SBB Cargo als Transportunternehmen<br />
sowie über die ökologische Bewertung einiger<br />
Transportketten, die von der Region ausgehen. <strong>Die</strong> Diskussion<br />
wurde protokolliert. Als Ergebnisse der Diskussion hat<br />
die Gruppe festgehalten:<br />
– Transportieren ist Vertrauenssache. Persönliche Kontakte<br />
zwischen Spediteur / Transportunternehmen und Verlader<br />
können sehr wichtig sein.<br />
– Im Transportgewerbe gilt: ökologisch sinnvoll = ökonomisch<br />
sinnvoll. Zum Beispiel erhöht das Pooling (Zusammenlegung<br />
von Güterströmen verschiedener Verlader)<br />
die Auslastung der Fahrzeuge und führt zu einer<br />
ökologisch sinnvollen Entlastung der Verkehrssysteme.<br />
– <strong>Die</strong> SBB Cargo sollte zur Gesamtlogistik-Anbieterin<br />
werden. <strong>Die</strong> SBB Cargo verstärkt damit den Kontakt zum<br />
Kunden und bietet Logistik-Lösungen an (nicht nur hinsichtlich<br />
Transport, sondern auch Lagermanagement,<br />
Verpackung, Rechnungswesen, etc.).<br />
– <strong>Die</strong> Veränderungen im Transportgewerbe machen auch<br />
auf regionaler Ebene eine verstärkte Zusammenarbeit<br />
nötig.<br />
<strong>Die</strong> Arbeit der Gruppe Akteure ist mit der <strong>Fallstudie</strong><br />
beendet. Sie wollte mit dem Güterforum Möglichkeiten<br />
aufzeigen, den Informationsaustausch und die Kooperationsnetze<br />
im Transportgewerbe – unter Einbezug der Bahn –<br />
zu fördern. Wie weit dieser Prozess trägt, bleibt abzuwarten.<br />
5.4 Szenarien – Unternehmenserfolg<br />
mit oder ohne Ökologie<br />
<strong>Die</strong> Fragestellung der Arbeitsgruppe Szenarien war:<br />
– Kann die SBB AG ihre Marktanteile halten oder sogar<br />
ausbauen und gleichzeitig ihre Umweltleistung beibehalten<br />
oder verbessern?<br />
– Welches sind Schlüsselbereiche für unternehmerischen<br />
Erfolg und für ökologische Qualität?<br />
In Zusammenarbeit mit Vertretern der SBB AG wurde<br />
hierzu eine formative Szenarioanalyse durchgeführt (Scholz<br />
& Tietje, 1996; in prep.). <strong>Die</strong> formative Szenarioanalyse ist<br />
ein Planungsinstrument, mit dem Schlüsselfaktoren der Entwicklung<br />
bestimmt und deren Zusammenwirken abgeschätzt<br />
werden. Daraus resultieren Szenarien, d.h. Bilder<br />
möglicher Zustände des zukünftigen Marktsystems, in das<br />
die SBB AG eingebettet ist. <strong>Die</strong> Gruppe erarbeitete vier<br />
Szenarien, die in etwa die Entwicklung bis 2015 abdecken<br />
sollen (vgl. Tab. 5.4). Es zeigt sich insbesondere, dass Erfolgsszenarien<br />
mit und ohne Ökologie möglich sind.<br />
<strong>Die</strong> Gruppe führte zudem eine ökologische Bewertung<br />
der Szenarien durch. In allen Szenarien zeigt sich die Schiene<br />
lediglich für einen kleinen Teil der Gesamtemissionen<br />
(Treibhausgase, Stickoxide) verantwortlich. <strong>Die</strong>s hängt nur<br />
in geringem Masse mit den besseren Emissionswerten der<br />
Bahn zusammen; das Ungleichgewicht wird vor allem durch<br />
das viel höhere Verkehrsvolumen auf der Strasse bewirkt.<br />
<strong>Die</strong> Rangfolge der Szenarien aufgrund ihrer Umweltauswirkungen<br />
ist bei beiden Schadstoffklassen gleich: «Erfolg<br />
dank Ökologie» verursacht die geringsten Emissionen, während<br />
«Misere» durch den grossen Marktanteil der Strasse die<br />
Umwelt am stärksten belastet. Es fällt jedoch auf, dass die<br />
Bahn ihre Emissionen gegenüber dem heutigen St<strong>and</strong> in<br />
keinem Szenario drastisch reduzieren kann, wogegen für die<br />
Strasse zumindest bei den Stickoxiden ein ansehnliches Optimierungspotenzial<br />
besteht.<br />
Ein Vergleich der Umweltbelastung pro Transporteinheit<br />
– d.h. pro Tonnenkilometer oder Personenkilometer – erlaubt<br />
einen faireren Vergleich von Strasse und Bahn, unabhängig<br />
von ihrem jeweiligen Anteil an der Gesamtverkehrsmenge.<br />
Für die Belastungen pro Transporteinheit durch die<br />
Strasse ist in Zukunft eine Reduktion zu erwarten, diejeni-<br />
Tab. 5.4: Szenarien der Entwicklung der SBB bis etwa 2015 (Ausführliche Tabellen und Diskussion im Kap. Szenarien).<br />
Szenario Kurzbeschrieb Entscheidende Faktoren<br />
Trend<br />
Unveränderte Geschäfts- und Umweltstrategie<br />
Vorsichtiger Erfolg im Güterverkehr (es werden nur<br />
neue Gütersegmente erschlossen); Bahnreform<br />
wirkt<br />
Erfolg dank Ökologie<br />
Gewinnmaximierung<br />
Misere<br />
Eine klare ökologische Position am<br />
Markt führt zum Erfolg.<br />
Kurzfristiges, rein betriebswirtschaftliches<br />
Agieren führt zum Erfolg.<br />
Passivität führt die SBB AG in eine<br />
«Abwärtsspirale».<br />
SBB stark im Personenverkehr (S-Bahn CH) und<br />
innovativ im Güterverkehr (globale Transportketten)<br />
<strong>Die</strong> SBB sind nun mehrere Firmen; etablierter<br />
Güterverkehr-Anbieter; schlanker Personenverkehr<br />
Scheitern im Bereich Güterverkehr<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 43
Wie kommen die Güter auf die Bahn?<br />
gen der Bahn werden gleich bleiben oder gar zunehmen. In<br />
Bezug auf den Umweltvorteil der Bahn gibt es einen grundlegenden<br />
Unterschied zwischen Güterverkehr und Personenverkehr.<br />
Im Güterverkehr liegt die Bahn deutlich vor der<br />
Strasse. Im Personenverkehr ist dieser Vorsprung hingegen<br />
viel geringer und wird noch weiter reduziert, falls die SBB<br />
AG auf den europäischen Strommix (UCPTE-Strom) umsteigen<br />
sollte.<br />
5.5 Lärm – Lärmschutz als Aktivposten<br />
einer Ökobilanz<br />
Wie bereits erwähnt, hat der Lärmschutz für die SBB höchste<br />
Priorität (vgl. Abb. 4.1.1). 1999 litten etwa 300’000<br />
Personen in der Schweiz unter Bahnlärm über dem Grenzwert<br />
(SBB AG, 2000, S. 12). Eine bedeutende Lärmquelle<br />
sind die vielen Eisenbahnwagen, die noch mit Klotzbremsen<br />
aus Gusseisen ausgerüstet sind (a.a.O.). Durch die in der<br />
Schweiz angenommene Vorlage für Bau und Finanzierung<br />
der Infrastruktur des öffentlichen Verkehrs (FinöV, ang. am<br />
29.11.98) ist auch die Finanzierung des Lärmsanierungsprogramms<br />
der SBB gesichert. <strong>Die</strong>se wird bis 2015 abgeschlossen<br />
sein, insbesondere werden Graugussbremssohlen durch<br />
neuentwickelte Bremssohlen ersetzt. Wie von der <strong>Fallstudie</strong><br />
1999 vorgeschlagen, hat die SBB im November 2000 eine<br />
Informationskampagne gestartet, um mit lärmbetroffenen<br />
Anwohnern und Anwohnerinnen in Kontakt zu kommen.<br />
Lärmschutz ist ein (noch stiller) Aktivposten in der Ökobilanz<br />
der Schiene. Ohne den Einbezug der Umweltauswirkung<br />
von Lärm wird in Zukunft der ökologische Unterschied<br />
Bahn-Strasse sehr wahrscheinlich gering werden.<br />
Unter Einbezug der Umweltauswirkungen von Lärm errechnet<br />
sich hingegen ein grösserer Umweltvorteil der Bahn<br />
– dies zeigt eine Teilstudie der Synthesegruppe Ökoeffizienz.<br />
2<br />
Das Problem ist: Obwohl Lärm als Umweltbelastung<br />
anerkannt ist, blieb er bisher in Ökobilanzen meist unberücksichtigt.<br />
In Studien zu den externen Kosten des Verkehrs<br />
macht Lärm ca. 5% bis 75% der Gesamtkosten aus<br />
(u.a. Bickel und Friedrich, 1995; INFRAS & IWW, 2000).<br />
Müller-Wenk (1999) stellte ein Modell vor, mit dessen Hilfe<br />
die Lärmemissionen von Strassenverkehr in die Ökobilanzmethode<br />
Eco-Indicator 99 integriert werden können. <strong>Die</strong><br />
Synthesegruppe Ökoeffizienz erarbeitete ein entsprechendes<br />
Modell für den Einbezug von Schienenlärm – speziell<br />
für den vom Wagenladungsverkehr verursachten Lärm.<br />
Das Kapitel Lärm stellt die Berechnungen und Modelle<br />
für den Einbezug von Lärm in die Ökobilanz vor. Für<br />
mehrere existierende und hypothetische Transportketten der<br />
Firmen V-Zug, Cham Paper Group und Migros wurde eine<br />
Lärmbilanz gerechnet. Der Einbezug von Lärm in die Ökobilanz<br />
ist ein letzter grosser Schritt zur vergleichenden Bewertung<br />
von Verkehrssystemen.<br />
6 Résumé und Ausblick<br />
Bevor ich zu einem Resümee der Ergebnisse komme, möchte<br />
ich einige grundsätzliche Bemerkungen vorwegschicken.<br />
<strong>Die</strong> <strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> macht keine Auftragsarbeit. Vielmehr<br />
stellt sie einen gemeinsamen Lernprozess der beteiligten<br />
Personen und Institutionen dar. <strong>Die</strong> Produkte der Gruppen<br />
umfassen nicht einfach nur die wissenschaftliche Analyse<br />
und die Berichtlegung über die erarbeiteten Resultate. Vielmehr<br />
stellen auch Kommunikations-Prozesse Produkte dar.<br />
<strong>Die</strong> Prozesse sind wie erwähnt Teil des «Mutual Learning»<br />
und «Networking». Für die <strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>n gilt:<br />
Produkte sind Prozesse und Produkte.<br />
Zu den Prozess-Produkten zählt das Güterforum der<br />
Gruppe Akteure ebenso wie die Gespräche der Naturraumgruppe<br />
mit SBB-BUC und Entscheidungsträgern im Kanton<br />
Zug zur Promotion der Böschungspflege. Hierzu können<br />
wir auch die Arbeit im Beirat, das heisst den Austausch der<br />
Vertreter der beteiligten Akteurs- und Kooperationsgruppen,<br />
rechnen. Tab. 6 listet die wichtigsten Produkte auf.<br />
Fassen wir zusammen. <strong>Die</strong> Wissensintegration verlief in<br />
den Gruppen unter unterschiedlichen Aspekten, zum einen<br />
unter einem Planungsaspekt (Wie kommen wir in Richtung<br />
Verkehrsverlagerung?) in den Gruppen Szenarien und Akteure;<br />
zum <strong>and</strong>eren unter einem Bewertungsaspekt (Was<br />
bringt eine Verkehrsverlagerung aus ökologischer Sicht?) in<br />
den Gruppen Ökoeffizienz und Naturraum. <strong>Die</strong> wichtigsten<br />
Beiträge der <strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> 2000 sind:<br />
– Definition eines Masses der Ökoeffizienz für Transportketten,<br />
das die Transportqualitäten berücksichtigt (Kosten,<br />
Transportzeit, Zuverlässigkeit, Häufigkeit und Flexibilität),<br />
die von den Verladern erwartet werden (Synthesegruppe<br />
Ökoeffizienz).<br />
– Durchführung eines Güterforums, das die regionalen Akteure<br />
im Transportgewerbe zusammenbringt (Synthesegruppe<br />
Akteure).<br />
– Einbezug von Lärm in die Ökobilanzierung von Transportketten.<br />
Mit Einberechnung der Umweltauswirkungen<br />
von Lärm wird der Umweltvorteil der Bahn wieder<br />
grösser (Synthesegruppe Ökoeffizienz).<br />
– Nachweis der grundlegenden Schwierigkeiten einer umfassenden<br />
Bewertung der Auswirkungen der Verkehrssysteme<br />
auf den Naturraum (Synthesegruppe Naturraum).<br />
<strong>Die</strong>se Schwierigkeiten treten auf, wenn wir spezifischere<br />
Bewertungen vornehmen wollen, als wir mittels<br />
Ökobilanzierung oder Erfassung von Zahlungsbereitschaften<br />
erhalten.<br />
– Aufzeigen der ökologischen Bedeutung des Strommixes<br />
der SBB sowie der strategischen und ökologischen Bedeutung<br />
des Güterverkehrs (Arbeitsgruppe Szenarien).<br />
<strong>Die</strong> SBB als Marke mit Umweltwert<br />
Benedikt Weibel, Vorsitzender der Geschäftsleitung der<br />
SBB AG, schreibt im Vorwort zum Umweltbericht 1999:<br />
2 <strong>Die</strong> zu bilanzierende Grösse des Faktors Lärm gab schon während der <strong>Fallstudie</strong> Anlass zu Diskussionen zwischen der Gruppe Ökoeffizienz, SBB und<br />
Fachleuten. Deshalb haben die Berichtsautoren einen wissenschaftlichen Anhang erstellt, der separat bezogen werden kann.<br />
44 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Wie kommen die Güter auf die Bahn?<br />
«<strong>Die</strong> SBB AG will ihre Stellung als energie-, raum- und<br />
umweltschonende Transportunternehmung erhalten und<br />
ausbauen» (SBB AG, 2000, S. 3). <strong>Die</strong>ser Vorteil soll gerade<br />
im Vergleich mit <strong>and</strong>eren Verkehrsträgern zum Tragen kommen.<br />
Ein grosser Schritt in diese Richtung ist die Lärmsanierung,<br />
die 2015 abgeschlossen sein wird. Auch im Schienengüterverkehrsbereich<br />
gibt es weitere Potenziale zur Verbesserung<br />
der Umweltverträglichkeit der Bahn.<br />
<strong>Die</strong> Gruppe Szenarien kommt zu dem Schluss, dass für<br />
den wirtschaftlichen Erfolg der SBB eine Gesamtstrategie<br />
massgeblich ist. Im Güterverkehr müssten neue Marktsegmente<br />
akquiriert werden. Kooperation mit <strong>and</strong>eren Transportunternehmen<br />
(in und ausserhalb der Schweiz) und auch<br />
mit der regulierenden Instanz seien unerlässlich. Insgesamt<br />
bestätigt sich die Vermutung, dass für die weitere Entwicklung<br />
der Bahn ein Erfolg im Güterverkehrsbereich ausschlaggebend<br />
ist.<br />
<strong>Die</strong> Ausgangsfrage der Gruppe Szenarien war: Kann die<br />
SBB AG ihre Marktanteile halten oder sogar ausbauen und<br />
gleichzeitig ihre Umweltleistung beibehalten oder verbessern?<br />
Das Szenario «Erfolg dank Ökologie» (vgl. Tab. 5.4)<br />
zeigt, dass dies möglich ist. Strategische Voraussetzung<br />
hierfür ist eine «Ökostromstrategie» (Lebküchner et al.,<br />
2000, S. 137). In der Schweiz beruht die ausgezeichnete<br />
ökologische Performance der Bahn auf der umweltfreundlichen<br />
Stromproduktion, vor allem auf dem hohen Anteil an<br />
Energie durch Wasserkraft. Für <strong>and</strong>ere Bahnen Europas<br />
trifft dies nicht überall zu; z.B. fährt die DB auch mit Strom<br />
aus fossiler Energie. Ein Wechsel der SBB AG auf den<br />
europäischen UCPTE-Strommix würde nicht so einfach<br />
vonstatten gehen, sondern eine grundsätzliche strategische<br />
Neuausrichtung bedingen: <strong>Die</strong> bahneigenen Kraftwerke<br />
bzw. Bezugsrechte müssten veräussert werden – vermutlich<br />
mit hohen Restabschreibungen und einem entsprechenden<br />
Verlustrisiko.<br />
Kurzum: <strong>Die</strong> SBB AG hat über Jahre hinweg in ihr<br />
Markenimage als umweltschutz-aktives Bahnunternehmen<br />
in Europa aufgebaut. Es scheint falsch, dieses wieder zu<br />
verspielen. <strong>Die</strong>s nicht allein wegen der Individualreisenden<br />
und Güterkunden in der Schweiz, sondern auch mit Hinblick<br />
auf die Attraktivität der SBB AG als Partner in europäischen<br />
Bahn-Allianzen. Der Weg zur «Zukunft Schiene Schweiz»<br />
wird, wie Füglistaler (2000) feststellt, mit ziemlicher Sicherheit<br />
über Allianzen mit <strong>and</strong>eren Bahngesellschaften und<br />
Transportunternehmen in Europa führen.<br />
Und die <strong>Fallstudie</strong>?<br />
<strong>Die</strong> <strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> 2000 war ein gemeinsames Projekt<br />
zwischen der SBB AG und dem Bereich Umweltnaturwissenschaften<br />
der <strong>ETH</strong> Zürich. <strong>Die</strong> <strong>Fallstudie</strong> ist ein Lehrprojekt,<br />
auch sie unterliegt dem W<strong>and</strong>el. Das Organisationsund<br />
Steuerungsproblem der <strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>n besteht in der<br />
«modularen Integration» (Mieg et al., 1996): Es gilt, die<br />
Ausbildungsziele mit den davon divergierenden Zielen der<br />
<strong>and</strong>eren Projekt-Beteiligten in einen gemeinsamen Projekt-<br />
Rahmen zu bringen. Hierzu müssen die Entscheidungs- und<br />
Wissensträger auf eine Weise einbezogen werden, dass auf<br />
allen Seiten möglichst weitreichende Selbstständigkeit gewahrt<br />
bleibt. Jede Seite muss das gemeinsame Projekt in<br />
ihrem Sinne nutzen können, ohne dass die grossen Ziele –<br />
Wissensintegration, Nachhaltigkeit – aus den Augen verloren<br />
gehen.<br />
Der letzte Teil des vorliegenden B<strong>and</strong>es ist dem Rückblick<br />
und Ausblick auf die Entwicklung dieses Lehrformats <strong>UNS</strong><br />
<strong>Fallstudie</strong> gewidmet – das aufgrund seiner Grösse wohl<br />
einzigartig sein dürfte. <strong>Die</strong> vorliegenden Beiträge sind vom<br />
<strong>Fallstudie</strong>nbüro verfasst. Sie zeigen:<br />
– die <strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> als Lehrveranstaltung und organisatorische<br />
Aufgabe (Kap. <strong>Fallstudie</strong> im W<strong>and</strong>el),<br />
– die Notwendigkeit und Kunst der Steuerung von Gruppenprozessen<br />
(Kap. <strong>Fallstudie</strong>ndidaktik),<br />
– die im Lauf der Jahre entwickelten Methoden der Wissensintegration<br />
(Kap. <strong>Fallstudie</strong>nmethoden),<br />
– die Chance, zu neuen transdisziplinären Formen der Zusammenarbeit<br />
von Hochschule, Wirtschaft und Öffentlichkeit<br />
zu gelangen (Kap. <strong>Fallstudie</strong> als Transdisziplinaritäts-Labor).<br />
Nicht nur die Bahn, auch der Bildungsbereich ist vom<br />
W<strong>and</strong>el ergriffen.<br />
Tab. 6: Produkte und Prozesse der <strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> neben den wissenschaftlichen Berichten bzw. Beiträgen zum vorliegenden<br />
B<strong>and</strong>.<br />
Produkte<br />
- Excel-Software zur Ökobilanzierung von Transportketten<br />
[Gruppe Ökoeffizienz]<br />
- Module zum ECOINVENT 3 [Gruppe Ökoeffizienz]<br />
- Power-Point-Dokumentation zu Verkehrsszenarien<br />
[Gruppe Szenarien]<br />
- Internet-Kit für Synthesemethoden [Gruppe Szenarien]<br />
- Bericht für Umweltfocus, im Zusammenhang mit dem<br />
Güterforum (Mieg et al., 2000) [Gesamt-<strong>Fallstudie</strong>]<br />
Prozesse<br />
- Güterforum Zug [Gruppe Akteure]<br />
- Gespräche mit SBB-BUC und Entscheidungsträgern im<br />
Kanton Zug zur Promotion der Böschungspflege<br />
[Gruppe Naturraum]<br />
- Netzwerk-/Kooperationseffekte (u.a. durch Beirat)<br />
[Gesamt-<strong>Fallstudie</strong>]<br />
- NFP 41 - Bulletin-Beitrag [Gesamt-<strong>Fallstudie</strong>]<br />
- «Sustainability 2000»-Konferenz: Poster zur SBB-<br />
Tagungs-Präsentation [Gesamt-<strong>Fallstudie</strong>]<br />
3 ECOINVENT ist eine <strong>ETH</strong>-interne Ökoinventar-Datenbank, in der die Energie- und Stoffflüsse von Produktlebenszyklen erfasst sind. Sie basiert auf den<br />
Ökoinventaren von Energiesystemen und wurde um Baumaterialien, Transportprozesse, Entsorgungsprozesse und Nahrungsmittel erweitert.<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 45
Wie kommen die Güter auf die Bahn?<br />
Literatur<br />
Bertschi, H.-J. (1999). <strong>Die</strong> Markt- und Wettbewerbsstrategien im<br />
Güterverkehr. Vortrag gehalten am 15.6.1999 auf der NFP 41-Tagung<br />
«Bahnreformen Schweiz», Bern.<br />
Bickel, P. & Friedrich, R. (1995). Was kostet uns die Mobilität?<br />
Externe Kosten des Verkehrs. Berlin: Springer.<br />
Braun-Blanquet, J. (1964). Pflanzensoziologie. Wien: Springer.<br />
Dossenbach, O. (1864). Eisenbahngruß. Zuger Bote, Nr. 22, S. 1.<br />
Dürrenberger G. & Behringer, J. (1999). <strong>Die</strong> Fokusgruppe in<br />
Theorie und Anwendung. Stuttgart: Akademie für Technikfolgenabschätzung<br />
in Baden-Württemberg.<br />
Ellenberg, H. (1956). Aufgaben und Methoden der Vegetationskunde.<br />
Stuttgart: Ulmer Verlag.<br />
Ernst Basler + Partner AG (2000). Güterverkehr – Herausforderungen<br />
und Chancen (Berichte des NFP 41 «Verkehr und Umwelt»<br />
Synthesebericht S2). Bern: EDMZ.<br />
Füglistaler, P. (2000). Bahnreform in Europa: Von guten Absichten<br />
und realen Entwicklungen. In C. Kaspar, C. Laesser & T. Bieger<br />
(Hrsg.), Jahrbuch 1999/2000. Schweizerische Verkehrswirtschaft,<br />
(S. 53-72). St. Gallen: IDT-HSG Institut für öffentliche <strong>Die</strong>nstleistungen<br />
und Tourismus.<br />
Goedkoop, M. & Spriensma, R. (1999). The Eco-indicator 99. A<br />
Damage Oriented Method for Life Cycle Impact Assessment.<br />
Methodology Report (nr. 1999/36A). Amersfoort: PRé Consultant.<br />
Häberli, R., Scholz, R. W., Bill, A. & Welti, M. (Eds.). (2000).<br />
Transdisciplinarity: Joint problem-solving among science, technology<br />
<strong>and</strong> society (2 Vols.). Zürich: Haffmans.<br />
Hübner, P. (1997). Strategische Planung der Lärmsanierung der<br />
Schweizer Bahnen. Rail International, (Mai), 18-25.<br />
Hübner, P. & Kuppelwieser, H. (1997). Erarbeitung der SBB-<br />
H<strong>and</strong>lungsstrategie Umwelt. Rail International, (April), 15-20.<br />
INFRAS & IWW (2000). External costs of transport (accident,<br />
environmental <strong>and</strong> congestion costs) in Western Europe. Paris:<br />
Union Internationale des Chemins de fer (UIC).<br />
Kanton Aargau (2000). Checkliste zur Beurteilung von L<strong>and</strong>schaftsveränderungen;<br />
Arbeitshilfe zur Bewertung der L<strong>and</strong>schaft<br />
und von Veränderungsvorhaben; Grundlagen und Berichte zum<br />
Naturschutz 18: Aarau: Baudepartement Aargau, Sektion Natur<br />
und L<strong>and</strong>schaft.<br />
Krüsi, B. & Schütz, M. (1994). Sind südexponierte Waldränder<br />
ökologisch besonders wertvoll? (Infoblatt WSL Nr. 20; Februar<br />
1994). Birmensdorf: WSL Birmensdorf.<br />
Lebküchner, M., Maibach, M. & Schreyer, C. (2000). Zukunftsgüterbahn:<br />
Synthesebericht (Berichte des NFP 41 «Verkehr und<br />
Umwelt» Bericht B5+). Bern: EDMZ.<br />
LITRA, Informationsdienst für den öffentlichen Verkehr (1999).<br />
Verkehrszahlen 1999. Bern: LITRA.<br />
Maggi, R., Bolis, S., Maibach, M., Rossera, F., Rudel, R. &<br />
Schreyer, C. (1999). Multimodale Potenziale im transalpinen Güterverkehr<br />
(Berichte des NFP 41 «Verkehr und Umwelt» Bericht<br />
B4). Bern: EDMZ.<br />
Maibach, M., Schenkel, P., Peter, D. & Gehrig, S. (1997). Umweltindikatoren<br />
im Verkehr. Kennziffern für einen ökologischen Vergleich<br />
der Verkehrsmittel. Bern: EDMZ.<br />
Maibach, M., Schreyer, C., Lebküchner, M. & Mauch, S. (1998).<br />
Zukunftsgüterbahn: Vorstudie (Berichte des NFP 41 «Verkehr und<br />
Umwelt» Bericht B5). Bern: EDMZ.<br />
Mieg, H. A. (1996). Managing the interfaces between science,<br />
industry, <strong>and</strong> education. In UNESCO (Ed.), World Congress of<br />
Engineering Educators <strong>and</strong> Industry Leaders (Vol. I, pp. 529-533).<br />
Paris: UNESCO.<br />
Mieg, H. A. (2000). University-based projects for local sustainable<br />
development: Designing expert roles <strong>and</strong> collective reasoning.<br />
International Journal of Sustainability in Higher Education, 1,<br />
67-82.<br />
Mieg, H. A., Capello, C., Hotz, M., Rüegg, S., Tobler, M., Varga,<br />
M. & Weber, B. P. (2000). Wie kommen die Güter auf die Bahn?<br />
Umweltfocus, (3), 27-31.<br />
Mieg, H. A., Scholz, R. W. & Stünzi, J. (1996). Das Prinzip der<br />
modularen Integration: Neue Wege von Führung und Wissensintegration<br />
im Management von Umweltprojekten. Organisationsentwicklung,<br />
15(2), 4-15.<br />
Müller-Wenk, R. (1999). Life-Cycle Impact Assessment of Road<br />
Transport Noise (IWÖ-Diskussionsbeitrag Nr. 77). St. Gallen:<br />
Universität, Institut für Wirtschaft und Ökologie.<br />
Ökoskop (1998). Externe Kosten des Verkehrs im Bereich Natur<br />
und L<strong>and</strong>schaft (GVF-Auftrag No 322). Gelterkinden: Ökoskop.<br />
Rodewald, R. (1999). Gutachten über die L<strong>and</strong>schaftsverträglichkeit<br />
einer geplanten Schweinescheune in der L<strong>and</strong>wirtschaftszone<br />
unterhalb des Burghügels von Altbüron, Kanton Luzern. Bern:<br />
Schweizerische Stiftung für L<strong>and</strong>schaftsschutz und L<strong>and</strong>schaftspflege.<br />
Schalch, J. A. J. (1997). Zug kommt zum Zug. Steinhausen: Hotz.<br />
Schild, M., Schürmann, G. & Hofer, A. (2001). Lärm – Eine<br />
zukunftsorientierte Analyse der Lärmschutzstrategie der SBB. In<br />
R. W. Scholz, S. Bösch, M. Stauffacher & J. Oswald (Hrsg.),<br />
Zukunft Schiene Schweiz 1 – Ökoeffizientes H<strong>and</strong>eln der SBB.<br />
<strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> 1999, (S. 163-181). Zürich: Rüegger.<br />
Scholz, R. W. (1999). Region und L<strong>and</strong>schaft zwischen wissenschaftlicher<br />
Analyse und Verständnis. In R. W. Scholz, S. Bösch,<br />
L. Carlucci & J. Oswald (Hrsg.), Chancen der Region Klettgau –<br />
Nachhaltige Regionalentwicklung. <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> 1998, (S.<br />
25-37). Zürich: Rüegger.<br />
Scholz, R. W. & Baumgartner, T. (2001). Oekologische Recheneinheiten.<br />
In R. W. Scholz, S. Bösch, J. Oswald & M. Stauffacher,<br />
(Hrsg.), Zukunft Schiene Schweiz 1 – Ökoeffizientes H<strong>and</strong>eln der<br />
SBB. <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> 1999, (S. 183-226). Zürich: Rüegger<br />
Scholz, R. W., Bösch, S., Oswald, J. & Stauffacher, M. (Hrsg.).<br />
(2001). Zukunft Schiene Schweiz 1 – Ökoeffizientes H<strong>and</strong>eln der<br />
SBB. <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> 1999. Zürich: Rüegger<br />
Scholz, R. W. & Tietje, O. (1996). Methoden der <strong>Fallstudie</strong>. In R.<br />
W. Scholz, S. Bösch, H. A. Mieg & J. Stünzi (Hrsg.), Industrieareal<br />
Sulzer-Escher Wyss – Umwelt und Bauen: Wertschöpfung durch<br />
Umnutzung. <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 1995, (S. 31-70). Zürich: vdf Hochschulverlag<br />
AG.<br />
Scholz, R. W. & Tietje, O. (in press). Embedded case study<br />
methods. Integrating quantitative <strong>and</strong> qualitative knowledge.<br />
Thous<strong>and</strong> Oaks: Sage.<br />
Schweizerische Bundesbahnen (SBB) (Hrsg.). (1999). SBB Cargo<br />
4/99. Bern: SBB Cargo.<br />
Schweizerische Bundesbahnen (SBB AG) (2000). SBB und Umwelt.<br />
Bern: SBB.<br />
Stiftung Wirtschafts- und Lebensraum Zug (Hrsg.). (1995). Modell<br />
Zug. Zug: Stiftung Wirtschafts- und Lebensraum Zug.<br />
Thierstein A., Schnell K.-D. & Schwegler U. (1999). Unternehmensstrategien<br />
und Güterverkehr. Wirkungen und Zusammenhänge<br />
– gezeigt am Beispiel der Region Zug. Bern: EDMZ.<br />
UIC Internationaler Eisenbahnverb<strong>and</strong> (1997). UIC Railplan: Szenario<br />
– Strategie – Aktionen. Paris: UIC.<br />
46 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Wie kommen die Güter auf die Bahn?<br />
von Weizsäcker, E. U. & Seiler-Hausmann, J.-D. (Hrsg.). (1999).<br />
Ökoeffizienz – Management der Zukunft. Berlin: Birkhäuser Verlag<br />
GmbH.<br />
von Weizsäcker, E. U., Lovins, B. & Lovins, L. H. (1995). Faktor<br />
4. München: Droemer Knaur.<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 47
Bahn und Umwelt –<br />
<strong>Die</strong> Perspektive der SBB<br />
Autor:<br />
Peter Hübner<br />
Inhalt<br />
1. Einleitung 51<br />
2. <strong>Die</strong> Bahnreform 51<br />
3. Umweltschutz bei der SBB 53<br />
4. Ausblick 58
Bahn und Umwelt<br />
Zusammenfassung<br />
<strong>Die</strong> Neupositionierung der Bahn<br />
hängt eng mit der Bahnreform zusammen.<br />
Im Vordergrund stehen der Umweltschutz,<br />
die Steigerung der Eigenwirtschaftlichkeit<br />
und der Wettbewerbsfähigkeit<br />
der Bahnen auch im<br />
EU-Raum durch mehr unternehmerische<br />
Freiheit.<br />
<strong>Die</strong> Bahnreform versucht, diese<br />
Ziele im Wesentlichen durch einen<br />
marktwirtschaftlichen Ansatz zu erreichen.<br />
Der Staat verhindert Marktverzerrungen<br />
und wahrt die Interessen<br />
der Öffentlichkeit. Dazu gehören der<br />
freie Netzzugang aller Bahnen, die<br />
Gewaltentrennung zwischen Bahnen<br />
und Bund und der freie Markt im Personen-<br />
und Güterverkehr. <strong>Die</strong> Bahnreform<br />
ist aber kein in sich abgeschlossenes<br />
Massnahmenpaket.<br />
Eine direkte Konsequenz der Bahnreform<br />
ist die Neuorganisation der<br />
SBB in die drei Bereiche Güterverkehr,<br />
Personenverkehr und Infrastruktur<br />
sowie die Umw<strong>and</strong>lung der SBB in<br />
eine Aktiengesellschaft.<br />
Im Bereich Umweltschutz hat der<br />
Bund als strategisches Ziel die Erhaltung<br />
der Umweltvorteile der Bahn definiert.<br />
<strong>Die</strong> wesentlichen umweltrelevanten<br />
H<strong>and</strong>lungsfelder ergeben sich<br />
für die SBB in den Bereichen Lärm<br />
und Energie. Für Aufgaben im Bereich<br />
des Umweltschutzes ist das<br />
BahnUmwelt-Center zuständig. Um<br />
die diversen Umweltschutzaufgaben<br />
koordinieren und planen zu können,<br />
führte die Generaldirektion im Februar<br />
1995 das «Umweltmanagement<br />
SBB» ein. Das BahnUmwelt-Center<br />
bestimmt die Ausrichtung in Umweltfragen<br />
und stellt deren Kommunikation<br />
nach innen und aussen sicher. <strong>Die</strong><br />
Umsetzung der beschlossenen Umweltmassnahmen<br />
obliegt den einzelnen<br />
Geschäftsbereichen.<br />
Keywords: Bahnreform, BahnUmwelt-Center,<br />
Umweltnetzwerk.<br />
Résumé<br />
Le repositionnement des chemins de<br />
fer est étroitement lié à la réforme des<br />
chemins de fer. Au premier plan la<br />
protection de l’environnement, l’accroissement<br />
de la rentabilité propre et<br />
le renforcement de la compétitivité<br />
des chemins de fer (également dans<br />
l’Union européenne) par une plus<br />
gr<strong>and</strong>e liberté d’entreprise.<br />
La réforme des chemins de fer prétend<br />
atteindre ces objectifs essentiellement<br />
par une démarche d’économie<br />
de marché. L’État empêche les distorsions<br />
du marché et veille aux intérêts<br />
de la collectivité dont font partie l’accès<br />
libre au réseau de tous les chemins<br />
de fer, la séparation des pouvoirs entre<br />
les chemins de fer et la Confédération<br />
ainsi que le marché libre dans le transport<br />
des voyageurs et des march<strong>and</strong>ises.<br />
Mais la réforme des chemins de<br />
fer ne constitue pas en soi un paquet de<br />
mesures limitatif.<br />
Une conséquence directe de la<br />
réforme des chemins de fer est la réorganisation<br />
des CFF en trois secteurs:<br />
trafic voyageurs, trafic march<strong>and</strong>ises<br />
et infrastructure ainsi que la transformation<br />
des CFF en une société anonyme.<br />
En matière de protection de l’environnement,<br />
la Confédération a défini<br />
comme objectif stratégique la conservation<br />
des avantages environnementaux<br />
des chemins de fer. Les CFF doivent<br />
concentrer leurs efforts écologiques<br />
dans les domaines du bruit et de<br />
l’énergie. Une section propre «Centre<br />
environnemental ferroviaire» a été<br />
spécialement créée pour les tâches<br />
dans le domaine de la protection de<br />
l’environnement. Pour mieux coordonner<br />
et planifier les différentes<br />
tâches relatives à l’environnement, la<br />
Direction générale a créé en février<br />
1995 le «management environnemental<br />
CFF». Le Centre environnemental<br />
ferroviaire décide l’orientation à<br />
suivre en matière d’écologie et assure<br />
sa communication vers l’intérieur et<br />
l’extérieur. L’application des mesures<br />
écologiques décidées incombe aux<br />
différents ressorts.<br />
Mots-clés: réforme des chemins de<br />
fer, Centre environnemental ferroviaire,<br />
réseau environnemental.<br />
Summary<br />
The railway’s re-positioning is closely<br />
connected with the rail reform. The<br />
focus of attention includes environmental<br />
protection, increase of profitability,<br />
<strong>and</strong> competitiveness of the rail<br />
– also within the EU zone – by means<br />
of increased entrepreneurial freedom.<br />
In essence, the rail reform attempts<br />
to achieve these goals with a free-enterprise<br />
approach. The government<br />
prevents market distortion <strong>and</strong> safeguards<br />
the public interest. This includes<br />
a free network access for all rail<br />
companies, separation of powers between<br />
rail <strong>and</strong> Federal Government<br />
<strong>and</strong> a free market for the passenger<br />
<strong>and</strong> freight transport industry. However,<br />
the rail reform is not completed<br />
as package of measures.<br />
One direct consequence of the rail<br />
reform is the re-organization of the<br />
SBB into the tree sectors freight transport,<br />
passenger transport, <strong>and</strong> infrastructure,<br />
<strong>and</strong> the transformation of<br />
the SBB into a stock corporation.<br />
As for environmental protection,<br />
the Federal Government has defined<br />
the preservation of environmental<br />
advantages as strategic goal. The<br />
SBB’s essential environmentally relevant<br />
fields of action result in the area<br />
of noise <strong>and</strong> energy. A special section<br />
«Rail Environmental Center» is<br />
responsible for environmental protection.<br />
In order to be able to co-ordinate<br />
<strong>and</strong> plan the various environmental<br />
task, the executive board introduced<br />
«environmental management SBB»<br />
in February 1995. The Rail-Environment-Center<br />
defines the environmental<br />
orientation <strong>and</strong> guarantees internal<br />
<strong>and</strong> external communication thereof.<br />
The particular business sectors are<br />
responsible for the implementation of<br />
agreed environmental measures.<br />
Keywords: rail reform, Rail Environmental<br />
Center, environmental network.<br />
50 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Bahn und Umwelt<br />
1 Einleitung<br />
<strong>Die</strong> Gesetzesvorlagen zur Bahnreform sind seit dem 1.<br />
Januar 1999 in Kraft. Ziel der Bahnreform ist die Sicherstellung<br />
der Wettbewerbsfähigkeit der schweizerischen Bahnen<br />
im nationalen und internationalen Verkehr.<br />
Durch die Bildung einer spezialgesetzlichen Aktiengesellschaft<br />
SBB AG wurden die SBB verselbständigt, politische<br />
und betriebliche Aufgaben entflochten. <strong>Die</strong> Finanzierung<br />
des öffentlichen Verkehrs soll zukünftig transparenter<br />
und nach einheitlichen Regeln erfolgen, freier Netzzugang<br />
im Güterverkehr und im internationalen Personenverkehr<br />
führen Elemente des Wettbewerbs ins Bahnsystem ein. <strong>Die</strong><br />
Stärkung des öffentlichen Verkehrs ist eine entscheidende<br />
Voraussetzung dafür, dass die Schiene gegenüber der Strasse<br />
konkurrenzfähig bleibt und damit Garant für eine umweltgerechte<br />
Bewältigung der wachsenden Mobilität.<br />
<strong>Die</strong> Bahnreform ist noch nicht abgeschlossen, aber sie hat<br />
sich im Unternehmen SBB bereits mit Veränderungen in der<br />
Organisation bemerkbar gemacht. <strong>Die</strong> Strukturen des öffentlichen<br />
Verkehrs werden schrittweise den aktuellen Gegebenheiten<br />
und Erfordernissen anpasst. Nach wie vor erteilt<br />
der Bund politische Aufträge zur Koordination der<br />
Verkehrspolitik, zum Alpenschutz und allgemein zur ökologischen<br />
Erbringung der Transportleistung.<br />
Mit Hilfe der Massnahmen der Bahnreform, von Umweltstrategien<br />
und -management der SBB, müssen die Forderungen<br />
nach Erhaltung und Ausbau des Umweltvorteils<br />
der Bahn, nach mehr Wirtschaftlichkeit, internationaler<br />
Konkurrenzfähigkeit und unternehmerischer Freiheit unter<br />
einen Hut gebracht werden.<br />
Durch die Zusammenarbeit mit Studierenden im Rahmen<br />
der <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> bot sich der SBB die Gelegenheit,<br />
eine externe Bewertung der Umweltstrategie der SBB zu<br />
erhalten, eine Vertiefung der laufenden Nutzen/Kosten-Studien<br />
über Umweltschutzmassnahmen der SBB zu erreichen<br />
und den Studierenden als künftigen Wissenschaftlern einen<br />
vertieften Einblick in das komplexe System «Öffentlicher<br />
Verkehr» zu vermitteln.<br />
2 <strong>Die</strong> Bahnreform<br />
2.1 Hintergrund<br />
<strong>Die</strong> Neupositionierung der Bahn steht in engem Zusammenhang<br />
mit der Bahnreform. «Das Hauptanliegen der Bahnreform<br />
ist es, die Qualität der Transportleistungen auf der<br />
Schiene zu erhöhen, die Produktivität der Bahnunternehmen<br />
zu steigern und damit die Marktstellung des Schienenverkehrs<br />
zu stärken. Gleichzeitig soll durch eine transparentere<br />
Finanzierung das Kosten-Nutzen-Verhältnis für die öffentliche<br />
H<strong>and</strong> markant verbessert werden.» (BAV, 1998).<br />
Dabei sind drei Kerngedanken ausschlaggebend:<br />
Entlastung des Gemeinwesens<br />
Unter dem bisherigen System konnten die Bahnen ihre<br />
Leistungen nur mit hohen finanziellen Zuschüssen von<br />
Bund und Kantonen erbringen. Gleichzeitig fehlte ihnen der<br />
unternehmerische Spielraum und die Rahmenbedingungen,<br />
die es ihnen erlaubt hätten, als effizientes, dienstleistungsorientiertes<br />
Unternehmen kostengünstig zu arbeiten. Um die<br />
Eigenwirtschaftlichkeit der Bahnen zu steigern, sollten deshalb<br />
Voraussetzungen geschaffen werden, die den Wettbewerb<br />
unter den Bahnen fördern und ihnen möglichst grosse<br />
unternehmerische Freiheit zugestehen, ohne den Service<br />
public zu gefährden.<br />
Umweltschutz<br />
Das Verkehrsaufkommen auf der Strasse hat stetig zugenommen.<br />
Trotz technischer Fortschritte in der Motorentechnik<br />
hat sich damit die Umweltbelastung vergrössert, insbesondere<br />
in den Bereichen Lärm, Sommersmog und Staubbelastung.<br />
Gleichzeitig ist das Strassennetz an vielen Orten an<br />
der Grenze seiner Kapazität angelangt, und es stellt sich die<br />
Frage nach aufwändigen und kostspieligen Erweiterungen.<br />
Demgegenüber stellt die Bahn ein umweltfreundliches<br />
Transportmittel dar, das zudem noch über freie Kapazitäten<br />
verfügt. Es gilt also, Bedingungen zu schaffen, die es den<br />
Bahnen erlauben, ihren Umweltvorteil auszuspielen.<br />
Veränderungen im EU-Raum<br />
<strong>Die</strong> europäische Union rüstet ihre Bahnunternehmen mit<br />
tiefgreifenden Reformen für die Zukunft. In Deutschl<strong>and</strong><br />
gilt bereits seit 1994 der freie Netzzugang für Anbieter aus<br />
allen EU-Ländern. Früher noch undenkbar, ist heute die<br />
Kooperation zwischen Bahnen verschiedener europäischer<br />
Länder längst Realität. In diesem Umfeld müssen die Voraussetzungen<br />
geschaffen werden, dass die schweizerischen<br />
Bahnen auch im internationalen Wettbewerb bestehen können.<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 51
Bahn und Umwelt<br />
2.2 Eigenschaften der Bahnreform<br />
<strong>Die</strong> Bahnreform versucht diese Ziele im Wesentlichen durch<br />
einen marktwirtschaftlichen Ansatz zu erreichen. <strong>Die</strong> Rolle<br />
des Staats beschränkt sich darauf, durch Vorschriften und<br />
Kontrollen Marktverzerrungen zu verhindern (z.B. durch<br />
Überwachung der Spielregeln des freien Netzzugangs) und<br />
die Interessen der Öffentlichkeit zu wahren (z.B. Festlegen<br />
und Kontrollieren der Sicherheitsst<strong>and</strong>ards, Sicherstellung<br />
der Transportversorgung in R<strong>and</strong>regionen). Dabei gelten die<br />
folgenden Spielregeln:<br />
– Jedes konzessionierte Transportunternehmen darf auf<br />
den Trassen aller Bahnen Leistungen anbieten (freier<br />
Netzzugang, free access). Dazu ist nötig, dass die Bahnen<br />
Infrastruktur und Verkehr organisatorisch und rechnerisch<br />
trennen.<br />
– Es gilt eine strikte Gewaltentrennung: <strong>Die</strong> Bahnen sind<br />
privatrechtliche Unternehmen ohne hoheitliche Aufgaben.<br />
Der Bund beschränkt sich auf den Erlass von Vorschriften<br />
und die Kontrolle ihrer Einhaltung.<br />
– Im Personenfernverkehr gilt der freie Markt; die Bahnen<br />
gestalten ihr Angebot nach Kundenwünschen; der Bund<br />
bestellt als Grundleistung den Stundentakt und entschädigt<br />
die Bahnen dafür. Im Personennahverkehr gilt das<br />
Bestellprinzip: <strong>Die</strong> Bahnen brauchen nur jene <strong>Die</strong>nstleistungen<br />
zu erbringen, die die Kantone bzw. der Bund bei<br />
ihnen bestellen. <strong>Die</strong> Bahnen werden dafür entschädigt.<br />
– Im Güterverkehr gilt der freie Markt: jede Bahn kann ihr<br />
Angebot gemäss den Bedürfnissen ihrer Kunden frei<br />
gestalten.<br />
Zu bemerken ist, dass die Bahnreform kein in sich abgeschlossenes<br />
Massnahmenpaket ist. <strong>Die</strong> Entwicklungen in<br />
der europäischen Verkehrspolitik sind für die nächsten<br />
Schritte genauso entscheidend wie die Debatte über die<br />
zukünftige Gestaltung der Mobilität und des Gütertransports<br />
in der Schweiz.<br />
2.3 Auswirkungen auf die SBB<br />
Eine direkte Konsequenz der Bahnreform ist die Neuorganisation<br />
des Unternehmens in die drei Bereiche Güterverkehr,<br />
Personenverkehr und Infrastruktur (Abb. 2.3). <strong>Die</strong> drei Divisionen<br />
sind seit Anfang 1999 getrennte Einheiten, die für<br />
ihr Ergebnis selbst verantwortlich sind. Gleichzeitig erhielten<br />
sie damit mehr Autonomie in der Gestaltung ihrer Geschäftsbeziehungen.<br />
<strong>Die</strong> Division Güterverkehr nutzt dies<br />
bereits in einem Joint Venture mit den italienischen Staatsbahnen.<br />
Seit dem 1.1.1999 ist die SBB zudem eine Aktiengesellschaft.<br />
Der frühere Regiebetrieb des Bundes wurde von<br />
seinen finanziellen Altlasten befreit und in eine AG im<br />
Eigentum des Bundes umgew<strong>and</strong>elt. Dadurch erhält das<br />
Abb. 2.3: Organigramm der SBB AG, St<strong>and</strong> Ende ‘99 (Bild: SBB).<br />
52 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Bahn und Umwelt<br />
Unternehmen die gleichen Bedingungen wie die <strong>and</strong>eren<br />
Bahnen. Es kann so marktgerechter und weitgehend unbeeinflusst<br />
von der Politik operieren. Gleichzeitig steigen<br />
damit die Anforderungen an die Effizienz des Unternehmens,<br />
und die Transparenz gegenüber den Kunden und der<br />
Öffentlichkeit wird zunehmend wichtiger.<br />
Durch den freien Netzzugang ist das Unternehmen noch<br />
vermehrt gefordert, seine Leistungen zu konkurrenzfähigen<br />
Preisen und in der verlangten Qualität anzubieten. <strong>Die</strong>s<br />
bedingt, dass die internen Prozesse gestrafft, die Mittel<br />
gezielt eingesetzt und ausserhalb des Kerngeschäfts liegende<br />
Tätigkeiten ausgelagert werden. Gleichzeitig muss sich<br />
die SBB AG so ausrichten, dass sie auch in Zukunft ihre<br />
Stellung als Marktführerin behaupten kann. <strong>Die</strong>s erfordert<br />
eine langfristige H<strong>and</strong>lungsstrategie und Investitionen in<br />
eine leistungsfähige Infrastruktur.<br />
3 Umweltschutz bei der SBB<br />
3.1 Umweltstrategien<br />
Der Bund als Eigner der SBB AG macht verbindliche Auflagen,<br />
in welche Richtung sich das Unternehmen zu bewegen<br />
hat. Auch im Bereich Umwelt hat der Bundesrat als<br />
strategisches Ziel definiert: «<strong>Die</strong> SBB AG sorgt mit ihrer<br />
Umweltpolitik dafür, dass die Vorteile der Bahn gegenüber<br />
<strong>and</strong>eren Verkehrsträgern erhalten bleiben.» (Strategische<br />
Ziele des Bundesrates für die SBB AG 1999-2002).<br />
Richtschnur für die Umsetzung ist die Umweltstrategie<br />
des UVEK, die für den Bereich Verkehr folgende Sachziele<br />
vorgibt (UVEK, 2000):<br />
– Senkung der Umweltbelastungen auf ein langfristig unbedenkliches<br />
Niveau, und zwar in den Bereichen Luftschadstoffe<br />
und Beeinträchtigung des Klimas, Lärm, Bodenverbrauch<br />
sowie Belastung von L<strong>and</strong>schaften und<br />
Lebensräumen;<br />
– Senkung des Energieverbrauchs, insbesondere der nicht<br />
erneuerbaren Energien.<br />
Der Umweltvorteil der Bahn ist unbestritten. Sie beansprucht<br />
weniger Raum als die Strasse, sie verursacht durch<br />
den Betrieb mit elektrischem Strom kaum Luftverschmutzung<br />
und nutzt erneuerbare Energie aus Wasserkraftwerken.<br />
<strong>Die</strong> Treibhauspotentiale der Bahn im Personen- wie im<br />
Güterverkehr sind gegenüber dem Privatauto oder dem<br />
Schwerverkehr um Faktoren geringer (Abb. 3.1). Der Vorteil<br />
gegenüber der Strasse ist aber durch die starke technische<br />
Entwicklung im Automobilbau einerseits und durch die<br />
lange Vernachlässigung der Bahn als modernes Transportmittel<br />
geringer geworden. Es bedarf gezielter Massnahmen,<br />
um den Vorsprung zu halten, noch bestehende Umweltmängel<br />
der Bahn zu mindern und neue Potentiale zu erschliessen.<br />
<strong>Die</strong>se Massnahmen müssen «gemanagt» werden, um<br />
ihre Wirkung entfalten und ihre Kosten minimieren zu können.<br />
3.2 Umweltmanagement bei der SBB AG<br />
<strong>Die</strong> vielfältigen Bauaufgaben der SBB führten schon früh<br />
dazu, dass Umweltschutzfragen gebührende Beachtung geschenkt<br />
wurde. Bereits 1977 wurde eine «Zentralstelle für<br />
Lärmfragen» bei der damaligen Bauabteilung der Generaldirektion<br />
geschaffen. <strong>Die</strong>ser Stabsstelle wurden zunehmend<br />
Aufgaben in <strong>and</strong>eren Bereichen des Umweltschutzes übertragen<br />
und am 1.9.1989 wurde sie in eine Sektion «Umwelt»<br />
überführt. Flankierend wurden dezentrale Fachbereiche<br />
«Umwelt» geschaffen, die für die Umsetzung der Umweltschutzmassnahmen<br />
in den damaligen Kreisdirektionen<br />
sorgten.<br />
<strong>Die</strong> Aufgaben, denen sich die diversen Umweltschutzfachleute<br />
innerhalb der SBB anzunehmen hatten, wuchsen<br />
stetig. Damit stieg auch der Personalbedarf für den Umweltschutz,<br />
gleichzeitig aber auch die Investitionen für Umweltschutzprojekte<br />
(siehe Abb. 3.2.1 und 3.2.2). <strong>Die</strong>s bedingte<br />
vermehrte Koordination und Planung der diversen Umweltschutzaufgaben.<br />
Gleichzeitig entst<strong>and</strong> das Bedürfnis, durch<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 53
Bahn und Umwelt<br />
Abb. 3.1: Treibhauspotentiale Personen-<br />
und Güterverkehr (Bild: SBB).<br />
Abb. 3.2.1: Umweltfachleute<br />
bei der SBB AG (Bild:<br />
SBB).<br />
54 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Bahn und Umwelt<br />
Abb. 3.2.2: Umweltausgaben der<br />
SBB AG (Bild: SBB).<br />
eine sinnvolle Umweltpolitik mehr H<strong>and</strong>lungsspielraum im<br />
Umweltschutz zu erreichen. Wie in der Privatwirtschaft<br />
auch, sollte das reaktive H<strong>and</strong>eln, wie es der Vollzug der<br />
Umweltgesetzgebung darstellt, abgelöst werden durch ein<br />
proaktives H<strong>and</strong>eln, das zukünftige Entwicklungen frühzeitig<br />
erkennt und in einen Wettbewerbsvorteil für das Unternehmen<br />
verw<strong>and</strong>elt. Im Februar 1995 führte deshalb die<br />
Generaldirektion das «Umweltmanagement SBB» ein.<br />
Nach diversen Umstrukturierungen im Zuge der Unternehmensreform<br />
befindet sich das Umweltmanagement heute<br />
in einer Phase der Konsolidierung. <strong>Die</strong> wichtigsten Schritte<br />
auf dem bisherigen Weg waren:<br />
– Durchführung einer detaillierten Analyse der Umweltrelevanzen<br />
der Tätigkeiten der SBB AG (St<strong>and</strong>ortbestimmung);<br />
– Verabschiedung der aus der Analyse abgeleiteten strategischen<br />
Umweltziele und Stossrichtungen (Kasten 3.2);<br />
– Laufende Umsetzung eines umfassenden, periodisch aktualisierten<br />
Massnahmenpakets zur Verwirklichung dieser<br />
Ziele;<br />
– Sicherstellung des fachlichen Austauschs und der Massnahmenkoordination<br />
durch Aufbau eines Umweltnetzwerks<br />
von ca. 25 Umweltfachleuten;<br />
– Aufbau eines Kompetenzzentrums für Umweltschutz im<br />
Konzernstab durch Ausbau der früheren Sektion Umwelt<br />
der Baudirektion und Überführung in das BahnUmwelt-<br />
Center SBB, angegliedert dem Generalsekretariat.<br />
3.3 Umweltrelevante Problemfelder<br />
Entsprechend der Vielfalt seiner betrieblichen Tätigkeiten<br />
ist das Unternehmen SBB AG von einer breiten Palette<br />
umweltrelevanter Problemfelder betroffen. <strong>Die</strong>se können<br />
nicht alle gleichzeitig und im gleichen Ausmass abgedeckt<br />
werden, im Sinn der Ökonomie, der Mittel und Kräfte<br />
müssen Prioritäten gesetzt werden. Als Entscheidungskriterien<br />
dazu bieten sich das Kostenrisiko einerseits und der<br />
Wir wollen die Stellung der SBB AG und der Bahn als<br />
energie-, raum- und umweltschonendes Transportmittel<br />
erhalten und zu einer zentralen Bedeutung ausbauen.<br />
Wir wollen durch Ausbildung und Information alle Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeiter in die Verantwortung für<br />
den Schutz der Umwelt einbeziehen.<br />
Wir wollen Kunden, Öffentlichkeit und Behörden laufend<br />
über unsere Beiträge zum Schutz der Umwelt informieren.<br />
Wir wollen nachhaltige, gesetzmässige und wirtschaftlich<br />
tragbare Lösungen zum Schutz der Umwelt umsetzen.<br />
Wir wollen durch Vermeiden oder Verwerten oder umweltgerechtes<br />
Entsorgen unsere Emissionen und Abfälle<br />
vermindern und dabei die Ressourcen möglichst in geschlossenen<br />
Kreisläufen halten.<br />
Kasten 3.2: Leitsätze der SBB AG.<br />
Vorteil durch umweltorientiertes Verhalten <strong>and</strong>ererseits an.<br />
Problemfelder mit hohem Kostenrisiko und hohem Nutzenpotential<br />
sind bevorzugt zu beh<strong>and</strong>eln (Abb. 3.3.1).<br />
<strong>Die</strong> wesentlichen H<strong>and</strong>lungsfelder ergeben sich in den<br />
Bereichen Lärm und Energie. Aufgrund ihres hohen Kostenrisikos<br />
sind auch die Beh<strong>and</strong>lung von Altlasten, die Lösung<br />
der Erschütterungsprobleme und die in ihrem Ausmass noch<br />
nicht genau abschätzbare Problematik des Elektrosmogs<br />
vordringlich, auch wenn dadurch kein besonderer Umweltvorteil<br />
für die SBB AG erwächst. <strong>Die</strong>se Aufteilung spiegelt<br />
sich im aktuellen Umwelt-Massnahmenprogramm. Für alle<br />
Problemfelder in den oberen Quadranten und die Mehrzahl<br />
im rechten unteren Quadranten sind Massnahmen in Umsetzung.<br />
<strong>Die</strong> entsprechenden Massnahmen und Programme<br />
sind in Abb. 3.3.2 dargestellt.<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 55
Bahn und Umwelt<br />
Abb. 3.3.1: Umweltrelevante<br />
Problemfelder (Bild:<br />
SBB).<br />
Abb. 3.3.2: Massnahmenprogramme in verschiedenen Umweltbereichen (Bild: SBB).<br />
Bei mehreren Problemfeldern wird auch in internationalen<br />
Gremien gearbeitet, um eine Verbesserung zu erzielen,<br />
denn im Bahnbereich macht Umweltschutz nicht an der<br />
L<strong>and</strong>esgrenze Halt. So stammen beispielsweise etwa zwei<br />
Drittel der Güterwagen, die in der Schweiz verkehren, aus<br />
dem Ausl<strong>and</strong>. <strong>Die</strong> Lärmsanierung der SBB-eigenen Güterwagen<br />
ist deshalb wenig effektiv, wenn nicht gleichzeitig<br />
die ausländischen Bahnen lärmarmes Rollmaterial einsetzen.<br />
Aus diesem Grund beteiligen sich die SBB aktiv an<br />
verschiedenen internationalen Arbeitsgruppen, insbesondere<br />
in den Bereichen Lärm, Erschütterungen, Vegetationskontrolle,<br />
Normierung und Ökobilanzierung.<br />
56 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Bahn und Umwelt<br />
3.4 Das BahnUmwelt-Center<br />
Mit der Unternehmensreform 1999 wurde das BahnUmwelt-Center<br />
(BUC) von der Baudirektion in den Konzernstab<br />
umgesiedelt. <strong>Die</strong> Ansiedlung beim Generalsekretariat,<br />
das direkt dem Vorsitzenden der Geschäftsleitung unterstellt<br />
ist, spiegelt die strategische Bedeutung dieser neuen Einheit.<br />
Zu den Aufgaben des BahnUmwelt-Centers gehören denn<br />
auch die strategische Ausrichtung in Umweltfragen, das<br />
Umweltmanagement, die Umweltberichterstattung und -bilanzierung.<br />
Ausserdem ist es das Kompetenzzentrum für<br />
umwelttechnische Fragen und ist damit verantwortlich für<br />
die Entwicklung von Massnahmen, neuen Methoden und<br />
Konzepten für die Gesamtunternehmung. Es stellt ferner die<br />
Kommunikation in Umweltfragen nach aussen und nach<br />
innen sicher.<br />
Das Netzwerk ermöglicht somit die Vernetzung der Umweltbeauftragten<br />
quer durch die Unternehmung. Es fördert<br />
auch die Bildung von Fachgemeinschaften in den verschiedenen<br />
Umweltbereichen und erlaubt die rasche Bildung von<br />
ad hoc-Arbeitsgruppen zu anstehenden Umweltfragen. Im<br />
Netzwerk werden zudem neue Umweltprojekte oder -massnahmen<br />
erarbeitet, die dann der Geschäftsleitung zur Genehmigung<br />
vorgelegt werden. <strong>Die</strong>se Massnahmen können<br />
konkrete Projekte des GB (z.B. Lärmsanierung) oder umwelttechnische<br />
Querschnittsmassnahmen (z.B. Abfallkonzept)<br />
sein.<br />
3.5 Zusammenarbeit im Umweltnetzwerk<br />
Während das BUC als Kompetenzzentrum und Koordinationsstelle<br />
vorwiegend planerisch und organisatorisch tätig<br />
ist, obliegt die Umsetzung der von der Geschäftsleitung<br />
beschlossenen Umweltmassnahmen den einzelnen Geschäftsbereichen<br />
(GB). Dazu stellt jeder GB einen Umweltbeauftragten,<br />
welcher den Massnahmenvollzug sicherstellt<br />
und als Ansprechpartner für Umweltfragen wirkt. <strong>Die</strong> Mitglieder<br />
des BUC und die Umweltbeauftragten der GB bilden<br />
zusammen das Umweltnetzwerk (Abb. 3.5), welches durch<br />
direkte Kontakte oder gemeinsame Workshops den fachlichen<br />
Austausch und die Koordination zwischen den Umweltfachleuten<br />
sicherstellt.<br />
Abb. 3.5: Umweltnetzwerk in der Unternehmensstruktur (Bild: SBB).<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 57
Bahn und Umwelt<br />
4 Ausblick<br />
Das Umweltmanagement ist stark massnahmenorientiert<br />
und versucht, eine Verbesserung der Umweltleistung durch<br />
betriebliche Massnahmen zu erreichen. Dabei bietet sich<br />
insbesondere die Infrastruktur an, z.B. in den Bereichen<br />
Energieverbrauch der Liegenschaften, Herbizideinsatz entlang<br />
der Gleisanlagen, Lärmschutzwände oder Altlasten.<br />
Auch beim Rollmaterial sind signifikante Verbesserungen<br />
in Umsetzung, beispielsweise durch die Verwendung leiserer<br />
Bremsen oder durch den Einbau geschlossener Toiletten.<br />
Mit dieser Strategie konnte das Umweltmanagement der<br />
SBB bereits wesentliche Erfolge verbuchen. Seine weitere<br />
Entwicklung steht jedoch nicht still. Einige wichtige H<strong>and</strong>lungsbereiche<br />
sind die Einbindung der Lieferanten, die weitere<br />
Verbreitung des Umweltgedankens beim Personal und<br />
die engere Verknüpfung mit dem Qualitätsmanagement. Im<br />
Bereich der Kommunikation sind mit der Veröffentlichung<br />
der Broschüre «SBB und Umwelt» (SBB, ohne Jahr) und<br />
des Umweltberichts 1999 sowie mit der Aufschaltung einer<br />
Umwelt-Homepage auf dem Internet weitere Fortschritte<br />
realisiert worden.<br />
Bahn fahren ist eine umweltfreundliche Art der Fortbewegung,<br />
dies wird durch Daten über Energieverbrauch und<br />
Luftschadstoffe belegt. <strong>Die</strong>se Tatsache ist in der Bevölkerung<br />
auch allgemein bekannt. Es gibt aber auch Bereiche, in<br />
denen der Umweltvorteil der Bahn noch ausgebaut werden<br />
kann und muss. So gibt es bei der Reduktion der Lärmemissionen<br />
durch die Bahn noch viel zu tun, Aktionsprogramme<br />
sind in die Wege geleitet.<br />
Für die Umweltberichterstattung, die das BahnUmwelt-<br />
Center abgestimmt auf den Geschäftsbericht vornimmt, fehlen<br />
der SBB, aber auch <strong>and</strong>eren europäischen Bahnen, noch<br />
Instrumente zum wissenschaftlichen Erfassen der Ökoeffizienz.<br />
In dieser Ausgangslage erwarteten wir von der <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong><br />
<strong>Fallstudie</strong> ein kritisches Hinterfragen der Umweltpositionierung<br />
der SBB sowie neue Anregungen in der Frage der<br />
Ökoeffizienz. <strong>Die</strong> Resultate haben gezeigt, dass wir mit<br />
unseren Kunden und der Öffentlichkeit unsere Umweltbemühungen<br />
und Angebote besser kommunizieren müssen.<br />
Schliesslich hat die <strong>Fallstudie</strong> in der Frage der Ökoeffizienz<br />
weitere Forschungs- und Entwicklungsmöglichkeiten aufgezeigt.<br />
Literatur<br />
Bundesamt für Verkehr (BAV) (1998). Bahnreform: öffentlicher<br />
Verkehr in neuen Bahnen. Bern: Bundesamt für Verkehr.<br />
Schweizerische Bundesbahnen (SBB) (ohne Jahr). SBB und Umwelt.<br />
Bern: SBB CFF FFS.<br />
UVEK (2000). Departementsstrategie des UVEK. Bern: Departement<br />
für Umwelt, Verkehr, Energie, Kommunikation.<br />
58 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Unterwegs zu einem nachhaltigen<br />
Güterverkehr? –<br />
<strong>Die</strong> Perspektive des NFP 41<br />
Autor:<br />
Felix Walter<br />
Programmleiter<br />
NFP 41 1<br />
Inhalt<br />
1. Was ist das NFP 41? 61<br />
2. Bausteine eines nachhaltigen Güterverkehrs 65<br />
3. Erste Synthese zum Güterverkehr 67<br />
4. Stossrichtungen für eine künftige Politik 69<br />
5. Ausblick 71<br />
1 c/o ECOPLAN, Thunstrasse 22, 3005 Bern, Tel. 031 356 61 61, Fax 031 356 61 60, E-Mail: walter@ecoplan.ch, Internet www.nfp41.ch.
Unterwegs zu einem nachhaltigen Güterverkehr?<br />
Zusammenfassung<br />
Vorgestellt werden das Nationale Forschungsprogramm<br />
41 «Verkehr und<br />
Umwelt, Wechselwirkungen<br />
Schweiz-Europa» sowie die wichtigsten<br />
Bausteine eines nachhaltigen Güterverkehrs.<br />
Es erfolgt eine erste Synthese<br />
zum Thema Güterverkehr und<br />
Ansätze für eine künftige Schweizer<br />
Güterverkehrspolitik werden skizziert.<br />
Besondere Aufmerksamkeit verdienen<br />
zwei Projekte des NFP 41, die<br />
unmittelbar in die Arbeit der <strong>Fallstudie</strong><br />
2000 eingeflossen sind. Zum einen<br />
h<strong>and</strong>elt es sich um eine Studie von<br />
Thierstein, Schnell & Schwegler<br />
(1999), die das Potenzial für Bahngütertransport<br />
an ausgewählten Unternehmen<br />
aus der Region Zug aufzeigt.<br />
Zum <strong>and</strong>eren h<strong>and</strong>elt es sich um die<br />
Arbeiten unter Leitung von Rico Maggi<br />
(Maggi, 1999) zum alpenquerenden<br />
Güterverkehr. <strong>Die</strong> dort vorgenommene<br />
Analyse der Transportqualitäten<br />
(Transportzeit, Zuverlässigkeit, Flexibilität,<br />
Häufigkeit) zeigt eine gewisse<br />
«Bahnfrustration»: bei scheinbar<br />
gleichwertigem Angebot bevorzugen<br />
die Verlader den Strassen-Transport<br />
vor der Schiene.<br />
Mit der LSVA, der NEAT und der<br />
Beibehaltung des Nachtfahrverbots<br />
sowie den flankierenden Massnahmen<br />
zum L<strong>and</strong>verkehrsabkommen konnte<br />
die Schweiz einige wichtige Meilensteine<br />
in der europäischen Verkehrspolitik<br />
setzen. Der Einfluss der<br />
Schweizer Preispolitik ist bei internationalen<br />
Transporten wegen des geringen<br />
Streckenanteils jedoch bescheiden.<br />
Das Binnenkombi-System für die<br />
kurzen Distanzen innerhalb der<br />
Schweiz steckt noch in den Kinderschuhen.<br />
<strong>Die</strong> weitere Veränderung des<br />
Güterverkehrs in Richtung Nachhaltigkeit<br />
ist noch ein langer, hürdenreicher<br />
Weg.<br />
Keywords: Alpeninitiative, Bahnreform,<br />
Bahnfrustration, Güterverkehr,<br />
Kombinierter Verkehr, LSVA,<br />
NEAT, NFP 41, Transportqualität,<br />
Transitverkehr.<br />
Résumé<br />
Ce chapitre décrit le Programme national<br />
de recherche (PNR) 41 «Transport<br />
et environnement, interactions<br />
Suisse-Europe» ainsi que les principales<br />
composantes d’un trafic de march<strong>and</strong>ises<br />
efficace. Il s’ensuit une première<br />
synthèse sur le thème «Transports<br />
de march<strong>and</strong>ises» et des objectifs<br />
d’une politique suisse des transports<br />
de march<strong>and</strong>ises sont esquissés.<br />
Deux projets du PNR 41 qui ont été<br />
inclus immédiatement dans le travail<br />
de l’étude de cas 2000 retiennent tout<br />
particulièrement notre attention. Il<br />
s’agit pour l’un d’une étude de Thierstein,<br />
Schnell & Schwegler (1999) qui<br />
montre le potentiel pour le transport<br />
ferroviaire des march<strong>and</strong>ises dans certaines<br />
entreprises de la région de<br />
Zoug. L’autre traite quant à lui les<br />
travaux réalisés sous la direction de<br />
Rico Maggi (Maggi, 1999) concernant<br />
le transport de march<strong>and</strong>ises à<br />
travers les Alpes. L’analyse entreprise<br />
des qualités de transport (temps de<br />
transport, fiabilité, flexibilité,<br />
fréquence) démontre une certaine<br />
«frustration du chemin de fer»: à offre<br />
apparemment égale, les expéditeurs<br />
optent pour le transport routier au détriment<br />
du rail.<br />
Avec la RPLP (Redevance sur le<br />
trafic poids lourds liée aux prestations),<br />
la NLFA et le maintien de l’interdiction<br />
de rouler la nuit ainsi que les<br />
mesures complémentaires de l’accord<br />
sur les transport terrestres, la Suisse<br />
est parvenue à marquer quelques tournants<br />
importants en matière de politique<br />
européenne des transports. L’influence<br />
de la politique de prix suisse<br />
sur les transports internationaux est<br />
cependant modeste en raison de la part<br />
insignifiante des trajets et le système<br />
du trafic intérieur combiné pour les<br />
brèves distances au sein de la Suisse<br />
n’en est encore qu’à ses débuts. Il reste<br />
encore de nombreux obstacles à surmonter<br />
avant de parvenir au nouveau<br />
changement durable du trafic march<strong>and</strong>ises.<br />
Mots-clés: initiative des Alpes,<br />
réforme des chemins de fer, frustration<br />
du chemin de fer, transports de march<strong>and</strong>ises,<br />
transport combiné, LSVA,<br />
NLFA, PNR 41, qualité de transport,<br />
trafic de transit.<br />
Summary<br />
This chapter presents the National Research<br />
Program 41 «Transport <strong>and</strong> the<br />
Environment, Interactions Switzerl<strong>and</strong><br />
- Europe», along with the most<br />
important building blocks for a sustainable<br />
freight transport system.<br />
Subsequently, a preliminary synthesis<br />
on freight transport is presented, <strong>and</strong><br />
approaches for a future Swiss freight<br />
transport policy are outlined.<br />
Two NRP 41 projects, with direct<br />
influence on the making of case-study<br />
2000, deserve special attention: On<br />
the one h<strong>and</strong>, a study by Thierstein,<br />
Schnell & Schwegler (1999) demonstrating<br />
the potential of freight transport<br />
by rail, exemplified by selected<br />
companies from the region of Zug. On<br />
the other h<strong>and</strong>, studies conducted by<br />
Rico Maggi (Maggi, 1999) regarding<br />
trans-alpine freight traffic. The analysis<br />
of transport quality carried out in<br />
this study (duration, reliability, flexibility,<br />
frequency) demonstrates a certain<br />
rail frustration: when presented<br />
with seemingly identical conditions,<br />
cargo firms seem to prefer road to rail.<br />
By introducing distance-related<br />
Heavy Vehicle Fees (HVF) <strong>and</strong> the<br />
NEAT, by retaining the ban on night<br />
transportation, as well as by conducting<br />
supporting measures regarding<br />
ground-traffic agreements, Switzerl<strong>and</strong><br />
has been able to set several important<br />
milestones within Europe’s<br />
traffic policy. The influence of Swiss<br />
price policy on international transports,<br />
however, is modest due to its<br />
small share of distance. The inl<strong>and</strong><br />
combined-transport system for short<br />
distances within Switzerl<strong>and</strong> is still in<br />
its infancy. Further change of freight<br />
traffic towards sustainability is yet a<br />
long track ahead, full of obstacles.<br />
Keywords: alpine referendum,<br />
Swiss Rail Reform, rail frustration,<br />
freight transport, combined freight<br />
transport, HVF, NEAT, NRP 41, quality<br />
of transport, transit traffic.<br />
60 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Unterwegs zu einem nachhaltigen Güterverkehr?<br />
Übersicht<br />
<strong>Die</strong> Leitung der <strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>n «Zukunft Schiene<br />
Schweiz» und das Nationale Forschungsprogramm «Verkehr<br />
und Umwelt» (NFP 41) st<strong>and</strong>en in engem wechselseitigen<br />
Austausch. <strong>Die</strong> Ergebnisse des NFP 41 haben zu den<br />
wesentlichen Bausteinen der <strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> 2000 gehört.<br />
Im Folgenden möchte ich die Ergebnisse des NFP 41<br />
«Verkehr und Umwelt» vorstellen und die Bezüge zur <strong>UNS</strong><br />
<strong>Fallstudie</strong> 2000 aufzeigen. Hierzu gehören<br />
– ein geraffter Überblick über das NFP 41 (Kap. 1),<br />
– die Präsentation von zwei Arbeiten aus dem NFP 41, auf<br />
denen die <strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> 2000 aufbaut (Kap. 2),<br />
– eine Synthese zum Forschungsbereich Güterverkehr<br />
(Kap. 3) sowie<br />
– Überlegungen für eine künftige Güterverkehrs-Politik<br />
(Kap. 4).<br />
1 Was ist das NFP 41?<br />
1.1 NFP als orientierte und orientierende<br />
Forschung<br />
NFP 41 steht für das Nationale Forschungsprogramm «Verkehr<br />
und Umwelt, Wechselwirkungen Schweiz-Europa».<br />
Der Bundesrat gibt periodisch dem Schweizerischen Nationalfonds<br />
den Auftrag, zu gesellschaftlich und politisch<br />
wichtigen Fragen die wissenschaftlichen Grundlagen zu<br />
verbessern. Der Nationalfonds führt diese Forschungsprogramme<br />
mit Blick auf die Bedürfnisse der Adressaten in<br />
Politik und Verwaltung durch. In der Auswahl der Projekte<br />
und der Formulierung der Empfehlungen ist er völlig unabhängig.<br />
<strong>Die</strong> Nationalen Forschungsprogramme sind Projekte<br />
der orientierten, grösstenteils angew<strong>and</strong>ten Forschung.<br />
Sie sind in der Regel auf 5 Jahre begrenzt.<br />
Knapp 20 Jahre nach der Gesamtverkehrskonzeption von<br />
1977, in welcher letztmals eine Gesamtschau der verkehrspolitischen<br />
Grundlagen erstellt wurde, beschloss der Bundesrat,<br />
ein Forschungsprogramm zur Verkehrspolitik zu lancieren.<br />
<strong>Die</strong>s geschah in einer Zeit, als neue Technologien,<br />
insbesondere die Magnetschnellbahn «Swissmetro» und die<br />
«Verkehrstelematik», am Horizont auftauchten und gleichzeitig<br />
die ökologischen und politischen Grenzen des Verkehrswachstums<br />
erreicht schienen. <strong>Die</strong> Diskussion beherrschten<br />
Stichworte wie «Alpeninitative», «Neue Eisenbahnalpentransversale»<br />
(NEAT), «Bilaterale Verh<strong>and</strong>lungen<br />
mit der EU» (vgl. Kasten 1.1). Hinzu kam eine umweltökonomische<br />
Einsicht: Weder hohe externe Kosten für Umweltschäden,<br />
d.h. nicht von den Verursachern bezahlte Kosten<br />
(vgl. Tab.1.1), noch hohe Subventionen für den öffentlichen<br />
Verkehr können auch aus ökonomischer Sicht nachhaltig<br />
sein.<br />
Entsprechend definierte sich das NFP 41 als Denkfabrik,<br />
welche die wissenschaftlichen Grundlagen für eine nachhaltige<br />
Verkehrspolitik verbessern soll: Es sucht Lösungsbeiträge<br />
aus allen Fachrichtungen zu einer effizienten, sozialund<br />
umweltverträglichen Befriedigung der Mobilitätsbedürfnisse.<br />
<strong>Die</strong> Projekte sind auf einen mittelfristigen Zeithorizont<br />
(ca. 2000 - 2020) ausgerichtet. Sie können und wollen<br />
somit nicht die politischen Debatten von heute beeinflussen,<br />
sondern jene von morgen mit besseren wissenschaftlichen<br />
Grundlagen unterstützen. Das NFP 41 hat eine wichtige<br />
Brückenfunktion zwischen der Grundlagenforschung und<br />
den kurzfristig ausgerichteten Beratungsaufträgen der Bundesverwaltung<br />
und grösserer Kantone übernommen. Es ermöglicht,<br />
grundlegende Fragen zu stellen und innovative<br />
Methoden anzuwenden, ohne den Blick für die Politik- und<br />
Praxisrelevanz der Ergebnisse zu verlieren.<br />
1.2 Breite Themenpalette<br />
<strong>Die</strong> Forschung im NFP 41 läuft seit 1997. Das Programm<br />
wird vom Schweizerischen Nationalfonds mit 10 Millionen<br />
Franken finanziert. <strong>Die</strong> Hälfte der Projekte erhält zusätzliche<br />
finanzielle Unterstützung von Kantonen und Bundesämtern.<br />
<strong>Die</strong> Forschungsarbeiten wurden öffentlich ausge-<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 61
Unterwegs zu einem nachhaltigen Güterverkehr?<br />
Tab. 1.1: Ungefähre Externe Kosten der Verkehrsinfrastruktur (nur Umweltwirkungen, in Mio. Fr. pro Jahr (aus Maibach,<br />
Schreyer, Banfi, Iten & de Haan, 1999).<br />
externe Kosten in Mio. Fr. (1995)<br />
Kostenbereich<br />
Umwelt<br />
Strasse<br />
Schiene<br />
Personenverkehr Güterverkehr Personenverkehr Güterverkehr<br />
Lärm 670 300 134 28<br />
Gesundheitsschäden Luft 895 520 4-11 2-6<br />
Gebäudeschäden Luft 340 235<br />
Vegetationsschäden Luft 230-600 120-315 6-15 3-7<br />
Vermeidung Klimarisiken 1’300 400 3 3<br />
Weitere Umweltkosten 110-180 100-170 63-93 54-84<br />
Total Kosten (ca.) 3’800 1’800 230 110<br />
Tab. 1.2: Publikationen des NFP 41 mit Bezug zum Güterverkehr.<br />
Titel Autoren Berichts-<br />
Nummer<br />
Verladerverhalten C. Kaspar, Ch. Laesser, J. Meister B1<br />
St<strong>and</strong>orte und Potentiale für den Kombiverkehr M. Ruesch et al. B2<br />
Unternehmensstrategien und Güterverkehr – Wirkungen und A. Thierstein et al. B3<br />
Zusammenhänge – gezeigt am Beispiel der Region Zug<br />
Multimodale Potenziale im transalpinen Güterverkehr R. Maggi et al. B4<br />
Zukunftsgüterbahn – Vorstudie M. Maibach et al. B5<br />
Zukunftsgüterbahn – Hauptstudie M. Lebküchner et al. B5+<br />
Einbindung der Schweiz in die Transeuropäischen Verkehrsnetze: Metron AG/EURES<br />
B6<br />
Personenverkehr<br />
Europäischer Güterverkehr – Einbindung der Schweiz S. Wagner et al. B7<br />
European Sea Transport <strong>and</strong> Intermodalism – Consequences for<br />
Switzerl<strong>and</strong><br />
R. Rudel, J. Taylor B8<br />
Zusatznutzen von Logistikdrehscheiben L. Poschet et al. B9<br />
The Dynamics of Freight Transport Development Ph. Thalmann C3<br />
Möglichkeiten und Grenzen zusätzlicher Anwendungen des<br />
LSVA-Erhebungssystems<br />
M. Rapp, M. Liechti E2<br />
Schweiz. Verkehrspolitik im Spannungsfeld der Aussenpolitik –<br />
Beispiel 28-T-Limite (aus dem NFP 42)<br />
M. Maibach et al. M6<br />
The supply of combined transport services F. Rossera, R. Rudel M7<br />
Modelling the transport <strong>and</strong> logistics choice of a shipper S. Bolis, R. Maggi M8<br />
Politikstrategien zur Förderung des Kombinierten Verkehrs M. Maibach et al. M9<br />
Legislaturperspektiven in der Verkehrspolitik F. Walter et al. M17<br />
Güterverkehr – Herausforderungen und Chancen; Teilsynthese<br />
des Moduls B<br />
Ernst Basler + Partner AG<br />
S2<br />
62 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Unterwegs zu einem nachhaltigen Güterverkehr?<br />
Themen der schweizerischen Verkehrspolitik<br />
Alpeninitiative: Eidgenössische Volksinitiative zum Schutze<br />
des Alpengebietes vor dem Transitverkehr. Am 20.<br />
Februar 1994 wurde diese Volksinitiative von Volk und<br />
Ständen angenommen. Sie erreichte die Verankerung des<br />
Alpenschutzartikels (Art. 84 BV) in der Schweizerischen<br />
Bundesverfassung, der verlangt, dass der alpenquerende<br />
Güterverkehr innerhalb von zehn Jahren auf die Schiene<br />
verlegt wird und dass die Kapazität der Transitstrassen im<br />
Alpenraum nicht erhöht werden darf. Regierung und Parlament<br />
haben die Aufgabe, den Verfassungsartikel umzusetzen.<br />
Bahnreform: <strong>Die</strong> Gesetze zur Bahnreform sind seit dem<br />
1. Januar 1999 in Kraft. Ziel der Bahnreform ist die Sicherstellung<br />
der Wettbewerbsfähigkeit der schweizerischen<br />
Bahnen im internationalen Verkehr. Durch die Bildung<br />
einer spezialgesetzlichen Aktiengesellschaft wurden die<br />
SBB verselbstständigt und politische und betriebliche Aufgaben<br />
entflochten. <strong>Die</strong> Finanzierung des öffentlichen Verkehrs<br />
soll transparenter und nach einheitlichen Regeln erfolgen,<br />
freier Netzzugang im Güterverkehr und im internationalen<br />
Personenverkehr führen Wettbewerbselemente ins<br />
Bahnsystem ein. Freier Netzzugang bedeutet, dass ein dritter<br />
Anbieter gegen Entgelt zum Beispiel Güterzüge auf dem<br />
Schienennetz einer <strong>and</strong>eren Bahn anbieten kann. <strong>Die</strong> Bahnreform<br />
ist noch nicht abschlossen, die Strukturen des öffentlichen<br />
Verkehrs werden schrittweise den aktuellen Gegebenheiten<br />
und Erfordernissen anpasst (s. a. Kap. <strong>Die</strong><br />
Perspektive der SBB, Abschnitt 2.1).<br />
Binnenkombi-System (Pegasus bzw. KLV-CH): Beim Kombiverkehr<br />
werden Wechselbehälter mit der Bahn von einem<br />
Terminal zum <strong>and</strong>ern transportiert; der Vor- und Nachlauf<br />
erfolgt auf der Strasse. <strong>Die</strong> SBB bietet seit Ende Mai 2000<br />
mit dem Cargo Combi CH (frühere Namen: Pegasus, KLV-<br />
CH) einen Inl<strong>and</strong>transport zwischen Zürich (<strong>Die</strong>tikon) und<br />
Genf an. Geplant ist ein weiterer Halt in Lausanne sowie<br />
eine Verbindung Chiasso-Basel.<br />
Citylogistik: Unter diesem Begriff werden logistische Konzepte<br />
zur Optimierung der Güterversorgung in Städten<br />
verst<strong>and</strong>en. Bislang wurden vornehmlich Konzepte zur<br />
koordinierten Belieferung des Einzelh<strong>and</strong>els in Innenstädten<br />
entwickelt. Ziel einer Reorganisation der Güterdistribution<br />
durch Citylogistik ist vor allem die Entlastung des<br />
innerstädtischen Verkehrsraums vom Güterverkehr mit<br />
Lastwagen.<br />
DIANE (Durchbruch innovativer Anwendungen neuer<br />
Energietechniken): Vom Bund im Jahre 1995 ausgeschriebene<br />
und finanzierte Projekte zum effizienteren Umgang<br />
mit Energie. DIANE 6 ist das Konzept «Transportoptimierung<br />
im Güterverkehr».<br />
Energie 2000: Energie 2000 ist ein Aktionsprogramm des<br />
Bundesamtes für Energie (BFE) und ein Gemeinschaftswerk<br />
von Bund, Kantonen, Gemeinden, Wirtschaft und<br />
Privaten. Ziel des Programms ist die Stabilisierung des<br />
Energieverbrauchs und des CO 2 -Ausstosses und die Erhöhung<br />
des Anteils erneuerbarer Energien. Es setzt auf gemeinsames,<br />
marktorientiertes H<strong>and</strong>eln von Staat, Wirtschaft<br />
und Privaten. Nachfolgeprogramm seit Ende Januar<br />
2001: EnergieSchweiz.<br />
FINÖV: Der «Bundesbeschluss über Bau und Finanzierung<br />
der Infrastrukturvorhaben des öffentlichen Verkehrs» sichert<br />
die Finanzierung für Bahn 2000 (1. und 2. Etappe), die<br />
NEAT, den Anschluss der Ost- und der Westschweiz an das<br />
europäische Hochleistungsnetz und den Lärmschutz entlang<br />
der Eisenbahnstrecken. <strong>Die</strong> Vorlage wurde in einer<br />
Volksabstimmung Ende 1999 angenommen.<br />
Kombinierter Güterverkehr (KV): Oberbegriff für Gütertransporte,<br />
bei denen Ladeeinheiten (Grosscontainer,<br />
Wechselaufbauten, Sattelanhänger oder komplette LKW)<br />
auf der Gesamtstrecke von mindestens zwei verschiedenen<br />
Verkehrsträgern, z.B. Strasse, Schiene oder Wasser befördert<br />
werden. Im Unterschied zu «gebrochenem» Verkehr,<br />
bei dem die Güter selbst umgeladen werden, wechseln bei<br />
der Transportkette des Kombinierten Verkehrs die kompletten<br />
Ladeeinheiten von einem Verkehrsträger zum <strong>and</strong>eren.<br />
Es gilt das Prinzip der Optimierung der Transportkette.<br />
LSVA (Leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe): Ab 1.<br />
Januar 2001 werden alle Fahrzeuge für den Personen- und<br />
Gütertransport mit einem Gesamtgewicht von über 3.5<br />
Tonnen abgabepflichtig. <strong>Die</strong> Abgabe belastet den Schwerverkehr<br />
nach dem Verursacherprinzip (wer viel fährt und so<br />
die Umwelt stärker belastet, bezahlt auch mehr) und ist ein<br />
wichtiger Beitrag zur Kostenwahrheit im Verkehr. Belastet<br />
werden zulässiges Gewicht (Tonnen) und gefahrene Kilometer,<br />
unabhängig von der Auslastung. Ausländische Fahrzeuge<br />
müssen die Abgabe bei der Ausreise aufgrund der<br />
gefahrenen Kilometer in der Schweiz bezahlen. Bei inländischen<br />
Fahrzeugen wird die Abgabe mit einem elektronischen<br />
Erfassungsgerät ermittelt.<br />
Nachhaltigkeit: Nachhaltig ist eine Entwicklung, die die<br />
Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren,<br />
dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht<br />
befriedigen können (World Commission on Environment<br />
<strong>and</strong> Development, 1987, p. 46).<br />
NEAT: 1990 entschied sich die Schweizer Regierung für<br />
den Bau einer Neuen Eisenbahnalpentransversale (NEAT)<br />
mit zwei Basistunnels am Gotthard (57 Kilometer Länge)<br />
und am Lötschberg (36 Kilometer Länge). Mit dem auf 550<br />
m ü.M. liegenden Scheitelpunkt wird die Transversale zum<br />
tiefst gelegenen aller Alpendurchstiche werden. <strong>Die</strong> Steigungen<br />
der neuen Hochleistungsachsen dürfen 12,5 ‰<br />
nicht überschreiten, die Kurvenradien werden nur im Ausnahmefall<br />
kleiner als 4000 m. Das bedeutet, dass grössere<br />
Güterzüge mit Geschwindigkeiten von bis zu 160 km/h und<br />
Personenzüge mit 250 km/h durch den Tunnel fahren werden<br />
können.<br />
NFP 41 Nationales Forschungsprogramm «Verkehr und<br />
Umwelt»: Das NFP 41 sieht sich als Denkfabrik für eine<br />
nachhaltige Verkehrspolitik. Es sucht Lösungsbeiträge aus<br />
allen Fachrichtungen zu einer effizienten, umwelt- und<br />
sozialverträglichen Befriedigung der Mobilitätsbedürfnisse.<br />
Damit sollen die Grundlagen für die künftige Verkehrs-<br />
Kasten 1.1: Erläuterungen zu Fachbegriffen in Zusammenhang mit Themen der Schweizer Verkehrspolitik. <strong>Die</strong> aufgeführten<br />
Begriffe sind sowohl in diesem Kapitel als auch im ganzen B<strong>and</strong> anzutreffen.<br />
Fortsetzung nächste Seite →<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 63
Unterwegs zu einem nachhaltigen Güterverkehr?<br />
politik verbessert und guten Lösungen Auftrieb verschafft<br />
werden. Gemäss dem Umsetzungskonzept von 1998 will<br />
das NFP 41 in erster Linie die Entscheidvorbereitenden in<br />
Verwaltung, Verbänden und Politik ansprechen und diesen<br />
Zielgruppen Impulse für eine nachhaltige Verkehrspolitik<br />
geben.<br />
Rollende L<strong>and</strong>strasse: Bei der Rollenden L<strong>and</strong>strasse wird<br />
der ganze Lastwagen oder Sattelzug samt Chauffeur (im<br />
Liegewagen) auf der Schiene befördert. <strong>Die</strong> Niederflurwagen<br />
(mit Raddurchmessern von lediglich 360/335 mm,<br />
Ladehöhe ca. 410 mm) haben durchgehende Ladespuren,<br />
die ein problemloses Auf- und Wegfahren der Strassenfahrzeuge<br />
ermöglichen.<br />
Swissmetro: Unterirdische Hochgeschwindigkeits-Magnetschnellbahn<br />
zum Personentransport, die die wichtigsten<br />
Siedlungszentren zwischen Genf und St. Gallen und<br />
zwischen Basel und Bellinzona verbindet. Grundlage der<br />
Swissmetro bilden zwei Tunnel, die zwischen 60 und 300<br />
Meter unter dem Boden liegen. Um den Luftwiderst<strong>and</strong> zu<br />
vermindern, wird ein Teilvakuum erzeugt. <strong>Die</strong>se Technik<br />
erlaubt Geschwindigkeiten von bis zu 500 Kilometern pro<br />
Stunde. An den Haltestellen sollen direkte Verbindungen<br />
zu den SBB-Bahnhöfen bestehen. <strong>Die</strong> Forschungsarbeiten<br />
sind so weit abgeschlossen, dass die industrielle Entwicklung<br />
einsetzen kann. Dazu ist vorerst eine Versuchsstrecke<br />
vorgesehen, die in den nächsten Jahren realisiert werden<br />
soll.<br />
Verkehrstelematik: Befasst sich mit der Codierung von<br />
Verkehrsmeldungen, so dass diese sich als digitale Daten in<br />
Fahrzeuge übertragen lassen und dort für eine Reihe von<br />
Umsetzungen zur Verfügung stehen. Kombinierter Einsatz<br />
von verschiedenen technischen Mitteln der Datenerfassung<br />
zu Kontroll- und Planungsanwendungen. So können Informationen<br />
über Verkehrs- und Fahrzeugzustände zu<br />
Kontrollzwecken eingesetzt werden und bei Bedarf kann<br />
steuernd eingegriffen werden. Mit Hilfe der Verkehrstelematik<br />
werden mobilitäts- bzw. verkehrsrelevante Informationen<br />
und gewisse im Fahrzeug erfasste Zustände an zentrale<br />
Einrichtungen übertragen und dort intelligent verarbeitet<br />
(s. a. Mühlethaler, 1998).<br />
Fortsetzung Kasten 1.1: Erläuterungen zu Fachbegriffen in Zusammenhang mit Themen der Schweizer Verkehrspolitik.<br />
schrieben, die Projekte in Konkurrenz vergeben. Dabei sind<br />
sowohl Hochschulinstitute wie auch private Beratungs- und<br />
Forschungsfirmen zum Zuge gekommen. Total wurden 54<br />
Projekte ausgelöst. Rund 100 Fachleute von Bund, Kantonen,<br />
Verbänden und aus der Wirtschaft haben in Begleitgruppen<br />
mitgearbeitet und an Workshops Zwischenresultate<br />
diskutiert. An zwei Dutzend Tagungen wurden Ergebnisse<br />
öffentlich präsentiert und diskutiert. <strong>Die</strong> Verkehrskommissionen<br />
von National- und Ständerat liessen sich die Ergebnisse<br />
an ihrer ersten Sitzung der neuen Legislatur präsentieren.<br />
Bis zum Abschluss des NFP41 Ende Januar 2001 sind<br />
etwa hundert Berichte, Materialienbände und Synthesen<br />
erschienen.<br />
<strong>Die</strong> Projekte decken ein sehr breites Themenspektrum ab.<br />
Es reicht von Mobilitätsmanagement im Personenverkehr<br />
über Unternehmensstragien im Güterverkehr bis zu Strategiemodellen,<br />
von Kostenwahrheit über Telematik bis zu den<br />
Auswirkungen von Swissmetro. Zahlreiche Projekte befassen<br />
sich mit dem Verhältnis Schweiz-Europa im Verkehr<br />
(vgl. Tab. 1.2). 2<br />
2 Weiterführende Informationen:<br />
Umfassendes Internet-Angebot mit allen Kurzfassungen der Berichte und Tagungsprogrammen: www.nfp41.ch.<br />
Projektbeschriebe und aktuelle Informationen finden Sie im Porträt und in den Bulletins. Bestellungen bitte an Nationalfonds, NFP41, Postfach, 3001 Bern,<br />
Fax +41 31 301 30 09.<br />
Publikationen sind erhältlich bei: BBL/EDMZ, CH-3003 Bern, Fax (+41) 031 325 50 58, E-Mail: verkauf.zivil@bbl.admin.ch,<br />
Internet: http://www.admin.ch/edmz.<br />
Weitere Informationen sind erhältlich bei der Programmleitung: Felix Walter, c/o ECOPLAN, Thunstrasse 22, 3005 Bern, Tel. 031/356 61 61,<br />
Fax 031/356 61 60, E-Mail: walter@ecoplan.ch, www.nfp41.ch.<br />
64 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Unterwegs zu einem nachhaltigen Güterverkehr?<br />
2 Bausteine eines nachhaltigen<br />
Güterverkehrs<br />
Das NFP 41 hat unter <strong>and</strong>erem ausgewählte Aspekte des<br />
Güterverkehrs näher untersucht, dabei aber nicht die ganze<br />
Breite des Themas abdecken können. Von besonderer Bedeutung<br />
im Zusammenhang mit den <strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>n 1999<br />
und 2000 sind zwei Projekte, die im Folgenden näher beschrieben<br />
werden. Anschliessend werden – im Sinne erster<br />
Syntheseüberlegungen – einige Bausteine für einen nachhaltigen<br />
Güterverkehr aufgezeigt.<br />
2.1 Regionale Zusammenarbeit im<br />
Güterverkehr<br />
<strong>Die</strong> Unternehmensstrategien betreffend Warenbelieferung<br />
haben sich in den letzten Jahren deutlich gew<strong>and</strong>elt, die<br />
Stichworte dazu lauten «Lean Management», «Just-in-<br />
Time» und «Neue Beschaffungs- und Vertriebsstrategien».<br />
Um den Einfluss dieser Strategien auf den Güterverkehr zu<br />
untersuchen, wurden im NFP 41-Projekt «Unternehmsstrategien<br />
und Güterverkehr» (Thierstein, Schnell & Schwegler,<br />
1999) rund 80 Betriebe in der Region Zug befragt und vier<br />
Fallbeispiele im Detail analysiert. Es zeigt sich, dass die<br />
Unternehmungen immer flexibler werden wollen, womit<br />
Bahntransporte einen schweren St<strong>and</strong> haben. Vor- und<br />
Nachteile für die Umwelt spielen bei den Transportentscheiden<br />
kaum eine Rolle. <strong>Die</strong> regionale Zusammenarbeit der<br />
Betriebe in der Transportlogistik ist kaum entwickelt.<br />
Ausgefeilte Logistik-Konzepte werden unabhängig von<br />
der Grösse und der Branche vor allem von Betrieben entwickelt,<br />
die unter starkem Wettbewerbsdruck stehen. Hier<br />
sehen die Autoren auch einen Ansatzpunkt, damit Betriebe<br />
regional besser zusammenarbeiten und ihre Transporte gemeinsam<br />
effizienter abwickeln könnten (siehe auch Abb.<br />
2.1). Solche regionalen Kooperationen sollten auch von den<br />
Kantonen vermehrt gefördert werden. Ein Engagement der<br />
öffentlichen H<strong>and</strong> im Sinne einer Vermittlung von Interessen<br />
(«Runder Tisch», Koordination von Wünschen der Verlader<br />
an die Infrastruktur, Informationstätigkeit, etc.) kann<br />
insbesondere dazu beitragen, Vorbehalte der Verlader gegen<br />
den Bahntransport abzubauen und die Kontakte zwischen<br />
Unternehmen und Bahn zu fördern. Ein Beispiel auf Bundesebene<br />
für ein solches Engagement wäre die Mitfinanzierung<br />
der Planung eines Binnenkombisystems (KLV-CH,<br />
später Pegasus genannt) oder das Impulsprogramm DIANE<br />
6 (siehe Kasten 1.1), in dessen Rahmen «City-Logistik-<br />
Konzepte» entwickelt und Pilotprojekte durchgeführt wurden.<br />
Weiter muss die öffentliche H<strong>and</strong> die Rahmenbedingungen<br />
für die Bahn und den Kombinierten Verkehr<br />
Abb. 2.1: Möglichkeiten zur Verbesserung des Güterverkehrs in der Region Zug (Quelle: Thierstein, Schnell & Schwegler,<br />
1999).<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 65
Unterwegs zu einem nachhaltigen Güterverkehr?<br />
(Bahn/Strasse) aufwerten, wenn negative Auswirkungen<br />
der neuen Unternehmensstrategien auf die Umwelt vermieden<br />
werden sollen.<br />
2.2 Alpenquerende Güter unter<br />
Zugzwang<br />
Das NFP 41-Projekt B4 unter Leitung von Prof. Rico Maggi<br />
(1999) – man könnte es «<strong>Die</strong> Ökonomie der Alpeninitative»<br />
nennen – umfasste drei Teilstudien zum alpenquerenden<br />
Güterverkehr. Aus der Sicht des Angebots (Rossera & Rudel,<br />
1999), der Nachfrage (Bolis & Maggi, 1999) und möglicher<br />
politischer Förderstrategien (Maibach, Schreyer, &<br />
Lebküchner, 1999) lautet die zentrale Schlussfolgerung: Für<br />
den Markterfolg ist eine zuverlässige und pünktliche Lieferung,<br />
meist über Nacht, besonders wichtig.<br />
2.2.1 Angebot<br />
Angebotsseitig wird gezeigt, wie wichtig das Nachtfahrverbot<br />
und die (zu frühen) Schliessungszeiten der Terminals<br />
sind sowie die Potenziale einer schnelleren Abwicklung von<br />
Kombiverkehrstransporten. Zunehmend wichtig wird die<br />
Unterscheidung in die Marktsegmente des FTL (Full Truck<br />
Load) und LTL (Less than Truck Load), da die logistischen<br />
Anforderungen für LTL viel komplexer sind: <strong>Die</strong> Güter<br />
müssen gebündelt und i.d.R. mehrmals umgeladen werden,<br />
um eine ganze Ladung versenden zu können. Da immer<br />
mehr kleinere Sendungen verfrachtet werden, und an diese<br />
zugleich hohe Anforderungen an Lieferzeiten und Zuverlässigkeit<br />
gestellt werden, gewinnt eine ausgefeilte Logistik –<br />
im Extremfall bis hin zum Expresskurierdienst für Pakete<br />
und dergleichen – stark an Bedeutung. Hingegen verliert die<br />
konventionelle Massensendung (FTL), für welche die Bahn<br />
und der Kombinierte Verkehr ihre Stärken haben, an Bedeutung.<br />
2.2.2 Nachfrage<br />
In der Teilstudie zur Nachfrage wird ein neuartiges Modell<br />
für die Nachfrage im Kombinierten Verkehr, d.h. das Verhalten<br />
der Verlader, vorgestellt. Zudem wurden Geldwerte für<br />
die Transportzeit und die Zuverlässigkeit ermittelt: In einem<br />
dreistufigen Modell entscheidet der Verlader zuerst über den<br />
St<strong>and</strong>ort, die Zulieferer und die Absatzmärkte, dann über die<br />
Verkehrslogistik und erst auf der dritten Stufe über die<br />
Transportdienstleistung. <strong>Die</strong> Befragung von Unternehmungen<br />
hat ergeben, dass das Logistikkonzept und der Wert der<br />
Güter die Wahl die Transportentscheide viel stärker beeinflussen<br />
als etwa die Branche.<br />
Mit simulierten Transportentscheiden (Adaptive Stated<br />
Preference Methode) wurde ermittelt, wie hoch verschiedene<br />
Eigenschaften eines Transportes durch die Verlader gewichtet<br />
werden. <strong>Die</strong> Gewichtung erfolgte in Geldwerten<br />
(vgl. Tab. 2.2). Es liess sich berechnen, dass eine Stunde<br />
Transportzeit pro transportierte Tonne für den Verlader einen<br />
Wert von ca. CHF 1.15 hat. <strong>Die</strong> Zuverlässigkeit ist<br />
hierbei besonders wichtig: Wenn 1% mehr aller Lieferungen<br />
(z.B. 91% statt 90% aller Lieferungen) pünktlich eintreffen,<br />
sind die Verlader bereit, CHF 2.40 pro Stunde und Tonne zu<br />
bezahlen. <strong>Die</strong>s und weitere monetäre Werte der Güterverkehrsnachfrage<br />
werden gegenwärtig dazu benutzt, die<br />
Transportqualität (insbesondere Zuverlässigkeit und Häufigkeit)<br />
in Verkehrsmodellen besser zu berücksichtigen. <strong>Die</strong><br />
Untersuchungen von Maggi zeigen eine «Bahnfrustration»:<br />
bei scheinbar gleichwertigem Angebot bevorzugen Verlader<br />
den Strassen-Transport vor der Schiene (Maggi, 1999).<br />
2.2.3 Politische Einflussgrössen<br />
<strong>Die</strong> Analyse politischer Fördermassnahmen zeigt, wie die<br />
gegenwärtige Verkehrspolitik weiter optimiert werden<br />
kann. <strong>Die</strong> erwartete Umlagerung von der Strasse auf die<br />
Schiene kann demnach nur erreicht werden, wenn unter dem<br />
Druck des Wettbewerbs die Bahnen ihre Produktivität massiv<br />
steigern. <strong>Die</strong> Potenziale für die Verlagerung von der<br />
Strasse auf die Bahn resp. auf den Kombinierten Verkehr<br />
werden im Transitverkehr mit den spürbaren politischen<br />
Eingriffen wie die LSVA, Subventionen oder NEAT als<br />
recht hoch eingeschätzt. Es wird damit gerechnet, die Anzahl<br />
der jährlich alpenquerenden Lastwagen von 1,6 Mio.<br />
auf 800’000 zu halbieren.<br />
Tab. 2.2: Wert einer Verbesserung der verschiedenen Qualitäten pro Tonne und aktuelle Durchschnittswerte für Strasse,<br />
Bahn und kombinierten Verkehr (aus Maggi, 1999, S. 3; Darstellung nach Lebküchner, Maibach & Schreyer, 2000, S. 29).<br />
KV: kombinierter Verkehr.<br />
Faktor CHF/Tonne Verbesserung Durchschnittswerte<br />
Strasse Bahn KV<br />
Transportzeit 1.15 CHF für eine Stunde weniger Transportzeit 45 h 105 h 46 h<br />
Zuverlässigkeit 2.42 CHF für 1% mehr Zuverlässigkeit 95% 90% 90%<br />
Flexibilität 0.37 CHF für eine Stunde weniger Voranmeldezeit 36 h 64 h 56 h<br />
Häufigkeit 1.10 CHF für eine Sendung mehr pro Monat 6 pro<br />
Monat<br />
5pro<br />
Monat<br />
10 pro<br />
Monat<br />
66 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Unterwegs zu einem nachhaltigen Güterverkehr?<br />
3 Erste Synthese zum Güterverkehr<br />
3.1 Politische Gewichtung<br />
Der alpenquerende Transitverkehr ist sicherlich ein Problem,<br />
wird in der politischen Diskussion jedoch tendenziell<br />
überschätzt. Er macht 4% der transportierten Tonnen und<br />
25% der Tonnenkilometer in der Schweiz aus, wobei nur ca.<br />
20% davon auf der Strasse abgewickelt werden. Der Güterverkehr<br />
ist also hauptsächlich hausgemacht. Allerdings<br />
weist der alpenquerende Strassengütertransit die grössten<br />
Wachstumsraten auf (von 1990 bis 1998 Zunahme um 135%<br />
auf der Strasse und 16% auf der Schiene) und st<strong>and</strong> im<br />
Rahmen der Verh<strong>and</strong>lungen zum bilateralen L<strong>and</strong>verkehrsabkommen<br />
sowie in Zusammenhang mit der NEAT im<br />
Mittelpunkt des Interesses. Weiter zeigt sich, dass die Belastungen<br />
für die Infrastruktur, die Bevölkerung und die Natur<br />
in den Transitkorridoren überdurchschnittlich hoch sein<br />
können, hingegen sind die betroffenen Gebiete unterdurchschnittlich<br />
dicht besiedelt.<br />
3.2 Kombinierter Verkehr:<br />
Potenziale und Hindernisse<br />
Es wird viel von Intermodalität gesprochen, aber bislang<br />
verlief die Umlagerung auf den Kombinierten Verkehr (KV)<br />
eher zurückhaltend. <strong>Die</strong> Potenziale sind gemäss der Studie<br />
von Ruesch, Paras & Kettner (2000, S. 11) durchaus vorh<strong>and</strong>en,<br />
allerdings lassen sie sich marktorientiert nur in erheblichem<br />
Mass ausschöpfen, wenn sich an den Rahmenbedingungen<br />
Wesentliches ändert. Insbesondere müssten über die<br />
LSVA hinaus die Trassenpreise gesenkt und die Leistung<br />
des KV und der Bahn generell gesteigert werden können.<br />
Das Anfang 2000 in Betrieb genommene Binnenkombi-<br />
System (KLV-CH bzw. Pegasus) zeigt, dass unter Einbezug<br />
der Verlader auch ein System für relativ kurze Distanzen<br />
(Raum Genf bis Raum Zürich) möglich ist. Zudem zeigt<br />
sich, dass für Netz-Erweiterungen durchaus Potenziale bestehen,<br />
diese aber nur schrittweise realisierbar sind. Um die<br />
wirtschaftlich nötigen Mengen zu erreichen, müssen Güterströme<br />
im Binnen-, Import-/Export- und evtl. Transit-Verkehr<br />
nach Möglichkeit überlagert werden. Dadurch entstünden<br />
aus Wagen des unbegleiteten Kombinierten Verkehrs<br />
und des Einzelwagenladungsverkehrs gekoppelte Züge.<br />
<strong>Die</strong> Hindernisse liegen vor allem darin, dass der KV<br />
insbesondere auf kurzen Distanzen den Anforderungen bezüglich<br />
Zuverlässigkeit, Flexibilität und Preis nicht genügt.<br />
Genau diese Anforderungen steigen aber im Zuge des verschärften<br />
internationalen Wettbewerbs in Zukunft noch weiter<br />
infolge der zunehmend nach Just-in-Time Logik funktionierenden<br />
Logistik und der kleineren Sendungsmengen.<br />
Wichtig ist auch, dass die Schweiz allein – besonders im<br />
Transitverkehr mit ihrem kurzen Streckenanteil – mit ihrer<br />
Preispolitik einen relativ bescheidenen Einfluss hat, da sie<br />
die Zulaufstrecken im Ausl<strong>and</strong> nicht beeinflussen kann.<br />
Ein weiteres Hindernis sind die technischen Systeme und<br />
deren Interoperabilität, so dass die Forderung aufkam, eine<br />
«Behälterpolitik» zu lancieren, d.h. einen «Behälterpool»<br />
durch St<strong>and</strong>ardisierung der Transportbehälter für den KV<br />
einzurichten.<br />
<strong>Die</strong> Liberalisierung im Bahngüterverkehr, die mit der<br />
Bahnreform ab Anfang 1999 zumindest auf dem Papier<br />
Realität geworden ist, wird wohl noch einiges bewirken:<br />
Nebst einem echten Wettbewerb, der durch einige marktbeherrschende<br />
Unternehmungen im Transport- und Terminalbereich,<br />
durch stark regulierte Trassenprioritäten und international<br />
unterschiedliche Systeme noch stark gehemmt<br />
wird, werden vor allem von den indirekten Effekten wie<br />
Kundenorientierung und internationale Zusammenarbeit<br />
deutliche Verbesserungen für den Bahn- und Kombiverkehr<br />
erwartet.<br />
Einen weiteren Aspekt stellt der Aufschwung der italienischen<br />
Häfen dar, bei denen mittels einer besseren Bahnerschliessung<br />
im Hinterl<strong>and</strong> grosse Potenziale realisiert werden<br />
können. Dadurch kann auch ein Teil der rund 5%<br />
alpenquerenden Güter verhindert werden, die heute von den<br />
nordeuropäischen Seehäfen kommend, quer durch die Alpen<br />
nach Süden verfrachtet werden.<br />
Der Kombinierte Verkehr kann mit relativ einfachen Mitteln,<br />
wie flexibleren Terminalöffnungszeiten und schnellerer<br />
Abwicklung an der Grenze, in seiner Effizienz noch<br />
wesentlich gesteigert werden. Insgesamt scheinen die Verlagerungen<br />
von der Strasse auf die Schiene im alpenquerenden<br />
Verkehr vom Bund recht optimistisch prognostiziert zu<br />
sein. Das Nachtfahrverbot für Lastwagen z.B. hat die bilateralen<br />
Verh<strong>and</strong>lungen mit der EU praktisch unbeschadet<br />
überst<strong>and</strong>en. Nur wenn weiterhin alle Instrumente von den<br />
Marktakteuren (namentlich den Bahnen) voll ausgenutzt<br />
werden, besteht die reelle Chance, die ehrgeizigen Verlagerungsziele<br />
zu erreichen.<br />
3.3 City-Logistik<br />
Gemäss den Erfahrungen aus dem Bundesprogramm<br />
DIANE und der Darstellung in der Teilsynthese Güterverkehr<br />
(Ernst Basler + Partner, 2000) ist der Boden für gute<br />
City-Logistik-Konzepte sehr steinig (s. a. Kasten 1.1). Es<br />
zeigt sich, dass koordinierte Liefer- und Verteilsysteme einen<br />
hohen Koordinationsaufw<strong>and</strong> und sehr hohe Kosten<br />
nach sich ziehen. Zudem sind die Güterströme häufig zu<br />
klein und zu dispers, um solchen Systemen zum Erfolg zu<br />
verhelfen und somit auch eine Reduktion der Verkehrsleistungen<br />
und der Emissionen zu erreichen. Dennoch muss<br />
versucht werden, die internationalen und nationalen Güterverkehrskonzepte<br />
vermehrt auch mit den urbanen Konzepten<br />
zu verknüpfen.<br />
3.4 Güterverkehrszentren<br />
Im Zeichen des zunehmenden Güterumschlags haben sich in<br />
jüngster Zeit vermehrt Güterverkehrszentren gebildet, die<br />
nicht nur als Umschlags- und Umladeplattformen dienen,<br />
sondern auch <strong>Die</strong>nstleistungsunternehmungen (Versicherungen,<br />
Logistikberatung, EDV, etc.) anziehen. Zwei Studien<br />
des NFP 41, «Europäischer Güterverkehr: Einbindung<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 67
Unterwegs zu einem nachhaltigen Güterverkehr?<br />
– «intelligente» Zugsbildung bei Güterzügen in hochproduktiven<br />
zentralen und kleineren dezentralen Rangiersystemen<br />
mit Einsatz automatischer Kupplungen und<br />
automatischer Wagenerkennung,<br />
– automatisierte Betriebsleitsysteme bewirken eine effiziente<br />
Abwicklung der Güterzugtransporte,<br />
– internationale Harmonisierung der Strom-, Sicherheitsund<br />
Tarifsysteme und grenzüberschreitender Einsatz von<br />
Personal und Rollmaterial, insbesondere Lokomotiven.<br />
Abb. 3.4: Es ist wenig wahrscheinlich, dass sich in der<br />
Schweiz grössere Güterverkehrszentren realisieren lassen.<br />
<strong>Die</strong> Schweiz sollte aber versuchen, mit hochwertigen <strong>Die</strong>nstleistungen<br />
in grenznahen Logistikregionen präsent zu sein.<br />
(Bild: FS-Büro).<br />
Während eine umweltgerechte Bahntechnologie direkte<br />
Auswirkungen auf die Umweltbelastung hat, führen die<br />
übrigen Innovationslinien zuerst zu einer Steigerung der<br />
ökonomischen Produktivität. Dabei erhöht sich die Auslastung,<br />
wodurch sich indirekt auch die Umweltbilanz verbessert.<br />
Technische Innovationen machen nur dann Sinn, wenn<br />
sie organisatorisch optimal eingebettet sind. Längerfristig<br />
dürfte es für die Güterbahn möglich sein, ihre ökonomische<br />
Produktivität zu verdoppeln und gleichzeitig die Umweltbelastung<br />
zu halbieren, wodurch aus ökologischer Sicht eine<br />
Verbesserung um den Faktor vier pro Transporteinheit gegenüber<br />
heute resultiert.<br />
der Schweiz» (Wagner, Güller & Pillet, 1999) und «Zusatznutzen<br />
von Logistikdrehscheiben» (Poschet, Rumley & De<br />
Tilière, 1999) untersuchen diese Entwicklungen. <strong>Die</strong> Studie<br />
von Wagner et al. stellt im Detail die Beispiele Oberrheingraben<br />
und Lombardei/Tessin dar. Es ist absehbar, dass sich<br />
die grossen Güterverkehrszentren aus Platzgründen ausserhalb<br />
der Schweiz entwickeln werden. <strong>Die</strong> Schweiz sollte<br />
aber versuchen, weiterhin mit hochwertigen <strong>Die</strong>nstleistungen<br />
wie Versicherungen, Informatik, Finanzberatung usw.<br />
in diesen grenznahen Logistikregionen präsent zu sein, um<br />
einen wirtschaftlichen Nutzen aus diesem Aspekt des Güterverkehrs<br />
zu ziehen. Es ist wenig wahrscheinlich, dass sich in<br />
der Schweiz grössere Umschlagplattformen realisieren lassen.<br />
Dennoch zeigt sich, dass diese Entwicklungen raumund<br />
verkehrsplanerisch, aber auch wirtschaftspolitisch von<br />
grösster Bedeutung sind, die Behörden aber bisher noch<br />
keine Strategie gefunden haben, die Güterverkehrszentren<br />
in die aktuelle Politik einzubeziehen. <strong>Die</strong> Autoren regen an,<br />
dass Behörden und private Investoren die grenzüberschreitende<br />
Entwicklungsplanung für diese Logistikregionen verstärken,<br />
z.B. in Form eines koordinierenden Sachplans.<br />
3.5 Umweltverträglichkeit und<br />
Produktivität<br />
Technische Verbesserungen können sowohl bei der Produktivität<br />
als auch bei der Umweltverträglichkeit der Bahn noch<br />
einiges bewirken, so dass ein «Faktor-4» (doppelte Produktivität,<br />
halbierte Umweltbelastung) technisch möglich<br />
scheint: Im Projekt «Zukunftsgüterbahn» (Lebküchner et<br />
al., 2000) haben die Forscher vier Innovationslinien ausgemacht,<br />
die ökologische und ökonomische Verbesserungen<br />
versprechen:<br />
– umweltgerechtere Bahntechnologie: in erster Linie neue<br />
Bremsen zur Senkung der Lärmbelastung,<br />
3.6 <strong>Die</strong> Rollen des Staates<br />
<strong>Die</strong> öffentliche H<strong>and</strong> hat vielfältige Rollen bezüglich Güterverkehr,<br />
eine klare Positionierung wurde jedoch noch nicht<br />
in allen Punkten gefunden:<br />
– <strong>Die</strong> Schweizer Verkehrspolitik hatte sich lange auf den<br />
Personenverkehr konzentriert und im Güterverkehr primär<br />
Infrastrukturpolitik betrieben, z.B. bei der Neuen<br />
Eisenbahn Alpentransversalen (NEAT).<br />
– Mit der Bahnreform 1997 wurde die Rolle des Regulators<br />
durch die Schaffung von Rahmenbedingungen für Netzzugang<br />
und Trassenpreise intensiviert und mit Inkrafttreten<br />
des Alpenschutzartikels (Alpeninitiative, siehe Kasten<br />
1.1) wurde die Rolle als (umwelt-) politische Steuerbehörde<br />
dann deutlich.<br />
– Mit der LSVA, den bilateralen Verträgen mit der EU und<br />
letztlich der Ausschreibung von Umlagerungsleistungen<br />
hat der Bund (Bundesamt für Verkehr) nun eine moderne,<br />
an marktwirtschaftlichen Prinzipien orientierte Förderpolitik<br />
aufgebaut. Er tritt also auch – wie die Kantone im<br />
Personenverkehr – als Besteller auf.<br />
– <strong>Die</strong> Rolle als Miteigentümer wichtiger Bahngesellschaften<br />
wurde ebenfalls erst unter dem Einfluss des New<br />
Public Management und der deutlicheren Trennung von<br />
Eigentümer-Rolle und operativen Entscheiden neu diskutiert<br />
und bei der SBB mit der Schaffung einer Aktiengesellschaft<br />
und einer Leistungsvereinbarung umgesetzt.<br />
– <strong>Die</strong> Rolle als Initiator und Vermittler hat der Staat z.B. im<br />
Rahmen des Programms DIANE 6 (siehe Kasten 1.1)<br />
unter energiepolitischen Gesichtspunkten wahrgenommen,<br />
während sonst der Güterverkehr in der Energiepolitik<br />
meist nicht zur Diskussion st<strong>and</strong>. Ebenfalls kamen<br />
wichtige Anstösse von den Kantonen und später auch<br />
vom Bund, als es um das Binnenkombisystem ging. Es<br />
ist jedoch noch unklar, welche Rolle der Bund hier als<br />
Vermittler genau spielen wird, ebenso wenig ist dies klar<br />
68 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Unterwegs zu einem nachhaltigen Güterverkehr?<br />
bei den raumordnungspolitischen Fragen (z.B. Terminalplanung).<br />
Geht der politische Trend eher in Richtung<br />
vollständiger Liberalisierung oder in Richtung Koordination<br />
und Normierung?<br />
4 Stossrichtungen für die künftige<br />
Politik<br />
Auf der Basis oben beschriebener Ergebnisse lassen sich die<br />
folgenden Stossrichtungen für die künftige Güterverkehrspolitik<br />
skizzieren:<br />
Grundsatz: Es besteht H<strong>and</strong>lungsbedarf<br />
<strong>Die</strong> wirtschaftliche Bedeutung einer effizienten und zuverlässigen<br />
Verkehrs-Infrastruktur des St<strong>and</strong>ortes Schweiz ist<br />
besonders hoch. <strong>Die</strong> Nachhaltigkeit des Güterverkehrs ist<br />
jedoch keineswegs gegeben: Umweltbelastung, externe<br />
Umweltkosten und die Wachstumsraten des Güterverkehrs<br />
sind immens (vgl. Tab. 1.1 und Abb. 4). Den Güterverkehr<br />
umweltfreundlicher zu gestalten ohne Abstriche in Effizienz<br />
und Zuverlässigkeit hinnehmen zu müssen, ist eine Aufgabe,<br />
die sowohl heute wie auch in der Zukunft hohe Anforderungen<br />
stellt.<br />
Datenerfassung und Modellierung<br />
<strong>Die</strong> Liberalisierung droht den klassischen Statistiken den<br />
Teppich unter den Füssen wegzuziehen. Es müssen vermehrt<br />
Anstrengungen unternommen werden, die Lücken in<br />
der Güterverkehrsstatistik zu schliessen (Kooijman, Meyer-<br />
Rühle, Hitz, Schad, & Rommerskirchen, 1999), die Modelle<br />
zu verbessern und die Evaluationen der verkehrspolitischen<br />
Massnahmen zu systematisieren und zu institutionalisieren<br />
(Balthasar & Bächtiger, 1999).<br />
Preispolitik<br />
<strong>Die</strong> LSVA ist bezüglich der Internalisierung der externen<br />
Kosten und den marktwirtschaftlichen Instrumenten ein<br />
Meilenstein, der europaweit bezüglich Konzeption, Erhebungssystem<br />
und Abgabenhöhe seinesgleichen sucht. <strong>Die</strong>se<br />
Politik muss im ganzen Alpenbogen und auf den<br />
Abb. 4: Der Gütertransport in Europa<br />
nimmt stetig zu. Seit 1970 hat sich die<br />
Strassengütertransportleistung mehr als<br />
verdoppelt. Der Anteil der Bahn sinkt<br />
(Quelle: LITRA).<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 69
Unterwegs zu einem nachhaltigen Güterverkehr?<br />
Zulaufstrecken im Ausl<strong>and</strong> zur Anwendung kommen, um<br />
das Instrument griffiger zu machen. Verstärkte internationale<br />
Koordinationsbemühungen sind jedoch dringend nötig<br />
dazu. Zudem gilt es, ein Instrument zur Internalisierung<br />
externer Kosten für Lastfahrzeuge unter 3.5 Tonnen – die<br />
von der LSVA nicht erfasst werden – zu prüfen. Auch eine<br />
stärkere Emissionsdifferenzierung der LSVA, die einen zusätzlichen<br />
Anreiz zum Gebrauch emissionsarmer Fahrzeuge<br />
gibt, stellt eine zu untersuchende Option dar.<br />
Konsequente Liberalisierung<br />
Bei der Bahnreform sind die Erfolg versprechenden Massnahmen<br />
weiterzuführen: Konsequente Liberalisierung, Sicherstellen<br />
des diskriminierungsfreien Netzzugangs (inkl.<br />
Zugang zu Terminal und Rangierleistungen), Überprüfen<br />
der heutigen Prioritätenregeln bei der Trassenvergabe und<br />
der Trassenpreispolitik. <strong>Die</strong> Entwicklungen sollten auch<br />
einem systematischen Monitoring unterworfen werden.<br />
Der Staat als Initiator<br />
Der Güterverkehr ist ein komplexes, international verknüpftes,<br />
kapitalintensives Geschäft. Dessen Abwicklung ist geprägt<br />
von zahlreichen weichen Faktoren wie Information,<br />
langfristige Planungssicherheit, technische St<strong>and</strong>ards, etc.<br />
Es ist daher sicherlich zu rechtfertigen, wenn sich der Staat<br />
engagiert, und zwar in enger Kooperation mit der Wirtschaft,<br />
z.B. in Form eines «runden Tischs» oder eines «Güterverkehrs-Forums»,<br />
allenfalls auch durch eine «Güterverkehrsagentur»,<br />
die im Rahmen von EnergieSchweiz, dem<br />
Nachfolgeprogramm von Energie 2000 (siehe Kasten 1.1),<br />
aktiv werden könnte. Dabei geht es um das Zusammenbringen<br />
von Akteuren, um das Initiieren von guten Lösungen<br />
(Pilotprojekte, Planungsstudien, evtl. Startkapitalien) und<br />
die Koordination von Anliegen der Wirtschafts-, Regionalund<br />
Verkehrspolitik.<br />
Internationale Kooperation<br />
<strong>Die</strong> Schweiz hat im Rahmen der Alpenkonvention, der<br />
Verkehrsministerkonferenz und auch als Beobachterin in<br />
gewissen EU-Ausschüssen durchaus Möglichkeiten, ihre<br />
fortschrittliche Verkehrspolitik noch stärker zu exportieren<br />
(vgl. auch Kux, 2000). Sie muss diese Chancen vermehrt<br />
systematisch ausloten und nutzen.<br />
Überdenken der Rolle des Staates als Eigentümer<br />
Bund und Kantone müssen ihre Mehrfachrollen als Eigentümer,<br />
Regulator, Besteller usw. noch weiter entflechten.<br />
Dabei müssen für das Netz neue Rechts- und Betriebsformen<br />
gefunden werden, allenfalls soll eine gesamtschweizerische<br />
Netzgesellschaft gegründet werden. Beispielsweise<br />
ist die Eigentumsfrage bei den NEAT-Tunnels noch nicht<br />
befriedigend gelöst. Sofern die öffentliche H<strong>and</strong> überhaupt<br />
Eigentümerin bleiben will, muss sie Kooperationen und<br />
Zusammenschlüsse im Güterverkehr fördern, vor allem aber<br />
klare Strategien entwickeln, und sich dann im operativen<br />
Geschäft zurückzuhalten.<br />
Konsequente Kontrollen, marktorientierte Subventionen<br />
<strong>Die</strong> flankierenden Massnahmen zum Verkehrsabkommen<br />
mit der EU (Bilaterale Verträge) umfassen u.a. strengere<br />
Kontrollen für Lastwagengewicht und Ruhezeiten der<br />
Chauffeure. <strong>Die</strong>se sollten konsequent umgesetzt werden<br />
können, damit die Spiesse für Schiene und Strasse gleich<br />
lang sind.<br />
Als Übergangslösung sind auch Subventionen für den<br />
Kombinierten Verkehr und die Rollende L<strong>and</strong>strasse beschlossen<br />
worden. <strong>Die</strong>se Instrumente sollten so eingesetzt<br />
werden, dass keine Transportart (z.B. Einzelwagenladungsverkehr)<br />
und keine Transitachse bevorzugt oder benachteiligt<br />
wird. Es sollen sich diejenigen Transporte durchsetzen,<br />
welche bezüglich der Verlagerungs- und Umweltziele pro<br />
Subventionsfranken am meisten eintragen. Das diesen<br />
Grundsätzen entsprechende System, das sich noch im Aufbau<br />
befindet, sollte systematisch beobachtet und evaluiert<br />
werden (vgl. Maibach, Schreyer & Lebküchner, 1999).<br />
70 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Unterwegs zu einem nachhaltigen Güterverkehr?<br />
5 Ausblick<br />
Literatur<br />
<strong>Die</strong> Ausführungen haben gezeigt, dass es im Güterverkehr<br />
alles <strong>and</strong>ere als einfach ist, einen nachhaltigen Weg einzuschlagen:<br />
<strong>Die</strong> Marktkräfte und die Bedürfnisse der Verlader<br />
stellen die Weichen eher zu Ungunsten der umweltfreundlichen<br />
Verkehrsmittel. <strong>Die</strong> Schweiz hat mit der LSVA, der<br />
NEAT und der Beibehaltung des Nachtfahrverbots sowie<br />
den flankierenden Massnahmen zum L<strong>and</strong>verkehrsabkommen<br />
einige wichtige Wegweiser in die europäische Verkehrsl<strong>and</strong>schaft<br />
setzen können. Pessimisten werden allerdings<br />
eher die Warnzeichen in Form der hohen Wachstumsraten<br />
und der zunehmenden Transportbedürfnisse sehen,<br />
welche aus dem Güterverkehr wohl noch lange Zeit ein<br />
Sorgenkind einer nachhaltigen Entwicklung machen.<br />
Auf dem Weg zu einem nachhaltigen Güterverkehr hat das<br />
NFP 41 zahlreiche Grundlagen bereit gestellt – viel Papier,<br />
aber auch leicht lesbare Kurzfassungen aller Berichte, praktische<br />
H<strong>and</strong>bücher usw. <strong>Die</strong> Umsetzung ist durch die vielen<br />
Kontakte und Tagungen angelaufen, aber nun liegt der Ball<br />
bei den PraktikerInnen in Politik, Verwaltung und Wirtschaft:<br />
Wir hoffen, dass sie sich die Informationen<br />
herauspicken und nutzen, die ihnen dienlich sind, im Interesse<br />
einer nachhaltigen Verkehrspolitik, die auf noch besseren<br />
Grundlagen aufbauen kann. Auch die <strong>Fallstudie</strong> «Zukunft<br />
Schiene Schweiz» der <strong>ETH</strong> ist ein wichtiger Mosaikstein<br />
in dieser Umsetzung: Einzelne Akteure werden noch<br />
intensiver, als dies im NFP 41 möglich war, mit Forschungsergebnissen<br />
konfrontiert, vor allem aber werden junge Umweltnaturwissenschaftler<br />
und Umweltnaturwissenschaftlerinnen<br />
für ein Thema sensibilisiert, das für die nachhaltige<br />
Zukunft der Schweiz von Bedeutung ist.<br />
Balthasar, A. & Bächtiger, C. (1999). Evaluationskonzept für die<br />
schweizerische Verkehrspolitik (Berichte des NFP 41 «Verkehr<br />
und Umwelt» Bericht D14). Bern: EDMZ.<br />
Bolis, S. & Maggi, R. (1999). Modelling the Transport <strong>and</strong> Logistics<br />
Choice of a Shipper (Berichte des NFP 41 «Verkehr und<br />
Umwelt» Bericht M8). Bern: EDMZ.<br />
Ernst Basler + Partner AG (2000). Güterverkehr – Herausforderungen<br />
und Chancen; Teilsynthese des Moduls B (Berichte des<br />
NFP 41 «Verkehr und Umwelt» Bericht S2). Bern: EDMZ.<br />
Kooijman, G., Meyer-Rühle, O., Hitz, P., Schad, H. & Rommerskirchen,<br />
S. (1999). Daten Für die Zukunft. Anforderungen an die<br />
Erneuerung der schweizerischen Verkehrsstatistik (Berichte des<br />
NFP 41 «Verkehr und Umwelt» Bericht A10). Bern: EDMZ.<br />
Kux, S. (2000). Verkehrspolitik EU/Schweiz (Berichte des NFP 41<br />
«Verkehr und Umwelt» Bericht D1). Bern: EDMZ.<br />
Lebküchner, M., Maibach, M. & Schreyer, C. (2000). Zukunftsgüterbahn:<br />
Synthesebericht (Berichte des NFP 41 «Verkehr und<br />
Umwelt» Bericht B5+). Bern: EDMZ.<br />
Maggi, R. (1999). Multimodale Potentiale im transalpinen Güterverkehr<br />
(Berichte des NFP 41 «Verkehr und Umwelt» Bericht B4).<br />
Bern: EDMZ.<br />
Maibach, M., Schreyer, C., Banfi, S., Iten, R. & de Haan, P. (1999).<br />
Faire und effiziente Preise im Verkehr: Ansätze für eine verursachergerechte<br />
Verkehrspolitik in der Schweiz (Berichte des NFP 41<br />
«Verkehr und Umwelt» Bericht D3). Bern: EDMZ.<br />
Maibach, M., Schreyer, C. & Lebküchner, M. (1999). Politikstrategien<br />
zur Förderung des Kombinierten Verkehrs (Berichte des<br />
NFP 41 «Verkehr und Umwelt» Materialienb<strong>and</strong> M9). Bern:<br />
EDMZ.<br />
Mühlethaler F. (1998). Perspektiven der Verkehrstelematik (Berichte<br />
des NFP 41 «Verkehr und Umwelt» Bericht E5). Bern:<br />
EDMZ.<br />
Poschet, L., Rumley, P.-A. & De Tilière, G. (1999). Plates-formes<br />
logistiques multimodales et multiservices (Berichte des NFP 41<br />
«Verkehr und Umwelt» Bericht B9). Bern: EDMZ.<br />
Rossera, F. & Rudel, R. (1999). The supply of combined transport<br />
services. Increasing their market penetration (Berichte des NFP 41<br />
«Verkehr und Umwelt» Bericht M7). Bern: EDMZ.<br />
Ruesch, M., Paras, M. & Kettner, S. (2000). St<strong>and</strong>ort- und Transportkonzepte<br />
für den Kombinierten Ladungsverkehr (Berichte des<br />
NFP 41 «Verkehr und Umwelt» Bericht B2). Bern: EDMZ.<br />
Thierstein, A., Schnell, K.-D. & Schwegler, U. (1999). Unternehmensstrategien<br />
und Güterverkehr: Wirkungen und Zusammenhänge<br />
– gezeigt am Beispiel der Region Zug (Berichte des NFP 41<br />
«Verkehr und Umwelt» Bericht B3). Bern: EDMZ.<br />
Wagner, S., Güller, P. & Pillet, G. (1999). Europäischer Güterverkehr<br />
– Einbindung der Schweiz (Berichte des NFP 41 «Verkehr<br />
und Umwelt» Bericht B7). Bern: EDMZ.<br />
World Commission on Environment <strong>and</strong> Development (1987). Our<br />
common future (1st ed.). Oxford: Oxford University Press.<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 71
So kam Zug zum Zug –<br />
<strong>Die</strong> Perspektive der Region Zug<br />
Autoren:<br />
Ulrich Straub<br />
<strong>Die</strong>ter Müller<br />
Inhalt<br />
1. Einleitung 75<br />
2. St<strong>and</strong>ort Zug: Magnet für den <strong>Die</strong>nstleistungssektor 76<br />
3. Bevölkerungszuwachs: Wie lange noch? 77<br />
4. Vom Kuh- zum Erdölh<strong>and</strong>el 78<br />
5. Streitsüchtige Eisenbahnbauer 82<br />
6. Preiskampf um Gütertransport 83<br />
7. Stadtbahn gegen Verkehrskollaps 85<br />
8. Schlusswort 86
So kam Zug zum Zug<br />
Zusammenfassung<br />
Der Kanton Zug ist bekannt für seine<br />
wirtschaftliche Prosperität, seine flexible,<br />
effiziente Verwaltung und seine<br />
hohe Lebensqualität. Bezeichnend ist<br />
das starke Wachstum im <strong>Die</strong>nstleistungssektor.<br />
Weltfirmen wie Nestlé<br />
und L<strong>and</strong>is & Gyr haben ihren Ausgangspunkt<br />
im Kanton Zug. Der Beitrag<br />
stellt die Entwicklung von Wirtschaft<br />
und Verkehr im Kanton dar.<br />
Beschrieben wird die «Eisenbahneifersucht»<br />
zwischen Zürich und Zug,<br />
welche die Anfänge des Zuger Eisenbahnverkehrs<br />
im neunzehnten Jahrhundert<br />
prägte. Wie der Beitrag aufzeigt,<br />
hängt im Kanton Zug die Bahnentwicklung<br />
eng mit dem Wirtschaftswachstum<br />
zusammen. So war es auch<br />
eine politisch-industrielle Interessengemeinschaft,<br />
welche im Kanton die<br />
Initiative für den Eisenbahnbau ergriff.<br />
Résumé<br />
Le canton de Zoug est connu pour sa<br />
prospérité économique, son administration<br />
flexible et efficace ainsi que<br />
son niveau de qualité de vie élevé. La<br />
forte croissance du secteur tertiaire est<br />
significative. Des entreprises de réputation<br />
mondiale telles que Nestlé et<br />
L<strong>and</strong>is & Gyr ont fait leur début dans<br />
le canton de Zoug. L’article présente<br />
le développement de l’économie et du<br />
trafic dans le canton. Il traite aussi de<br />
la «jalousie du chemin de fer» entre<br />
<strong>Zurich</strong> et Zoug qui a marqué les débuts<br />
du trafic ferroviaire de Zoug au 19 e<br />
siècle. L’article montre à quel point le<br />
développement des chemins de fer<br />
dépend de la croissance économique<br />
dans le canton de Zoug. Rien de moins<br />
étonnant que ce fut une communauté<br />
d’intérêts politico-industrielle qui prit<br />
l’initiative de construire des chemins<br />
de fer.<br />
Summary<br />
The Canton of Zug is known for its<br />
economic prosperity, its flexible <strong>and</strong><br />
efficient authorities <strong>and</strong> its high st<strong>and</strong>ard<br />
of living. One characteristic is the<br />
fast growing services sector. Worldwide<br />
companies such as Nestlé <strong>and</strong><br />
L<strong>and</strong>is & Gyr initiated in the Canton<br />
of Zug. This chapter describes the<br />
development of the economy <strong>and</strong> of<br />
transport within the Canton. The «railway<br />
jealousy» between <strong>Zurich</strong> <strong>and</strong><br />
Zug is depicted – a characteristic of<br />
Zug’s 19 th century railway traffic. As<br />
demonstrated in this chapter, the railway<br />
development in the Canton of<br />
Zug is closely connected with its economic<br />
growth. Consequently, it was a<br />
political-industrial lobby that sparked<br />
the initiative for building a railway in<br />
the Canton.<br />
74 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
So kam Zug zum Zug<br />
1 Einleitung<br />
Als modellhaft und einzigartig wird die Entwicklung Zugs<br />
beschrieben, «ein beinahe mustergültiger Mikrokosmos»,<br />
so charakterisiert der in Zug wohnhafte Historiker Jean-<br />
François Bergier seinen Wohnkanton im Zuger Neujahrsblatt<br />
(Bergier, 1992). Am Beispiel dieses Mikrokosmos,<br />
sagt er, könnten die Wege der westlichen Modernität verfolgt<br />
werden.<br />
Als vorbildlich gelten die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft,<br />
die Bedeutung als H<strong>and</strong>elsplatz, eine kundenorientierte,<br />
flexible Verwaltung und generell die Lebensqualität<br />
für Bewohnerinnen und Bewohner dieser Voralpenregion.<br />
Wie hat sich der W<strong>and</strong>el von einer l<strong>and</strong>wirtschaftlich geprägten<br />
Region zur industriell geprägten Gesellschaft in nur<br />
100 Jahren vollzogen? Welchen Stellenwert hatte in dieser<br />
Entwicklung der Eisenbahnbau und der daraus folgende<br />
Güterverkehr auf der Schiene? 1864 fuhr erstmals eine<br />
Dampflok durch den Kanton Zug. <strong>Die</strong> Streckenführung<br />
Zürich–Luzern verlief damals durch das Knonaueramt via<br />
Cham und Rotkreuz. Ein Anschlussgleis führte von der<br />
Kollermühle nach Zug. Warum wurde nicht gleich von<br />
Anfang an die Strecke durch den Albis realisiert?<br />
<strong>Die</strong> gute Verkehrssituation, die geografische Lage und das<br />
Wachstum Zugs haben dazu geführt, dass der Verkehr zugenommen<br />
hat und es in Spitzenzeiten zu Engpässen kommt.<br />
Während die Bevölkerung das heutige Angebot des öffentlichen<br />
Verkehrs besonders positiv beurteilt, wird die Situation<br />
beim Privatverkehr nur als durchschnittlich taxiert.<br />
Verschiedene Konzepte zum Bau neuer Strassen sind zurzeit<br />
in Bearbeitung. Auch der Ausbau des öffentlichen Verkehrs<br />
ist in den vergangenen Jahren stetig vorangetrieben worden<br />
und wird laufend optimiert (Bau neuer Busspuren, neuer<br />
Stadtzuger Bahnhof). Einen starken Impuls in der Verkehrspolitik<br />
bringt das Projekt einer regionalen Zuger Stadtbahn,<br />
die in Zukunft Erschliessungsfunktion erfüllen soll. <strong>Die</strong><br />
Projektverantwortlichen erhoffen sich durch die Einführung<br />
der «Stadtbahn Zug» eine Attraktivitätssteigerung im öffentlichen<br />
Verkehr und ein vermehrtes Umsteigen von der<br />
Strasse auf die Schiene.<br />
Auch in Zukunft wird der Kanton Zug im Schienenverkehr<br />
eine wichtige Rolle spielen. Fachleute bezeichnen den<br />
St<strong>and</strong>ort Rotkreuz für die Einrichtung eines NEAT-Bahnhofs<br />
als «durchaus von Interesse». Der Zuger Regierungsrat<br />
hat denn auch Rotkreuz im Teilrichtplan Verkehr als NEAT-<br />
Bahnhof aufgeführt.<br />
Abb. 1: Schon in alter Zeit ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt: Der Bahnhof Zug mit<br />
Umsteigemöglichkeit auf die Strassenbahn. (Bild: Archiv ZVB).<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 75
So kam Zug zum Zug<br />
2 St<strong>and</strong>ort Zug: Magnet für den<br />
<strong>Die</strong>nstleistungssektor<br />
«Wählen Sie ihren Geschäftssitz im Kanton Zug. Sie werden<br />
feststellen, dass Sie sich in guter Gesellschaft befinden.<br />
Weltweit bekannte Unternehmen aus verschiedensten Branchen<br />
profitieren bereits von den zahlreichen St<strong>and</strong>ortvorteilen.»<br />
So preist der Zuger Volkswirtschaftsdirektor Robert<br />
Bisig seinen Wirtschaftsst<strong>and</strong>ort in der Informationsbroschüre<br />
der Kontaktstelle Wirtschaft an (Kanton Zug, 1996).<br />
Zug erlebte in den vergangenen Jahrzehnten eine fulminante<br />
wirtschaftliche Entwicklung. <strong>Die</strong> niedrigen Steuern sind ein<br />
Angelpunkt der Attraktivität. Niedrige Steuern und eine<br />
zuvorkommende Verwaltung sind wichtige Aspekte. Der<br />
Zuger H<strong>and</strong>els- und <strong>Die</strong>nstleistungsverb<strong>and</strong> (HDV, 1994)<br />
zeigte in seiner Studie über den H<strong>and</strong>els- und Finanzplatz<br />
Zug aber auch auf, dass die Verfügbarkeit von gut und hoch<br />
qualifizierten Arbeitskräften, die geografische Lage und die<br />
Infrastruktur für die St<strong>and</strong>ortwahl von Unternehmen ebenso<br />
wichtig sind. Auch Aufw<strong>and</strong> und Dauer von Bewilligungsverfahren<br />
sowie die Erhältlichkeit von Ausländerbewilligungen<br />
sind entscheidend. <strong>Die</strong> kantonale Verwaltung hat<br />
sich zum Ziel gesetzt, Termine innerhalb eines Tages gewähren<br />
zu können und Entscheide in einer Frist von 24 Stunden<br />
zu fällen. <strong>Die</strong> vom Bund erlassene Kontingentierung von<br />
Niederlassungsbewilligungen für hoch qualifizierte ausländische<br />
Arbeitskräfte ist eine Einschränkung, die den Behörden<br />
bei der vorh<strong>and</strong>enen Nachfrage immer wieder zu schaffen<br />
macht.<br />
Der wohlhabende Kanton Zug betreibt bewusst Wirtschaftspflege<br />
und nicht Wirtschaftsförderung im klassischen<br />
Sinne, auch wenn auf der Homepage des Kantons Zug<br />
der Begriff Wirtschaftsförderung verwendet wird. Unternehmen<br />
werden weder offen abgeworben noch begünstigt.<br />
Steuernachlässe, Arbeitsplatzzuschüsse oder Baul<strong>and</strong> zu<br />
günstigen Konditionen werden also nicht als Köder benützt.<br />
In der ersten Hälfte der 1990er-Jahre zogen drei internationale<br />
Konzerne von der Stadt Zürich nach Zug: Shell, BP und<br />
Unilever (Neue Zürcher Zeitung, 1997). <strong>Die</strong> Unilever<br />
Schweiz AG nennt vier Punkte, die für ihren St<strong>and</strong>ortentscheid<br />
ausschlaggebend waren: die zentrale Lage für den<br />
öffentlichen und privaten Verkehr, die flexible Gestaltung<br />
von Arbeitsplätzen und Abläufen, die energiesparende Gebäudeleittechnik<br />
im Neubau sowie die generelle Kostensituation.<br />
Das allgemein gute Wirtschaftsklima, die kooperativen<br />
und flexiblen Behörden sowie die bessere Planbarkeit<br />
der Zuger Steuerbelastungen waren für BP die massgeblichen<br />
Faktoren für den Umzug. Shell schliesslich hatte ein<br />
fertig ausgearbeitetes Projekt für einen Neubau in Altstätten,<br />
als das Unternehmen auf leer stehende Büroräumlichkeiten<br />
in Baar stiess. Weil diese den Bedürfnissen der Planer entsprachen,<br />
wurde auf den Neubau verzichtet.<br />
Zug ist im schweizerischen Vergleich nach wie vor ein<br />
überdurchschnittlich industrialisierter Kanton, der einen<br />
überdurchschnittlichen Zuwachs an <strong>Die</strong>nstleistungsarbeitsplätzen<br />
zu verzeichnen hat (Thierstein & Walker, 1995).<br />
Aber sowohl der Zuzug klassischer <strong>Die</strong>nstleistungs- und<br />
H<strong>and</strong>elsunternehmen wie auch die anhaltende Tertiarisierung<br />
der Industrie haben den Prozentanteil der <strong>Die</strong>nstleistungen<br />
an der gesamtwirtschaftlichen Tätigkeit bedeutend<br />
gesteigert. <strong>Die</strong> Erträge aus nicht industriellen Tätigkeiten<br />
nehmen zu. Wirtschaftsführer sprechen bereits von einem<br />
Verlust der technologischen Dynamik. Wenn nicht deutlich<br />
geringere Löhne akzeptiert würden, werde der zweite Sektor<br />
abw<strong>and</strong>ern. Es gibt besorgte Stimmen, die Anstrengungen<br />
zur Sicherung des sekundären Sektors verlangen. Vor allem<br />
vor dem Hintergrund, dass die global tätigen Holdinggesellschaften<br />
dank ihrer hohen Mobilität jederzeit abziehen können.<br />
Millionen von Steuerfranken würden ausbleiben.<br />
Einig sind sich die politischen Entscheidungsträger darin,<br />
dass eine einseitige Ausrichtung auf Finanz- und H<strong>and</strong>elsdienstleistungen<br />
vermieden werden sollte. Im revidierten<br />
Steuergesetz, das im November 2000 zur Abstimmung gelangte,<br />
wird dem insofern Rechnung getragen, als niedere<br />
Einkommen und Gewinne von Unternehmen (bis 100’000<br />
Franken) reduziert besteuert werden. Grundsätzlich aber ist<br />
die Abw<strong>and</strong>erung von Industriearbeitsplätzen kaum nur ein<br />
zugerisches Problem, da in der gesamten Deutschschweiz<br />
ähnliche Tendenzen auszumachen sind. Attraktiv bleibt der<br />
St<strong>and</strong>ort für das Gewerbe und Bauzulieferer dennoch: <strong>Die</strong><br />
hohe wirtschaftliche Tätigkeit des Kantons Zug generiert<br />
kontinuierlich neue Aufträge.<br />
76 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
So kam Zug zum Zug<br />
3 Bevölkerungszuwachs:<br />
Wie lange noch?<br />
<strong>Die</strong> Bevölkerung im Kanton Zug wuchs seit 1850 deutlich<br />
über dem schweizerischen Durchschnitt an (Tugium, 1990).<br />
<strong>Die</strong> Industrialisierung schuf Arbeitsplätze, der Lebensst<strong>and</strong>ard<br />
stieg, die Sterblichkeitsrate sank und die Zuw<strong>and</strong>erung<br />
nahm zu, was vorerst zu einem regelmässigen Wachstum<br />
führte. Zwischen 1798 und 1900 verdoppelte sich die Bevölkerung.<br />
Wiederum eine Verdoppelung der Bevölkerungszahl<br />
f<strong>and</strong> zwischen 1900 und 1960 sowie von 1960 bis 2000<br />
statt. Ab 1950 setzte ein regelrechter Bevölkerungsboom<br />
ein. <strong>Die</strong> Bevölkerungszahl stieg von 42’000 auf heute<br />
98’000 Einwohnerinnen und Einwohner.<br />
Zwischen 1850 und 1880 wirkten sich die Gründungen<br />
industrieller Betriebe stark auf die Bevölkerungszahlen aus<br />
(Br<strong>and</strong>enberg, 1969). In Baar war es die Spinnerei an der<br />
Lorze und in Cham die Anglo-Swiss Condensed Milk Co.,<br />
welche ein im kantonalen Vergleich überdurchschnittliches<br />
Wachstum auslösten. In den 1960er- und 1970er-Jahren<br />
wuchsen durch starke Zuw<strong>and</strong>erung Steinhausen und Hünenberg<br />
sogar um über 100 Prozent. 1910 betrug der Ausländeranteil<br />
an der Bevölkerung 11 Prozent. 1997 ist der<br />
Anteil der ausländischen Bevölkerung auf rund 19 Prozent<br />
angestiegen.<br />
Eine von der Baudirektion des Kantons Zug in Auftrag<br />
gegebene Studie zur Einwohner- und Arbeitsplatzprognose<br />
kam 1995 zum Schluss, dass anfangs des 21. Jahrhunderts<br />
mit einer markanten Abschwächung des Bevölkerungswachstums<br />
zu rechnen sei. Einerseits werde sich die Altersstruktur<br />
deutlich verändern und <strong>and</strong>ererseits die Zuw<strong>and</strong>erung<br />
der ausländischen Bevölkerung deutlich abnehmen.<br />
Trotz steigender Geburtenraten bei Frauen über dreissig<br />
werde es zu einer Abnahme von Geburten kommen. <strong>Die</strong><br />
Zahl der Rentnerinnen und Rentner werde sich verdoppeln.<br />
Der Raum Ennetsee (Cham, Hünenberg, Steinhausen) werde<br />
mittelfristig in Bezug auf die Einwohnerzahl weiterhin<br />
am meisten wachsen, gefolgt vom Gebiet in der Lorzenebene<br />
(Zug, Baar, Steinhausen). <strong>Die</strong> Einwohnerentwicklung im<br />
Berggebiet (Neuheim, Menzingen, Oberägeri, Unterägeri,<br />
Walchwil) bleibe unterdurchschnittlich (Wüest & Partner,<br />
1995).<br />
Wüest & Partner schätzen die Attraktivität des Kantons<br />
Zug als Wohnst<strong>and</strong>ort nach wie vor hoch ein. Sie streichen<br />
die Faktoren steigendes Arbeitsplatzangebot (Prognose),<br />
die Nähe zu Zürich, den niedrigen Steuerfuss und die l<strong>and</strong>schaftliche<br />
Vielfalt besonders hervor. Als Grund für eine<br />
Abschwächung der Zuw<strong>and</strong>erung in den Kanton nennen sie<br />
die Baul<strong>and</strong>preise, die zu höheren Miet- und Kaufpreisen für<br />
Wohnungen und Häuser im Vergleich zu den Nachbarregionen<br />
Zürich, Aargau, Luzern und Schwyz führten.<br />
Interessant in diesem Zusammenhang ist jedoch, dass die<br />
optimistischen Prognosen von Wüest und Partner bezüglich<br />
Bevölkerungs- und Arbeitsplatzentwicklung weit übertroffen<br />
wurden. Darum stellt sich die berechtigte Frage, ob für<br />
die zukünftige Entwicklung der Region Zug die Geburtenrate<br />
nicht irrelevant ist, beziehungsweise ob die demografische<br />
Entwicklung nicht mehrheitlich von einer W<strong>and</strong>erungsbilanz<br />
abhängt, welche in <strong>and</strong>eren Bahnen als in der<br />
übrigen Schweiz verlaufen wird. Möglich ist es, und es<br />
bleibt abzuwarten, wie geschickt die Zuger ihren H<strong>and</strong>lungsspielraum<br />
in Zukunft nützen werden, um attraktiv zu<br />
bleiben. Eine wesentliche Rolle wird dabei auch ein weiterer<br />
Ausbau der Infrastruktur spielen, namentlich im Bereich des<br />
Individualverkehrs und des öffentlichen Transportwesens,<br />
sowie die Bereitstellung von Siedlungsraum, der derzeit vor<br />
allem in der Stadt Zug, wo das Arbeitsplatzangebot am<br />
grössten ist, unzureichend vorh<strong>and</strong>en ist.<br />
Abb. 3: Bevölkerungsentwicklung<br />
im Kanton Zug zwischen<br />
1950 und 1999. Der<br />
Anstieg in den letzten 50 Jahren<br />
ist beinahe linear, gemäss<br />
den Prognosen wird<br />
sich dieser Trend jedoch im<br />
21. Jahrhundert nicht fortsetzen<br />
(Quelle: Wüest &<br />
Partner, 1995).<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 77
So kam Zug zum Zug<br />
4 Vom Kuh- zum Erdölh<strong>and</strong>el<br />
4.1 Geschichtlicher Abriss<br />
Vom Ackerbau zur Heimindustrie über den Aufstieg der<br />
Spinnereien und den Einzug der Elektro- und Metallindustrie<br />
bis zur Ansiedlung der Holding- und Domizilgesellschaften;<br />
die Wirtschaftsentwicklung und letztlich der Zuger<br />
Wohlst<strong>and</strong> spiegelt sich in allen drei Wirtschaftssektoren.<br />
Ein nicht unbedeutender Aspekt der Zuger Wirtschaftsentwicklung<br />
ist die Nähe zum Zürcher Wirtschaftsst<strong>and</strong>ort<br />
unter gleichzeitiger Bewahrung der politischen Eigenständigkeit.<br />
In der Zeit von Ende des 17. bis Anfang des 18.<br />
Jahrhunderts beschäftigten Zürcher Unternehmer im Kanton<br />
Zug Bäuerinnen mit Heimarbeit. Zu ihrer Tätigkeit<br />
gehörte das Spinnen von Seiden- und Wollfäden. <strong>Die</strong> Heimindustrie<br />
war als Vorläufer der späteren Industrien ein wichtiger<br />
Einkommenszweig. Auch die Gründung der Spinnereien<br />
erfolgte mit Zürcher Kenntnissen und Geld. <strong>Die</strong> Papierfabrik<br />
Cham verdankt ihren Aufschwung der Zürcher Besitzerfamilie<br />
Vogel, und die Metallwarenfabrik ist ein Zusammenschluss<br />
von Zürcher und Zuger Kaufleuten. Ab 1905<br />
prägten die Pioniere Heinrich L<strong>and</strong>is aus Richterswil und<br />
Karl Heinrich Gyr aus Zürich den weltumspannenden Konzern<br />
L<strong>and</strong>is & Gyr. Weil es bis 1891 (Gründung der Zuger<br />
Kantonalbank) auf dem Platz Zug keine Grossbank gab,<br />
wurden Zuger Finanzgeschäfte über Zürcher Banken<br />
abgewickelt. Günstig auf die Industrialisierung hat sich der<br />
Lorzenlauf als billige Wasserkraft vom Ägerisee bis zum<br />
Zugersee ausgewirkt. An ihren Ufern entst<strong>and</strong>en die ersten<br />
Fabriken. Wolfgang Henggeler-Schmid baute die erste<br />
Spinnerei 1834 in Unterägeri. Es folgten Gründungen in<br />
Neuägeri und Zug. Baumwollwebereien entst<strong>and</strong>en in der<br />
Kollermühle in Zug sowie in Hagendorn. Im Laufe des 17.<br />
Jahrhunderts setzte eine erste sanfte Industrialisierung ein.<br />
Ab 1870 gilt Zug als Industriekanton.<br />
Mit den ersten Steuergesetzänderungen anfangs des 20.<br />
Jahrhunderts (Bevorzugung der Kapitalgesellschaften) war<br />
der Grundstein für die Zukunft des <strong>Die</strong>nstleistungssektors<br />
gelegt. <strong>Die</strong> Revision der Steuergesetzgebung von 1946 begünstigte<br />
weiterhin Kapital- und gemischte Gesellschaften.<br />
Durch die Industriekrise, den Ölpreisschock und den Anstieg<br />
der Produktionskosten in den 70er-Jahren verlangsamte<br />
sich auch in Zug das Industriewachstum. Ab 1976 übernahm<br />
der <strong>Die</strong>nstleistungssektor eine führende Rolle, und es<br />
arbeiteten erstmals mehr Leute im <strong>Die</strong>nstleistungssektor als<br />
im Industriesektor. <strong>Die</strong> im 19. Jahrhundert aufsteigende<br />
Textilindustrie, die am meisten Personal beschäftigte, wurde<br />
ab 1920 von der Maschinen- und Apparateindustrie in Bezug<br />
auf Personal und Umsatz überholt. Massgeblich daran<br />
beteiligt war die Entwicklung der L<strong>and</strong>is & Gyr. Während<br />
die Nahrungs- und Genussmittelindustrie durch die Schliessung<br />
der Chamer Kondensmilchfabrik schon 1932 massiv<br />
an Personal verlor, waren die Erwerbszweige Herstellung<br />
und Bearbeitung von Metallen (Metallwarenfabrik und Verzinkerei,<br />
Zug) sowie Papierindustrie (Papierfabrik Cham)<br />
bereits wichtige Arbeitgeber. Der Zuwachs an Arbeitsplätzen<br />
entwickelte sich ab 1950 vor allem im Gebiet zwischen<br />
Zug, Baar und Cham (Kanton Zug, 1999).<br />
Heute überwiegt im Kanton Zug der <strong>Die</strong>nstleistungssektor.<br />
Philip Brothers, Salomon Brothers und Marc Rich legten<br />
die Basis für den Grossh<strong>and</strong>el. Im Bereich Grossh<strong>and</strong>el/H<strong>and</strong>elsvermittlung<br />
sind knapp ein Viertel der im dritten<br />
Sektor Beschäftigten angestellt. Heute erzielen die in Zug<br />
niedergelassenen Grossh<strong>and</strong>elshäuser Metro (Detailh<strong>and</strong>el)<br />
und Glencore International (Rohwarenh<strong>and</strong>el) Milliardenumsätze.<br />
Was das geh<strong>and</strong>elte Erdölvolumen betrifft, ist Zug<br />
heute der viertgrösste H<strong>and</strong>elsplatz der Welt. Im gesamtschweizerischen<br />
Vergleich untervertreten sind die <strong>Die</strong>nstleistungsbereiche<br />
Gastgewerbe, Verkehr und Transport, Nachrichtenübermittlung,<br />
Gesundheitswesen und öffentliche<br />
Verwaltung. Auch der Sektor Banken und Finanzen ist<br />
gesamtschweizerisch gesehen untervertreten. Zugs Finanzgeschäfte<br />
werden noch immer in Zürich getätigt. Eine von<br />
der Zuger Finanzdirektion in Auftrag gegebene, 1987 verfasste<br />
Studie über ökonomische Wirkungszusammenhänge<br />
in der Wirtschaftsregion Zug nennt die Privilegierung der<br />
gemischten Gesellschaften als Hauptgrund für das Aufblühen<br />
des internationalen H<strong>and</strong>els (Kanton Zug, 1987). Sicherlich<br />
trägt die ab 1946 einsetzende liberale Steuerpraxis<br />
Abb. 4.1: Erwerbsanteil<br />
der<br />
drei Wirtschaftssektoren<br />
L<strong>and</strong>wirtschaft,<br />
Industrie<br />
und<br />
<strong>Die</strong>nstleistungen<br />
(Quelle: Kanton<br />
Zug, 1999).<br />
78 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
So kam Zug zum Zug<br />
zu dieser Entwicklung bei. <strong>Die</strong> bis Ende der 60er-Jahre<br />
industriell geprägte Wirtschaft wird zur <strong>Die</strong>nstleistungsökonomie.<br />
Im Gleichschritt mit der gesamtschweizerischen<br />
Entwicklung hat der Anteil der L<strong>and</strong>wirtschaft an der Gesamtwirtschaft<br />
seit Anfang des 20. Jahrhunderts stetig abgenommen<br />
(Kanton Zug, 1999).<br />
4.2 Von Milch und Kühen<br />
Charles Page, amerikanischer H<strong>and</strong>elsvizekonsul in Zürich,<br />
gründete 1866 die Anglo-Swiss Condensed Milk Company<br />
(später Nestlé) in Cham. Seine Absicht war es, die überreichlich<br />
vorh<strong>and</strong>enen Milchmengen kommerziell zu nutzen.<br />
Ihren Ursprung nahm die Kondensmilchindustrie in<br />
den Vereinigten Staaten. <strong>Die</strong>se für die L<strong>and</strong>wirtschaft bedeutende<br />
Firmengründung beschleunigte die Umstellung<br />
vom Ackerbau zur Milchwirtschaft. <strong>Die</strong> Chamer Bauern<br />
vermochten die grosse Nachfrage nach Milch nicht zu dekken.<br />
Zusätzliche Milch musste vom Freiamt und Säuliamt<br />
sowie vom Bezirk Küssnacht am Rigi gekauft werden.<br />
Warum fiel die St<strong>and</strong>ortwahl auf das Städtchen Cham am<br />
Ufer des Zugersees? Im Gespräch war auch das Dörfchen<br />
Wald im Kanton Zürich. Ausschlaggebend für die Wahl des<br />
Produktionsst<strong>and</strong>ortes war sicherlich der Vieh- und<br />
Milchreichtum der Region. Hermann Steiner schrieb zum<br />
100-Jahr-Jubiläum der Nestlé über die St<strong>and</strong>ortwahl (in<br />
Heer, 1966): «Doch dürfte die kurz vorher erbaute Eisenbahnlinie<br />
Luzern–Cham–Zürich der Nord-Ostbahn (NOB)<br />
mit ihren bereits bestehenden Anschlüssen nach Basel,<br />
Frankreich und Deutschl<strong>and</strong> nicht wenig zu diesem Entscheid<br />
beigetragen haben. ... über Basel wurden die gewaltigen,<br />
zur Kondensmilchfabrikation benötigten Zuckermengen<br />
und das nicht minder bedeutende Verpackungsmaterial<br />
aus dem Ausl<strong>and</strong> eingeführt. Wald wurde erst 1876<br />
an das Bahnnetz angeschlossen.».<br />
<strong>Die</strong> Anglo-Swiss Condensed Milk Company ersuchte<br />
1874 die NOB um ein Lagerhaus auf dem Stationsplatz samt<br />
Schienenverbindung zum Fabrikareal. Begründet wurde das<br />
Gesuch mit den gewaltigen Tonnagen sowohl an Materialbedarf<br />
als auch an Produktevers<strong>and</strong>. Nach Streitigkeiten<br />
über die zu zahlenden Wagengebühren entst<strong>and</strong> erst 1910<br />
ein Industriegleis. 1913 kam es zwischen Milchlieferanten<br />
und ihren Abnehmern zum «Milchkrieg». Eine Senkung des<br />
Milchpreises von 20 auf 16 Rappen pro Kilo akzeptierten<br />
die Lieferanten nicht. Einzelne Bauern schlossen folglich<br />
Sonderverträge mit der «Milchsüdi» ab. 1932 kam es<br />
schliesslich zur Schliessung der Fabriktore in Cham. Begründung:<br />
<strong>Die</strong> Milchpreise seien nicht mehr konkurrenzfähig.<br />
Nestlé hat noch heute den Firmensitz in Cham, wo die<br />
Aktien weltweit verwaltet werden. <strong>Die</strong> Konzernverwaltung<br />
befindet sich in Vevey (Heer, 1966).<br />
4.3 Flachs und Hanf per Bahn<br />
Heinrich Ulrich Vogel-Saluzzi erwarb 1861 die Papierfabrik<br />
Cham. Er hatte wie Wolfgang Henggeler-Schmid, Gründer<br />
der Spinnereien Ägeri und Baar, ein grosses Interesse an<br />
einem Eisenbahnanschluss. Für die Umsetzung der zugerischen<br />
Eisenbahnpläne setzten sie sich im zug-zürcherischen<br />
Eisenbahn-Komitee ein (siehe Abschnitt 5 Streitsüchtige<br />
Eisenbahnbauer). Grund dafür waren die in der Region<br />
fehlenden Rohstoffe für die Herstellung von Baumwollgarn.<br />
Sie mussten «importiert» werden. Baumwolle kam aus dem<br />
Mittleren Osten oder aus Amerika, Flachs und Hanf für<br />
«Papierlumpen» aus der Ostschweiz. Bis 1917 besorgten<br />
Ross und Wagen den Transport der Rohstoffe und fertigen<br />
Papiere durch das Dorf zum Bahnhof. Im <strong>Die</strong>nst der Papierfabrik<br />
st<strong>and</strong>en bis zu fünfzehn Pferde. Zweimal pro Tag<br />
fuhren Vierspänner mit Rugeln nach Hagendorn und brachten<br />
Holzschliff in die Fabrik zurück. Der <strong>Die</strong>nst dauerte von<br />
vier Uhr morgens bis abends acht Uhr. Im Winter konnte es<br />
vorkommen, dass die Pferde in die Lorze abrutschten. 1897<br />
brach bei der Nordostbahn ein Streik aus. Das Papier musste<br />
nun mit Fuhrwerken bis nach Zürich geführt werden. Als<br />
Ergänzung zu den Fuhrwerken trat 1917 der erste Lastwagen<br />
in den <strong>Die</strong>nst. <strong>Die</strong> Streckenerweiterung des «Nestlégleises»<br />
Abb. 4.2: <strong>Die</strong> Reklame «Milchmädchen –<br />
Kondensierte Milch» weist auf die Produktionsanlagen<br />
der Nestlé hin. (Bild:<br />
Sammlung Hermann Steiner).<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 79
So kam Zug zum Zug<br />
Abb. 4.3: Ansichtsplan der Papierfabrik<br />
Cham AG um 1957<br />
mit weitverzweigten Gleisanlagen<br />
auf dem Werkgelände<br />
(grau). (Quelle: Arnet & Müller,<br />
1957).<br />
verhalf der Papierfabrik Cham zu einem eigenen Anschluss<br />
an die Bahnlinie. <strong>Die</strong> SBB hatte ein ursprüngliches Projekt<br />
über die Schluecht nach der Station Steinhausen verworfen.<br />
Am 9. März 1920 fuhr die Akkumulator-Fabriklokomotive<br />
erstmals mit einem «Papieri-Güterzug» nach der Station<br />
Cham (Arnet & Müller, 1957). Der Bau der zweiten Etappe<br />
des Anschlussgleises nach dem Holzplatz erfolgte 1927.<br />
Heute ist die Papierfabrik Cham-Tenero ein weltweit exportierendes<br />
Unternehmen. Sie ist in kleinen Nischenmärkten<br />
mit Spezialpapieren tätig. Der quietschende «Papieri-Güterzug»<br />
ist nicht aus dem Chamer Stadtbild wegzudenken. Er<br />
besorgt noch heute den Warentransport zwischen dem Bahnhof<br />
und der Fabrikanlage.<br />
4.4 Tüftler gründet einen Zuger<br />
Weltkonzern<br />
«Electrotechnisches Institut Theiler & Cie.», «H. L<strong>and</strong>is,<br />
vormals Theiler & Cie.», ab 1905 «L<strong>and</strong>is & Gyr Kollektivgesellschaft»,<br />
später «L<strong>and</strong>is & Gyr AG» (LG). Der Name<br />
des ehemaligen Weltkonzerns, der Ende der 1960er-Jahre<br />
mit knapp 6000 Beschäftigten in Zug den höchsten Personalst<strong>and</strong><br />
in der Firmengeschichte am St<strong>and</strong>ort Zug erreichte,<br />
ist aus der Zuger Industriel<strong>and</strong>schaft verschwunden. Nachdem<br />
1987 eine Mehrheit der LG-Erben ihre Anteile an<br />
Stephan Schmidheiny veräussert hatten, geriet der Zuger<br />
St<strong>and</strong>ort unter massivem Druck. Arbeitsplatzabbau und<br />
Produktionsverlagerungen waren die Folge. Neun Jahre<br />
später verkaufte Schmidheiny seine Anteile Gewinn bringend<br />
an die im Besitz der CS stehende Electrowatt. Kurze<br />
Zeit darauf erfolgte eine industriell motivierte Übernahme<br />
des Industriekonzerns durch Siemens. Heute erinnert in Zug<br />
einzig ein Strassenschild auf dem ehemaligen Firmenareal<br />
an den weltbekannten Namen. In die L<strong>and</strong>is&Gyr-Strasse 1<br />
ziehen neue Firmen ein.<br />
Das Theilerhaus an der Hofstrasse 13 ist die Geburtsstätte<br />
der L<strong>and</strong>is & Gyr. Dort liess Richard Theiler, Sohn einer<br />
international orientierten Erfinderfamilie, von 1896 an Zähler<br />
zur Messung von Wechselstrom nach dem Induktionsprinzip<br />
bauen. Das Areal war wegen seiner Lage am<br />
Berghang ungeeignet für die nötig gewordenen Ausbauten.<br />
Zudem war es mit geeigneten Strassen schlecht erschlossen.<br />
In Auftrag gegebene Studien schlugen eine neue Fabrikanlage<br />
ausserhalb Zugs, eventuell nahe der L<strong>and</strong>esgrenze vor.<br />
<strong>Die</strong> L<strong>and</strong>is & Gyr lieferte den weitaus grössten Teil ihrer<br />
Produkte ins Ausl<strong>and</strong>. Das Wegfallen der Transportkosten<br />
für das Rohmaterial, das in grossen Mengen aus dem Ausl<strong>and</strong><br />
bezogen wurde, hätte durch einen St<strong>and</strong>ortwechsel<br />
hohe Ersparnisse gebracht. Zahlreiche Gemeinden lockten<br />
mit günstigen Bodenpreisen und Steuerprivilegien sowie<br />
niedrigen Tarifen für elektrische Energie und Gas. Vor einer<br />
definitiven Entscheidung konsultierte die L<strong>and</strong>is & Gyr die<br />
Behörden und gewerblichen Verbände von Stadt und Kanton<br />
Zug. Für die L<strong>and</strong>is & Gyr hatte ein Terrain in Bahnhofsnähe<br />
mit Erweiterungspotenzial, geeignet für eine rationelle<br />
Bebauung, absolute Priorität. Es kam schliesslich 1928 zu<br />
einem Kaufvertrag zwischen der Korporation Zug und der<br />
L<strong>and</strong>is & Gyr. Das neue Fabrikterrain bef<strong>and</strong> sich innerhalb<br />
der Gleisschleife. Folgende Grundsätze galt es für die Bebauungspläne<br />
einzuhalten: rationelle Warenzu- und -abfuhr<br />
sowie einen fortlaufenden, ungestörten Verarbeitungsprozess<br />
des Materials während der Fabrikation. <strong>Die</strong> Möglichkeit<br />
eines direkten Anschlusses an die Gleise der SBB war<br />
ebenfalls vorgesehen. Laut Auskunft der Siemens Transportabteilung<br />
wird der Gleisanschluss heute nicht mehr benutzt.<br />
Unter der Leitung von Karl Heinrich Gyr wurde die<br />
L<strong>and</strong>is & Gyr zu einem sozialen und fortschrittlichen Unternehmen<br />
ausgebaut und war auf vielen Gebieten ihrer Zeit<br />
voraus. 1915 entst<strong>and</strong> ein Beamten- und Arbeiterfonds,<br />
1921 ein Fonds für Tuberkulosebekämpfung und 1923 ein<br />
Unterstützungsfonds für unverschuldete Notlagen. Bereits<br />
80 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
So kam Zug zum Zug<br />
Abb. 4.4: Vers<strong>and</strong> in alle Herren Länder: Mit der Fertigstellung<br />
des Fabrikneubaus Gubelstrasse hatte die Spedition<br />
der L<strong>and</strong>is & Gyr ab 1929 direkten Bahnanschluss (Quelle:<br />
(L<strong>and</strong>is & Gyr, 1946).<br />
1915 wurde der Ferienanspruch der Arbeitnehmer geregelt<br />
und mehrmals erhöht. Ab 1914 gewährte die Firma eine<br />
dreimonatige Salärnachzahlung bei Militärdienst, und 1918<br />
f<strong>and</strong> die Gründung einer Betriebskrankenkasse mit Familienversicherung<br />
statt. Alle Arbeitnehmer wurden gegen Betriebs-<br />
und Nichtbetriebsunfälle versichert. 1919 entst<strong>and</strong><br />
eine Arbeitnehmervertretung mit Beteiligung der Frauen. In<br />
100 Jahren hat sich die L<strong>and</strong>is & Gyr von einem kleinh<strong>and</strong>werklichen<br />
Betrieb zu einer multinational tätigen Gesellschaft<br />
mit Produktions- und Verkaufsstätten in der ganzen<br />
Welt gew<strong>and</strong>elt. St<strong>and</strong> am Anfang die Produktion von Elektrizitätszählern<br />
im Vordergrund, diversifizierte die Firma<br />
später in die Fernwirktechnik und Gebäudeleittechnik<br />
(Straub & Schneider, 1931).<br />
4.5 Europapremiere in Zug<br />
Der Gebrauch elektrischer Energie erlaubte es den Unternehmen,<br />
ihre St<strong>and</strong>ortwahl unabhängig von Wasserläufen<br />
zu treffen. Der Stromtransport machte Firmengründungen<br />
in der Stadt Zug möglich. <strong>Die</strong> 1887 in Metallwarenfabrik<br />
(«Metalli») umbenannte Emailfabrik (1880 gegründet)<br />
nutzte Wasser vom Zugerberg, um einen kleinen Gleichstrommotor<br />
anzutreiben. <strong>Die</strong> Metallwarenfabrik war auch<br />
der erste Betrieb in der Stadt Zug, der über eine Leitung<br />
Strom vom Elektrizitätswerk im Lorzentobel bezog. 1881<br />
wurde das Lagerhaus mit Gleisanschluss gebaut. <strong>Die</strong> Produktepalette<br />
umfasste emaillierte und verzinnte Gegenstände<br />
für Haushalt, Schilder und Molkereiartikel. Hinzu kamen<br />
Kühlschränke, Badewannen, Kochherde und Backöfen.<br />
Stahlhelme für die Schweizer Soldaten sowie Gamellen,<br />
Feldkochkessel und Kochkisten wurden in Zug produziert.<br />
1913 schliesslich gründeten der Zürcher Oscar Weber,<br />
Sohn des «Metalli»-Gründers, die Herren Clemenz Iten,<br />
Caspar Stocklin und Fabrikdirektor Oskar Straub aus Basel<br />
die Verzinkerei Zug im Göbli-Gebiet der Stadt Zug, nahe des<br />
von der Korporation Zug erstellten Industriegleises. Das<br />
Fabrikareal umfasste 14’000 Quadratmeter. Der Preis pro<br />
Abb. 4.5: Flugaufnahme der Email- und Metallwarenfabrik<br />
Zug in den 30er Jahren. (Bild: Metallwaren Holding AG).<br />
Quadratmeter betrug damals zwei Franken fünfzig. Das<br />
Unternehmen war anfänglich auf Heisszinkerei und das<br />
Verzinken von Blechwaren ausgerichtet. Heute sind Kochherde,<br />
Waschmaschinen und Geschirrspülautomaten Haupterzeugnisse<br />
der V-Zug AG. In Zug wurde Europas erste<br />
automatische Waschmaschine gebaut. Der Bahnanschluss<br />
wird heute nur noch für die Anlieferung von Halbfabrikaten<br />
und H<strong>and</strong>elsartikeln, welche nicht selbst von der V-Zug<br />
hergestellt werden, benützt.<br />
<strong>Die</strong> Metallwaren-Gruppe, bestehend aus der Verzinkerei<br />
Zug, der Metallwarenfabrik und der WEZ Kunststoffwerk<br />
AG Oberentfelden, schrieb in den 1960er-Jahren konstant<br />
Verluste. Schliesslich wurde die defizitäre Metallwarenfabrik<br />
in die Verzinkerei integriert. <strong>Die</strong>s schuf die Voraussetzung<br />
zur Neunutzung grosser Grundstücke mitten in der<br />
Stadt Zug. Neben dem Pfeiler der Industriebetriebe entst<strong>and</strong>en<br />
als Rechtsnachfolgerin der früheren Metallwarenfabrik<br />
die MZ-Immobilien AG und als dritter Pfeiler der Finanzbereich.<br />
Auf dem ehemaligen Areal der «Metalli» steht heute<br />
eine Überbauung gleichen Namens mit einem Grossverteiler,<br />
rund 30 Detailgeschäften, Büros und 48 Wohnungen.<br />
<strong>Die</strong> Bauherrengemeinschaft «Metalli», an der die MZ-Immobilien<br />
AG mehrheitlich beteiligt ist, realisierte 1987 auf<br />
einem ehemaligen Industrieareal für rund 140 Millionen<br />
Franken ein neues «Wahrzeichen» der Stadt Zug. Ein Zeugnis<br />
für die Industriestadt Zug war verschwunden. Gleichzeitig<br />
entst<strong>and</strong> ein weiteres Symbol für die Tertiarisierung der<br />
Zuger Wirtschaft (Verzinkerei Zug AG, 1963).<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 81
So kam Zug zum Zug<br />
5 Streitsüchtige Eisenbahnbauer<br />
Am 31. Mai 1864 fuhr erstmals eine Dampflok durch den<br />
Kanton Zug. <strong>Die</strong> Streckenführung Zürich–Luzern verlief<br />
damals durch das Knonaueramt via Cham und Rotkreuz. Ein<br />
Anschlussgleis führte von der Kollermühle nach Zug. Steinhausen<br />
erhielt 1904 eine eigene Bahnstation. Heute fahren<br />
die blauweissen Doppelstockzüge der Zürcher S-Bahn<br />
durchs Knonaueramt. <strong>Die</strong> S9-Linie verbindet Zug mit Uster<br />
via Affoltern am Albis. Damals dauerte die Bahnreise Zürich<br />
- Zug eineinhalb Stunden. Fünfmal täglich fuhr ein<br />
Dampfzug in Zug ein. 33 Jahre nachdem das Eisenbahnzeitalter<br />
im Kanton Zug Einzug gehalten hatte, verkehrten die<br />
ersten Dampfzüge auf der Gotthardbahnstrecke über Thalwil<br />
durch den Zimmerberg- und Albistunnel nach Arth-<br />
Goldau. Baar und Walchwil bekamen eine eigene Bahnhofanlage.<br />
Im Jahre 2000 verkehren die Züge von Zug aus im<br />
Halbstundentakt über Thalwil nach Zürich. <strong>Die</strong> Fahrt dauert<br />
nur noch 25 Minuten. Im Juni 2001 wird der Bahnhof Baar<br />
für den Güterverkehr geschlossen. Einer der Gründe ist das<br />
geringe Güterverkehrsaufkommen dieser Station.<br />
Welche Auswirkungen hatte der Eisenbahnbau? Geografische<br />
Knoten- und Kreuzungspunkte erfuhren eine Begünstigung.<br />
Der Bahnbau führte zu höheren Investitionen, was<br />
eine vermehrte kaufkräftige Nachfrage auslöste. Schliesslich<br />
führten die industriellen Ballungen nicht nur zu Wachstumsvorgängen,<br />
sondern auch zu Arbeitsteilungs-, Spezialisierungs-<br />
und Differenzierungseffekten. <strong>Die</strong> Eisenbahn<br />
legte die Basis und beschleunigte zugleich die kulturellen,<br />
wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen, die für den<br />
Lebensstil des 20. Jahrhunderts verantwortlich waren.<br />
<strong>Die</strong> Initiative für die erste Eisenbahnlinie im Kanton Zug<br />
ergriff eine politisch-industrielle Interessengemeinschaft.<br />
Hintergrund waren marktwirtschaftliche und entwicklungspolitische<br />
Überlegungen. Mit von der Partie waren in diesem<br />
zürcherisch-zugerischen Initiativkomitee liberaler und<br />
konservativer Gesinnung fünf Persönlichkeiten. L<strong>and</strong>ammann,<br />
Statthalter und Grossratspräsident Franz Josef Hegglin<br />
(konservativ) war Mitbegründer der «Kreditanstalt in<br />
Zug» (1851) und hatte ein Interesse an einer industriellen<br />
und allgemein wirtschaftlichen Belebung des Kantons.<br />
Oberst Franz Müller (liberal) hatte während seiner 26-jährigen<br />
Amtszeit als Regierungsrat das zugerische Strassenwesen<br />
unter sich. Er war Mitbegründer der Zuger Dampfschiff-<br />
Gesellschaft und der kantonalen Sparkasse. Der Dritte im<br />
Bund war Spinnereigründer Wolfgang Henggeler-Schmid.<br />
Als Zuger Regierungs- und Grossrat pflegte er den Liberalismus<br />
und war befreundet mit Alfred Escher, dem Präsidenten<br />
der Nordostbahn. Vierter im Bund war Henggelers<br />
Schwiegervater, der Zürcher Grossindustrielle Heinrich<br />
Schmid. Der Fünfte schliesslich war Heinrich Ulrich Vogel-<br />
Saluzzi, der spätere Besitzer der Papierfabrik Cham. 1856<br />
reichte das Komitee ein erstes Gesuch um eine Eisenbahnkonzession<br />
ein: «Man f<strong>and</strong> es in allseitigem Interesse, dass<br />
von Zürich aus durchs Sihltal nach Zug, Brunnen an den St.<br />
Gotthard und von Zug nach Luzern eine Eisenbahn angestrebt<br />
werde, um den Transit mit dem St. Gotthard leichter<br />
zu vermitteln und die zwischen diesem Alpenpass und Zürich<br />
liegenden Ortschaften im Verkehr zu unterstützen.» (in<br />
Schalch, 1997). <strong>Die</strong> Linienführung auf Zuger Boden verlief<br />
von der Sihlbrücke über Baar, Zug entlang des Zugersees bis<br />
an die Schwyzer Grenze. Von Zug aus verlief die Strecke<br />
über Cham gegen Honau nach Luzern. <strong>Die</strong>ses visionäre<br />
Projekt entspräche noch heute genau den Anforderungen der<br />
SBB. <strong>Die</strong> Geschichte nahm jedoch einen <strong>and</strong>eren Verlauf.<br />
<strong>Die</strong> Bundesversammlung genehmigte die Zuger Konzession<br />
gleichzeitig mit derjenigen des Kantons Luzern. <strong>Die</strong><br />
«Eisenbahngesellschaft Luzern-Zugergrenze» war für die<br />
Weiterführung der Zuger Linie auf luzernischem Boden<br />
zuständig. <strong>Die</strong> Kantone Zürich und Schwyz hatten auf die<br />
zugerischen Eisenbahnpläne noch nicht reagiert. Das Desinteresse<br />
der Schwyzer war nicht von Belang, weil die Weiterführung<br />
der Linie nach Arth und Brunnen nicht vorrangig<br />
war. Auf der Zürcher Seite hatte sich in Affoltern ein Komitee<br />
für die Bahnlinie Zürich–Affoltern–Cham–Immensee–<br />
Luzern gebildet. Der Sihltallinie st<strong>and</strong> nun eine Linie durchs<br />
Reppischtal gegenüber. Der Zürcher Regierungsrat musste<br />
sich für eines der Konzessionsgesuche entscheiden. Ein von<br />
der Regierung in Auftrag gegebenes Gutachten bevorzugte<br />
die Reppischlinie über Affoltern. <strong>Die</strong> Zürcher Regierung<br />
gab dem Affolterer Komitee den Zuschlag und knüpfte den<br />
Baubeginn an eine Konzession für die Weiterführung der<br />
Linie ausserhalb des Kantons. Auch dieses Vorhaben sanktionierte<br />
die Bundesversammlung. <strong>Die</strong> verärgerten Zuger<br />
hatten die Konzession für die Sihltallinie, aber keinen Anschluss<br />
auf Zürcher Kantonsgebiet. Entst<strong>and</strong>en war eine<br />
Pattsituation zwischen Zug und Zürich. <strong>Die</strong> Eidgenössische<br />
Zeitung spöttelte: «Heute will Zürich statt Schwerte seine<br />
Schienen mit denjenigen Zugs kreuzen und es liegt der<br />
Gedanke nahe, dass wie früher durch Religionseifer, jetzt<br />
durch Eisenbahneifersucht der nachbarliche Friede gestört<br />
werde.» Das Debakel um die Schweizerische Ostwestbahn<br />
(OWB) machte die Situation nicht einfacher. Erst als die<br />
OWB als Mitkonkurrentin aus dem Rennen fiel, kam wieder<br />
Bewegung in die Sache. Zug gab nach und verzichtete auf<br />
die Sihltallinie. <strong>Die</strong> neue Variante verlief von Knonau via<br />
Steinhausen und die Kollermühle zur Stadt Zug und von dort<br />
aus via Cham an die Luzerner Grenze. Zwischen der Kollermühle<br />
und Cham gab es zusätzlich eine Direktverbindung.<br />
<strong>Die</strong> Nordostbahn unterzeichnete mit den Regierungen von<br />
Zürich, Zug und Luzern einen «Vertrag betreffend Begründung<br />
einer Eisenbahnunternehmung Zürich - Zug - Luzern»<br />
(Schalch, 1997).<br />
Im Mai 1897 wurde der Betrieb der Bahnlinie Zug–<br />
Thalwil–Zürich und der Zufahrt zur Gotthardbahn mit der<br />
Strecke Zug–Walchwil–Arth-Goldau aufgenommen. <strong>Die</strong><br />
Strecke best<strong>and</strong> aus zwei neuen Tunnels; dem 3358 Meter<br />
langen Albistunnel und dem 539 Meter langen Zuger Stadttunnel.<br />
Das Ausbruchmaterial diente der Aufschüttung für<br />
den neuen Inselbahnhof Zug. An der Westseite des Kantons<br />
erreichte die Bahn von Aarau her 1881 erstmals Rotkreuz<br />
und im folgenden Jahr Immensee. <strong>Die</strong> dem Transitgüterverkehr<br />
dienende kürzeste Verbindung zwischen Basel und<br />
Chiasso–Luino war geschaffen. Der Bahnhof Rotkreuz befindet<br />
sich im Schnittpunkt der Linien Aarau-Arth-Goldau<br />
und Luzern–Zürich. Seine Funktion als Rangierbahnhof zur<br />
Entlastung von Luzern, Zug und Arth-Goldau besitzt er<br />
heute noch. Der Knotenpunkt Rotkreuz hat als Sammel- und<br />
Verteilstelle der Zentralschweiz direkte Verkehrsverbin-<br />
82 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
So kam Zug zum Zug<br />
dung mit den bedeutendsten Rangierbahnhöfen der deutschen<br />
Schweiz.<br />
6 Preiskampf im Gütertransport<br />
<strong>Die</strong> Unternehmer der Spinnerei Ägeri liessen 1835 den<br />
Ägerisaumweg ausbauen, um mit Pferdefuhrwerken Rohstoffe<br />
und Fertigprodukte zu transportieren. Ab 1913 fuhren<br />
die Tramfahrzeuge der Gesellschaft für «Elektrische Strassenbahnen<br />
im Kanton Zug» (ESZ) von Zug und Baar nach<br />
Oberägeri und Menzingen. Das Tram war sowohl für den<br />
Gütertransport in die Bergregion als auch für den Personentransport<br />
vom «Berg» zu den Fabriken ins Tal wichtig.<br />
Durch das Aufkommen der Lastwagen bekam die Strassenbahn<br />
im Bereich Warentransport Konkurrenz. Im Zweiten<br />
Weltkrieg profitierte die Bahn von der Verlagerung des<br />
Güterverkehrs und der Militärtransporte auf die Schiene.<br />
Das Ende des Krieges brachte die Konkurrenz zwischen<br />
Tram und Automobil zurück. 1955 fuhr die letzte Strassenbahn<br />
nach Ägeri.<br />
Den Umständen angepasst übernahm die ESZ die Tarifstruktur<br />
der SBB. Güterverkehr und Tiertransporte waren<br />
von den Stationen Baar Bahnhof SBB, Menzingen, Neuägeri,<br />
Unter- und Oberägeri aus möglich. Den Eilgutverkehr<br />
besorgte der Bahnhof Zug. Als Berechnungsgrundlage dienten<br />
das Transportvolumen und die Transportdistanz. Insgesamt<br />
gab es 18 verschiedene Tarife. Sondertarife gab es für<br />
volkswirtschaftlich wichtige Güter und zum Schutz von<br />
lokalen Industrie- und Gewerbezweigen. Mit Sonderpreisen<br />
wurde versucht, mit den niedrigen Camionnage-Preisen zu<br />
konkurrieren. Für den Transport von Milch und Holz waren<br />
Frachttaxen im Abonnement vereinbart. Auf der Liste der<br />
Ausnahmetarife waren unter <strong>and</strong>eren folgende Güter aufgeführt:<br />
lebende Pflanzen in beschleunigter Fracht, Schlacke,<br />
Stalldünger, Pyritabfälle oder Strassenkehricht. Einer der<br />
ersten und wichtigsten Kunden im Güterverkehr war die<br />
Anglo-Swiss Condensed Milk Co. in Cham. Für die Produktion<br />
der gezuckerten und ungezuckerten Kondensmilch<br />
kaufte sie Milch in grossen Mengen überall im Zugerl<strong>and</strong>.<br />
Vor der Eröffnung der Strassenbahn besorgten Fuhrwerke<br />
den Milchtransport nach Cham. Durch die Transportkapazi-<br />
Abb. 6: <strong>Die</strong> «Innere Spinnerei»<br />
in Unterägeri war ein wichtiger<br />
Kunde der ESZ und hatte einen<br />
eigenen Gleisanschluss. (Bild:<br />
Sammlung Armin Zürcher).<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 83
So kam Zug zum Zug<br />
tät der Bahn erwartete die Firmenleitung bedeutende Einsparungen<br />
für die Lieferungen vom «Berg». <strong>Die</strong> Condensed<br />
Milk Co. wollte eine Pauschalentschädigung vereinbaren<br />
und forderte einen zusätzlichen abendlichen Milchzug.<br />
Nach harzigen Verh<strong>and</strong>lungen kam es zu einer neuen Berechnungsgrundlage.<br />
Pro 100 Kilogramm transportierter<br />
Milch (Rücktransport der leeren Kannen eingeschlossen)<br />
wurde auf den Strecken Ägeri–Cham, Nidfuren–Cham und<br />
Talacher–Cham drei Preise berechnet. <strong>Die</strong> Nestlé garantierte<br />
ein minimales Transportvolumen von 1,4 Millionen Kilogramm<br />
Milch pro Jahr.<br />
Das Automobil war der ESZ grösste Konkurrenz. Industrie<br />
und Händler w<strong>and</strong>ten das neue Alternativtransportmittel<br />
Auto als Druckmittel im Kampf um niedrigere Tarife<br />
erfolgreich an. Ein Holzhändler aus Unterägeri schrieb 1920<br />
an die Direktion der ESZ: «In Anbetracht der traurig<br />
schlechten Verhältnisse auf dem Holzmarkt bin ich genötigt,<br />
meinen Unkosten-Konto möglichst zu reduzieren und finde<br />
mich deshalb veranlasst [...] bei Ihnen das Ansuchen zu<br />
stellen, als möchte man mir, als dem grössten Holzindustriellen<br />
des Ägerithales auf die heutigen Thal-Frachtansätze<br />
einen Rabatt von 10% gewähren. Könnten Sie mir nicht<br />
entgegenkommen, so bin ich gezwungen, zu dem heutig<br />
glänzend bewährten 5 Tönner Saurer Benzin-Wagen mit<br />
Anhängerwagen überzugehen. [...] Ich kann Sie versichern,<br />
dass wenn Sie mir auch entsprechen, ich dann noch etwas<br />
teurer komme, als mit dem Benzin-Wagen.» (in Civelli,<br />
1987).<br />
<strong>Die</strong>se Strategie übernahmen auch die Kondensmilch-Fabrik<br />
in Cham (1921) und die Spinnereien Ägeri (1923) mit<br />
Erfolg. <strong>Die</strong> Spinnerei in Unterägeri hatte einen eigenen<br />
Gleisanschluss. Angeliefert wurden Rohbaumwolle und<br />
Kohle. Garn und angefallene Abfälle brachte die Bahn<br />
zurück ins Tal. Weil das Material vor Feuchtigkeit bewahrt<br />
werden musste, gelangten gedeckte oder mit Planen versehene<br />
Güterwagen zum Einsatz. 1933 wollten die Spinnereien<br />
Ägeri nochmals eine Tarifreduktion und drohten mit der<br />
Kündigung des ESZ-Vertrags. Berechnungen für einen Betrieb<br />
mit eigenen Lastwagen oder durch Dritte hätten gewichtige<br />
Einsparungen zur Folge. Als Grund gaben sie die<br />
sich verschärfende Krise im Textilgewerbe an. Weil die<br />
Spinnerei mit einem jährlichen Transportvolumen von 1500<br />
bis 2000 Tonnen Baumwolle und Garn ein Grosskunde war,<br />
willigte die ESZ ein und gewährte 10% Reduktion auf alle<br />
Frachten. Der neue Vertrag wurde nicht nur mit der ESZ,<br />
sondern auch mit der «Schweizerischen Express A.-G.»<br />
(SESA) abgeschlossen. Aufgabe der SESA war es, schweizweit<br />
die Frachten an den Bahnhöfen abzuholen und mit dem<br />
bahneigenen Camionnagedienst zu verteilen. Deren Gründung<br />
war die Antwort auf die wachsende LKW-Konkurrenz.<br />
<strong>Die</strong> knapp bemessenen Kalkulationen reduzierten die<br />
Gewinne der ESZ weiter.<br />
Der Erste Weltkrieg brachte den Unternehmen in Zug und<br />
Baar gute Geschäfte. <strong>Die</strong> Spinnereien in Ägeri waren von<br />
diesem Aufschwung ausgeschlossen. Es kam sogar zur Betriebseinstellung<br />
für Monate. <strong>Die</strong>s betraf ebenfalls die ESZ,<br />
weil die Rohstofftransporte ausfielen. <strong>Die</strong> Entlassenen f<strong>and</strong>en<br />
teils Arbeit in den Stadtzuger Fabriken. <strong>Die</strong> L<strong>and</strong>is &<br />
Gyr (LG) war auf zusätzliche Arbeitskräfte angewiesen. Das<br />
Fehlen eines ESZ-Frühzuges verunmöglichte einen rechtzeitigen<br />
Arbeitsbeginn in der Fabrik. 1915 lehnte die ESZ<br />
das Begehren nach einem Arbeiterfrühkurs des Einwohnerrats<br />
von Unter- und Oberägeri ab. Erst als die LG selbst bei<br />
der ESZ-Direktion vorstellig wurde, kam ein Vertrag zu<br />
St<strong>and</strong>e. Für den täglichen Frühkurs Ägeri–Zug bezahlte die<br />
LG 1200 Franken pro Monat. Ähnliche Vereinbarungen gab<br />
es auf den Strecken Zug–Menzingen und Zug–Baar (Civelli,<br />
1987).<br />
84 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
So kam Zug zum Zug<br />
7 Stadtbahn gegen Verkehrskollaps<br />
Abb. 7: Staus gehören zumindest in den Stosszeiten auch in<br />
der Stadt Zug zur Tagesordnung. (Bild: Peter Frommenwiler,<br />
Zuger Presse).<br />
Zug liegt weniger als dreissig Fahrminuten von Luzern und<br />
Zürich entfernt. Der Flughafen Zürich-Kloten ist stündlich<br />
mit einer direkten Bahnverbindung erreichbar. Autobahnanschlüsse<br />
in der Nähe der Stadt Zug erfüllen eine wichtige<br />
Zentrumsfunktion. <strong>Die</strong> geostrategische Lage Zugs ist für<br />
einzelne Wirtschaftsbereiche ein wichtiger St<strong>and</strong>ortvorteil<br />
und wird insgesamt als vorteilhaft bezeichnet. <strong>Die</strong> gute<br />
Verkehrssituation, die geografische Lage und das Wachstum<br />
haben dazu geführt, dass der Verkehr zugenommen hat und<br />
es in Spitzenzeiten zu Engpässen kommt. Zunehmend werden<br />
von den Wirtschaftsverbänden und einzelnen Grossunternehmen<br />
(Glencore, Siemens, V-Zug) explizit bessere<br />
Verkehrsverbindungen gewünscht. Hinzu kommt, dass die<br />
arbeitsteilige Wirtschaft und die Verknappung von Wohnraum<br />
im Zentrum zu einem immer stärkeren Ausein<strong>and</strong>erstreben<br />
von Wohn- und Arbeitsort geführt hat und sich damit<br />
das Verkehrsvolumen massgeblich erhöht hat. In einer Bevölkerungsbefragung<br />
der Stiftung Lebens- & Wirtschaftsraum<br />
Zug zur Lebensqualität im Raum Zug aus dem Jahre<br />
1994 haben die Zugerinnen und Zuger eindeutig zwischen<br />
der Qualität des privaten und öffentlichen Verkehrs unterschieden<br />
(Thierstein & Walker, 1995). Während das Angebot<br />
beim öffentlichen Verkehr als besonders positiv eingestuft<br />
wird, wird die Situation beim Privatverkehr als durchschnittlich<br />
taxiert (Thierstein & Walker, 1995). Im Vergleich<br />
zu 1980 ist 1990 der Anteil der Binnen-, Zu-, und Wegpendler<br />
am öffentlichen Verkehr um 10 Prozent gestiegen. <strong>Die</strong>s<br />
führte aber nicht im gleichen Ausmass zu einer Reduktion<br />
des Anteils am motorisierten Individualverkehr. Mehr als<br />
30’000 Personen, was zwei Dritteln der im Kanton Zug<br />
wohnhaften Erwerbstätigen entspricht, gehen über ihre Gemeindegrenzen<br />
zur Arbeit. Der bedeutendste Anteil der<br />
Erwerbspersonen pendelt in die Gemeinden Zug, Baar,<br />
Cham, Risch, Steinhausen und Hünenberg. In diesen Gemeinden<br />
ist der Anteil Zupendler grösser als die Anzahl<br />
Binnenpendler innerhalb der Gemeinde. Der Arbeitsort der<br />
meisten Arbeitnehmer in Walchwil und den Berggemeinden,<br />
mit Ausnahme von Neuheim, ist zugleich ihr Wohnort.<br />
Rund 7400 Menschen gehen ausserhalb des Kantons zur<br />
Arbeit, davon 5000 in den Kanton Zürich. <strong>Die</strong> Anzahl der<br />
ausserkantonalen, erwerbstätigen Zupendler beträgt rund<br />
12’000. <strong>Die</strong> eidgenössische Volkszählung (1990) zeigt auf,<br />
welches Verkehrsmittel die Arbeitspendler nutzen. In der<br />
Agglomeration Zug fahren 37% der Erwerbstätigen mit dem<br />
Personenwagen zur Arbeit. Nur gerade 2% sind Mitfahrer.<br />
14% benutzen den Bus, 10% das Fahrrad und 9% die Eisenbahn.<br />
Während 9% zu Fuss zur Arbeit gehen, haben 11%<br />
keinen Arbeitsweg (zum Beispiel Bauern oder Werktätige,<br />
die zuhause arbeiten). Weniger als 3% verteilen sich auf<br />
Postauto, Werkbus, Mofa oder Motorrad. 6% machen keine<br />
Angaben.<br />
Strassen sorgen auch in Zug für politische Diskussionen.<br />
Während die Realisierung der N4 durchs Knonaueramt immer<br />
noch aussteht, wird die Umfahrung Zug/Baar (UZB)<br />
seit über 50 Jahren diskutiert. Auch im Ennetsee ist die<br />
Verkehrsentlastung von Cham ein Politikum. Ziel des Kantons<br />
und der betroffenen Gemeinden ist es, die Ortskerne<br />
und Wohnquartiere vom Durchgangsverkehr zu entlasten.<br />
Während es in Zug vor allem um den Ziel- und Quellverkehr<br />
geht, ist in Cham der Durchgangsverkehr das Problem. Das<br />
UZB-Projekt des Kantons wurde als überdimensioniert und<br />
zu teuer erachtet und letztlich nicht umgesetzt. Planungen<br />
neueren Datums sehen für die Stadt Zug eine zusätzliche<br />
Nordzufahrt durch das Siemens-Areal und einen direkteren<br />
Anschluss der Berggemeinden an das Autobahnnetz vor.<br />
Zum heutigen Zeitpunkt bleibt die Problematik des Ost-<br />
West-Verkehrs (Zug–Ennetsee) noch unberücksichtigt und<br />
findet in keinem aktuellen Verkehrskonzept gebührende<br />
Beachtung. Staus sind auf der Chamerstrasse und bei der<br />
Autobahnausfahrt in Baar zu Stosszeiten zur Regel geworden.<br />
Während grüne Gruppierungen Zug zu einer Stadt für<br />
den «Langsamverkehr» machen wollen und auf das Fahrrad<br />
sowie Einschränkungen beim motorisierten Individualverkehr<br />
setzen, wünschen sich Bürgerliche und Wirtschaftskreise<br />
eine deutliche Verbesserung der Infrastruktur des<br />
motorisierten Strassenverkehrs. Sie setzen auf eine umweltfreundlichere<br />
Technologie im Bereich der Motorenentwicklung.<br />
Dem Individuum soll die Freiheit bei der Wahl des<br />
Verkehrsmittels nicht genommen werden.<br />
Der Ausbau des öffentlichen Verkehrs ist in den vergangenen<br />
Jahren stetig vorangetrieben worden. 1991 führten die<br />
Zugerl<strong>and</strong> Verkehrsbetriebe (ZVB) mit dem Abonnement<br />
«Zuger Pass» einen integralen Tarifverbund ein. Das<br />
Busstreckennetz umfasst alle Gemeinden des Kantons. <strong>Die</strong>se<br />
Dauerfahrkarte ist ebenfalls mit dem Zürcher oder Luzerner<br />
Tarifverbund kombinierbar. Mittlerweile ist bei den<br />
Bussen in den Stosszeiten die Kapazitätsgrenze erreicht.<br />
Nehmen Bevölkerung und Mobilität im bisherigen Ausmass<br />
zu, wird bis 2020 mit einer Verdoppelung der Verkehrsspit-<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 85
So kam Zug zum Zug<br />
zen gerechnet. <strong>Die</strong> politisch heiklen Fragen des Strassenbaus<br />
und die Kapazitätsgrenzen beziehungsweise der Ausbau<br />
des öffentlichen Verkehrs werden die Zugerinnen und<br />
Zuger also noch Jahre beschäftigen. Einen neuen Impuls in<br />
die Verkehrspolitik bringt das Projekt einer regionalen Zuger<br />
Stadtbahn (einer Mischform zwischen Tram und S-<br />
Bahn), welche in Zukunft Erschliessungsfunktionen bis in<br />
die Innerschweiz erfüllen soll. Moderne Stadtbahnfahrzeuge<br />
können sowohl im Strassenraum als auch auf den SBB-<br />
Geleisen fahren. Das SBB-Trasse Cham/Zythus–Zug–Baar<br />
bildet die Hauptstrecke der Stadtbahn. Es ist jederzeit modulartig<br />
mit Streckenneubauten ergänzbar. Bei wichtigen Verbindungen<br />
könnten Fahrzeitverkürzungen von bis zu 50<br />
Prozent gegenüber heutigen Bahn- und Busverbindungen<br />
erreicht werden.<br />
Mit dem Bahnhofsneubau in Zug inklusive der Zusammenlegung<br />
des SBB-Kundendienstes und der ZVB-«Ticketeria»<br />
sowie mit der Einführung der «Stadtbahn Zug»<br />
erhoffen sich die Verantwortlichen im öffentlichen Verkehr<br />
eine Attraktivitätssteigerung und ein vermehrtes Umsteigen<br />
von der Strasse auf die Schiene.<br />
8 Schlusswort<br />
Auch im Kanton Zug ist die Dynamik europäischer und<br />
globaler Veränderungen spürbar. Der W<strong>and</strong>el von der l<strong>and</strong>wirtschaftlichen<br />
Region zur industriell geprägten Gesellschaft<br />
hat sich in nur 100 Jahren vollzogen. <strong>Die</strong> neu genutzten<br />
ehemaligen Industrieareale sind Zeugen dafür, dass sich<br />
der Kanton innert Kürze auch zu einem qualitativ hochstehenden<br />
<strong>Die</strong>nstleistungsst<strong>and</strong>ort entwickelt hat.<br />
<strong>Die</strong> Zuger Erfolgsstory mag modellhaften Charakter aufweisen,<br />
ist aber nicht ohne weiteres auf <strong>and</strong>ere Regionen<br />
übertragbar, und die Frage bleibt: Wird sie auch in Zukunft<br />
weitergeführt? Sicher besteht in Zug noch Potenzial. <strong>Die</strong><br />
Zuw<strong>and</strong>erung wird anhalten. Das Arbeitsplatzangebot steigt<br />
nach wie vor. Dennoch sind dem Wachstum auch Grenzen<br />
gesetzt.<br />
Fast bei sämtlichen wirtschaftlichen Parametern steht Zug<br />
– aus schweizerischer Sicht – noch heute an der Spitze, aber<br />
die internationale St<strong>and</strong>ortkonkurrenz ist ungleich schärfer<br />
geworden. Andere europäische St<strong>and</strong>orte haben durch die<br />
Schaffung eines innovativen Umfelds ihre Attraktivität erheblich<br />
verbessert. <strong>Die</strong> Neustrukturierung der wirtschaftlichen<br />
Prozesse verändert auch die Anforderungen an den<br />
Lebens- und Wirtschaftsraum Zug. Es ist notwendig, bewusst<br />
in Infrastruktur und Nachhaltigkeit zu investieren, um<br />
das qualitative hochstehende Zuger Wirtschaftswachstum<br />
zu erhalten.<br />
Aufgrund einer neuen Studie beweist der Kanton Zug,<br />
dass mit hoher Wirtschaftskraft und vielen Arbeitsplätzen<br />
gleichzeitig eine nachhaltige Entwicklung (insbesondere<br />
unter ökologischen Aspekten) möglich ist (Zürcher Kantonalbank,<br />
2000).<br />
Zug bleibt aber gleichzeitig Dorf und Stadt, Stadt und<br />
L<strong>and</strong>, konservativ und weltoffen. <strong>Die</strong> pionierhafte, mutige<br />
und offene Denkweise der Industrieväter ist etwas verloren<br />
gegangen, und der hohe Lebensst<strong>and</strong>ard breiter Bevölkerungskreise<br />
birgt die Gefahr, dass man träge wird und sich<br />
auf den Lorbeeren ausruht. <strong>Die</strong> Zugerinnen und Zuger gehen<br />
aber davon aus, dass trotz der Einschränkung der kantonalen<br />
Freiheiten durch den Bund und die EU ein breiter Spielraum<br />
für neue Chancen und eine eigenständige Wirtschaftspolitik<br />
erhalten werden kann.<br />
86 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
So kam Zug zum Zug<br />
Literatur<br />
Arnet, E. & Müller, H. R. (1957). Dreihundert Jahre Papierfabrik<br />
Cham 1657-1957. Zürich: ohne Verlag.<br />
Bergier, J.-F. (1992). 200 Jahre Zuger Wirtschaft. In Zuger Neujahrsblatt<br />
1992.<br />
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<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 87
<strong>Die</strong> Ökoeffizienz von<br />
Transportketten<br />
Autoren:<br />
Thomas Baumgartner<br />
Thomas Mettier<br />
Sabina Pfister<br />
Aufbauend auf den<br />
Ergebnissen der Synthesegruppe<br />
Ökoeffizienz:<br />
Steven Byrde<br />
Christian Capello<br />
Sorana Crivii<br />
David Finger<br />
Christian Götz<br />
Stephan Gutzwiller<br />
Dominique Jean-Baptiste<br />
Lars Knechtenhofer<br />
Simon Liechti<br />
Marco Mansfeld<br />
Matthias Möller<br />
Sabina Pfister<br />
Martina Rivola<br />
Simone Schärer<br />
Gionny Volger<br />
Markus Wilke<br />
Thomas Baumgartner (Tutor)<br />
Thomas Mettier (Tutor)<br />
Inhalt<br />
1. Ziel 91<br />
2. Problemstellung 91<br />
3. Was ist Ökoeffizienz 92<br />
4. Methoden 94<br />
5. Transportketten und ihre Ökobilanz 99<br />
6. Der Versuch zur Bestimmung des Gütertransportnutzens 104<br />
7. Vergleich der Ökoeffizienz der Transportketten 106<br />
8. Zukunftsperspektiven 107<br />
9. Schlussfolgerungen und Ausblick 109
<strong>Die</strong> Ökoeffizienz von Transportketten<br />
Zusammenfassung<br />
<strong>Die</strong> Synthesegruppe Ökoeffizienz<br />
hatte zum Ziel, die Ökoeffizienz (ÖE)<br />
konkreter Gütertransportketten und<br />
möglicher Alternativen von Unternehmen<br />
in der Region Zug zu bestimmen.<br />
Bei den Alternativen ging es einerseits<br />
um die Frage, ob die Substitution<br />
von Strassentransporten durch<br />
Bahntransporte zu einer verbesserten<br />
ÖE führen würde, <strong>and</strong>erseits um die<br />
Abschätzung des Einflusses absehbarer<br />
technischer Entwicklungen bei<br />
Bahn und Lastwagen auf die ÖE der<br />
Transportketten. ÖE wurde definiert<br />
als das Verhältnis von Transportleistung<br />
zu der dadurch ausgelösten ökologischen<br />
Belastung. <strong>Die</strong> Transportleistung<br />
wurde als Tonnenkilometer<br />
definiert, wobei die Gruppe auch versucht<br />
hat, den umfassenderen Begriff<br />
des Transportnutzens zu definieren<br />
und zu quantifizieren. <strong>Die</strong> ökologische<br />
Belastung wurde mit Hilfe der<br />
Ökobilanz errechnet. Da Lärm zunehmend<br />
als das Umweltproblem der<br />
Bahn diskutiert wird, haben wir einen<br />
Vorschlag erarbeitet, wie Lärm in die<br />
gewählte Bewertungsmethode «Eco-<br />
Indicator 99» miteinbezogen werden<br />
kann. Dabei ergab sich, dass ein höherer<br />
Bahnanteil in allen untersuchten<br />
Transportketten zu einer besseren<br />
Ökobilanz führt. Der Einbezug von<br />
Lärm kann bei bestimmten Transportketten<br />
die ökologische Belastung fast<br />
verdoppeln, ohne aber die Vorteile der<br />
Bahn zu tangieren. <strong>Die</strong>ser Vorteil wird<br />
aber möglicherweise, ausser bei Lärm,<br />
durch den technischen Fortschritt bei<br />
Strassentransporten in der Zukunft<br />
eher kleiner. Entscheidend dürfte allerdings<br />
sein, ob es im Schienen- oder<br />
im Strassentransport besser gelingt,<br />
die Auslastung als wichtige Einflussgrösse<br />
auf die Ökobilanz zu verbessern.<br />
Keywords: Ökoeffizienz, Transportketten,<br />
Transportnutzen, Eco-Indicator<br />
99, Gütertransport.<br />
Résumé<br />
Le groupe de synthèse éco-efficience<br />
a pour but de déterminer l’éco-efficience<br />
des chaînes concrètes de transport<br />
de march<strong>and</strong>ises et des alternatives<br />
d’entreprises possibles dans la<br />
région de Zoug. Avec les alternatives,<br />
il s’agissait de savoir d’une part si la<br />
substitution des transports routiers par<br />
les transports sur rail aboutit à une<br />
meilleur éco-efficience et d’autre part,<br />
à quel point les développements<br />
techniques prévisibles dans le domaine<br />
du rail et des camions pèsent sur<br />
l’éco-efficience des chaînes de transport.<br />
On comprend par écoefficience<br />
le rapport entre capacité de transport et<br />
nuisances sur l’environnement. La capacité<br />
de transport a été définie<br />
comme tonne-kilomètre. Le groupe a<br />
également essayé de définir et de<br />
quantifier le concept plus ample de<br />
l’avantage du transport. La charge<br />
écologique a été calculée à l’aide de<br />
l’anakyse de cycle de vie. Compte<br />
tenu du fait que le bruit est de plus en<br />
plus perçu comme le problème d’environnement<br />
des chemins ferroviaires,<br />
nous avons élaboré une proposition<br />
pour introduire le bruit dans la méthode<br />
d’évaluation choisie «Eco-Indicator<br />
99». Il en ressort qu’on peut<br />
améliorer l’analyse de cycle de vie<br />
dans toutes les chaînes de transport<br />
analysées en augmentant la part des<br />
chemins de fer. Dans certaines chaînes<br />
de transport, la prise en compte du<br />
bruit peut pratiquement doubler la<br />
charge écologique, sans pour autant<br />
remettre les avantages du rail en question.<br />
Mais il est probable qu’à l’avenir<br />
cet avantage ira en se réduisant,<br />
sauf pour ce qui est du bruit, grâce au<br />
progrès technique dans les transports<br />
routiers. Dans ce cas-là, il s’avérerait<br />
décisif d’améliorer l’utilisation des<br />
capacités, en tant que valeur d’influence<br />
essentielle sur l’analyse de cycle<br />
de vie, dans le transport ferroviaire et<br />
routier.<br />
Mots-clés: éco-efficience, chaînes<br />
de transport, capacité de transport,<br />
Eco-Indicator 99, transport de march<strong>and</strong>ises.<br />
Summary<br />
The objective of the synthesis group<br />
eco-efficiency (EE) was to define specific<br />
chains of freight transport <strong>and</strong><br />
possible alternatives for companies in<br />
the region of Zug. The alternatives<br />
referred to the question whether a substitution<br />
of road transports by rail<br />
would lead to improved EE on the one<br />
h<strong>and</strong>, <strong>and</strong>, on the other h<strong>and</strong>, to an<br />
assessment of the influence of predictable<br />
technological developments<br />
within the rail <strong>and</strong> truck industry upon<br />
the EE of chains of transport. EE was<br />
defined as transport achievement in<br />
relation to the resulting environmental<br />
pollution. Transport achievement was<br />
measured in ton-kilometers, but the<br />
group also attempted to define <strong>and</strong><br />
quantify the more comprehensive notion<br />
of transport benefit. Environmental<br />
pollution was calculated by means<br />
of life cycle assessment. Since noise is<br />
increasingly being discussed as one of<br />
the rail’s environmental problems, we<br />
have established <strong>and</strong> suggested a way<br />
to integrate noise into the chosen life<br />
cycle assessment method «Eco-Indicator<br />
99». The results show that an<br />
increased share of rail leads to an improved<br />
life cycle assessment in all examined<br />
chains of transport. The inclusion<br />
of noise almost doubles the environmental<br />
pollution for certain chains<br />
of transport, albeit without affecting<br />
the rail’s advantages. However, except<br />
for the noise, this advantage might<br />
decrease in the future due to technological<br />
progress of road transport. A decisive<br />
factor may well be found in the<br />
question whether the rail or the road is<br />
more successful in improving the capacity<br />
utility as an important factor of<br />
influence on the life cycle assessment.<br />
Keywords: eco-efficiency, chains of<br />
transport, transport benefit, Eco-Indicator<br />
99, freight transport.<br />
90 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
<strong>Die</strong> Ökoeffizienz von Transportketten<br />
1 Ziel<br />
<strong>Die</strong> Synthesegruppe Ökoeffizienz hatte das Ziel, die Ökoeffizienz<br />
(ÖE) konkreter Gütertransportketten von Unternehmen<br />
in der Region Zug zu bestimmen. Dabei sollte vor allem<br />
die Effizienz von gegenwärtig benutzten Transportketten<br />
mit derjenigen von Alternativen verglichen werden. Bei den<br />
Alternativen ging es einerseits um die Frage, ob die Substitution<br />
von Strassentransporten durch Bahntransporte zu einer<br />
verbesserten ÖE führen würde, <strong>and</strong>ererseits um die<br />
Abschätzung des Einflusses absehbarer technischer Entwicklungen<br />
bei der Bahn und den Lastwagen auf die ÖE der<br />
Transportketten.<br />
<strong>Die</strong> ÖE von Transporten setzt die erbrachte Transportleistung<br />
in Bezug zu der dadurch produzierten Umweltbelastung.<br />
<strong>Die</strong> Umweltbelastung sollte durch die Ökobilanzierung<br />
der für die Transporte verwendeten Verkehrsmittel<br />
(Güterzug, Lastwagen, Schiff, Umladetechnologien) bestimmt<br />
werden. Dabei sollte der bis jetzt in den gängigen<br />
Ökobilanzierungsmethoden nicht erfasste Aspekt des<br />
Lärms mit einbezogen werden. <strong>Die</strong> Transportleistung sollte<br />
einerseits durch den in der Ökobilanzierung üblichen Indikator<br />
der Tonnenkilometer dargestellt werden, <strong>and</strong>ererseits<br />
durch einen Indikator für den ökonomischen Nutzen des<br />
Transportes für das Unternehmen.<br />
2 Problemstellung<br />
Der Fokus auf die Analyse von konkreten Transportketten<br />
entspricht einem Bedürfnis sowohl der SBB im speziellen<br />
wie auch der Verkehrsplanung im allgemeinen. <strong>Die</strong> SBB<br />
kommt zunehmend in die Situation, dass sie ihren gegenwärtigen<br />
oder potenziellen Kunden beweisen muss, dass der<br />
Bahntransport ökologische Vorteile bietet. Mit der Transportplanung<br />
wird versucht, Gütertransporte vermehrt von<br />
der Strasse auf die Schiene zu verlagern, es muss aber<br />
entschieden werden, bei welchen Transporten hier am besten<br />
angesetzt wird. <strong>Die</strong> Beurteilung der Wirkung solcher<br />
Lenkungsmassnahmen erfolgt in der Regel aufgrund pauschaler<br />
Durchschnittsfaktoren. Schmid, Wacker, Kürbis &<br />
Friedrich (1999) weisen aber darauf hin, dass die Ergebnisse<br />
dieser Berechnungen oftmals «ein verzerrtes, nicht wirklichkeitsgetreues<br />
Bild» vermitteln, da die dazu verwendeten<br />
durchschnittlichen Energieverbrauchs- und Emissionsfaktoren<br />
eine Reihe von Einflussgrössen nicht berücksichtigen,<br />
die aber für den konkreten Entscheid, ob auf Strasse oder<br />
Schiene transportiert werden soll, wichtig sind. Solche Einflussgrössen<br />
sind:<br />
– unterschiedliche Transportentfernungen für die einzelnen<br />
Verkehrsmittel (Umwege),<br />
– Vor- und Nachläufe bei gebrochenen Verkehren,<br />
– unterschiedliche Auslastungsgrade,<br />
– Differenzierung nach verschiedenen Fahrzeugen und unterschiedlichen<br />
Betriebsbedingungen innerhalb der einzelnen<br />
Verkehrsmittel,<br />
– Zusammensetzung des Kraftwerkparks, welcher der<br />
Strombereitstellung im Falle der Elektrotraktion zugrunde<br />
liegt, sowie<br />
– Berücksichtigung des nicht durch Antrieb bedingten<br />
Energieaufw<strong>and</strong>es, z.B. für die Herstellung, Wartung und<br />
Entsorgung der Verkehrsmittel oder den Bau und Unterhalt<br />
der Verkehrswege.<br />
Als weitere Einflussgrösse können auch noch die in<br />
Transportketten üblicherweise notwendigen Umladevorgänge<br />
mit einbezogen werden. <strong>Die</strong>se dürften zwar für die<br />
Grösse der Umweltbelastungen von untergeordneter Bedeutung<br />
sein, könnten allerdings die ökonomische Effizienz der<br />
Verkehrskette und damit den durch den Transport erbrachten<br />
Nutzen, und daher das Mass der Ökoeffizienz (ÖE),<br />
erheblich beeinflussen.<br />
Im Folgenden wird zuerst auf die methodischen Probleme<br />
eingegangen, die zur Erfüllung dieser Ziele gelöst werden<br />
mussten. Anschliessend werden die untersuchten Transportketten<br />
und ihre ÖE beschrieben. Es ist in unterschiedlichem<br />
Ausmasse gelungen, die gesetzten Ziele tatsächlich zu erreichen.<br />
Im Schlussabschnitt wird über das Erreichte und die<br />
sich daraus ergebenden Folgerungen Bilanz gezogen.<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 91
<strong>Die</strong> Ökoeffizienz von Transportketten<br />
3 Was ist Ökoeffizienz?<br />
Ökoeffizienz (ÖE) ist ein Indikator, der eine Beziehung<br />
zwischen einer wirtschaftlichen Leistung und den dadurch<br />
hervorgerufenen Umweltbelastungen herstellt. Das Konzept<br />
der ÖE wurde 1992 vom World Business Council for<br />
Sustainable Development (WBCSD) 1 an der Konferenz für<br />
Umwelt und Entwicklung in Rio vorgestellt. Von Weizsäcker<br />
definiert die ÖE und das sich daraus ergebende Ziel<br />
für das H<strong>and</strong>eln der Unternehmen folgendermassen (von<br />
Weizsäcker & Seiler-Hausmann, 1999): «Ökoeffizienz bezeichnet<br />
die zunehmende Produktion von nützlichen Gütern<br />
und <strong>Die</strong>nstleistungen bei laufend abnehmendem Verbrauch<br />
von natürlichen Ressourcen, also Rohmaterialien und Energie.»<br />
Interessant an dieser Definition ist, dass damit ein weiteres<br />
Wachstum der wirtschaftlichen Leistung mit einer Verminderung<br />
des Ressourcen- und Umweltverbrauchs verbunden<br />
werden soll. Damit aber geht von Weizsäcker weiter als der<br />
WBCSD mit seiner Definition, nach der ein Unternehmen<br />
seine ÖE sehr wohl verbessern kann, auch wenn es seinen<br />
Ressourcen- und Umweltverbrauch erhöht. Es muss nur<br />
darauf achten, dass seine wirtschaftliche Leistung schneller<br />
wächst als die von seinen Aktivitäten ausgehende Umweltbelastung.<br />
Damit ist auch klar, dass eine Steigerung der<br />
betrieblichen oder unternehmerischen ÖE noch nicht unbedingt<br />
die Nachhaltigkeit eines Wirtschaftssystems garantiert.<br />
Das Mass der ÖE alleine erlaubt keine Bestimmung der<br />
Nachhaltigkeit von Verhalten.<br />
Gemäss DeSimeone & Popoff (1997) sind die folgenden<br />
Punkte zu beachten, wenn man die ÖE eines Produktes oder<br />
einer <strong>Die</strong>nstleistung messen will:<br />
– <strong>Die</strong> Systemgrenzen sind klar zu definieren. Soll die ÖE<br />
der ganzen Firma, einer Abteilung, einer Produktionsstätte<br />
oder nur eines Prozesses quantifiziert werden?<br />
– Wird die ÖE beispielsweise als Umsatz dividiert durch<br />
die Emissionen definiert, ist zu berücksichtigen, dass im<br />
zeitlichen Verlauf <strong>and</strong>ere Faktoren das Bild unter Umständen<br />
verfälschen. So können auch Inflation, Firmenumstrukturierungen<br />
oder grosse Anschaffungen den<br />
Umsatz beeinflussen und fälschlicherweise eine Verbesserung<br />
der ÖE bewirken.<br />
– Es müssen alle die Umwelt wesentlich belastenden Einwirkungen<br />
berücksichtigt werden. Ist dies zu aufwändig,<br />
kann statt der ÖE eine Effizienz in einem bestimmten<br />
Bereich, zum Beispiel der Energie, quantifiziert werden.<br />
– Wenn eine Firma eine Verbesserung ihrer ÖE vorweisen<br />
kann, sagt das noch nichts über die Nachhaltigkeit ihres<br />
Betriebes aus. Bei rasch wachsenden Märkten kann der<br />
Ressourcenverbrauch auch bei besserer ÖE ansteigen,<br />
bedingt durch die grössere Anzahl von produzierten Gütern<br />
oder <strong>Die</strong>nstleistungen.<br />
Schon in der <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> 1999 wurde das Konzept<br />
der Ökoeffizienz verwendet. In jener <strong>Fallstudie</strong> ging es<br />
um die Entwicklung eines Instruments für den bereichsübergreifenden<br />
Vergleich von Umweltmassnahmen der SBB.<br />
Dort war eine systematische Erfassung und Bewertung des<br />
ökologischen Nutzens dieser Massnahmen im Vergleich zu<br />
den für die Massnahmen notwendigen betrieblichen Kosten<br />
gefordert (Hitzke, Baumgartner, Théato, Wiek & Scholz,<br />
2001). In diesem Bericht geht es um den Vergleich zweier<br />
«Produkte» oder «Leistungen» in der Form von Transportketten.<br />
Dabei sind die vom Transportvorgang ausgehenden<br />
Umweltwirkungen im Verhältnis zur Leistung, die durch<br />
den Transport erzielt wird, von Bedeutung.<br />
Allgemein gesprochen, kann die ÖE auf zwei Arten ausgedrückt<br />
werden, wobei mathematisch die eine Formel in<br />
die <strong>and</strong>ere überführt werden kann. Kognitiv beinhalten diese<br />
beiden Formeln aber unterschiedliche Perspektiven. Aus<br />
der Perspektive der Ökobilanzierung wird normalerweise<br />
die Umweltbelastung pro funktionelle Einheit bestimmt:<br />
Gleichung 1: Ökoeffizienz als Umweltbelastung pro funktionelle<br />
Einheit. <strong>Die</strong> ÖE ist umso besser, je kleiner der Quotient<br />
ist.<br />
Hier bedeutet eine kleinere Zahl eine höhere ÖE. <strong>Die</strong>ses<br />
Mass kann auch als ein Mass für die «Umweltkosten»<br />
genommen werden, die mit dem «Konsum» einer Einheit<br />
des Gutes oder der <strong>Die</strong>nstleistung einhergeht. Der Blick<br />
wird daher auf die Umweltbelastung gelenkt, die von einer<br />
wirtschaftlichen Tätigkeit ausgeht. 2<br />
Für die Wirtschaft steht allerdings der umgekehrte Bezug<br />
im Vordergrund, weil damit das Konzept der ÖE demjenigen<br />
der Arbeits- oder Kapitalproduktivität (bzw. -effizienz) entspricht,<br />
und sich somit besser in das Selbstverständnis unternehmerischen<br />
H<strong>and</strong>elns einreihen lässt:<br />
Gleichung 2: Ökoeffizienz als Ausweis für erfolgreiches<br />
unternehmerisches H<strong>and</strong>eln. <strong>Die</strong> ÖE ist umso besser, je<br />
grösser der Quotient ist.<br />
In diesem Fall ist die ÖE umso besser, je grösser der obige<br />
Quotient ist. <strong>Die</strong>ses Konzept lässt sich auch besser gegen<br />
aussen kommunizieren, da in unserer Gesellschaft «grösser»<br />
meistens auch «besser» bedeutet.<br />
1 Siehe auch unter http://www.wbcsd.ch<br />
2 Schlatter (2000, S. 11-14) findet, dass der Begriff der «Umweltkosten» falsch oder wenigstens inopportun ist – er verleitet die Unternehmensleitung zu<br />
der falschen Wahrnehmung, dass Umweltschutz «kostet». <strong>Die</strong> hier eingenommene Perspektive ist aber nicht die von betrieblichen Umweltschutzmassnahmen,<br />
sondern die der Umweltbeinträchtigung – des Verbrauchs an Umwelt – die durch die Erbringung einer wirtschaftlichen Leistung entsteht. Der Begriff<br />
«Umweltkosten» scheint uns diesen Sachverhalt sehr gut zu umschreiben.<br />
92 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
<strong>Die</strong> Ökoeffizienz von Transportketten<br />
Beide Varianten lassen sich verteidigen, wobei im ersten<br />
Falle eher das Konzept des «Umweltpreises» oder der «Umweltkosten»<br />
eines Produktes im Vordergrund steht. Im zweiten,<br />
hier weiterverfolgten Konzept steht das effiziente unternehmerische<br />
H<strong>and</strong>eln im Vordergrund und ist in diesem<br />
Sinne der Ausweis für erfolgreiches unternehmerisches<br />
H<strong>and</strong>eln. Da wir hier die Sicht des Unternehmens SBB und<br />
seine Stellung im Vergleich zu den Unternehmen des<br />
Strassentransportgewerbes einnehmen, scheint diese Formulierung<br />
die angemessenere zu sein.<br />
Für den Güterverkehr wurde die ÖE bisher noch nie<br />
berechnet. Es musste deshalb ein neues Vorgehen erarbeitet<br />
werden. Dabei sollte für die Bestimmung der ökologischen<br />
Belastung von der Praxis der Ökobilanzierung ausgegangen<br />
werden. Verschiedene Alternativen eines Transportes (mit<br />
definierter Menge und Strecke) wurden bezüglich ihrer Umweltbelastung<br />
verglichen. Dazu dienten die Resultate aus<br />
der Ökobilanzierung, wobei die Umweltbelastung mit einer<br />
der gängigen Bewertungsmethoden, dem Eco-Indicator 99<br />
(siehe Kap. 4.3), berechnet wurde. Als Indikator für die<br />
ökologische Leistung kann die Länge der ganzen Transportkette<br />
genommen werden. Allerdings muss für einen Vergleich<br />
alternativer Transportketten in jedem Falle die kürzest<br />
mögliche Strecke aller verglichenen Alternativen eingesetzt<br />
werden. Mit der Gleichung 3 lassen sich sowohl die<br />
ÖE verschiedener Alternativen als auch jene verschiedener<br />
Transporte vergleichen. Der Transport mit dem grösseren<br />
Quotienten hat die bessere Ökoeffizienz. <strong>Die</strong> Alternative mit<br />
weniger Eco-Indicator Punkten ist die ökologischere.<br />
Im Gütertransportnutzen (GTN) sind individuelle Ansprüche<br />
der Firmen an Kosten, Transportzeit, Flexibilität,<br />
Zuverlässigkeit und Häufigkeit berücksichtigt. Da der GTN<br />
für eine spezifische Strecke mit definierter Menge berechnet<br />
wurde, lassen sich nur die Alternativen für denselben Transport<br />
vergleichen. Der Transport mit dem grösseren Quotienten<br />
hat die bessere ÖE.<br />
Gleichung 3: <strong>Die</strong> Ökoeffizienz verschiedener Alternativen<br />
und verschiedener Transporte kann verglichen werden. Der<br />
Transport mit dem grösseren Quotienten hat die bessere<br />
Ökoeffizienz. <strong>Die</strong> Alternative mit weniger Eco-Indicator<br />
Punkten ist die ökologischere.<br />
Allerdings ist dies ist nur im weiteren Sinne ein Vergleich<br />
von ÖE wie sie oben beschrieben wurde, denn die ökonomische<br />
Komponente wird nicht berücksichtigt, da im Zähler<br />
der Gleichung 3 ausschliesslich die transportierte Menge<br />
und die Streckenlänge berücksichtigt werden. Nach der<br />
Definition des WBCSD erscheint es deshalb fraglich, ob<br />
man hier wirklich von Ökoeffizienz sprechen kann.<br />
Um zu einer Definition der Ökoeffizienz im engeren<br />
Sinne zu kommen (Gleichung 4) und uns somit dem Effizienzansatz<br />
des WBCSD anzunähern, wurde im Zähler die<br />
funktionelle Einheit der Tonnenkilometer durch das ökonomische<br />
Konzept des «Nutzens» ersetzt:<br />
Gleichung 4: Definition der Ökoeffizienz im engeren Sinne.<br />
<strong>Die</strong> funktionelle Einheit «Tonnenkilometer» wurde durch<br />
das ökonomische Konzept des «Nutzens» ersetzt.<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 93
<strong>Die</strong> Ökoeffizienz von Transportketten<br />
4 Methoden<br />
Wir gehen hier auf zwei methodische Aspekte unserer Arbeit<br />
etwas näher ein. <strong>Die</strong> Umweltbelastungen der Transport(dienst)leistungen<br />
wurden mit Hilfe der Ökobilanz bestimmt<br />
(Kap. 4.1 bis 4.3). Auf das dabei betretene Neul<strong>and</strong>,<br />
den Einbezug des Strassen- und Schienenlärms, wird im<br />
Kap. Lärm ausführlicher eingegangen. Im Abschnitt 4.4<br />
gehen wir auf unseren Ansatz zur Bestimmung des Gütertransportnutzens<br />
(GTN) ein.<br />
4.1 <strong>Die</strong> Ökobilanz<br />
<strong>Die</strong> Ökobilanz (LCA: Life Cycle Assessment) ist eine Methode<br />
zur Untersuchung der Umweltauswirkungen, die von<br />
Produkten und <strong>Die</strong>nstleistungen verursacht werden. Eine<br />
Ökobilanz-Studie untersucht die Umweltauswirkungen eines<br />
Produkts über den gesamten Lebensweg, von der Bereitstellung<br />
der Ressourcen über die Produktion und die Anwendung<br />
bis zur Entsorgung. <strong>Die</strong> Anwendung der Ökobilanz<br />
erfolgt mit dem Ziel, die Umweltwirkungen von Produkten<br />
über ihren gesamten Lebensweg gesehen zu verringern.<br />
<strong>Die</strong> allgemeinen Kategorien von Umweltwirkungen,<br />
die in einer Ökobilanz berücksichtigt werden, umfassen die<br />
menschliche Gesundheit, ökologische Wirkungen und den<br />
Verbrauch von Ressourcen (ISO, 1997). Eine Ökobilanz<br />
besteht aus den folgenden vier Teilen (siehe Abb. 4.1):<br />
– Festlegung des Ziels und des Untersuchungsrahmens<br />
(Systemgrenzen)<br />
– Sachbilanz<br />
– Wirkungsabschätzung<br />
– Auswertung<br />
In einem ersten Schritt werden die Ziele und Systemgrenzen<br />
der Untersuchung festgelegt. Darauf wird in der Sachbilanz<br />
das zu untersuchende Produktsystem bilanziert, d.h. die<br />
Energie- und Stoffflüsse der Prozesse unterein<strong>and</strong>er (Input-<br />
Outputströme der Technosphäre) und der Prozesse mit der<br />
Umwelt (Input-Outputströme der Biosphäre) werden erfasst.<br />
<strong>Die</strong> bilanzierten Input- und Outputströme werden in<br />
einem Inventar zusammengestellt. In der Wirkungsabschätzung<br />
werden die inventarisierten Input- und Outputströme<br />
der Biosphäre gemäss ihrer Wirkung beurteilt. D.h. die<br />
bilanzierten Input- und Outputströme werden Umweltwirkungen<br />
zugeordnet und es resultieren Kennzahlen für die<br />
potentiellen Wirkungen eines Produkts. In einem abschliessenden<br />
Schritt werden die Informationen aus den drei vorhergehenden<br />
Schritten interpretiert, die Resultate zusammengefasst<br />
und Schlussfolgerungen gezogen. <strong>Die</strong> Ökobilanz<br />
ist eine iterative Methode, d.h. die einzelnen Schritte<br />
werden mehrmals durchlaufen.<br />
4.2 <strong>Die</strong> Datenbank ECOINVENT<br />
ECOINVENT ist eine <strong>ETH</strong>-interne Ökoinventar-Datenbank,<br />
in der die Energie- und Stoffflüsse von Produktelebenszyklen<br />
erfasst sind. <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> ist ein Träger dieser<br />
Datenbank und wendet ca. 25% seines ordentlichen Kredits<br />
dafür auf. Sie basiert auf den Ökoinventaren von Energiesystemen<br />
(Frischknecht et al., 1996) und wurde um Baumaterialien,<br />
Transportprozesse, Entsorgungsprozesse und<br />
Nahrungsmittel erweitert. Für jeden Prozess sind seine Beziehungen<br />
zu <strong>and</strong>eren Prozessen der Technosphäre (Technosphärenmatrix)<br />
und die Beziehung zur Biosphäre (Biosphärenmatrix)<br />
gespeichert. Darüber hinaus sind die In- und<br />
Outputströme der Biosphäre (entspricht dem Ressourcenverbrauch<br />
und den Emissionen) mit den wichtigsten Ökobilanz-Bewertungsmethoden<br />
verknüpft, sodass für einen Prozess<br />
ca. 100 (aggregierte) Umweltindikatoren zur Verfügung<br />
stehen. Zur Zeit enthält ECOINVENT ca. 2000 Prozesse<br />
aus den obengenannten Aktivitäten.<br />
Für unsere Untersuchung besonders wichtig waren die<br />
Transportprozesse, die auf dem «Ökoinventar Transporte»<br />
beruhen (Maibach, Peter & Seiler, 1995). 3 <strong>Die</strong> Inventare der<br />
Abb. 4.1: Best<strong>and</strong>teile einer Ökobilanz<br />
(verändert nach ISO, 1997; Hofstetter,<br />
1998).<br />
3 Daten vergleichbarer Qualität für Deutschl<strong>and</strong> sind in Borken, Patyk & Reinhardt (1999) enthalten. Seit der Veröffentlichung des Transportinventars ist<br />
das Inventar von Energiesystemen allerdings aktualisiert worden (Frischknecht et al., 1996), so dass sich für die Transportprozesse in ECOINVENT leicht<br />
<strong>and</strong>ere (aber aktuellere) Daten ergeben, als zur Zeit publiziert sind.<br />
94 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
<strong>Die</strong> Ökoeffizienz von Transportketten<br />
untersuchten Transportketten basieren auf ECOINVENT-<br />
Daten, für die Zukunftsperspektiven wurden teils neue Module<br />
erarbeitet. <strong>Die</strong>se Module konnten aber nicht mit der<br />
gesamten Prozessmatrix verknüpft werden, so dass keine<br />
Rückkoppelungen gerechnet werden konnten. Rückkoppelungen<br />
zwischen zwei Prozessen entstehen dann, wenn beide<br />
Prozesse jeweils einen gewissen Anteil des Outputs des<br />
jeweils <strong>and</strong>eren Prozesses als Input benötigen (siehe dazu<br />
Heijungs et al., 1992, S. 52ff oder Frischknecht, 2000, S.<br />
33ff). <strong>Die</strong>se Rückkoppelungen waren aber für wenig verbreitete<br />
Zukunftstechnologien nicht von Bedeutung.<br />
Da ECOINVENT sowohl mit Sachbilanzdaten als auch<br />
mit Wirkungsdaten der wichtigsten Bewertungsmethoden<br />
verknüpft ist, unterstützt es die im Abschnitt 4.1 beschriebenen<br />
Schritte der Sachbilanz und der Wirkungsabschätzung.<br />
Als Bewertungsmethode der Wirkungsabschätzung wurde<br />
Eco-Indicator 99 gewählt.<br />
4.3 Eco-Indicator 99<br />
Eco-Indicator 99 (EI 99) ist eine schadensorientierte Bewertungsmethode<br />
für Ökobilanzen (Goedkoop & Spriensma,<br />
1999). <strong>Die</strong> Umwelt wird über die drei Schutzgüter Humangesundheit,<br />
Ökosystemqualität und Ressourcen dargestellt<br />
(siehe Abb. 4.3). In EI 99 werden für die inventarisierten<br />
Emissionen, Ressourcenverbräuche und L<strong>and</strong>nutzung entlang<br />
verschiedener Wirkungsketten potentielle Schäden an<br />
den drei Schutzgütern modelliert. <strong>Die</strong> drei Schadenskategorien<br />
können mit Hilfe von Gewichtungsfaktoren zu einem<br />
Indikator zusammengefasst werden. <strong>Die</strong> Gewichtungsfaktoren<br />
wurden durch Expertenbefragungen ermittelt. Ergebnisse<br />
von EI 99 können sowohl auf der Ebene des aggregierten<br />
Indikators als auch auf der Ebene der Schadenskategorien<br />
(3) oder der Effekte (11) ausgewertet werden (vgl. Abb.<br />
4.3). Zusätzlich zur Originalmethode wurde im Rahmen der<br />
hier beschriebenen Arbeiten auch die Kategorie Lärm modelliert<br />
und miteinbezogen (siehe Kap. Lärm).<br />
Auf die Schadensmodellierung kann hier nicht detailliert<br />
eingegangen werden. Es soll nur kurz erläutert werden,<br />
wofür die Indikatoren der drei Schadenskategorien stehen.<br />
Der Indikator DALY (Disability Adjusted Life Years) ist eine<br />
aggregierte Kennzahl für Schäden an der Humangesundheit<br />
(«Human Health», DHH in Gleichung 5), die vorzeitige<br />
Todesfälle und beeinträchtigt gelebte Jahre repräsentiert.<br />
Der Indikator PDF*km 2 *a (Potentially Disappeared Fraction)<br />
als aggregierte Kennzahl für Ökosystemqualität («Ecosystem<br />
Quality», D EQ in Gleichung 5), ist ein Mass für die<br />
Abnahme der Biodiversität. Er drückt aus, welcher Anteil<br />
der Arten auf einer Fläche für einen bestimmten Zeitraum<br />
möglicherweise verschwindet. <strong>Die</strong> Kennzahl für Schäden<br />
an den Ressourcen («Resources», DR in Gleichung 5) heisst<br />
surplus energy («zusätzliche Energie»). Der Indikator<br />
drückt aus, um wieviel der Energieaufw<strong>and</strong> gegenüber heute<br />
steigt, wenn von späteren Generationen schlechtere Vorkommen<br />
mineralischer und fossiler Ressourcen genutzt<br />
werden müssen, d.h. alle heute abgebauten Ressourcen tragen<br />
dazu bei, dass spätere Generationen einen höheren<br />
Energieaufw<strong>and</strong> betreiben müssen, um Ressourcen zu fördern.<br />
Der EI 99 wurde in drei verschiedenen Versionen entwickelt,<br />
die drei verschiedenen kulturellen Perspektiven von<br />
Abb. 4.3: Das Konzept des EI 99 (verändert nach Goedkoop & Spriensma, 1999) und die zusätzlich einbezogene<br />
Wirkungskategorie Lärm.<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 95
<strong>Die</strong> Ökoeffizienz von Transportketten<br />
möglichen Entscheidungsträgern entsprechen (hierarchistisch,<br />
individualistisch und egalitär). <strong>Die</strong> drei Versionen<br />
unterscheiden sich z.B. hinsichtlich des betrachteten Zeithorizonts<br />
oder der miteinbezogenen Wirkungszusammenhängen.<br />
<strong>Die</strong> Evidenz der Wirkungszusammenhänge muss z.B.<br />
für die individualistische Perspektive höher sein als für die<br />
egalitäre, die eher nach dem Vorsorgeprinzip h<strong>and</strong>elt. Alle<br />
Schritte in der Modellierung wurden für diese drei Perspektiven<br />
unterschiedlich entwickelt. Für diese Untersuchung<br />
wurde die hierarchistische Version (die eigentliche St<strong>and</strong>ardversion)<br />
verwendet.<br />
Der EI 99-Wert für ein Produkt wird wie folgt berechnet:<br />
Gleichung 5: Berechnung des EI 99-Werts für ein Produkt (s.<br />
Erläuterungen im Text).<br />
<strong>Die</strong> drei berechneten Schadenindikatoren Di [i=HH, EQ,<br />
R] in Gleichung 5 werden jeweils durch einen<br />
Normalisierungswert Ni [i=HH, EQ, R] dividiert. Der Normalisierungswert<br />
Ni entspricht dem Schaden, der von einer<br />
Person in Europa durchschnittlich pro Jahr verursacht wird<br />
(Personenäquivalent). <strong>Die</strong> Gewichtungsfaktoren w i [i=HH,<br />
EQ, R] widerspiegeln die Wichtigkeit eines Personenäquivalents<br />
für die verschiedenen Schadenskategorien. In der<br />
hierarchistischen Version werden die Schäden an der<br />
Humangesundheit und den Ökosystemen doppelt so stark<br />
gewichtet wie die Schäden an den Ressourcen (wHH =wEQ<br />
= 400, wR = 200). <strong>Die</strong> Gewichtungsfaktoren addieren sich<br />
zu 1000, d.h. 1000 EI 99-Punkte entsprechen dem Umweltschaden,<br />
den ein durchschnittlicher Europäer im Jahr verursacht<br />
(Goedkoop & Spriensma, 1999, S. 89, 127).<br />
Der EI 99 wurde aus mehreren Gründen als Bewertungsmethode<br />
gewählt. Erstens sind vollaggregierende Methoden<br />
relativ einfach zur Kommunikation von Resultaten. Zweitens<br />
best<strong>and</strong> für EI 99 ein Ansatz zum Einbezug von<br />
Strassenlärm (siehe Kap. Lärm, Abschnitt 2), was z.B. für<br />
die UBP-Methode 4 nicht der Fall ist. Drittens wird in EI 99<br />
die Kategorie L<strong>and</strong>nutzung berücksichtigt, was für einen<br />
Vergleich von Transportketten interessant ist. Darüber hinaus<br />
besteht bei <strong>UNS</strong> durch die Beteiligung an der Entwicklung<br />
von EI 99 ein gutes Fachwissen über diese Bewertungsmethode.<br />
Mit EI 99 besteht die Möglichkeit, die für die SBB<br />
wichtigen Umweltthemen Lärm, Energieverbrauch und<br />
L<strong>and</strong>verbrauch zu integrieren.<br />
4.4 Transportnutzen<br />
Im Rahmen der Festlegung des Ziels und des Untersuchungsrahmens<br />
einer Ökobilanz (vgl. Abb. 4.1) muss gemäss<br />
der Norm für das Life Cycle Assessment (LCA), ISO<br />
14041, auch die funktionelle Einheit (FE) definiert werden.<br />
<strong>Die</strong> Quantität der erbrachten Leistung wird in FE gemessen<br />
und die von der Leistungserbringung ausgehenden Umweltwirkungen<br />
werden in Bezug zur Anzahl produzierter FE<br />
gesetzt. <strong>Die</strong> FE ist also die «gemeinsame Währung» für den<br />
Vergleich der Umweltauswirkungen, die von den zu vergleichenden<br />
Produkten oder Leistungen verursacht werden. Wir<br />
gehen hier zuerst auf die Problematik der FE im Rahmen der<br />
Ökobilanzierung von Transport(dienst)leistungen ein. Anschliessend<br />
schildern wir den in der <strong>Fallstudie</strong> gemachten<br />
Versuch, einen Index «Gütertransportnutzen» (GTN) als FE<br />
zur Bestimmung der Ökoeffizienz (ÖE) zu entwickeln.<br />
4.4.1 <strong>Die</strong> funktionelle Einheit in der Ökobilanzierung<br />
Für die Definition der funktionellen Einheit (FE) wird primär<br />
von den Funktionen oder Leistungscharakteristiken<br />
eines Produkts oder einer <strong>Die</strong>nstleistung ausgegangen, die<br />
Nutzen («use value») erzeugen, d.h. die es dem Produzenten<br />
von – in unserem Falle – Transport(dienst)leistungen ermöglichen,<br />
einen ökonomischen Wert für sich zu generieren.<br />
Dabei sollen für eine bestimmte Ökobilanz die für die<br />
Studie relevanten Funktionen bestimmt und benutzt werden.<br />
<strong>Die</strong> zwei Wege, die in den Erläuterungen zur Norm ISO<br />
14001 vorgeschlagen werden, wie man von den Funktionen<br />
(in der Mehrzahl) zu der FE (Einzahl) kommt, waren allerdings<br />
für unser Problem des Vergleichs von Transportketten<br />
mit verschiedenen Kombinationen von Transportmitteln<br />
wenig hilfreich. Einerseits wird vorgeschlagen, einfach eine<br />
der möglichen Funktionen auszuwählen. Bei der Kogeneration<br />
von Strom und Wärme wäre das entweder die Erzeugung<br />
von Strom oder diejenige von Dampf. Im Falle des<br />
Gütertransports könnten das Tonnenkilometer oder Zeitdauer<br />
(Stunden) sein. Das alternative Vorgehen besteht darin,<br />
alle bis auf eine Funktion in die Definition des Produktes zu<br />
integrieren. Ein immer wieder zitiertes Beispiel ist die FE<br />
für Streichfarbe: <strong>Die</strong> Menge der Farbe, die notwendig ist,<br />
um 20 m 2 W<strong>and</strong> mit einer bestimmten Absorptions- und<br />
Bindefähigkeit während 5 Jahren mit einer Opazität von<br />
98% zu bedecken. Damit sind Farben für Wände mit verschiedenen<br />
Charakteristiken nicht mehr vergleichbar, da sie<br />
unterschiedliche FE haben (ISO, 1998; Baumgartner, Huegel,<br />
Jahn & Weber Marin, 2000). Im Falle des Transportes<br />
würde das bedeuten, dass eine Transportkette von x Tonnenkilometern,<br />
die einmal eine Dauer von 12 Stunden und in der<br />
alternativen Durchführung eine Dauer von 28 Stunden beansprucht,<br />
zwei unterschiedliche und daher nicht vergleichbare<br />
«Produkte» darstellen.<br />
Transportleistungen sind von ihren Charakteristiken her<br />
eher mit <strong>Die</strong>nstleistungen als mit Produkten zu vergleichen.<br />
4 <strong>Die</strong> Methode der ökologischen Knappheit oder UBP-Methode (Umweltbelastungspunkte) ist eine weitere in der Schweiz häufig verwendete Bewertungsmethode,<br />
die im Auftrag des BUWAL entwickelt wurde (Bundesamt für Umwelt, Wald und L<strong>and</strong>schaft, 1998).<br />
96 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
<strong>Die</strong> Ökoeffizienz von Transportketten<br />
<strong>Die</strong>nstleistungen aber sind wenig st<strong>and</strong>ardisiert und sind in<br />
einem gewissen Sinne das «gemeinsame» Produkt von Verkäufer<br />
und Käufer. <strong>Die</strong> Bestimmung der FE für die Ökobilanzierung<br />
von Verkehrsleistungen erfordert daher, dass auf<br />
diese «Individualität» der Leistungserbringung Rücksicht<br />
genommen wird. <strong>Die</strong>s traf speziell in dem von uns untersuchten<br />
Falle des Vergleichs von Transportleistungen über<br />
eine ganze Transportkette zu, die mit Hilfe verschiedener<br />
Transportmittel mit ihren verschiedenen Eigenschaften erbracht<br />
wurden. Der Konkurrenzkampf zwischen Schiene<br />
und Strasse wird ja auch mit Argumenten des Preises, der<br />
Zuverlässigkeit, des Zeitaufw<strong>and</strong>es, etc., ausgefochten.<br />
<strong>Die</strong> üblicherweise in der Ökobilanzierung im Verkehrsbereich<br />
verwendete FE der Tonnenkilometer (tkm) ist im<br />
Lichte des oben gesagten eigentlich als ungeeignet für die<br />
vergleichende Berechnung der ÖE von Transporten auf der<br />
Schiene und auf der Strasse zu bezeichnen. Eine Gruppe von<br />
Studierenden setzte sich daher das Ziel, als Alternative zu<br />
den tkm einen mehrdimensionalen Indikator «Gütertransportnutzen»<br />
(GTN) zu entwickeln, der als FE zur Berechnung<br />
der ÖE von konkreten Transportketten verwendet<br />
werden kann. <strong>Die</strong>ser Fokus auf die Analyse spezifischer<br />
Transportketten wird zwar immer wieder gefordert, z.B. von<br />
Boege (1993), man befindet sich aber damit im Grenzbereich<br />
der Anwendbarkeit der Ökobilanz, die eigentlich für<br />
die raum- und zeitunspezifische Analyse «generischer» Produkte<br />
gedacht ist (Hofstetter, 1996). Es wird jedoch immer<br />
wieder der Versuch unternommen, diese R<strong>and</strong>bedingung<br />
des Instrumentes zu definieren (z.B. Potting, 2000 oder<br />
Huijbregts & Seppälä, 2000).<br />
4.4.2 Der Index «Gütertransportnutzen» (GTN) als<br />
funktionelle Einheit<br />
Schulz, Kesten, Vrtic & Krumme (1996, S. 10) definieren<br />
neun Transportqualitäten, die für die Nutzer von Transport(dienst)leistungen<br />
wichtig sind:<br />
– Netzdichte der Infrastruktur (km/km 2 , Anzahl Netzanschlüsse)<br />
– Kapazität des Transportsystems (verkehrende Fahrzeuge<br />
pro Stunde)<br />
– Massenleistungsfähigkeit oder Kapazität (Tonnen bzw.<br />
m 3 pro Fahrzeug)<br />
– Transportdauer (Stunden)<br />
– Termintreue (Zuverlässigkeit, Prozent der termintreuen<br />
Transporte)<br />
– Flexibilität (zeitlich: Stunden; mengenmässig: ja/nein)<br />
– Informationsverarbeitung, Güterwertsicherung<br />
– Unfallrisiko (Unfallrate)<br />
– Transportkosten, als zusätzlicher Faktor von Bedeutung<br />
für die Verkehrsmittelwahl<br />
<strong>Die</strong> beiden ersten Transportqualitäten werden von Schulz<br />
et al. allerdings aufgrund ihrer Komplexität nur in einem<br />
allgemeinen, qualitativen Vergleich berücksichtigt. Sie sind<br />
trotzdem entscheidend bei der Transportmittelwahl, da sie<br />
sich je nach Transportmittel stark unterscheiden. So ist z.B.<br />
in Deutschl<strong>and</strong> die Netzdichte der Infrastruktur der Strasse<br />
rund 16 mal so gross wie diejenige der Schiene.<br />
Eine eigene empirische Untersuchung mit verschiedenen<br />
verladenden Unternehmen zur Auswahl und Bewertung von<br />
möglichen Variablen, welche den Transportnutzen definieren,<br />
hätte den zeitlichen Rahmen des Teilprojektes gesprengt.<br />
Daher wurde auf die Datengrundlagen des Berichtes<br />
und einer Tagungspräsentation von Maggi (1999) zurückgegriffen<br />
(siehe auch Maggi et al., 1999). <strong>Die</strong>se haben<br />
Preiselastizitäten für vier Transportqualitäten oder Nutzendimensionen<br />
bestimmt (siehe Tab. 4.4.2).<br />
Gleichung 6: Berechnung des Grenznutzens (GTN s. Gleichung<br />
7).<br />
<strong>Die</strong>se Angaben repräsentieren Durchschnittswerte aus 31<br />
durchgeführten Experimenten mit 22 schweizerischen und<br />
italienischen Unternehmen, welche zu 1271 hypothetischen<br />
Entscheidungen für eine durchschnittliche Transportdistanz<br />
von 776 km führten. <strong>Die</strong> Zahl, z.B. von -1.15 für die Transportzeit<br />
in der zweiten Kolonne, bedeutet, dass ein Kunde<br />
einen Wechsel des Transportmittels nur in Betracht ziehen<br />
wird, wenn eine um eine Stunde längere Transportzeit mit<br />
einem tieferen Preis von mindestens CHF 1.15 pro transportierte<br />
Tonne zusammengehen würde.<br />
<strong>Die</strong> Attraktivität dieser Preiselastizitäten liegt darin, dass<br />
es wegen der einheitlichen Dimension einfach ist, einen<br />
Index für den Gesamtnutzen zu bestimmen. Der Rückgriff<br />
auf diese Daten brachte allerdings auch gewichtige Einschränkungen<br />
in der Bestimmung der GTN für unsere Fall-<br />
Tab. 4.4.2: Wert einer marginalen Verbesserung der verschiedenen Nutzendimensionen (M k ) pro transportierte Tonne über<br />
eine durchschnittliche Strecke – einschliesslich der Schweiz – von 776 km, s. auch Gleichung 6 (Maggi et al., 1999, S. 14).<br />
Transportqualitäten relativer monetärer Wert (M k )<br />
[CHF pro Einheit]<br />
Einheit<br />
Transportzeit -1.15 eine Stunde mehr Transportzeit<br />
Zuverlässigkeit 2.42 1% mehr Zuverlässigkeit<br />
Flexibilität -0.37 eine Stunde mehr Voranmeldezeit<br />
Häufigkeit 1.10 eine Sendung mehr pro Monat<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 97
<strong>Die</strong> Ökoeffizienz von Transportketten<br />
beispiele mit sich. In der Studie von Maggi et al. (1999)<br />
wurden nebst den Transportkosten lediglich vier Qualitäten<br />
ermittelt, die den Transportnutzen im wesentlichen definieren<br />
sollen: Zeit, Zuverlässigkeit, Flexibilität und Häufigkeit.<br />
Nur mit diesen vier Nutzencharakteristiken gelang es nicht,<br />
die in den von uns untersuchten Fällen bedeutenden Nutzen<br />
vollständig abzubilden. So ist z.B. beim Transport von Zellulose<br />
(Fallbeispiel Cham Paper Group) die Sauberkeit des<br />
Gutes im Sinne der Güterwertsicherung von grosser Bedeutung.<br />
<strong>Die</strong>se ist zwar in der Nutzencharakterisierung von<br />
Schulz et al. (1996, S. 10) enthalten, aber nicht in den<br />
Berechnungen von Maggi (1999) operationalisiert. Nach<br />
Aussagen der Logistikverantwortlichen des Unternehmens<br />
garantiert die Transportkette der Cham Paper Group mit<br />
Schiff und Bahn einen höheren Sauberkeitsgrad des Transportgutes<br />
als die Kombination von Schiff- und Strassentransport.<br />
<strong>Die</strong> in Tab. 4.4.2 wiedergegebenen Preiselastizitäten sind<br />
Durchschnittswerte. In unseren Kontakten mit den Logistikverantwortlichen<br />
unserer Fallbeispiele wurde schnell klar,<br />
dass die Unternehmen den verschiedenen Nutzendimensionen<br />
ganz unterschiedliche Gewichte beimessen. Für Cham<br />
Paper Group spielt die Transportzeit keine Rolle, was eher<br />
typisch ist für den Transport von Rohmaterialien. Daher<br />
kann auch der Zellstoff mit dem Schiff von Antwerpen nach<br />
Basel transportiert werden (siehe Kap. 5.2.1). <strong>Die</strong> Zuverlässigkeit<br />
ist wegen der billigen Lagerhaltung ebenfalls relativ<br />
unwichtig. Dagegen wiegt der Transportpreis schwer. Für<br />
die V-Zug dagegen ist es absolut wichtig, dass auch kurzfristig<br />
aufgegebene Bestellungen über Nacht erledigt und die<br />
Güter am Morgen zuverlässig in Basel abgeliefert werden<br />
können (siehe Kap. 5.1.1). Für Migros ist es dagegen wichtig,<br />
dass Lebensmittel zuverlässig transportiert werden, da<br />
bei Verzögerungen (Streiks, Grenzabfertigung) Lebensmittel<br />
schnell verderben, was allerdings für das von uns untersuchte<br />
Beispiel der Dosentomaten weniger wichtig ist als für<br />
frische Früchte und Gemüse. Zudem ist wegen Verkaufsaktionen<br />
eine gewisse Flexibilität ebenfalls von Bedeutung<br />
(siehe Kap. 5.3.1).<br />
<strong>Die</strong> kleine Anzahl von Unternehmen, die Maggi et al.<br />
(1999) ihren Berechnungen zugrunde legen konnten, verunmöglichten<br />
es allerdings, in unseren Fallbeispielen entsprechende<br />
Untergruppen zu bilden und so Elastizitäten für<br />
gleichwertige Anspruchsgruppen zu erhalten.<br />
<strong>Die</strong> von Maggi et al. berechneten Mk-Werte stellen Grenznutzen<br />
für die verschiedenen Transportqualitäten dar. <strong>Die</strong><br />
relativen monetären Mk-Werte beziehen sich eigentlich nur<br />
auf den Wert einer zusätzlichen Einheit für die jeweilige<br />
Nutzendimension (siehe Tab. 4.4.2) in Abweichung von der<br />
durchschnittlichen Leistung, die der Stichprobe eigen ist.<br />
<strong>Die</strong> von uns untersuchten Transportketten unterschieden<br />
sich aber ganz erheblich davon (siehe Kap. 5). Da man nicht<br />
von konstanten Grenznutzen ausgehen kann, war es nicht<br />
möglich, die in Tab. 4.4.2 angegeben Preiselastiziäten mit<br />
den entsprechenden Werten der von uns untersuchten Transportketten<br />
zu multiplizieren, um daraus monetäre Werte für<br />
die Abweichung der Nutzen der einzelnen Transportketten<br />
zu erhalten.<br />
Ausserdem hat sich schnell gezeigt, dass weder die Transportunternehmen<br />
die genauen Konditionen angeben wollten,<br />
zu denen sie ihre Transportleistungen ihren Kunden<br />
anbieten, noch die Unternehmen uns verraten wollten, zu<br />
welchen Kosten sie die Transporte tatsächlich durchführen.<br />
<strong>Die</strong> Transportunternehmen differenzieren ihre Preise entsprechend<br />
ihren (potenziellen) Kunden. Es gibt in diesem<br />
Sinne also gar keinen «Marktpreis». Für die Unternehmen<br />
sind die Konditionen, zu denen sie ihre Transporte durchführen,<br />
ein wichtiges Element ihrer Konkurrenzfähigkeit.<br />
<strong>Die</strong> entsprechenden Informationen wollten sie daher nicht<br />
offenlegen. Im Abschnitt 5 beschreiben wir unseren Versuch,<br />
diese Situation zu meistern.<br />
98 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
<strong>Die</strong> Ökoeffizienz von Transportketten<br />
5 Transportketten und ihre<br />
Ökobilanz<br />
Wir wollten für verschiedene Unternehmen im Raum Zug<br />
eine typische Transportkette sowie mögliche Alternativen<br />
zu dieser Kette untersuchen. Dabei sollten alle für die Ökobilanz<br />
wichtigen Parameter, wie z.B. die Auslastung der<br />
Transportmittel für die konkrete Transportkette, genau festgelegt<br />
werden. <strong>Die</strong>se Daten sind meist gar nicht bekannt, so<br />
dass wir oftmals doch auf die Durchschnittswerte des Ökoinventars<br />
Transporte (Maibach et al., 1995) zurückgreifen<br />
mussten.<br />
Bei der Untersuchung der Transportketten stellte sich die<br />
wichtige Frage, ob für die Verkehrssysteme nur die Auswirkungen<br />
des Betriebes oder zusätzlich noch die zurechenbaren<br />
Aufwendungen der Infrastruktur für Strassen, Schienen<br />
und Fahrzeuge betrachtet werden sollen. Einerseits hat die<br />
Wahl der Transportkette durch die Unternehmen keinen<br />
Einfluss auf die Infrastruktur, d.h. die möglichen Einsparungen<br />
an Umweltauswirkungen ergeben sich nur aus dem<br />
Betrieb. <strong>Die</strong> Infrastruktur bleibt gleich, unabhängig von der<br />
Entscheidung eines Unternehmens (Grenzbetrachtung). Andererseits<br />
interessieren für einen Vergleich zwischen Schiene<br />
und Strasse auch die Aufwendungen für die Infrastruktur,<br />
weil sie für die Bahn relativ wichtig sind (vgl. Kap. 5.4 oder<br />
Maibach, Iten & Mauch, 1996) und weil der L<strong>and</strong>verbrauch<br />
nur über die Infrastruktur einbezogen werden kann. Um die<br />
für die SBB wichtigen Themen Energie, Lärm und L<strong>and</strong>schaft<br />
einzubeziehen, entschieden wir uns, Wirkungen aus<br />
dem Betrieb und der Erstellung der Infrastruktur zu bilanzieren.<br />
Als Fallbeispiele wurden einzelne Transportketten der<br />
Firmen V-Zug, Cham Paper Group und Migros untersucht.<br />
Wir haben uns auf den europäischen Raum beschränkt.<br />
Transportketten von Übersee wurden erst ab dem ersten<br />
Umschlagsplatz in Europa betrachtet. <strong>Die</strong> Bilanzierung der<br />
Transportketten erfolgte hier aufgrund der heutigen Technologie.<br />
Entwicklungen im verkehrstechnischen Bereich und<br />
ihre Auswirkungen auf die Ökoeffizienz werden im Abschnitt<br />
8 Zukunftsperspektiven beschrieben.<br />
<strong>Die</strong> Länge der Strassenstrecken ermittelten wir mit dem<br />
easyTOUR Europa Online Routenplaner (http://<br />
easytour.de). <strong>Die</strong> Berechnung der Länge der Eisenbahnstrecken<br />
basiert auf den Streckenprofilen in «Schienennetz<br />
Schweiz» (Wägli, 1998). <strong>Die</strong> Länge des Schifftransportes<br />
wurde mit einer Karte der Wasserstrassen berechnet<br />
(Nussbaum, 1992).<br />
5.1 V-Zug<br />
<strong>Die</strong> V-Zug ist in der Schweiz führend als Produzent, Anbieter<br />
und Entwickler von Küchen- und Waschraumgeräten.<br />
Am St<strong>and</strong>ort Zug werden Waschmaschinen, Tumbler,<br />
Geschirrspüler und Backöfen produziert.<br />
<strong>Die</strong> V-Zug ist seit 1998 ISO 14001-zertifiziert. Der Anteil<br />
der Transporte an der gesamten Umweltbelastung ist vermutlich<br />
gering, da die Verzinkung ein sehr belastender<br />
Prozess ist. Bei der Wahl des Transportmittels haben ökonomische<br />
Interessen Vorrang. Der Anteil der totalen Transportkosten<br />
am Firmenumsatz beträgt 1.2%. Als Fallbeispiel<br />
wurde die Auslieferung von Geräten in die Region Basel<br />
betrachtet.<br />
5.1.1 Untersuchte Transportketten für die<br />
Auslieferung in den Raum Basel<br />
<strong>Die</strong> Auslieferung der fertigen Geräte (inkl. Zubehör und<br />
Ersatzteile) an mehrere Detailhändler im Raum Basel erfolgt<br />
zwanzigmal im Monat. Alle Auslieferungen der Produkte<br />
der V-Zug werden mit Lastwagen durchgeführt. Zum<br />
Teil werden Transportunternehmen beauftragt. Auf der<br />
Strecke Zug-Basel gelangen jedoch ausschliesslich firmeneigene<br />
Fahrzeuge zum Einsatz. <strong>Die</strong>se werden auch für<br />
die Feinverteilung im Raum Basel benützt, wobei mehr<br />
Kilometer gefahren werden, als für den Transport von Zug<br />
nach Basel (siehe Abb. 5.1.1). Es erfolgt in Basel also keine<br />
Umladung auf Lieferwagen. <strong>Die</strong>se könnten jedoch in der<br />
Transportkette «Bahn & LKW» eingesetzt werden. Wie in<br />
der Abbildung symbolartig gezeigt, haben wir aber auch<br />
dort mit einer Feinverteilung durch LKWs gerechnet. Der<br />
Wagenpark der V-Zug besteht aus rund einem Dutzend<br />
LKWs. <strong>Die</strong> meisten entsprechen der Norm Euro I. Da in<br />
Zukunft Fahrzeuge der Norm Euro III erworben werden,<br />
wurde die Ökobilanz für beide Typen erstellt.<br />
Im Durchschnitt umfasst ein Transport 4 Tonnen, wofür<br />
ein 14 t LKW eingesetzt wird. Auf dem Rückweg können<br />
Waren abgeholt werden, meist h<strong>and</strong>elt es sich aber um eine<br />
Leerfahrt. <strong>Die</strong> derzeit bestehende Transportkette mit Lastwagen<br />
wird Transportkette «LKW» genannt.<br />
Alternativ dazu überlegten wir uns, wie der Transport mit<br />
der Eisenbahn aussehen würde. <strong>Die</strong> Feinverteilung wird mit<br />
einem Lastwagen durchgeführt. <strong>Die</strong> Bahnstrecke führt über<br />
die Rangierbahnhöfe Rotkreuz und Limmattal. <strong>Die</strong>se Transportkette<br />
wird «Bahn & LKW» genannt.<br />
5.1.2 Ökobilanz der untersuchten Transportkette von<br />
V-ZUG<br />
<strong>Die</strong> oben beschriebenen Transportketten wurden mit Hilfe<br />
von ECOINVENT (siehe Kap. 4.2) bilanziert. Im Ökoinventar<br />
Transporte werden 14 t LKWs nicht bilanziert, daher<br />
wurden die Daten von 16 t LKWs verwendet. Da die mittlere<br />
Auslastung nicht wie im Ökoinventar Transporte angenommen<br />
40%, sondern lediglich ca. 20% beträgt, wurden die<br />
Daten umgerechnet (vgl. Maibach et al., 1995, S. 101ff). Für<br />
die Bahn wurde das Modul «Wagenladungsverkehr SBB»<br />
aus ECOINVENT verwendet und mit der durchschnittlichen<br />
Auslastung gerechnet (s. Kap. 5.4). <strong>Die</strong> Rangiervorgänge<br />
konnten in der Ökobilanz nicht speziell berücksichtigt<br />
werden, sind aber als Durchschnittswerte im Modul<br />
Wagenladungsverkehr in ECOINVENT enthalten. Für die<br />
Wirkungsklasse Lärm wurden die Ergebnisse aus dem Kap.<br />
Lärm verwendet. <strong>Die</strong> Ergebnisse der Berechnungen finden<br />
sich in Abb. 5.1.2.<br />
Wie aus der Abb. 5.1.2 zu ersehen ist, spielt die Wahl der<br />
LKW-Technologie eine untergeordnete Rolle. <strong>Die</strong> beiden<br />
Fahrzeugtypen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer bilan-<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 99
<strong>Die</strong> Ökoeffizienz von Transportketten<br />
Abb. 5.1.1: Bilanzierte<br />
Transportketten für<br />
das Fallbeispiel V-<br />
Zug.<br />
Abb. 5.1.2: Bilanz der untersuchten Transportkette von V-Zug für einen Transport von 4 Tonnen Haushaltgeräten aufgeteilt<br />
nach Prozessen (links) und nach Wirkungsklassen (rechts).<br />
zierten Umweltauswirkungen nur wenig. Dagegen resultieren<br />
für die Bahn deutlich geringere Umweltbelastungen.<br />
Das Umladen von der Schiene auf die Strasse ist hinsichtlich<br />
der Umweltbelastungen vernachlässigbar klein. Als wichtigste<br />
Einwirkungen für alle Transportketten werden mit<br />
Eco-Indicator 99 (EI 99) die Kategorien Lärm, Ressourcenverbrauch<br />
und respiratorische Effekte bewertet.<br />
5.2 Cham Paper Group<br />
<strong>Die</strong> Cham Paper Group stellt Spezialpapiere her, z.B. für<br />
Lebensmittelverpackungen, für Tintenstrahldrucker oder<br />
selbstklebende Papiere. Der St<strong>and</strong>ort Cham ist – im Unterschied<br />
zu den zwei italienischen Werken – noch nicht ISO<br />
14001-zertifiziert. <strong>Die</strong> Einführung der Zertifizierung wird<br />
jedoch vorbereitet. <strong>Die</strong> grössten Umweltbelastungen fallen<br />
bei der Papierherstellung an und stammen vom hohen Energieaufw<strong>and</strong><br />
und den VOC-Emissionen. Demgegenüber<br />
spielen die Transporte eine Nebenrolle. Bei der Wahl des<br />
Transportmittels stehen ökonomische Überlegungen im<br />
Vordergrund.<br />
5.2.1 Untersuchte Transportketten zur Anlieferung<br />
von Zellstoff aus Antwerpen<br />
Wir wählten Zellstoff als schweres Gut mit geringer Wertedichte<br />
aus, das gut lagerbar ist. Zellstoff wird aus Übersee<br />
und Sk<strong>and</strong>inavien bezogen. Der grösste Teil davon gelangt<br />
über Antwerpen in die Schweiz. Zellstoff aus Übersee wird<br />
zudem auch über Portugal mit der Bahn nach Cham transportiert,<br />
um den Nachschub auch bei Niedrigwasser im<br />
Rhein zu sichern. In Cham können maximal 35’000 t Zellstoff<br />
gelagert werden. <strong>Die</strong>s ist rund die Hälfte der während<br />
eines Jahres in den beiden schweizerischen Werken Cham<br />
und Tenero verbrauchten Menge. Es kann also durchgehend<br />
das billigste Transportmittel verwendet werden, da der Faktor<br />
Zeit (Transportdauer und Zuverlässigkeit) unwichtig ist.<br />
Wir betrachteten den Transport von Antwerpen nach<br />
Cham. <strong>Die</strong>ser erfolgt von Antwerpen nach Basel mit dem<br />
Schiff, von Basel nach Cham zu 85% mit der Eisenbahn, zu<br />
15% mit Lastwagen. Der jährliche Transportumfang auf<br />
dieser Strecke beträgt 40’000 t; eine Lieferung bewegt sich<br />
zwischen 300 und 500 t.<br />
Der Transport von Basel nach Cham verläuft zum grössten<br />
Teil mit der Eisenbahn, da in Cham ein Bahnanschluss<br />
auf dem Firmengelände vorh<strong>and</strong>en ist. Dabei wird über die<br />
Rangierbahnhöfe Limmattal und Rotkreuz gefahren. <strong>Die</strong>se<br />
Transportkette wird «Bahn» genannt. Bei grossen Mengen<br />
verkehrt der Güterzug direkt von Basel nach Rotkreuz und<br />
Cham; dies verkürzt die gefahrene Strecke (Transportkette<br />
«Bahn Sonderangebot»). Ein Teil des Zellstoffes (15%)<br />
wird von Basel mit Lastwagen nach Cham transportiert.<br />
<strong>Die</strong>se Transportkette nennen wir Transportkette «LKW».<br />
100 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
<strong>Die</strong> Ökoeffizienz von Transportketten<br />
Abb. 5.2.1: Untersuchte<br />
Transportketten des Fallbeispiels<br />
Cham Paper<br />
Group.<br />
Abb. 5.2.2: Umweltauswirkungen der Transportketten für die Cham Paper Group für den Transport von 400 Tonnen<br />
Zellstoff, aufgeteilt nach Prozessen (links) und Wirkungsklassen (rechts).<br />
5.2.2 Ökobilanz der untersuchten Transportkette der<br />
Cham Paper Group<br />
<strong>Die</strong> Transportketten wurden mit den Modulen «Binnenfrachter»,<br />
«Umladen Hafen», «Wagenladungsverkehr<br />
SBB» und «LKW 28 t Euro II» aus der Datenbank ECOIN-<br />
VENT bilanziert. In Abb. 5.2.2 sind die mit EI 99 bewerteten<br />
Umweltauswirkungen für die verschiedenen Transportketten<br />
dargestellt.<br />
<strong>Die</strong> Umweltauswirkungen aller untersuchten Transportketten<br />
werden durch den langen Schiffstransport dominiert.<br />
Für die Strecke Basel - Cham ergeben sich wiederum klare<br />
Vorteile für die Bahn gegenüber der Strasse, wobei die<br />
verkürzte Strecke bei grossen Liefermengen praktisch keinen<br />
Unterschied macht. Das Umladen vom Schiff auf die<br />
Bahn oder den Lastwagen ist wiederum vernachlässigbar.<br />
Da für den Binnenfrachter keine Lärmauswirkungen berechnet<br />
wurden, spielen für alle Transportketten v.a. die<br />
Wirkungsklassen «Ressourcen» und «respiratorische Effekte»<br />
eine wichtige Rolle.<br />
5.3 Migros<br />
Der Migros-Genossenschafts-Bund (MGB) ist als Institution<br />
mit hohem Sozial- und Umweltbewusstsein bekannt.<br />
1985 wurde das erste Umweltschutzleitbild verabschiedet.<br />
<strong>Die</strong> Optigal SA (ein Geflügelzuchtbetrieb) erhielt 1996 als<br />
erstes Migros-Unternehmen das ISO-14001 Zertifikat.<br />
Im Detailh<strong>and</strong>el machen Transporte einen grossen Teil<br />
der Umweltbelastung aus. Der MGB ist getreu seinem<br />
Image auch hier an ökologischen Verbesserungen interessiert.<br />
Im Umweltbericht 1999 setzt er sich für das Jahr 2000<br />
folgende Ziele im Transportbereich (Migros-Genossenschafts-Bund,<br />
1999):<br />
– Der Anteil der Bahntransporte ist weiter zu steigern.<br />
– Ältere LKWs mit hohen Emissions- und Energieverbrauchswerten<br />
werden beschleunigt ersetzt (möglichst<br />
keine Fahrzeuge älter als 10 Jahre).<br />
– Förderung des öffentlichen Verkehrs für Geschäftsfahrten.<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 101
<strong>Die</strong> Ökoeffizienz von Transportketten<br />
Eine Belieferung der Filialen mit der Eisenbahn ist in der<br />
Regel nicht möglich. Deshalb testet die Migros Möglichkeiten<br />
des kombinierten Verkehrs. 1994 wurde ein Versuch mit<br />
Kombirail gestartet, einem Transportauflieger, der innert<br />
weniger Minuten von einem Strassenfahrzeug in einen<br />
Bahnwagen verw<strong>and</strong>elt werden kann. Der erwünschte Erfolg<br />
bezüglich Wirtschaftlichkeit blieb aber aus. <strong>Die</strong> Kosten<br />
konnten auch bei maximaler Auslastung nicht gedeckt werden.<br />
Zur Zeit laufen Versuche mit Wechselbehältern.<br />
Zur Optimierung der Auslastung haben MGB und SBB<br />
einen Bahnwagen mit Zwischenboden entwickelt, bei dem<br />
volle und halbvolle Paletten überein<strong>and</strong>er gestapelt werden<br />
können.<br />
Da bei der Feinverteilung der Gebrauch von Lastwagen<br />
unumgänglich ist, die Migros aber auch hier ökologische<br />
Verbesserungen bewirken möchte, hat sie erfolgreich einen<br />
Versuch mit gasbetriebenen Lastwagen unternommen. Derzeit<br />
besitzt sie vier solche Wagen, bei denen auch die<br />
Kühlaggregate mit Gas betrieben werden. <strong>Die</strong> ökologischen<br />
Vorteile dieser Lastwagen sind im Abschnitt 8 Zukunftsperspektiven<br />
beschrieben.<br />
5.3.1 <strong>Die</strong> untersuchten Transportketten zur Lieferung<br />
von Dosentomaten Pelati an den MMM<br />
Zugerl<strong>and</strong><br />
Als Fallbeispiel wurde die Belieferung des MMM Zugerl<strong>and</strong><br />
mit Pelati (Dosentomaten) in 800 g Konservenbüchsen<br />
gewählt. Jährlich werden von der Migros 616 t Pelati aus<br />
Scafati bezogen. Davon werden 4 t im MMM Zugerl<strong>and</strong><br />
verkauft. Der Produktionsort der Pelati ist Scafati in Süditalien.<br />
Von Scafati werden die Konserven mit der Eisenbahn<br />
ins Lager nach Weil am Rhein (Deutschl<strong>and</strong>) transportiert.<br />
Der Transport vom Lager ins regionale Verteilzentrum in<br />
Ebikon erfolgt ebenfalls mit der Eisenbahn. Zur Feinverteilung<br />
in die Filiale MMM Zugerl<strong>and</strong> werden Lastwagen<br />
eingesetzt. <strong>Die</strong> Filiale besitzt kein Anschlussgleis, obwohl<br />
sich der Bahnhof Steinhausen nur 300 m nördlich davon<br />
befindet und die Bahnlinie direkt an ihr vorbeiführt.<br />
<strong>Die</strong> Migros plant, die Transportlogistik der Trockengüter<br />
im Migros Verteilzentrum in Suhr (MVS Suhr) zu zentralisieren.<br />
<strong>Die</strong>s würde zu einer deutlichen Verkürzung des<br />
Transportweges führen. Der Transport von Scafati nach<br />
Suhr soll weiterhin mit der Bahn erfolgen (Transportkette<br />
«Bahn zentralisiert» in Abb. 5.3.1).<br />
Zum Vergleich betrachteten wir nochmals die zentralisierte<br />
Transportkette, diesmal aber mit Lastwagentransport auf<br />
der gesamten Strecke («LKW zentralisiert»). <strong>Die</strong>se Variante<br />
ist für Migros nicht geplant und dient lediglich als zusätzliche<br />
Variante für den Vergleich zwischen Strasse und Schiene.<br />
5.3.2 Ökobilanz der untersuchten Transportketten<br />
der Migros<br />
<strong>Die</strong> Ökobilanz der untersuchten Transportketten ist in Abb.<br />
5.3.2 dargestellt. <strong>Die</strong> Zentralisierung der Transportlogistik<br />
für Trockengüter in Suhr würde gegenüber dem heutigen<br />
Zust<strong>and</strong> etwas geringere Umweltauswirkungen bringen. Für<br />
<strong>and</strong>ere St<strong>and</strong>orte, die näher am heutigen Lager liegen, könnte<br />
diese Bilanz aber <strong>and</strong>ers aussehen. Eine (hypothetische)<br />
Variante, die Pelati direkt mit dem Lastwagen nach Suhr zu<br />
transportieren, würde deutlich mehr Umweltbelastung bewirken.<br />
Da wir den Strommix der italienischen Eisenbahnen<br />
nicht kennen, haben wir den UCPTE-Strommix für die<br />
Betriebsenergie der Bahn in Italien angenommen. Dadurch<br />
ergeben sich in Italien pro tkm um einiges höhere Belastungen<br />
(ca. 35%) als in der Schweiz. <strong>Die</strong>s ist möglicherweise<br />
ein zu hohes Ergebnis, da auch die Bahn in Italien mit relativ<br />
viel Strom aus Wasserkraftwerken fährt. <strong>Die</strong> wichtigsten<br />
Wirkungskategorien sind wiederum Lärm und Ressourcen.<br />
Abb. 5.3.1: Untersuchte<br />
Transportketten des Fallbeispiels<br />
Migros.<br />
102 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
<strong>Die</strong> Ökoeffizienz von Transportketten<br />
Abb. 5.3.2: Umweltauswirkungen der Transportketten der Migros für einen Transport von 4 Tonnen Dosentomaten nach<br />
Prozessen (links) und nach Wirkungskategorien (rechts). In der linken Grafik erscheint der Prozess «Umladen» nicht, da er<br />
zu gering ist.<br />
5.4 Diskussion der Resultate<br />
Ein höherer Bahnanteil führt in allen untersuchten Transportketten<br />
zu einer besseren Ökobilanz. Aber die Unterschiede<br />
zwischen Bahn- und Strassentransport sind nicht so<br />
gross (ca. Faktor 2.5 pro tkm), wie man sie aufgrund des<br />
emissionsarmen Betriebs der Bahn vermuten würde. <strong>Die</strong>s<br />
kommt daher, dass beim Wagenladungsverkehr relativ hohe<br />
Aufwendungen zur Infrastrukturbereitstellung betrieben<br />
werden müssen, was durch eine relativ tiefe Auslastung des<br />
Eisenbahnnetzes bedingt ist (Maibach et al., 1995, S. 64ff).<br />
Würde, wie oben diskutiert, als Grenzbetrachtung nur der<br />
Betrieb bilanziert, so würden die Unterschiede zugunsten<br />
der Bahn bedeutend grösser werden.<br />
Neuere Daten der SBB zur Betriebsenergie im Wagenladungsverkehr<br />
(ca. 20% geringerer Energieverbrauch gegenüber<br />
den Werten im Ökoinventar 5 ) wurden nicht miteinbezogen,<br />
da sie praktisch keinen Unterschied verursachen (ca.<br />
2% geringerer Energieaufw<strong>and</strong> im Gesamtmodul). Wiederum<br />
liegt der Grund dafür in den grossen Aufwendungen zur<br />
Bereitstellung der Infrastruktur gegenüber der Menge der<br />
Betriebsenergie begründet.<br />
Der Umweltindikator wird sehr stark durch die Wirkungskategorien<br />
Ressourcen und Lärm und etwas weniger stark<br />
durch die Kategorie «Respiratorische Effekte» (v.a. von<br />
NOx, VOC und Partikeln) bestimmt. L<strong>and</strong>verbrauch ist eher<br />
von untergeordneter Bedeutung in der Bewertung mit EI 99,<br />
wobei nur Effekte auf die Biodiversität und keine ästhetischen<br />
Wirkungen betrachtet werden. Eine Ausnahme bilden<br />
die Bahnvarianten des Fallbeispiels Migros, wo der L<strong>and</strong>verbrauch<br />
leicht stärker ins Gewicht fällt. <strong>Die</strong>s ist wahrscheinlich<br />
durch die Verwendung des UCPTE-Strommixes<br />
mit relativ hohem Anteil an Kohlekraftwerken und ihren<br />
grossen Tagbaugebieten zu erklären.<br />
Erste Erfahrungen mit der Bewertungsmethode EI 99<br />
zeigen, dass der Erhaltung der fossilen Ressourcenvorräte<br />
häufig relativ grosse Bedeutung zukommt, d.h. der Indikator<br />
eher etwas «ressourcenlastig» ist. Leider existieren noch<br />
keine publizierten Ökobilanzen mit EI 99, so dass keine<br />
Vergleichswerte bestehen.<br />
Der Einbezug des Lärms in die Ökobilanz erscheint sehr<br />
wertvoll, da die Bilanz um einen wichtigen Aspekt ergänzt<br />
wird. Wie im Kap. Lärm beschrieben, bestehen noch sehr<br />
grosse Unsicherheiten bei den verwendeten Modellen. Auch<br />
bei dieser Wirkungskategorie schneidet die Bahn etwas<br />
besser ab als die Strasse im Gegensatz zum Inventar von<br />
Maibach et al. (1995, S. 78). Bei der Betrachtung der drei<br />
grossen SBB Umweltthemen Energie, Lärm und L<strong>and</strong>schaft<br />
werden die Auswirkungen des Lärms und der Energiebereitstellung<br />
durch EI 99 deutlich höher eingestuft als die Auswirkungen<br />
des L<strong>and</strong>verbrauchs. Dabei ist allerdings auch<br />
noch zu berücksichtigen, dass ein Teil der Wirkungskategorie<br />
«L<strong>and</strong>verbrauch» auch den vorgelagerten Prozessen<br />
der Energiebereitstellung zuzuschreiben ist. D.h. der L<strong>and</strong>verbrauch<br />
der SBB-Infrastruktur macht nur einen Teil dieser<br />
Kategorie aus.<br />
Bei der Betrachtung der vom Ökoinventar Transport übernommenen<br />
Annahmen fällt v.a. die grosse Bedeutung auf,<br />
die die Auslastung des Schienen- und Strassennetzes für das<br />
Ergebnis hat. <strong>Die</strong>s bedeutet, dass das eine oder das <strong>and</strong>ere<br />
Transportmittel sich sehr schnell einen ökologischen Vorteil<br />
erkämpfen könnte, wenn es gelingen würde, halbvolle Wagenladungen<br />
und Leer(rück)fahrten zu vermeiden.<br />
5 Helmut Kuppelwieser (BahnUmwelt-Center der SBB AG), persönliche Mitteilung, 11.05.2000.<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 103
<strong>Die</strong> Ökoeffizienz von Transportketten<br />
6 Der Versuch zur Bestimmung<br />
des Gütertransportnutzens<br />
Im Abschnitt 4.4.2 haben wir darauf hingewiesen, dass eine<br />
direkte Bestimmung des Nutzens von bestimmten Transportketten<br />
(Gütertransportnutzen, GTN) dadurch erschwert<br />
wurde, dass alle Beteiligten die dafür notwendigen Informationen<br />
vertraulich beh<strong>and</strong>elten. In dieser Situation haben wir<br />
versucht, indirekt an die gewünschten Informationen über<br />
die Transportketten heranzukommen und die Mk-Werte von<br />
Maggi (1999) entsprechend zu skalieren. Dazu sind wir wie<br />
folgt vorgegangen:<br />
1. Von den Transportnachfragern, den Unternehmen, wurden<br />
Angaben über die zu bilanzierende Transportkette<br />
(TK) (siehe Abschnitt 5) eingeholt. <strong>Die</strong> TK ist durch die<br />
Transportdistanz, die Abfolge der Transportmittel und<br />
das zu transportierende Gut (Menge, Dichte, Wert) definiert.<br />
2. Zuvorkommenderweise erklärten sich einige Transportanbieter<br />
(aber vor allem das Bahnlogistikzentrum<br />
der SBB) bereit, eine Richtofferte für diese TK abzugeben,<br />
welche den Preis sowie Angaben über die vier<br />
Transportqualitäten (TQ) Transportzeit, Zuverlässigkeit,<br />
Flexibilität und Häufigkeit enthält. Allerdings sind die in<br />
den Richtofferten angegebenen Preise als problematisch<br />
anzusehen. Obwohl z.B. die SBB allgemein zugängliche<br />
Preistabellen haben und auch für die Strasse und den<br />
kombinierten Verkehr solche Informationen vorliegen<br />
(siehe Maggi et al., 1999, S. 4f), sind die in der Realität<br />
bezahlten Preise bei 90% der SBB-Kunden aufgrund<br />
langjähriger Verträge bis zu 40% tiefer als die in der<br />
Preistabelle enthaltenen Werte. 6<br />
3. In einem weiteren Schritt beurteilten die Transportnachfrager<br />
mit Hilfe eines Fragebogens die Wichtigkeit der<br />
erwähnten TQ für die Transportkette ihres Unternehmens.<br />
Zudem wurde für jede TQ erfragt, unter welchen<br />
minimalen Bedingungen der Nachfrager den Transport<br />
gerade noch ausführen lassen würde.<br />
Mit den durch die Befragungen erhaltenen quantitativen<br />
(K.O.-Werte) und qualitativen Daten (Wichtigkeiten) hofften<br />
wir, den firmenspezifischen GTN für die Transportketten<br />
gemäss der Gleichung 7 der betrachteten Transportketten<br />
zu berechnen. Allerdings haben wir bei diesem Vorgehen,<br />
z.B. für die Transportkette «Bahn» der Cham Paper<br />
Group, einen negativen GTN von zwischen CHF -1065.–<br />
und CHF -2346.– errechnet. <strong>Die</strong>ses Ergebnis ist anzuzweifeln,<br />
wobei verschiedene Erklärungen dafür möglich sind,<br />
auf die wir weiter unten noch eingehen werden. Da die<br />
Berechnungen des GTN für die <strong>and</strong>eren Transportketten<br />
keine besseren Resultate erbrachten, beschränken wir uns<br />
hier auf eine verbale Schilderung des geplanten Berechnungsweges<br />
für den GTN.<br />
<strong>Die</strong> für die Gleichung 7 notwendigen Daten erhält man<br />
einerseits aus der Offerte des Transportanbieters (W Offerte,k )<br />
und den Antworten auf den Fragebogen der Transportnachfrager<br />
(WK.O.,k). <strong>Die</strong> in den Berichten von Maggi (1999)<br />
und Maggi et al. (1999) enthaltenen Elastizitäten (Mk) für<br />
die vier Nutzendimensionen von Tab. 4.4.2 sind Durchschnittswerte.<br />
<strong>Die</strong> entsprechenden Minimal- und Maximalwerte<br />
in Tab. 6 können in Bolis & Maggi (1999) nachgelesen<br />
werden. Für uns stellte sich das Problem, wie wir die qualitativen<br />
Antworten der Transportnachfrager über die Wichtigkeit<br />
der einzelnen Nutzendimensionen in quantitative<br />
Angaben (Mk.spez.) umrechnen konnten. Wir gingen dabei<br />
so vor, dass wir die Endpunkte der Antwortskalen in unserem<br />
Fragebogen («mässig wichtig» und «sehr wichtig») den<br />
jeweiligen Minimal- und Maximalwerten aus Tab. 6 zugeordnet<br />
haben. Hatte also z.B. ein Transportnachfrager im<br />
Fragebogen angegeben, dass für ihn die Transportzeit sehr<br />
wichtig sei, hätten wir für ihn ein M k.spez. von 3.15 CHF/h<br />
in die Gleichung 7 eingesetzt. Im Falle einer mässig wichtigen<br />
Voranmeldezeit wäre der Mk.spez. gleich 0.36 CHF/h.<br />
Wichtigkeiten dazwischen liessen sich proportional in<br />
Mk.spez. umrechnen. Hätte ein Transportnachfrager angegeben,<br />
dass für ihn die Wichtigkeit der Zuverlässigkeit genau<br />
in der Mitte der Skala liege, hätte sich daraus ein Mk.spez. von<br />
CHF 5.08 pro Prozentpunkt errechnen lassen. In diesen<br />
Beispielen nahmen wir eine lineare Skalierung vor. Da<br />
Nutzenfunktionen in der Regel aber nicht linear sind, könnte<br />
man Wichtigkeiten auch mit Hilfe einer logarithmischen<br />
Skala in einen monetären Wert Mk.spez umrechnen. Der oben<br />
erwähnte GTN für den Zellstofftransport von CHF -1065.–<br />
ergibt sich auf Grund der linearen, derjenige von CHF<br />
-2346.– aufgrund der logarithmischen Skalierung.<br />
Wie schon erwähnt, lässt sich das erstaunliche Resultat<br />
eines negativen GTN für die Transportkette der Cham Paper<br />
Group mit unterschiedlichen Hypothesen erklären. Jede von<br />
ihnen bezieht sich auf einen der Schritte in unserem Vorge-<br />
Gleichung 7: Formel zur Bestimmung des Gütertransportnutzens (GTN) für firmenspezifische Transportketten. WOfferte,k =<br />
in der Richtofferte angebotener Wert für die TQk (z.B. 10 h Transportzeit); WK.O.,k = von der Firma bestimmter K.O.-Wert<br />
für die TQ k (z.B. 14 h Transportzeit); M k.spez. = firmenspezifisch relativer Grenznutzen für die TQ k (z.B. -2.20 CHF/h); n =<br />
Anzahl GTN-Variablen.<br />
6 Marc Birchmeier (SBB), persönliche Mitteilung, 11.05.2000.<br />
104 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
<strong>Die</strong> Ökoeffizienz von Transportketten<br />
Tab. 6: Monetäre Werte (Mk) aus Bolis & Maggi (1999) für vier Transportqualitäten bei durchschnittlich 776 km<br />
Transportdistanz.<br />
GTN-Variablen Einheit Monetäre Werte (M k) pro Nettotonne<br />
min. Durchschnitt max.<br />
Zeit h 0.23 1.15 CHF/Einheit 3.15<br />
Zuverlässigkeit % 0.50 2.42 CHF/Einheit 9.66<br />
Voranmeldezeit h 0.36 0.37 CHF/Einheit 2.21<br />
Häufigkeit Anzahl/Monat 0.41 1.10 CHF/Einheit 8.26<br />
hen, die wir so wählen mussten, um die Nichtöffentlichkeit<br />
der notwendigen Information zu umgehen.<br />
Ein negativer Gesamtnutzen für die Transportkette<br />
«Bahn» würde bedeuten, dass die Cham Paper Group bei<br />
einem rationalen Verhalten den Transport des Zellstoffes<br />
nicht mit dieser sondern mit einer <strong>and</strong>eren Transportkette<br />
durchführen würde. Da aber tatsächlich der meiste Zellstoff<br />
mit dem Rheinschiff nach Basel und von dort mit der Bahn<br />
via den Rangierbahnhof Limmattal nach Cham gelangt, ist<br />
es naheliegend, das von uns gewählte Vorgehen für eine<br />
Quantifizierung des GTN für spezifische Transportketten<br />
als nicht unbedingt geeignet zu erklären.<br />
Umgekehrt könnte der für die Offerte berechnete negative<br />
Nutzen auch damit erklärt werden, dass die Cham Paper<br />
Group ihre Transporte trotz allem auf der Bahn durchführt,<br />
weil sie wahrscheinlich in Wirklichkeit viel weniger für den<br />
Bahntransport bezahlen muss, als in der Offerte angeben ist.<br />
Sie würde, so die Hypothese, den Zellstoff mit Lastwagen<br />
transportieren, falls die SBB auf den Listenpreisen besteht.<br />
Natürlich könnte sich das negative Ergebnis im Falle der<br />
Cham Paper Group auch dadurch ergeben haben, dass eine<br />
wichtige Nutzendimension – die Güterwertsicherung –<br />
nicht in der Berechnung des GTN berücksichtigt wurde. Da<br />
aber auch die Bestimmung des GTN für V-Zug und Migros<br />
unlogische Resultate ergeben haben, ist möglicherweise das<br />
Problem in der Differenz zwischen den öffentlich vorh<strong>and</strong>enen,<br />
in den Offerten genannten Preisen und den von den<br />
Unternehmen tatsächlich bezahlten Preisen zu suchen.<br />
Das Problem kann auch im verwendeten Fragebogen und<br />
der Art und Weise, wie die Unternehmen ihn beantwortet<br />
haben, begründet sein. <strong>Die</strong>s zeigte sich bei den Ergebnissen<br />
daran, dass die Nutzenwerte der verschiedenen TQ im Falle<br />
der V-Zug entgegengesetzte Vorzeichen hatten. Leider<br />
konnte die Kostendifferenz als Prüfwert nicht gebildet werden,<br />
da die Firma dazu keine Angaben machen wollte. Im<br />
Falle der Transportzeit wurde die inkonsistente Bearbeitung<br />
des Fragebogens deutlich: <strong>Die</strong> Zeit wurde zwar etwas bedeutender<br />
als ‚mässig wichtig’ bewertet. Bei der Bestimmung<br />
des K.O.-Wertes wurden dagegen keine Angaben<br />
gemacht – mit der Begründung, dass diese TQ für die<br />
evaluierte Transportkette unwichtig sei.<br />
Damit ist der Versuch zur konkreten Bestimmung einer als<br />
GTN definierten Funktionellen Einheit für die Berechnung<br />
der Ökoeffizienz vorläufig als gescheitert zu betrachten. Wir<br />
konnten daher während der <strong>Fallstudie</strong> die ÖE nicht gemäss<br />
der Gleichung 4 berechnen, sondern mussten uns für den<br />
nachfolgenden Vergleich der Transportketten mit der Funktionellen<br />
Einheit «Tonnenkilometer» gemäss Gleichung 3<br />
begnügen.<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 105
<strong>Die</strong> Ökoeffizienz von Transportketten<br />
7 Vergleich der Ökoeffizienz der<br />
Transportketten<br />
Als erstes wurde die Ökoeffizienz des Transportmittels –<br />
ausgedrückt in tkm pro Umwelteinwirkung – berechnet. <strong>Die</strong><br />
Transportleistung (in tkm) für eine Transportstrecke war in<br />
dieser Betrachtungsweise konstant. Zur Berechnung der<br />
Transportleistung wurde die kürzeste LKW Strecke zwischen<br />
Anfangs- und Zielort gewählt und mit dem transportierten<br />
Nettogewicht multipliziert. Für den Transport von<br />
400 t Papierfasern von Antwerpen nach Cham beträgt die<br />
Transportleistung beispielsweise 636 km * 400 t = 254’400<br />
Netto-tkm.<br />
Innerhalb der Unternehmen ergaben sich hinsichtlich der<br />
in Abb. 7 dargestellten Ökoeffizienzen zwischen den verschiedenen<br />
Varianten keine Verschiebungen gegenüber der<br />
alleinigen Betrachtung der Ökobilanz. <strong>Die</strong>s kommt daher,<br />
dass eine konstante Transportleistung durch den jeweiligen<br />
Umweltindikator geteilt wurde. Interessant ist hier dagegen<br />
der Vergleich zwischen den drei verschiedenen Fallbeispielen.<br />
Der Schiffstransport hatte in unserer Berechnung eine<br />
höhere Ökoeffizienz als der Bahntransport, da bei der Bahn<br />
die Infrastrukturaufwendungen viel grösser sind. Möglicherweise<br />
ist aber der Aufw<strong>and</strong> für Flusskanalisierung und<br />
Kanalbau nicht vollständig bilanziert, respektive nicht der<br />
Transportleistung sondern dem Hochwasserschutz oder der<br />
Energiegewinnung zugerechnet worden. Es ist denkbar,<br />
dass Berechnungen für spezifische Neubaustrecken, wie<br />
z.B. den Main-Donaukanal, zu viel schlechteren Resultaten<br />
für den Schiffstransport führen würden. Eine weitere Unsicherheit<br />
besteht hinsichtlich der Emissionen der <strong>Die</strong>selmotoren<br />
der Rheinschiffe. 7<br />
Daher ist die Ökoeffizienz der<br />
Transportkette bei der Cham Paper Group zwar am höchsten,<br />
aber dieses Resultat ist auch am unsichersten. Würde<br />
nur der Betrieb betrachtet, wären Schiff und Bahn etwa<br />
gleich effizient, und die Säulen des Fallbeispiels Migros in<br />
der Abb. 7 wären etwa gleich hoch wie diejenigen der Cham<br />
Paper Group.<br />
<strong>Die</strong> relativ schlecht ausgelasteten LKWs bei der V-Zug<br />
bringen eine tiefe Ökoeffizienz mit sich. <strong>Die</strong> Auslastung<br />
hängt aber mit der Wichtigkeit der termingerechten Lieferung<br />
zusammen, die bei den <strong>and</strong>eren zwei Gütern nicht von<br />
Bedeutung ist.<br />
Abb. 7: Ökoeffizienz der verschiedenen<br />
Transportketten<br />
ausgedrückt in tkm pro EI 99<br />
Punkt. Grosse Werte sind als<br />
positiv zu betrachten.<br />
7 <strong>Die</strong> Annahmen für das Ökoinventar Transporte sind in Maibach, Peter & Seiler, 1995, S. 33f) festgelegt.<br />
106 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
<strong>Die</strong> Ökoeffizienz von Transportketten<br />
8 Zukunftsperspektiven<br />
In diesem Abschnitt stellen wir neue Technologien im Güterverkehr<br />
vor und beh<strong>and</strong>eln ihre Auswirkungen auf die<br />
Umweltbelastung und die Wirtschaftlichkeit der Transporte<br />
für Bahn, LKW und den kombinierten Güterverkehr.<br />
8.1 Kombinierter Güterverkehr<br />
Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten des kombinierten<br />
Verkehrs: Erstens, die «Rollende Autobahn» – der Transport<br />
des ganzen LKW auf der Bahn – und zweitens den unbegleiteten<br />
Kombiverkehr, bei dem Container, Wechselbehälter<br />
und Sattelauflieger direkt auf die Bahn verladen werden.<br />
Der Umschlag der Container vom LKW auf den Bahnwagen<br />
und umgekehrt ist zeit- und kostenintensiv. <strong>Die</strong>ser Umschlag<br />
zwischen Bahn und Strasse ist eine Schwachstelle des<br />
unbegleiteten Kombiverkehrs. <strong>Die</strong> derzeitige Umschlagstechnik<br />
mit Grosskränen ist nur für grosse Terminals lohnend,<br />
für kleine ist sie zu teuer. So kommen Container in der<br />
Schweiz auch fast nur im Import- und Exportverkehr zum<br />
Einsatz. Im Folgenden beschreiben wir daher zwei neue<br />
Umschlagstechniken, den RTS-500 Furmia und den Mobiler-LKW,<br />
die auch für den Einsatz in Kleinterminals geeignet<br />
sind.<br />
RTS-500 Furmia<br />
Furmia ist eine ungarische Erfindung und läuft auf Bahnschienen.<br />
Furmia zieht oder schiebt die Container seitwärts<br />
vom bzw. auf den LKW oder Bahnwagen. Es ergeben sich<br />
durch Furmia folgende Vorteile:<br />
– nur wenige bauliche Massnahmen erforderlich,<br />
– auch unter Fahrleitungen einsetzbar,<br />
– Bedienung durch den Lastwagenfahrer möglich,<br />
– geringe Anschaffungs- und Betriebskosten,<br />
– Zwischenlagerung von Containern möglich.<br />
Da Furmia auf Schienen läuft, ist diese Umladetechnologie<br />
an ein Terminalgleis gebunden.<br />
Mobiler-LKW<br />
Mit dem Mobiler-LKW kann der Umschlag innerhalb weniger<br />
Minuten erfolgen, ohne dass eine lokale Infrastruktur<br />
benötigt wird. Es h<strong>and</strong>elt sich dabei um einen Mobiler-Aufbau<br />
auf einem Serien-LKW, mit dem Container auf einen<br />
Bahnwagen geschoben oder auf den Lastwagen gezogen<br />
werden können (Abb. 8.1). Dadurch ergeben sich folgende<br />
Vorteile:<br />
– keine lokale Infrastruktur erforderlich (abgesehen von<br />
einem Zufahrtsweg für den Lastwagen),<br />
– auch unter Fahrleitungen einsetzbar,<br />
– Umschlag erfolgt durch den Lastwagenfahrer,<br />
– geringe Umschlagszeit (weniger als fünf Minuten).<br />
Als Nachteil muss erwähnt werden, dass eine Modifikation<br />
der ISO-Container erforderlich ist und damit hohe Anpassungsinvestitionen<br />
überall in der Logistikkette anfallen<br />
würden.<br />
8.2 Eisenbahngüterverkehr<br />
<strong>Die</strong> Eisenbahn verliert gegenüber der Strasse sowohl Marktanteile<br />
als auch ökologischen Vorsprung. <strong>Die</strong> hier vorgestellten<br />
Technologien sollen diesem Trend entgegenwirken.<br />
Kunststoffbremsen<br />
Im Bereich Lärm besteht für die Bahn das grösste Verbesserungspotential<br />
bezüglich Umweltbelastung. Der Ersatz von<br />
Graugussklotzbremsen durch Verbundklotzbremsen vermindert<br />
die Lärmemissionen um 5 bis 10 dB(A). Aufgrund<br />
der im Kapitel Lärm beschriebenen Modellierung der Auswirkungen<br />
ergeben sich für Güterzüge, die mit Kunststoffbremsen<br />
ausgerüstet sind, ca. 20% geringere Umweltaus-<br />
Abb. 8.1: Mit dem Mobiler können Container vom LKW auf den Waggon – oder umgekehrt – geschoben werden. Es wird<br />
keine lokale Infrastruktur benötigt (Bild: Palfinger Bermüller).<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 107
<strong>Die</strong> Ökoeffizienz von Transportketten<br />
wirkungen (gemessen in EI 99-Punkten) als heute. Eine<br />
Task Force der europäischen Eisenbahnen hat denn auch<br />
entsprechende Modifkationen an den Güterwagen oder deren<br />
Neubau als kosteneffizienteste Lärmschutzmassnahme<br />
identifiziert (UIC Task Force Noise, 1999 und 2000).<br />
Cargosprinter<br />
Beim Cargosprinter h<strong>and</strong>elt es sich um einen modernen<br />
Güterzug mit diversen technischen Neuerungen. Er verkehrt<br />
im Shuttle-Betrieb und kommt auf Strecken zum Einsatz,<br />
auf denen das regionale Güteraufkommen für einen konventionellen<br />
Güterzug nicht ausreicht. Geeignete Einsatzfelder<br />
sind beispielsweise der Feederverkehr von regionalen Terminals<br />
zum Hauptnetz des kombinierten Verkehrs, der<br />
Werkverkehr oder die Verbindung von Seehäfen.<br />
Der Cargosprinter kann im Elektrobetrieb oder mit <strong>Die</strong>sel<br />
(Euro II) fahren. Weitere Besonderheiten sind automatische<br />
Kupplung und Bremsprobe, lärmarme Scheibenbremsen<br />
(Reduktion der Geräuschemissionen um 10 bis 15 dB(A))<br />
und flexible Grösse durch einen modularen Aufbau (Zürcher,<br />
1999). Im Elektrobetrieb verbraucht der Cargosprinter<br />
etwa die gleiche Betriebsenergie, wie sie auch für den Wagenladungsverkehr<br />
benötigt wird.<br />
Der ökologische Vorteil des Cargosprinters liegt v.a. bei<br />
der Lärmreduktion durch die Scheibenbremsen. Aufgrund<br />
der Modelle aus dem Lärmkapitel ergeben sich für einen<br />
Cargosprinter pro tkm etwa 60% geringere Lärmauswirkungen<br />
in der Ökobilanz gegenüber dem Wagenladungsverkehr<br />
heute.<br />
8.3 Strassengüterverkehr<br />
(erdgasbetriebene Motoren)<br />
<strong>Die</strong> Strasse sieht sich mit zunehmend strengeren Abgasvorschriften<br />
konfrontiert. <strong>Die</strong>selmotoren, die dominierende<br />
Antriebsart, werden technisch verbessert, die Optimierungsmöglichkeiten<br />
sind jedoch begrenzt.<br />
<strong>Die</strong> Verwendung von abgasarmen, gasbetriebenen Motoren<br />
für Lastwagen ist noch nicht weit verbreitet. Es bestehen<br />
erst vereinzelte Tankstellen und die Reichweite von mit Gas<br />
angetriebenen Lastwagen ist beschränkt. Der Migros-Genossenschafts-Bund<br />
besitzt zur Zeit vier dieser Lastwagen<br />
und hat bisher gute Erfahrungen mit ihnen gemacht. <strong>Die</strong>se<br />
Lastwagen bieten eine Möglichkeit, Ballungsgebiete mit<br />
hohen Luftbelastungswerten zu entlasten.<br />
<strong>Die</strong> ökologischen Vorteile des mit Gas betriebenen Motors<br />
sind die im Gegensatz zum <strong>Die</strong>selmotor deutlich geringeren<br />
Emissionen von Partikeln, Stickoxiden, Kohlenmonoxid<br />
und Kohlenwasserstoffen sowie die um 3-4 dB(A)<br />
geringeren Geräuschemissionen. <strong>Die</strong> Treibhausgasemissionen<br />
(CO2 und CH4) sind vergleichbar mit denjenigen eines<br />
<strong>Die</strong>selmotors. Der Treibstoffverbrauch ist aufgrund des<br />
schlechteren Wirkungsgrades 25-30% grösser (Weber,<br />
1999).<br />
8.4 Ein Rechenbeispiel<br />
Um den Einfluss der beschriebenen Technologien auf die<br />
Ökobilanz und damit auch auf die Ökoeffizienz der analysierten<br />
Transportketten abzuschätzen, wurden für einen<br />
Elektro-Cargosprinter und einen Erdgas LKW eine Ökobilanz<br />
für das Beispiel V-Zug gerechnet. Für beide Technologien<br />
wurden nur die Betriebsdaten geändert, Infrastruktur<br />
und Herstellung und Entsorgung der Fahrzeuge wurden<br />
übernommen. Dabei wurde für den Betrieb des Erdgaslastwagens<br />
mit unkomprimiertem Erdgas gerechnet, d.h. der<br />
Energieaufw<strong>and</strong> zur Kompression des Erdgases konnte<br />
nicht berücksichtigt werden.<br />
Da für den Cargosprinter pro tkm etwa die gleiche Betriebsenergie<br />
aufgewendet werden muss wie im Wagenladungsverkehr,<br />
wurden nur die verminderten Lärmemissionen<br />
und die etwas kürzere Strecke – es muss nicht rangiert<br />
werden – betrachtet. <strong>Die</strong> Vorteile des Cargosprinters liegen<br />
Abb. 8.4: Ökobilanz für heutige und in Zukunft mögliche, weiter verbreitete Technologien am Beispiel der Transportkette<br />
der V-Zug.<br />
108 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
<strong>Die</strong> Ökoeffizienz von Transportketten<br />
aber nicht vorrangig in der ökologischen Dimension sondern<br />
in der Flexibilität, was sich über die Auslastung in der<br />
Ökobilanz und auch bei entsprechender Modellierung im<br />
Transportnutzen niederschlagen würde.<br />
Wie aus Abb. 8.4 ersichtlich ist, ergeben sich für die<br />
zukünftigen Technologien gegenüber dem heutigen Zust<strong>and</strong><br />
deutlich weniger Umweltwirkungen. Wichtige Einsparpotentiale<br />
ergeben sich v.a. für den Erdgaslastwagen, der gemäss<br />
unseren Berechnungen gegenüber dem LKW EURO<br />
III ca. 40% weniger Umweltbelastung bringt.<br />
9 Schlussfolgerungen und<br />
Ausblick<br />
9.1 Was wurde erreicht?<br />
<strong>Die</strong> gesteckten Ziele konnten weitgehend erreicht werden.<br />
Der angestrebte Vergleich der Ökoeffizienz von aktuellen<br />
Transportketten mit möglichen Alternativen für Unternehmen<br />
aus der Region Zug konnte v.a. auf Seiten der Umweltauswirkungen<br />
sehr zufriedenstellend erarbeitet werden.<br />
Durch die Ausarbeitung eines Ansatzes zur Abbildung von<br />
Lärmauswirkungen in EI 99 – im Kapitel Lärm ausgeführt –<br />
konnte diese wichtige Wirkungskategorie in die Ökobilanz<br />
integriert werden. Weitere interessante Perspektiven ergaben<br />
sich durch die Betrachtung innovativer Technologien im<br />
Güterverkehr, die ökologische und ökonomische Einsparpotentiale<br />
aufzeigen.<br />
Bei der Bestimmung des Gütertransportnutzens (GTN)<br />
ergaben sich diverse methodische Probleme, sodass die<br />
Berechnung eines GTN-Indizes als Ersatz für die üblicherweise<br />
verwendete funktionelle Einheit «Tonnenkilometer»<br />
nicht vollständig durchgeführt werden konnte.<br />
Aufgrund der untersuchten Fallbeispiele wurden die folgenden<br />
fünf Thesen erarbeitet, die die wichtigsten Schlussfolgerungen<br />
zusammenfassen:<br />
These 1: Lärm als Umweltbelastung leistet einen wichtigen<br />
Beitrag an die Gesamtbelastung. <strong>Die</strong> Ökobilanz wird bei<br />
bestimmten Transportketten durch seinen Einbezug fast verdoppelt.<br />
Wie im Kapitel Lärm dargelegt, sind die methodischen<br />
Unsicherheiten zur Zeit sehr gross. <strong>Die</strong> Modellierung von<br />
Lärmwirkungen in Ökobilanzen steht erst am Anfang. Dennoch<br />
lässt sich aufgrund unserer Untersuchung folgern, dass<br />
Lärm eine zentrale Rolle in der ökologischen Beurteilung<br />
von Transportketten einnimmt.<br />
These 2: <strong>Die</strong> herkömmliche Verwendung von Tonnenkilometern<br />
als funktionelle Einheit zur Berechnung der Ökoeffizienz<br />
ist ungenügend und die funktionelle Einheit muss mindestens<br />
um die Kosten sowie die wichtigsten Transportqualitäten<br />
(Zuverlässigkeit, Zeit, Flexibilität und Häufigkeit)<br />
ergänzt werden, wenn man die unterschiedlichen Leistungsprofile<br />
des Strassen- und des Bahntransports bei der Berechnung<br />
der Ökoeffizienz von Transportketten gebührend<br />
berücksichtigen will.<br />
<strong>Die</strong> betrachteten Fallbeispiele zeigen, dass die Anforderungen<br />
der Unternehmen an die oben erwähnten Transportqualitäten<br />
für die transportierten Güter sehr unterschiedlich<br />
sind. Der Einbezug der Transportqualitäten ist besonders<br />
wichtig für Güter, die sehr flexibel geliefert werden müssen,<br />
wie z.B. im Fall der Transportkette der V-Zug. Bei den<br />
<strong>and</strong>eren beiden betrachteten Transportketten ist v.a. der<br />
Preis ausschlaggebend.<br />
These 3: Eine Transportkette ist heute umso ökologischer, je<br />
grösser der Anteil der Bahn ist. <strong>Die</strong>s gilt vor allem für die<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 109
<strong>Die</strong> Ökoeffizienz von Transportketten<br />
Berechnung der Ökoeffizienz mit Tonnenkilometern pro<br />
Umweltbelastung.<br />
Bei unseren Betrachtungen kommt der Hauptanteil der<br />
Umweltbelastung der Bahn aus der Infrastruktur, wogegen<br />
bei der Strasse die Hauptbelastung auf den Betrieb zurückgeführt<br />
werden kann. Bei einer marginalen Betrachtung, die<br />
für den Entscheid eines Unternehmens eigentlich massgebend<br />
ist, bei der nur Auswirkungen des Betriebs berücksichtigt<br />
werden, steht die Bahn noch deutlich besser da als in<br />
unserer Betrachtung. <strong>Die</strong> Berechnung der Ökoeffizienz mit<br />
Gütertransportnutzen pro Umweltbelastung modifiziert<br />
möglicherweise die in der These festgehaltene Schlussfolgerung,<br />
sofern die immer wieder vorgebrachten Argumente<br />
hinsichtlich des Konkurrenzvorteils der Strasse wirklich<br />
stimmen.<br />
These 4: In Zukunft wird der ökologische Unterschied zwischen<br />
der Bahn und der Strasse – ohne Einbezug der Umweltauswirkung<br />
von Lärm – eher kleiner werden. Mit dem<br />
Einbezug der Umweltauswirkungen von Lärm hängt es von<br />
der Berechnungsmethode ab, ob die Bahn ihren Umweltvorteil<br />
ausbauen kann.<br />
Abgesehen vom Lärm, ergeben sich für die Bahn kleinere<br />
ökologische Einsparmöglichkeiten als für die Strasse, bei<br />
der gegenüber heute deutliche Verbesserungsmöglichkeiten<br />
bestehen. Dadurch könnte der ökologische Vorteil der Bahn<br />
kleiner werden, aber wohl nicht verschwinden. Allerdings<br />
ist das technische Lärmreduktionspotential bei Lastwagen<br />
eher geringer als bei den Güterwagen der Bahn. <strong>Die</strong>s könnte<br />
sich als bedeutend erweisen, sofern die von der Europäischen<br />
Union angepeilte Internalisierung der externen Lärmkosten<br />
verwirklicht werden kann.<br />
These 5: Durch den hohen Beitrag der Infrastruktur am<br />
Gesamtprozess kommt bei der Bahn der Verbesserung der<br />
Auslastung eine wichtige Rolle zu.<br />
Bei der Betrachtung der vom Ökoinventar Transport übernommenen<br />
Annahmen fällt v.a. die Auslastung – sowohl des<br />
Schienen- und Strassennetzes allgemein als auch eines einzelnen<br />
Transportes – als wichtige Einflussgrösse für die<br />
Ökobilanz auf. <strong>Die</strong>s bedeutet, dass das eine oder das <strong>and</strong>ere<br />
Transportmittel sich sehr schnell einen ökologischen Vorteil<br />
erkämpfen könnte, wenn es gelingen würde, halbvolle Wagenladungen<br />
und Leer(rück)fahrten zu vermeiden.<br />
9.2 Ausblick<br />
Der Einbezug von Lärm in die Ökobilanz von Transporten<br />
ist ein weiterer Schritt in der Richtung zu einer vollständigeren<br />
und damit auch gerechteren Abbildung der Umweltauswirkungen<br />
verschiedener Transportmittel. Allerdings ist die<br />
Quantifizierung der Umweltwirkung von Lärm noch mit<br />
grossen Unsicherheiten behaftet. In unserer Arbeit konnten<br />
wir nur einen ersten Schritt tun. Weitere Arbeiten sind<br />
notwendig, unter <strong>and</strong>erem auch eine Berechnung dieser<br />
Auswirkung in <strong>and</strong>eren Ländern. Auch fehlt bis jetzt eine<br />
Bestimmung der Wirkung von Schiffslärm, der für die Bewertung<br />
von Transportketten wichtig ist. Ein Miteinbeziehen<br />
des Schiffslärms in die Rechnung kann eine Minderung<br />
des ökologischen Bonus des Flusstransportes zur Folge<br />
haben.<br />
<strong>Die</strong> Benützung von Ökobilanzdaten für die Bestimmung<br />
der Ökoeffizienz von Transportketten leidet unter dem unvermeidbaren<br />
Widerspruch zwischen dem Anspruch auf<br />
Allgemeingültigkeit der Ökobilanz und der Spezifität der<br />
Transportkette. <strong>Die</strong> Wirkungsketten hinter der Ökobilanz<br />
abstrahieren weitgehend von Raum und Zeit. <strong>Die</strong> sich konkurrierenden<br />
Transporte auf Schiene und Strasse, deren<br />
Ökoeffizienz hier bestimmt wurde, finden aber auf bestimmten<br />
Streckenabschnitten und zu bestimmten Tageszeiten<br />
statt.<br />
Es ist unbedingt notwendig, die mögliche Ablösung der<br />
Tonnenkilometer als funktionelle Einheit bei der Ökobilanzierung<br />
von Gütertransport(dienst)leistungen und der Bestimmung<br />
der Ökoeffizienz durch komplexere Indizes, wie<br />
wir es hier mit dem Gütertransportnutzen versucht haben,<br />
weiterhin zu untersuchen. <strong>Die</strong> Verwendung solcher Indizes<br />
würde möglicherweise auch die hier untersuchten zukunftsorientierten<br />
Umschlagstechniken für den kombinierten Güterverkehr<br />
bei Ökoeffizienzberechnungen in etwas <strong>and</strong>erem<br />
Lichte erscheinen lassen. Eine Vereinfachung (Kosteneinsparung)<br />
und Beschleunigung des Gütertransfers von der<br />
Strasse auf die Schiene und umgekehrt verändert die geleisteten<br />
Tonnenkilometer und damit die Ökobilanz und die<br />
Ökoeffizienz entsprechend der Gleichung 3 in keiner Weise.<br />
Kosten- und Zeiteinsparungen, die dadurch aber erzielt werden<br />
können, erhöhen den Gütertransportnutzen und damit<br />
die Ökoeffizienz derjenigen Transportketten, die Bahntransporte<br />
miteinschliessen.<br />
Ein solcher Perspektivenwechsel kann in der Zukunft von<br />
Bedeutung sein, wenn sich immer mehr Unternehmen aufgrund<br />
der Zertifizierung mit EMAS und ISO 14001 mit der<br />
Ökoeffizienz ihres unternehmerischen H<strong>and</strong>elns ausein<strong>and</strong>ersetzen<br />
müssen. In vielen Fällen dürfte dann die Ökoeffizienz<br />
alternativer Transportketten vermehrt in den Vordergrund<br />
rücken. Da für viele Güter der Gütertransportnutzen<br />
von Strassentransporten offensichtlich höher eingeschätzt<br />
wird als von Bahntransporten, die Ökobilanz aber in der<br />
Regel gerade umgekehrt ausfällt, ist jede Massnahme technischer<br />
oder betrieblicher Art, die den von der Bahn erbrachten<br />
Nutzen (Zeitdauer, Zuverlässigkeit, Kosten) erhöht, ein<br />
Schritt in die Richtung einer verbesserten relativen Ökoeffizienz<br />
des Bahnverkehrs und damit einer verbesserten umweltorientierten<br />
Konkurrenzfähigkeit der Bahn gegenüber<br />
<strong>and</strong>eren Transportmitteln.<br />
110 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
<strong>Die</strong> Ökoeffizienz von Transportketten<br />
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<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 111
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ADtranz.<br />
112 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Naturraum<br />
Autorinnen:<br />
Petra Vögeli<br />
Evelyn Sonderer<br />
unter Mitarbeit von<br />
Thomas Köllner<br />
Aufbauend auf den Ergebnissen<br />
der Arbeitsgruppe Naturraum:<br />
Laurenz Alder-Künzle<br />
Martin Blaser<br />
Michael Brögli<br />
Thomas Camerata<br />
Jean-David Gerber<br />
Nadine Guthapfel<br />
Markus Hohl<br />
Manuela Hotz<br />
Evelyn Sonderer<br />
Adrian Strehler<br />
Semra Sulejmani<br />
Mathias Tobler<br />
Flurin Trepp<br />
Petra Vögeli<br />
Konrad Zurfluh-Kurz<br />
Ute Woschnack (Tutorin)<br />
Fern<strong>and</strong>e Gächter (Tutorin)<br />
Raimund Rodewald (Tutor)<br />
Inhalt<br />
1. Einführung 115<br />
2. Streckenauswahl 117<br />
3. Kleinraum 119<br />
4. Grossraum 122<br />
5. L<strong>and</strong>schaft 125<br />
6. Diskussion 130<br />
7. Zukunft Böschung 132
Naturraum<br />
Zusammenfassung<br />
Betrieb und Infrastruktur von Verkehrssystemen<br />
haben grosse Auswirkung<br />
auf L<strong>and</strong>schaft und Naturraum.<br />
<strong>Die</strong> Verkehrssysteme Strasse und<br />
Schiene beeinträchtigen das L<strong>and</strong>schaftsbild,<br />
können Wildtierkorridore<br />
zerschneiden, verbrauchen L<strong>and</strong> und<br />
verschlechtern die Habitatqualität<br />
durch Emissionen. Auf der <strong>and</strong>eren<br />
Seite stellen Strassen und Schienenböschungen<br />
auch Sekundärbiotope dar,<br />
die in einer intensiv genutzten Kulturl<strong>and</strong>schaft<br />
zur Vernetzung von Biotopen<br />
beitragen können. Ein umfassender<br />
Vergleich der beiden Verkehrsträger<br />
in ihrer ökologischen Auswirkung<br />
liegt jedoch für die Schweiz bisher<br />
nicht vor. Das Ziel der Naturraumgruppe<br />
war, die beiden Verkehrssysteme<br />
vergleichend zu bewerten. Ein Gesamtvergleich<br />
der Wirkungen von<br />
Schiene und Strasse auf L<strong>and</strong>schaft<br />
und Naturraum ist jedoch mit Schwierigkeiten<br />
verbunden, denn die Folgewirkungen<br />
von Verkehr sind sehr heterogen<br />
und umfassen unterschiedliche<br />
Problemfelder.<br />
<strong>Die</strong> Untersuchungen beschränkten<br />
sich daher auf:<br />
– die kleinräumigen Unterschiede in<br />
der Habitatqualität,<br />
– die Modellierung der grossräumigen<br />
Einflüsse auf Wildtierkorridore<br />
und<br />
– die Bewertung des Einflusses auf<br />
die L<strong>and</strong>schaftsästhetik.<br />
<strong>Die</strong> Naturraumgruppe hat verschiedene<br />
Methoden eingesetzt, die geeignet<br />
sind, einen partiellen ökologischen<br />
Vergleich zwischen Schiene und Strasse<br />
zu ziehen. <strong>Die</strong> aufgetretenen<br />
Schwierigkeiten haben gezeigt, welche<br />
Aspekte bei weiteren Arbeiten besonders<br />
zu berücksichtigen sind. Zusammenfassend<br />
lässt sich sagen: <strong>Die</strong><br />
Ergebnisse der Naturraumgruppe zeigen<br />
Anhaltspunkte für einen partiellen<br />
ökologischen Vorteil der Schiene gegenüber<br />
der Strasse in den Auswirkungen<br />
auf den Naturraum.<br />
Keywords: Böschungen, L<strong>and</strong>schaftsbild,<br />
L<strong>and</strong>schaftsfragmentierung,<br />
Tierbarrieren, Waldr<strong>and</strong>, Wildtierkorridore.<br />
Résumé<br />
L’exploitation et l’infrastructure de<br />
systèmes de transport ont un gr<strong>and</strong><br />
impact sur le paysage et le milieu naturel.<br />
Les systèmes de transport route<br />
et rail portent préjudice au site rural,<br />
peuvent amputer des corridors du gibier,<br />
utilisent le sol et détériorent la<br />
qualité de l’habitat par la pollution.<br />
D’autre part, les talus des routes et des<br />
rails constituent également des biotopes<br />
secondaires qui peuvent contribuer<br />
à interconnecter les biotopes dans<br />
un paysage de culture intensive. Il<br />
n’existe jusqu’à présent pour la Suisse<br />
encore aucune comparaison approfondie<br />
des deux transporteurs quant à leur<br />
impact écologique respectif. L’objectif<br />
du groupe Espace naturel était<br />
d’évaluer comparativement les deux<br />
systèmes de transport. Une comparaison<br />
globale des effets du rail et de la<br />
route sur le paysage et le milieu naturel<br />
n’est cependant pas exempte de<br />
difficultés car les effets secondaires du<br />
trafic sont extrêmement hétérogènes<br />
et comportent différents aspects du<br />
problème.<br />
Les études se sont donc limitées:<br />
– aux différences dans de petits espaces<br />
en terme de qualité d’habitat,<br />
– au modelage des effets dans de<br />
gr<strong>and</strong>s espaces sur les corridors du<br />
gibier et<br />
– à l’évaluation de l’effet sur l’esthétique<br />
des paysages.<br />
Le groupe Espace naturel a mis en<br />
place différentes méthodes aptes à<br />
établir une comparaison partiellement<br />
écologique entre le rail et la route. Les<br />
difficultés rencontrées ont montré<br />
quels sont les aspects spécialement à<br />
retenir dans des travaux ultérieurs.<br />
Pour conclure, les résultats du groupe<br />
Espace naturel révèlent des indices<br />
d’un avantage partiellement écologique<br />
du rail par rapport à la route quant<br />
à l’impact sur l’espace naturel.<br />
Mots-clés: talus, site rural, fragmentation<br />
rurale, barrières pour animaux,<br />
lisière de la forêt, corridors du gibier.<br />
Summary<br />
Running a traffic system <strong>and</strong> its infrastructure<br />
have a large impact on l<strong>and</strong>scape<br />
<strong>and</strong> natural environment. The<br />
traffic systems road <strong>and</strong> rail affect the<br />
l<strong>and</strong>scape, can dissect wild animals’<br />
corridors, use up space <strong>and</strong> diminish<br />
the quality of habitat by emission. On<br />
the other h<strong>and</strong>, road <strong>and</strong> railway embankments<br />
also constitute secondary<br />
biotopes, which can contribute to an<br />
integration of biotopes when cultivated<br />
intensively. However, a comprehensive<br />
comparison of both traffic<br />
bearers regarding their environmental<br />
impact has so far not been drawn for<br />
Switzerl<strong>and</strong>. The natural-environment-group’s<br />
goal was to assess both<br />
traffic systems comparatively. A total<br />
comparison of the rail <strong>and</strong> road’s impact<br />
on l<strong>and</strong>scape <strong>and</strong> natural environment<br />
is bound to be difficult, however,<br />
because the impacts of traffic are very<br />
heterogeneous <strong>and</strong> include various<br />
problem zones. For this reason the studies<br />
were confined to:<br />
– Small scale differences in the quality<br />
of habitat<br />
– Modeling of large scale influences<br />
on wild animals’ corridors <strong>and</strong><br />
– Assessment of the impact on the<br />
aesthetics of the l<strong>and</strong>scape.<br />
The natural-environment-group implemented<br />
several methods fit for drawing<br />
a partial environmental comparison<br />
between rail <strong>and</strong> road. Occurring<br />
difficulties have shown which aspects<br />
are to be specially considered for future<br />
studies. To sum up, one can say that<br />
the results of the natural-environmentgroup<br />
demonstrate grounds for a partial<br />
environmental advantage of the<br />
rail in comparison with the road, regarding<br />
their respective impact on the<br />
natural environment.<br />
Keywords: embankments, l<strong>and</strong>scape,<br />
fragmentation of l<strong>and</strong>scape,<br />
animal barriers, forest boundary, wild<br />
animals’ corridors.<br />
114 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Naturraum<br />
1 Einführung<br />
1.1 Untersuchungsgegenst<strong>and</strong><br />
Infrastruktur und Betrieb von Verkehrssystemen haben einen<br />
grossen Einfluss auf L<strong>and</strong>schaft und Naturraum. Strassen-<br />
und Schienenverkehr verbrauchen L<strong>and</strong>, beeinflussen<br />
das L<strong>and</strong>schaftsbild, zerschneiden Wildtierkorridore und<br />
stören Habitate durch Schadstoffemissionen oder Lärm. Andererseits<br />
können gerade die Bahn- und Strassenböschungen<br />
wertvolle sekundäre Lebensräume darstellen. Böschungen<br />
verfügen aufgrund ihrer linearen Struktur über ein Vernetzungspotential,<br />
d.h. sie gewährleisten die Verbindung<br />
verschiedener Biotope unterein<strong>and</strong>er, sodass die Tier- und<br />
Pflanzenarten besser w<strong>and</strong>ern können. Wir können jedoch<br />
annehmen, dass sich Schiene und Strasse hinsichtlich ihrer<br />
Wirkung auf L<strong>and</strong>schaft und Naturraum deutlich unterscheiden.<br />
Ursachen dafür können Unterschiede in der Anpassung<br />
an die Geländetopographie, im Raumbedarf, im<br />
Nutzungsmuster und in der Böschungspflege sein. Jedoch<br />
ist die Variabilität dieser Faktoren bereits innerhalb der<br />
beiden Verkehrsysteme sehr hoch. Z.B. weisen moderne<br />
Hochgeschwindigkeitsstrecken der Bahn im Vergleich zu<br />
früheren Strecken deutliche Unterschiede in der Anpassung<br />
an die gegebene Geländetopographie auf.<br />
Vergleichende Untersuchungen der Umweltauswirkungen<br />
des Personen- und Gütertransports auf der Schiene oder<br />
auf der Strasse sind bereits mithilfe von Ökobilanzen vorgenommen<br />
worden (Deutsche Bahn AG & WWF, 1999).<br />
Dabei wurden der Primärenergieverbrauch und die Emissionen<br />
von Luftschadstoffen als Bewertungskriterien herangezogen.<br />
Ein ergänzender Vergleich der Verkehrsträger Schiene<br />
und Strasse in ihrer Auswirkung auf L<strong>and</strong>schaft und<br />
Naturraum fehlt bisher in der Schweiz. Einer ökologischen<br />
Bewertung der Verkehrssysteme kann eine wichtig Rolle im<br />
Entscheidungsprozess zwischen alternativen Transportmöglichkeiten<br />
zukommen. <strong>Die</strong> Gruppe Naturraum hatte<br />
sich daher vorgenommen, eine Bewertung durchzuführen,<br />
die ökologische und l<strong>and</strong>schaftsästhetische Kriterien berücksichtigt.<br />
Sie untersuchte den Einfluss von Strasse und<br />
Schiene auf die Schutzgüter Naturraum und L<strong>and</strong>schaft.<br />
Zum Naturraum gehören dabei alle belebten und unbelebten<br />
Elemente wie Gestein, Relief, Boden, Wasser, Luft, Tiere<br />
und Pflanzen sowie die zwischen und in ihnen wirkenden<br />
Kräfte und Gesetzmässigkeiten auf der gesamten Fläche.<br />
<strong>Die</strong> L<strong>and</strong>schaft umfasst zusätzlich zu den natürlichen Elementen<br />
auch die zivilisatorische und kulturelle Prägung<br />
durch den Menschen sowie die subjektive Wahrnehmung<br />
durch menschliche Sinne (Rohner & Stuber, 1996). <strong>Die</strong><br />
ausgewählten Schutzgüter stehen im Einklang mit dem<br />
Schweizer L<strong>and</strong>schaftskonzept, welches für 13 Politikfelder<br />
(einschliesslich Verkehr) Schutzgüter und -ziele aus Sicht<br />
der Natur- und L<strong>and</strong>schaftsentwicklung beschreibt (Bundesamt<br />
für Umwelt, Wald und L<strong>and</strong>schaft [BUWAL],<br />
1998a).<br />
1.2 Problematischer Vergleich Schiene -<br />
Strasse<br />
<strong>Die</strong> lineare L<strong>and</strong>nutzung durch ein Verkehrssystem hat vielfältige<br />
Auswirkungen auf die gewählten Schutzgüter Naturraum<br />
und L<strong>and</strong>schaft. <strong>Die</strong>se Folgewirkungen lassen sich<br />
Problemfeldern zuordnen (Tab. 1.2). Für die operative Bearbeitung<br />
mussten im Rahmen der <strong>Fallstudie</strong> einzelne Problemfelder<br />
ausgewählt werden. Aufgrund ihres hohen Wertes<br />
und ihrer Bedrohung durch die moderne Kulturl<strong>and</strong>schaft<br />
wurden die Problemfelder «Flora/Fauna» und «L<strong>and</strong>schaftsästhetik»<br />
thematisiert. Jede Auswahl von Problemfeldern<br />
ist jedoch mit Subjektivität behaftet und soll nicht<br />
heissen, dass <strong>and</strong>ere Probleme unbedeutend sind.<br />
Folgewirkungen innerhalb dieser beiden Problemfelder<br />
sind vielfältig und lassen sich auf unterschiedlichen Ebenen<br />
feststellen. Dabei ist wichtig festzustellen, dass sich auf<br />
regionaler, grossräumiger Ebene die lineare L<strong>and</strong>nutzung<br />
im Vergleich zur flächigen L<strong>and</strong>nutzung (z.B. L<strong>and</strong>wirtschaft,<br />
Siedlung) nicht allein durch ihren Flächenverbrauch<br />
negativ auswirkt. Vielmehr gibt es indirekte Folgewirkungen,<br />
d.h. der Naturraum wird durch Schiene und Strasse<br />
fragmentiert und L<strong>and</strong>schaften werden durch die lineare<br />
Ausdehnung der Verkehrssysteme visuell und akustisch<br />
stark geprägt. Auf kleinräumiger Ebene sind insbesondere<br />
die Belastung von begleitenden Böschungen als direktes<br />
Ergebnis des Verkehrs und indirekte Einwirkungen auf angrenzenden<br />
Gebiete von Bedeutung.<br />
Aus methodischer Sicht lässt sich der Vergleich von<br />
Schiene und Strasse einer Umweltbewertung zuordnen und<br />
ist damit Teil einer ökologischen Planung (Bastian &<br />
Schreiber, 1999). Bei der operativen Bewertung der Verkehrsträger<br />
können folgende methodische Schwierigkeiten<br />
festgestellt werden:<br />
1) Bewertungsperspektive: <strong>Die</strong> Auswahl der Problemfelder<br />
und die damit eingenommene Bewertungsperspektive<br />
ist nicht frei von Subjektivität. Jedoch wird durch die<br />
dokumentierte Umweltbewertung eine Objektivierung<br />
(d.h. Zunahme der Nachvollziehbarkeit) des gesamten<br />
Bewertungsprozesses erreicht.<br />
2) Auflösungsgrad: Folgewirkungen der Verkehrssysteme<br />
weisen einen unterschiedlichen Wirkungsperimeter auf.<br />
Daher muss die Analyse und Bewertung sowohl kleinräumige<br />
Wirkungen mit kurzer Reichweite als auch<br />
grossräumige mit langer Reichweite umfassen. <strong>Die</strong>s bedeutet<br />
insbesondere, dass nicht ein einziger konsistenter<br />
Untersuchungsraum gewählt werden kann. Eine kleinräumige<br />
Betrachtung von Habitaten ist ebenso nötig, wie<br />
die Bewertung von L<strong>and</strong>schaftsveränderungen in einer<br />
Region.<br />
3) Repräsentativität der ausgewählten Untersuchungsstrecken:<br />
<strong>Die</strong> Untersuchungsstrecken und -räume sind im<br />
besten Fall repräsentativ für eine gesamte Region. <strong>Die</strong>ser<br />
Anspruch kann bei nur einer einzelnen ausgewählten<br />
Strecke nicht erfüllt werden.<br />
4) Art der Daten und Methoden: Abhängig vom betrachteten<br />
Problemfeld müssen für die Analyse der Folgewirkungen<br />
sehr unterschiedliche Methoden eingesetzt werden.<br />
Dadurch sind die erzielten Ergebnisse sehr heterogen.<br />
Unterschiede bestehen hinsichtlich der Art der Er-<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 115
Naturraum<br />
Tab. 1.2: Schutzgüter, Problemfelder und Folgewirkungen auf die Umwelt von Schiene und Strasse (vgl. Jäger, 2000). <strong>Die</strong><br />
kursiv gedruckten Problemfelder wurden in der <strong>Fallstudie</strong> genauer untersucht.<br />
Schutzgüter Problemfelder Folgewirkungen<br />
Naturraum Flächenbewegung - Flächenbedarf für Fahrbahn, Strassenkörper und Strassenbegleitflächen<br />
- Bodenverdichtung, Bodenversiegelung<br />
Mikroklima<br />
- Veränderte Temperaturverhältnisse<br />
- Änderungen der Feuchtigkeit<br />
- Veränderte Lichtverhältnisse<br />
- Veränderte Windverhältnisse<br />
Immissionen<br />
- Abgase, Schadstoffe, düngende Stoffe<br />
- Staub<br />
- Lärm<br />
Wasserhaushalt<br />
- Drainage<br />
- Wasserverunreinigungen<br />
- Veränderung von Oberflächengewässer<br />
Flora/Fauna<br />
- Habitatverkleinerung, -qualitätsverlust<br />
- Habitatfragmentierung/Isolation von Teilhabitaten<br />
- Fallwild<br />
- Unruhewirkung à Verlust von Rückzugsgebiet für Wildtiere<br />
L<strong>and</strong>schaft L<strong>and</strong>schaftsästhetik - Störung durch Infrastruktur (Strassen-, Schienenkörper, Begleitflächen,<br />
Masten, Leitungen)<br />
- Störung durch Fahrzeuge (Anwesenheit, Bewegung)<br />
Folgen für die L<strong>and</strong>wirtschaft - Verkehrszunahme<br />
- Qualitätsveränderungen des Ernteguts entlang der Trassen<br />
- Beeinträchtigung von Erholungsgebieten<br />
- Zerschneidung von Wohngebieten<br />
gebnisse (qualitativ/quantitativ), ihrer Erhebung (Messungen/Schätzgrössen/Modellierungen),<br />
ihrer Personenabhängigkeit<br />
(subjektiv/objektiv), ihrem zugrundeliegenden<br />
Wirkungsperimeter (kleinräumig/grossräumig)<br />
und der Möglichkeit zur Verallgemeinerung.<br />
5) Synthese: Aus dieser Heterogenität ergeben sich<br />
zwangsläufig Probleme bei der Synthese der Einzelergebnisse<br />
zu einem eindeutigen Gesamtergebnis. Im Augenblick<br />
einer konkreten Entscheidung für oder gegen<br />
ein Verkehrssystem, werden selbst Gewichtungen zwischen<br />
an sich so unterschiedlichen/inkommensurablen<br />
Schutzzielen wie «Erhaltung der Flora und Fauna» und<br />
«Entwicklung einer ästhetischen L<strong>and</strong>schaft» notwendig<br />
und geschehen entweder unausgesprochen implizit<br />
oder werden explizit dokumentiert und damit einer kritischen<br />
Ausein<strong>and</strong>ersetzung zugänglich gemacht.<br />
Hauptziel ist daher eine transparente Herleitung und<br />
Begründung einer Bewertung.<br />
1.3 Projektarchitektur und angewendete<br />
Methoden<br />
<strong>Die</strong> Naturraumgruppe hat sich auf die Bewertung der Problemfelder<br />
Flora/Fauna und des L<strong>and</strong>schaftsbildes beschränkt.<br />
Um die verschiedenen Aspekte zu bearbeiten,<br />
unterteilte sich die Gruppe in Untergruppen (vgl. auch Abb.<br />
1.3):<br />
– Kleinraum: Analyse der kleinräumigen Umgebung der<br />
Verkehrssysteme, z.B. der Artenvielfalt der Bahnböschungen,<br />
– Grossraum: Zerschneidung auf grossräumigem Gebiet,<br />
– L<strong>and</strong>schaft: Auswirkungen der Schiene und Strasse auf<br />
das L<strong>and</strong>schaftsbild,<br />
– Zukunft Böschung: Lösungen für eine ökologische und<br />
ökonomische Bewirtschaftung der Bahnböschungen.<br />
Möchte man einen sinnvollen Vergleich zwischen Schiene<br />
und Strasse erarbeiten, so ist für die Bewertung von<br />
L<strong>and</strong>schaftsveränderungen eine klein- und eine grossräumige<br />
Betrachtung nötig. Da ein vollständiger und eindeutiger<br />
Vergleich der Naturraum-Wirkungen von Schiene und<br />
Strasse nicht erreichbar schien, hat sich eine Teilprojektgruppe<br />
unter einer pragmatischen Sicht auch mit der Frage<br />
der Böschungspflege ausein<strong>and</strong>ergesetzt. In Ergänzung zur<br />
116 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Naturraum<br />
Tab. 1.3: Untergruppen in der Teilprojektphase der Gruppe Naturraum.<br />
Untergruppe Auflösungsgrad Bewertungsperspektive/<br />
Schutzgut<br />
Art der Daten und Methoden<br />
Kleinraum hoch Habitatsqualitäten Vegetationsaufnahmen nach Ellenberg (1956); Waldr<strong>and</strong>bewertung<br />
nach Krüsi & Schütz (1994).<br />
Grossraum gering Wildtierkorridore Modellierung mittels des Geographischen Informationssystems<br />
(GIS).<br />
L<strong>and</strong>schaft gering L<strong>and</strong>schaftsästhetik Vorgehen nach der «Checkliste zur Beurteilung von<br />
L<strong>and</strong>schaftsveränderungen des Kantons Aargau»<br />
(Kanton Aargau, 2000) und dem «Gutachten über die<br />
L<strong>and</strong>schaftsverträglichkeit einer geplanten Schweinescheune<br />
in der L<strong>and</strong>wirtschaftszone unterhalb des<br />
Burghügels von Altbüron, Kanton Luzern» (Rodewald,<br />
1999).<br />
Analyse der Problemfelder Flora/Fauna und L<strong>and</strong>schaftsbild<br />
sollte die Gruppe «Zukunft Böschung» Ideen für eine<br />
finanzierbare und ökologisch sinnvolle Böschungspflege<br />
entwickeln. Tab. 1.3 gibt eine Übersicht über die Gruppen,<br />
ihre Bewertungsperspektiven und die angewendeten Methoden.<br />
Abb. 1.3: Projektarchitektur der Gruppe Naturraum.<br />
2 Streckenauswahl<br />
<strong>Die</strong> Anwendung der Methoden und die Bewertungen erfolgten<br />
an einer gemeinsamen Untersuchungsstrecke. Um eine<br />
Bewertung möglich zu machen, und einen Bezug zur <strong>Fallstudie</strong><br />
2000 in der Region Zug herzustellen, sollte die Strecke<br />
folgende Kriterien erfüllen:<br />
1) Strecke im Grossraum Zug<br />
2) Bedeutende Gütertransitachse für Schiene und Strasse<br />
3) Strassen- und Schienenabschnitt nicht zu weit von ein<strong>and</strong>er<br />
entfernt<br />
4) Vergleichbare Transportmitteldichte der beiden Verkehrsträger<br />
5) Möglichst wenig Siedlungsraum vorh<strong>and</strong>en<br />
6) Habitatsvariabilität (Wald, Ackerbau, Weiden,…)<br />
7) Vergleichbare Böschungen der Verkehrssysteme<br />
8) Hinreichende Basisdatengrundlage<br />
9) Wenige natürliche Barrieren wie Seen und Gebirgsketten<br />
in unmittelbarer Nähe<br />
10) Zeitliche Übereinstimmung der Erstellung<br />
Aufgrund dieser Kriterien wurde für die Autobahn und die<br />
Bahn die Strecke zwischen Arth-Goldau und Rotkreuz ausgewählt<br />
(vgl. Abb. 2.1 und Tab. 2.1). Für die Bahn und die<br />
Strassenlogistik ist die ausgewählte Strecke eine bedeutende<br />
Nord-Süd-Achse des Gütertransports (Stuttgart–Zürich–Milano).<br />
Das Verkehrsaufkommen weist für beide Verkehrsträger<br />
eine vergleichbare Transportmitteldichte auf<br />
(Kriterien 2 und 4). <strong>Die</strong> Kriterien 5 und 6 konnten ebenfalls<br />
berücksichtigt werden, da die Strecke vorwiegend durch<br />
schwach besiedeltes Gebiet verläuft. Der Einfluss von<br />
Schiene und Strasse auf den Naturraum wird somit nicht<br />
zusätzlich durch das Siedlungsgebiet verstärkt. <strong>Die</strong> Trassen<br />
verlaufen durch verschiedene L<strong>and</strong>schaftstypen und ermöglichen<br />
somit, den Einfluss der Verkehrsträger für verschiedene<br />
Tier- und Pflanzenarten und deren Habitate zu untersuchen.<br />
Weitere Angaben über die Strecke Arth-Goldau–Rotkreuz<br />
sind in Tab. 2.2 aufgelistet.<br />
Obwohl eine Reihe der geforderten Kriterien für die<br />
Strecke erfüllt werden, zeigte sich, dass die gewählte Stre-<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 117
Naturraum<br />
Abb. 2.1: Ausgewählte Untersuchungsstrecke von Rotkreuz bis Arth-Goldau mit den Gebieten, in denen die Untersuchungen<br />
der einzelnen Untergruppen durchgeführt wurden.<br />
118 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Naturraum<br />
cke nicht für alle Untersuchungen ideal war. Abschnitte, die<br />
sich entlang von natürlichen Grenzen wie Seen oder Gebirge<br />
erstrecken, konnten bei der Wahl nicht ausgeschlossen werden<br />
(Kriterium 9). <strong>Die</strong> Nähe der «Grenze Zugersee» erschwerte<br />
vor allem die Bestimmung des Zerschneidungseffektes.<br />
Der parallele Verlauf sowie das unterschiedliche<br />
Baualter der beiden Trassen (Kriterien 3 und 10) erwiesen<br />
sich als weitere Schwierigkeiten bei der Beurteilung und<br />
dem Vergleich der beiden Verkehrsträger. <strong>Die</strong>se Aspekte<br />
werden in den jeweiligen Kapiteln genauer betrachtet.<br />
Tab. 2.1: Streckendaten für die Strecke Arth-Goldau - Rotkreuz<br />
(Quelle: L<strong>and</strong>eskarten und telefonische Auskünfte der<br />
Tiefbauämter der Kantone Zug und Schwyz).<br />
Schiene<br />
Strasse<br />
Länge 16.2 km 15.4 km<br />
Trassefläche 16.9 ha 33.9 ha<br />
Böschungsfläche 39.5 ha<br />
Tunnel 2% 3%<br />
Brücken 42% 4%<br />
Stützmauern 42% 4%<br />
3 Kleinraum<br />
Durch die reduzierte Bewirtschaftung der Böschungen und<br />
aufgrund der mageren St<strong>and</strong>orte entlang der Trassen entstehen<br />
seltene Lebensräume für Pflanzen und Tiere. In den<br />
l<strong>and</strong>wirtschaftlich bewirtschafteten Gebieten dienen die<br />
verkehrsbegleitenden Böschungen zudem als Refugialraum<br />
(Rückzugsfläche, Fluchtraum).<br />
In der intensiv genutzten, mitteleuropäischen Kulturl<strong>and</strong>schaft<br />
wirken Strassenseitenflächen insbesondere durch ihren<br />
Refugialraumcharakter. Sie unterliegen nicht wie l<strong>and</strong>und<br />
forstwirtschaftlich genutzte Flächen dem Zwang zur<br />
Rentabilität, der die Bewirtschaftungsart und -intensität vorschreibt.<br />
Sie könnten damit Rückzugsgebiete für Pflanzen<br />
und Tiere sein, die von angrenzenden Flächen aufgrund von<br />
Mähen, Ernten, Pflügen usw. oder Waldarbeiten vertrieben<br />
werden (Mader, 1981).<br />
Für eine ganzheitliche Beurteilung müssen allerdings<br />
auch die negativen Beeinträchtigungen des Naturraums<br />
durch den Fahrbetrieb (Lärm, Erschütterungen, Stau, Mortalität<br />
etc.) berücksichtigt werden. <strong>Die</strong>se Aspekte wurden<br />
bereits in mehreren Arbeiten beh<strong>and</strong>elt (z.B. Holzner, 1989;<br />
Odzuck, 1982). Mit der folgenden Untersuchung wird versucht,<br />
die Qualität der Lebensräume hinsichtlich der Artenvielfalt<br />
und der Strukturbewertung entlang der Schiene und<br />
der Strasse zu erfassen und zu beurteilen.<br />
Tab. 2.2: Anteil der verschiedenen an die Untersuchungsstrecke<br />
angrenzenden Habitate. BLN: Gebiete, die<br />
im Bundesinventar der L<strong>and</strong>schaft- und Naturdenkmäler<br />
von nationaler Bedeutung erfasst sind.<br />
Habitattyp Schiene Strasse<br />
Wasser 1% 7%<br />
Wald 29% 18%<br />
Gehölz 7% 6%<br />
Extensiv genutzte Wiesen 1% 1%<br />
Intensiv genutzte Wiesen 36% 45%<br />
Ackerl<strong>and</strong> 19% 20%<br />
Siedlung 7% 3%<br />
BLN einseitig 40% 55%<br />
BLN beidseitig 38% 11%<br />
3.1 Methoden<br />
<strong>Die</strong> Vegetationsaufnahme zur Ermittlung der Artenzahl in<br />
den Böschungsflächen wurde nach Ellenberg (1956) vorgenommen.<br />
<strong>Die</strong> Methode liefert eine Liste sämtlicher vorkommender<br />
und bestimmbarer Pflanzenarten. Wir wendeten<br />
diese Methode an zwei Orten (vgl. Abb. 2.1) im L<strong>and</strong>schaftsgebiet<br />
an. In je einer Schienen- und einer Strassenböschung<br />
wurde die Artenzahl von vergleichbaren Flächen<br />
aufgenommen. Jede Aufnahme wurde auf einer Fläche von<br />
zehn Quadratmetern, jeweils einen Meter vom Trasser<strong>and</strong><br />
entfernt, durchgeführt.<br />
Im Waldgebiet erfolgte eine Strukturbewertung des durch<br />
die Verkehrsträger entstehenden Waldr<strong>and</strong>es. Für die Bewertung<br />
wurde die Methode von Krüsi, Bisculm & Schütz<br />
(1994) gewählt. Der Bewertungsschlüssel enthält neun Erhebungskriterien<br />
(vgl. Tab. 3.1). Der Schlüssel wurde auf<br />
einen Waldr<strong>and</strong>abschnitt von 100 Metern angewendet. Mit<br />
Hilfe einer Zuordnungstabelle teilte man den neun erfassten<br />
Kriterien je nach ökologischem Wert Punkte zu. <strong>Die</strong> erreichte<br />
Gesamtpunktzahl bestimmte die ökologische Einstufung<br />
des untersuchten Waldr<strong>and</strong>es in einer Skala von weniger als<br />
18 Punkten (ökologischer Wert des Waldr<strong>and</strong>es gering oder<br />
sogar fehlend) bis maximal 60 Punkte (Waldr<strong>and</strong> ist ökologisch<br />
sehr wertvoll). <strong>Die</strong> Kriterien wurden auf je einer<br />
Fläche von zehn Quadratmetern, jeweils einen Meter vom<br />
Trasser<strong>and</strong> entfernt aufgenommen.<br />
Beide Methoden ziehen bei der Wahl der Vergleichsflächen<br />
in Betracht, dass die Habitatstypen und die Geologie<br />
des Untergrundes übereinstimmte und die Flächen nur vom<br />
direkt anliegenden Verkehrsträger beeinflusst werden. Da<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 119
Naturraum<br />
Tab. 3.1: Methode der Waldr<strong>and</strong>bewertung nach Krüsi et al. (1994): den Kriterien wurden je nach ökologischem Wert Punkte<br />
zugeordnet; B = Bäume, S = Sträucher, K = Kräuter.<br />
Punkte-Zuordnung<br />
Kriterien 0 1 2 3 4 5 6 7<br />
Waldr<strong>and</strong>tiefe [m] < 2 2-2.5 2.6-3.9 4-5.9 6.7-9 8-9.9 10.14.9 > 14.9<br />
Strauchgürteltiefe [m] < 1 1-1.4 1.5-1.9 2-2.9 3-3.9 4-4.9 5-6.9 > 6.9<br />
Krautsaumtiefe [m] < 0.5 0.5-0.9 1-1.4 1.5-1.9 2-2.9 3-4.9 5-6.9 > 6.9<br />
Strauchgürtellänge [%] 1-5 6-10 11-25 26-50 51-75 76-100 –<br />
Krautsaumlänge [%] < 1 1-5 6-10 11-25 26-50 51-75 76-100 –<br />
Belaubungsdichte [%] < 1 1-5 6-10 11-25 26-50 51-75 76-100 –<br />
Laubbaumarten B<br />
[Anzahl]<br />
< 1 1 2 3 4 5 6 > 6<br />
Verholzte Arten S+K<br />
[Anzahl]<br />
Dornstraucharten, S+K<br />
[Anzahl]<br />
< 3 3-5 6-8 9-11 12-14 15-17 18-20 > 20<br />
0 – 1 2 3 4 5 > 5<br />
jeweils nur zwei Flächen mitein<strong>and</strong>er verglichen wurden,<br />
haben die Ergebnisse lediglich Beispielscharakter.<br />
3.2 Ergebnisse<br />
Entlang der Bahnlinie sind vorwiegend magere St<strong>and</strong>orte<br />
vertreten. <strong>Die</strong> Autobahn weist eher Ruderalstellen auf. Im<br />
Vergleich der Artenzahlen schneidet die Autobahn auf den<br />
untersuchten Flächen leicht besser ab als die Schiene (vgl.<br />
Tab. 3.2.1). Es wurden 29 verschiedene Pflanzenarten für<br />
die Strassenböschung, 24 verschieden Pflanzenarten für die<br />
Bahnböschung gefunden.<br />
Tab. 3.2.1: Pflanzenartenzahl auf zwei vergleichbaren Böschungsflächen<br />
von je 10 m 2 (St<strong>and</strong>orte vgl. Abb. 2.1).<br />
Artenzahl<br />
Eisenbahn-Böschung 24<br />
Autobahn-Böschung 29<br />
Offen bleibt die Frage, ob das Resultat auf die ökologischere<br />
Bewirtschaftung der Autobahnböschung oder auf<br />
den Einfluss von Nährstoffimmissionen der Automobile<br />
zurückzuführen ist. Klein befasste sich ebenfalls mit dem<br />
Vergleich von Böschungsrasen. Für die Untersuchung hatte<br />
er die Böschung einer alten Eisenbahnlinie mit jener einer<br />
jungen Nationalstrasse im Baselbieter Jura gewählt. Seine<br />
Ergebnisse bestätigen die oben erzielten Resultate: «<strong>Die</strong><br />
Böschungen an den Nationalstrassen sind frischer, nährstoffreicher<br />
und wegen einem grossen Anteil von Ruderalund<br />
Unkrautpflanzen auch artenreicher» (Klein, 1982).<br />
Obwohl die Artenvielfalt der Autobahn-Böschung leicht<br />
höher ist, als die der Eisenbahn-Böschung, ist die Aussagekraft<br />
dieses Ergebnisses beschränkt, da jeweils nur eine<br />
einzelne Fläche untersucht wurde. Erst eine detailliertere<br />
Untersuchung mit einer höheren Stichprobengrösse (mindestens<br />
10 Flächen je Böschungstyp) würde verlässliche<br />
Resultate ergeben.<br />
Nach der Waldr<strong>and</strong>bewertung von Krüsi et al. (1994)<br />
schneidet der durch die Schiene entstehende abgestufte<br />
Waldr<strong>and</strong> in ökologischer Hinsicht besser ab als jener Waldr<strong>and</strong><br />
mit geringer Tiefe, der durch die Strasse gebildet wird<br />
(vgl. Tab. 3.2.2). Hinsichtlich der botanischen Vielfalt unterscheiden<br />
sich die untersuchten Waldränder wenig. Das bessere<br />
Abschneiden der Waldränder längs der Schiene beruht<br />
in erster Linie auf der vielfältigen Struktur des Pflanzenbest<strong>and</strong>es.<br />
Durch eine kontinuierliche Abstufung der R<strong>and</strong>vegetation<br />
wird ein hoher ökologischer Wert des Waldr<strong>and</strong>es<br />
erreicht. <strong>Die</strong> Beobachtung, dass Waldränder entlang der<br />
Schiene häufig breiter und stärker abgestuft aufgebaut sind<br />
als solche an Strassen, lässt sich auf die Bewirtschaftung und<br />
Pflege der Waldränder zurückführen. Da Windwurf für die<br />
Bahn aufgrund der langen Bremswege ein hohes Sicherheitsrisiko<br />
darstellt, sind Waldränder an Bahntrassen vorzugsweise<br />
gestuft aufgebaut.<br />
120 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Naturraum<br />
Tab. 3.2.2: Bewertung der Waldränder nach der Methode von Krüsi et al. (1994). Bedeutung der Punkte-Summe: 59-60:<br />
sehr wertvoll; 49-58: gut; 39-48: befriedigend; 29-38: unbefriedigend; 19-28: schlecht.<br />
Waldr<strong>and</strong> an Strasse<br />
Waldr<strong>and</strong> an Schiene<br />
Struktur Tiefe [m] Punkte Tiefe [m] Punkte<br />
Waldr<strong>and</strong>tiefe 5 3 30 7<br />
Stauchgürteltiefe 1 1 5 6<br />
Krautsaumtiefe 1.5 3 4 5<br />
[%] [%]<br />
Strauchgürtellänge 0 0 100 6<br />
Krautsaumlänge 100 6 100 6<br />
Belaubungsdichte 100 6 70 5<br />
Botanische Vielfalt (Artenzahl) [Anzahl] [Anzahl]<br />
Laubbaumarten in der Baumschicht 12 7 5 5<br />
Verholzte Arten in der Strauch- und Krautschicht 14 4 21 7<br />
Dornstraucharten in der Strauch- und Krautschicht 3 4 2 1<br />
Punkte-Summe 34 48<br />
Beurteilung unbefriedigend befriedigend<br />
Abb. 3.2: Abgestufte Waldränder<br />
gelten als ökologisch<br />
wertvoll (Quelle:<br />
Krüsi et al., 1994).<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 121
Naturraum<br />
4 Grossraum<br />
Der Bau von Strassen und Schienen sowie die Ausdehnung<br />
der Siedlungsgebiete führten in den letzten Jahrzehnten zu<br />
einer zunehmenden Zerschneidung der L<strong>and</strong>schaft (Jäger,<br />
2000). Vor allem im Schweizer Mittell<strong>and</strong> sind grössere<br />
zusammenhängende Flächen selten geworden. <strong>Die</strong> Barrierewirkung<br />
der Verkehrsträger schränkt den Lebensraum<br />
von Tieren ein. Korridore, die verschiedene Habitate mitein<strong>and</strong>er<br />
verbinden oder den Austausch zwischen Populationen<br />
fördern, werden unterbrochen. Es entstehen isolierte Lebensräume.<br />
Von der Zerschneidung der L<strong>and</strong>schaft sind vor<br />
allem Tierarten mit grossem Flächenanspruch und solchen<br />
mit ausgeprägten Biotopwechsel betroffen. Zunehmend<br />
werden auch Fliessgewässer durch Verkehrsträger fragmentiert.<br />
Insbesondere die Aufwärtsw<strong>and</strong>erung von Fischen und<br />
Wirbellosen wird durch Querbauwerke und Eindohlungen<br />
beeinträchtigt.<br />
4.1 Methode<br />
Für die Bestimmung des Zerschneidungsgrades sind schon<br />
verschiedene Modelle angewendet worden (Jäger, 2000).<br />
Das «Durchlässigkeitsmodell» im Bericht der Vogelwarte<br />
Sempach über «Wildtierkorridore in der Schweiz» (Schweizerische<br />
Gesellschaft für Wildtierbiologie, 1999) führte zur<br />
Idee, mit Hilfe des Geographischen Informationssystem<br />
(GIS) ein eigenes Modell zu erstellen. Das Modell sollte sich<br />
aber nicht nur auf die Durchlässigkeit der L<strong>and</strong>schaft beschränken,<br />
sondern weitere wichtige Elemente wie zum<br />
Beispiel die nötigen Habitatsgrössen mit berücksichtigen.<br />
Teilt man eine Fläche in kleine quadratische Teilflächen,<br />
die mathematisch mitein<strong>and</strong>er verknüpft sind, dann bezeichnet<br />
man diese als Pixel. In unserem Modell wird die zu<br />
untersuchende Fläche in Pixel von je einer Hektare aufgeteilt.<br />
Aufgrund der Arealstatistik der Schweiz (Bundesamt<br />
für Statistik [BFS], 1998) und von spezifischen Parametern<br />
für eine Tierart (Habitatstyp, Grösse des Lebensraumes etc.)<br />
werden zuerst alle potenziellen Habitate für eine Tierart<br />
ausgeschieden. In einem weiteren Schritt wird untersucht,<br />
wie gut diese Habitate mitein<strong>and</strong>er verbunden sind. Dazu<br />
wird jedem L<strong>and</strong>schaftstyp ein Wert zugeordnet, der angibt,<br />
wie schwierig es für die untersuchte Tierart ist, diesen<br />
L<strong>and</strong>schaftstyp zu passieren. Zusätzlich zur Arealstatistik<br />
wurden das Strassen-, Schienen und Gewässernetz der<br />
Schweiz benutzt. Man berücksichtigte Brücken und Tunnel,<br />
da sie als verbindende Elemente dienen können. Das Modell<br />
ist prinzipiell für eine beliebige Tierart anwendbar. Es müsste<br />
jedoch berücksichtigt werden, dass die Nutzung von<br />
Brücken und Tunnel als Verbindungselement sehr von der<br />
betrachteten Tierart abhängt. <strong>Die</strong> Pixelwerte werden für jede<br />
Art aufgrund der Eignung des Habitates und der Durchlässigkeit<br />
des L<strong>and</strong>schaftstyps bestimmt.<br />
Durch Hochrechnung der Pixelwerte bestimmt das Modell<br />
für eine Tierart jene Habitate, die mitein<strong>and</strong>er verbunden<br />
sind sowie die Korridore, welche die Verbindung ermöglichen.<br />
In der grafischen Darstellung werden potentielle<br />
Habitate schwarz gefärbt (Abb. 4.2.1 und 4.2.2). Gut passierbare<br />
Gebiete sind dunkler gefärbt, als weniger gut passierbare.<br />
Ein undurchlässiges Siedlungsgebiet, das keine<br />
Verbindung von Habitaten gestattet, wird als weisse Fläche<br />
darstellt. Verkehrsträger sind ebenfalls weiss dargestellt.<br />
Durch Hinzufügen bzw. Entfernen einer Strassen- oder einer<br />
Schienenstrecke können der Zerschneidungseffekt von<br />
Schiene und Strasse sowie mögliche Verbindungen durch<br />
die Verkehrsträger modelliert werden.<br />
<strong>Die</strong> Durchlässigkeit der Verkehrssysteme muss für jede<br />
Tierart bestimmt werden. So sind beispielsweise Zäune für<br />
Kröten kein Hindernis, für Grosswild hingegen unüberwindbar.<br />
Für den Rothirsch wurde die Durchlässigkeit der<br />
Verkehrssysteme folgendermassen bestimmt und modelliert:<br />
– Strassen: <strong>Die</strong> Überquerbarkeit ist von der Frequenz der<br />
Befahrung abhängig. Je stärker und je regelmässiger die<br />
Strecke befahren ist, desto geringer wird die Passierbarkeit.<br />
Abb. 4.1: <strong>Die</strong> L<strong>and</strong>schaft wird durch<br />
die Verkehrssysteme zerschnitten<br />
(Bild: FS-Büro).<br />
122 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Naturraum<br />
– Autobahn: <strong>Die</strong> Autobahn gilt aufgrund der begleitenden<br />
Wildzäune als undurchlässig.<br />
– 2-spurige Schiene: <strong>Die</strong> Durchlässigkeit wird als mittel<br />
bis gut angenommen. <strong>Die</strong> Schiene ist zwar gut überquerbar,<br />
der Fahrbetrieb schränkt aber durch Lärm und Erschütterungen<br />
sowie durch das vorh<strong>and</strong>ene Mortalitätsrisiko<br />
die Überquerung ein.<br />
Als Untersuchungsgebiet wurde eine Fläche von etwa 500<br />
km 2 gewählt. Das Gebiet beschreibt einen Ausschnitt rund<br />
um die ausgewählte Strecke Arth-Goldau–Rotkreuz. <strong>Die</strong><br />
Auswirkungen der Zerschneidung im Untersuchungsgebiet<br />
wurden am Beispiel des Rothirsches gerechnet. Der Rothirsch<br />
beansprucht grossräumige Lebensräume und ist daher<br />
besonders von der Fragmentierung der L<strong>and</strong>schaft betroffen.<br />
<strong>Die</strong> Verkehrssysteme beeinträchtigen seine W<strong>and</strong>erbedürfnisse,<br />
insbesondere den Wechsel vom Sommer- ins<br />
Wintereinst<strong>and</strong>sgebiet. Im Untersuchungsgebiet sind Rothirschpopulationen<br />
beheimatet (Rigi und Rossberg). <strong>Die</strong><br />
Aussagen des Modells könnten somit mit den praktischen<br />
Kenntnissen über die Ausbreitung der Rothirsche verglichen<br />
werden. Mit Expertengesprächen und Literaturstudium<br />
(Merker, 1995; Wagenknecht, 1981) wurden die benötigten<br />
Modellparameter (maximale Ausbreitungsdistanz,<br />
minimale Habitatsansprüche und Passierbarkeit von L<strong>and</strong>schaftstypen)<br />
für den Rothirsch ermittelt.<br />
4.2 Ergebnis<br />
<strong>Die</strong> Ausbreitung des Rothirsches wird durch die Verkehrssysteme<br />
und die dicht besiedelten Gebiete eingeschränkt<br />
(Abb. 4.2.1). Das untersuchte Gebiet wird von den Verkehrsträgern<br />
deutlich zerschnitten. Im Gebiet der Rigi und<br />
des Rossbergs sind mehrere vernetzte Habitate und wertvolle<br />
Ausbreitungskorridore vorh<strong>and</strong>en. Doch die Überquerung<br />
von Autobahnen ist nur bei Brücken, Viadukten oder<br />
Tunnels gewährleistet. Abb. 4.2.1 zeigt einen solchen Korridor<br />
zwischen Arth-Goldau und dem südlichen Ufer des<br />
Zugersees. <strong>Die</strong> Autobahn wird an dieser Stelle durch einen<br />
Tunnel geführt. <strong>Die</strong> Durchgangsmöglichkeit entlang der<br />
Autobahn Rotkreuz–Luzern ist ebenfalls auf einen Tunnel<br />
zurückzuführen. Das Resultat zeigt, dass die Ausbreitung<br />
Abb. 4.2.1: Modell der Durchlässigkeit<br />
für Rothirsche mit<br />
allen Schienen und Strassen.<br />
<strong>Die</strong> schwarz gefärbten Flächen<br />
sind geeignete Habitate<br />
für Rothirsche. <strong>Die</strong> weissen<br />
Flächen stellen Barrieren dar<br />
(Verkehrsträger, Siedlungen<br />
und grosse Wasserflächen).<br />
<strong>Die</strong> grau gefärbten Gebiete<br />
sind potentielle Korridore, die<br />
die Habitate verbinden. Je besser<br />
die Durchlässigkeit eines<br />
Korridors, desto dunkler ist die<br />
Graustufe.<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 123
Naturraum<br />
der Rothirschpopulationen von den künstlichen Barrieren<br />
abhängig ist.<br />
Wie ändert sich die Durchlässigkeit des Gebietes, wenn<br />
im Modell Schiene und Strasse weggelassen werden? In<br />
einem zweiten Programmdurchlauf wurde daher die ausgewählte<br />
Schienen- und Autobahnstrecke Arth-Goldau–Rotkreuz<br />
ausgeblendet (Abb. 4.2.2). Ohne den Einfluss der<br />
Verkehrsträger ist zwischen Arth-Goldau und dem Zugersee<br />
ein breiter Verbindungskorridor vorh<strong>and</strong>en. Das Seeufer<br />
stellt eine grossflächige Ausbreitungsstruktur dar da Tiere<br />
entlang des Seeufers w<strong>and</strong>ern können. Doch in unserem Fall<br />
wird der Seer<strong>and</strong> durch die Verkehrsträger vom Uml<strong>and</strong><br />
abgeschnitten. Demzufolge kann das Seeufer für Tiere des<br />
Uml<strong>and</strong>es nur eingeschränkt als W<strong>and</strong>erkorridor genutzt<br />
werden. Insgesamt sind die Veränderungen jedoch wenig<br />
spektakulär. Durch das Entfernen der gewählten Verkehrslinien<br />
ändern sich die Durchlässigkeit und die Ausbreitungsmöglichkeiten<br />
kaum. Das Problem ist, dass der Zugersee für<br />
die Rothirsche eine natürliche Grenze darstellt. Für Hirsche<br />
ist es zwar möglich eine bestimmte Distanz schwimmend<br />
zurückzulegen. Der See mit den angrenzenden Siedlungsflächen<br />
am Ostufer ist aber ein zu grosses Hindernis.<br />
4.3 Fazit<br />
Insgesamt können wir festhalten:<br />
1) <strong>Die</strong> Ergebnisse des GIS-Modells zeigen, dass vor allem<br />
Brücken und Untertunnelungen die Zerschneidung der<br />
L<strong>and</strong>schaft vermindern. Ab einer gewissen Länge und<br />
Höhe können sie von Wildtieren als Korridore benutzt<br />
werden (Schweizerische Gesellschaft für Wildtierbiologie,<br />
1995).<br />
2) <strong>Die</strong> Verkehrssysteme spielen eine zentrale Rolle bei der<br />
Zerschneidung des Naturraums. Der Effekt der Zerschneidung<br />
variiert mit der umgebenden L<strong>and</strong>schaft, mit<br />
der Streckenführung (Brücken, Viadukte und Tunnels)<br />
und mit der Durchlässigkeit der Verkehrsträger.<br />
Auf dem untersuchten Streckenabschnitt weist die Strasse<br />
einen grösseren Anteil an Tunnels und Brücken auf als die<br />
Abb. 4.2.2: Modell der Durchlässigkeit<br />
ohne die Autobahn<br />
und die Bahnstrecke Rotkreuz–<br />
Arth-Goldau (Graustufen wie<br />
in Abb. 4.2.1).<br />
124 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Naturraum<br />
Schiene. <strong>Die</strong> Strasse wird im allgemeinen über lange Brücken<br />
geführt. Bei der Bahn erreichen nur gerade 60% aller<br />
Brücken die nötige Mindestgrösse (zirka 4 m Höhe und 25<br />
m Breite). Offen bleibt die Frage, ob die Brücken mit den<br />
entsprechenden Massen von Wildtieren wirklich als Unterquerungsmöglichkeit<br />
genutzt werden.<br />
Das erstellte GIS-Modell kann auch zur Bestimmung<br />
weiterer wichtiger potentieller Wildtierkorridore und als<br />
Planungsinstrument für bauliche Massnahmen dienen – z.B.<br />
bei der Entscheidung, wo ein Wildtierübergang sinnvoll<br />
anzulegen ist.<br />
5 L<strong>and</strong>schaft<br />
Bis anhin waren in der Forschung vorwiegend Aspekte<br />
ökonomischer und biologischer Art Gegenst<strong>and</strong> von Untersuchungen<br />
der L<strong>and</strong>schaft. So wurde zum Beispiel vom<br />
Systematisch-Geobotanischen Institut der Universität Göttingen<br />
die Flora und Fauna an Strassen und Autobahnen der<br />
Bundesrepublik Deutschl<strong>and</strong> untersucht (Schmidt, 1988).<br />
Auch die SBB haben die Grünflächen an den Schienen und<br />
die Unterhaltsarbeiten beurteilt. <strong>Die</strong> ganzheitlichen Aspekte<br />
für die Bewertung des L<strong>and</strong>schaftsbildes hingegen, wie<br />
Funktionalität und Ästhetik, sind vergleichsweise schwierig<br />
quantifizierbar und deshalb oft vernachlässigt worden. Das<br />
Ziel der folgenden Bewertung war die Erarbeitung eines<br />
Vergleichs des Einflusses der Verkehrssysteme auf die<br />
L<strong>and</strong>schaft hinsichtlich naturgeschichtlichen, kulturhistorischen,<br />
l<strong>and</strong>schaftsästhetischen und funktionalen Aspekten.<br />
5.1 L<strong>and</strong>schaftstypen der Strecke<br />
Rotkreuz–Arth-Goldau<br />
Untersucht wurde die an die Verkehrssysteme Schiene und<br />
Strasse angrenzende L<strong>and</strong>schaft der Strecke Rotkreuz–<br />
Arth-Goldau. Erschwerend für die Beschaffung der Daten<br />
war die Tatsache, dass sich das zu untersuchende Gebiet auf<br />
drei Kantone verteilt. <strong>Die</strong> Gemeinde Risch befindet sich im<br />
Kanton Zug, zum Kanton Luzern gehört die Gemeinde<br />
Meierskappel, und auf dem Kantonsgebiet von Schwyz<br />
liegen die beiden Gemeinden Küssnacht am Rigi und Arth.<br />
Unsere Erfassung der L<strong>and</strong>schaftstypen beginnt auf der<br />
Höhe von Rotkreuz, wo sich die Autobahn und die Eisenbahnlinie<br />
schneiden, und endet auf der Höhe von Arth-<br />
Goldau. Das Untersuchungsgebiet wurde auf Sichtweite<br />
von den Verkehrsträgern aus begrenzt. Betrachten wir die<br />
gewählte Teilstrecke etwas genauer (vgl. auch «Schweizer<br />
Lexikon: in sechs Bänden», 1993):<br />
<strong>Die</strong> L<strong>and</strong>schaft von Rotkreuz nach Arth-Goldau gestaltet<br />
sich sehr vielseitig. Das ist schon an der Einteilung der<br />
Kantonsgebiete ersichtlich: Das Kantonsgebiet von Zug<br />
wird zum Mittell<strong>and</strong> gerechnet, das Kantonsgebiet von<br />
Schwyz zu den Alpen, und das Gebiet von Luzern zu den<br />
Voralpen. Vom geologischen Gesichtspunkt betrachtet, befindet<br />
sich die Teilstrecke in der Molasse des Mittell<strong>and</strong>es<br />
(Region Zug), bzw. in der subalpinen Molasse (Kanton<br />
Schwyz) <strong>Die</strong> Molasseschichten zwischen Rigi und Rossberg<br />
sowie im ganzen nördlichen Teil des Kantons Schwyz<br />
sind tertiären Ursprungs, sie bestehen aus S<strong>and</strong>stein-, Mergel-<br />
und Nagelfluhbänken. <strong>Die</strong> ganze L<strong>and</strong>schaft wurde von<br />
eiszeitlichen Gletschern geprägt, welche mannigfaltige<br />
Spuren (Moränen, erratische Blöcke) hinterlassen haben.<br />
Wenn man sich von Rotkreuz Richtung Arth-Goldau wendet,<br />
wird man zuerst ein schwach gewelltes Molassel<strong>and</strong>,<br />
ein Gebiet mit Einzelhöfen antreffen, wo Graswirtschaft mit<br />
Acker- und Obstbau betrieben wird. <strong>Die</strong> Siedlungen neigen<br />
zur Zergliederung, die Gemeindezentren sind aufgelockert<br />
und zwischen ihnen liegen zerstreut Einzelhöfe.<br />
Der Zugersee liegt in einem durch tektonische Brüche<br />
vorgezeichneten Tal, das durch Fluss- und Gletschererosion<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 125
Naturraum<br />
in der subalpinen Molasse gebildet wurde. Er wird durch die<br />
Molasserippe der Chiemen-Halbinsel in ein tieferes Süd-<br />
Becken mit steilen, felsigen Ufern (Rigi im Westen, Zuger-<br />
/Rossberg im Osten) und in ein flacheres Nord-Becken<br />
unterteilt.<br />
Eine zweite Molasseschuppe, die Rooterberg-Halbinsel<br />
Buonas (Buchennase) ragt ebenfalls in den Zugersee hinaus.<br />
In dieser Region erzeugt die Wechsellagerung von Mergeln,<br />
Kalken, Molasse- und Nagelfluh-Schichten eine deutliche<br />
Bänderung und Terrassierung, die man die Riginen genannt<br />
hat. <strong>Die</strong> Seen- und Bergl<strong>and</strong>schaft Vierwaldstätter-/Zugersee<br />
mit der Rigi gilt als besonders wertvolles und deshalb als<br />
schützenswertes Gebiet (auch Pflanzenschutzreservat). <strong>Die</strong><br />
Ufervegetation des Zugersees jedoch ist zu weniger als<br />
einem Drittel noch naturnah.<br />
Nach Immensee (etwa auf der Hälfte unseres Weges)<br />
führen die Verkehrswege weiter entlang dem Nordosthang<br />
des Rischberges bzw. der Rigi. <strong>Die</strong>ser Teil zeichnet sich vor<br />
allem durch die Buchenwälder und durch die in höheren<br />
Lagen vorkommenden Fichtenwälder aus, welche an den<br />
z.T. steilen Hängen wachsen. Teilweise findet man in Seenähe<br />
oder an den Hängen noch L<strong>and</strong>wirtschaftsl<strong>and</strong> (v.a. Viehweide).<br />
Bahnverkehr, National- und Kantonsstrasse teilen<br />
sich den engen und steilen Raum am See. <strong>Die</strong>se Verkehrsachsen<br />
werden durch die ausgedehnten Wälder an der Rigilehne<br />
geschützt. Auch Hochspannungsleitungsmasten und<br />
Liegenschaften werden vor Lawinen, Erdrutschen und<br />
Steinschlag abgesichert.<br />
Am Ende des Zugersees befindet sich das Dorf Arth. <strong>Die</strong><br />
Strecke von Arth am See bis nach Goldau zeichnet sich<br />
durch grosse Matten mit Obstbäumen aus, und in jüngster<br />
Zeit auch immer mehr mit neuen Siedlungen, z.T. auch am<br />
gegenüberliegenden Rossberg. Am Osthang der Rigi erreichen<br />
wir Arth-Goldau, das Ende unserer Teilstrecke.<br />
5.2 St<strong>and</strong>ortsauswahl<br />
Für die Auswahl der St<strong>and</strong>orte für die Bewertung waren<br />
folgende Kriterien massgebend:<br />
1) L<strong>and</strong>schaftliche Eingriffe müssen sichtbar sein.<br />
2) <strong>Die</strong> L<strong>and</strong>schaft muss überschaubar sein, da sich die<br />
Grenzen des Untersuchungsgebietes auf Sichtweite beschränken.<br />
3) Das Fallbeispiel muss repräsentativ sein für die Strecke<br />
Rotkreuz bis Arth-Goldau, d.h. die charakteristischen<br />
Merkmale sollten vorh<strong>and</strong>en sein.<br />
4) Eine Begehung bzw. Besichtigung muss möglich sein.<br />
5) Siedlungsgebiete werden ausgeschlossen.<br />
6) Abschnitte, in denen Schiene und Strasse parallel verlaufen,<br />
werden nicht bewertet.<br />
Nach einer Ortsschau und dem Studium der Richtpläne<br />
wurde der Streckenabschnitt Rotkreuz - Arth-Goldau detaillierter<br />
betrachtet, da diese Strecke von verschiedenen l<strong>and</strong>schaftlichen<br />
Merkmalen und Bauwerken geprägt wird (vgl.<br />
Tab. 5.2).<br />
Anh<strong>and</strong> der obigen Kriterien wurden die beiden St<strong>and</strong>orte<br />
Risch und Graschlad ausgewählt.<br />
Tab. 5.2: L<strong>and</strong>schaftsprägende Merkmale und Bauwerke<br />
die Strecke Rotkreuz–Arth-Goldau.<br />
L<strong>and</strong>schaften ohne<br />
Bauwerke:<br />
- Wälder<br />
- Obstgärten<br />
- l<strong>and</strong>wirtschaftliche<br />
Fruchtfolgeflächen<br />
- Weiden/Magerwiesen<br />
- Felsbänder<br />
- Bäche/Seen<br />
Bauwerke entlang von<br />
Schiene und Strasse:<br />
- Hochbauten<br />
- Viadukte<br />
- Strommasten<br />
- Kantonsstrassen<br />
- Begradigte/kanalisierte<br />
Gewässer<br />
Risch<br />
Das Gebiet verfügt über sanfte Reliefformen (ondulierend).<br />
Blickt man in Richtung Süden, so sieht man mehrere alte<br />
Einzelhöfe, die zum Teil über wertvolle Hochstammobstgärten<br />
verfügen. <strong>Die</strong> L<strong>and</strong>wirtschaft wird vor allem durch<br />
Wiesl<strong>and</strong>- und Grünl<strong>and</strong>nutzung dominiert. Bei der Sicht<br />
nach Norden erblickt man einen alten Hof. Hier wird intensive<br />
Ackerl<strong>and</strong>nutzung betrieben, nur wenige Bäume prägen<br />
die L<strong>and</strong>schaft. Auffällig sind die kleinen Hochspannungsmasten<br />
mit ihren Leitungen.<br />
<strong>Die</strong> Autobahn verläuft eher unauffällig, da sie von Baumalleen<br />
gesäumt wird. Den tiefsten Punkt in der L<strong>and</strong>schaft<br />
markiert die Bahnlinie. <strong>Die</strong> L<strong>and</strong>schaft ist vielfältig strukturiert.<br />
Zwischen Eisen- und Autobahn wird intensive L<strong>and</strong>wirtschaft<br />
betrieben.<br />
Graschlad<br />
Man findet in dieser Gegend wertvolle geologische Formationen<br />
von Nagelfluh-Aufschlüssen. Das Graschlad wird<br />
beweidet. An der Hangseite westlich der Bahn erstreckt sich<br />
ein Mischwald. Felsbänder säumen die Verkehrswege.<br />
Das Autobahn-Viadukt an diesem St<strong>and</strong>ort dominiert den<br />
L<strong>and</strong>schaftseindruck. <strong>Die</strong> Eisenbahn ist in unauffälliger<br />
Weise in die Umgebung eingebettet, da sie den Höhenlinien<br />
entlang verläuft.<br />
Abb. 5.2.1: St<strong>and</strong>ort Risch: <strong>Die</strong> Baumalleen verhindern die<br />
Sicht auf die Autobahn (Bild: FS-Büro).<br />
126 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Naturraum<br />
und klimatische Merkmale; biologische Merkmale (Flora,<br />
Fauna, Lebensgemeinschaften).<br />
– Kulturgeschichtliche und ästhetische Aspekte: Zeugnisse<br />
der Menschheitsgeschichte; Zeugnisse der L<strong>and</strong>schaftsgestaltung<br />
durch den Menschen; ästhetisch wertvolle<br />
Erscheinungen.<br />
– Funktionelle Aspekte: Funktion von Feld und L<strong>and</strong> für<br />
den L<strong>and</strong>schaftstyp (Nutzungsmuster); Erholungsfunktion,<br />
Erreichbarkeit, Abgeschiedenheit; Funktion im Nutzungsgefüge<br />
oder im L<strong>and</strong>schaftshaushalt.<br />
Abb. 5.2.2: St<strong>and</strong>ort Graschlad: Ein Autobahn-Viadukt<br />
prägt das Bild (Bild: FS-Büro).<br />
5.3 Methode der L<strong>and</strong>schaftsbewertung<br />
Um die St<strong>and</strong>orte bewerten zu können, wurden die «Checkliste<br />
zur Beurteilung von L<strong>and</strong>schaftsveränderungen des<br />
Kanton Aargaus» (Kanton Aargau, 2000) und das «Gutachten<br />
über die L<strong>and</strong>schaftsverträglichkeit einer geplanten<br />
Schweinescheune in der L<strong>and</strong>wirtschaftszone unterhalb des<br />
Burghügels von Altbüron, Kanton Luzern» (Rodewald,<br />
1999) als Vorlage verwendet.<br />
Es wurde entschieden, die beiden St<strong>and</strong>orte Risch und<br />
Graschlad hinsichtlich folgender Aspekte zu untersuchen:<br />
naturgeschichtliche Aspekte (biologische und abiotische<br />
Faktoren), kulturgeschichtliche und ästhetische Aspekte<br />
(Kulturl<strong>and</strong>schaft, Naturerscheinungen) und funktionelle<br />
Aspekte. <strong>Die</strong> drei Aspekte wurden wie folgt aufgeteilt:<br />
– Naturgeschichtliche Aspekte: geomorphologische/geologische<br />
Merkmale (Erdoberfläche, Aufschlüsse, Geotope);<br />
hydrologische Merkmale (Gewässer, Grundwasser)<br />
Für jeden St<strong>and</strong>ort und jeden Aspekt wurde ein separater<br />
Bewertungsbogen erstellt. Mit diesen Bogen wurde an den<br />
beiden St<strong>and</strong>orten der Einfluss der Schiene und Strasse<br />
bezogen auf die jeweiligen verschiedenen Einflusskriterien<br />
(Tab. 5.3) bewertet.<br />
Nach der oben erwähnten Methode erfolgte die Bewertung<br />
ausschliesslich in Form von Text, der in die Bewertungsbogen<br />
eingetragen wurde. Zusätzlich wurde die Einflussstärke<br />
von Schiene und Strasse anh<strong>and</strong> eines Zahlenwertes<br />
beurteilt. <strong>Die</strong>ser reichte von +3 (sehr starker positiver<br />
Einfluss) bis -3 (sehr starker negativer Einfluss), wobei nur<br />
ganze Zahlen in die Bogen eingetragen wurden. <strong>Die</strong> Gesamteinflussstärke<br />
der Bauwerke berechnete sich aus dem<br />
Quotienten der ermittelten Punktezahl und der maximal<br />
möglichen Punktezahl. Ein Resultat nahe bei 1 sagt aus, dass<br />
das jeweilige Verkehrssystem (Schiene oder Strasse) einen<br />
stark positiven Einfluss auf das L<strong>and</strong>schaftsbild ausübt. Ein<br />
Resultat nahe bei -1 hingegen bedeutet, dass der Einfluss<br />
stark negativ bewertet wurde.<br />
5.4 Resultate der L<strong>and</strong>schaftsbewertung<br />
<strong>Die</strong> L<strong>and</strong>schaftsbewertung wurde von Mitgliedern der<br />
Gruppe L<strong>and</strong>schaft selbst vorgenommen. <strong>Die</strong> Tab. 5.4.1 und<br />
5.4.2 zeigen die Ergebnisse. <strong>Die</strong> Schiene ist besser in die<br />
Tab. 5.3: Einflusskriterien zur Bewertung der Wirkung von Schiene und Strasse.<br />
Einflusskriterien<br />
Massstäblichkeit, Dimensionen<br />
Farbeffekte, Kontraste<br />
Expositionsgrad<br />
Verkehr, Verkehrsfrequenz, Lärm<br />
Architektonische Qualität<br />
Harmonie<br />
Vielfalt<br />
Naturnähe<br />
Eigenart<br />
Bewertung<br />
Wie wirkt das Bauwerk im Vergleich zu den natürlichen Grössenordnungen?<br />
störende Effekte, z.B. Schattenwurf<br />
Einsehbarkeit des Bauwerks von mehreren Orten<br />
z.B. Lärmkataster<br />
z.B. Typenbeschreibung (Stelzenbau, Viadukt): Was ist das Besondere des Bauwerks?<br />
Wie harmonisch werden die Beziehungen zwischen den Elementen der L<strong>and</strong>schaft<br />
empfunden?<br />
Welche Merkmalsträger wirkten sich in der Vergangenheit stark/wenig/kaum auf<br />
die l<strong>and</strong>schaftliche Vielfalt aus?<br />
Bestehende Elemente sehr grosser, grosser, mittlerer, geringer oder sehr geringer<br />
Naturnähe?<br />
Worin liegt das Unverwechselbare, Individuelle, Wiedererkennbare des Raumes?<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 127
Naturraum<br />
Tab. 5.4.1: Resultate für den St<strong>and</strong>ort Risch im Hinblick auf die beiden Verkehrssysteme Schiene und Strasse. <strong>Die</strong><br />
Gesamteinflussstärke berechnet sich als arithmetisches Mittel der drei Teileinflussstärken (bzgl. naturgeschichtlichen/kulturhistorischen<br />
und ästhetischen/funktionalen Aspekten).<br />
Naturgeschichtliche<br />
Aspekte<br />
Kulturhistorische<br />
und ästhetische<br />
Aspekte<br />
Funktionale<br />
Aspekte<br />
Schiene<br />
Risch<br />
Strasse<br />
Einflussstärke: -0.25 Einflussstärke: -0.4<br />
Der Hügelzug wird durch das Trasse der Bahn<br />
durchschnitten. Trotzdem ist die Bahn gut in die<br />
L<strong>and</strong>schaft eingebettet, weil sie nicht sehr stark<br />
erhöht ist. <strong>Die</strong> weniger stark negative Bewertung<br />
des Einflusses der Bahn rührt daher, dass<br />
die ursprünglichen Oberflächenwasserverhältnisse<br />
nur unwesentlich verändert wurden. Das<br />
ursprüngliche Feuchtgebiet (ev. Flachmoor) in<br />
der Senke wurde früher durch die Schiene tangiert,<br />
aber nicht zerstört (heute ist das Feuchtgebiet<br />
zerstört). <strong>Die</strong> Linienführung der Schiene<br />
folgt den Höhenkurven des Hügelfusses in<br />
harmonischer Weise.<br />
Einflussstärke: -0.13 Einflussstärke: -0.19<br />
<strong>Die</strong> Linearität der Schiene stört durch die tiefere<br />
Lage und die visuelle Durchlässigkeit die<br />
charakteristische Form des Reliefs wenig. Visuell<br />
trennt die Schiene die L<strong>and</strong>schaftskammer<br />
weniger stark als die Strasse.<br />
Einflussstärke -0.22 Einflussstärke -0.21<br />
<strong>Die</strong> Schiene bewirkt eine vollständige Trennung<br />
der Streuobstwiesen und der L<strong>and</strong>wirtschaftsflächen<br />
in der Ebene. <strong>Die</strong> Verkehrsfrequenz ist<br />
nicht kontinuierlich, daher wird der Erholungswert<br />
weniger stark beeinträchtigt als bei der<br />
Strasse. <strong>Die</strong> räumliche Trennung ist nicht so<br />
stark, da das Bauwerk nicht so imposant ist.<br />
Trotzdem wird die L<strong>and</strong>schaftskammer durch<br />
die Schiene getrennt, was die Zugänglichkeit<br />
vom Hof zur Flur vermindert.<br />
Zentral ist die vollständige Zerstörung des ursprünglichen<br />
Feuchtgebietes durch den Bau<br />
der Strasse. <strong>Die</strong> Hecke bietet heute aber zusätzlichen<br />
Lebensraum, was sich in der Bewertung<br />
positiv auswirkt. <strong>Die</strong> Linearität der Hecke<br />
und der Strasse beeinträchtigen das abwechslungsreiche<br />
Relief und das charakteristische<br />
L<strong>and</strong>schaftsbild, in welchem ursprüngliche<br />
Hochstammobstbaumanlagen und Einzelbaumstrukturen<br />
vorherrschten, sehr stark. Das Trasse<br />
nimmt den Verlauf der Höhenkurven nicht auf.<br />
Der grösste negative Einfluss auf die ästhetisch<br />
wertvollen Erscheinungen (sanfte Wellenformen<br />
des Reliefs) ist die Linearität der Strasse.<br />
Ein weiterer, weniger starker Effekt ist die räumliche<br />
Aufspaltung der L<strong>and</strong>schaftskammer<br />
durch die Strasse, welcher durch die Baumreihen<br />
unterstützt wird. <strong>Die</strong>se Baumreihen sind<br />
farblich gut in die L<strong>and</strong>schaftskammer integriert.<br />
Auf die traditionelle Bewirtschaftungsform<br />
hat die Strasse keinen wesentlichen Einfluss.<br />
<strong>Die</strong> Strasse bewirkt eine vollständige Trennung<br />
der Streuobstwiesen und der L<strong>and</strong>wirtschaftsflächen<br />
in der Ebene und vermindert den Zugang<br />
zu den Teilflächen, da kein Durchgang<br />
vorh<strong>and</strong>en ist. Dadurch wird eine Umfahrung<br />
notwendig. Der Erholungsanreiz in dieser Gegend<br />
ist vermindert, da die Strasse von allen<br />
Seiten her einsehbar ist. <strong>Die</strong> vorbeifahrenden<br />
Fahrzeuge erzeugen einen ständigen Lärmpegel<br />
und bewirken auch eine ständige Betriebsamkeit,<br />
welche die Erholungsfunktion dieser<br />
L<strong>and</strong>schaftskammer beeinträchtigt.<br />
L<strong>and</strong>schaft eingegliedert als die Strasse und die ursprünglichen<br />
L<strong>and</strong>schaftstypen werden durch die Schiene weniger<br />
beeinträchtigt. <strong>Die</strong> beiden Bauelemente Schiene und Strasse<br />
trennen Nutzungssysteme in ähnlichem Ausmass, wobei die<br />
Strasse die L<strong>and</strong>schaft als Erholungsgebiet in grösserem<br />
Mass stört als die Schiene.<br />
5.5 Fazit<br />
<strong>Die</strong> Schiene ist besser in die L<strong>and</strong>schaft eingegliedert als die<br />
Strasse. <strong>Die</strong> ursprünglichen L<strong>and</strong>schaftstypen werden durch<br />
die Schiene weniger beeinträchtigt. <strong>Die</strong> beiden Bauelemente<br />
Schiene und Strasse trennen Nutzungssysteme in ähnlichem<br />
Ausmass. Wobei die Strasse die L<strong>and</strong>schaft als Erholungsgebiet<br />
in grösserem Mass stört als die Schiene.<br />
<strong>Die</strong> negativen Werte in der Abb. 5.5 bedeuten, dass keines<br />
der Bauwerke einen positiven Einfluss auf die L<strong>and</strong>schaftsästhetik<br />
hat. Das kommt daher, dass die Bauwerke weder<br />
128 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Naturraum<br />
Tab. 5.4.2: Resultate für den St<strong>and</strong>ort Graschlad im Hinblick auf die beiden Verkehrssysteme Schiene und Strasse. <strong>Die</strong><br />
Einflussstärke wie in Tab. 5.4.1 berechnet.<br />
Naturgeschichtliche<br />
Aspekte<br />
Kulturhistorische<br />
und ästhetische<br />
Aspekte<br />
Funktionale<br />
Aspekte<br />
Schiene<br />
Graschlad<br />
Strasse<br />
Einflussstärke: -0.07 Einflussstärke: -0.39<br />
<strong>Die</strong> Schiene ist dem Hang entlang gebaut und<br />
beeinflusst daher die ursprüngliche Reliefform<br />
auf eine positive Weise, indem sie die Formen<br />
hervorhebt. Das Bauwerk ist gut in die ursprünglichen<br />
geomorphologischen Verhältnisse<br />
eingebettet. <strong>Die</strong>s vor allem, weil die Stützmauern<br />
(aus Rigi-Nagelfluhgestein) dieselbe Farbe<br />
haben wie die Nagelfluhaufschlüsse.<br />
Einflussstärke: -0.03 Einflussstärke: -0.34<br />
<strong>Die</strong> Schiene ist durch die Verwendung des im<br />
Gebiet vorkommenden Nagelfluhsteins in die<br />
L<strong>and</strong>schaftskammer gut eingegliedert, was<br />
farblich gut übereinstimmt. Sie rückt durch die<br />
Dominanz des Viadukts in den Hintergrund.<br />
Einflussstärke: -0.20 Einflussstärke: -0.26<br />
<strong>Die</strong> Schiene trennt die Nutzungsbeziehung<br />
Wald-Offenl<strong>and</strong> und Bauernbetrieb-Flur. Durch<br />
den Bau des Trasses am Waldr<strong>and</strong> wird die<br />
funktionelle Vernetzung vermindert.<br />
<strong>Die</strong> starken Konturen, die massige, helle Betonkonstruktion<br />
und die Überdimensionalität des<br />
Bauwerkes stören das ursprüngliche L<strong>and</strong>schaftsbild<br />
des Nordhangfusses der Rigi,<br />
welches durch Nagelfluhaufschlüsse, erratische<br />
Blöcke und Mulden geprägt ist. <strong>Die</strong> natürlichen<br />
Übergänge werden, ausser an Brückenst<strong>and</strong>orten,<br />
verhindert. <strong>Die</strong> harmonischen Beziehungen<br />
zwischen den L<strong>and</strong>schaftselementen werden<br />
durch das Viadukt stark gestört.<br />
<strong>Die</strong> Strasse hat einen hohen Expositionsgrad<br />
und dominiert das ganze L<strong>and</strong>schaftsbild. Sie<br />
stört durch Lärm und ihrer Anwesenheit (Fremdkörper)<br />
die Naturwahrnehmung in stärkerem<br />
Masse als bei der Schiene.<br />
<strong>Die</strong> Strasse unterbricht das Nutzungsmuster<br />
kaum. Das Passieren ist möglich, allerdings für<br />
den Menschen unattraktiv. Durch den hohen<br />
Expositionsgrad wirkt das Viadukt omnipräsent<br />
in dieser L<strong>and</strong>schaftskammer. <strong>Die</strong> Dimension<br />
des Viadukts verhindert den freien Blick von der<br />
Zufahrtstrasse aus nach Arth-Goldau und ist<br />
gleichzeitig von weiter Ferne noch gut einsehbar.<br />
über eine bautechnisch hervorragende Struktur verfügen,<br />
noch als architektonisch sehr wertvoll bezeichnet werden<br />
können. Bauwerke können einen positiven Einfluss haben,<br />
falls sie als Zeugnis der Kulturgeschichte gelten (z.B.<br />
Teufelsbrücke im Kanton Uri). <strong>Die</strong> Beurteilung dieses<br />
Aspekts kann sich natürlich im Laufe der Zeit ändern.<br />
Abb. 5.5: Durchschnittliche Einflussstärken von Strasse und<br />
Schiene auf den Naturraum (-1: sehr starker negativer Einfluss<br />
bis +1: sehr stark positiver Einfluss).<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 129
Naturraum<br />
6 Diskussion<br />
6.1 Zusammenfassung der Ergebnisse<br />
1) Kleinraum: Böschungen können als Lebensraum für verschiedene<br />
Pflanzen und Tiere dienen. Auf den untersuchten<br />
Flächen weist die Autobahnböschung eine höhere Artenzahl<br />
auf als die Schienenböschung. Ohne eine Berücksichtigung<br />
von weiteren Einflüssen kann sie aber nicht als ökologisch<br />
besser bewertet werden. Zudem ist die Aussagekraft des<br />
Ergebnisses sehr einschränkt, da jeweils nur eine einzelne<br />
Fläche von 10 m 2 untersucht wurde. <strong>Die</strong> Waldr<strong>and</strong>struktur<br />
entlang der Schiene scheint vor allem hinsichtlich der vielfältigen<br />
Struktur des Pflanzenbest<strong>and</strong>es ökologisch besser<br />
zu sein als die Waldr<strong>and</strong>struktur entlang der Strasse.<br />
2) Grossraum: Strasse und Schiene zerschneiden Lebensräume<br />
und blockieren Wildtierw<strong>and</strong>erungen. Je nach<br />
Durchlässigkeit und Linienführung der Verkehrsträger kann<br />
der Zerschneidungseffekt variieren. Durch Tunnels und grössere<br />
Strassen- und Bahnbrücken, welche die Tiere überbzw.<br />
unterqueren können, kann der Zerschneidungseffekt<br />
verringert werden.<br />
Auf der Strecke Arth-Goldau–Rotkreuz weist die Autobahn<br />
einen höheren Streckenanteil an Tunnels (1% mehr)<br />
und Brücken (13% mehr) auf als die Bahnlinie (Tab. 2.1).<br />
<strong>Die</strong> Autobahn wird im allgemeinen über lange Brücken<br />
geführt, die den Tieren die Unterquerung ermöglichen, während<br />
die Schiene nur wenige Brücken mit den nötigen Massen<br />
aufweist. Zusätzlich wird die Autobahn von einer weit<br />
geringeren Kilometerzahl an unpassierbaren Stützmauern<br />
begleitet als die Schiene.<br />
3) L<strong>and</strong>schaft: Aus ästhetischer Sicht wurde gezeigt, dass<br />
sich an den gewählten Untersuchungsorten die Schiene besser<br />
in das L<strong>and</strong>schaftsbild einfügt als die Autobahn. <strong>Die</strong><br />
Autobahn vermindert sowohl die Ursprünglichkeit als auch<br />
den Erholungswert der L<strong>and</strong>schaft in grösserem Masse als<br />
die Schiene.<br />
6.2 Schwierigkeiten einer Gesamtbewertung<br />
Für einen umfassenden Vergleich zwischen dem Einfluss<br />
der Schiene und dem Einfluss der Strasse auf den Naturraum<br />
müssten sämtliche Problemfelder und Folgewirkungen (siehe<br />
Tab. 1.2) angemessen berücksichtigt werden. Mit den aus<br />
der Studie erreichten Ergebnissen kann jedoch nur ein Teil<br />
der Umweltauswirkungen abgedeckt werden. Andererseits<br />
ist anzunehmen, dass nicht jedem in Tab. 1.2 aufgeführten<br />
Punkt die gleiche Bedeutung zukommt und daher eine Prioritätensetzung<br />
in der Bewertung erfolgen muss. Eine Rangierung<br />
der Problemfelder ist natürlich mit Subjektivität<br />
verbunden, aber innerhalb des Schutzgutes «Naturraum»<br />
kommt der Flora und Fauna eine zentrale Stellung zu. Erstens<br />
ist deren Schutzwürdigkeit durch die «Konvention zum<br />
Schutz der biologischen Vielfalt», einem von 177 Ländern<br />
ratifizierten völkerrechtlichen Vertrag (UNEP, 1992) und<br />
deren nationalen Umsetzung (BUWAL, 1998b) hervorgehoben.<br />
Zweitens dürfen die genannten Problemfelder nicht als<br />
unabhängig betrachtet werden. Einige der genannten Probleme<br />
(Flächenbelegung, Kleinklima, Immissionen, Wasserhaushalt)<br />
tragen zumindest teilweise ihrerseits zu dem<br />
Problem der Gefährdung von Flora und Fauna bei. Daraus<br />
ergibt sich, dass die Ergebnisse für Flora und Fauna einige<br />
der nicht explizit untersuchten Problemfelder teilweise mit<br />
abdecken.<br />
Eine Synthese der Teilergebnisse (Kleinraum, Grossraum<br />
und L<strong>and</strong>schaft) wird durch folgende Punkte erschwert:<br />
1) <strong>Die</strong> verschiedenen Methoden ergeben unterschiedliche<br />
Datenniveaus in den Resultaten. <strong>Die</strong> Daten wurden qualitativ<br />
oder quantitativ erhoben.<br />
2) <strong>Die</strong> Ergebnisse beziehen sich nur auf wenige Untersuchungsstrecken<br />
bzw. Untersuchungsflächen und können<br />
deshalb nur als Fallbeispiel gelten und nicht verallgemeinert<br />
werden.<br />
3) <strong>Die</strong> Untersuchungsflächen weisen Dimensionen auf, die<br />
zwischen mehreren Quadratkilometern und wenigen<br />
Quadratmetern variieren.<br />
4) In den Ergebnissen zeigen sich Widersprüche je nach<br />
Bewertungsaspekt und Sichtweise.<br />
5) <strong>Die</strong> beiden Verkehrsträger weisen eine unterschiedliche<br />
Bauepoche und somit eine unterschiedliche Ausgangslage<br />
der Konstruktionen auf.<br />
Zu 1): Durch die Komplexität des Themas konnte keine<br />
einheitliche Methode für die Untersuchungen gewählt werden.<br />
Entsprechend unterschiedlich fielen die Resultate bei<br />
Anwendung der verschiedenen Methoden aus. <strong>Die</strong> Vegetationsaufnahme<br />
und die Waldr<strong>and</strong>bewertung, welche die<br />
Gruppe Kleinraum durchgeführt hatten, liefern Daten in<br />
quantitativer Form. <strong>Die</strong> Gruppe L<strong>and</strong>schaft präsentiert ihre<br />
Ergebnisse sowohl in beschreibender Form sowie mit einer<br />
Auswertung in Zahlen (Tab. 5.4.1 & 5.4.2). Das GIS-Modell<br />
der Gruppe Grossraum stellt die Daten anh<strong>and</strong> einer zweidimensionalen<br />
Karte dar, die in quantitativer wie auch qualitativer<br />
Form ausgewertet werden kann.<br />
Zu 2): <strong>Die</strong> Resultate der Studie beziehen sich jeweils nur<br />
auf die Untersuchungsstrecke oder auf die begrenzten Untersuchungsflächen<br />
entlang dieser Strecke. Von der untersuchten<br />
Strecke/Fläche darf nicht auf das Schienen- und<br />
Strassennetz im allgemeinen geschlossen werden. Es hat<br />
sich gezeigt, dass die umgebende L<strong>and</strong>schaft der ausgewählten<br />
Strecke einen sehr starken Einfluss auf die Resultate<br />
ausübt. <strong>Die</strong> Nähe der natürlichen Grenze «Zugersee» beeinflusste<br />
die Ergebnisse hinsichtlich des Zerschneidungseffektes<br />
erheblich. Da der Zugersee selber für Rothirsche eine<br />
fast unüberwindbare Barriere ist, verschwindet der künstliche<br />
Barriereeffekt von Strasse und Schiene nahezu.<br />
Zu 3): <strong>Die</strong> Grössen der Untersuchungsflächen der verschiedenen<br />
Gruppen variieren. So beschäftigten sich die<br />
Gruppen Grossraum und L<strong>and</strong>schaft mit Untersuchungsgebieten<br />
von mehreren Quadratkilometern Grösse. Das Gebiet<br />
der Gruppe Kleinraum hingegen, verfügte lediglich über<br />
Dimensionen im Quadratmeterbereich.<br />
Zu 4): <strong>Die</strong> Ergebnisse widersprechen sich innerhalb sowie<br />
auch zwischen verschiedenen Problemfeldern. Böschungen<br />
mit Sträuchern und Büschen sind für Greifvögel als Jagdgebiet<br />
relativ unattraktiv. <strong>Die</strong> dichten Strukturen verhindern<br />
die Mäusejagd. Somit verhindern verbuschte Böschungen,<br />
130 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Naturraum<br />
Tab. 6.2: <strong>Die</strong> Ergebnisse widersprechen sich innerhalb sowie auch zwischen verschiedenen Problemfeldern.<br />
Blumenreiche Böschungen:<br />
Wildzäune:<br />
Strassenbecken:<br />
Brücken und Viadukte:<br />
«Todesfalle» für Greifvögel oder Habitat für Tagfalter?<br />
Tierbarrieren oder Verhindern des Überfahrenwerdens von Tieren?<br />
Unerwünschte Verstärkung der Linearität oder Strassenverdeckung?<br />
Störende Elemente oder Wildtierkorridore?<br />
dass die Greifvögel sich am R<strong>and</strong>e des Verkehrssystems<br />
aufhalten und die Wahrscheinlichkeit eines Unfalles sinkt.<br />
Für Tagfalter hingegen sind verbuschte Böschungen ungünstig,<br />
da dort der Blütenreichtum und damit die Nahrungsgrundlage<br />
gegenüber einer unverbuschten Böschung<br />
verringert ist. <strong>Die</strong> Wildzäune entlang der Autobahnen sind<br />
für Wildtiere undurchlässig. Es entsteht eine starke Barrierewirkung.<br />
Durch die Unpassierbarkeit der Zäune wird<br />
jedoch der Tod von vielen Tieren verhindert. <strong>Die</strong> Tab. 6.2<br />
gibt eine Übersicht mit Beispielen für eine widersprüchliche<br />
Bewertung.<br />
Aus l<strong>and</strong>schaftsästhetischer Sicht werden lineare Strukturen<br />
besonders in topographisch bewegten L<strong>and</strong>schaften als<br />
negativ gewertet. <strong>Die</strong> Geradlinigkeit widerspricht den natürlichen<br />
Formen eines geschwungenen L<strong>and</strong>schaftsbildes.<br />
<strong>Die</strong> Hecken entlang von Autobahnen verstärken die Linearität<br />
in der L<strong>and</strong>schaft (vgl. Abb. 5.2.1). Andererseits wird<br />
die Trasse der Autobahn durch das begleitende Grün verdeckt,<br />
so dass die Störung des L<strong>and</strong>schaftsbildes gering<br />
bleibt. Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass die Barrierewirkung<br />
eines Verkehrssystems durch eine geeignete<br />
Linienführung stark vermindert wird. Tunnels und grössere<br />
Brücken ermöglichen für Wildtiere eine Über- oder Unterquerung<br />
der Verkehrsträger und fördern die Verbindung<br />
zwischen verschiedenen Habitaten und zwischen einzelnen<br />
Populationen. Nach unseren Ergebnissen weist die Autobahn<br />
auf der untersuchten Strecke mehr Bauwerke dieser<br />
Art auf als die Schiene. <strong>Die</strong> visuell stark exponierten Viadukte<br />
und Brücken der Autobahn sind aber unter <strong>and</strong>erem<br />
ein Grund dafür, dass die Strasse aus l<strong>and</strong>schaftsästhetischer<br />
Sicht schlechter abschneidet als die Schiene. <strong>Die</strong> überdimensionalen<br />
Bauwerke werden als störende Elemente im<br />
L<strong>and</strong>schaftsbild empfunden.<br />
Zu 5): <strong>Die</strong> meisten Schienenstrecken in der Schweiz sind<br />
Ende des 19. oder Anfangs des 20. Jahrhundert entst<strong>and</strong>en.<br />
<strong>Die</strong> Bauten der neueren Zeit unterscheiden sich von den<br />
Bauten der damaligen Zeit vor allem durch die technischen<br />
Möglichkeiten. <strong>Die</strong> Tatsache, dass die Schiene zu einem<br />
<strong>and</strong>eren Zeitpunkt erbaut wurde als die Strasse, konnte nicht<br />
kontrolliert werden und erschwerte das Erstellen eines realistischen<br />
Vergleichs Schiene-Strasse.<br />
<strong>Die</strong> durchgeführten Untersuchungen zeigen die grundsätzlichen<br />
Schwierigkeiten des ökologischen Vergleichs von<br />
Schiene und Strasse exemplarisch für die Region Zugersee.<br />
Ein Gesamtvergleich der Wirkungen von Schiene und Strasse<br />
auf Naturraum und L<strong>and</strong>schaft scheint nur schwer zu<br />
bewerkstelligen.<br />
<strong>Die</strong> Bewertungsfrage ist sehr grundsätzlicher Art. Von<br />
den Auswirkungen der Verkehrsträger sind sowohl L<strong>and</strong>schaftsästhetik<br />
als auch Fauna und Flora betroffen. Aus<br />
wessen Sicht sollen die Auswirkungen nun bewertet werden?<br />
Aus der Sicht des Menschen, für den die Trassen zwar<br />
ein störendes Element im L<strong>and</strong>schaftsbild darstellen, der<br />
aber trotzdem von den Verkehrsträgern abhängig ist? Oder<br />
aus der Perspektive der Fauna, die eine grosse Beeinträchtigung<br />
ihres Lebensraumes, z.B. durch L<strong>and</strong>schaftszerschneidung<br />
erfährt?<br />
<strong>Die</strong> Naturraumgruppe hat Methoden gefunden, die geeignet<br />
sind, einen partiellen ökologischen Vergleich zwischen<br />
Schiene und Strasse zu ziehen. <strong>Die</strong> aufgetretenen Schwierigkeiten<br />
haben gezeigt, welche Aspekte bei weiteren Arbeiten<br />
besonders zu berücksichtigen sind. Zusammenfassend<br />
lässt sich sagen, dass die Ergebnisse Anhaltspunkte für<br />
einen ökologischen Vorteil der Schiene in den Auswirkungen<br />
auf den Naturraum und die L<strong>and</strong>schaft aufweisen.<br />
6.3 Schlussfolgerung<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 131
Naturraum<br />
7 Zukunft Böschung<br />
Seit in der Schweiz in den 60er Jahren eine Intensivierung<br />
der L<strong>and</strong>wirtschaft eingesetzt hat, nimmt die ökologische<br />
Verarmung der bestehenden Kulturl<strong>and</strong>schaft ein enormes<br />
Ausmass an. Vor allem das Mittell<strong>and</strong> ist davon betroffen.<br />
Durch die düngefreie Bewirtschaftung sind Bahnböschungen<br />
zu wertvollen Rückzugsgebieten für seltene Pflanzenund<br />
Tierarten geworden.<br />
7.1 <strong>Die</strong> heutige Böschungspflege<br />
Aufgrund des gestiegenen Kostendruckes wird heute in der<br />
Böschungspflege das absolute Minimum geleistet. In den<br />
letzten Jahren wurde vor allem die Bewirtschaftungsweise<br />
mit dem Schlegelmäher stark forciert. <strong>Die</strong>ses Gerät zerkleinert<br />
und spaltet das abgemähte Gut, so dass es sehr schnell<br />
verrottet und liegen gelassen werden kann. Dadurch entfällt<br />
das Wegräumen des angefallenen Schnittgutes. <strong>Die</strong>se zeitsparende,<br />
bequeme und dadurch kostengünstige Methode<br />
hat aber grosse ökologische Nachteile. Das liegengelassene<br />
Mähgut hat eine Düngung der bestehenden Magerwiesen<br />
zur Folge. <strong>Die</strong>s bewirkt, dass die Artenvielfalt der langsam<br />
entst<strong>and</strong>enen Wiesentypen stark beeinflusst wird, und wegen<br />
des erhöhten Nährstoffniveaus mit der Zeit eine Veränderung<br />
zu einer Fettwiese erfolgt. Auch konnte oftmals eine<br />
Vermoosung der Böschungen beobachtet werden, vor allem<br />
wenn zu tief gemulcht und dadurch die oberste Bodenschicht<br />
mitbearbeitet wird. <strong>Die</strong>s kann sich bei steilen Böschungsabschnitten<br />
auch negativ auf deren Stabilität auswirken,<br />
da die Böschungen nicht durch ein tiefgreifendes<br />
Wurzelwerk stabilisiert werden. <strong>Die</strong>se Folgen werden erst<br />
nach einer längeren Anwendung eintreten. Zudem fallen<br />
sehr viele Tiere dieser Bearbeitungsmethode zum Opfer. Vor<br />
allem Kleintiere wie Reptilien (Eidechsen, Blindschleichen,<br />
Schlangen), Wirbellose und Kleinsäuger werden in beachtlicher<br />
Anzahl getötet.<br />
<strong>Die</strong> Kosten pro Quadratmeter Böschungspflege sind sehr<br />
unterschiedlich. Sie hängen einerseits vom Vegetationstyp<br />
ab, <strong>and</strong>ererseits von der Bewirtschaftungsmethode, den topographischen<br />
Gegebenheiten und Zugangsmöglichkeiten.<br />
Eine Zusammenstellung der Pflegekosten für unterschiedliche<br />
Vegetationstypen und Methoden wurden dem Grünflächenkataster<br />
der SBB (1997) entnommen (vgl. Tab. 7.1).<br />
Hier sind die schwankenden Kosten auf die unterschiedliche<br />
Pflegeintensität zurückzuführen, die aufgrund der topographischen<br />
Gegebenheiten (Damm oder Einschnitt) gefordert<br />
wird. Falls das Material liegen gelassen werden kann, ergibt<br />
sich ein <strong>and</strong>erer Kostenfaktor, als wenn es von der Böschung<br />
wegtransportiert werden muss.<br />
Aus sicherheitstechnischer Sicht ist heute die Böschungspflege<br />
ein wichtiger Best<strong>and</strong>teil des Unterhaltsdienstes der<br />
SBB. <strong>Die</strong> prioritäre Aufgabe des Unterhaltsdienstes ist aber<br />
nicht die Böschungspflege, sondern die Inst<strong>and</strong>haltung der<br />
Gleisinfrastruktur und damit die Aufrechterhaltung von Sicherheitsst<strong>and</strong>ards.<br />
Für eine ökologische Böschungspflege<br />
wäre es sinnvoll, wenn für den Böschungsunterhalt jeder<br />
Region eine eigene Mannschaft geschaffen würde, die auch<br />
ein eigenes Budget zur Verfügung hat. Um die anspruchsvolle<br />
Arbeit ausführen zu können und das nötige Know-how<br />
zu erwerben, sollte die Böschungstruppe fortlaufend durch<br />
Kurse ökologisch weitergebildet werden. Das neue Anforderungsprofil<br />
durch die ökologische Pflege macht die Arbeit<br />
anspruchsvoller, abwechslungsreicher und interessanter.<br />
7.2 Alternative Möglichkeiten der<br />
Böschungspflege<br />
Betrachtet man das gesamte Schienennetz der Schweiz, so<br />
stellt man schnell fest, dass der Bahnverkehr im Schweizer<br />
Mittell<strong>and</strong> sehr dicht und vernetzt ist. Da die Schweiz in<br />
diesem L<strong>and</strong>esteil zudem über eine hohe Siedlungsdichte<br />
verfügt und Naturschutzgebiete in vergleichsweise niedriger<br />
Zahl und Ausdehnung vorh<strong>and</strong>en sind, ist es erstrebenswert,<br />
wertvolle Lebensräume naturnah zu pflegen und zu<br />
schützen (Stichwort «Grünes Netz», vgl. Tab. 7.2). Durch<br />
die Schaffung von Böschungen sind neue und seltene Lebensräume<br />
entst<strong>and</strong>en, die es zu erhalten gilt. Für die Finanzierung<br />
eines Pflegekonzepts für eine naturnahe Bahnböschung<br />
wurden neun Massnahmen formuliert.<br />
Um die erarbeiteten Vorschläge zu bewerten, wurden zwei<br />
Bewertungsbogen entwickelt. <strong>Die</strong> Massnahmen wurden im<br />
Hinblick auf die Realisierbarkeit und den Erfolg mit jeweils<br />
fünf verschiedenen Bewertungskriterien evaluiert (Kasten<br />
7.2). <strong>Die</strong> Bewertung erfolgte mittels eines Zahlenwertes (3<br />
= hoher, 2 = relativ hoher, 1 = geringer, 0 = keinen Einfluss).<br />
<strong>Die</strong> zwei Bewertungsbogen wurden von drei Experten aus<br />
den Bereichen SBB und Naturschutz ausgefüllt, wobei sie<br />
die Massnahmen unmittelbar auf Realisierbarkeit und Erfolg<br />
hin beurteilen sollten.<br />
Tab. 7.1: Auflistung der Kosten für verschiedene Pflegemassnahmen (Quelle: Schweizerische Bundesbahnen, 1997).<br />
Schienengängiges Mulchen ist teurer als H<strong>and</strong>mulchen, da beim schienengängigen Mulchen der Bahnverkehr blockiert<br />
werden muss.<br />
Böschungspflegearten<br />
Kosten pro Jahr und Quadratmeter<br />
H<strong>and</strong>mulchen Fr. 0.23 bis Fr. 0.59<br />
Schienengängiges Mulchen Durchschnittlich Fr. 0.67<br />
H<strong>and</strong>mähen von Magerwiesen Durchschnittlich Fr. 0.69<br />
Heckenpflege Fr. 0.14 bis Fr. 0.40<br />
132 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Naturraum<br />
Tab. 7.2: Alternative Möglichkeiten der Böschungspflege in der Zukunft.<br />
1) Sponsoring von Streckenabschnitten<br />
Über finanzielle Patenschaften und Sponsoring versuchen die SBB, Firmen, Vereine<br />
u.a. für die Bewirtschaftung der Bahnböschungen zu gewinnen. <strong>Die</strong> Firmen,<br />
Vereine u.a. können ihren finanziellen Beitrag über eine Urkunde bestätigt bekommen<br />
und sich damit als Teilhaber des «Grünen Netzes» nach aussen präsentieren.<br />
2) «Green-Ticket» <strong>Die</strong> SBB erheben einen für die Fahrgäste freiwilligen Beitrag auf die Fahrkarten.<br />
Betätigen die Bahnbenützer den «Grünen-Knopf» auf dem Touch-Screen, so wird<br />
ihnen automatisch dieser Mehrbetrag auf den üblichen Billettpreis aufsummiert.<br />
<strong>Die</strong>ser Beitrag wird in Prozenten vom Fahrpreis abhängen oder einen Minimalsatz<br />
von wenigen Rappen pro Fahrkarte betragen. <strong>Die</strong> dadurch erhaltenen Gelder<br />
werden vollumfänglich für den naturnahen Böschungsunterhalt eingesetzt<br />
(siehe auch Balmer, 2000).<br />
3) Verkauf von Böschungsprodukten<br />
<strong>Die</strong> SBB versuchen, durch den Verkauf von Böschungsprodukten (Kleintierheu,<br />
Wildsamenproduktion u.s.w.) die Böschungen als Produktionsfläche zu nutzen.<br />
Der Erlös der Böschungsprodukte soll den Selbstkostendeckungsgrad der Produktionsfläche<br />
Böschung heben und damit die naturnahe Bewirtschaftung<br />
unterstützen.<br />
4) Zusätzlicher Beitrag der SBB <strong>Die</strong> SBB erklären sich bereit, die naturnahe Böschungsbewirtschaftung mit<br />
namhaften finanziellen Zuschüssen zu unterstützen.<br />
5) Ökologische Ausgleichsflächen<br />
für die L<strong>and</strong>wirtschaft<br />
6) Böschungen als ökologische<br />
Ausgleichsfläche<br />
7) Projektorientierte Pflegearbeit für<br />
naturschützerisch wertvolle<br />
Böschungsgebiete durch die<br />
öffentliche H<strong>and</strong><br />
8) Pflegerische Verantwortung bei<br />
Kantonen und Gemeinden für<br />
neue Naturschutzgebiete<br />
9) Firmen, Vereine oder Private<br />
übernehmen Patenschaft durch<br />
aktive, naturnahe Pflegearbeit<br />
<strong>Die</strong> SBB können die Bahnböschungen, gebunden an Nutzungsverträge, kostenlos<br />
an die L<strong>and</strong>wirtschaft abtreten. <strong>Die</strong> L<strong>and</strong>wirte ihrerseits bewirtschaften die<br />
Böschungen als ökologische Ausgleichsflächen und erhalten somit Beiträge vom<br />
Bund. <strong>Die</strong>se Massnahme beschränkt sich auf die 16 Typen der ökologischen<br />
Ausgleichsflächen, für die Beiträge ausbezahlt werden (Bundesamt für L<strong>and</strong>wirtschaft<br />
[BLW], 1999).<br />
Wie bei 5): Es wird ein neuer Ausgleichsflächentyp geschaffen, der speziell<br />
Bahnböschungen als ökologische Ausgleichsflächen anerkennt.<br />
<strong>Die</strong> kantonalen Behörden, die für die Pflege von Naturschutzgebieten und<br />
Bundesinventaren verantwortlich sind, sorgen gleichzeitig dafür, dass die Bahnböschungen<br />
in Naturschutzgebieten in deren Pflegeunterhalt integriert werden.<br />
Dasselbe gilt für Gemeinden, die bereits bestehende Naturschutzgebiete o.ä.<br />
ausgeschieden haben.<br />
Kantone und Gemeinden scheiden neue Naturschutzflächen inklusive Böschungen<br />
aus. Damit kann die Erhaltung der biologischen Vielfalt unterstützt und<br />
gleichzeitig der Auftrag des Bundes an die Kantone und Gemeinden erfüllt<br />
werden. <strong>Die</strong> Pflegekosten werden von den Kantonen oder Gemeinden übernommen.<br />
Interessierte Firmen, Vereine oder Private erklären sich bereit, die Böschungspflege<br />
zu übernehmen.<br />
<strong>Die</strong> Abbildungen im Kasten 7.2 zeigen die Ergebnisse der<br />
Bewertung. <strong>Die</strong> Massnahme «Verkauf von Böschungsprodukten»<br />
(Nummer 3) schnitt im Vergleich zu den restlichen<br />
Massnahmen im Bezug auf die Realisierbarkeit deutlich<br />
schlechter ab. Als sehr gut realisierbar wird die Massnahme<br />
«Projektorientierte Pflegearbeit für naturschützerisch-wertvolle<br />
Böschungsgebiete durch die öffentliche H<strong>and</strong>» (Nummer<br />
7) erachtet. <strong>Die</strong> übrigen Massnahmen lassen sich auf<br />
einer Skala bei mittel bis gut realisierbar einordnen. <strong>Die</strong><br />
Massnahmen, die durch externe Partner getragen werden<br />
sollen, wurden von den Experten meist als erfolgversprechender<br />
angesehen (z.B. die Massnahmen Nummer 5 bis 7).<br />
<strong>Die</strong> Massnahmen, für welche die SBB selbst verantwortlich<br />
sind, schneiden deutlich schlechter ab. Es muss aber hinzugefügt<br />
werden, dass eine Befragung von lediglich drei Experten<br />
nicht ausreicht, um entscheiden zu können, welche<br />
Massnahmen wirklich in der Realität umgesetzt werden<br />
können und zudem erfolgversprechend sind.<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 133
Naturraum<br />
Realisierbarkeitskriterien<br />
- Einfluss rechtlicher Aspekte: Inwiefern erfordern die<br />
Massnahmen eine Änderung der rechtlichen Gegebenheiten?<br />
- Organisations- und Strukturw<strong>and</strong>el: Mit welchem Aufw<strong>and</strong><br />
ist eine Anpassung innerhalb der SBB-internen<br />
Struktur nötig?<br />
- Zusätzlicher Aufw<strong>and</strong> der betroffenen Mitarbeiter:<br />
Inwiefern beanspruchen die Massnahmen die Mitarbeiter<br />
in arbeitsintensiver und projektunterstützender<br />
Hinsicht? Als betroffene Mitarbeiter gelten die Bautrupps,<br />
Administration und das <strong>Die</strong>nstleistungspersonal.<br />
- Einmalige Anfangsinvestitionen (Zeit und Geld):<br />
Wie wichtig sind für die jeweilige Massnahme eine<br />
Anfangsinvestition und wie hoch die zeitliche Beanspruchung<br />
der Verantwortlichen, um die Massnahme<br />
einzuleiten?<br />
- Unterhaltsaufw<strong>and</strong>, laufende Kosten (Zeit und Geld):<br />
Wie hoch sind die laufenden Kosten (Unterhalts-, Lohn-,<br />
Materialkosten, etc.) für die Massnahmen?<br />
Erfolgskriterien<br />
- Einfluss auf den finanziellen Ertrag der SBB: Inwiefern<br />
bringen die Massnahmen einen finanziellen Ertrag, der<br />
die SBB direkt oder indirekt entlastet?<br />
- Akzeptanz bei der SBB-Kundschaft: In welchem Ausmass<br />
üben die Massnahmen einen Einfluss auf das<br />
Kauf- und Auswahlverfahren der Kundschaft der SBB<br />
aus?<br />
- Wirksamkeit für Ökologie: Wie hoch ist der Druck auf<br />
die SBB aufgrund einer externen Kontrolle (Öffentlichkeit,<br />
Behörden, vertragliche Vereinbarungen) die<br />
ökologische Böschungsbewirtschaftung umzusetzen?<br />
- Imageverbesserung der SBB: wie stark tragen die Massnahmen<br />
zur Imageverbesserung der SBB bei?<br />
- Spielraum der H<strong>and</strong>lungsmöglichkeiten der SBB:<br />
Inwiefern schränken die Massnahmen den Spielraum<br />
der SBB und somit deren H<strong>and</strong>lungsmöglichkeiten ein?<br />
Kasten 7.2: Kriterien zur Beurteilung der Realisierbarkeit der Alternativen der Böschungspflege und des erwarteten Erfolgs<br />
(3 = maximale Realisierbarkeit bzw. maximaler Erfolg).<br />
7.3 Umsetzung der Massnahmen<br />
<strong>Die</strong> Massnahmen wurden von allen Experten als mittel bis<br />
gut realisierbar bewertet und sie versprechen sich bei ihrer<br />
Realisierung guten bis sehr guten Erfolg. <strong>Die</strong> eine oder<br />
<strong>and</strong>ere Massnahme in die Realität umzusetzen, ist ein Vorhaben,<br />
dass mit einigen verwaltungstechnischen Änderungen<br />
von Seiten der SBB und dem Einsatz von Gemeinden,<br />
Kantonen, Bund, verschiedenen Verbänden und Vereinen<br />
erreicht werden kann.<br />
Ein Vorbild könnte Sissach sein (vgl. NZZ, 2000): Seit<br />
1988 werden die Autobahnböschungen in Basell<strong>and</strong> nach<br />
den Richtlinien für die Gestaltung der Grünflächen entlang<br />
der Autobahn bewirtschaftet. <strong>Die</strong> Equipe des Autobahn-<br />
Werkhofes Sissach setzt diese Richtlinien nun seit mehr als<br />
zehn Jahren zusammen mit der Unterstützung einer Öko-<br />
Beratungsfirma in die Tat um. In einer Medienorientierung<br />
im Frühjahr 2000 konnte nun die Bau- und Umweltschutzdirektorin<br />
erste Erfolge bekannt geben. Der Strukturreichtum<br />
hat sich verbessert. Eine Zunahme der niedrigen, dornigen<br />
und früchtetragenden Sträucher entlang der Autobahnen<br />
in Basell<strong>and</strong> konnte beobachtet werden. <strong>Die</strong> Autobahnböschungen<br />
bieten damit vermehrt Lebensraum für Vogelarten<br />
wie den Neuntöter. 1997 wurden denn auch dreissig Prozent<br />
mehr Vogelnester gezählt als noch 1994. Als Erfolg hat sich<br />
auch die Umw<strong>and</strong>lung einer Hecke an der Böschung der A2<br />
134 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Naturraum<br />
bei Itingen in eine Magerwiese herausgestellt. Zwischen 50<br />
und 60 Pflanzenarten blühen inzwischen hier, wobei wichtige<br />
Magerwiesenpflanzen wie die Aufrechte Trespe oder der<br />
Wiesensalbei gut vertreten sind. Allerdings liess der Erfolg<br />
lange auf sich warten. Zwölf Jahre sind seit der Rodung<br />
vergangen.<br />
Dem guten Beispiel der naturnahen Bewirtschaftung der<br />
Autobahnböschungen in Basell<strong>and</strong> folgten nun auch <strong>and</strong>ere<br />
Kantone. Es bleibt nun zu hoffen, dass auch die SBB sich<br />
diesem Thema annehmen und sie die wertvollen Lebensräume,<br />
die sich in den letzten Jahrzehnten entlang der Eisenbahnböschungen<br />
entwickelt haben, zukünftig ökologisch<br />
bewirtschaften werden. <strong>Die</strong> im Bereich der <strong>Fallstudie</strong> erarbeiteten<br />
Massnahmen können hierfür als Grundlage verwendet<br />
werden.<br />
Literatur<br />
Balmer, M. (2000). Akzeptanz eines Ökostromaufschlages. Unveröffentlichte<br />
Semesterarbeit, <strong>ETH</strong>Z, Zürich.<br />
Bastian, O. & Schreiber, K.-F. (Hrsg.). (1999). Analyse und ökologische<br />
Bewertung der L<strong>and</strong>schaft (2. Aufl.). Heidelberg, Berlin:<br />
Spektrum Akademischer Verlag.<br />
Bundesamt für L<strong>and</strong>wirtschaft (BLW) (1999). Wegleitung für den<br />
ökologischen Ausgleich auf dem L<strong>and</strong>wirtschaftsbetrieb. Bern:<br />
BLW.<br />
Bundesamt für Statistik (BfS) (1998). Arealstatistik Schweiz. <strong>Die</strong><br />
Bodennutzung in den Kantonen Zürich, Zug, Schaffhausen, Thurgau.<br />
Gemeindeergebnisse 1979/85 und 1992/97. Neuchâtel: BfS.<br />
Bundesamt für Umwelt, Wald und L<strong>and</strong>schaft (BUWAL) (1998a).<br />
L<strong>and</strong>schaftskonzept Schweiz. Bern: BUWAL.<br />
Bundesamt für Umwelt, Wald und L<strong>and</strong>schaft (BUWAL) (1998b).<br />
Nationaler Bericht der Schweiz zum Übereinkommen über die<br />
biologische Vielfalt. Bern: BUWAL.<br />
Deutsche Bahn AG & WWF (Hrsg.). (1999). Mobilitätsbilanz für<br />
Personen und Güter. Deutsche Bahn AG, Zentralbereich Umwelt,<br />
Schicklerstr. 5-7, 10179 Berlin.<br />
Ellenberg, H. (1956). Aufgaben und Methoden der Vegetationskunde.<br />
Stuttgart: Ulmer Verlag.<br />
Holzner, W. (1989). <strong>Die</strong> Bedeutung der strassenbegleitenden Flächen<br />
für den Naturschutz – naturnahe Gestaltung und Management.<br />
Wien: Bundesministerium für wirtschaftliche Angelegenheiten<br />
Strassenforschung.<br />
Jäger, J. A. G. (2000). L<strong>and</strong>scape division, splitting index, <strong>and</strong><br />
effective mesh size: new measures of l<strong>and</strong>scape fragmentation.<br />
L<strong>and</strong>scape Ecology, 15 (2), 115-130.<br />
Kanton Aargau (2000). Checkliste zur Beurteilung von L<strong>and</strong>schaftsveränderungen.<br />
Arbeitshilfe zur Bewertung der L<strong>and</strong>schaft<br />
und von Veränderungsvorhaben. (Grundlagen und Berichte zum<br />
Naturschutz, 18). Aarau: Baudepartement Aargau, Sektion Natur<br />
und L<strong>and</strong>schaft.<br />
Klein, A. (1982). Vergleich der Vegetation an Eisenbahn- und<br />
Nationalstrassenböschungen im Kanton Basell<strong>and</strong>. Zürich: <strong>ETH</strong>Z.<br />
Krüsi, B., Bisculm, A. & Schütz, M. (1994). Infoblatt WSL.<br />
Birmensdorf: Institut für Wald, Schnee und L<strong>and</strong>schaft (WSL).<br />
Mader, H.-J. (1981). Der Konflikt Strasse – Tierwelt aus ökologischer<br />
Sicht. In Bundesforschungsanstalt für Naturschutz und<br />
L<strong>and</strong>schaftsökologie (Hrsg.), (Schriftenreihe für L<strong>and</strong>schaftspflege<br />
und Naturschutz, 22).<br />
Merker, M. (1995). Rothirsche in der Schweiz. Baden: Baden-Verlag.<br />
Neue Zürcher Zeitung (NZZ) (2000, 13.07.). Autobahnböschungen<br />
als Naturparadies. NZZ, S. 14.<br />
Odzuck, W. (1982). Umweltbelastungen. Stuttgart: UTB Verlag<br />
Ulmer.<br />
Rodewald, R. (1999). Gutachten über die L<strong>and</strong>schaftsverträglichkeit<br />
einer geplanten Schweinescheune in der L<strong>and</strong>wirtschaftszone<br />
unterhalb des Burghügels von Altbüron, Kanton Luzern. Bern:<br />
Schweizerische Stiftung für L<strong>and</strong>schaftsschutz und L<strong>and</strong>schaftspflege.<br />
Rohner, J. & Stuber, A. (1996). Aktualisierung der Begriffe im<br />
Bereich des Natur- und L<strong>and</strong>schaftschutzes und der L<strong>and</strong>schaftspflege<br />
in der Schweiz. Bern: BUWAL.<br />
Schweizerische Bundesbahnen (SBB) (1997). Unterhaltskosten.<br />
Bern: SBB.<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 135
Naturraum<br />
Schmidt, W. (1988). Flora und Vegetation an Strassen und Autobahnen<br />
der Bundesrebublik Deutschl<strong>and</strong>, (529). Göttingen: Systematisch-Geobotanisches<br />
Institut der Universität Göttingen, Forschung<br />
Strassenbau und Strassenverkehrstechnik.<br />
Schweizerische Gesellschaft für Wildtierbiologie (1995). Wildtiere,<br />
Strassenbau und Verkehr. Chur: Schweizerische Gesellschaft<br />
für Wildtierbiologie.<br />
Schweizerische Gesellschaft für Wildtierbiologie (1999). Wildtierkorridore<br />
Schweiz – Räumlich eingeschränkte, überregional<br />
wichtige Verbindungen für terrestrische Wildtiere im Ökologischen<br />
Vernetzungssystem der Schweiz. Sempach: Schweizerische<br />
Vogelwarte Sempach.<br />
Schweizer Lexikon: in sechs Bänden (1993). Luzern: Schweizer<br />
Lexikon Mengis und Ziehr.<br />
UNEP (United Nations Environment Programme) (1992). Convention<br />
on Biological Diversity. Nairobi, Kenya: UNEP.<br />
Wagenknecht, E. (1981). Rothirsch. Berlin: UEB Deutscher L<strong>and</strong>wirtschaftsverlag.<br />
136 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Akteure im regionalen<br />
Transportgewerbe<br />
Autoren:<br />
Dirk Ressel<br />
Michael Guggisberg<br />
Andreas Hofer<br />
Aufbauend auf den<br />
Ergebnissen der Arbeitsgruppe<br />
Akteure:<br />
Michael Berney<br />
Jorge Canales<br />
Michael Guggisberg<br />
Chris Hürlimann<br />
Christoph von Känel<br />
Christian Kohler<br />
Samuel Luzi<br />
Ronny Ott<br />
Dirk Ressel<br />
Stefan Rüegg<br />
Mark Schneider<br />
Christian Schweizer<br />
Miriam Wanner<br />
Andreas Hofer (Tutor)<br />
Christoph Schreyer (Tutor)<br />
Markus Siegenthaler (Tutor)<br />
Marc Birchmeier (Tutor)<br />
Inhalt<br />
1. Einleitung 139<br />
2. Ökobilanz von Transportketten 140<br />
3. Akteursgruppen 144<br />
4. Das Güterforum Region Zug 148<br />
5. Ausblick 151
Akteure<br />
Zusammenfassung<br />
<strong>Die</strong> Lage im Transportbereich ist gespannt,<br />
ein W<strong>and</strong>el der Strukturen<br />
setzt die Transporteure unter Druck.<br />
Wie alle Veränderungen bietet dieser<br />
W<strong>and</strong>el die Möglichkeit, Neuerungen<br />
zu diskutieren:<br />
Können durch eine Verbesserung<br />
der Kommunikation im Güterverkehrswesen<br />
ökologischere Transportketten<br />
realisiert und die Sensibilität<br />
für ökologische Anliegen bei den Entscheidungsträgern<br />
im Transportgewerbe<br />
gestärkt werden?<br />
Für die Erarbeitung des notwendigen<br />
Systemwissens kamen natur- und<br />
sozialwissenschaftliche Methoden<br />
zum Einsatz:<br />
– Ermittlung der ökologischen Relevanz<br />
ausgewählter Transportketten,<br />
– Ausloten der Positionen und H<strong>and</strong>lungsspielräume<br />
der Akteure,<br />
– Diskussion von Ansatzpunkten für<br />
eine optimale Ausnutzung der ökologischen<br />
Potentiale durch alle Akteure.<br />
<strong>Die</strong> Interviews und Diskussionen<br />
im Rahmen eines Güterforums zeigten<br />
ein differenziertes Bild des Güterverkehrs<br />
und H<strong>and</strong>lungsansätze hin<br />
zu einem ökologischeren Transportwesen:<br />
Transportieren ist Vertrauenssache;<br />
die SBB Cargo muss sich als<br />
Gesamtlogistikanbieterin etablieren,<br />
im Transportgewerbe gilt: ökologisch<br />
sinnvoll = ökonomisch sinnvoll; die<br />
Veränderungen im Transportgewerbe<br />
machen eine verstärkte Zusammenarbeit<br />
nötig.<br />
Vertrauen, persönliche Kontakte<br />
und Zusammenarbeit sind zentrale<br />
Punkte im Transportgewerbe. Das<br />
Güterforum erwies sich als Schritt zur<br />
Intensivierung der bei diesen Punkten<br />
zugrunde liegenden Kommunikation.<br />
Keywords: Transporteure, Verlader,<br />
Logistik, Ökobilanz, Transportketten,<br />
Akteursnetz, Güterforum.<br />
Résumé<br />
La situation dans le secteur des transports<br />
est tendue, la transformation des<br />
structures met les transporteurs sous<br />
pression. Comme tout changement,<br />
cette transformation offre la possibilité<br />
d’examiner les innovations:<br />
En améliorant la communication<br />
dans les transports de march<strong>and</strong>ises,<br />
peut-on réaliser des chaînes de transport<br />
plus écologiques et renforcer la<br />
sensibilité des décideurs dans les<br />
Transports pour les questions d’ordre<br />
écologique?<br />
Pour l’élaboration des connaissances<br />
nécessaires du système, des méthodes<br />
des sciences physiques et naturelles<br />
ainsi que des sciences sociales<br />
ont été appliquées:<br />
– détermination de l’importance écologique<br />
des chaînes de transport<br />
sélectionnées,<br />
– sondage des positions et des marges<br />
de manœuvre des acteurs,<br />
– discussion des points de départ<br />
pour une utilisation optimale des<br />
potentiels écologiques par tous les<br />
acteurs.<br />
Les interviews et des discussions à<br />
un forum march<strong>and</strong>ises ont donné une<br />
image différenciée du transport march<strong>and</strong>ises<br />
et des approches d’action<br />
vers un secteur des transports plus<br />
écologiques: le transport est une affaire<br />
de confiance; les CFF Cargo doivent<br />
s’établir comme un fournisseur<br />
de logistique global; dans les Transports<br />
est écologiquement judicieux =<br />
économiquement judicieux; les changements<br />
dans les Transports exigent<br />
une collaboration plus étroite.<br />
La confiance, les contacts personnels<br />
et la collaboration sont trois<br />
points centraux des Transports. Le forum<br />
march<strong>and</strong>ises a signifié un pas en<br />
avant vers l’intensification de la communication<br />
qui constitue la base de ces<br />
trois points.<br />
Mots-clés: transporteurs, chargeurs,<br />
logistique, analyse de cycle de vie,<br />
chaînes de transport, réseau d’acteurs,<br />
forum march<strong>and</strong>ises.<br />
Summary<br />
The situation within the transport industry<br />
is strained, a change of structures<br />
is putting pressure on the transport<br />
companies. Like all changes, this one<br />
also offers the opportunity to discuss<br />
renewal:<br />
Could improved communication<br />
within the freight transport industry<br />
help realize environmentally sounder<br />
chains of transport <strong>and</strong> help increase<br />
the sensitivity towards environmental<br />
dem<strong>and</strong>s among decision-makers in<br />
the transport industry?<br />
In order to establish the required<br />
systemic knowledge, methods of the<br />
natural <strong>and</strong> of the social sciences were<br />
implemented:<br />
– Determination of the environmental<br />
relevance of selected chains of<br />
transport.<br />
– Plumbing the positions <strong>and</strong> scopes<br />
of action of the protagonists.<br />
– Discussion of grounds for an optimal<br />
use of environmental potentials<br />
of all protagonists.<br />
The interviews <strong>and</strong> discussions<br />
within a freight forum display a differentiated<br />
view of the freight transport<br />
<strong>and</strong> approaches of action toward<br />
a more environmental transport industry:<br />
to transport is a matter of confidence<br />
<strong>and</strong> trust; the SBB Cargo has<br />
established itself as a total provider of<br />
logistics; the equation: environmentally<br />
sensible = economically sensible<br />
can be applied to the transport industry;<br />
<strong>and</strong> changes within the transport<br />
industry call for increased co-operation<br />
Confidence, personal contacts <strong>and</strong><br />
co-operation are crucial items within<br />
the transport industry. The freight forum<br />
has proven to be a step towards<br />
intensification of the communication<br />
regarding these items.<br />
Keywords: transport companies,<br />
shipping companies, logistics, environmental<br />
assessment, chains of transport,<br />
protagonists’ network, freight<br />
forum.<br />
138 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Akteure<br />
1 Einleitung<br />
Nicht nur im NFP 41-Bericht über das Verladerverhalten<br />
(Kaspar, Laesser & Meister, 2000) wird dem Gütertransport<br />
auf der Strasse und auf der Schiene eine hohe wirtschaftliche,<br />
ökologische und somit gesellschaftliche Relevanz zugesprochen.<br />
<strong>Die</strong> Bedeutung des Gütertransports wird im<br />
Alltag klar, z.B. wenn der Warentransport über längere Zeit<br />
nicht wie gewohnt verläuft (Streik der Camionneure, Stau,<br />
etc.) und Versorgungsengpässe entstehen können. <strong>Die</strong> Lage<br />
im Transportbereich selber ist gespannt; marktwirtschaftliche<br />
Zwänge setzen die Transporteure unter Druck und führen<br />
zu einem starken W<strong>and</strong>el der Struktur. Wie Veränderungen<br />
im Allgemeinen bietet auch dieser W<strong>and</strong>el grundsätzlich<br />
die Möglichkeit, Neuigkeiten zu diskutieren und auszuprobieren.<br />
Aus einer umweltnaturwissenschaftlichen Sichtweise<br />
heraus könnte beispielsweise diskutiert werden, ob durch<br />
die Bereitstellung von besseren Strukturen und Verh<strong>and</strong>lungsprozessen<br />
die postulierten ökologischen Potentiale in<br />
der Transportkettenführung besser ausgenutzt werden könnten.<br />
<strong>Die</strong> Gestaltung des Gütertransports ist eng mit der wirtschaftlichen<br />
Situation der produzierenden Unternehmen<br />
verbunden. <strong>Die</strong>se sehen sich einer immer grösseren und<br />
zunehmend auch internationalen Konkurrenz gegenüber;<br />
eine der zahlreichen Folgen der Liberalisierung der Märkte<br />
und der Globalisierung. Der gestiegene Konkurrenz- und<br />
der daraus resultierende Preisdruck beeinflussen wiederum<br />
die Produktionsweise. So löste in vielen Betrieben die Lean-<br />
Production die Massenanfertigung ab, um besser und<br />
schneller auf wechselnde Kundenbedürfnisse reagieren zu<br />
können. <strong>Die</strong> Kernidee von Lean-Production ist die flexible<br />
Herstellung von Varianten desselben Produkts. Dabei wird<br />
u.a. auf flache Hierarchien, absatzorientierte Produktion,<br />
Beschränkung auf wenige Lieferanten vorgefertigter Module<br />
sowie externe Lager gesetzt.<br />
Im Folgenden wird auf die drei Aspekte dieses Anpassungsprozesses<br />
näher eingegangen, welche unmittelbare<br />
Auswirkungen auf das Transportwesen im Allgemeinen und<br />
die Logistikbedürfnisse im Speziellen haben:<br />
– <strong>Die</strong> starke Kundenorientierung führt bei den Produzenten<br />
zu einer immer breiter werdenden Angebotspalette.<br />
<strong>Die</strong>s bedingt flexible Produktionsprozesse, erschwert<br />
aber längerfristige Planung.<br />
– Das Just-in-time Management von Zeit, Material und<br />
Personal hat häufigere Fahrten mit geringerem Transportgewicht<br />
zur Folge. Ziel dieser Massnahme ist die<br />
Vermeidung von Lagerbeständen. <strong>Die</strong> Reduktion der<br />
Lagerkapazitäten macht das Einhalten von Lieferfristen<br />
für einen reibungslosen Ablauf der Produktionsprozesse<br />
äusserst wichtig. Allfällige Engpässe in der Verkehrsinfrastruktur<br />
behindern diesen Prozess und müssen deshalb<br />
mit geeigneten Massnahmen umgangen werden.<br />
– Das Re-Engineering der Produktionsprozesse von der<br />
Forschung und Entwicklung bis zur Auslieferung des<br />
Produktes löst die alten betrieblichen Abläufe auf und<br />
macht den einzelnen Betrieb zu einem Teil eines übergeordneten<br />
Produktionsprozesses. <strong>Die</strong> materialflussorientierte<br />
Betrachtungsweise führt dazu, dass die Logistik,<br />
früher eine relativ autonome Abteilung innerhalb eines<br />
Unternehmens, zunehmend in die betrieblichen Abläufe<br />
eingebettet wird und allgemein an Bedeutung zunimmt.<br />
<strong>Die</strong> «Atomisierung» der Verladeranforderungen erfordert<br />
von den Transporteuren Anstrengungen im operativen Bereich,<br />
wollen sie die Transportkosten trotz der gestiegenen<br />
Ansprüche gering halten. <strong>Die</strong>ser hohe Druck zwingt die<br />
Transporteure, sich nach kurzfristigen Geschäften zu richten.<br />
Eine solche Geschäftspraxis ist grundsätzlichen Überlegungen<br />
über längerfristige Entwicklungskonzepte im Transportwesen<br />
wenig förderlich. Denn gerade die zunehmende<br />
Komplexität der Transportprozesse würde neue Formen der<br />
Zusammenarbeit zwischen allen am Transport beteiligten<br />
und interessierten Akteursgruppen bedingen.<br />
Basierend auf der Feststellung, dass bei sich im W<strong>and</strong>el<br />
befindenden Systemen durch die Bereitstellung von neuen,<br />
geeigneten Strukturen und Prozessen bestehende Potentiale<br />
erschlossen werden können und dass für das reibungslose<br />
Funktionieren des Transportwesens Zusammenarbeit wichtig<br />
ist, entschied die Synthesegruppe «Akteure», sich innerhalb<br />
der <strong>Fallstudie</strong> «Zukunft Schiene Schweiz» mit den<br />
Kommunikationsstrukturen zwischen den beteiligten Akteuren<br />
im Güterverkehrswesen der Region Zugersee zu befassen.<br />
Im Einklang mit den Zielen der <strong>Fallstudie</strong> sollte<br />
untersucht werden, ob durch eine Verbesserung der Kommunikation<br />
ökologisch effizientere Transportketten erarbeitet<br />
werden können. <strong>Die</strong> Analyse der Ausgangssituation<br />
stützte sich in einer ersten Phase u.a. auf zwei Berichte aus<br />
dem Nationalen Forschungsprogramm 41 (NFP 41), welche<br />
das Verladerverhalten und die Unternehmensstrategien<br />
im Güterverkehr am Beispiel der Region Zug thematisieren<br />
(Kaspar et al., 2000 und Thierstein, Schnell & Schwegler,<br />
1999). Aufbauend auf Ergebnissen dieser beiden Untersuchungen<br />
bearbeiteten Teilgruppen unterschiedliche Aspekte<br />
dieses komplexen Themas mit naturwissenschaftlichen und<br />
sozialwissenschaftlichen Methoden:<br />
– Abschätzung der ökologischen Relevanz der einzelnen<br />
Transportketten mittels einer Ökobilanz (Methode mit<br />
Umweltbelastungspunkten),<br />
– Definition der Positionen und H<strong>and</strong>lungsspielräume der<br />
unterschiedlichen Akteursgruppen basierend auf Interviews,<br />
– Diskussion der Resultate und Diskussion von Möglichkeiten<br />
für ökologisch effizientere Transportkettenführungen<br />
mit ausgewählten Akteuren an einem Forum (im<br />
Folgenden als Güterforum bezeichnet).<br />
<strong>Die</strong> Informationsbeschaffung hat sich in <strong>Fallstudie</strong>n<br />
schon oft als problematisch erwiesen. <strong>Die</strong> Aussicht, bei den<br />
eigenen Recherchen auf fundierte Analysen und eine bereits<br />
gut dokumentierte Region zurückgreifen zu können, sprach<br />
für die Region Zugersee als Fallbeispiel, obwohl es dort<br />
kaum nennenswerten Bahngüterverkehr gibt. <strong>Die</strong> Region<br />
als wichtiger Produktionsst<strong>and</strong>ort stellt einen interessanten<br />
Modellfall dar, weil hier die oben beschriebenen Trends,<br />
welche auch auf nationaler und internationaler Ebene immer<br />
wichtiger werden, schon weit fortgeschritten sind. Für die<br />
gewählte Region bezeichnend ist eine gut ausgebaute Infra-<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 139
Akteure<br />
struktur, ein hohes Wirtschaftswachstum v.a. im <strong>Die</strong>nstleistungssektor<br />
sowie überregionale H<strong>and</strong>elsbeziehungen. In<br />
diesem wirtschaftlichen Umfeld hat die Bahn als traditionell<br />
auf grosse Tonnagen ausgerichtetes Transportsystem einen<br />
schweren St<strong>and</strong>. Ihr Anteil am Güterverkehrsaufkommen<br />
liegt in der Region Zugersee unter dem gesamtschweizerischen<br />
Durchschnitt und sank zwischen 1986-1996 um 8%<br />
(Thierstein et al., 1999).<br />
In den folgenden Abschnitten wird zuerst auf die mit Hilfe<br />
der Ökobilanz-Methode untersuchten Transportketten eingegangen.<br />
Der anschliessende Abschnitt beschreibt die verschiedenen<br />
Akteursgruppen in ihrem System und zeigt dabei<br />
ihre jeweiligen Positionen und Rahmenbedingungen<br />
auf. Im Abschnitt 4 werden die erarbeiteten Thesen zum<br />
Thema «optimierte Transportkettenführung» mit Erläuterungen<br />
dargelegt. In jedem Teil wird auf die zur Datengewinnung<br />
eingesetzten Methoden vertieft eingegangen.<br />
2 Ökobilanz von Transportketten<br />
<strong>Die</strong> Bewertungen der Emissionen der verschiedenen Transportketten<br />
auf Schiene und Strasse mit Hilfe der Ökobilanz<br />
dienten als Diskussionsthema für das Güterforum. <strong>Die</strong> Berechnungen<br />
stützen sich zumeist auf bekannte Daten und<br />
Studien aus der Literatur. Für unsere Zwecke genügte es, mit<br />
einem groben Ansatz Argumente ökologischer Natur für die<br />
Optimierung der Transportketten zu finden.<br />
Eine weitergehende und breiter abgestützte Bilanz wird<br />
im Kap. <strong>Die</strong> Ökoeffizienz von Transportketten erarbeitet.<br />
<strong>Die</strong> folgenden Aussagen werden durch die dort erhaltenen<br />
Resultate unterstützt.<br />
Eine moderne Transportkette im Güterverkehr ist ein<br />
komplexes Gebilde. Es geht darum, ein Gut über verschiedene<br />
Stationen von einem Sender (Verlader) zu einem Empfänger<br />
(Kunde) zu transportieren. <strong>Die</strong>ser Weg enthält Schritte<br />
wie Anlieferung, Umschlag, Rangieren, Fern- und Nahtransport<br />
und Verteilung. Beim Transport wirken oft verschiedene<br />
Personen und Unternehmen mit (Verlader, Logistikunternehmen,<br />
Transporteure auf Schiene und Strasse,<br />
Güterabnehmer usw.). Unterschiedliche Transportmittel<br />
werden über verschiedene Wege kombiniert eingesetzt (siehe<br />
Abb. 2.1). Damit das Gut den Empfänger sicher und<br />
reibungslos erreicht, ist logistische Feinarbeit und somit ein<br />
gut funktionierender Informationsfluss notwendig.<br />
Abb. 2.1: Komponenten<br />
einer Transportkette.<br />
140 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Akteure<br />
2.1 Der ökologische Vergleich von<br />
Strasse und Schiene im Güterverkehr<br />
Mit der Umweltbelastungspunkte-Methode (UBP-Methode,<br />
Beschreibung s. Kasten 2.1.1) wurden die Emissionen<br />
von acht Beispielstrecken vergleichend bewertet, wobei für<br />
die Auswahl deren Relevanz für die Unternehmungen in der<br />
Region Zug das Hauptkriterium darstellte: Von Zug nach<br />
Mendrisio (CH), Genf (CH), Winterthur (CH), Vals (CH),<br />
Scafati (I), Stockholm (S), Rotterdam (NL) und Genua (I).<br />
Der zeitliche Aufw<strong>and</strong> des Vergleichs definierte die Systemgrenze<br />
weitgehend, die Anzahl der für die Bewertung<br />
berücksichtigten Prozesse blieb beschränkt. Bei der vorliegenden<br />
Erhebung h<strong>and</strong>elt es sich um eine Momentaufnahme.<br />
Dabei wird vorausgesetzt, dass sowohl die für einen<br />
Transportvorgang benötigte Infrastruktur, als auch genügend<br />
grosse Kapazitäten bereits vorh<strong>and</strong>en sind. Eine weitere<br />
Fahrt zieht deshalb keine weiteren Emissionen aufgrund<br />
des Baus neuer Infrastrukturen nach sich, weshalb diese<br />
Prozesse für die Berechnungen nicht relevant sind. Darüber<br />
hinaus verunmöglicht die gemeinsame Benutzung der Infrastruktur<br />
durch Personen- und Güterverkehr eine exakte Zuordnung<br />
der aus dem Bau entstehenden Emissionen (Maibach<br />
et al., 1995, S. 110). Emissionen aus Bau und Unterhalt<br />
der Infrastruktur sowie der Herstellung bzw. Entsorgung der<br />
Fahrzeuge befinden sich deshalb ausserhalb der Systemgrenze.<br />
Für eine grobe Bewertung des Transports eines bestimmten<br />
Guts sind also primär die direkten Emissionen aus Betrieb<br />
und Unterhalt des Fahrzeuges sowie der «Precombustion»<br />
(Bereitstellung des Fahrstromes für die Bahn bzw. des<br />
Treibstoffes für die Lastwagen) zu berücksichtigen.<br />
Der Vollständigkeit halber muss hier darauf hingewiesen<br />
werden, dass die getroffene Wahl der Systemgrenze das<br />
System Schiene bezüglich der Emissionen begünstigt, da<br />
der Belastungsanteil aus der Infrastruktur an der gesamten<br />
Transportleistung bei der Schiene höher ist als bei der Strasse.<br />
<strong>Die</strong> Berücksichtigung dieses Prozesses würde demzufolge<br />
zu einem vergleichsweise höheren Belastungsanstieg<br />
beim System Schiene führen.<br />
Als Datengrundlage für die Emissionen, die bei Transportvorgängen<br />
entstehen, diente für die Schiene das «Ökoinventar<br />
Transporte» (Maibach et al., 1995) und für die<br />
Strasse das Softwareprogramm «H<strong>and</strong>buch Emissionsfaktoren<br />
des Strassenverkehrs» (Bundesamt für Umwelt, Wald<br />
und L<strong>and</strong>schaft [BUWAL], 1999). Da das Programm jedoch<br />
nicht alle erforderlichen Emissionsfaktoren enthält und<br />
nicht alle Prozesse berücksichtigt, wurden die zusätzlich<br />
benötigten Daten (Unterhalt des Transportmittels und Bereitstellung<br />
des Treibstoffes) aus dem Datensatz «Ökoinventar<br />
Transporte» herangezogen.<br />
Der Leerfahrtenanteil im Transportwesen wurde mit der<br />
Einführung eines Auslastungskoeffizienten berücksichtigt.<br />
Für die Schiene wird der Faktor 0.4 und für die Strasse 0.5<br />
verwendet.<br />
Der von der SBB Cargo für Transporte innerhalb der<br />
Schweiz benutzte Strommix wird grösstenteils durch Wasserkraft<br />
produziert. Der im europäischen Raum verwendete<br />
UCPTE-Mix (Union pour la coordination de la production<br />
et du transport de l’électricité) hingegen besteht zum grossen<br />
Teil aus fossiler (43%) und nuklearer Energie, wodurch<br />
dieser in der Ökobilanz gegenüber dem CH-Strommix<br />
schlechter abschneidet.<br />
Gegenwärtige Situation<br />
Für die Berechnung der Emissionen wurden für alle Strecken<br />
die Daten eines Lastwagens mit 28 t Gesamtgewicht<br />
Ökobilanz und Umweltbelastungspunkte-Methode<br />
Kasten 2.1.1: Ökobilanz und UBP-Methode.<br />
Ökobilanzen sind ein Instrument, mit dem die Umweltbelastungen<br />
eines Produkts erfasst und aggregiert bewertet<br />
werden können. Dabei wird der gesamte Lebensweg betrachtet;<br />
von der Rohstoffgewinnung über die Herstellung<br />
bis zur Entsorgung. Um zu validen Daten zu gelangen, ist<br />
es unerlässlich, die Systemgrenzen des Untersuchungsgegenst<strong>and</strong>es<br />
(berücksichtigte Prozesse) sowie die R<strong>and</strong>bedingungen<br />
(z.B. Strom-Mix-Wahl, Auslastung, Lastwagenmodell)<br />
festzulegen. Nun sind aber die auftretenden<br />
Umweltbelastungen oft verschiedener Natur und somit<br />
nicht direkt vergleichbar. Um dennoch einen Vergleich zu<br />
ermöglichen, müssen die Umweltbelastungen normiert<br />
werden (entspricht dem Öko-Faktor einer Umweltbelastung).<br />
Grundlage für diese Normierung können z.B. die<br />
gesetzlich festgelegten Grenzwerte eines L<strong>and</strong>es für<br />
Schadstoffe sein. Für jede einzelne Umweltbelastung müssen<br />
in der Folge die Umweltbelastungspunkte (UBP) durch<br />
Multiplikation der Belastungen mit dem Öko-Faktor ermittelt<br />
werden. Das Ergebnis besteht aus in UBP ausgedrückten<br />
Umweltbelastungen. Je grösser dieser Zahlenwert ist,<br />
umso grösser ist auch die Umweltbelastung.<br />
<strong>Die</strong> Umweltbelastungspunkte-Methode bietet sowohl<br />
Vor- wie auch Nachteile. <strong>Die</strong> wichtigsten sind nachfolgend<br />
aufgelistet.<br />
Vorteile:<br />
– <strong>Die</strong> UBP-Methode eignet sich für Werte und Belastungen,<br />
welche gut messbar und klar definierbar sind (z.B.<br />
Cadmiumbelastung im Boden).<br />
– <strong>Die</strong> Methode ist einfach anwendbar und ermöglicht eine<br />
schnelle Abschätzung der Umweltauswirkung.<br />
Nachteile:<br />
– Gewisse umweltschädliche Einflüsse, deren Wirkung<br />
auf die Umwelt und den Menschen bisher nicht klar<br />
definiert wurden (wie z.B. Lärm), sind in der UBP-Methode<br />
nicht enthalten.<br />
– Dadurch, dass sich die Grundlage der UBP mit der Zeit<br />
ändert (Gesetzgebung, Grenzwerte), sind Langzeitvergleiche<br />
von Ökobilanzen nur mit Vorbehalten möglich.<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 141
Akteure<br />
angenommen. Enthielten Transportketten Schienenstrecken<br />
im Ausl<strong>and</strong>, so wurde dieser Teil mit den Emissionsdaten<br />
des UCPTE-Mixes berechnet.<br />
Unter diesen Prämissen ist der Gütertransport auf der<br />
Schiene unabhängig von Distanz (nationale und internationale<br />
Strecken) und verwendetem Transportgefäss (Kombioder<br />
Einzelwagenladungsverkehr) deutlich – gemäss Tabelle<br />
wären es drei bis vier mal – ökologischer als derjenige auf<br />
der Strasse (vgl. Kasten 2.1.2).<br />
B<strong>and</strong>breite der heute abschätzbaren Entwicklungen<br />
Der umfassende W<strong>and</strong>el im Transportgewerbe und die sich<br />
verändernden politischen Rahmenbedingungen erschweren<br />
genaue Voraussagen über kommende Entwicklungen im<br />
Güterverkehr.<br />
Deshalb gingen wir im Sinne eines Extremszenarios davon<br />
aus, dass in den nächsten zehn Jahren die geplante<br />
Verschärfung der Abgasnormen europaweit zügig umgesetzt<br />
wird (EURO 3, 4 und 5). Ältere Fahrzeuge scheiden<br />
nach und nach aus (durchschnittliche Lebensdauer eines<br />
LKW: 10 Jahre). Zudem werden in der Schweiz Lastwagen<br />
mit 40 t statt 28 t Gesamtgewicht eingesetzt, was zu einer<br />
weiteren Reduktion des Schadstoffausstosses pro transportierte<br />
Tonne führt. Bei der Bahn hingegen werden keine<br />
substantiellen Ökoeffizienz-Steigerungen erwartet. Es wird<br />
im Gegenteil damit gerechnet, dass der UCPTE-Mix auch<br />
auf Schweizer Strecken eingesetzt wird.<br />
<strong>Die</strong>se Annahmen bedeuten bezüglich der ökologischen<br />
Transportführung für die Strasse ein «best case» Szenario<br />
und für die Bahn ein «worst case» Szenario. <strong>Die</strong> Resultate<br />
zeigen im Vergleich zur gegenwärtigen Situation eine Reduktion<br />
der Umweltbelastung pro Nettotonne transportierter<br />
Ware auf der Strasse um etwa die Hälfte und eine<br />
Zunahme derselben auf der Schiene um ebenfalls die Hälfte.<br />
<strong>Die</strong>se Entwicklung hat zur Folge, dass sich die Umweltbelastungen<br />
beider Transportmittel annähern und der Umweltvorteil<br />
der Bahn schrumpft.<br />
Aufgrund dieser Aussagen ergibt sich für die SBB Cargo<br />
folgende Schlussfolgerung: <strong>Die</strong> Schiene muss ihrem ökologischen<br />
Vorsprung Sorge tragen. <strong>Die</strong> Art der Bereitstellung<br />
des Stroms ist dabei von zentraler Bedeutung für die ökologische<br />
Qualität des Schienentransports. Darüber hinaus<br />
können Innovationen logistischer sowie technologischer<br />
Art weitere Beiträge zur nachhaltigen Sicherung einer<br />
ökoeffizienten Bahn leisten.<br />
Ein Beispiel zur UBP-Methode<br />
Als Illustration der Bewertung der Systeme Schiene und Strasse soll die Strecke Zug-Scafati (1100 km) dienen. Es werden<br />
2 Szenarien mitein<strong>and</strong>er verglichen: Ein aktuelles Szenario mit 28 t Lastwagen der Kategorie Euro 2 und dem System<br />
Schiene, welches den SBB-Strom-Mix benutzt (Szenario 1) und ein «Best-case-worst-case»-Szenario (Szenario 2) mit<br />
verbesserten Emissionswerten für den LKW (Kategorie Euro 3, 4, 5 sowie 40 t Gesamtgewicht) und einen bezüglich<br />
Umweltauswirkungen schlechteren UCPTE-Strom-Mix für die Bahn. Beim UKV (unbegleiteter Kombiverkehr) sowie<br />
WLV (Wagenladungsverkehr) sind die Anteile des LKW-Transports am Gesamttransport berücksichtigt worden.<br />
Umweltauswirkungen von Szenario 1 in UBP:<br />
Transportmittel LKW (28 t, Euro 2) WLV (mit Gleisanschluss) WLV (ohne Gleisanschluss) UKV<br />
Energieträger <strong>Die</strong>sel SBB-Mix SBB-Mix SBB-Mix<br />
Bahn 50’150 50’134 43’700<br />
LKW 170’572 1’641 2’263<br />
Total UBP 170’572 50’150 51’775 45’963<br />
Umweltauswirkungen von Szenario 2 in UBP:<br />
Transportmittel LKW (40 t, Euro 3, 4, 5) WLV (mit Gleisanschluss) WLV (ohne Gleisanschluss) UKV<br />
Energieträger <strong>Die</strong>sel UCPTE-Mix UCPTE-Mix UCPTE-<br />
Mix<br />
Bahn 59’771 59’724 50’293<br />
LKW (UBP) 82’146 1’102 1’651<br />
Total UBP 82’146 59’771 60’826 51’944<br />
Kasten 2.1.2: Ein Beispiel zur UBP-Methode. Je höher die Punktzahl, desto grösser ist die Umweltbelastung.<br />
142 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Akteure<br />
Datenlage<br />
Für die Berechnung der Umweltbelastungspunkte eines<br />
Transports mit dem Schienen- bzw. Strassensystem wurde<br />
auf zwei verschiedene Datensets zurückgegriffen. Das<br />
«Ökoinventar Transporte» (Maibach et al., 1995) verfügt<br />
über umfassende Datensätze der Emissionsfaktoren für beide<br />
Systeme. Jedoch wurden eine Reihe von Annahmen und<br />
Vereinfachungen getroffen, welche die Auflösung der Daten<br />
stark verringert. Demgegenüber lässt die Verwendung der<br />
Software «H<strong>and</strong>buch Emissionsfaktoren des Strassenverkehrs»<br />
(BUWAL, 1999) eine genauere Analyse zu. Der<br />
Nachteil dieses Datensets liegt darin, dass es nur über eine<br />
beschränkte Anzahl von Emissionsfaktoren verfügt, die fehlenden<br />
Daten wurden daher dem «Ökoinventar Transporte»<br />
entnommen.<br />
Um die beiden Datensätze zu validieren und das Ausmass<br />
des Unterschieds zu bestimmen, wurden die Umweltauswirkungen<br />
des Prozesses «Betrieb» für das System Strasse mit<br />
beiden H<strong>and</strong>büchern bestimmt. Benutzt wurden jedoch nur<br />
diejenigen Emissionsfaktoren, welche in beiden Büchern<br />
enthalten waren.<br />
Auf den Strecken innerhalb der Schweiz liegt der BU-<br />
WAL-Datensatz um einen Faktor 2 bis 3 tiefer als die Daten<br />
von Maibach et al.. Der Grund dafür liegt in der vorgenommen<br />
Mittelung der pro Kilometer durchschnittlich zurückgelegten<br />
Höhendifferenz in der Schweiz bei Maibach et al.<br />
(die BUWAL-Daten lassen eine genaue Erfassung der Höhenmeter<br />
zu). Flache Strecken (e) werden demnach bei<br />
Maibach bzgl. gefahrener Höhendifferenz über-, ausgesprochene<br />
Bergstrecken (b, c) unterbewertet. <strong>Die</strong> internationalen<br />
Strecken weisen eine <strong>and</strong>ere Charakteristik auf. Bei den<br />
ausgewählten Langstrecken (f, h) wird ein beträchtlicher<br />
Anteil der Kilometer auf der Autobahn zurückgelegt. Auf<br />
Schnellstrassen ist der Treibstoffverbrauch aufgrund der<br />
höheren Geschwindigkeit grösser. Der Datensatz von Maibach<br />
et al. geht von einem Mix aus allen Strassenklassen der<br />
Schweiz aus, welcher aber in seiner Zusammensetzung nicht<br />
dem internationalen Langstrecken-Mix entspricht. Der BU-<br />
WAL-Datensatz trägt dieser Situation besser Rechnung.<br />
2.2 LSVA und Entwicklung der<br />
Verkehrsleistung auf Schiene und<br />
Strasse<br />
<strong>Die</strong> bevorstehende Einführung der LSVA (Leistungsabhängige<br />
Schwerverkehrsabgabe) wird den ökonomischen<br />
Druck auf einen optimalen Einsatz der Lastwagen erhöhen<br />
und den Restrukturierungsprozess in der Transportbranche<br />
beschleunigen (Sommer & Neuenschw<strong>and</strong>er, 1999). <strong>Die</strong><br />
Transportunternehmen versuchen u.a. mit einer höheren<br />
Auslastung bzw. der Vermeidung von Leerfahrten, durch<br />
einen umweltfreundlicheren Fahrzeugpark mit weniger Abgaben,<br />
sowie dem Ausschöpfen von organisatorischen Synergien<br />
dem Kostendruck entgegenzutreten. Der Fahrzeugpark<br />
wird besser auf die unterschiedlichen transportierten<br />
Güter (Gewicht oder Volumen) abgestimmt. <strong>Die</strong>ser Investitionsbedarf<br />
sprengt aller Voraussicht nach die finanziellen<br />
Mittel von kleineren und mittleren Betrieben mit weniger als<br />
80 Lastwagen (Haas, 2000). Für diese bietet sich als Ausweg<br />
entweder den Anschluss an ein grösseres Unternehmen oder<br />
die Spezialisierung auf Nischenangebote an.<br />
Vom ökologischen St<strong>and</strong>punkt her gesehen bedeutet diese<br />
Entwicklung eine Verbesserung, da durch eine höhere Auslastung<br />
und umweltfreundlichere Fahrzeuge die Emissionen<br />
pro Nettotonne Transportgut sinken. Durch den Kostendruck<br />
wird v.a. für längere Strecken eine Verlagerung auf die<br />
Schiene begünstigt. <strong>Die</strong>s reduziert den ökonomischen<br />
Druck auf den heute nur bedingt rentablen Kombiverkehr.<br />
Das Ausweichen auf kleinere Lieferwagen, um der<br />
LSVA-Abgabe zu entgehen, kann jedoch in Mehrverkehr<br />
resultieren. Darüber hinaus wird – unabhängig von den<br />
Auswirkungen der LSVA – in verschiedensten Szenarien<br />
von einem starken Wachstum der Verkehrsleistung ausgegangen,<br />
welches die von den Transporteuren schon heute<br />
spürbaren Kapazitätsengpässe auf den Strassen der Ballungsräumen<br />
noch weiter verschärfen wird (Sommer &<br />
Neuenschw<strong>and</strong>er, 1999).<br />
Tab. 2.1: Vergleich der Emissionen aus dem Strassentransport der Datensätze gemäss BUWAL (1999) und Maibach et al.<br />
(1995) für den Prozess «Betrieb».<br />
Von Zug nach:<br />
Streckenlänge<br />
in km<br />
Total UBP/Nettotonne<br />
(A: Daten nach BUWAL)<br />
Total UBP/Nettotonne<br />
(B: Daten nach Maibach et al.)<br />
a) Winterthur 50 1’722 5’265 3.1<br />
b) Vals 165 5’152 17’439 3.4<br />
c) Mendrisio 182 9’221 19’166 2.1<br />
d) Genf 290 15’017 30’540 2.0<br />
e) Genua 404 25’373 42’545 1.7<br />
f) Rotterdam 855 116’453 90’041 0.8<br />
g) Scafati 1’112 121’366 117’106 1.0<br />
h) Stockholm 2’100 346’268 221’154 0.6<br />
Faktor<br />
(B/A)<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 143
Akteure<br />
2.3 Résumé<br />
Als Diskussions-Stoff für das Güterforum konnten wir Folgendes<br />
festhalten: Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann auf<br />
der Schiene deutlich ökologischer transportiert werden als<br />
auf der Strasse. Der niedrige Bahnanteil am Güterverkehr in<br />
der Region Zugersee macht deutlich, dass hier noch nicht<br />
ausgeschöpfte Optimierungsmöglichkeiten bestehen. In Zukunft<br />
wird sich der ökologische Unterschied zwischen den<br />
beiden Verkehrssystemen verkleinern. <strong>Die</strong> Forderung der<br />
Öffentlichkeit nach einer stärkeren Berücksichtigung umweltrelevanter<br />
Kriterien im Transportwesen wird den Druck<br />
auf eine verbesserte Zusammenarbeit von Schiene und Strasse<br />
und somit die Erarbeitung von vernetzten, ökologisch<br />
optimierten Transportkettenführungen erhöhen. Dabei muss<br />
von Konzepten Abst<strong>and</strong> genommen werden, die eine Nur-<br />
Strasse oder Nur-Schiene Lösung vorsehen. <strong>Die</strong> Systembetrachtung<br />
zeigt, dass bei kleiner werdendem Unterschied der<br />
Emissionen die Forderung nach dem Einsatz beider Systeme<br />
aufgrund ihrer Stärken berechtigt ist: <strong>Die</strong> Schiene übernimmt<br />
den Transport von grösseren Mengen über grössere<br />
Distanzen, während die Feinverteilung auf der Strasse erfolgt.<br />
<strong>Die</strong>se Forderung wird durch die prognostizierte stärkere<br />
Auslastung und zeitweise Überlastung der Schienenbzw.<br />
Strassenkapazität durch zusätzliches Verkehrsleistungswachstum<br />
noch weiter unterstützt.<br />
3 Akteursgruppen<br />
3.1 Einleitung<br />
Eine eingehende Ausein<strong>and</strong>ersetzung mit dem System Güterverkehr<br />
setzt die Kenntnis der Positionen und Interessen<br />
der wichtigsten Akteursgruppen und deren Beziehungen<br />
unterein<strong>and</strong>er voraus. Wir untersuchten deshalb diese Beziehungen<br />
und stellten sie in einem Akteursnetz dar (Abb.<br />
3.1). Erst das Wissen um die Zusammenhänge machte es<br />
möglich, eigene Ideen zur umweltfreundlicheren Gestaltung<br />
von Transportketten zu entwickeln und zu diskutieren.<br />
Für die Bearbeitung dieses Teils konnte neben den Informationen<br />
aus den Interviews auf zusätzliches Systemwissen<br />
aus Workshops und Vorträgen zurückgegriffen werden, in<br />
denen externe Experten Wissen zu Themen wie Logistik und<br />
Entwicklungen in der Verkehrstechnik vermittelten.<br />
3.2 Akteursnetz<br />
Zum Akteursnetz im Güterverkehr der Region Zugersee<br />
gehören neun Akteursgruppen, wobei es v.a. die Strassen-<br />
Transportunternehmen, SBB Cargo, Verlader bzw. Unternehmen<br />
mit Transportbedürfnissen sowie der Kanton Zug<br />
sind, welche die Ausgestaltung des Systems definieren.<br />
<strong>Die</strong> H<strong>and</strong>lungen von einzelnen Akteuren in diesem System<br />
führen zu Reaktionen der <strong>and</strong>eren Akteursgruppen.<br />
Aufgrund der Analyse des Akteursnetzes konnten vier wichtige<br />
Typen von Interaktionen identifiziert werden, welche<br />
nachfolgend an Beispielen erläutert werden:<br />
– Verträge: Dazu gehört das bilaterale L<strong>and</strong>esverkehrsabkommen.<br />
– Der Bund kann für jeden einzelnen Akteur Rahmenbedingungen<br />
setzen. Dazu gehören LSVA, Alpenschutzar-<br />
Abb. 3.1: Akteursnetz.<br />
144 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Akteure<br />
tikel (Bundesbeschluss über den Bau der schweizerischen<br />
Eisenbahn-Alpentransversale, SR 742.104) und<br />
der Service Publique im Personen- bzw. Schienengüterverkehr.<br />
– Vergeben die verladenden Unternehmen Transportaufträge,<br />
so können sowohl Strassentransporteure wie auch<br />
SBB Cargo oder Privatbahnen die Nutzniesser sein. Im<br />
Kombi-Verkehr treten die Schienen- und Strassentransporteure<br />
dabei als Partner auf, welche einen Auftrag<br />
gemeinsam abwickeln.<br />
– Auf der <strong>and</strong>eren Seite bewerben sich sowohl die Schienen-<br />
wie auch die Strassenunternehmen als Konkurrenten<br />
um dieselben Aufträge. Im Gegensatz zu dieser Art<br />
von Konkurrenz besteht auch eine Konkurrenz um die<br />
Benutzungsrechte der Infrastruktur (beispielsweise zwischen<br />
SBB Cargo und SBB-Personenverkehr). Ähnlichen<br />
Konflikten sind die Camionneure auf der Strasse<br />
ausgesetzt. Sie stehen in Konkurrenz mit dem Personenindividualverkehr<br />
um das immer knapper werdende<br />
Gut «Strasse».<br />
3.3 Interessen und Positionen der<br />
Akteure<br />
Das zentrale Ergebnis, das aus den Interviews gewonnen<br />
werden konnte ist die Erkenntnis, dass es DEN Verlader<br />
nicht gibt, ebensowenig wie DEN Transportanbieter. Jeder<br />
einzelne der beteiligten Akteure zeichnet sich durch individuelle<br />
Bedürfnisse und Anforderungen bzw. Angebote aus.<br />
Es zeigte sich aber, dass die unterschiedlichen Akteursgruppen<br />
differenzierte Stellungen zu folgenden, für die Weiterarbeit<br />
relevanten Punkten einnehmen:<br />
– regionale Logistikkonzepte,<br />
– Ausgestaltung des kombinierten Ladungsverkehr-Systems<br />
(KLV-System),<br />
– gewünschte oder benötigte Rahmenbedingungen für eine<br />
optimierte Transportkettenführung.<br />
3.3.1 SBB Cargo<br />
<strong>Die</strong> Überführung des ehemals staatlichen Betriebes in einen<br />
privaten Betrieb, sowie die Aufteilung in SBB Personenverkehr,<br />
SBB Cargo und SBB Infrastruktur haben im Grossbetrieb<br />
SBB sowohl bei den Angestellten als auch bei der<br />
Kundschaft zu Verunsicherungen geführt. Bei einem solch<br />
tiefgreifenden W<strong>and</strong>el lässt sich nicht verhindern, dass zeitweise<br />
zwei verschiedene Unternehmensstrukturen und -kulturen<br />
nebenein<strong>and</strong>er bestehen. <strong>Die</strong>se Tatsache erschwert der<br />
SBB Cargo ein einheitliches Auftreten gegenüber der Kundschaft.<br />
In diesem Umfeld kommen den Ergebnissen einer bei<br />
Kunden der SBB Cargo durchgeführten Umfrage grosse<br />
Bedeutung zu (IHA-GfM, 1999):<br />
– Image: 21% aller Teilnehmer bezeichneten SBB Cargo<br />
als zuverlässigen Partner. Des weiteren wurde die SBB<br />
Cargo mit Begriffen wie Monopolist, umweltfreundlicher<br />
Transport, Firma im W<strong>and</strong>el, unflexibel und<br />
nicht innovativ in Verbindung gebracht.<br />
Interviewte Akteure<br />
Verlader: Im Hinblick auf das Güterforum wurde hauptsächlich<br />
nach Unternehmen mit grossen Güterumschlagsvolumina<br />
gesucht. Weil möglichst alle relevanten Branchen<br />
abgedeckt werden sollten, stellten die Verlader<br />
schlussendlich die grösste Gruppe der Befragten dar.<br />
– Coop Zentralschweiz<br />
– Migros Genossenschaftsbund<br />
– Cham Paper Group<br />
– PPC Electronics<br />
– Roche Diagnostics Tegimenta AG<br />
– Ritmeyer AG<br />
– LEGO<br />
– V-Zug<br />
Transportunternehmen (Strasse und Schiene): Es wurden<br />
national und international operierende Transportunternehmen<br />
ausgewählt.<br />
– Bertschi AG<br />
– Hangartner Transporte AG<br />
– Giezendanner AG<br />
– Galliker Transporte<br />
– Kriens-Luzern-Bahn (KLB)<br />
– SBB Cargo<br />
Öffentliche H<strong>and</strong>:<br />
– Kt. Amt für öffentlichen Verkehr Zug<br />
– Kt. Amt für öffentlichen Verkehr Zürich<br />
– Generalsekretariat für Bau, Verkehr und Energie des<br />
Kt. Bern (GSBVE BE)<br />
Logistik-Berater:<br />
– Hr. Bruno Lifart<br />
Kasten 3.3: Interviewte Akteure.<br />
– Vorteile der Bahn: <strong>Die</strong> Wahl der Bahn als Transportmittel<br />
wurde mit grossen zu transportierenden Transportvolumina<br />
(45%), vorh<strong>and</strong>enen Einrichtungen wie Anschlussgeleise<br />
(12%) sowie Umweltschutz (11%) begründet.<br />
– Erwartungen: Für den Cargo-Kunden ist es wichtig,<br />
einen (persönlichen) Ansprechpartner zu haben (66%).<br />
<strong>Die</strong>s gewährleistet den Aufbau eines Vertrauensverhältnisses.<br />
<strong>Die</strong> Verlader erwarten dadurch eine schnellere<br />
Abwicklung der Geschäfte und eine klare Regelung der<br />
Zuständigkeiten. Erstaunlicherweise erwartet jedoch nur<br />
etwas mehr als die Hälfte der Befragten, dass die SBB<br />
Cargo ihre Bedürfnisse kennt. <strong>Die</strong> befragten Kunden<br />
erwarten von der SBB Cargo vermehrte Angebote im<br />
Kombi-Bereich Strasse/Schiene (25%), ein verstärktes<br />
Auftreten als Logistik-Anbieter (19%), einen schnelleren<br />
Gütertransport (13%) sowie niedrigere Transportpreise<br />
(7%).<br />
Innerhalb des Unternehmens SBB AG bestehen unterschiedliche<br />
Wahrnehmungen der Situation im Güterverkehr<br />
und daraus folgend verschiedene Auffassungen bezüglich<br />
der strategischen Neupositionierung. <strong>Die</strong> zwei in persönli-<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 145
Akteure<br />
chen Gesprächen mit Mitarbeitern von SBB Cargo immer<br />
wieder erwähnten Möglichkeiten sind «Konzentration auf<br />
das Kerngeschäft» und «W<strong>and</strong>el zum Gesamtlogistikanbieter».<br />
Während bei der ersten Variante die Tätigkeiten von<br />
SBB Cargo auf den Transport grosser Tonnagen über weite<br />
Strecken ausgerichtet wird, müssten bei der zweiten weitreichende<br />
Umstrukturierungen vorgenommen werden. <strong>Die</strong> Positionierung<br />
der SBB Cargo als Gesamtlogistikanbieterin<br />
würde den Ausbau der internationalen Partnerschaften und<br />
eine flächendeckende Organisation der Feinverteilung (allenfalls<br />
in Kooperation mit Strassentransport-Unternehmungen)<br />
bedingen.<br />
Als Beispiel für die Möglichkeiten, die einem Bahnanbieter<br />
im regionalen Güterverkehr offen stehen, können Privatbahnen<br />
dienen, die sich seit der Liberalisierung des Netzzugangs<br />
auf regionale und gut frequentierte Strecken spezialisiert<br />
haben und in ihrem begrenzten Einzugsgebiet einen<br />
intensiven Kundenkontakt pflegen. Neben der national bekannt<br />
gewordenen Mittel-Thurgau-Bahn (MThB), soll an<br />
dieser Stelle auf die in der Region Zugersee ansässige Kriens–Luzern-Bahn<br />
(KLB) verwiesen werden, deren Einzugsgebiet<br />
verglichen mit demjenigen der SBB Cargo verschwindend<br />
klein ist. <strong>Die</strong> Verlader (u.a. die Brauerei Eichhof<br />
und Coop Zentralschweiz) schätzen die Flexibilität der<br />
KLB und das gute Preis-/Leistungsverhältnis.<br />
Im Einzugsgebiet der KLB haben sich die Gemeinden und<br />
Vertreter der örtlichen Industrie zur Industrie-Geleise-Genossenschaft<br />
(IGG) zusammengeschlossen. <strong>Die</strong>se Genossenschaft<br />
stellt sicher, dass das wachsende Industriegebiet in<br />
Kriens über Anschlussgeleise verfügt. <strong>Die</strong> Finanzierung der<br />
Geleise basiert ausschliesslich auf Bundessubventionen<br />
(rechtliche Grundlage ist die Anschlussgeleise-Verordnung).<br />
3.3.2 Strassen-Transportunternehmer<br />
Wie für die Schienen- gilt auch für die Strassentransporteure,<br />
dass sie sich in dem Masse w<strong>and</strong>eln müssen, wie die<br />
Unternehmen Lager und Logistik auslagern. Aus diesem<br />
Grund bieten die meisten der befragten Transportunternehmer<br />
einen umfassenden Logistikservice an und sind auch<br />
international tätig. Dabei wird optimale Kundenbetreuung<br />
grossgeschrieben um unnötigen Aufw<strong>and</strong> für den Kunden<br />
zu vermeiden.<br />
Gründe, die für den Strassen-Transport sprechen, sind<br />
Erreichbarkeit der Kundschaft (Feinverteilung, Transport<br />
von Tür zu Tür), höhere Flexibilität und geringe Kosten.<br />
Im kombinierten Ladungsverkehr werden in der Regel<br />
Waren von regelmässig verkehrenden Shuttle-Zügen weitertransportiert<br />
(Shuttle-Züge fahren zu bestimmten Zeiten<br />
ohne zusätzliches Rangieren und Umladen auf offener<br />
Strecke von A nach B, z.B. Shuttle-Zug von Amsterdam<br />
nach Zürich).<br />
Obwohl die Strassen-Transporteure der Schiene Vorteile<br />
bei der Transportsicherheit und der Transportzuverlässigkeit<br />
(z.B. Einhalten der Zeitlimiten) einräumen, nehmen sie<br />
bezüglich eines Binnen-Kombiverkehr eine skeptische Haltung<br />
ein, da der Kombiverkehr erst ab einer Distanz von<br />
400-600 km rentabel zu führen sei. Auf jeden Fall soll der<br />
Vor- und Nachlauf des Bahntransports in ihrem Kompetenzbereich<br />
bleiben (also Transport per LKW). Der SBB Cargo<br />
als Gesamtlogistikanbieterin räumen sie nur geringe Chancen<br />
auf eine Steigerung ihres Marktanteils an der Feinverteilung<br />
ein.<br />
<strong>Die</strong> Zusammenlegung von Güterströmen findet laut den<br />
Transportunternehmen innerhalb der von ihnen angebotenen<br />
Logistikleistung statt (Firmeninternes Pooling). Einer<br />
firmenübergreifenden Zusammenarbeit im Rahmen von regionalen<br />
Gesamtverkehrskonzepten stehen sie skeptisch gegenüber.<br />
3.3.3 Verlader<br />
<strong>Die</strong> Verlader spielen eine zentrale Rolle im Akteursnetz. Sie<br />
müssen äusserst sensibel auf die Bedürfnisse der Kundschaft<br />
reagieren. <strong>Die</strong> Berücksichtigung marktwirtschaftlicher<br />
Trends ist überlebenswichtig und führt zu einer ständigen<br />
Optimierung der Produktionsprozesse. Zuverlässigkeit,<br />
Flexibilität und das Wissen um das H<strong>and</strong>ling der Waren sind<br />
unerlässlich. <strong>Die</strong>s hat einen direkten Einfluss auf die Logistikbedürfnisse<br />
(erhöhte Anzahl Fahrten bei sinkender Stückzahl<br />
pro Fahrt). <strong>Die</strong>se Entwicklung verläuft in einer stark<br />
dienstleistungs-, konsumgüter- und high-tech-orientierten<br />
Region besonders ausgeprägt.<br />
<strong>Die</strong> Verlader halten im Non-Food Bereich und für gut<br />
haltbare Waren im Lebensmittelbereich ein Steigerungspotential<br />
für die Schiene für möglich. Um mit der Strasse bei<br />
zeitsensitiven und transportempfindlichen Gütern konkurrieren<br />
zu können, müsste die SBB Cargo ihr Angebot erheblich<br />
verbessern.<br />
Der regionalen Zusammenlegung von Güterströmen bringen<br />
die Verlader Interesse entgegen. <strong>Die</strong> Organisation sollte<br />
jedoch von Dritten übernommen werden und ein sachgerechtes<br />
H<strong>and</strong>ling der Güter müsste sichergestellt sein. Trotz<br />
des Trends zu Gesamtlogistik-Konzepten entscheiden in<br />
den meisten Fällen die Verlader die Transportart. Selten<br />
übergibt eine Firma die gesamte Verantwortung dem Transporteur.<br />
Neben den betriebswirtschaftlichen Kriterien spielen ökologische<br />
Argumente meist eine untergeordnete Rolle. Einzelne<br />
Konsumgüter produzierende Firmen setzen den Bahntransport<br />
schon heute als Argument im Marketing ein (z.B.<br />
Migros). Im Zuge von ISO 14001 Zertifizierungsprozessen<br />
kann die Transportmittelwahl nach ökologischen Kriterien<br />
an Bedeutung gewinnen.<br />
3.3.4 Öffentliche H<strong>and</strong><br />
Neben dem Kanton Zug wurden zusätzlich zwei grössere<br />
Kantone (Bern, Zürich) befragt. Wiederholt wurde dabei die<br />
Tatsache erwähnt, dass auf Bundesebene Vorgaben zur Verlagerung<br />
des Güterverkehrs von der Strasse auf die Schiene<br />
bestehen. Ein nationales Gesamtverkehrskonzept hingegen,<br />
welches die einzelnen Kantone und ihre Aufgaben einbinden<br />
würde, existiert nicht. <strong>Die</strong> Rolle der öffentlichen H<strong>and</strong><br />
im Gütertransport ist somit nicht klar definiert.<br />
Auf planerischer Ebene streben die Vertreter der öffentlichen<br />
H<strong>and</strong> die optimale Anschliessung der Unternehmen an<br />
die Güterströme, die Entlastung des Strassenverkehrs durch<br />
146 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Akteure<br />
Verlagerung von Transporten auf die Schiene, sowie die<br />
Koordination von Personen- und Güterverkehr, an. <strong>Die</strong>se<br />
Ziele setzen die befragten Kantone durch die Subventionierung<br />
von Anschlussgleisen, die Unterstützung innovativer<br />
Projekte (neue Umladetechniken im Kombiverkehr), die<br />
Mithilfe an der Ausarbeitung eines nationalen Verteilsystems<br />
und durch die Vermittlung zwischen den verschiedenen<br />
Akteuren im Güterverkehr um.<br />
<strong>Die</strong> Vertreter der Kantone bezeichnen die SBB Cargo als<br />
zu passiv, da sie ihrer Meinung nach in der regionalen<br />
Güterverteilung nicht eine ihrer Grösse entsprechende Rolle<br />
spielt.<br />
Laut Martin Bütikofer, Leiter des Amtes für öffentlichen<br />
Verkehr Kanton Zug, wäre der Kanton Zug bereit, innovative<br />
Projekte bezüglich einer regionalen Zusammenarbeit zu<br />
unterstützen (Martin Bütikofer, persönliche Mitteilung,<br />
16.6.2000). <strong>Die</strong> Initiative erwartet er jedoch von <strong>and</strong>erer<br />
Seite (Transporteure, Verlader). <strong>Die</strong> Verwaltung sieht er in<br />
der Rolle der Interessenvermittlerin zwischen den Akteuren.<br />
Im Gegensatz zum öffentlichen Personenverkehr soll der<br />
Güterverkehr dem freien Markt überlassen werden.<br />
Über die zukünftige Stellung der Bahn sind sich die verschiedenen<br />
Akteure nicht einig. Auf der Ebene des regionalen<br />
Güterverkehrs zeigt das Beispiel der Kriens-Luzern-<br />
Bahn gangbare Möglichkeiten v.a. im Bereich Kundeneinbindung<br />
und Zusammenarbeit mit regionalen Akteuren auf.<br />
International sind Partnerschaften mit <strong>and</strong>eren Bahngesellschaften<br />
unumgänglich.<br />
Ein effizienter kombinierter Ladungsverkehr (KLV) wird<br />
von allen Befragten unterstützt. Uneinigkeit herrscht v.a.<br />
bezüglich der räumlichen Ausdehnung des KLV-Netzes<br />
(Binnen-/Internationales Netz). <strong>Die</strong> Forderung der Verlader<br />
nach einer verstärkten Positionierung der SBB Cargo als<br />
Gesamtlogistikanbieterin wird seitens der Strassentransporteure<br />
als unrealistisch beurteilt.<br />
Ansätze für eine regionale Zusammenarbeit sind bereits<br />
vorh<strong>and</strong>en. Zu einer umfassenderen Zusammenarbeit wären<br />
die meisten Akteure bereit, falls sich die Rahmenbedingungen<br />
entscheidend ändern sollten (u.a. Kapazitätsengpässe<br />
der Infrastruktur, nationales Gesamtverkehrskonzept) und<br />
eine neutrale Stelle die Organisation übernehmen würde.<br />
Als zentraler Erfolgsfaktor wird die Kommunikation zwischen<br />
den Akteuren angesehen. Zur Zeit verläuft diese<br />
Kommunikation bei den untersuchten Unternehmungen v.a.<br />
bilateral zwischen Transporteur und Verlader. Eine Zusammenarbeit<br />
zwischen allen am Transport beteiligten Akteuren<br />
aufgrund eines vernetzten Informationsaustauschsystems<br />
findet bestenfalls in einzelnen Bereichen statt. Für das<br />
Anbieten von spezialisierten Transportleistungen gemeinsam<br />
gegründete Unternehmen wie HUPAC oder Cargo Domicil<br />
spielen dabei eine grössere Rolle als Interessenpartnerschaften<br />
wie Swiss Shippers Council 1 .<br />
3.4 Zusammenfassung der<br />
Akteurspositionen<br />
1 SSC ist eine branchenübergreifende Verladeorganisation, mit 230 Vollmitgliedern aus Industrie und H<strong>and</strong>el sowie 60 Abonnementsmitgliedern aus dem<br />
Speditions- und Transportgewerbe. Sie stellt die Interessenvertretung der Verladebedürfnisse gegenüber Politik, Transportunternehmungen, Verwaltung<br />
und Öffentlichkeit sicher.<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 147
Akteure<br />
4 Das Güterforum Region Zug<br />
4.1 Das Forum als Methode<br />
Ein Diskussionsforum, bei dem die verschiedenen Akteure<br />
des Güterverkehrs Meinungen oder Vorstellungen austauschen,<br />
ist ein wichtiger Schritt zur Stärkung der Kommunikation<br />
im Güterverkehrswesen der Region Zug. Für das<br />
Güterforum wurde das Konzept der Fokusgruppe (Dürrenberger<br />
& Behringer, 1999) in einer angepassten Form übernommen.<br />
<strong>Die</strong> klassische Fokusgruppe ist eine moderierte Gruppendiskussion<br />
mit Ausrichtung auf einen vorgegebenen Inhalt.<br />
<strong>Die</strong> Moderation folgt einem definierten Gesprächsleitfaden.<br />
Fokusgruppen eignen sich besonders gut für Marktanalysen<br />
(sog. prelaunching tests) sowie Politikberatung (z.B. Empfehlungen<br />
zu politischen Fragen). <strong>Die</strong> Teilnehmenden können<br />
durch Zufall oder – wie in unserem Fall – nach Kriterien<br />
bezüglich der Diskussionskompetenz (sog. Realgruppe)<br />
ausgewählt werden. Der Diskussionsleitfaden ist das zentrale<br />
Instrument einer Fokusdiskussion. Als Vorbereitung werden<br />
darin die Moderationshilfen definiert und die Art der<br />
Fragen für die Diskussionsführung festgelegt.<br />
Der oder die Moderierende kann verschiedene St<strong>and</strong>punkte<br />
einnehmen. Er kann in einer Fokusgruppe eine passive<br />
Gesprächsleiterrolle (bei themenorientierten Diskussionen,<br />
z.B. in der Marktforschung) oder die Rolle der<br />
Fachperson oder des aktiven Mediators (bei Konfliktthemen<br />
mit Vermittlungsbedarf, z.B. Politdiskussionen) übernehmen.<br />
In der passiven Gesprächsleiterrolle ist der oder die<br />
Moderierende keine Fachperson, sie sorgt lediglich dafür,<br />
dass die Gruppe arbeitsfähig bleibt und lenkt das Gespräch<br />
(Seifert, 1997). Bei einer Moderation durch mehrere Personen<br />
muss eine klare Kompetenzzuteilung bestehen.<br />
<strong>Die</strong> Diskussion wird protokolliert, sei es mit audiovisuellen<br />
Mitteln oder einem bzw. mehreren Protokollführenden.<br />
Anh<strong>and</strong> dieser Protokolle erfolgt die Auswertung und Weiterbearbeitung<br />
der gewonnenen Informationen.<br />
<strong>Die</strong> Anpassungen gegenüber der strengen Fokusgruppe-<br />
Methode von Dürrenberger & Behringer (1999) best<strong>and</strong>en<br />
in der Auswahl der Zielgruppe, der Themendefinition (kein<br />
definiertes Thema sondern Diskussionsanreize) und der<br />
Auswertung (Führung eines Protokolls, jedoch Verzicht auf<br />
Schlussfragebogen und Videoaufzeichnung).<br />
4.2 Ziel des «Güterforums Region Zug»<br />
Das Ziel des Güterforums war, die Kommunikation zwischen<br />
den Akteuren im Güterverkehr der Region Zug durch<br />
eine Stärkung des Kommunikationsnetzwerkes zu verbessern.<br />
Das übergeordnete Ziel war, einen Prozess in Richtung<br />
ökologischerer Transportkettenführung in Gang zu setzen.<br />
Am Güterforum, welches am 16. Juni 2000 in Zug stattf<strong>and</strong>,<br />
diskutierten die Teilnehmenden über die geographischen<br />
Grenzen des Güterverkehrs, sowie über die Möglichkeit<br />
einer regionalen Zusammenarbeit (vgl. Kasten 4.2).<br />
Am Güterforum nahmen Vertreter der vier wichtigsten<br />
Interessengruppen teil. <strong>Die</strong> Schienentransporteure waren<br />
durch je eine Person aus der Abteilung SBB-Güterverkehr-<br />
Ablauf des Güterforums<br />
Das «Güterforum Region Zug» f<strong>and</strong> am 16. Juni 2000 im<br />
Institut für Finanzdienstleistungen in Zug statt.<br />
Es nahmen vier Vertretende der verladenden Unternehmen,<br />
vier Vertretende der Transporteure und eine Person<br />
aus der kantonalen Verwaltung an der Diskussion teil. <strong>Die</strong><br />
Synthesegruppe Akteure moderierte die Diskussionsrunde,<br />
welche in zwei Themenblöcke gegliedert war. Nach<br />
einer kurzen Einführungs- und Vorstellungsrunde wurde<br />
im ersten Block das Thema «Räumliche Grenzen des Güterverkehrs<br />
in der Region Zug» diskutiert. Um das Thema<br />
einzuleiten, hatte die SBB Gelegenheit, einen Vortrag über<br />
die Visionen der SBB Cargo zu halten. Um die ökologischen<br />
Aspekte der Transportvorgänge in die Diskussion<br />
einzubringen, wurden an dieser Stelle die Ergebnisse der<br />
Ökobilanz präsentiert. Im Einzelnen wurden die Themen<br />
«Produktivitätssteigerung», «Optimierung in der Transportkettenführung»,<br />
«Joint Ventures», «Preisgestaltung»,<br />
«Kombi- und Binnenkombiverkehr», «Stellung der Bahnen<br />
und LKW im Gütertransport», «Konsumverhalten und<br />
Kundenbedürfnisse» sowie «Leerfahrten und Transporteffizienz»<br />
beh<strong>and</strong>elt. Der zweite Block beh<strong>and</strong>elte das Thema<br />
«Regionale Zusammenarbeit und Koordination im Güterverkehr».<br />
<strong>Die</strong> Diskussion wurde hier ebenfalls durch<br />
einen Vortrag zum Thema «Kapazitäten und Auslastung<br />
im Bereich Verkehrsinfrastruktur im Kanton Zug» durch<br />
die Studenten eingeleitet. Danach begann die moderierte<br />
Diskussion zwischen den Akteuren. Hier wurde über<br />
Schlagwörter wie «Staus und Überlastung der Verkehrsinfrastruktur»,<br />
«Kapazitätsengpässe», «Just-in-Time-Produktion»,<br />
«Pooling», «City-Logistik», «Frachtbörsen» sowie<br />
«LSVA» diskutiert. Beide Themenblöcke wurden zudem<br />
mit Plakaten zu den Themen «Ökologische Bewertung<br />
verschiedener Transportketten», «Komponenten einer<br />
Transportkette», «Akteure im Güterverkehr der Region<br />
Zugersee», «Positionen der Akteure» und «Güterverkehrsentwicklungstrends»<br />
illustriert. Zwischen den beiden<br />
Blöcken f<strong>and</strong> eine kurze Pause statt, welche einen zusätzlichen<br />
Meinungsaustausch zwischen den Akteuren ermöglichte.<br />
<strong>Die</strong> Teilnehmer hatten am Schluss noch Gelegenheit zu<br />
einer Feedbackrunde und zur Äusserung ihrer Meinung<br />
bzgl. des Güterforums anh<strong>and</strong> eines Feedbackposters.<br />
Kasten 4.2: Ablauf des Güterforums.<br />
Luzern und der Abteilung für Koordination von Grossprojekten<br />
SBB Cargo vertreten, die Strassenspediteure durch<br />
die Firmen Galliker Transport AG und Hangartner AG. Von<br />
Verladerseite nahmen die Firmen V-Zug AG, LEGO AG<br />
sowie die Cham Paper Group an der Veranstaltung teil. Das<br />
Amt für öffentlichen Verkehr des Kantons Zug vertrat die<br />
Interessen der öffentlichen H<strong>and</strong>.<br />
Wir stellen im Folgenden die Ergebnisse aus den wichtigsten<br />
vier Themenbereichen in Form von Thesen zum Güterverkehr<br />
in der Region Zug dar.<br />
148 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Akteure<br />
4.3 Erarbeitete Thesen<br />
These 1: «Transportieren ist Vertrauenssache»<br />
<strong>Die</strong>se Aussage mag auf den ersten Blick überraschen, ist<br />
aber von Entscheidungsträgern im Transportgeschäft, welche<br />
nicht direkt im operativen Bereich tätig sind, ein oft<br />
unterschätzter «Soft-Faktor». Der Verlader und somit auch<br />
der Transportunternehmer muss auf kurzfristige Änderungen<br />
hin – oft innert Stundenfrist – Liefervolumen und Liefertermine<br />
anpassen können. Trägt ein Transportbetrieb diesen<br />
Anforderungen Rechnung, ist die Basis für gegenseitiges<br />
Vertrauen in die Kompetenz des Geschäftspartners geschaffen.<br />
Persönliche Beziehungen beim Ein- und Ausladen<br />
der Güter (z.B. mit dem Chauffeur) sind für viele Verlader<br />
ebenfalls wichtig. Vertrauen hat viel mit Kommunikation zu<br />
tun. An zwei Beispielen soll aufgezeigt werden warum:<br />
Lieferfrist<br />
<strong>Die</strong> Kunden verlangen immer kürzere Bestell- und Lieferzeiten<br />
und Verlader können es sich nicht leisten, Kunden<br />
durch unzuverlässige Lieferungen zu verlieren. <strong>Die</strong> Ware<br />
soll schnell und unbeschadet ihren Zielort erreichen. Transportvorgänge<br />
können in der Regel schneller auf der Strasse<br />
als auf der Schiene abgewickelt werden. Strassenspediteure<br />
nennen Geschwindigkeiten von durchschnittlich 40-60<br />
km/h gegenüber etwa 14-17 km/h im internationalen Verkehr<br />
bei der Schiene. Verlader nehmen also an, dass die<br />
Bahn zu langsam und unflexibel ist und darum für kurzfristige<br />
Transport- und Auslieferaufträge nicht in Frage kommt.<br />
Bei zeitunempfindlichen Gütern und grossen Transportdistanzen<br />
ist aber die Bahn der Strasse bezüglich Preis und<br />
teilweise auch bezüglich Geschwindigkeit und Zuverlässigkeit<br />
überlegen.<br />
Warengerechtes H<strong>and</strong>ling<br />
Grundsätzlich bedeutet jedes Umladen und Rangieren der<br />
Ware eine Erhöhung des Beschädigungsrisikos. Das Wissen<br />
über die Art des transportierten Gutes, die Beh<strong>and</strong>lung der<br />
Ware und geeignete Transportbehältnisse sind von ausserordentlicher<br />
Wichtigkeit für einen zuverlässigen Transport.<br />
Viele der Unternehmen in der Region Zug verfügen nicht<br />
über firmeneigene Anschlussgleise, was ein Umladen von<br />
der Schiene auf die Strasse für die Feinverteilung nötig<br />
macht. Hier sehen Verlader die Schwächen des Kombiverkehrs,<br />
speziell bei empfindlichen Gütern.<br />
Aus diesen Gründen bestehen bei ähnlichen Preis-/Leistungs-Angeboten<br />
wenig Anreize, neue Transportmöglichkeiten<br />
in Betracht zu ziehen. Es werden oft Preisnachteile in<br />
Kauf genommen, wenn dafür die Sicherheit besteht, dass die<br />
Ware zuverlässig den Abnehmer erreicht. Unter diesen Umständen<br />
ist es für neue Transportunternehmen schwierig,<br />
neue Kunden zu gewinnen. Neue Konzepte wie eine elektronische<br />
Frachtbörse finden dadurch auch wenig Anklang.<br />
These 2: «<strong>Die</strong> SBB Cargo muss sich als gesamtlogistikanbietendes<br />
Unternehmen etablieren»<br />
<strong>Die</strong> bereits erwähnten Bedürfnisse der Verlader bezüglich<br />
Flexibilität, Transportqualität und Preis stellen hohe Anforderungen<br />
an Transportunternehmen. Um jedoch konkurrenzfähig<br />
zu bleiben, müssen zusätzlich diverse Leistungen<br />
im Logistikbereich (Lagermanagement, Verpackung, Rechnungswesen,<br />
usw.) angeboten werden. Outsourcing seitens<br />
der Verlader führt dazu, dass Transportunternehmen mit<br />
einem Gesamtlogistikangebot in die Produktions- und<br />
Transportkette eingebunden werden.<br />
<strong>Die</strong>se Entwicklungen stellen die Schienengütertransport-<br />
Unternehmen vor grosse Herausforderungen. Als einem<br />
Unternehmen, das sich im W<strong>and</strong>el und auf der Suche nach<br />
einer neuen Position im Transportmarkt befindet, bieten sich<br />
der SBB Cargo zwei gegensätzliche Strategien an:<br />
Konzentration auf das Kerngeschäft<br />
Damit gemeint ist der Transport grosser Tonnagen (sog.<br />
«bahnaffine» Güter) über weite Strecken. <strong>Die</strong> Feinverteilung<br />
wird Privatbahnen und Strassentransporteuren überlassen.<br />
Gesamtlogistikanbieter kaufen im Kombi-Bereich<br />
Transportdienstleistungen auf der Schiene bei der SBB Cargo<br />
ein. <strong>Die</strong>se Variante bietet den Vorteil, dass sie kompatibel<br />
mit dem bestehenden Bahnsystem (Infrastruktur und Wagenmaterial)<br />
ist und der SBB Cargo aufgrund der Art der<br />
Güter durch die Strasse nur geringe Konkurrenz erwächst.<br />
Dabei geht jedoch die Kontrolle über das Feeder-System<br />
(Zulieferung bis zu den Bahnhöfen) und die Feinverteilung<br />
der Güter an die Abnehmer verloren. Kleine Margen und ein<br />
produktbedingtes, schrumpfendes Auftragsvolumen lassen<br />
für dieses Marktsegment jedoch kein überdurchschnittliches<br />
Wachstum erwarten.<br />
W<strong>and</strong>el zum Gesamtlogistikanbieter<br />
<strong>Die</strong>se Positionierung entspricht den Forderungen der Verlader.<br />
<strong>Die</strong> SBB Cargo behält und verbessert dabei sowohl den<br />
Kontakt und die Bindung zum Kunden sowie die Kontrolle<br />
über die gesamte Wertschöpfung durch den Transport. Gemäss<br />
verschiedener Prognosen wird in diesem Markt mit<br />
guten Wachstumsraten gerechnet (Ernst Basler und Partner<br />
& Jenni + Gottardi, 1999; Kaspar et al., 2000; Thierstein et<br />
al., 1999). <strong>Die</strong> Grösse der SBB Cargo kann bei der Positionierung<br />
durchaus ein Vorteil sein. Sie verfügt über eine gute<br />
Infrastruktur (Lager, fein ausgebautes Schienennetz), eingespieltes<br />
Personal und langjährige Erfahrung im Transportgewerbe.<br />
Auf der <strong>and</strong>eren Seite kann ihr Image als unflexibler<br />
Grossbetrieb neue Kunden von einem Vertragsabschluss<br />
abhalten. Zudem besteht im Bereich der Gesamtlogistikangebote<br />
eine grosse Konkurrenz von Seiten <strong>and</strong>erer<br />
Transportunternehmer (hauptsächlich Strassenspediteure).<br />
Aus dieser Situation folgern wir, dass die SBB Cargo<br />
vermehrt als Gesamtlogistikanbieter auftreten und das<br />
Kerngeschäft als integrierten Teil der Gesamtlogistik beibehalten<br />
sollte. Durch eine regionale und überregionale Zusammenarbeit<br />
mit <strong>and</strong>eren Unternehmen des Transport- und<br />
Logistikbereiches (Strasse und Schiene) kann die SBB Cargo<br />
das Feedersystem und die Feinverteilung optimieren und<br />
damit ihre Marktsegmente erweitern. Angebotene Lagermöglichkeiten<br />
können die «just-in-time»-Bedürfnisse der<br />
Kunden decken, entweder in regionalen Güterumschlagszentren<br />
oder kurzfristig in Bahnwagen, im sog. rollenden<br />
Lager. <strong>Die</strong>se zweite Variante der Lagerung wird laut SBB<br />
Cargo bei genügender Wagenkapazität vereinzelt bereits<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 149
Akteure<br />
angeboten (Marc Birchmeier, persönliche Mitteilung, Juli<br />
2000).<br />
Es ist noch nicht klar, wie breit das Angebot im Bereich<br />
Gesamtlogistik aufgebaut werden soll. SBB Cargo könnte<br />
einerseits Bahnlogistik anbieten, welche lediglich die Lagerung<br />
und den Transport der vom Kunden produzierten Güter<br />
übernimmt. Andererseits kann das Unternehmen zusätzlich<br />
auch weitere <strong>Die</strong>nstleistungen wie Palletierung, Verpackung<br />
oder Rechnungswesen anbieten. <strong>Die</strong>se Zusatzleistungen<br />
würden einen personellen sowie logistisch-organisatorischen<br />
Mehraufw<strong>and</strong> verlangen und hohe Anforderungen<br />
an die SBB Cargo stellen.<br />
These 3: «Im Transportgewerbe gilt: ökologisch<br />
sinnvoll = ökonomisch sinnvoll»<br />
Im Transportgewerbe hängt die Wirtschaftlichkeit von Grössen<br />
wie Art und Auslastung der Transportmittel, gefahrene<br />
Distanzen und Verbrauch der Fahrzeuge ab. <strong>Die</strong>s sind auch<br />
die Variablen, welche bei einer ökologischen Optimierung<br />
in Betracht gezogen werden müssen. Somit bringt eine<br />
wirtschaftliche Optimierung auch eine ökologische Verbesserung<br />
mit sich, Wirtschaftlichkeit und Ökologie stellen im<br />
Transportgewerbe keine Gegensätze dar. Verlader und<br />
Transporteure können auf der operativen Ebene durch wirtschaftlich<br />
effiziente Transportführungen Kosteneinsparungen<br />
und gleichzeitig ökologische Vorteile erzielen. Dem<br />
Faktor Ökologie wird allerdings nur solange Interesse entgegengebracht,<br />
wie die Integration in den Produktionsprozess<br />
kostenneutral erfolgen kann (Thierstein et al., 1999).<br />
Am Beispiel des Outsourcing der gesamten Logistik von<br />
Verladern an professionelle Logistikunternehmen kann das<br />
Zusammengehen von Ökonomie und Ökologie illustriert<br />
werden. Individualisierte Lieferbedingungen, komplizierte<br />
Transportketten und Zeitdruck bedeuten für die Verlader oft<br />
eine suboptimale Auslastung der Auslieferfahrzeuge und<br />
vermehrte Leerfahrten. Pooling (Zusammenlegung von Güterströmen<br />
verschiedener Verlader) erhöht die Auslastung<br />
der Fahrzeuge, sofern gemeinsame Transportwege existieren.<br />
Zudem führt dies zu einer Entlastung der Stausituation<br />
auf den Strassen.<br />
Ein optimal auf die Transportbedürfnisse abgestimmter<br />
Wagenpark, eine differenzierte Wahl des Transportmittels<br />
(Strasse/Schiene) und die Optimierung der Auslastung der<br />
Fahrzeuge erhöhen sowohl die ökonomische wie auch die<br />
ökologische Effizienz.<br />
Bei Unternehmen, welche ökologische Ziele in ihrer Unternehmensphilosophie<br />
mit eingebunden haben (z.B. Migros<br />
oder der Zuger Entsorgungsbetrieb ZEBA), besteht<br />
eine Korrelation zwischen dem angestrebten Firmen- bzw.<br />
Produktimage und den ökologischen Verpflichtungen. Solange<br />
ökologische Argumente im Transportgewerbe keine<br />
Selbstverständlichkeit geworden sind, können sich Unternehmen<br />
mit diesem «Ökofeature» profilieren und es als<br />
Marktinstrument zu ihrem Vorteil verwenden.<br />
These 4: «<strong>Die</strong> Veränderungen im Transportgewerbe<br />
machen eine verstärkte Zusammenarbeit nötig»<br />
Der Transportmarkt ist unübersichtlich und bietet aus den<br />
folgenden Gründen wenig Anreiz für die Verlader und<br />
Transporteure, den weitgehend auf der Strasse abgewickelten<br />
Gütertransport zu hinterfragen:<br />
– <strong>Die</strong> Zusammenarbeit zwischen Verladern und Transporteuren<br />
basiert auf gewachsenen Geschäftsbeziehungen.<br />
Kunden legen Wert auf engen persönlichen Kontakt,<br />
weshalb viele Verlader eine eigene Fahrzeugflotte betreiben<br />
(z.B. V-Zug).<br />
– Der Kanton Zug ist ein <strong>Die</strong>nstleistungskanton, die Gesamtmenge<br />
an Gütern ist im Vergleich zu <strong>and</strong>eren Regionen<br />
in der Schweiz klein, zudem sind viele dieser Güter<br />
nicht «bahnaffin».<br />
<strong>Die</strong> Unternehmen produzieren deshalb in der Region Zug<br />
weitgehend für den Transport auf der Strasse. Dadurch hat<br />
dieses Transportsegment in den letzten Jahren seinen Anteil<br />
am Transportvolumen vergrössert.<br />
Laut Aussagen der Strassenspediteure lohnt sich der kombinierte<br />
Ladungsverkehr (KLV) momentan kaum für Distanzen<br />
unter 450 km, die 40-Tonnen-Limite wird diese<br />
Distanz noch erhöhen. <strong>Die</strong>se Distanzangabe wird von SBB<br />
Cargo jedoch angezweifelt. Zur Abklärung dieser Frage<br />
laufen Tests im Bereich Binnenkombiverkehr, um die Möglichkeit<br />
eines nationalen Kombiverkehrs zu prüfen (KLV-<br />
CH, Ost-West-Achse). Zudem stehen technologische Erneuerungen<br />
im Wagenpark auf der Schiene (bimodale Wagen)<br />
in der Endphase von Testreihen. Aber auch wenn<br />
positive Ergebnisse erzielt werden, sind technologische Innovationen<br />
schwierig durchzusetzen, da die Investitionen in<br />
diesem Bereich sehr hoch sind und die Implementierung ein<br />
langwieriger Prozess ist.<br />
Trotz der grossen Konkurrenz im Transportgewerbe spielen<br />
die Preise in der Regel eine untergeordnete Rolle. <strong>Die</strong>s<br />
trifft v.a. bei «teuren» Gütern (z.B. Haushaltselektronik) zu.<br />
Hier machen die Transportkosten nur einen verschwindend<br />
kleinen Anteil der Gesamtkosten aus. Ausgenommen davon<br />
sind die klassischen bahnaffinen Güter, wie z.B. Kies.<br />
Zur Zeit beschleunigen Änderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen<br />
den W<strong>and</strong>el im Transportbereich noch<br />
zusätzlich. <strong>Die</strong> Einführung der LSVA, die schrittweise Erhöhung<br />
der Gewichtslimite auf 40-Tonnen sowie die Liberalisierung<br />
des Schienennetzzugangs werden das Verhältnis<br />
zwischen Schienen- und Strassentransport verändern.<br />
Vor dem Hintergrund der heutigen Gütertransportstruktur<br />
und der bisherigen Entwicklung rechnen Fachleute aus dem<br />
Transportgewerbe damit, dass das Schienen- und Strassennetz<br />
schon in naher Zukunft an seine Kapazitätsgrenzen<br />
stossen wird. Gründe dafür sind ein hoher Leerfahrtenanteil,<br />
Bevorzugung des Personenverkehrs gegenüber dem Güterverkehr<br />
auf der Schiene, Just-in-time-Management, Kapillarisierung<br />
von Güterströmen, Zersiedelung und Auslagerung<br />
von Produktionsprozessen. Es ist absehbar, dass sich<br />
die Kapazitätsprobleme in Ballungszentren und Transit-<br />
Korridoren zuerst manifestieren werden. Für den Wirtschaftsraum<br />
Zürich beispielsweise wird bis 2010 mit einem<br />
Zuwachs der Verkehrsleistung um 65% für die Strasse bzw.<br />
37% für die Schiene gerechnet (Ernst Basler + Partner &<br />
150 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Akteure<br />
Jenni + Gottardi, 1999). <strong>Die</strong> Kapazitätsgrenze der Transportsysteme<br />
hat bei der Wahl des Transportmittels durch die<br />
Verlader bzw. Transporteure bis jetzt eine geringe Bedeutung.<br />
<strong>Die</strong>s wird sich in Zukunft jedoch verändern. Schon<br />
heute werden die Staukosten auf rund 750 Mio. bis 1.2 Mrd.<br />
Fr. pro Jahr geschätzt (Keller, Iten, Aebi & Frick, 1998).<br />
Staus auf der Strasse führen zu Zeitverlusten, Betriebs-,<br />
Umwelt- und Unfallkosten sowie höheren Produktionskosten<br />
für die verladende Wirtschaft (z.B. grösserer Fahrzeugpark).<br />
Der steigende Druck von aussen, die sich verändernden<br />
Rahmenbedingungen und das vermehrte Stauaufkommen<br />
werden dazu führen, dass sowohl alternative Transportarten<br />
erprobt werden, als auch eine verstärkte regionale Zusammenarbeit<br />
zwischen den Akteuren im Transportmarkt mit<br />
dem Ziel einer besseren Auslastung der Warentransporte<br />
angestrebt wird.<br />
Am Güterforum wurde ersichtlich, dass bisher die Anpassung<br />
an die sich verändernden Marktbedingungen lediglich<br />
innerhalb der bilateralen Beziehungen zwischen Verladern<br />
und Transporteuren stattgefunden hat, ohne Gesamtverkehrs-<br />
oder Gütertransportkonzepte mit einzubeziehen.<br />
5 Ausblick<br />
5.1 H<strong>and</strong>lungsoptionen<br />
Aus den im obigen Abschnitt erläuterten vier Thesen lassen<br />
sich folgende H<strong>and</strong>lungsoptionen und Empfehlungen an die<br />
Akteure ableiten:<br />
SBB Cargo<br />
Operative Entscheide müssen sich an marktwirtschaftlichen<br />
Kriterien orientieren. <strong>Die</strong> Erfüllung ökologischer Kriterien<br />
darf dabei allerdings nicht vernachlässigt werden. Ökologie<br />
kann als zusätzliches, jedoch nicht als einziges Verkaufsargument<br />
eingesetzt werden. Konkurrenzfähige Angebote im<br />
Kombi-Verkehr bedingen Innovationen wie z.B. neue Beund<br />
Entladungstechniken, die Sicherstellung einer schnellen<br />
Zustellung und Flexibilität in der Entgegennahme von<br />
verschieden grossen Auftragsvolumen. Bei all diesen Vorgängen<br />
kommt der Kommunikation nach Aussen wie auch<br />
innerhalb des Unternehmens eine grosse Bedeutung zu.<br />
Transporteure<br />
Um die bestehenden ökologischen Potentiale optimal ausnutzen<br />
und den drohenden Kapazitätsengpässen ausweichen<br />
zu können, wird für die Transporteure die Notwendigkeit<br />
bestehen, ihr bis anhin hauptsächlich intern betriebenes<br />
Pooling auszuweiten und eine umfassendere Zusammenarbeit<br />
mit externen Stellen anzustreben. Zum einen können<br />
Güterströme mit dem Kombi-Verkehr über längere Distanzen<br />
auf die Schiene verladen werden und zum <strong>and</strong>eren<br />
Güterumschlagsplätze in Ballungszentren eingerichtet werden.<br />
Von dort aus kann die Versorgung durch Sammelfahrten<br />
koordiniert werden.<br />
Verlader<br />
Eine regionale Zusammenarbeit zwischen den Akteuren<br />
kann zur Verminderung von Staus und den damit verbundenen<br />
Verspätungen im Gütertransport beitragen. Dadurch<br />
können die Verlader Kosten reduzieren und gleichzeitig von<br />
einem ökologischen Image profitieren. <strong>Die</strong> Einbringung<br />
ihrer Interessen und Bedürfnisse sowie die Kommunikation<br />
der eigenen Spielräume bei den Transporteuren sind wichtige<br />
Schritte in diese Richtung, da Märkte oft durch die<br />
Kundenbedürfnisse gesteuert werden.<br />
Öffentliche H<strong>and</strong><br />
Zunehmende Kapazitätsengpässe zwingen die staatlichen<br />
und kantonalen Stellen, im Interesse der Allgemeinheit<br />
Prioritäten für die Benutzung der Strassen- und Schieneninfrastruktur<br />
zu setzen. <strong>Die</strong> Priorität des Personenschienenverkehrs<br />
und der Leistungsauftrag an die SBB Cargo sind<br />
Aufträge aus der öffentlichen H<strong>and</strong>. <strong>Die</strong> Verkehrsinfrastruktur<br />
wird von dieser Stelle bereitgestellt. Deshalb ist die<br />
Mitsprache der öffentlichen H<strong>and</strong> in den Diskussionen um<br />
den Güterverkehr von grosser Wichtigkeit. Der Ausbau des<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 151
Akteure<br />
öffentlichen Verkehrs, Verlagerung von Gütertransporten<br />
auf die Schiene und die Bündelung der Ströme in den<br />
Ballungszentren werden eine zentrale Stellung einnehmen.<br />
Der Kanton kann eine aktive Vermittlerrolle übernehmen,<br />
indem er eine Kommunikationsplattform anbietet und moderiert.<br />
<strong>Die</strong> öffentliche H<strong>and</strong> eignet sich bestens dazu, da sie<br />
einen neutralen Charakter hat und bei den Akteuren im<br />
Allgemeinen ein hohes Ansehen geniesst.<br />
5.2 Fazit<br />
Aus der Ausein<strong>and</strong>ersetzung mit dem Thema Güterverkehr<br />
in der Region Zugersee kann geschlossen werden, dass<br />
Vertrauen und persönliche Beziehungen im Transportgewerbe<br />
ausserordentlich wichtig sind. Kommunikation ist<br />
eine notwendige Grundlage dafür. Das Güterforum erwies<br />
sich als erster Schritt für eine Intensivierung dieser Kommunikation.<br />
Zwar wurden inhaltlich keine Entschlüsse gefasst,<br />
jedoch f<strong>and</strong>en erste Kontakte zwischen allen Beteiligten<br />
statt. Das Feedback der Teilnehmer fiel positiv aus, und es<br />
hat sich gezeigt, dass Veranstaltungen in dieser Form einen<br />
gangbaren Weg in Richtung einer engeren Zusammenarbeit<br />
darstellen (vgl. Kasten 5.2).<br />
Es sind jedoch weitere Schritte nötig, um in Zukunft einen<br />
ökologischeren Gütertransport zu erzielen. Wer dazu die<br />
Verantwortung übernehmen soll, ist unklar, hier könnte die<br />
öffentliche H<strong>and</strong> eine aktive Vermittlerrolle übernehmen.<br />
<strong>Die</strong> sich in Zukunft ändernden Rahmenbedingungen werden<br />
auf jeden Fall genügend Anreize für die Diskussion von<br />
neuen Konzepten im Güterverkehr schaffen.<br />
«Güterforum Zug»: Erkenntnisse für die SBB Cargo<br />
<strong>Die</strong> Diskussionsrunde in der Form eines Güterforums war<br />
für alle Anwesenden eine interessante Möglichkeit, sich<br />
mit <strong>and</strong>eren «Akteuren» aus dem Transportgewerbe auszutauschen.<br />
Es war für alle Beteiligten wertvoll, an einem<br />
Tisch zu sitzen und die verschiedenen Positionen zu erfahren.<br />
Am konkreten Fall «Güterverkehr in der Region Zug»<br />
traten die unterschiedlichen Haltungen und Stärken der<br />
einzelnen Akteure klar zutage. Beide Transportmittel,<br />
Schiene und Strasse, haben ihre Berechtigung. Im konkreten<br />
Fall zeigt sich nicht nur Konkurrenz, sondern auch, dass<br />
sich die beiden Transportmittel ergänzen können und sogar<br />
aufein<strong>and</strong>er angewiesen sind.<br />
<strong>Die</strong> «alte» SBB wurden in Umfragen immer wieder mit<br />
negativen Begriffen wie «Monopolist», «unflexibel» und<br />
«nicht innovativ» in Verbindung gebracht. Der W<strong>and</strong>el<br />
vom staatlich kontrollierten Bahnunternehmen zu einer<br />
eigenständigen Bahnunternehmung ermöglicht der SBB<br />
Cargo nun, sich neu zu positionieren. <strong>Die</strong> Entwicklung der<br />
SBB Cargo zielt in Richtung eines diversifizierten, wettbewerbsfähigen,<br />
technologisch basierten, europäischen Logistikunternehmens.<br />
Dabei werden wir uns auf drei Punkte<br />
konzentrieren:<br />
– Produktivitätssteigerungen (Ökologie allein hilft nicht),<br />
– Verbesserung des Kundenservices,<br />
– W<strong>and</strong>el zum Logistikunternehmen mittels Allianzen.<br />
<strong>Die</strong> Verbesserung des Kundenservices und der W<strong>and</strong>el<br />
zum Gesamtlogistikanbieter sind zwingende Schritte für<br />
Kasten 5.2: Güterforum Zug.<br />
die Bahnen. Denn um als Transporteur berücksichtigt zu<br />
werden, muss ein Vertrauensverhältnis zwischen Verlader<br />
und Transporteur hergestellt werden (auch dies zeigte sich<br />
auf dem Güterforum). <strong>Die</strong>ses Vertrauensverhältnis wird<br />
beim LKW viel schneller erreicht, weil die Ware nicht<br />
«anonym» reist, sondern von einem Menschen begleitet<br />
wird. Beim Bahntransport ist dieses Vertrauen viel weniger<br />
oder gar nicht vorh<strong>and</strong>en. Nach der Spedition einer Bahnsendung<br />
geht diese in die Hände der Bahnen über; es<br />
besteht keine Gewissheit, wo sich die Sendung befindet<br />
und wie sie beh<strong>and</strong>elt wird. <strong>Die</strong>se Ungewissheit verstärkt<br />
sich im internationalen Verkehr, da die Zusammenarbeit<br />
mit <strong>and</strong>eren europäischen Bahnen nicht überall optimal ist.<br />
<strong>Die</strong> SBB Cargo wird auch als Gesamtlogistikanbieterin<br />
ihr Kerngeschäft als integrierten Teil der Gesamtlogistik<br />
beibehalten. Durch eine regionale und überregionale Zusammenarbeit<br />
mit <strong>and</strong>eren Unternehmen des Transportund<br />
Logistikbereiches (Strasse und Schiene) besteht die<br />
Möglichkeit, das Feedersystem und die Feinverteilung zu<br />
optimieren. <strong>Die</strong> «just-in-time» Bedürfnisse der Kunden<br />
lassen sich durch angebotene Lagermöglichkeiten decken,<br />
entweder in regionalen Güterumschlagszentren oder kurzfristig<br />
in Bahnwagen, im sog. rollenden Lager. Auf diese<br />
Weise kann die SBB Cargo ihre Marktsegmente erweitern.<br />
Für mich war das «Güterforum Zug» eine gewinnbringende<br />
Erfahrung. <strong>Die</strong>se Veranstaltungs-Form möchte ich<br />
bei nächster Gelegenheit anwenden, wenn es darum geht,<br />
an einem Tisch verschiedene Haltungen und Ansichten zu<br />
diskutieren und gemeinsam Lösungen zu erarbeiten.<br />
Markus Siegenthaler, SBB Cargo<br />
152 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Akteure<br />
Literatur<br />
Bundesamt für Umwelt, Wald und L<strong>and</strong>schaft (BUWAL) (1999).<br />
H<strong>and</strong>buch Emissionsfaktoren des Strassenverkehrs. Bern: BU-<br />
WAL.<br />
Dürrenberger, G. & Behringer, J. (1999). <strong>Die</strong> Fokusgruppe in<br />
Theorie und Anwendung. Stuttgart: Akademie für Technikfolgenabschätzung<br />
in Baden-Württemberg.<br />
Ernst Basler + Partner AG & Jenni + Gottardi (1999). Verkehrsentwicklung<br />
im Kanton Zürich bis 2025 (Grundlagenbericht). Zürich:<br />
Amt für Verkehr des Kantons Zürich.<br />
Haas, E. (2000, 19.07.). Transpörtler ändern ihre Geschäftsstrategie.<br />
Tages-Anzeiger, S. 19.<br />
IHA-GfM. (1999). Kundenbefragung der SBB Cargo. Hergiswil:<br />
IHA-GfM.<br />
Kaspar, C., Laesser, C. & Meister, J. (2000). Verladeverhalten<br />
(Berichte des NFP 41 «Verkehr und Umwelt» Bericht B1). Bern:<br />
EDMZ.<br />
Keller, M., Iten, R., Aebi, C. & Frick, R. (1998). Staukosten im<br />
Strassenverkehr (Schlussbericht). Bern: ASTRA.<br />
Maibach, M., Peter, D., Seiler, B., Schreyer, C., Lautner, M. &<br />
Zanola, V. (1995). Ökoinventar Transporte. Zürich: INFRAS.<br />
Seifert, J. W. (1997). Visualisieren, Präsentieren, Moderieren.<br />
Offenbach: Gabal.<br />
Sommer, H. & Neuenschw<strong>and</strong>er, R. (1999). <strong>Die</strong> verkehrlichen<br />
Auswirkungen des bilateralen L<strong>and</strong>verkehrsabkommens zwischen<br />
der Schweiz und der Europäischen Union auf den Strassen- und<br />
Schienengüterverkehr (GVF-Bericht 2/99). Bern: EDMZ.<br />
Thierstein, A., Schnell, K.-D. & Schwegler, U. (1999). Unternehmensstrategien<br />
und Güterverkehr. Wirkungen und Zusammenhänge<br />
– gezeigt am Beispiel der Region Zug (Berichte des NFP 41<br />
«Verkehr und Umwelt» Bericht B3). Bern: EDMZ.<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 153
Szenarien – Bahn und Umwelt<br />
Autoren:<br />
Christian Holzner<br />
Márton Varga<br />
Aufbauend auf den Ergebnissen<br />
der Arbeitsgruppe Szenarien:<br />
Pascal Benkert<br />
Annina Geret<br />
Christian Holzner<br />
Markus Niedermair<br />
Kuno Strassmann<br />
Márton Varga<br />
Bernhard Weber<br />
Martin Weymann<br />
Jenny Oswald (Tutorin)<br />
Susanne Ulbrich (Tutorin)<br />
Erstellt in Zusammenarbeit mit<br />
Peter Hübner (SBB BahnUmwelt-<br />
Center) und Walter Moser (SBB<br />
Generalsekretariat)<br />
Inhalt<br />
1. Wirtschaftlichkeit und ökologische Leistung 157<br />
2. Formative Szenarioanalyse Schritt für Schritt 158<br />
3. Vier Szenarien in Wort und Bild 166<br />
4. Schmilzt der ökologische Vorsprung der Schiene? 170<br />
5. <strong>Die</strong> Szenarien in ihrem Kontext 176<br />
6. Was konnten wir aus Szenarien und Bewertung lernen? 177<br />
7. Und wie weiter? 178
Szenarien: Bahn und Umwelt<br />
Zusammenfassung<br />
Rasche Veränderungen in Politik,<br />
Wirtschaft, Gesellschaft und Technik<br />
stellen heute neue Anforderungen an<br />
die Bahnen, eröffnen aber auch neue<br />
Möglichkeiten. Das Unternehmen<br />
SBB AG befindet sich in einem Umstrukturierungsprozess.<br />
Unter diesen<br />
Voraussetzungen hat sich die Arbeitsgruppe<br />
Szenarien mit der Frage befasst,<br />
wie sich die SBB AG zukünftig<br />
wirtschaftlich erfolgreich entwickeln<br />
und dabei ökologisch aktiv bleiben<br />
kann.<br />
Um Zukunftsbilder für das Unternehmen<br />
zu erarbeiten, wurde in Zusammenarbeit<br />
mit Vertretern der SBB<br />
AG eine formative Szenarioanalyse<br />
durchgeführt. Dabei ging es auch darum,<br />
der SBB AG die Möglichkeiten<br />
dieses Planungsinstruments zu demonstrieren.<br />
Aus der Arbeit resultierten<br />
vier Szenarien. In einer ökologischen<br />
Bewertung wurden die Umweltauswirkungen<br />
des Schienen- und<br />
des Strassenverkehrs in den verschiedenen<br />
Szenarien quantifiziert.<br />
<strong>Die</strong> Bewertung zeigt, dass die Strasse<br />
den ökologischen Vorsprung der<br />
Bahn aufholen kann. Bei der Entwicklung<br />
der Umweltauswirkungen bestehen<br />
grosse Unterschiede zwischen<br />
Personen- und Güterverkehr. Für die<br />
Luftschadstoff-Emissionen der Bahn<br />
ist die Herkunft des Antriebstroms<br />
von grosser Bedeutung.<br />
Aus den Szenarien wird ersichtlich,<br />
dass für den wirtschaftlichen Erfolg<br />
der SBB eine aktive Gesamtstrategie<br />
massgebend ist: Im Güterverkehr<br />
müssen neue Marktsegmente akquiriert<br />
werden, eine Kooperation mit <strong>and</strong>eren<br />
Transportunternehmen ist unerlässlich.<br />
Umweltanstrengungen sind<br />
nicht als Belastung, sondern als Investitionen<br />
in die Zukunft zu bewerten:<br />
Eine klare ökologische Position kann<br />
auf dem Markt von morgen hohen Ertrag<br />
bringen.<br />
Keywords: Szenarioanalyse, entscheidungsorientiertes<br />
System, Planung,<br />
Unternehmensentwicklung,<br />
ökologischer Wettbewerb, Umweltauswirkungen,<br />
Ökologie als Marketinginstrument.<br />
Résumé<br />
Les changements rapides observés aujourd’hui<br />
dans la politique, l’économie,<br />
la société et la technique lancent<br />
aux chemins de fer de nouveaux défis<br />
au même titre cependant que de nouvelles<br />
chances. L’entreprise CFF SA<br />
se trouve dans une phase de restructuration.<br />
Dans ce contexte, le groupe de<br />
travail Scénarios s’est penché sur la<br />
question comment la CFF SA pourra<br />
se développer économiquement avec<br />
succès et continuer à jouer la carte<br />
écologique.<br />
Afin d’élaborer des projets d’avenir<br />
pour la CFF SA, une analyse de scénario<br />
formative a été réalisée en collaboration<br />
avec des représentants de l’entreprise.<br />
Il s’agissait également de<br />
démontrer à la CFF SA les possibilités<br />
de cet instrument de planification.<br />
Quatre scénarios résultèrent de ce travail.<br />
Dans une évaluation écologique,<br />
l’impact sur l’environnement du<br />
transport ferroviaire et routier a été<br />
quantifié à l’aide de divers scénarios.<br />
L’évaluation montre que la route<br />
peut rattraper l’avance écologique du<br />
train. L’évolution des effets sur l’environnement<br />
met en évidence l’écart important<br />
qui existe entre le transport de<br />
personnes et celui de march<strong>and</strong>ises.<br />
Pour les émissions des produits de pollution<br />
atmosphériques du train, l’origine<br />
de l’énergie de propulsion revêt<br />
une importance capitale.<br />
Les scénarios montrent sans équivoque<br />
à quel point une stratégie globale<br />
active est déterminante pour le succès<br />
commercial de la CFF SA: il faut prospecter<br />
de nouvelles parts de marché<br />
dans le trafic de march<strong>and</strong>ises; une<br />
coopération avec les autres entreprises<br />
de transport est une nécessité absolue.<br />
Les efforts relatifs à l’environnement<br />
ne doivent pas être évalués comme<br />
une charge mais comme un investissement<br />
dans l’avenir: une prise de position<br />
franchement écologique peut se<br />
traduire en un haut rendement dans le<br />
marché de demain.<br />
Mots-clés: analyse de scénario, planification,<br />
développement de l’entreprise,<br />
compétition écologique, effets<br />
sur l’environnement, écologie comme<br />
instrument de marketing.<br />
Summary<br />
Rapid changes in politics, economy,<br />
society <strong>and</strong> technology set new dem<strong>and</strong>s,<br />
but also bear new possibilities<br />
for the railway. The company SBB<br />
AG is in the process of re-structuring<br />
itself. On this prerequisite, the studyteam<br />
Scenarios analyzed how the<br />
SBB AG can undergo a successful<br />
development economically while remaining<br />
active environmentally in the<br />
future.<br />
In order to establish future scenarios,<br />
a formative scenario analysis was<br />
conducted in co-operation with representatives<br />
of the SBB AG. One of the<br />
goals was to show the SBB AG the<br />
possibilities of this planning instrument.<br />
This study resulted in four scenarios.<br />
An environmental assessment<br />
quantified the environmental impacts<br />
of rail <strong>and</strong> road traffic within the various<br />
scenarios.<br />
The assessment shows that the road<br />
might catch up with the rail’s environmental<br />
lead. The development of environmental<br />
impacts demonstrates large<br />
differences between passenger <strong>and</strong><br />
freight traffic. Regarding the rail’s<br />
emission of air pollutants, the type of<br />
power source is of significant importance.<br />
The scenarios demonstrate that an<br />
active strategy is important for SBB’s<br />
economic success: in the realm of<br />
freight traffic, new market segments<br />
have to acquired; co-operating with<br />
other transport companies is imperative.<br />
Environmental efforts are not to<br />
be seen as a burden, but as an investment<br />
in the future: a clear-cut environmental<br />
position can yield high profits<br />
in tomorrow’s markets.<br />
Keywords: scenario-analysis, decision-oriented<br />
system, planning, management<br />
development, environmental<br />
competition, environmental impact,<br />
environment as marketing instrument.<br />
156 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Szenarien: Bahn und Umwelt<br />
1 Wirtschaftlichkeit und<br />
ökologische Leistung<br />
Mit der Bahnreform haben die Schweizerischen Bundesbahnen<br />
den grössten Umstrukturierungsprozess in ihrer Geschichte<br />
begonnen. Von einer öffentlich-rechtlichen Anstalt<br />
des Bundes muss sich die neu geschaffene SBB AG rasch zu<br />
einem selbständigen Unternehmen im europäischen Transportmarkt<br />
entwickeln.<br />
Neben den Bahngesellschaften wird europaweit eine ganze<br />
Reihe von staatlichen Monopolbetrieben privatisiert. Der<br />
sich öffnende Strommarkt und das Telekommunikations-<br />
Business könnten als gewinnbringende neue Geschäftssparten<br />
auch für die Bahnen interessant sein.<br />
Andererseits verschärft sich der Wettbewerb zwischen der<br />
Bahn und den übrigen Verkehrsmitteln. An einem Symposium<br />
der europäischen Verkehrsminister wurden dafür der seit<br />
dem Fall des Eisernen Vorhangs explosionsartig angestiegene<br />
H<strong>and</strong>el und neue Trends in der Güterproduktion verantwortlich<br />
gemacht (Grubert, 1999): <strong>Die</strong> industrielle Produktion<br />
wird zunehmend in Länder mit niedrigerem Lohnniveau<br />
verlagert, was neuen Transportbedarf über weite Strecken<br />
generiert. Gleichzeitig verändert sich aber auch die Art<br />
der zu transportierenden Güter. Anstelle der sogenannten<br />
«bahnaffinen» Rohstoffe werden immer mehr empfindlichere<br />
Halbfertig- und Fertigprodukte transportiert. <strong>Die</strong> örtlich<br />
und zeitlich eingeschränkte Flexibilität der Bahnen<br />
verstärkt die Konkurrenz durch <strong>and</strong>ere Verkehrsmittel zusätzlich.<br />
<strong>Die</strong> Gesellschaft stellt immer grössere Ansprüche an die<br />
Verkehrsmittel: Der Wunsch nach höherer Geschwindigkeit<br />
stellt Bahnen wie auch Strassenverkehr und Luftfahrt vor<br />
grosse Herausforderungen. Auf der <strong>and</strong>eren Seite zeichnet<br />
sich ein neuer Anspruch an die Nachhaltigkeit des Verkehrs,<br />
auf eine die Umwelt weniger belastende Mobilität ab (Internationaler<br />
Eisenbahnverb<strong>and</strong> [UIC], 1997). Wie sich diese<br />
gegensätzlichen Ansprüche auf den Wettbewerb zwischen<br />
den Verkehrsträgern auswirken, ist zur Zeit schwer abzuschätzen.<br />
Von der technischen Seite her begrenzt die Langlebigkeit<br />
von Infrastruktur und Rollmaterial die Fähigkeit der Bahnen,<br />
sich schnellen Trendänderungen anzupassen. In den<br />
nächsten Jahrzehnten werden die Eisenbahnprojekte NEAT<br />
(s. a. Kasten 1.1 im Kap. Unterwegs zu einem nachhaltigen<br />
Güterverkehr?), Bahn 2000 und die Anbindung an das<br />
europäische Hochgeschwindigkeitsnetz die Netzentwicklungspolitik<br />
der SBB AG bestimmen (SBB AG, 2000b).<br />
Fragestellungen<br />
– Kann die SBB AG ihre Marktanteile halten oder sogar<br />
ausbauen und gleichzeitig ihre Umweltleistung beibehalten<br />
oder verbessern?<br />
– Welches sind Schlüsselbereiche für unternehmerischen<br />
Erfolg und für ökologische Qualität?<br />
Kasten 1: Fragestellungen der Synthesegruppe Szenarien.<br />
Unter diesen Rahmenbedingungen muss sich das neue<br />
Unternehmen SBB AG im europäischen Transportmarkt<br />
positionieren. <strong>Die</strong>se Rahmenbedingungen liegen auch unserer<br />
Arbeit zugrunde, in der verschiedene Entwicklungsmöglichkeiten<br />
der SBB AG aufgezeigt werden sollen. Das Zentrum<br />
der Untersuchungen bilden Fragestellungen an der<br />
Schnittstelle von Ökonomie und Ökologie, denen sich die<br />
Bahnen der Schweiz im Rahmen ihrer strategischen Planung<br />
gegenübergestellt sehen (vgl. Kasten 1).<br />
Zur Analyse wurde die Szenario-Technik eingesetzt, ein<br />
innovatives Planungsinstrument, das seit den 1970-er Jahren<br />
von einer Vielzahl von Unternehmen bei der langfristigen<br />
Planung verwendet wird. Eine Zusammenstellung namhafter<br />
Beispiele findet sich in Götze (1993). Um unternehmensspezifische<br />
Chancen und Risiken rechtzeitig aufdecken<br />
und in Planungsüberlegungen einbeziehen zu können,<br />
werden mehrere Szenarien, d.h. alternative, in sich stimmige<br />
Zukunftsbilder entwickelt (Opitz, 1993). Dabei werden<br />
quantifizierbare und qualitative Einflüsse aus der Umwelt<br />
und die zwischen ihnen auftretenden Beziehungen berücksichtigt<br />
(Götze, 1993). <strong>Die</strong> Szenario-Technik formalisiert<br />
das Denken in Varianten und <strong>and</strong>ere intuitive Schritte der<br />
Planung.<br />
Ziel unserer Arbeit war, gemeinsam mit der SBB AG<br />
verschiedene Szenarien für die Entwicklung des Unternehmens<br />
in den nächsten 15 Jahren zu entwerfen. Anh<strong>and</strong> dieser<br />
Szenarien sollte anschliessend der Stellenwert der Umwelt<br />
in der strategischen Unternehmensplanung der SBB AG<br />
untersucht werden.<br />
Aufgrund der Fragestellungen wurden in den Szenarien<br />
vor allem Aussagen zum wirtschaftlichen Erfolg und zur<br />
ökologischen Leistung der SBB AG angestrebt. Beide Grössen<br />
konnten an die Entwicklung des Bahnangebotes gekoppelt<br />
werden. So entst<strong>and</strong> eine stark strategieorientierte Szenarioanalyse<br />
mit dem Schwergewicht auf unternehmensspezifischen<br />
Einflussgrössen. <strong>Die</strong> oben geschilderten Rahmenbedingungen<br />
wurden in der Szenarioanalyse nicht variiert.<br />
Es wurde davon ausgegangen, dass sich ihr Einfluss bis<br />
2015 kaum verändern wird. Eine Ausnahme bildet der Faktor<br />
Verkehrspolitik: Hier bleibt abzuwarten, ob die leistungsabhängige<br />
Schwerverkehrsabgabe tatsächlich ihre gewünschte<br />
Lenkungswirkung entfalten wird.<br />
<strong>Die</strong> Rolle der Politik als Regulierungsinstanz im Verkehrsmarkt<br />
wird zur Zeit auf nationaler und internationaler<br />
Ebene intensiv diskutiert. Während der UIC (1997) weiterhin<br />
an der Umsetzung der Richtlinien der EU (91/440) zur<br />
Privatisierung der nationalen Bahngesellschaften festhält,<br />
kritisiert Peter Füglistaler, Generalsekretär der SBB AG, im<br />
Jahrbuch der Schweizerischen Verkehrswissenschaftlichen<br />
Gesellschaft die Auswirkungen dieser Richtlinien: <strong>Die</strong> Vielfalt<br />
der strukturellen Erscheinungsformen der privatisierten<br />
Bahnen sowie die zusätzlichen Regulierungsversuche der<br />
EU würden den freien Wettbewerb zwischen den Verkehrsträgern<br />
erschweren (Füglistaler, 2000). <strong>Die</strong> Verkehrsminister<br />
der europäischen Länder betonen hingegen die Wichtigkeit<br />
von Regulation im Verkehrsmarkt (Grubert, 1999): Nur<br />
so könnten wichtige Grundsätze wie eine transparente Informationspolitik<br />
gegenüber den Kunden oder eine Entwicklung<br />
in Richtung Nachhaltigkeit garantiert werden.<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 157
Szenarien: Bahn und Umwelt<br />
Das Gleichgewicht zwischen staatlicher Regulation und<br />
freiem Wettbewerb im komplexen Transportmarkt scheint<br />
nicht einfach zu finden zu sein. Gerade diese Tatsache<br />
eröffnet aber den Bahnen Möglichkeiten, durch eine konstruktive<br />
Zusammenarbeit die politischen Rahmenbedingungen<br />
für den Transportmarkt mitzugestalten.<br />
2 Formative Szenarioanalyse<br />
Schritt für Schritt<br />
2.1 Szenarioanalyse: Eine Methode der<br />
strategischen Planung<br />
<strong>Die</strong> Grundidee jeder Szenarioanalyse ist die Ermittlung der<br />
wichtigsten internen und externen Einflussfaktoren für das<br />
zu beschreibende System. So können die einzelnen Einflüsse<br />
untersucht und verborgene Beziehungen sichtbar gemacht<br />
werden. Durch die Variation der Einflussfaktoren<br />
entstehen mögliche Szenarien, die wiederum auf ihre Plausibilität<br />
oder Wünschbarkeit hin untersucht werden können<br />
(Abb. 2.1).<br />
Begreift man die Szenarioanalyse als naturwissenschaftliche<br />
Beschreibung eines Systems, so muss man sich mit der<br />
Frage nach ihrer Genauigkeit ausein<strong>and</strong>ersetzen. <strong>Die</strong> Unsicherheit<br />
einer Prognose steigt mit der Anzahl der betrachteten<br />
Alternativen: <strong>Die</strong> Szenarien dürften also allein schon<br />
wegen der Vielzahl der gleichzeitig wirkenden Faktoren<br />
nicht zur Vorhersage einer bestimmten Entwicklung verwendet<br />
werden.<br />
Unter Planungsgesichtspunkten spielt die Vorhersagekraft<br />
von Szenarien eine untergeordnete Rolle. Für den<br />
Gewinn an Freiheitsgraden, den man mit der Betrachtung<br />
von mehreren Alternativen erhält, nimmt man gerne eine<br />
grössere Unsicherheit in Kauf. <strong>Die</strong> Methode wird deshalb<br />
oft in Systemen eingesetzt, deren Entwicklung auf lange<br />
Frist nicht vorhersagbar ist, wie z.B. im Verkehrsmarkt der<br />
Schweiz. <strong>Die</strong> Szenarien bilden sinnvolle zukünftige Zustände<br />
des betrachteten Systems ab und können so den gedanklichen<br />
Spielraum der Planung erweitern.<br />
Experten oder die Planenden selbst können aus einer<br />
Szenarioanalyse neben den Szenarien auch wichtige Erkenntnisse<br />
über die Systemzusammenhänge oder die entscheidenden<br />
Grössen und Einflüsse gewinnen (Scholz &<br />
Tietje, in press). Wird die Szenarioanalyse innerhalb eines<br />
Unternehmens durchgeführt, erfüllt sie zusätzlich Funktionen<br />
des gegenseitigen Lernens und der Kommunikation<br />
(Götze, 1993):<br />
– Zur Durchführung müssen oft Grundlagen und Annahmen<br />
offengelegt werden, die sonst bei der Planung unausgesprochen<br />
blieben;<br />
– die Beschäftigung mit mehreren Alternativen vergrössert<br />
die Offenheit der Teilnehmenden gegenüber neuen Ideen<br />
und Entwicklungen;<br />
– durch die intensive Ausein<strong>and</strong>ersetzung mit der Zukunft<br />
wird das Problembewusstsein geschärft.<br />
<strong>Die</strong>s hat einen positiven Einfluss auf die Entscheidungen,<br />
die im Unternehmen getroffen werden. Götze betont auch,<br />
dass diese Vorteile durch die Beteiligung von Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeitern aus verschiedenen Unternehmensbereichen<br />
und durch den Einbezug der Entscheidenden vervielfacht<br />
werden können (Götze, 1993).<br />
In der Szenario-Technik wird eine Vielzahl verschiedener<br />
Ansätze verwendet (Götze, 1993). Wir bedienten uns der<br />
formativen Szenarioanalyse (Götze, 1993; Mißler-Behr,<br />
1993; Hassler & Schärli, 1996 und Scholz & Tietje, in<br />
158 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Szenarien: Bahn und Umwelt<br />
Abb. 2.1: <strong>Die</strong> formative Szenarioanalyse im Überblick. EFi<br />
= Einflussfaktoren, Aij = Ausprägungen, Sk = Szenarien.<br />
press). Ein wichtiger Best<strong>and</strong>teil dieser Variante ist die<br />
Konsistenzanalyse: Durch diese ergibt sich die Möglichkeit,<br />
die entst<strong>and</strong>enen Zukunftsbilder auf das Vorh<strong>and</strong>ensein innerer<br />
Widersprüche zu prüfen. Anwendungsbeispiele finden<br />
sich in den Berichten vergangener <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>n<br />
(Zwicker & Schibli, 1996; Kästli, Krapf, Weber,<br />
Wüthrich & Weber, 1998; Schlatter, Oberholzer, Jäger,<br />
Mieg & Reutemann, 1998; Muncke & Rudolf, 1999 u.a.).<br />
2.2 Systemverständnis und<br />
Dekomposition: <strong>Die</strong> Auswahl der<br />
Einflussfaktoren<br />
Zunächst wurden die wichtigsten Systembereiche im Umfeld<br />
der SBB AG und die für die Fragestellungen relevanten<br />
Grössen bestimmt. Wir orientierten uns dabei an:<br />
– den im Rahmen früherer <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>n durchgeführten<br />
Szenarioanalysen;<br />
– Berichten über die Ausgangssituation der SBB AG (Informationsdienst<br />
für den öffentlichen Verkehr [LITRA],<br />
1997 und 1998; SBB AG, 2000a);<br />
– bestehenden Untersuchungen zur Verkehrsentwicklung<br />
(St. Galler Zentrum für Zukunftsforschung [SGZZ],<br />
1994 und 1995; Arbeitsgemeinschaft prognos/Rudolf<br />
Keller AG, 1995; Bundesamt für Umwelt, Wald und<br />
L<strong>and</strong>schaft [BUWAL], 1995; Keller, Kessler & El<strong>and</strong>,<br />
1996; Sommer & Neuenschw<strong>and</strong>er, 1999);<br />
– Szenarien zur Bevölkerungsentwicklung und zur wirtschaftlichen<br />
Lage in der Schweiz (Bundesamt für Statistik<br />
[BfS], 1997; SGZZ, 1998).<br />
<strong>Die</strong> Systembereiche und die relevanten Grössen wurden<br />
in einem ersten Systemmodell zusammengefügt.<br />
Daraus wurde ein vorläufiges Set von Einflussfaktoren<br />
definiert und wichtige Rahmenbedingungen identifiziert.<br />
Aufgrund der Rückmeldungen von Verkehrsexperten und<br />
Vertretern der SBB (Kasten 2.2) konnten die Definitionen<br />
der Einflussfaktoren (siehe Tab. 2.3) endgültig formuliert<br />
werden.<br />
An der Expertenbefragung beteiligte Organisationen<br />
– Professur für Mensch-Umwelt-Beziehungen, <strong>ETH</strong> Zürich<br />
– Professur für Umweltnatur- und Umweltsozialwissenschaften,<br />
<strong>ETH</strong> Zürich<br />
– Institut für Verkehrstechnik, <strong>ETH</strong> Zürich<br />
– Ohne Organisation: Ein Architekt und Planer aus Zürich<br />
– St. Galler Zentrum für Zukunftsforschung, St. Gallen<br />
– Programmleitung NFP 41, Bern<br />
– Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr,<br />
Energie und Kommunikation (UVEK), Bern<br />
– Generalsekretariat SBB AG, Bern<br />
– Geschäftsleitung SBB AG, Bern<br />
– Division Personenverkehr SBB AG, Bern<br />
Kasten 2.2: An der Beurteilung von Systemmodell und Einflussfaktoren<br />
beteiligte Institutionen.<br />
2.3 Untersuchung der Einflüsse zwischen<br />
den Einflussfaktoren<br />
Im nächsten Schritt wurden in einer Einflussmatrix die<br />
direkten gegenseitigen Einflüsse der Einflussfaktoren bewertet<br />
(siehe Tab. 2.3). Unterschieden wurde zwischen starken,<br />
schwachen und nicht vorh<strong>and</strong>enen Einflüssen. Ein<br />
Beispiel: Der Einfluss von Strategischen Allianzen unter<br />
den Bahngesellschaften auf die Rentabilitätsentwicklung<br />
der SBB AG wurde als stark, der umgekehrte Einfluss als<br />
schwach bewertet.<br />
Durch die Bildung der Zeilen- bzw. Spaltensummen in der<br />
Einflussmatrix kann für jeden Einflussfaktor seine Aktivität<br />
(d.h. die Summe der Einflüsse, die von ihm ausgehen) bzw.<br />
seine Passivität (d.h. die Summe der Einflüsse, die auf ihn<br />
wirken) bestimmt werden. Besonders aktive Faktoren bezeichnet<br />
Mißler-Behr (1993, S. 68) auch als «treibende»<br />
Faktoren, besonders passive als «getriebene» Faktoren. Für<br />
einen Vergleich ihrer Einflussstärken lassen sich aus den<br />
Faktoren zwei Rangfolgen bezüglich ihrer Aktivität und<br />
ihrer Passivität bilden.<br />
Als Ketten der direkten Einflüsse zwischen den Faktoren<br />
entstehen indirekte Einflüsse, die erheblich von den direkten<br />
abweichen können. Um auch diese mitein<strong>and</strong>er zu vergleichen,<br />
wurde eine Matrizenmultiplikation durchgeführt<br />
(MICMAC-Analyse, vgl. Hassler & Schärli, 1996). In unserem<br />
Fall ergaben sich hierbei keine wesentlichen Änderungen<br />
in der Rangfolge der Einflussfaktoren bezüglich ihrer<br />
Aktivität und Passivität.<br />
Im System-Grid (Abb. 2.3.1) erfolgt eine graphische Darstellung<br />
von Aktivität und Passivität der Einflussfaktoren.<br />
<strong>Die</strong> Mittelwerte der Aktivitäten und Passivitäten spannen<br />
ein Fadenkreuz auf, welches vier Sektoren einer Ebene<br />
definiert:<br />
– puffernde Grössen werden wenig beeinflusst und üben<br />
selbst wenig Einflüsse aus,<br />
– aktive Grössen wirken vor allem auf <strong>and</strong>ere Grössen,<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 159
Szenarien: Bahn und Umwelt<br />
Tab. 2.3: Ausschnitt aus der Einflussmatrix. Hier wurde bewertet, welchen direkten Einfluss die Faktoren in den Zeilen auf<br />
die Faktoren in den Spalten ausüben (Einflüsse erster Ordnung). 0 = kein direkter Einfluss, 1 = geringer direkter Einfluss,<br />
2 = starker direkter Einfluss.<br />
Einflussfaktoren<br />
Zugkraft Ökologie<br />
Verkehrspolitik<br />
Umweltpolitik<br />
Konkurrenzdruck<br />
Harmonisierung<br />
Rentabilitätsentwicklung<br />
Strategische Allianzen<br />
...<br />
Marktanteil Personenverkehr<br />
Aktivität<br />
Rang<br />
Zugkraft Ökologie 0 0 1 0 0 0 ... 1 2 6<br />
Verkehrspolitik 1 2 2 1 1 0 ... 1 8 1<br />
Umweltpolitik 1 2 1 0 0 0 ... 1 5 3<br />
Konkurrenzdruck 0 1 0 1 2 2 ... 2 8 1<br />
Harmonisierung 0 0 0 1 1 2 ... 1 5 3<br />
Rentabilitätsentwicklung 0 0 0 0 0 1 ... 0 1 7<br />
Strategische Allianzen 0 0 0 1 1 2 ... 1 5 3<br />
... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ...<br />
Marktanteil Personenverkehr 0 1 0 0 0 0 0 ... 1 7<br />
Passivität 2 4 2 6 3 6 5 ... 7<br />
Rang 7 5 7 2 6 2 4 ... 1<br />
– passive Grössen werden stark von <strong>and</strong>eren Grössen beeinflusst,<br />
– ambivalente Grössen sind Schlüsselfaktoren: Sie erfahren<br />
ebenfalls viele Einflüsse, wirken aber auch selber auf<br />
viele <strong>and</strong>ere Faktoren.<br />
Im Anschluss an die Betrachtung der Einflüsse wurde das<br />
System auf 12 Faktoren reduziert. Dabei wurden ähnliche<br />
Faktoren zusammengefasst und solche mit sehr geringen<br />
Einflüssen weggelassen. Faktoren, die sich im Zeitraum bis<br />
2015 nur wenig verändern werden, wurden mit den übrigen<br />
Rahmenbedingungen ausserhalb des Systems festgehalten.<br />
<strong>Die</strong> stärksten Beziehungen zwischen den verbliebenen 12<br />
Einflussfaktoren wurden in einem System-Graph visualisiert<br />
(Abb. 2.3.2). Um die Übersicht zu wahren, sind gegenseitige<br />
Einflüsse mit Doppelpfeilen dargestellt; in den <strong>and</strong>eren<br />
Fällen bezeichnet die Pfeilrichtung auch die Richtung<br />
des Einflusses. So können auch aus dieser Abbildung Aktivität<br />
und Passivität der Einflussfaktoren grob abgeschätzt<br />
werden. Der gestrichelte Pfeil von Verkehrspolitik zur Umweltstrategie<br />
steht für einen starken indirekten Einfluss über<br />
den inzwischen eliminierten Faktor Umweltpolitik.<br />
2.4 Variation: «Hier wird die Zukunft<br />
gemacht...»<br />
Für jeden Einflussfaktor wurden zwei bis drei Ausprägungen<br />
formuliert. <strong>Die</strong>se möglichen Zustände der Einflussfaktoren<br />
im Jahre 2015 wurden unter Berücksichtigung vorliegender<br />
Studien zur Verkehrsentwicklung (SGZZ, 1994 und<br />
1995; Sommer & Neuenschw<strong>and</strong>er, 1999) und in Zusammenarbeit<br />
mit Peter Hübner, Leiter des SBB BahnUmwelt<br />
Centers, festgelegt (Tab. 2.4).<br />
2.5 Konsistenzanalyse: «...auf innere<br />
Widersprüche überprüft...»<br />
Jede Kombination der 12 Einflussfaktoren in ihren verschiedenen<br />
Ausprägungen bildet ein Szenario (siehe Abb. 2.1),<br />
ergibt jedoch nicht zwangsweise auch einen Sinn. In der<br />
Konsistenzanalyse wurden aus der Menge der mathematisch<br />
möglichen Szenarien (in unserem Fall rund 105’000) die<br />
widerspruchsfreien Szenarien ausgewählt.<br />
Ähnlich der Einflussmatrix wurde in einer Konsistenzmatrix<br />
die Verträglichkeit jeder Ausprägung mit allen <strong>and</strong>eren<br />
bewertet. Dabei wurde bedingende Abhängigkeit (2),<br />
160 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Szenarien: Bahn und Umwelt<br />
1 Zugkraft Ökologie<br />
2 Verkehrspolitik<br />
3 Umweltpolitik<br />
4 Konkurrenzdruck<br />
5 Harmonisierung<br />
6 Rentabilitätsentwicklung<br />
7 Unternehmensstruktur<br />
8 Eignerstrategie<br />
9 Umweltstrategien<br />
10 Entwicklung Infrastruktur<br />
11 Optimierung Rollmaterial<br />
12 Bahninnovationen<br />
13 Mobilitätsbedürfnis<br />
14 Personenverkehrsaufkommen<br />
15 Fahrplangestaltung<br />
16 Haltestellendichte<br />
17 Komfort/Kundenservice<br />
18 Preisentwicklung Personenverkehr<br />
19 Art und Menge produzierter Güter<br />
20 Beschaffungs-, Produktions-,<br />
Verteilungsverhalten<br />
21 Güterverkehrsaufkommen<br />
22 Transportdienstleistungen Güterverkehr<br />
23 Preisentwicklung Güterverkehr<br />
24 Marktanteil Güterverkehr<br />
25 Marktanteil Personenverkehr<br />
Abb. 2.3.1: System-Grid der Einflüsse erster Ordnung. Das Bild zeigt eine Anordnung der Einflussfaktoren nach Art und<br />
Stärke ihrer direkten Einflüsse aufein<strong>and</strong>er. Einflussfaktoren oberhalb der Diagonalen üben mehr Einflüsse auf <strong>and</strong>ere<br />
Faktoren aus, als sie Wirkungen durch <strong>and</strong>ere Grössen erfahren, unterhalb der Diagonalen ist es umgekehrt.<br />
Abb. 2.3.2: System-Graph der<br />
starken Einflüsse. Er zeigt die<br />
für die weiteren Betrachtungen<br />
ausgewählten Einflussfaktoren<br />
und die starken Einflüsse zwischen<br />
ihnen. Weiss mit einem<br />
grauen Schatten sind die in die<br />
Szenarioanalyse eingeflossenen<br />
Rahmenbedingungen gezeichnet.<br />
Dunkelgrau unterlegt<br />
sind Einflussfaktoren, die gänzlich<br />
von der SBB AG kontrolliert<br />
werden. Hellgrau sind<br />
Faktoren, deren Entwicklung<br />
die SBB AG nur partiell beeinflussen<br />
kann und weiss ohne<br />
Schatten sogenannte Indikatorvariablen.<br />
<strong>Die</strong>se bilden den<br />
wirtschaftlichen Erfolg der<br />
SBB AG ab und entziehen sich,<br />
wie auch die Rahmenbedingungen,<br />
einer direkten Beeinflussung<br />
durch die Bahn.<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 161
Szenarien: Bahn und Umwelt<br />
Tab. 2.4: <strong>Die</strong> Einflussfaktoren mit Definition und Ausprägungen. <strong>Die</strong> Hintergrundfarben entsprechen der Einteilung des<br />
System-Graphs (Abb. 2.3.2) in Rahmenbedingungen, teilweise und vollständig kontrollierbare Faktoren und Indikatorvariablen.<br />
<strong>Die</strong> Nummern in der ersten Spalte stimmen mit der Nummerierung der Einflussfaktoren im System-Grid (Abb. 2.3.1) überein.<br />
Einflussfaktor<br />
2 Verkehrspolitik umfasst politische<br />
Ziele im Verkehrsbereich, die daraus<br />
abgeleiteten fiskalischen Lenkungsmassnahmen<br />
sowie gesetzliche Normen,<br />
welche auf eine Beeinflussung<br />
des Verkehrsaufkommens abzielen.<br />
1 Zugkraft von Ökologie als Marketinginstrument<br />
beschreibt den Einfluss<br />
umweltbezogener Argumente auf die<br />
Transportmittelwahl im Personen- und<br />
im Güterverkehr.<br />
8 Unter Eignerstrategie werden die unternehmenspolitischen<br />
Ziele der Besitzer<br />
der Aktienmehrheit verst<strong>and</strong>en.<br />
7 Unternehmensstruktur und Strategische<br />
Allianzen umschreibt die Entwicklung<br />
der inneren Struktur der SBB AG<br />
sowie die Form der Kooperation mit<br />
Partnerunternehmen.<br />
5,<br />
12<br />
Harmonisierung beschreibt die Bestrebungen<br />
der europäischen Bahnunternehmen,<br />
die heute bestehenden<br />
Hindernisse für den open access zu<br />
beseitigen. Bahninnovationen sind<br />
technische Neuerungen, die zu diesem<br />
Zweck entwickelt und eingesetzt<br />
werden.<br />
9 Umweltstrategie beschreibt, welche<br />
Umweltziele (speziell in den Bereichen<br />
Lärmreduktion und Energieeffizienz)<br />
die SBB AG anstrebt und<br />
welche Investitionen sie tätigt, um<br />
diese zu erreichen.<br />
Ausprägungen<br />
- Lenkungsmassnahmen greifen nicht: Massnahmen zur Lenkung des<br />
Modalsplits zu Gunsten der Bahn (LSVA etc.) werden zwar getätigt, zeigen<br />
jedoch nicht die erwünschte Wirkung.<br />
- Lenkungsmassnahmen greifen: Es kommt zu einer Umlagerung des Verkehrs<br />
von der Strasse auf die Schiene.<br />
- Minim: Umweltbezogene Argumente haben weiterhin nur minimales<br />
Gewicht bei der Auswahl der Verkehrsmittel.<br />
- Hoch: Ein grosser Anteil der Bevölkerung entscheidet sich für eine ökologische<br />
Mobilität und ist auch bereit, dafür einen höheren Preis zu bezahlen.<br />
- Sicherung des ÖV Schweiz: <strong>Die</strong> SBB AG sieht ihr Hauptgeschäftsfeld<br />
wie bisher in der Sicherung des ÖV Schweiz. Eine Ausweitung in <strong>and</strong>ere<br />
Branchen ist untergeordnet.<br />
- Diversifikation: Mit dem Gang an die Börse gewinnt der Shareholder<br />
Value an Bedeutung. Hauptziel der SBB AG ist die Steigerung des<br />
Unternehmenswertes. Neue, gewinnversprechende Geschäftsfelder<br />
wie E-Business und Telekommunikation ergänzen zunehmend das<br />
klassische Transportgeschäft.<br />
- Holding bleibt bestehen: <strong>Die</strong> heutige Unternehmensstruktur (Güterverkehr,<br />
Personenverkehr und Infrastruktur unter dem «Dach» der SBB AG)<br />
wird beibehalten.<br />
- Selbständige Firmen: <strong>Die</strong> Bereiche Güterverkehr, Personenverkehr und<br />
Infrastruktur werden in eigenständige Aktiengesellschaften mit unterschiedlichen<br />
Partnern überführt.<br />
- «AG ÖV Schweiz»: Der Trend zur Trennung in immer kleinere Strukturen<br />
kehrt sich um: die SBB AG schliesst sich mit den schweizerischen<br />
Privatbahnen zu einer «AG ÖV Schweiz» zusammen.<br />
- Keine: Innovationen sind vorh<strong>and</strong>en, werden aber nicht genutzt. <strong>Die</strong><br />
heutigen Unterschiede in Betrieb und technischer Ausstattung der einzelnen<br />
nationalen Netze bleiben weitgehend bestehen.<br />
- Schweiz und Partner: Beim Zusammenschluss von Teilbereichen der<br />
SBB AG mit ausländischen Partnern werden technische Anpassungen<br />
getätigt.<br />
- Europaweit: Aus den nationalen Netzen wird ein europäisches Infrastruktursystem<br />
entwickelt. Dabei werden die Zugangsvoraussetzungen<br />
zu den Netzen (z.B. Trassenpreise, Betriebsinformatik, Sicherheitstechnik)<br />
vereinheitlicht und flächendeckend neue Technologien (Cargo-<br />
Sprinter, Automatische Kupplung, Horizontalumschlag etc.) eingeführt.<br />
- Einsparungen bei Umweltleistungen: Aus Kostengründen gibt die SBB<br />
AG die Energieproduktion in Wasserkraftwerken auf und bezieht ihre<br />
Energie vollständig aus dem liberalisierten Markt. <strong>Die</strong> Umweltmassnahmen<br />
beschränken sich auf die Erfüllung gesetzlicher Vorschriften.<br />
- Umsetzung der heutigen Strategie: Ökologie bleibt ein Unternehmensziel<br />
der SBB AG. <strong>Die</strong> heutigen Umweltziele und Massnahmenprogramme<br />
werden im vorgesehenen Zeit- und Finanzrahmen umgesetzt.<br />
- Leistungssteigerung im Umweltbereich: <strong>Die</strong> SBB AG versucht verstärkt,<br />
ihren Umweltvorteil zu einem Wettbewerbsvorteil zu machen und sich<br />
als nachhaltiges Unternehmen zu profilieren. <strong>Die</strong> bestehenden Umweltziele<br />
werden weiter ausgebaut und zusätzliche Mittel für Umweltmassnahmen<br />
gesprochen.<br />
Fortsetzung nächste Seite<br />
162 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Szenarien: Bahn und Umwelt<br />
Tab. 2.4: Fortsetzung.<br />
Einflussfaktor<br />
22 Transportdienstleistungen im Güterverkehr<br />
beschreibt Art und Qualität<br />
der durch die SBB angebotenen Transportdienstleistungen.<br />
18 Preisgestaltung im Personenverkehr<br />
bietet zwei Möglichkeiten, die Fahrpreise<br />
zu berechnen.<br />
15 Fahrplangestaltung beschreibt die Gestaltung<br />
der Taktabstände und der<br />
Anschlussbedingungen in den wichtigen<br />
Verkehrsknoten.<br />
4 Konkurrenzdruck beschreibt, wie erfolgreich<br />
<strong>and</strong>ere Verkehrssysteme<br />
(Strasse, Luft und Pipeline) die Bahn<br />
durch Angebotsqualität, Infrastruktur,<br />
ökologische Leistungen, Preise oder<br />
Werbung konkurrieren.<br />
25 Der Marktanteil der Bahn im Personenverkehr<br />
ist der auf der Schiene<br />
zurückgelegte Anteil des gesamten<br />
Personenverkehrs.<br />
24 Der Marktanteil der Bahn im Güterverkehr<br />
ist der auf der Schiene transportierte<br />
Anteil des gesamten Güterverkehrs.<br />
Ausprägungen<br />
- Klassische Bahngüter: <strong>Die</strong> SBB AG w<strong>and</strong>elt sich zwar vom Schienenverkehrsanbieter<br />
zu einem Logistikunternehmen, das integrale Transportdienstleistungen<br />
anbietet, konzentriert sich dabei allerdings weiterhin<br />
auf den Transport schwerer Massengüter.<br />
- Erschliessung neuer Gütersegmente: Neben Verbesserungen der Transportqualität<br />
(Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit v.a. im internationalen Güterverkehr)<br />
entwickelt die SBB AG neue Konzepte zum Transport von<br />
leichten Kleingütern und kann so ihr Kundenspektrum erweitern.<br />
- Globale Transportketten: <strong>Die</strong> SBB AG bietet den weltweiten Transport<br />
von Massen- und Spezialgütern an und bindet neben der Schiene auch<br />
Strasse, Schiff und Flugzeug in ihre Transportketten ein.<br />
- Nachfrageabhängig: Zu Stosszeiten gelten höhere Fahrpreise. In R<strong>and</strong>zeiten<br />
wird mit Sonderangeboten (z.B. «Gleis 7») eine bessere Auslastung<br />
angestrebt.<br />
- Angebotsabhängig: Der Fahrpreis hängt weitgehend von der zurückgelegten<br />
Distanz ab. Strecken, auf denen neue Infrastruktur amortisiert<br />
werden muss, werden nach höherem Kilometerpreis berechnet als<br />
Regionalstrecken.<br />
- Leistungsabbau: Der Fahrplan wird von einzelnen Bahngesellschaften<br />
allein aufgrund ihrer betrieblichen Gegebenheiten und mit dem Ziel<br />
einer optimalen Auslastung gestaltet. Für die Kunden ergibt sich dadurch<br />
eine Angebotsverschlechterung: Lange Umsteigezeiten durch<br />
fehlende Koordination erschweren die Reise.<br />
- S-Bahn Schweiz: Das Konzept der Bahn 2000 wird verwirklicht.<br />
- S-Bahn Europa: Das Konzept der Bahn 2000 wird auf ganz Europa ausgedehnt.<br />
Durch die Fahrplankoordination verbessern sich die Anschlussbedingungen<br />
im internationalen Verkehr; die Reisezeiten zwischen<br />
Metropolen verkürzen sich massiv.<br />
- Bleibt gleich im Güterverkehr, sinkt im Personenverkehr: Im Güterverkehr<br />
bleibt der Konkurrenzdruck unverändert. Im Personenverkehr wird<br />
der Konkurrenzdruck im Vergleich zu heute kleiner.<br />
- Steigt im Güterverkehr, bleibt gleich im Personenverkehr: Im Güterverkehr<br />
nimmt der Konkurrenzdruck zu. Im Personenverkehr bleibt der<br />
Konkurrenzdruck im Vergleich zu heute unverändert.<br />
- Steigt im Güterverkehr, steigt im Personenverkehr: Der Konkurrenzdruck<br />
nimmt sowohl im Güter- als auch im Personenverkehr im Vergleich zu<br />
heute zu.<br />
- Bleibt gleich: Bleibt auf dem heutigen Niveau von 14.8%.<br />
- Steigt mässig: Steigt um 20% des heutigen Marktanteils auf 17.7%.<br />
- Steigt stark: Steigt um 50% des heutigen Marktanteils auf 22.1%.<br />
- Sinkt: Sinkt um 20% des heutigen Marktanteils auf 32.2%.<br />
- Bleibt gleich: Bleibt auf dem heutigen Niveau von 40.3%.<br />
- Steigt: Steigt um 20% des heutigen Marktanteils auf 48.4%.<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 163
Szenarien: Bahn und Umwelt<br />
Unterstützung (1), Unabhängigkeit (0), Hemmung (-1) und<br />
Widerspruch (-2) zwischen je zwei Ausprägungen 1 unterschieden.<br />
Aus dieser Bewertung wurde für jedes Szenario ein Konsistenzwert<br />
errechnet. Wir wählten dabei die Methode der<br />
Multiplikation, wie sie von Hassler & Schärli (1996) vorgeschlagen<br />
wird. Hier werden die umkodierten Verträglichkeitszahlen<br />
eines Szenarios mitein<strong>and</strong>er multipliziert, was<br />
eine gute Differenzierung ermöglicht: Ein Szenario, dessen<br />
Ausprägungen unterein<strong>and</strong>er verträglich sind, erhält einen<br />
sehr hohen Konsistenzwert, während dieser bei allen Szenarien<br />
mit inneren Widersprüchen zu Null wird. In der<br />
Annahme, dass mit zunehmender Konsistenz auch die Realisierbarkeit<br />
der Szenarien steigt, wurden inkonsistente<br />
Szenarien aus der weiteren Bewertung ausgeschlossen und<br />
die übrigen in eine Reihenfolge gebracht.<br />
2.6 Szenarienauswahl: «...und in<br />
Szenarien gegossen.»<br />
Aus den konsistenten Szenarien haben wir argumentativ<br />
vier ausgewählt, welche relevante Aussagen zu unserer Fragestellung<br />
erlauben.<br />
Zuerst bestimmten wir ein Trendszenario, welches die<br />
Erwartungen der SBB AG für das Jahr 2015 widerspiegelt.<br />
Von diesem ausgehend definierten wir dann für die wirtschaftliche<br />
und für die ökologische Entwicklung der SBB<br />
AG jeweils erfolgreiche und erfolglose Szenarien.<br />
<strong>Die</strong> Relevanz für die betrachteten Planungsfragen besass<br />
für uns als Auswahlkriterium mehr Gewicht als die absoluten<br />
Konsistenzwerte der Szenarien. <strong>Die</strong> konsistentesten<br />
Szenarien waren sich ohnehin sehr ähnlich: Bis auf kleine<br />
Abweichungen zeigten sie alle das gleiche «Wunschszenario»<br />
einer positiven Entwicklung der SBB AG in den beiden<br />
betrachteten Dimensionen.<br />
Tab. 2.6: Übersicht der ausgewählten Szenarien. Für jedes Szenario sind die jeweiligen Ausprägungen der Einflussfaktoren<br />
angegeben. <strong>Die</strong> Hintergrundfarben entsprechen auch hier der Einteilung des System-Graphs (Abb. 2.3.2) in Rahmenbedingungen,<br />
teilweise und vollständig kontrollierbare Faktoren und Indikatorvariablen.<br />
Kurzbeschrieb<br />
Verkehrspolitik<br />
Trend<br />
<strong>Die</strong> SBB AG verfolgt<br />
weiterhin ihre bisherige<br />
Geschäftsund<br />
Umweltstrategie.<br />
Lenkungsmassnahmen<br />
greifen<br />
Erfolg dank<br />
Ökologie<br />
Durch eine klare ökologische<br />
Position am<br />
Markt sichert sich die<br />
SBB AG langfristigen<br />
Erfolg.<br />
Lenkungsmassnahmen<br />
greifen<br />
Gewinnmaximierung<br />
Kurzfristige Gewinnmaximierung<br />
hat für<br />
die SBB-Group oberste<br />
Priorität.<br />
Lenkungsmassnahmen<br />
greifen<br />
Misere<br />
Durch ihre passive<br />
Haltung versäumt die<br />
SBB AG, sich den<br />
neuen Gegebenheiten<br />
anzupassen.<br />
Lenkungsmassnahmen<br />
greifen nicht<br />
Zugkraft Ökologie Minim Hoch Hoch Minim<br />
Eignerstrategie Sicherung des ÖV Diversifikation Diversifikation Sicherung des ÖV<br />
Schweiz<br />
Schweiz<br />
Umweltstrategie<br />
Unternehmensstruktur<br />
Harmonisierung &<br />
Innovationen<br />
Transportdienstleistungen<br />
im GV<br />
Holding bleibt<br />
bestehen<br />
Holding bleibt<br />
bestehen<br />
Selbständige Firmen<br />
Schweiz und Partner Europaweit Schweiz und Partner Keine<br />
Umsetzung der<br />
heutigen Strategie<br />
Einschliessung neuer<br />
Gütersegmente<br />
Leistungssteigerung<br />
im Umweltbereich<br />
Globale Transportketten<br />
Einsparungen bei<br />
Umweltleistungen<br />
Globale Transportketten<br />
Holding bleibt<br />
bestehen<br />
Umsetzung der<br />
heutigen Strategie<br />
Klassische Bahngüter<br />
Fahrplangestaltung S-Bahn Schweiz S-Bahn Schweiz Leistungsabbau Leistungsabbau<br />
Konkurrenzdruck Steigt im GV, bleibt<br />
gleich im PV<br />
Bleibt gleich im GV,<br />
sinkt im PV<br />
Bleibt gleich im GV,<br />
sinkt im PV<br />
Steigt im GV, steigt<br />
im PV<br />
Marktanteil PV Steigt mässig Steigt stark Steigt mässig Bleibt gleich<br />
Marktanteil GV Bleibt gleich Steigt Steigt Sinkt<br />
1 Über die Verträglichkeit der Ausprägungen des Einflussfaktors «Preisgestaltung im Personenverkehr» mit den Ausprägungen <strong>and</strong>erer Einflussfaktoren<br />
konnten keine stichhaltigen Aussagen gemacht werden. Deshalb liessen wir diesen Faktor bei den weiteren Schritten unberücksichtigt.<br />
164 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Szenarien: Bahn und Umwelt<br />
Das Szenario Gewinnmaximierung weist in sich zwar<br />
keinen Widerspruch auf, besitzt aber einen deutlich tieferen<br />
Konsistenzwert als die <strong>and</strong>eren drei Szenarien. Wir haben<br />
hier bewusst ein Szenario ausgewählt, in dem die SBB AG<br />
finanziellen Gewinn allen <strong>and</strong>eren Aspekten des Unternehmenserfolgs<br />
vorzieht und dabei sogar die Entwicklung der<br />
gesellschaftlichen Bedürfnisse ignoriert.<br />
Begreift man die Szenarioanalyse als Instrument der strategischen<br />
Planung, dann hat auch ein weniger konsistentes<br />
Szenario seine Berechtigung: Es könnte tatsächlich eintreten.<br />
Ein Beispiel für die Inkonsistenz komplexer Entscheidungen<br />
ist die aktuelle schweizerische Verkehrspolitik: Auf<br />
der einen Seite versucht der Bundesrat, durch FinöV, LSVA<br />
und <strong>and</strong>ere Instrumente den Verkehr von der Strasse auf die<br />
Schiene zu lenken, gleichzeitig billigen National- und Ständerat<br />
den Ausbau des Strassennetzes (z.B. Tages-Anzeiger,<br />
2000c).<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 165
Szenarien: Bahn und Umwelt<br />
3 Vier Szenarien in Wort und Bild<br />
In einem letzten Schritt wurden die vier ausgewählten Szenarien<br />
ausformuliert. <strong>Die</strong>se Beschreibungen vermitteln ein<br />
anschauliches Gesamtbild der Szenarien. Obwohl die Szenarioanalyse<br />
selbst keine Angaben zum Weg und zu den<br />
Entwicklungen macht, die vom heutigen Zust<strong>and</strong> zu einem<br />
Szenario in 2015 führen, werden hier auch mögliche Gründe<br />
und Ereignisse im Umfeld beschrieben.<br />
3.1 Trend<br />
Im Trendszenario verfolgt die SBB AG weiterhin ihre bisherige<br />
Umwelt- und Geschäftsstrategie. Auch das Umfeld<br />
der verkehrspolitischen Massnahmen und der Transportmärkte<br />
entwickelt sich gemäss den heutigen Tendenzen.<br />
Rahmenbedingungen<br />
Das Umweltwissen in der Gesellschaft ist in den letzten<br />
Jahren angestiegen. Umweltanliegen haben aufgrund von<br />
immer deutlicheren Anzeichen einer Klimaveränderung an<br />
Bedeutung gewonnen. Dennoch überwiegen praktische Argumente<br />
weiterhin bei der Transportmittelwahl: Ökologie<br />
alleine rechtfertigt keine Einbusse an Komfort oder Zeit,<br />
und schon gar nicht einen höheren Preis.<br />
Abb. 3.1: Szenario Trend. <strong>Die</strong> im Jahre 2000 beschlossenen<br />
Strategien und Projekte der SBB wurden umgesetzt. <strong>Die</strong> SBB<br />
wurde erfolgreich von einem Staatsbetrieb in eine unternehmerische<br />
Aktiengesellschaft umgew<strong>and</strong>elt. <strong>Die</strong> erste Etappe<br />
der Bahn 2000 sowie der Gotthard-Basistunnel stehen in<br />
Betrieb (Bild: Strassmann et al., 2001 2 ).<br />
<strong>Die</strong> vom Bund angestrebte Verlagerung des Verkehrs von<br />
der Strasse auf die Schiene wurde durch die finanziellen<br />
Lenkungsmassnahmen nicht vollständig erreicht. Eine konsequente<br />
Internalisierung der externen Kosten im Verkehrsbereich<br />
bleibt als langfristiges Ziel auf der politischen Trakt<strong>and</strong>enliste.<br />
<strong>Die</strong> LSVA war ein erster Schritt in diese Richtung.<br />
Unternehmen SBB<br />
<strong>Die</strong> kurz vor der Jahrtausendwende durch die Bahnreform<br />
geschaffene Holdingstruktur der SBB AG ist bestehen geblieben;<br />
die dadurch errungene unternehmerische Freiheit<br />
hat sich als vorteilhaft herausgestellt. <strong>Die</strong> SBB AG tritt als<br />
«gewöhnliche Unternehmung mit kritischen Geldgebern»<br />
auf und hat in den letzten Jahren ihre Geschäftsfelder zu<br />
E-business und Telekommunikation und somit auch ihren<br />
Aktionsradius ausgeweitet (Walter Moser, Stv. Generalsekretär<br />
SBB AG, persönliche Aussage, 8. Juni 2000). Mit<br />
ihrem fundierten Wissen über operative Betriebsführung ist<br />
die SBB AG auch als Consulting-Unternehmen im aussereuropäischen<br />
Raum tätig.<br />
Trotzdem sind Transportdienstleistungen das zentrale Geschäftsfeld<br />
der SBB AG geblieben, die Sicherung des öffentlichen<br />
Verkehrs in der Schweiz weiterhin eines ihrer<br />
wichtigsten Ziele. <strong>Die</strong> SBB AG ist allerdings ein umfassender<br />
Mobilitätsanbieter geworden und hat auch die engen<br />
Grenzen der Schweiz hinter sich gelassen. <strong>Die</strong> Allianz mit<br />
der DB und den ÖBB im Jahre 2000, u.a. zur gemeinsamen<br />
Beschaffung von Rollmaterial und effizienteren Abwicklung<br />
des grenzüberschreitenden Verkehrs, war ein durchschlagender<br />
Erfolg: <strong>Die</strong> wichtigsten Städte im Umfeld der<br />
Schweiz sind heute bequem ohne Wartezeiten und Umsteigen<br />
erreichbar. Dadurch stellen die Bahnen eine harte Konkurrenz<br />
für den innereuropäischen Nahflugverkehr dar. Um<br />
ihre Wettbewerbsfähigkeit noch mehr zu steigern, sind die<br />
SBB weitere Allianzen mit <strong>and</strong>eren europäischen Bahnen<br />
eingegangen. Der Marktanteil im Personenverkehr ist wegen<br />
des umfassenden und flächendeckenden Angebots stetig<br />
gewachsen; dank dem attraktiven und gut abgestimmten<br />
grenzüberschreitenden Nahverkehr sind in den letzten Jahren<br />
sogar viele Grenzgänger auf die Bahn umgestiegen. Das<br />
in der Fertigstellung begriffene Netz S-Bahn Schweiz wird<br />
alle wichtigen Zentren der Schweiz im Halbstundentakt<br />
verbinden.<br />
Im Güterverkehr konnte der Marktanteil dank erheblicher<br />
Anpassungsleistungen an die Kundenbedürfnisse gehalten<br />
werden. Gute Kundendienstleistungen werden in diesem<br />
Bereich immer wichtiger. Ein Umbau der bestehenden Wagen<br />
ermöglicht den Transport heiklerer Güter wie Elektronik<br />
oder Tiefkühlprodukte. <strong>Die</strong> SBB AG w<strong>and</strong>elt sich im<br />
Güterbereich immer mehr in Richtung eines Gesamttransport-<br />
oder Logistikunternehmens.<br />
2 Im Anschluss an die <strong>Fallstudie</strong> 2000 haben wir eine ca. achtminütige Multimedia-Präsentation zur Illustration unserer Ergebnisse erstellt (Strassmann et<br />
al., 2001). Als Erweiterung zur beschreibenden Darstellung wird in den «Szenarien für die Zukunft der SBB AG» ein visuell und akustisch orientierter<br />
Zugang zu den vier Szenarien geboten. Weitere Informationen sind erhältlich bei: Umweltnatur- und Umweltsozialwissenschaften (<strong>UNS</strong>), <strong>ETH</strong> Zürich,<br />
<strong>Fallstudie</strong>nbüro, <strong>ETH</strong> Zentrum HAD, CH-8092 Zürich.<br />
166 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Szenarien: Bahn und Umwelt<br />
Investitionen bzw. Verbesserungen im Umweltbereich<br />
werden weiterhin dort getätigt, wo sie gesetzlich vorgeschrieben<br />
sind oder betriebswirtschaftliche Vorteile mit sich<br />
bringen; beispielsweise im Zuge der Effizienzsteigerung<br />
durch Einführung neuer Technologien. <strong>Die</strong> Umweltstrategien<br />
der SBB AG sind nicht in der Unternehmensplanung<br />
integriert. <strong>Die</strong> Bahn unternimmt auch keine speziellen Anstrengungen,<br />
ihren Umweltvorteil gegenüber <strong>and</strong>eren Verkehrssystemen<br />
nach aussen zu kommunizieren und ihn dadurch<br />
aktiv als Wettbewerbsvorteil zu nutzen.<br />
Gesellschaft für Umweltfragen sensibilisiert. Ökologisches<br />
Verhalten nimmt in den Augen der Allgemeinheit einen<br />
immer grösseren Stellenwert ein. Es gilt nicht mehr als<br />
Belastung, sondern als Teil einer neuen Lebensqualität.<br />
Neben diesem eher langsamen Prozess haben die Lenkungsmassnahmen<br />
des Bundes entscheidenden Einfluss auf<br />
die Verkehrsentwicklung: <strong>Die</strong> im Jahre 2001 eingeführte<br />
LSVA sowie hohe Benzin- und Vignettenpreise führten zu<br />
einer weitgehenden Kostenwahrheit im Verkehr und trugen<br />
somit zu einer Ökologisierung des Marktes bei.<br />
3.2 Erfolg dank Ökologie<br />
Das Szenario Erfolg dank Ökologie verbindet wirtschaftlichen<br />
Erfolg mit ökologischer Qualität. <strong>Die</strong> SBB AG verbessert<br />
gegenüber dem Trendszenario ihre Angebotsgestaltung<br />
und sucht neue Partnerschaften auch ausserhalb des Bahnbereichs.<br />
Augenfällig ist die klare Ausrichtung der Unternehmensstrategie<br />
auf eine nachhaltige Entwicklung und die<br />
Erhöhung der Umweltinvestitionen.<br />
Rahmenbedingungen<br />
Eine Häufung von extremen Naturereignissen in den letzten<br />
Jahren, die Information der Öffentlichkeit über die Gefährdung<br />
der Umwelt und die politischen Debatten um die<br />
Einführung eines ökologischen Steuersystems haben die<br />
Abb. 3.2: Szenario Erfolg dank Ökologie. <strong>Die</strong> SBB AG<br />
profiliert sich als ein innovatives Unternehmen mit erfolgreicher<br />
Zukunft. Ökologisches Denken und ökoeffizentes H<strong>and</strong>eln<br />
sind wichtige Best<strong>and</strong>teile der Unternehmensphilosophie.<br />
Mehrere extreme Naturereignisse führten zu einem<br />
allgemeinen Gesinnungsw<strong>and</strong>el zugunsten der Ökologie,<br />
welcher sich auch bei der Bahn niederschlägt. <strong>Die</strong> SBB AG<br />
zeichnet sich durch fortschrittliches und längerfristiges Denken<br />
aus (Bild: Strassmann et al., 2001).<br />
Unternehmen SBB<br />
Der Transport bleibt weiterhin das Kerngeschäft der SBB<br />
AG. Durch Beteiligungen in neuen, gewinnbringenden<br />
Märkten, beispielsweise im Telekommunikationsbereich,<br />
wird der wirtschaftliche Erfolg des Gesamtkonzerns gesteigert;<br />
das Stammhaus kann sich weiterhin seiner volkswirtschaftlich<br />
sinnvollen Aufgabe als Anbieter von Transportdienstleistungen<br />
widmen.<br />
<strong>Die</strong>se Aufgabe nimmt die SBB AG mitsamt der damit<br />
einhergehenden Verantwortung für eine langfristige Entwicklung<br />
wahr und setzt dabei bewusst auf den ökologischen<br />
Wert ihrer Leistungen. Der hohe Marketingwert einer<br />
guten ökologischen Performance wird auf strategischer<br />
Ebene wahrgenommen. Das SBB-Management verfolgt<br />
konsequent eine vorbildliche Umweltstrategie und nimmt<br />
auch im Markt klar eine ökologische Position ein. Durch<br />
laufende technische Innovationen kann u.a. die Energieeffizienz<br />
des gesamten Systems Schiene (Antrieb, Klimatisierung,<br />
Signalübertragung, Unterhalt der stationären Anlagen<br />
etc.) verbessert werden. <strong>Die</strong> Lärmschutzstrategie aus dem<br />
Jahre 2000 wurde vollständig umgesetzt und eine Zertifizierung<br />
nach ISO 14001 (bzw. nach den Folgenormen im Jahre<br />
2015) in die Wege geleitet. Ausserdem ist die SBB AG aktiv<br />
an der Ausarbeitung europäischer Umweltst<strong>and</strong>ards beteiligt.<br />
Als Anbieterin von Gesamttransportdienstleistungen<br />
schliesst sich die SBB nicht nur mit <strong>and</strong>eren europäischen<br />
Bahngesellschaften, sondern auch mit regionalen Strassenund<br />
interkontinentalen Wasser- und Luftfrachtunternehmen<br />
zu einem Netzwerk zusammen, um bei jedem Transportauftrag<br />
eine kundenfreundliche, ökologisch optimale und möglichst<br />
günstige Lösung finden zu können.<br />
Im Personenverkehr wird ein europaweit einheitliches<br />
Konzept angestrebt, mit regionalen S-Bahn-ähnlichen Systemen<br />
(viele Linien in Netzstruktur, dichter Taktfahrplan,<br />
etc.) und schnellen Fernverkehrsverbindungen zwischen ihnen.<br />
<strong>Die</strong> Schweiz selbst besitzt sechs solche Knotenpunkte<br />
(Zürich, Bern, Innerschweiz, Basel, Genf, Tessin, die letzten<br />
drei als grenzüberschreitende regionale Verkehrssysteme),<br />
die durch ein Taktsystem mit den nächsten ausländischen<br />
Zentren (Paris, Lyon, Frankfurt, München, Innsbruck, Milano,<br />
Torino, etc.) verbunden sind.<br />
<strong>Die</strong> Zusammenarbeit mit Anbietern der <strong>and</strong>eren Verkehrssysteme<br />
und die dadurch entst<strong>and</strong>ene optimale Aufgabenverteilung<br />
erlaubt es den Bahnen, einen Teil der heutigen<br />
Konkurrenz im Güterverkehr kooperativ einzubinden und<br />
so insgesamt einen deutlich höheren Marktanteil zu erreichen.<br />
Durch nicht assoziierte Transportunternehmen besteht<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 167
Szenarien: Bahn und Umwelt<br />
jedoch immer noch ein Konkurrenzdruck, der mit dem<br />
heutigen vergleichbar ist. Das attraktive Personenverkehrsangebot,<br />
zusammen mit dem ökologischen Vorteil der Bahn,<br />
motiviert viele Benutzer und Benutzerinnen des motorisierten<br />
Individualverkehrs und der innereuropäischen Luftfahrt<br />
zum Umstieg. In diesem Bereich erzielt die SBB AG einen<br />
markanten Zuwachs ihres Marktanteils.<br />
3.3 Gewinnmaximierung<br />
Im Szenario Gewinnmaximierung steht für die SBB AG der<br />
finanzielle Gewinn im Vordergrund. Sie konzentriert sich<br />
auf rentable Geschäftsfelder, in denen sie wie im Szenario<br />
Erfolg dank Ökologie führend bleibt. Bei den Umweltmassnahmen,<br />
der Versorgung von R<strong>and</strong>regionen und den Elektrizitätswerken<br />
findet dagegen ein Leistungsabbau statt.<br />
Rahmenbedingungen<br />
<strong>Die</strong> Ökologie spielt in der Gesellschaft eine immer wichtigere<br />
Rolle, was sich auch im Kaufverhalten der Bevölkerung<br />
widerspiegelt.<br />
Auch die schweizerische Verkehrspolitik zielt auf Nachhaltigkeit:<br />
In ihrem Rahmen werden Lenkungsmassnahmen<br />
zugunsten der Schiene durchgesetzt. <strong>Die</strong> SBB-Group gerät<br />
wegen ihrer Politik der Gewinnmaximierung ohne Rücksicht<br />
auf ökologische und soziale Aspekte immer häufiger<br />
unter Kritik.<br />
Abb. 3.3: Szenario Gewinnmaximierung. <strong>Die</strong> SBB-Teilfirmen<br />
sind durch kurzfristiges, profitorientiertes H<strong>and</strong>eln<br />
charakterisiert. Gewinnmaximierung hat erste Priorität.<br />
Durch Konzentration auf die finanziell interessanten Geschäfte<br />
und Ausweitung auf neue boomende Märkte ist die<br />
SBB-Group wirtschaftlich erfolgreich. Ökologie hat innerhalb<br />
der Bahnunternehmen einen geringen Stellenwert und<br />
wird auch nicht als Werbeinstrument genutzt (Bild: Strassmann<br />
et al., 2001).<br />
Unternehmen SBB<br />
In diesem Jahr feiern die SBB-Unternehmen wieder neue<br />
Gewinnrekorde. <strong>Die</strong> Aufspaltung der SBB AG in separate<br />
Firmen für Güterverkehr, Personenverkehr und Infrastruktur<br />
schlägt sich auch in der Unternehmensbilanz positiv<br />
nieder. SBB-Aktien werden an der Börse geh<strong>and</strong>elt: Der<br />
Bund hat seine Mehrheitsbeteiligung schon vor Jahren zu<br />
Gunsten von Privaten aufgegeben. In den letzten Jahren<br />
wurden unprofitable Nebenzweige der SBB-Teilfirmen abgebaut.<br />
Zusätzlich zu E-Business und Telekommunikation<br />
hat die SBB-Group neue, erfolgversprechende Märkte erschlossen.<br />
Durch Mehrheitsbeteiligungen an Unternehmen<br />
sichert sie auch hier ihre Einflussmöglichkeiten.<br />
Das Kerngeschäft, der Betrieb eines qualitativ hochstehenden<br />
Schienentransportangebotes für Personen und Güter,<br />
wird grenzüberschreitend ausgebaut. Das vorh<strong>and</strong>ene<br />
Wissen über die operative Betriebsführung wird ausgenützt,<br />
um im europaweiten Know-How-Transfer eine führende<br />
Rolle zu übernehmen. Globale Transportketten laufen dank<br />
Kooperation mit <strong>and</strong>eren Bahngesellschaften, Reedereien<br />
und sonstigen Transportunternehmen reibungslos ab.<br />
<strong>Die</strong> SBB Personenverkehr AG ging eine mitteleuropäische<br />
Allianz mit Bahngesellschaften von Deutschl<strong>and</strong>, Italien,<br />
Frankreich und Österreich ein. Dadurch wurde die Bahn<br />
gegenüber dem Flugverkehr im Mittelstreckenbereich konkurrenzfähig.<br />
In Mitteleuropa werden auch Sicherheitssysteme<br />
und Infrastruktur aufein<strong>and</strong>er abgestimmt. Innerhalb<br />
der Schweiz fördert die SBB Personenverkehr AG die gewinnbringenden<br />
Intercity-Verbindungen und S-Bahn-Netze;<br />
sie schliesst hingegen unprofitable R<strong>and</strong>strecken oder<br />
verkauft sie an <strong>and</strong>ere Unternehmen.<br />
<strong>Die</strong> SBB-Group hat ihre Elektrizitätswerke verkauft und<br />
bezieht nun den billigsten Strom aus dem liberalisierten<br />
europäischen Strommarkt. Statt des früheren, grösstenteils<br />
auf Wasserkraft basierenden SBB-Strommixes verwendet<br />
die Bahn nun Strom aus dem UCPTE-Mix mit hohen Anteilen<br />
an fossiler und nuklearer Energie. Im Lärmbereich konnten<br />
die gesetzlich geforderten Grenzwerte eingehalten werden.<br />
Da diese auch in <strong>and</strong>eren Bereichen nicht überschritten<br />
werden, sind weitere Investitionen in den Umweltschutz<br />
nicht vorgesehen. <strong>Die</strong> ökologischen Vorteile der Bahn werden<br />
nicht kommuniziert, während die Strasse ihr ökologisches<br />
Potenzial immer weiter ausschöpft.<br />
Neben den gewinnbringenden Geschäften konnten die<br />
SBB-Teilfirmen dank den Lenkungsmassnahmen von einer<br />
Umlagerung des Verkehrs auf die Schiene profitieren. Trotz<br />
dieser positiven Entwicklung steigt der Marktanteil im Personenverkehr<br />
nur mässig. <strong>Die</strong> SBB Güterverkehr AG kann<br />
ihren Anteil kontinuierlich steigern.<br />
3.4 Misere<br />
Das passive Verharren in alten Märkten und Strukturen führt<br />
die SBB in eine fatale Abwärtsspirale. Im Gegensatz zu den<br />
<strong>and</strong>eren Szenarien hat die SBB in dieser «worst-case-Situation»<br />
versäumt, sich den neuen Kundenbedürfnissen anzupassen.<br />
Der negative Einfluss des unzureichenden Angebots<br />
wird durch das Scheitern der verkehrspolitischen Massnahmen<br />
zugunsten der Bahn zusätzlich verstärkt.<br />
168 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Szenarien: Bahn und Umwelt<br />
Abb. 3.4: Szenario Misere. Trotz neuer Firmenstruktur hat<br />
die SBB ihre unternehmerische Freiheit nicht optimal ausgenutzt.<br />
<strong>Die</strong> Firmenstrategie ist geprägt von Misstrauen gegenüber<br />
Innovationen und einem Verharren in alten Märkten.<br />
<strong>Die</strong> SBB ist weiterhin vorrangig auf die Schweiz ausgerichtet<br />
und hat es versäumt, sich den neuen Gegebenheiten<br />
anzupassen (Bild: Strassmann et al., 2001).<br />
Rahmenbedingungen<br />
<strong>Die</strong> Bedeutung von Ökologie in Entscheidungssituationen<br />
ist marginal. Unsachlich argumentierende Interessenvertreter<br />
für die Umwelt und das Ausbleiben der prognostizierten<br />
Katastrophen haben dem Thema Brisanz und Glaubwürdigkeit<br />
genommen.<br />
<strong>Die</strong> verkehrspolitischen Massnahmen des Bundes sind<br />
zwar alle in Kraft, können ihre Wirkung aber mangels<br />
Rückhaltes in der Gesellschaft nicht entfalten. Der Kapazitätsausbau<br />
im Rahmen der NEAT und der Bahn 2000 sowie<br />
die LSVA hat nicht zur gewünschten Verlagerung des Verkehrs<br />
von der Strasse auf die Schiene geführt.<br />
Unternehmen SBB<br />
Trotz der Unternehmensreform hat die SBB immer noch die<br />
Attribute des «alten Staatsbetriebs». Sie ist wenig flexibel<br />
und macht von ihrer unternehmerischen Freiheit nicht genügend<br />
Gebrauch. <strong>Die</strong> Reorganisation (Ausrichtung auf<br />
Marktfähigkeit, unabhängiges Management) ist zwar formal<br />
erfolgt, «in den Köpfen» hat die Umstellung aber nicht<br />
stattgefunden. <strong>Die</strong> erhoffte Entwicklung hin zu einem dynamischen,<br />
eigenständigen und kundenorientierten Unternehmen<br />
setzt nur langsam ein.<br />
<strong>Die</strong> SBB hat zwar ihre <strong>Die</strong>nstleistungen für die Güterkunden<br />
ausgebaut, setzt aber nach wie vor auf klassische bahnaffine<br />
Güter und Langstreckentransporte. <strong>Die</strong>s hat zur Folge,<br />
dass die Bahn für viele Unternehmen keine Alternative<br />
zum Strassentransport darstellt. Der Marktanteil im Bereich<br />
der bahnaffinen Güter konnte zwar gehalten werden; in den<br />
Bereichen allerdings, in denen ein grosses Wachstum des<br />
Güterumsatzes zu verzeichnen ist (z.B. Kommunikationselektronik),<br />
steht die SBB auf dem Abstellgleis. Der gesamte<br />
Marktanteil der SBB im Güterverkehr sinkt kontinuierlich.<br />
Im Personenverkehr ist die SBB auf die Schweiz fokussiert<br />
geblieben. Im grenzüberschreitenden Verkehr hat sie es<br />
nicht geschafft, mit Partnerbahnen ein attraktives Angebot<br />
aufzubauen. <strong>Die</strong> Konkurrenz <strong>and</strong>erer Anbieter auf dem<br />
Schweizer Netz zwingt die SBB, ihr Angebot stärker an<br />
betrieblichen Gegebenheiten auszurichten: Der service<br />
public hat nicht mehr erste Priorität. Unprofitable Strecken<br />
werden abgestossen und nur zum Teil durch Buslinien ersetzt.<br />
Im Zuge dessen erodiert das öffentliche Netz an der<br />
Peripherie. Mit der Zeit sind auch Zubringerstrecken zu<br />
Intercity-Achsen betroffen. Der Leistungsabbau beeinträchtigt<br />
das Image der SBB: <strong>Die</strong> Passagierzahlen zeigen eine<br />
rückläufige Tendenz. Im Bereich der Städteverbindungen<br />
(Intercity) und der Linien innerhalb der wirtschaftlichen<br />
Zentren (S-Bahnen) hat sich nicht viel verändert: <strong>Die</strong> neu<br />
eingeführten Verbindungen sind gut, aber nicht optimal<br />
ausgelastet. Der Marktanteil im Personenverkehr konnte<br />
insgesamt gehalten werden.<br />
Bezüglich der Umweltverträglichkeit vertrauen die SBB<br />
auf den «ewigen» Vorteil der Bahn. <strong>Die</strong>ser wird als selbstverständlich<br />
und allgemein bekannt erachtet. Daher werden<br />
die Umweltleistungen weder ausgebaut noch entsprechend<br />
kommuniziert. Das Thema Umwelt hat es nicht geschafft,<br />
bis auf die Ebene der strategischen Unternehmensplanung<br />
vorzudringen. <strong>Die</strong> Anstrengungen der SBB beschränken<br />
sich konsequenterweise auf das Einhalten der gesetzlichen<br />
Rahmenbedingungen. Investitionen, die darüber hinausgehen<br />
oder eine Selbstverpflichtung zur Verbesserung der<br />
Umweltleistungen im Sinne eines Umweltmanagementsystems<br />
sind nicht geplant.<br />
3.5 Gegenüberstellung der Szenarien<br />
Das Szenario Trend ist gekennzeichnet durch einen verhaltenen<br />
Erfolg des Unternehmens SBB AG. <strong>Die</strong>ses positive<br />
Ergebnis kommt vor allem durch die Gewinne beim<br />
Güterverkehr zust<strong>and</strong>e. Hier f<strong>and</strong>en zwar keine aussergewöhnlichen<br />
Veränderungen statt, die SBB hat aber kontinuierlich<br />
neue Gütersegmente erschlossen. <strong>Die</strong> durch die<br />
Bahnreform begonnene Erneuerung der SBB bewährt sich<br />
auch im Jahr 2015.<br />
<strong>Die</strong> SBB AG ist im Szenario Erfolg dank Ökologie ein<br />
starkes Unternehmen mit einer vielversprechenden Zukunft.<br />
Als Effekt der Ausweitung des S-Bahn-Konzepts auf die<br />
ganze Schweiz und der guten Verknüpfungen zu den europäischen<br />
Metropolen floriert der Personenverkehr. Im Güterverkehr<br />
kann die SBB AG ihre Marktpräsenz als Anbieterin<br />
ganzer Transportketten erheblich verbessern.<br />
Am Szenario Gewinnmaximierung sehen wir, dass wirtschaftlicher<br />
Erfolg auch ohne ökologische Investitionen<br />
möglich ist. <strong>Die</strong> SBB AG findet in der Konzentration auf<br />
rentable Geschäftsfelder zum Erfolg. Sie setzt allerdings<br />
ihren Umweltvorteil und damit einen ihrer wichtigsten<br />
Wettbewerbsvorteile aufs Spiel. Eine zu starke Konzentration<br />
auf bestimmte Geschäftsfelder kann langfristig auch eine<br />
Einschränkung bedeuten: Das Unternehmen verliert da-<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 169
Szenarien: Bahn und Umwelt<br />
4 Schmilzt der ökologische<br />
Vorsprung der Schiene?<br />
Mit dem Faktor Umweltstrategie bildeten wir in den Szenarien<br />
das unternehmerische Engagement der SBB AG im<br />
Bereich der Ökologie ab. <strong>Die</strong> Umweltleistung eines Unternehmens<br />
wird aber nicht an guten Vorsätzen, sondern anh<strong>and</strong><br />
seiner effektiven Umweltauswirkungen gemessen<br />
(Caduff, 1998). Bei der SBB AG fällt der grösste Teil der<br />
Umweltbelastungen im Verkehrsbetrieb an (SBB AG,<br />
2000d). In einem separaten Bewertungsschritt haben wir<br />
deshalb versucht, die Umweltauswirkungen des Schienenverkehrs<br />
in den vier Szenarien abzuschätzen und mit entsprechenden<br />
Werten zur Strasse zu vergleichen.<br />
Abb. 3.5: Eine Anordnung der Szenarien im Spannungsfeld<br />
zwischen Ökologie und Ökonomie (Grafik: Strassmann et<br />
al., 2001).<br />
durch seine Flexibilität, rechtzeitig auf Veränderungen des<br />
Marktes reagieren zu können.<br />
Im Szenario Misere fehlt der SBB AG der Mut zu neuen<br />
Lösungen. <strong>Die</strong>se Haltung ist gerade im Bereich Güterverkehr,<br />
der für den Gewinn entscheidend ist, fatal. <strong>Die</strong> Bahn<br />
wird von den Strassentransporteuren an vielen Marktsegmenten<br />
verdrängt und fristet ein Nischendasein als Anbieterin<br />
von Langstreckentransporten für schwere Massengüter.<br />
Für die Umwelt ist nur im Szenario Erfolg dank Ökologie<br />
ein deutlicher Gewinn zu erwarten. <strong>Die</strong> SBB AG erkennt in<br />
diesem Szenario den Wert einer guten Umweltleistung für<br />
die langfristige Entwicklung des Unternehmens und bezieht<br />
deshalb Umweltaspekte auf höchster Ebene in ihre Geschäftsstrategie<br />
ein.<br />
4.1 Vorgehen bei der ökologischen<br />
Bewertung<br />
Szenario-Ansatz<br />
Erst die Entwicklung der Konkurrenzsituation mit der Strasse<br />
bestimmt die Position der Bahn im ökologischen Wettbewerb.<br />
Deshalb verwenden wir auch in der ökologischen<br />
Bewertung den Ansatz der Szenario-Technik und stellen den<br />
Emissionen des Schienenverkehrs zwei verschiedene Emissionsniveaus<br />
der Strasse gegenüber.<br />
Obwohl wir uns bei der Bestimmung der Emissionen auf<br />
eine Reihe von wissenschaftlichen Berichten abstützen<br />
konnten (Quellen siehe Kasten 4.1), erheben wir nicht den<br />
Anspruch, exakte Prognosen aufzustellen (dies wäre in der<br />
zur Verfügung stehenden Zeit ohnehin nicht möglich gewesen).<br />
Vielmehr sind auch die Ergebnisse dieser Berechnungen<br />
als Planungshilfe, als eine Ergänzung der Szenarioanalyse<br />
zu betrachten.<br />
Vorgehen und Methoden<br />
Als Kenngrössen für die Umweltbelastung dienten der spezifische<br />
Energieverbrauch, Treibhauspotenzial in Form von<br />
freigesetzten Kohlendioxid-Äquivalenten, Stickoxide,<br />
nicht-methanogene Kohlenwasserstoffe (NMHC), Partikel,<br />
Lärm und Flächenverbrauch durch die Infrastruktur. Aufgrund<br />
der unsicheren Datenlage konnte jedoch nur für Energieverbrauch,<br />
Treibhauspotenzial und Stickoxide eine vollständige<br />
Berechnung durchgeführt werden.<br />
<strong>Die</strong> Verkehrsentwicklung bis 2015 haben wir aus verschiedenen<br />
einschlägigen Studien zusammengestellt (Quellen<br />
siehe Kasten 4.1). Aus den Verkehrszahlen haben wir die<br />
heutigen und für 2015 prognostizierten Marktanteile von<br />
Schiene und Strasse bestimmt und letztere gemäss den Ausprägungen<br />
in den Szenarien (Tabelle 2.4 und 2.6) variiert.<br />
Dabei gingen wir von einem vereinfachten Markt aus, an<br />
dem ausser der Schiene nur die Strasse teilnimmt.<br />
<strong>Die</strong> aktuellen Emissionsfaktoren haben wir dem Bericht<br />
Umweltindikatoren im Verkehr entnommen und ebenfalls<br />
nach den Szenarien variiert (Maibach, Schenkel, Peter &<br />
Gehrig, 1997). Für die Szenarien Trend und Misere haben<br />
wir im Schienenverkehr eine realistische (auf den heutigen<br />
170 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Szenarien: Bahn und Umwelt<br />
Grenzwertvorschlägen basierende) Änderung der Emissionsfaktoren<br />
angenommen, für Erfolg mit Ökologie eine<br />
optimistische (maximal technisch realisierbare). Für das<br />
Szenario Gewinnmaximierung haben wir statt den heutigen<br />
SBB-Strommix zu verwenden, die durchschnittliche Zusammensetzung<br />
des UCPTE-Stromes herangezogen. Unabhängig<br />
von den Szenarien haben wir für die Strasse eine<br />
realistische und eine optimistische Emissionsänderung angenommen.<br />
Dabei stützten wir uns auf die Abschätzung der<br />
Reduktionspotenziale in Maibach et al. (1997).<br />
Da zwischen den Emissionsfaktoren verschiedener Fahrzeuge<br />
auf Strasse und Schiene starke Unterschiede bestehen,<br />
mussten die Marktanteile des Personen- und Güterverkehrs<br />
nochmals in die wichtigsten Fahrzeugkategorien unterteilt<br />
werden. <strong>Die</strong> aktuellen Marktanteile haben wir über die<br />
entsprechenden Verkehrszahlen der letzten Jahre gemittelt<br />
bzw. bei der SBB AG erfragt, ihre Änderung bis 2015<br />
aufgrund der Beschreibung der Szenarien selbst abgeschätzt.<br />
Rechnungshilfe<br />
Kasten 4.1 liefert eine Übersicht der verwendeten Verkehrsdaten<br />
und Emissionsfaktoren. Aus den Werten kann die<br />
Treibhausgas- und NOx-Belastung für jedes Szenario errechnet<br />
werden (wegen Rundungsfehlern bei der Darstellung<br />
ist eine Abweichung um 1-2% von den von uns präsentierten<br />
Ergebnissen möglich).<br />
Durch Multiplikation der Gesamtverkehrsleistung im Güter-<br />
bzw. im Personenverkehr (VLVB) mit den Marktanteilen<br />
der einzelnen Fahrzeugkategorien (MFFZK,S) erhalten<br />
wir eine spezifische Verkehrsleistung pro Fahrzeugkategorie<br />
(VLFZK,S). Durch Multiplikation dieser Verkehrsleistungen<br />
mit den dazugehörigen Emissionsfaktoren<br />
(EMF FZK,S ) bilden wir spezifische Umweltbelastungswerte<br />
für jede Fahrzeugkategorie. <strong>Die</strong> Emissionsfaktoren sind für<br />
jede Kategorie und jedes Szenario direkt angegeben. <strong>Die</strong><br />
Summe über alle Fahrzeugkategorien eines Verkehrsträgers<br />
(VT) ergibt dessen Umweltbelastung (UBVT,S) durch den<br />
betrachteten Schadstoff. <strong>Die</strong> «relativen Emissionen»<br />
(REVT,S) eines Verkehrsträgers erhalten wir als Quotient<br />
dieser Umweltbelastung und der Verkehrsleistung, die<br />
durch den Verkehrsträger im betrachteten Szenario erbracht<br />
wird (VL VT,S ). <strong>Die</strong>se ist die Summe der Verkehrsleistungen<br />
der einzelnen Fahrzeugkategorien (VL FZK,S ), die als Produkte<br />
der jeweiligen Marktanteile (MFFZK,S) und der Gesamtverkehrsleistung<br />
im betrachteten Verkehrsbereich<br />
(VLVB) gebildet werden können.<br />
4.2 Resultate der ökologischen<br />
Bewertung: Umweltauswirkungen<br />
in den Szenarien<br />
Umweltauswirkungen absolut<br />
Aufgrund seines höheren Marktanteils und seiner grösseren<br />
Reduktionspotenziale ist für die Entwicklung der Gesamtemissionen<br />
vor allem der Strassenverkehr verantwortlich.<br />
Mit der besten heute verfügbaren Technik auf der Strasse<br />
(realistische Änderung) sind gleichbleibende oder leicht<br />
erhöhte Treibhausgasemissionen gegenüber 1995 zu erwarten<br />
(vgl. Abb. 4.2.1). <strong>Die</strong>s steht im Gegensatz zu den Reduktionszielen<br />
des Bundes, wie sie im CO2-Gesetz festgehalten<br />
sind (Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft,<br />
1999). Dort wird in Anlehnung an das Kyoto-Protokoll<br />
eine Reduktion der Treibhausgasemissionen um 8%<br />
gegenüber dem St<strong>and</strong> von 1995 bis ins Jahr 2010 gefordert.<br />
Nutzt der Strassenverkehr sein gesamtes Reduktionspotenzial<br />
aus (optimistische Änderung), wird dieses Ziel in jedem<br />
Szenario erreicht.<br />
Bei den Stickoxidemissionen (Abb. 4.2.2) ist mit der<br />
realistischen Änderung eine Abnahme um knapp 30%, je<br />
nach Szenario auf zwischen 70’000 und 80’000 t NOx pro<br />
Jahr, zu erwarten. Das Luftreinhaltekonzept des Bundesrates<br />
strebt jedoch eine Reduktion der NOx-Emissionen auf<br />
den St<strong>and</strong> von 1960 an (siehe Elektrowatt, 1996). Damals<br />
wurden jährlich 64’000 Tonnen NO x freigesetzt, die Hälfte<br />
davon im Verkehr. Mit der optimistischen Änderung der<br />
Strassenemissionen kann der Verkehr in jedem unserer<br />
Szenarien ihren Ausstoss von 1960 deutlich unterbieten.<br />
Der Anteil des Schienenverkehrs ist hier jedoch entsprechend<br />
grösser: Im Szenario Gewinnmaximierung sind die<br />
Bahnemissionen sogar mit denen der Strasse vergleichbar.<br />
Da wir uns in der Szenarioanalyse vor allem mit der<br />
Entwicklung des Schienenverkehrs beschäftigten, liegen die<br />
Gesamtemissionen für alle vier Szenarien in der gleichen<br />
Grössenordnung. <strong>Die</strong> Rangfolge der Szenarien ist aber bei<br />
beiden Schadstoffen ähnlich: Erfolg dank Ökologie verursacht<br />
die geringsten Emissionen, während die Umwelt in der<br />
Regel in Misere am stärksten belastet wird.<br />
«Relative Emissionen»: Umweltauswirkungen pro<br />
Transporteinheit<br />
Unter Wettbewerbsgesichtspunkten sind neben den Gesamtemissionen<br />
von Strasse und Schiene vor allem ihre Umweltauswirkungen<br />
pro Transporteinheit (tkm oder Pkm) von<br />
Bedeutung. <strong>Die</strong>se Darstellung erlaubt einen direkten, vom<br />
jeweiligen Marktanteil unabhängigen Vergleich der Verkehrsträger.<br />
Für beide Schadstoffe ist zu erwarten, dass der heutige<br />
Trend zur Reduktion der relativen Belastungen durch die<br />
Strasse auch in Zukunft anhält, während die relative Belastung<br />
durch die Bahn gleich bleiben oder gar zunehmen wird.<br />
Im Güterverkehr hat die Bahn einen deutlichen Umweltvorteil<br />
gegenüber der Strasse (siehe Abb. 4.2.3 und 4.2.4).<br />
Im Personenverkehr ist dieser Vorsprung hingegen viel geringer<br />
und wird noch weiter reduziert, falls die SBB AG, wie<br />
im Szenario Gewinnmaximierung, auf den UCPTE-Strom<br />
ausweicht.<br />
Gesamthaft gesehen ist der ökologische Vorsprung der<br />
Bahn unter der Annahme einer von uns als realistisch eingestuften<br />
Emissionsreduktion der Strasse zwar kleiner als<br />
heute, doch in keinem der aufgezeigten Szenarien ernsthaft<br />
bedroht. Bei einer optimistischen Schätzung hingegen<br />
kommt es stark auf das jeweilige Szenario an, ob eine<br />
Marktanteilsverschiebung zu Gunsten der Bahn ökologisch<br />
gerechtfertigt ist oder nicht.<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 171
Szenarien: Bahn und Umwelt<br />
Übersicht zu den verwendeten Verkehrsdaten und Emissionsfaktoren für NOx und CO2<br />
Formeln für die Berechnung:<br />
UB<br />
VT, S<br />
= VL<br />
Mit: UB VT,S = Umweltbelastung eines Verkehrsträgers (VT) in einem Szenario (S)<br />
RE VT,S = relative Emissionen eines Verkehrsträgers (VT) in einem Szenario (S)<br />
VL VB,G2015 = Gesamtverkehrsleistung in einem Verkehrsbereich (VB) im Grundszenario 2015<br />
MF FZK,S = Marktanteile der einzelnen Fahrzeugkategorien (FZK) im betrachteten Szenario S<br />
EMF FZK,S = Emissionsfaktoren der jeweils gleichen FZK in S<br />
FZKVT = Fahrzeugkategorien eines Verkehrsträgers<br />
Für die Emissionswerte des Grundszenarios 1995 muss entsprechend mit VL VB, G1995 gerechnet werden.<br />
Verkehrsentwicklung<br />
VB, G2015<br />
⋅<br />
∑<br />
FZKVT<br />
(MF<br />
FZK, S<br />
⋅ EMF<br />
)<br />
FZK, S<br />
RE<br />
VT,<br />
S<br />
=<br />
∑<br />
FZKVT<br />
(MF<br />
∑<br />
FZK,<br />
FZKVT<br />
S<br />
⋅ EMF<br />
VB VT G1995 G2015<br />
Strasse 77447 1) 89483 2)<br />
Tab. 1 in Kasten 4.1: Verkehrsleistung (VL) in den<br />
Grundszenarien [Mio. Pkm/a bzw. Mio. tkm/a].<br />
Gesamt 21554 4) 33983 4)<br />
PV<br />
Schiene 13408 1) 29080 2)<br />
Gesamt 90855 4) 118563 4)<br />
Strasse 12868 1) 22589 3)<br />
GV<br />
Schiene 8686 1) 11394 3)<br />
MF<br />
FZK,<br />
S<br />
FZK,<br />
S<br />
)<br />
VB VT Grundszenarien Szenarien 2015 (S)<br />
Tab. 2 in Kasten 4.1: Marktanteile<br />
von Strasse<br />
G1995 G2015 Trend EdÖ Gemax Misere<br />
PV Strasse 0.85 5) 0.75 5) 0.82 6) 0.78 6) 0.82 6) 0.85 6) Schiene (MA).<br />
und<br />
Schiene 0.40 5) 0.34 5) 0.40 6) 0.48 6) 0.48 6) 0.32 6)<br />
Schiene 0.15 5) 0.25 5) 0.18 6) 0.22 6) 0.18 6) 0.15 6)<br />
GV Strasse 0.60 5) 0.66 5) 0.60 6) 0.52 6) 0.52 6) 0.68 6)<br />
VT FZK Grundszenarien Szenarien 2015<br />
Tab. 3 in Kasten 4.1: Aufteilung<br />
der Verkehrsträger in<br />
G1995 G2015 Trend / EdÖ Gemax / Misere<br />
PV Strasse PW 1,00 7) 1,00 7) 1,00 7) 1,00 7) Fahrzeugkategorien (AF).<br />
UKV 0,33 12) 0,40 13) 0,40 13) 0,40 13)<br />
PV Schiene RZ 0,25 8) 0,21 8) 0,21 8) 0,15 9)<br />
SZ 0,75 8) 0,79 8) 0,79 8) 0,85 9)<br />
GV Strasse LW 0,11 10) 0,15 11) 0,15 11) 0,15 11)<br />
LKW 0,89 10) 0,85 11) 0,85 11) 0,85 11)<br />
GV Schiene WLV 0,61 12) 0,50 13) 0,50 13) 0,50 13)<br />
RLS 0,06 12) 0,10 13) 0,10 13) 0,10 13)<br />
VB FZK Grundszenarien Szenarien 2015<br />
Tab. 4 in Kasten 4.1: Marktanteile<br />
der Fahrzeugkate-<br />
G1995 G2015 Trend EdÖ Gemax Misere<br />
PV PW 0,85 14) 0,75 14) 0,82 14) 0,78 14) 0,82 14) 0,85 14) gorien (MF).<br />
UKV 0,13 14) 0,13 14) 0,16 14) 0,19 14) 0,19 14) 0,13 14)<br />
RZ 0,04 14) 0,05 14) 0,04 14) 0,05 14) 0,03 14) 0,02 14)<br />
SZ 0,11 14) 0,19 14) 0,14 14) 0,17 14) 0,15 14) 0,13 14)<br />
GV LW 0,07 14) 0,10 14) 0,09 14) 0,08 14) 0,08 14) 0,10 14)<br />
LKW 0,53 14) 0,56 14) 0,51 14) 0,44 14) 0,44 14) 0,58 14)<br />
WLV 0,25 14) 0,17 14) 0,20 14) 0,24 14) 0,24 14) 0,16 14)<br />
RLS 0,02 14) 0,03 14) 0,04 14) 0,05 14) 0,05 14) 0,03 14)<br />
Kasten 4.1: Verkehrsentwicklung in den vier Szenarien.<br />
Fortsetzung nächste Seite →<br />
172 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Szenarien: Bahn und Umwelt<br />
Emissionsentwicklung (Emissionsfaktoren EMF)<br />
FZK G1995 Trend EdÖ Gemax Misere Tab. 5 in Kasten 4.1:<br />
EMF Änd% EMF Änd% EMF Änd% EMF Änd% EMF NOx-Emissionen in<br />
RZ 0.24 15) -10 16) 0,21 20) -20 17) 0,19 20) +25 18) 0,30 20) -10 16) 0,21 20) g/Pkm bzw. g/tkm<br />
SZ 0.10 15) -10 16) 0,09 20) -20 17) 0,08 20) +50 18) 0,16 20) -10 16) 0,09 20) für die Schiene.<br />
UKV 0.06 15) 0 16) 0,06 20) 0 17) 0,06 20) +10 18) 0,07 20) 0 16) 0,06 20)<br />
WLV 0.28 15) -5 16) 0,26 20) -10 17) 0,25 20) +90 18) 0,52 20) -5 16) 0,26 20)<br />
RL 0.09 15) 0 16) 0,09 20) 0 17) 0,09 20) +10 18) 0.10 20) 0 16) 0,09 20)<br />
in g/Pkm<br />
FZK G1995 realistisch optimistisch<br />
EMF Änd% EMF Änd% EMF<br />
Tab. 6 in Kasten 4.1: NOx-Emissionen<br />
bzw. g/tkm für die Strasse.<br />
LKW 3,06 15) -50 19) 1,53 20) -90 19) 0,31 20)<br />
PW 0,74 15) -50 19) 0,37 20) -90 19) 0,07 20)<br />
LW 6,85 15) -50 19) 3,43 20) -90 19) 0,6920)<br />
FZK G1995 Trend EdÖ Gemax Misere Tab. 7 in Kasten<br />
EMF Änd% EMF Änd% EMF Änd% EMF Änd% EMF 4.1: Treibhauspotentiale<br />
in g CO 2 -Ä<br />
RZ 76 15) -10 16) 68 20) -30 17) 53 20) +35 18) 103 20) -10 16) 68 20)<br />
SZ 34 15) +10 16) 37 20) -10 17) 31 20) +80 18) 61 20) +10 16) 37 20) quivalenten/Pkm<br />
bzw. g CO2-Äquivalenten/tkm<br />
für die<br />
WLV 73 15) -5 16) 69 20) -10 17) 65 20) +20 18) 87 20) -5 16) 69 20)<br />
UKV 19 15) 0 16) 19 20) 0 17) 19 20) +20 18) 23 20) 0 16) 19 20)<br />
RL 25 15) 0 16) 25 20) 0 17) 25 20) +20 18) 30 20) 0 16) 25 20)<br />
Schiene.<br />
FKZ G1995 realistisch optimistisch Tab. 8 in Kasten 4.1: Treibhauspotentiale in g<br />
EMF Änd% EMF Änd% EMF CO 2 -Äquivalenten/Pkm bzw. g CO 2 -Äquivalenten/tkm<br />
für die Strasse.<br />
PW 200 15) -30 19) 140 20) -50 19) 100 20)<br />
LKW 316 15) -10 19) 284 20) -20 19) 253 20)<br />
LW 1643 15) -30 19) 1150 20) -50 19) 822 20)<br />
Quellen:<br />
1) aus BfS, 2000<br />
2) aus SGZZ, 1994, S. 147, 151 und 154<br />
3) aus Sommer & Neuenschw<strong>and</strong>er, 1999, S. A-11<br />
4) Summe über Strasse und Schiene<br />
5) Aus den Verkehrsleistungen errechnet<br />
6) Variation nach den Ausprägungen in den Szenarien (Siehe<br />
Tabellen 2.4 und 2.6)<br />
7) Beim PV auf der Strasse haben wir nur den PW berücksichtigt.<br />
Motorrad und Car haben einen verschwindend geringen Anteil an<br />
der Verkehrsleistung (siehe SGZZ, 1994, S. 154).<br />
8) Angabe SBB AG, Division Personenverkehr, Juni 2000<br />
9) Annahme aus den Szenarien: Aus finanziellen Gründen konzentriert<br />
sich die SBB AG auf den rentableren Fernverkehr.<br />
10) Gemittelt aus SGZZ, 1995, S.156, Jahre 1990-92<br />
11) Annahme, dass sich die Verteilung wegen der LSVA geringfügig<br />
zugunsten der leichteren LW verschiebt<br />
12) Gemittelt aus SBB, 1998, S. 9, und SBB AG, 2000c, S. 9, Jahre<br />
1990, 1995-1999<br />
13) Eigene Annahme: Fortführung der unter<br />
12) sichtbaren Trends<br />
14) Berechnet aus MA und AF: MFi =MA i *AF i<br />
15) Emissionsfaktoren 1995 aus Maibach et al., 1997, S. 11-20<br />
16) Eigene Schätzung: realistische Änderung der Bahnemissionen<br />
17) Eigene Schätzung: optimistische Änderung der Bahnemissionen<br />
18) Eigene Schätzung: Änderung der Bahnemissionen nach Umstieg<br />
auf den UCPTE-Mix<br />
19) Änderung der Strassenemissionen aus Maibach et al., 1997, S.<br />
52. Realistisch: «bestes heutiges Verkehrsmittel»; optimistisch:<br />
«Technisches Potenzial in absehbarer Zukunft» inkl. Verbesserungen<br />
bei der Auslastung. Für LW waren keine separaten Werte<br />
vorh<strong>and</strong>en, deshalb haben wir hier die Werte der konzeptionell<br />
ähnlichen PW eingesetzt.<br />
20) Errechnete neue Emissionsfaktoren Emii = Emi G1995 *(1-<br />
Änd% i /100)<br />
Fortsetzung Kasten 4.1: Emissionsentwicklung in den vier Szenarien.<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 173
Szenarien: Bahn und Umwelt<br />
Abb. 4.2.1: Total durch den Verkehr emittierte CO2-Äquivalente. <strong>Die</strong> verschiedenen Szenarien zeigen einen relativ kleinen<br />
Spielraum. <strong>Die</strong> gestrichelte Linie markiert das Reduktionsziel im CO 2 -Gesetz.<br />
Abb. 4.2.2: Kumulierte Stickoxidemissionen durch den Verkehr in den verschiedenen Szenarien. Deutlich sichtbar ist das<br />
grosse Reduktionspotenzial im Strassenverkehr. <strong>Die</strong> gestrichelten Linien markieren das Reduktionsziel im Luftreinhaltekonzept<br />
des Bundesrates, die gesamten (oben) und verkehrsbedingten (unten) Emissionen im Jahre 1960.<br />
174 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Szenarien: Bahn und Umwelt<br />
Abb. 4.2.3: Treibhauspotenziale pro Transporteinheit und Kilometer für den Güter- und Personenverkehr.<br />
Abb. 4.2.4: Stickoxidemissionen pro Transporteinheit und Kilometer für den Güter- und Personenverkehr.<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 175
Szenarien: Bahn und Umwelt<br />
4.3 Einschränkungen bei Durchführung<br />
und Interpretation der ökologischen<br />
Bewertung<br />
Wie schon eingangs erwähnt, stellt unsere ökologische Bewertung<br />
weder eine vollständige Ökobilanz noch eine exakte<br />
Prognose aller Umweltauswirkungen des Verkehrs für das<br />
Jahr 2015 dar. Für einen solchen Anspruch enthält sie zu<br />
viele Vereinfachungen, die zum Teil bereits durch die vorangegangene<br />
Szenarioanalyse vorgegeben wurden.<br />
So erscheint vor allem die Festlegung einer identischen<br />
Gesamtverkehrsmenge in allen Szenarien aus dem Blickwinkel<br />
der Bewertung nicht mehr sinnvoll: Eine Variation<br />
dieser Grösse hat einen ähnlich starken Einfluss auf die<br />
Resultate wie die Änderung der Marktanteile in den Szenarien.<br />
Auch die Annahmen für die zukünftigen Emissionsfaktoren<br />
des Schienenverkehrs sind entscheidend für unsere Bewertung<br />
und gleichzeitig mit grossen Unsicherheiten behaftet.<br />
<strong>Die</strong> Entwicklungen im Energiemarkt sind schwer abzuschätzen,<br />
haben jedoch einen grossen Einfluss auf die Emissionen<br />
der Bahn. Ein Umsteigen von Wasserkraft auf<br />
UCPTE-Strom erscheint aus heutiger Sicht auch bei einem<br />
möglichen Verkauf der SBB-Kraftwerke wenig wahrscheinlich.<br />
Der Fall könnte jedoch eintreten, wenn z.B. die Transformationskosten<br />
drastisch sinken. Bei der angestrebten<br />
Marktanteilssteigerung muss der zusätzliche Energiebedarf<br />
aus dem UCPTE-Mix gedeckt oder der spezifische Energieverbrauch<br />
gesenkt werden, wenn die SBB AG keine neuen<br />
Wasserkraftwerke bauen will.<br />
Während der <strong>Fallstudie</strong> ist ein Nachtrag zur BUWAL-Studie<br />
«Luftschadstoffemissionen des Strassenverkehrs 1950-<br />
2010» (Keller & de Haan, 2000) erschienen, den wir zur<br />
Relativierung unserer Emissionsannahmen heranziehen<br />
können. Aufgrund von differenzierten Analysen zur Verkehrsentwicklung<br />
und den in den nächsten Jahren in Kraft<br />
tretenden Abgasnormen der EU prognostizieren die Autoren<br />
bis 2015 eine Zunahme der strassenseitigen CO2-Emissionen<br />
um 9% und gleichzeitig eine Abnahme der NOx-<br />
Emissionen auf der Strasse um 73% (Keller & de Haan,<br />
2000, S. 50-52). <strong>Die</strong> Reduktionspotenziale aus Maibach et<br />
al. (1997), die unseren Annahmen zugrunde liegen, werden<br />
also für CO 2 kaum, für NO x hingegen fast vollständig<br />
ausgenutzt. Aus diesen Prognosen können wir folgern, dass<br />
der ökologische Vorteil der Schiene bezüglich Treibhausgasemissionen<br />
noch weniger als in unserer Bewertung gefährdet<br />
ist. Für die Belastung durch Stickoxide gelten annähernd<br />
unsere optimistischen Annahmen für die Emissionen<br />
des Strassenverkehrs: Bei diesen Schadstoffen wird für die<br />
Wahrung eines ökologischen Vorteils entscheidend, aus<br />
welchen Quellen die Bahn ihren Strom bezieht.<br />
5 <strong>Die</strong> Szenarien in ihrem Kontext<br />
5.1 <strong>Die</strong> strategischen Ziele der SBB<br />
Kurz vor Abschluss unserer <strong>Fallstudie</strong> hat die SBB AG eine<br />
neue Unternehmensstrategie entwickelt 3 . <strong>Die</strong> darin genannten<br />
Ziele nehmen zum Teil weichenstellende Entscheide aus<br />
unseren Szenarien vorweg.<br />
<strong>Die</strong> SBB AG sieht sich als eine «ganz gewöhnliche Unternehmung»<br />
und richtet sich konsequent nach Trends in Wirtschaft<br />
und Gesellschaft aus. Sie will:<br />
– als umfassende Mobilitätsanbieterin alle Wertschöpfungspotenziale<br />
im Mobilitätsumfeld nutzen;<br />
– basierend auf einer starken Marke SBB eine führende<br />
europäische Unternehmung werden;<br />
– sich als E-company profilieren;<br />
– durch die Kapitalmarktfähigkeit und den stufenweisen<br />
Abbau der staatlichen Subventionsbeiträge ihre unternehmerische<br />
Autonomie erhöhen;<br />
– als Arbeitgeberin für Frauen und Männer gleichermassen<br />
attraktiv sein und<br />
– als Technologie-Avantgardistin eine Vorreiterrolle im<br />
Mobilitätsbereich übernehmen.<br />
<strong>Die</strong> dazu erforderliche Produktivitätssteigerung will die<br />
SBB AG unter <strong>and</strong>eren durch eine erhöhte Kundenorientierung<br />
in allen Geschäftsbereichen, durch Expansion ins Ausl<strong>and</strong>,<br />
Einstieg ins Consulting-Business und Kooperation mit<br />
<strong>and</strong>eren Transportanbietern zur Schaffung von ganzen<br />
Transportketten erreichen.<br />
Bis auf das Szenario Misere sind in der SBB-Strategie<br />
Elemente aller Szenarien erkennbar. Insgesamt könnte man<br />
sie zwischen den Szenarien Trend und Gewinnmaximierung<br />
einordnen. Im Umweltbereich werden auf der Ebene der<br />
strategischen Planung keine Ziele gesetzt. <strong>Die</strong> Umweltleistung<br />
der SBB AG soll indirekt über den Einsatz neuer,<br />
effizienterer Technologien verbessert werden; auf ihre gezielte<br />
Kommunikation, z.B. als Best<strong>and</strong>teil der «Marke<br />
SBB», wird vorerst verzichtet.<br />
5.2 Szenarien aus dem NFP 41 «Verkehr<br />
und Umwelt» und dem UIC Railplan<br />
Im Folgenden gehen wir auf zwei Studien aus der gegenwärtigen<br />
Forschung um die Zukunft des Schienenverkehrs ein,<br />
die ebenfalls Szenarien beinhalten.<br />
Der Internationale Eisenbahnverb<strong>and</strong> UIC fasste im Jahre<br />
1997 seine Vorstellungen und Strategien im UIC Railplan<br />
zusammen (UIC, 1997). Aus einem Rahmenbedingungsszenario<br />
werden in dieser Studie allgemeine Strategien und<br />
aus diesen wiederum konkrete Aktionen für die Bahngesellschaften<br />
abgeleitet. Neben den Rahmenbedingungen aus<br />
3 Zukunft SBB: Vision und Strategie der SBB AG. Vorgestellt von W. Moser<br />
(Stv. Generalsekretär SBB AG) am 8. Juni 2000. Wird im Folgenden<br />
Strategie genannt.<br />
176 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Szenarien: Bahn und Umwelt<br />
Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Technik fasst der UIC<br />
in einem Szenario die Anforderungen des Marktes (aufgeteilt<br />
nach Kundensegmenten), die Effekte des Wettbewerbs<br />
zwischen den Verkehrsträgern und die Auswirkungen externer<br />
Umwelteffekte zusammen. Anschliessend beschreibt<br />
der UIC Strategien und Ziele zur Verbesserung der Marktposition<br />
der Bahnen. Dazu gehören eine bessere Ausnutzung<br />
der vorh<strong>and</strong>enen Systemstärken wie z.B. der Geschwindigkeit,<br />
Kapazität und Sicherheit, eine weitere Steigerung<br />
der Qualität und Produktivität der Bahnen, erhöhte<br />
Flexibilität durch vermehrte Interoperabilität und Intermodalität<br />
sowie weitere Anstrengungen im Umweltschutz, vor<br />
allem beim Lärm und bei der Energie.<br />
Lebküchner et al. (2000) haben in der NFP-Studie Zukunftsgüterbahn<br />
die mittelfristigen Innovationspotenziale<br />
des Bahngüterverkehrs untersucht. Zentrale Fragestellung<br />
bildet die Möglichkeit eines «Faktor 4» beim Bahngüterverkehr:<br />
«Wie kann die Bahn innert nützlicher Frist ihre ökonomische<br />
und ökologische Produktivität derart steigern, dass<br />
ihre Nachhaltigkeit im Markt sichergestellt werden kann?»<br />
(S. 5). Ausgehend vom heute existierenden technischen<br />
Innovationspotenzial, den Marktanforderungen und den politischen<br />
Rahmenbedingungen werden Investitionsgrundsätze<br />
für die zukünftigen Bahnen erarbeitet und in einer<br />
<strong>Fallstudie</strong> zum Einzelwagenladungsverkehr (EWLV) in der<br />
Schweiz konkretisiert. <strong>Die</strong> Autoren untersuchen aufgrund<br />
der heutigen Verkehrsmengen und Marktverhältnisse das<br />
ökologische Potenzial des EWLV in den Bereichen Lärm,<br />
Energie, Luftschadstoffeund Partikelemissionen und stellen<br />
schliesslich vier verschiedene Optimierungspfade zur Diskussion.<br />
<strong>Die</strong>se «Szenarien» werden anh<strong>and</strong> verschiedener<br />
Kriterien ausführlich beurteilt. Aufgrund der gewonnenen<br />
Erkenntnisse zeigen die Autoren, dass technische Neuerungen<br />
nur in Verbindung mit innovativen Ansätzen im organisatorischen<br />
Bereich und einer Neupositionierung am Markt<br />
zur erforderlichen Produktivitätssteigerung im Bahngüterverkehr<br />
führen können.<br />
Der UIC Railplan bildete die Grundlage für einige unserer<br />
Rahmenbedingungen; die Hauptaussagen der zu unserer<br />
Arbeit parallel erarbeiteten NFP-Studie decken sich mit<br />
unseren Ergebnissen. <strong>Die</strong> Studien zeigen zudem exemplarisch<br />
die Verwendungsmöglichkeiten von Szenarien in der<br />
strategischen Planung: Zum einen dienen Szenarien als Rahmen<br />
für die Bewertung von Strategien und Massnahmen,<br />
zum <strong>and</strong>eren bilden verschiedene Massnahmen selbst unternehmensspezifische<br />
H<strong>and</strong>lungsszenarien. In unserer Arbeit<br />
versuchten wir, Rahmenbedingungen und H<strong>and</strong>lungsoptionen<br />
in ein gemeinsames System zu integrieren. In der von<br />
uns verwendeten Methode der formativen Szenarioanalyse<br />
wird zudem auch die Konsistenz der Szenarien überprüft,<br />
d.h. das Zusammenspiel der verschiedenen Ausprägungen<br />
innerhalb jedes Szenarios bewertet. Durch diesen Schritt<br />
wird die Auswahl der Szenarien methodisch gestützt und<br />
somit besser begründbar.<br />
6 Was konnten wir aus Szenarien<br />
und Bewertung lernen?<br />
Für unsere Fragestellungen (siehe Kasten 1) gibt es keine<br />
einzig richtige «Lösung». Mit Hilfe der vorgestellten Ergebnisse<br />
können wir hier aber einige Lösungsvorschläge aufzeigen:<br />
Zur Frage, ob die Bahn gleichzeitig wirtschaftlich erfolgreich<br />
und ökologisch aktiv sein kann, konnte ein konsistentes<br />
Szenario gefunden werden: In Erfolg dank Ökologie<br />
verbindet die SBB AG diese oft als gegensätzlich erachteten<br />
Ziele. Gleichzeitig ist aber auch ein Szenario der Gewinnmaximierung<br />
denkbar: <strong>Die</strong> SBB AG kann auch im klassischen<br />
Sinne, ohne Rücksicht auf Peripherie und Umwelt,<br />
hohe Gewinne erzielen.<br />
Für den unternehmerischen Erfolg ist die Erschliessung<br />
neuer Marktsegmente sowie eine verstärkte Kooperation<br />
mit <strong>and</strong>eren Transportunternehmen unerlässlich. Besonders<br />
im Güterverkehr zeichnen sich grosse Veränderungen der<br />
Kundenbedürfnisse ab. <strong>Die</strong> Bahn muss hier neue Transportkonzepte<br />
entwickeln, um unter den veränderten Bedingungen<br />
gegenüber der Strasse konkurrenzfähig zu bleiben. Laut<br />
Füglistaler (2000) können sich die einzelnen Bahngesellschaften<br />
nur mittels Allianzen erfolgreich im veränderten<br />
europäischen Güterverkehrsmarkt positionieren. Durch eine<br />
intermodale Zusammenarbeit können zusätzlich die bislang<br />
ungenutzten wirtschaftlichen Potenziale ganzer Transportketten<br />
freigesetzt werden. So kann die Bahn ihre Systemstärken<br />
ausnutzen und gleichzeitig ihre Konkurrenzfähigkeit<br />
erhöhen.<br />
Der ökologische Vorsprung der Bahn gegenüber der Strasse<br />
ist im Bereich der Luftschadstoffe nur temporär; ob er<br />
weiterhin Grössenordnungen beträgt oder ob auch hier eine<br />
Konkurrenzsituation eintritt, hängt vor allem von der Entwicklung<br />
der Strasse ab. In Anbetracht der verschärften<br />
Abgasnormen der EU ist in absehbarer Zeit mit erheblichen<br />
Fortschritten der Strasse zu rechnen. Schöpft sie einen<br />
Grossteil ihrer Reduktionspotenziale aus, ist der Umweltvorteil<br />
der Bahn nicht mehr gesichert.<br />
<strong>Die</strong> wichtigsten H<strong>and</strong>lungsbereiche für die ökologische<br />
Qualität des Bahnverkehrs sind Lärm, Energie und Auslasung.<br />
Im Bereich des Lärms scheint vor allem der Güterverkehr<br />
schlechte Karten zu haben: Während im Personenverkehr<br />
jede Gesellschaft ihren eigenen Wagenpark betreibt, ist<br />
die Lärmsanierung der Güterwagen wegen ihrer hohen<br />
Durchmischung nur in Zusammenarbeit mit allen <strong>and</strong>eren<br />
europäischen Bahngesellschaften sinnvoll. Dass eine Kooperation<br />
auch im Personenverkehr fruchten kann, zeigt die<br />
anfangs Sommer 2000 abgeschlossene Vereinbarung zwischen<br />
DB, ÖBB und der SBB AG, die als Erstes die gemeinsame<br />
Beschaffung von modernen – und lärmarmen – ICN-<br />
Neigezügen vorsieht.<br />
Für eine gute ökologische Performance kommt es sowohl<br />
auf die Menge als auch auf die Quellen der verbrauchten<br />
Energie an. Heute deckt die SBB AG ihren Strombedarf<br />
grösstenteils mit einheimischer Wasserkraft. Bei den Marktanteilssteigerungen<br />
der erfolgreichen Szenarien wird sie aus<br />
Kapazitätsgründen auf den weniger umweltfreundlichen europäischen<br />
Strommix ausweichen müssen. In welchem Ma-<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 177
Szenarien: Bahn und Umwelt<br />
sse sie auf diesen angewiesen ist, hängt nicht zuletzt von der<br />
Grösse der Effizienzsteigerungen ab, die sie durch ihre Angebotsgestaltung<br />
erzielen kann. Eine zu kleine Auslastung<br />
ist der Hauptgrund dafür, dass die Bahn im Personenverkehr<br />
einen weitaus geringeren ökologischen Vorsprung vor der<br />
Strasse besitzt als im Güterverkehr.<br />
Einige der angesprochenen Veränderungen steigern<br />
gleichzeitig den unternehmerischen Erfolg und die ökologische<br />
Qualität der Bahn. Neben Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit,<br />
Schnelligkeit und Sicherheit ist auch die ökologische<br />
Verträglichkeit zu einem Qualitätsausweis geworden, der<br />
eng mit dem Label SBB verbunden ist. Da in der Zukunft die<br />
Chance besteht, dass Ökologie auch im Wirtschaftsleben<br />
eine grössere Rolle spielen wird als heute (UIC, 1997), tut<br />
die SBB AG sicher gut daran, ihre hohe Umweltleistung als<br />
potentielles Marketingargument weiter zu halten oder gar<br />
auszubauen.<br />
7 Und wie weiter?<br />
7.1 Fazit für die SBB AG<br />
Aus der Arbeit der Szenariengruppe sind vier Thesen hervorgegangen,<br />
die wichtige Aussagen unserer Szenarien zusammenfassen<br />
und eine weitere Ausein<strong>and</strong>ersetzung mit der<br />
Zukunft der SBB AG fördern sollen:<br />
– Damit die SBB AG fit für den Markt bleibt, muss sie<br />
Trends antizipieren und mitbestimmen. Das Erschliessen<br />
neuer Gütersegmente und eine Kooperation mit <strong>and</strong>eren<br />
Transportunternehmen sind unerlässlich für ihr wirtschaftliches<br />
Überleben.<br />
– Wirtschaftlicher Erfolg des Unternehmens SBB AG ist<br />
kurzfristig mit und auch ohne Rücksicht auf die Umwelt<br />
möglich. Längerfristig zahlt sich aber eine nachhaltige<br />
Strategie aus.<br />
– Der Umweltvorteil der Bahn wird wesentlich durch den<br />
Energiemix bestimmt. Ein Ausstieg aus der Wasserkraft<br />
und eine steigende Auslastung im Strassenverkehr könnten<br />
den Umweltvorsprung der Bahn gefährden.<br />
– Wenn die SBB AG ihren Umweltvorteil nicht kommuniziert,<br />
verschenkt sie ein starkes Marketingargument.<br />
7.2 <strong>Die</strong> Szenarien werden Realität:<br />
Ein Blick in die Tagespresse<br />
Bereits während der <strong>Fallstudie</strong> und deren Nachbereitung<br />
liess die Entwicklung der SBB AG Ansätze zu allen Szenarien<br />
erkennen:<br />
– Im Februar gaben die SBB Cargo und die italienische FS<br />
ihre Absicht einer Fusion zum Güterverkehrsunternehmen<br />
Cargo SI bekannt (Tages-Anzeiger, 2000a, die Fusion<br />
wurde zwischenzeitlich wieder aufgeschoben, Tages-<br />
Anzeiger, 2000d); im Juni schlossen sich DB, ÖBB und<br />
SBB zur TEE Rail-Alliance zum Betrieb eines gemeinsamen<br />
Intercity-Netzes zusammen (NZZ, 2000a).<br />
– Gemeinsam mit der SNCF, der DB und den Luxemburgischen<br />
Staatsbahnen CFL wurde die Rhealys AG gegründet,<br />
welche die Hochgeschwindigkeitsstrecken zwischen<br />
den Zentren Paris, Luxemburg, Frankfurt und Zürich<br />
ausbauen und ca. ab dem Jahre 2006 betreiben will<br />
(Tages-Anzeiger, 2000b).<br />
– Anfangs September äusserte die SBB AG die Bereitschaft,<br />
sich auf dem britischen Transportmarkt zusammen<br />
mit dem Bauunternehmen John Laing (Chiltern<br />
Railways) um Konzessionen für den Betrieb der regionalen<br />
Eisenbahnen Thames und Wessex zu bewerben<br />
(NZZ, 2000b).<br />
– <strong>Die</strong> knappe Ablehnung der ökologischen Steuerreform in<br />
der Volksabstimmung vom 24. September (NZZ, 2000c<br />
und 2000d) zeugt zwar von einer hohen Diskussions-,<br />
gleichzeitig aber geringen H<strong>and</strong>lungsbereitschaft in der<br />
Schweizer Bevölkerung bezüglich ökologischer Anliegen.<br />
– <strong>Die</strong> Projekte NEAT und Bahn 2000 sind in ihre Realisierungsphasen<br />
getreten; die LSVA wurde trotz anfängli-<br />
178 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Szenarien: Bahn und Umwelt<br />
chen Protesten seitens der Strassentransporteure am 1.<br />
Januar 2001 eingeführt (NZZ, 2000e und 2001a).<br />
– Nach einer vorübergehenden Personalknappheit bei den<br />
Lokomotivführern im Herbst (Aschw<strong>and</strong>en, 2000) gaben<br />
die Angestellten der SBB AG bei einer Mitarbeiterbefragung<br />
einer gewissen Unzufriedenheit Ausdruck (Tages-<br />
Anzeiger, 2000e).<br />
– <strong>Die</strong> für 2001 neu festgesetzten Löhne des Spitzenmanagements<br />
sorgten für missbilligende Kommentare in den<br />
Medien (NZZ, 2001b und 2001c); die NZZ (2001d)<br />
brachte sogar einen Streckenausfall mit der Restrukturierung<br />
des Unternehmens in Verbindung.<br />
Bleibt es beim Trend? Geht die SBB AG den Weg der<br />
Gewinnmaximierung? Schlittert sie in die Misere oder zeigt<br />
sie die Richtung an, indem sie auf ökologische Werte setzt?<br />
<strong>Die</strong>se Fragen muss die SBB AG schon heute beantworten,<br />
indem sie die Weichen für ihre zukünftige Entwicklung<br />
stellt.<br />
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<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 179
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180 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Lärm im Gütertransport –<br />
Ökobilanzierungen<br />
Autorin und Autoren:<br />
Sabina Pfister<br />
Thomas Baumgartner<br />
Thomas Mettier<br />
Inhalt<br />
1. Einführung 183<br />
2. Einbezug von Strassenlärm in den Eco-Indicator 99 184<br />
3. Modell für die Auswirkungen des Schienenlärms 189<br />
4. Vergleich der Bewertung von Strassen- und Schienenlärm 194<br />
5. Lärmbilanz konkreter Transportketten 197<br />
6. Diskussion 200
Lärm im Gütertransport<br />
Zusammenfassung<br />
Obwohl Lärm als Umweltbelastung<br />
anerkannt ist, blieb er bisher in Ökobilanzen<br />
meist unberücksichtigt. In Studien<br />
zu den externen Kosten des Verkehrs<br />
macht Lärm ca. 5% bis 75% der<br />
Gesamtkosten aus. Müller-Wenk<br />
(1999) stellt ein Modell vor, mit dessen<br />
Hilfe die Lärmemissionen von<br />
Strassenverkehr in die Ökobilanzmethode<br />
«Eco-Indicator 99» integriert<br />
werden können.<br />
Auf der Grundlage dieses Modells<br />
erarbeiteten wir ein Modell für den<br />
Einbezug von Schienenlärm, speziell<br />
für den Wagenladungsverkehr. Da wir<br />
einen streckenbezogenen Ansatz<br />
wählten, unterscheidet sich unser Modell<br />
von demjenigen von Müller-<br />
Wenk für die Strasse, so dass die Resultate<br />
für Eisenbahn und Strasse<br />
nicht direkt verglichen werden können.<br />
Um dennoch einen Vergleich zu<br />
ermöglichen, nahmen wir eine Anpassung<br />
der Methode von Müller-Wenk<br />
vor.<br />
Wir erstellten die Lärmbilanz von<br />
konkreten Transportketten sowie von<br />
möglichen Alternativen der Firmen<br />
V-Zug (Transportgut: Küchengeräte),<br />
Cham Paper Group (Transportgut:<br />
Zellstoff) und Migros (Transportgut:<br />
Pelati).<br />
<strong>Die</strong> Lärmbilanzen von Eisenbahn<br />
und Strasse differieren nicht stark. Ein<br />
wichtiger Parameter der Bilanz ist die<br />
Auslastung des Transportmittels,<br />
weshalb auf deren genaue Bestimmung<br />
Wert gelegt werden muss. Da<br />
die Daten zu den von Lärm betroffenen<br />
Personen aus dem Jahre 1990<br />
stammen, könnte sich die Bilanz bei<br />
Verwendung von aktuelleren Daten<br />
zugunsten der SBB verbessern, denn<br />
die SBB hat seither viel in Lärmschutzmassnahmen<br />
investiert. Für die<br />
Eisenbahn besteht aber sicher ein Verbesserungspotential<br />
im Bereich Lärm.<br />
Keywords: Lärmbilanzen, Lärmschutzmassnahmen,<br />
Eco-Indicator<br />
99, Ökobilanzen.<br />
Résumé<br />
Bien qu’il soit reconnu comme un facteur<br />
polluant de l’environnement, le<br />
bruit est resté absent jusqu’à maintenant<br />
des bilans écologiques. Dans des<br />
études relatives aux coûts externes du<br />
trafic, le bruit constitue environ 5% à<br />
75% des coûts totaux. Müller-Wenk<br />
(1999) propose un modèle qui permet<br />
d’intégrer les émissions sonores du<br />
transport routier dans la méthode du<br />
bilan écologique «Eco-Indicator 99».<br />
En nous appuyant sur ce modèle,<br />
nous avons élaboré un modèle permettant<br />
l’inclusion du bruit du rail, spécialement<br />
pour le trafic par wagons complets.<br />
Ayant choisi une analyse qui a<br />
comme référence le trajet parcouru,<br />
notre modèle diffère de celui de Müller-Wenk<br />
pour la route et les résultats<br />
pour le chemin de fer et la route ne<br />
peuvent donc pas être comparés directement.<br />
Afin de permettre néanmoins<br />
une comparaison, nous avons procédé<br />
à une adaptation de la méthode Müller-Wenk.<br />
Nous avons établi un bilan du bruit<br />
des chaînes de transport concrètes ainsi<br />
que des alternatives possibles des<br />
entreprises V-Zug (march<strong>and</strong>ise<br />
transportée: appareils ménagers),<br />
Cham Paper Group (matériel transporté:<br />
cellulose) et Migros (march<strong>and</strong>ise<br />
transportée: pelati).<br />
Les bilans des nuisances sonores du<br />
chemin de fer et de la route ne<br />
diffèrent pas énormément. Un paramètre<br />
essentiel du bilan constitue le<br />
taux d’utilisation des moyens de transport,<br />
ce qui implique la nécessité de le<br />
connaître exactement. Vu que les<br />
données concernant les personnes exposées<br />
au bruit datent de 1990, le bilan<br />
pourrait s’améliorer en faveur des<br />
CFF si on avait recours à des données<br />
plus récentes, car les CFF ont investi<br />
depuis lors en d’importantes mesures<br />
de protection contre le bruit. Il subsiste<br />
certes pour le chemin de fer un<br />
potentiel d’amélioration en matière de<br />
bruit.<br />
Mots-clés: bilans du bruit, mesures<br />
de protection contre le bruit, Eco-Indicator<br />
99, bilans écologiques.<br />
Summary<br />
Although noise has been recognized<br />
as a damage to the environment, it<br />
usually fails to be considered in environmental<br />
assessments. According to<br />
studies on the external costs of traffic,<br />
noise makes up about 5% to 75% of<br />
the total costs. Müller-Wenk (1999)<br />
presents a model which helps integrate<br />
noise emissions of road traffic<br />
into the environmental assessment<br />
method «Eco-Indicator 99».<br />
Based on this model, we worked out<br />
a model that integrates rail noise,<br />
especially freight transportation by<br />
rail. The selection of a route-focused<br />
approach distinguishes our model<br />
from Müller-Wenk’s – so the results<br />
for rail <strong>and</strong> for road allow no direct<br />
comparison. In order to enable a comparison<br />
we adapted Müller-Wenk’s<br />
method to our needs.<br />
We conducted a noise assessment of<br />
specific transport chains <strong>and</strong> of possible<br />
alternatives of the companies V-<br />
Zug (freight goods: kitchen appliances),<br />
Cham Paper Group (freight<br />
good: cellulose) <strong>and</strong> Migros (freight<br />
good: canned tomatoes)<br />
The assessment noise of rail <strong>and</strong><br />
roads do not differ greatly. One important<br />
parameter of the assessment is<br />
the means of transport’s capacity utilization,<br />
which is why its exact determination<br />
is of importance. As the data<br />
regarding people affected by noise<br />
were established in 1990, an assessment<br />
using more recent data might<br />
improve to the benefit of SBB, because<br />
SBB has invested a lot in noise<br />
prevention devices since then. Still,<br />
rail transport certainly has a potential<br />
of improvement as far as noise is concerned.<br />
Keywords: noise assessment, noise<br />
prevention measures, Eco-Indicator<br />
99, environmental assessment.<br />
182 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Lärm im Gütertransport<br />
1 Einführung<br />
1.1 Gegenst<strong>and</strong><br />
Lärm 1 wird allgemein als ein ernsthaftes Umweltproblem<br />
angesehen. In Europa leben ungefähr 17% der Gesamtbevölkerung<br />
in Immissionssituationen, bei denen sich ernsthafte<br />
Schäden bemerkbar machen (Stanners & Bourdeau,<br />
1995, S. 363). Gemäss dem ersten Umweltbericht der<br />
Schweiz sind fast 30% der Bevölkerung Lärmwerten des<br />
Strassenverkehrs ausgesetzt, die als kritisch bezeichnet werden<br />
müssen (Bundesamt für Statistik (BfS) und Bundesamt<br />
für Umwelt, Wald und L<strong>and</strong>schaft (BUWAL), 1997, S.<br />
129-130). Ungefähr 0,7% der Bevölkerung (50’000 Personen)<br />
erfahren Eisenbahnlärm, der über dem Alarmgrenzwert<br />
liegt; weitere 300’000 Personen sind von Eisenbahnlärm<br />
über dem Immissionsgrenzwert betroffen.<br />
Bickel & Friedrich (1995, S. 112) kommen in ihrer Studie<br />
über die externen Kosten des Verkehrs in den alten Bundesländern<br />
Deutschl<strong>and</strong>s für das Jahr 1990 allerdings zum<br />
Schluss, dass die Unsicherheiten der Bewertung der Lärmschadenskosten<br />
sehr gross sind. Für den Strassenlärm erhalten<br />
sie einen Betrag zwischen 1 und 18 Milliarden DM, für<br />
den Schienenlärm Kosten zwischen 130 Millionen und 4<br />
Milliarden DM. In ihren Berechnungen ergibt dies – soweit<br />
quantifizierbar – für den Strassenverkehr einen Anteil von<br />
5% bis 26%, für den Schienenverkehr von 22% bis 74% an<br />
den externen Kosten, wenn Trennwirkung, Unfallkosten,<br />
Wasserbelastung und nicht quantifizierbare CO2-Emissionen<br />
nicht berücksichtigt werden.<br />
INFRAS & IWW (2000, S. S-3) stellen fest, dass der Lärm<br />
in Europa einen Anteil von fast 7% an den externen Kosten<br />
des Verkehrs ausmacht. 2 Schliesst man Unfälle als Schadenkategorie<br />
aus, ergibt sich für Lärm einen Anteil an den<br />
externen Kosten von fast 10%. Über 90% dieser Lärmkosten<br />
werden durch den Strassenverkehr verursacht. <strong>Die</strong> Schiene<br />
ist nur für einen Anteil von ungefähr 2% verantwortlich.<br />
Trotzdem wird der Bahnlärm als einer der Schwachpunkte<br />
der sonst guten Umweltbilanz der Bahn angesehen. <strong>Die</strong>s ist<br />
der Fall, weil dieser Lärm konzentriert entlang einiger<br />
Hauptbahnstrecken auftritt.<br />
Trotzdem wird in der Ökobilanzierung Lärm als eine<br />
Schadenkategorie oft weggelassen, z.B. in der EPS Methode<br />
(Steen, 1996). Eine verbreitete Ökobilanzierungsmethode,<br />
der Eco-Indicator 95, schliesst die Berücksichtigung von<br />
Lärm explizit aus, da Lärm als lokales Problem nicht in die<br />
von Zeit und Raum abstrahierende Methodik der Ökobilanzierung<br />
passe (Goedkoop, 1995). Wenn der Lärm aufgeführt<br />
wird, wie z.B. in der CML-Methode (Heijungs, 1992) oder<br />
von Udo de Haes (1996), dann in der Regel ohne praktikable<br />
Vorschläge, wie die Schadensbewertung durchzuführen ist.<br />
Es hat in der Vergangenheit immer wieder einzelne Vorschläge<br />
geben, wie der Strassenlärm in der Ökobilanz gewichtet<br />
werden könnte. Braunschweig & Müller-Wenk<br />
(1993, S. 146) berechnen für die von ihnen entwickelte<br />
Methode der Umweltbelastungspunkte (UBP) einen Ökofaktor<br />
von 1600 UBP/km für einen Lastwagen und 140<br />
UBP/km für einen Personenwagen. Lafleche & Sacchetto<br />
(1997, S. 115) berechneten die Lärmbelastung, die von<br />
einem Transport auf der Strecke Bologna - Mail<strong>and</strong> ausgeht,<br />
und kamen auf 7.47*10 -4 betroffene Personen pro tkm für<br />
einen Lastwagen und 6.88*10 -4 betroffene Personen pro<br />
pkm für einen Personenwagen. Maibach, Peter & Seiler<br />
(1995, S. 20f) berechnen im «Ökoinventar Transporte» die<br />
Fläche, auf der wegen eines Transportes der Immissionsgrenzwert<br />
überschritten wird. 3 Pro tkm ergibt sich in diesem<br />
Modell eine Belastung von 32 bis 45 m 2 /tkm für Güterbahntransporte<br />
und von 19 bis 52 m 2 /tkm für Lastwagen (Maibach<br />
et al., 1995, S. 78).<br />
Müller-Wenk (1999) stellte eine Methode zur Diskussion,<br />
wie die Lärmbelastung des Strassenverkehrs in den Eco-Indicator<br />
99 integriert werden könnte. Angewendet wurde<br />
diese Methode noch nie. Für <strong>and</strong>ere Lärmquellen, insbesondere<br />
für die Eisenbahn, bestehen noch keine Modelle.<br />
1.2 Ziel<br />
<strong>Die</strong> Ziele dieser Arbeit sind die Erarbeitung einer Methode<br />
zur Bilanzierung der Lärmemissionen der Eisenbahn und<br />
die Erstellung einer Lärmbilanz für ausgewählte Transportketten<br />
von und nach der Region Zug. Grundlage für das<br />
Eisenbahnmodell bildet das Modell für den Strassenlärm<br />
von Müller-Wenk (1999). Da wir Gütertransporte betrachten,<br />
beschränken wir uns auf den Güterverkehr, zeigen aber<br />
auf, wie das Modell auf Personenverkehr erweitert werden<br />
könnte.<br />
1 Eine Erklärung aller Fachbegriffe bezüglich Lärm würde den Umfang dieses Kapitels sprengen. Im Kapitel Lärm des <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>nb<strong>and</strong>es ‘99<br />
(Scholz et al., 2001) werden diese Begriffe – z.B. die Einheit dB(A) – erklärt.<br />
2 <strong>Die</strong> externen Kosten des Verkehrs wiederum machen etwa 8% des Bruttoinl<strong>and</strong>produktes der in die Studie einbezogenen 17 europäischen Länder aus.<br />
3 Dabei gehen sie so vor, dass eine 1 km lange Strassenstrecke voll mit unimodalem Verkehr ausgelastet wird. <strong>Die</strong> dadurch betroffene Fläche wird dann<br />
durch die geleistete Verkehrsleistung bei realer Auslastung dividiert.<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 183
Lärm im Gütertransport<br />
2 Einbezug von Strassenlärm in<br />
den Eco-Indicator 99<br />
2.1 Einleitung<br />
Müller-Wenk (1999) beschreibt eine Methode, die den Einbezug<br />
der Lärmemissionen von Strassenverkehr in eine<br />
Ökobilanz, durchgeführt mit Eco-Indicator 99, ermöglicht.<br />
Wir fassen im Folgenden diese Methode zusammen, da<br />
unser Modell ohne deren Kenntnis nur schwer verständlich<br />
ist. Eine kurze Beschreibung des Eco-Indicator 99 findet<br />
sich im Kap. Ökoeffizienz von Transportketten, Abschnitt<br />
4.3.<br />
Als Auswirkungen von Lärm werden Schäden am Schutzgut<br />
«Menschliche Gesundheit» betrachtet. 4 Der Eco-Indicator<br />
99 bewertet Schäden an den drei Schutzgütern «Menschliche<br />
Gesundheit», «Ökosystemqualität» und «Ressourcenvorrat».<br />
Obwohl Lärm auch auf die Ökosystemqualität einwirkt<br />
– z.B. durch Störung von Tieren – wird diese aus<br />
folgenden Gründen vernachlässigt: Einerseits wäre die Bewertung<br />
wesentlich schwieriger durchzuführen und <strong>and</strong>erseits<br />
werden die Auswirkungen auf Ökosysteme im Vergleich<br />
mit den Einflüssen auf die menschliche Gesundheit<br />
als gering eingeschätzt.<br />
Als gesundheitliche Schäden von Lärm betrachtet Müller-<br />
Wenk Kommunikations- und Schlafstörungen. Weitere Beeinträchtigungen,<br />
die im Bereich des Lärmpegels von Strassenverkehr<br />
(ca. 40–70 dB(A)) auftreten, sind Konzentrationsstörungen<br />
und Behinderung von Freizeittätigkeiten, insbesondere<br />
Erholung (Müller-Wenk, 1999, S. 11ff und Infraconsult,<br />
1992). Kommunikationsstörungen können mit einer<br />
Erschwerung der Kommunikation durch Schwerhörigkeit<br />
verglichen werden. <strong>Die</strong>se werden vor allem während<br />
des Tages (06-22 Uhr), Schlafstörungen während der Nacht<br />
(22-06 Uhr) verursacht.<br />
2.2 Ausbreitungsmodell<br />
<strong>Die</strong> Fragestellung beim Ausbreitungsmodell lautet: «Um<br />
wie viele dB(A) wird der Lärmpegel durch eine zusätzliche<br />
Lärmquelle erhöht?». Als Lärmquelle definiert Müller-<br />
Wenk ein zusätzliches Fahrzeug pro Stunde. Seine Berechnungen<br />
beruhen auf einem Modell des BUWAL, mit<br />
dem der Lärmpegel einer Strasse bestimmt werden kann. Es<br />
werden darin zwei Fahrzeugkategorien unterschieden (Bundesamt<br />
für Umwelt, Wald und L<strong>and</strong>schaft, 1991):<br />
– Kategorie 1: Personenwagen, Lieferwagen, Motorfahrräder;<br />
Abb. 2.1: Schema des Eco-Indicator 99 mit dem zusätzlichen Schadensindikator «Lärm». Es zeigt die Einordnung des<br />
Vorgehens von Müller-Wenk in das allgemeine Schema des Eco-Indicator 99 und gliedert sich in die vier Schritte<br />
«Ausbreitungsmodell», «Expositionsanalyse», «Abschätzung von Dosis-Wirkungs-Beziehungen» und «Schadenabschätzung»<br />
(von rechts nach links). Verändert nach Goedkoop & Spriensma, 1999.<br />
4 Berglund et al. (1999) geben eine kurze Zusammenfassung der gesundheitlichen Auswirkungen von Lärm.<br />
184 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Lärm im Gütertransport<br />
– Kategorie 2: Lastwagen, Autobusse, Traktoren, Motorräder.<br />
Da die Einheit dB(A) logarithmisch ist, verursacht ein<br />
zusätzliches Fahrzeug auf stark befahrenen Strassen mit<br />
hohem Lärmpegel eine geringere Zunahme des Lärmpegels<br />
als auf schwach befahrenen Strassen. Müller-Wenk berechnet<br />
die Zunahme des Lärmpegels (∆Leq) für vier Strassentypen:<br />
– Autobahnen,<br />
– Hauptverkehrsstrassen / Autostrassen (HVS) ausserorts,<br />
– verkehrsreiche Strassen innerorts,<br />
– übrige Strassen.<br />
Ausserdem unterscheidet er Verkehr bei Tag (06-22 Uhr)<br />
und Verkehr bei Nacht (22-06 Uhr). <strong>Die</strong> Resultate sind in<br />
Tab. 2.2.1 aufgeführt.<br />
Bei der Ökobilanzierung weiss man im Allgemeinen<br />
nicht, wo genau ein Transport durchfährt, sondern man kann<br />
in der Regel nur die Transportdistanz und die Tonnage,<br />
respektive die Zahl der benötigten Fahrzeuge und die Fahrzeugart<br />
angeben. Das Ausbreitungsmodell muss dieser Lage<br />
Rechnung tragen. <strong>Die</strong> in Tab. 2.2.1 aufgeführten ∆Leq-Werte<br />
gelten für den Verkehr von einem zusätzlichen Fahrzeug<br />
während jeder Stunde auf dem gesamten Schweizer Streckennetz.<br />
Davon ausgehend berechnet Müller-Wenk den<br />
∆Leq einer einzigen Fahrt von 1000 km Länge in zwei<br />
Schritten. <strong>Die</strong> Linearisierung bei Multiplikation und Division<br />
ist möglich, da die ∆Leq-Werte klein sind (Ruedi Müller-<br />
Wenk, persönliche Mitteilung, 22.7.2000):<br />
– Multiplikation des ∆Leq mit 1000 km und Division durch<br />
die Länge des Streckennetzes des entsprechenden<br />
Strassentyps. <strong>Die</strong>se Rechnung basiert auf der Überlegung,<br />
dass die 1000 km gleichmässig über das ganze<br />
Streckennetz verteilt sind als Anteile jedes einzelnen<br />
1-km Stücks.<br />
– Division des Ergebnisses durch die Anzahl Tages- bzw.<br />
Nachtstunden in einem Jahr (5840 bzw. 2920), da das<br />
Fahrzeug nur einmal verkehrt.<br />
Es wird nun die zentrale Annahme gemacht, der mit Hilfe<br />
der Ökobilanz zu beurteilende zusätzliche Transportfall mit<br />
definierter Personenzahl bzw. Nutzlast und Transportdistanz<br />
(im Beispiel 1000 km) sei über das ganze Strekkennetz<br />
proportional zum bisher vorh<strong>and</strong>enen Gesamtverkehr<br />
verteilt. Somit wird die angenommene Fahrt von 1000<br />
km entsprechend ihrem Anteil am Verkehrsaufkommen auf<br />
die verschiedenen Strassentypen verteilt.<br />
Durch dieses Vorgehen wird der tatsächlich auf irgendeiner<br />
unbekannten Route des Gesamtnetzes stattfindende<br />
Transport derart auf das ganze Strassennetz «verschmiert»,<br />
dass eine theoretische Lärmpegelerhöhung auf dem Gesamtnetz<br />
errechnet werden kann, die schadensäquivalent ist<br />
zum tatsächlichen Transport auf der nicht bekannten Route.<br />
<strong>Die</strong>se Lärmpegelerhöhungen sind in Tab. 2.2.2 aufgeführt,<br />
unterschieden nach Tageszeiten und Fahrzeugkategorien.<br />
2.3 Expositionsanalyse<br />
<strong>Die</strong> Fragestellung der Expositionsanalyse lautet: «Wie viele<br />
Personen sind von der Erhöhung des Lärmpegels betroffen?».<br />
Eigentlich sind alle in der Nähe von Strassen wohnenden<br />
Personen von der entsprechenden Erhöhung des äquivalenten<br />
Lärmpegels betroffen. Wie die Wirkungsanalyse (s.<br />
Abschnitt 2.4) zeigt, lösen Lärmpegel unterhalb 45-50<br />
dB(A) nachts und unterhalb 50-55 dB(A) tags keine greifbaren<br />
Schadwirkungen aus. Demzufolge entsteht in diesem<br />
Bereich durch die kleinen Erhöhungen des äquivalenten<br />
Lärmpegels, wie sie im Ausbreitungsmodell errechnet wurden,<br />
kein Schaden. Darum ist die von der Pegelerhöhung<br />
betroffene Bevölkerung gleich der Bevölkerung, die mit<br />
Lärmpegeln oberhalb der vorgenannten kritischen Grenze<br />
vorbelastet ist. 5<br />
Müller-Wenk (1999, S. 38ff) verwendet für die Expositionsanalyse<br />
das Lärmübersichtskataster (LUK) des Kantons<br />
Zürich (beschrieben in Angst, Grauwiler & Müller, 1998),<br />
da dieses die aktuellsten Daten für die Schweiz liefert. Das<br />
LUK-Modell berechnet die Anzahl Wohnungen mit einer<br />
Lärmbelastung von 30-85 dB(A) im Kanton Zürich ohne die<br />
Tab. 2.2.1: Zunahme des Lärmpegels durch den Verkehr eines zusätzlichen Fahrzeugs pro Stunde. Auf stärker befahrenen<br />
Strassen ist dieser Wert wegen der logarithmischen Einheit dB(A) geringer (nach Müller-Wenk, 1999, S. 32).<br />
Tageszeit Tag Nacht<br />
Strassentyp<br />
Autobahnen<br />
übrige<br />
Strassen<br />
Autobahnen<br />
HVS<br />
ausserorts<br />
verk.-reich<br />
innerorts<br />
HVS<br />
ausserorts<br />
verk.-reich<br />
innerorts<br />
übrige<br />
Strassen<br />
Leq [dB(A)] 85.3678 73.0286 74.8313 64.0849 76.0747 63.6172 65.6195 59.0613<br />
∆Leq Kat. 1 [dB(A)] 0.00230 0.01629 0.00455 0.09375 0.01950 0.14027 0.03782 0.29134<br />
∆Leq Kat. 2 [dB(A)] 0.01641 0.15181 0.05631 0.88923 0.13755 1.17485 0.44872 2.36149<br />
5 Durch die Ausbreitung des Lärms verändert sich der ∆Leq nicht, da die Abnahme des Leq in dB(A) linear ist. In zehn Meter Entfernung von der Strasse<br />
beträgt die Zunahme des Lärmpegels gleich viele dB(A) wie in einer Entfernung von nur einem Meter.<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 185
Lärm im Gütertransport<br />
Tab. 2.2.2: Zunahme des Lärmpegels durch eine Fahrt von 1000 km. <strong>Die</strong> Mittel wurden nach dem Anteil des Strassentyps<br />
am Verkehrsaufkommen gewichtet. <strong>Die</strong> Werte der Fahrzeugkategorie 2 sind ca. zehnmal grösser als diejenigen der Kategorie<br />
1. Nachtwerte sind ebenfalls ca. zehnmal grösser als Tageswerte (nach Müller-Wenk, 1999, S. 32).<br />
Tageszeit Tag Nacht<br />
Strassentyp<br />
Autobahnen<br />
übrige<br />
Strassen<br />
Autobahnen<br />
Anteil am Verkehrsaufkommen<br />
HVS<br />
ausserorts<br />
verk.-reich<br />
innerorts<br />
HVS<br />
ausserorts<br />
verk.-reich<br />
innerorts<br />
übrige<br />
Strassen<br />
24% 30% 26% 20% 24% 30% 26% 20%<br />
Länge [km] 1560 15683 3790 58967 1560 15683 3790 58967<br />
∆Leq Kat. 1 [dB(A)] 0.0023 0.0163 0.0046 0.0938 0.0195 0.1403 0.0378 0.2913<br />
∆Leq Kat. 2 [dB(A)] 0.0164 0.1518 0.0563 0.8892 0.1376 1.1749 0.4487 2.3615<br />
∆Leq 1000 km<br />
Kat. 1<br />
∆Leq 1000 km<br />
Kat. 2<br />
gewichtetes Mittel<br />
Kategorie 1<br />
gewichtetes Mittel<br />
Kategorie 2<br />
2.5*10 -7 1.8 * 10 -7 2.1 * 10 -7 2.7*10 -7 4.3 * 10 -6 3.1 * 10 -6 3.4*10 -6 1.7 * 10 -6<br />
1.8*10 -6 1.7 * 10 -6 2.5 * 10 -6 2.6*10 -6 3.0 * 10 -5 2.6 * 10 -5 4.1*10 -5 1.4 *10 -5<br />
2.22 * 10 -7 3.17 * 10 -6<br />
2.11 * 10 -6 2.82 * 10 -5<br />
Tab. 2.3: Anzahl der in der Schweiz vom Strassenlärm betroffenen<br />
Personen. Lärmpegel an der Aussenw<strong>and</strong> des Hauses<br />
(nach Müller-Wenk, 1999, S. 46f).<br />
Betroffene<br />
Tag<br />
Nacht<br />
Person<br />
> 55 dB(A) 3’053’600<br />
> 50 dB(A) 5’157’500 1’957’700<br />
> 45 dB(A) 3’739’600<br />
Städte Zürich und Winterthur; die Klassenbreite beträgt 1<br />
dB(A).<br />
Unter der Annahme, dass die Situation im Kanton Zürich<br />
(ohne die Städte Zürich und Winterthur) repräsentativ ist für<br />
die gesamte Schweiz, wird diese Verteilung der Lärmbetroffenheit<br />
auf die ganze Schweiz erweitert. Dazu wird zuerst<br />
die Anzahl belärmter Wohnungen durch die Gesamtzahl der<br />
Wohnungen im betrachteten Gebiet dividiert; der so berechnete<br />
Faktor bezeichnet den Anteil einer dB(A)-Klasse an der<br />
Grundgesamtheit. <strong>Die</strong>ser Faktor wird mit der Bevölkerungszahl<br />
der Schweiz multipliziert, woraus sich die Anzahl<br />
Personen ergibt, die in der Schweiz bei dem Lärmpegel der<br />
entsprechenden dB(A)-Klasse leben. Eine gesundheitliche<br />
Beeinträchtigung der betroffenen Personen erfolgt tags ab<br />
ca. 50-55 dB(A), nachts ab ca. 45-50 dB(A) (siehe Tab. 2.3).<br />
2.4 Abschätzung von Dosis-Wirkungs-<br />
Beziehungen<br />
<strong>Die</strong> Fragestellung der Abschätzung von Dosis-Wirkungs-<br />
Beziehungen lautet: «Wie werden die einem erhöhten<br />
Lärmpegel ausgesetzten Personen durch diesen beeinträchtigt?».<br />
<strong>Die</strong> Personen, die bei einer Lärmbelastung oberhalb<br />
der kritischen Grenzen Kommunikations- bzw. Schlafstörungen<br />
aufweisen, nennen wir beeinträchtigte Personen, 6 im<br />
Gegensatz zu den betroffenen Personen, die unter erhöhter<br />
Lärmbelastung leben, durch diese aber nicht unbedingt gestört<br />
werden. <strong>Die</strong> Dosis-Wirkungs-Beziehung (im Folgenden<br />
Störwirkungskurve genannt) zeigt auf, bei welcher<br />
Lärmbelastung ein wie grosser Anteil der betroffenen Bevölkerung<br />
beeinträchtigt ist.<br />
Müller-Wenk (1999, S. 45) verwendet ein lineares Modell<br />
zwischen den Grenzen von 50 dB(A) (0% beeinträchtigt)<br />
und 83 dB(A) (100% beeinträchtigt) mit einer Steigung von<br />
3% pro 1 dB(A) (siehe Abb. 2.4.1).<br />
Das Modell ist dasselbe für Tag (Kommunikationsstörungen)<br />
und Nacht (Schlafstörungen). Es kann der Einw<strong>and</strong><br />
erhoben werden, dass Kommunikationsstörungen eher bei<br />
6 In der Literatur als «highly annoyed» oder «seriously disturbed persons» bezeichnet.<br />
186 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Lärm im Gütertransport<br />
Abb. 2.4.1: <strong>Die</strong> von Müller-Wenk<br />
(1999) verwendete Modellierung der<br />
Beziehung zwischen Lärmpegel und<br />
Anteil beeinträchtigter Personen (Störwirkungskurve).<br />
<strong>Die</strong> Beeinträchtigung<br />
besteht aus Kommunikationsstörungen<br />
(Tag) bzw. Schlafstörungen (Nacht).<br />
Abb. 2.4.2: Eine zweite Variante der<br />
Störwirkungskurve. Kommunikationsstörungen<br />
treten erst ab 55 dB(A) auf,<br />
Schlafstörungen bereits ab 45 dB(A).<br />
einem höheren, Schlafstörungen bei einem tieferen Lärmpegel<br />
als 50 dB(A) eintreten. Müller-Wenk (1999, S. 47)<br />
schlägt deshalb auch eine zweite Modellvariante vor, nach<br />
der die untere Grenze für Kommunikationsstörungen bei 55<br />
dB(A) gesetzt wird, für Schlafstörungen bei 45 dB(A). <strong>Die</strong><br />
Steigung bleibt mit 3% pro 1 dB(A) unverändert (siehe Abb.<br />
2.4.2). <strong>Die</strong>se Grenzen von 55 bzw. 45 dB(A) entsprechen<br />
den Planungswerten der Lärmschutzverordnung (LSV) für<br />
Wohnzonen (Empfindlichkeitsstufe II).<br />
Da wir für das Eisenbahnlärmmodell die Grenzen 55/45<br />
dB(A) verwenden, rechnen wir auch für die Strasse mit<br />
dieser Variante. Im folgenden beziehen sich daher alle Aussagen<br />
und Rechnungen immer auf die zweite Modellvariante<br />
gemäss Abb. 2.4.2.<br />
Wie wirkt sich eine Zunahme, ∆Leq, des Lärmpegels um<br />
1 dB(A) aus? Zum Beispiel beträgt die Belastung für Personen,<br />
die vorher bei einem Lärmpegel von 60 dB(A) lebten,<br />
jetzt 61 dB(A). Am Tag beträgt der Anteil beeinträchtigter<br />
Personen bei 60 dB(A) 15% und bei 61 dB(A) 18%. Durch<br />
einen Anstieg des Lärmpegels von 60 dB(A) auf 61 dB(A)<br />
werden demnach 3% der von diesem Lärmpegel betroffenen<br />
Personen neu beeinträchtigt, d.h. zusätzlich zu den bereits<br />
vorher beeinträchtigten Personen. Da das Modell linear ist,<br />
ergibt sich die gleiche Zunahme an beeinträchtigten Personen<br />
im ganzen Bereich von 55-88 dB(A) (am Tag) bzw.<br />
45-78 dB(A) (nachts).<br />
Damit ermöglicht das lineare Modell eine bedeutende<br />
Vereinfachung: Bei jeder <strong>and</strong>eren Form der Störwirkungskurve<br />
müsste die Anzahl der zusätzlich beeinträchtigten<br />
Personen für jede dB(A)-Klasse einzeln berechnet werden.<br />
Da aber im relevanten Bereich die Zunahme der beeinträchtigten<br />
Personen immer 3% pro 1 dB(A) beträgt, genügt es,<br />
die gesamte Zahl der von einem Lärmpegel über 55 bzw. 45<br />
dB(A) betroffenen Personen zu kennen. <strong>Die</strong> Anzahl der<br />
durch einen ∆Leq von 1 dB(A) zusätzlich beeinträchtigten<br />
Personen beträgt dann 3% dieser Gesamtzahl Betroffener.<br />
2.5 Schadenabschätzung<br />
<strong>Die</strong> Fragestellung der Schadenabschätzung lautet: «Wie<br />
schwer wiegt die Beeinträchtigung im Vergleich mit <strong>and</strong>eren<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 187
Lärm im Gütertransport<br />
gesundheitlichen Schäden?». <strong>Die</strong> Aggregationseinheit des<br />
Eco-Indicator 99 für Schäden an der menschlichen Gesundheit<br />
ist die von Weltbank und WHO unter Leitung von<br />
Murray & Lopez (1996a) entwickelte Einheit DALY (disability<br />
adjusted life years). Ein DALY entspricht einem verlorenen<br />
gesunden Lebensjahr. Verschiedenen Krankheiten<br />
können dabei entsprechende Gewichtungsfaktoren der Beeinträchtigung<br />
von 0 (vollständige Gesundheit) bis 1 (Tod)<br />
zugeordnet werden. Ein Gewichtungsfaktor von 0.1 bedeutet,<br />
dass zehn mit dieser Krankheit gelebte Jahre vergleichbar<br />
sind mit einem um ein Jahr vorzeitigen Tod. Ein Panel<br />
von sechs Medizinern ordnete der Kommunikations- und<br />
der Schlafstörung Gewichtungsfaktoren der Beeinträchtigung<br />
zu (siehe Abb. 2.5).<br />
<strong>Die</strong> Spannweite der Werte ist relativ gross und die Zahl<br />
von sechs Experten gering. Müller-Wenk rechnet sowohl für<br />
Kommunikations- als auch für Schlafstörungen mit einem<br />
Gewichtungsfaktor von 0.05. Er betrachtet diesen Schritt als<br />
den unsichersten Teil der gesamten Analyse. In der Tat<br />
kommt die kürzlich erschienene Studie von De Holl<strong>and</strong>er et<br />
al. (1999) zu Gewichtungsfaktoren von 0.01 sowohl für<br />
Kommunikations- als auch für Schlafstörungen.<br />
2.6 Berechnung des Lärmschadens<br />
Zunächst wird berechnet, welche Erhöhung des Lärmpegels<br />
∆Leqi ein zusätzliches Fahrzeug pro Stunde auf verschiedenen<br />
Strassentypen verursacht. Daraus wird die theoretische<br />
Lärmpegelerhöhung einer Fahrt von 1000 km auf unbekannter<br />
Strecke berechnet (vgl. Abschnitt 2.2). <strong>Die</strong>se theoretische<br />
Lärmpegelerhöhung gilt während eines Jahres für das<br />
gesamte Schweizer Streckennetz.<br />
Durch diese Lärmpegelerhöhung ist nun ein entsprechender<br />
Anteil der bereits von einer kritischen Lärmbelastung<br />
betroffenen Bevölkerung zusätzlich in ihrer Gesundheit beeinträchtigt,<br />
nämlich 3% pro dB(A). Deshalb wird die theoretische<br />
Lärmpegelerhöhung mit der Anzahl betroffener<br />
Personen in der Schweiz BCH und mit 3% multipliziert,<br />
woraus sich die Anzahl Personen ergibt, die durch eine Fahrt<br />
von 1000 km zusätzlich beeinträchtigt sind. <strong>Die</strong>se wird nun<br />
noch mit dem Gewichtungsfaktor für Kommunikationsbzw.<br />
Schlafstörungen dw gewichtet. Daraus ergibt sich der<br />
Lärmschaden, der durch eine Fahrt von 1000 km verursacht<br />
wird. <strong>Die</strong> Einheit dieses Schadens ist DALY. <strong>Die</strong> Berechnung<br />
kann mit Formel 1 dargestellt werden, numerische<br />
Werte für die Fahrzeugkategorien sind aus Tab. 2.6. ersichtlich.<br />
Lärmschaden<br />
⎛<br />
= ∑⎜<br />
i ⎝<br />
L<br />
SL<br />
1<br />
h<br />
[ DALY ] ⎜∆<br />
Leq ⋅ ⋅ ⋅% V ⎟⋅<br />
B ⋅s⋅dw<br />
Formel 1: Berechnung des Lärmschadens in DALY. ∆Leqi =<br />
∆Leq des Strassentyps i, wenn zu jeder Tages- bzw. Nachtstunde<br />
ein zusätzliches Fahrzeug verkehrt; L = Länge der<br />
gefahrenen Strecke; SLi = Streckennetzlänge des Strassentyps<br />
i; hy = Anzahl Tages- bzw. Nachtstunden pro Jahr (5840<br />
bzw. 2920); %V i = Anteil des Strassentyps i am gesamten<br />
Verkehrsaufkommen; BCH = Anzahl der in der Schweiz von<br />
Strassenlärm über einem bestimmten Grenzwert betroffenen<br />
Personen; s = Anteil der durch einen ∆Leq von 1 dB(A)<br />
zusätzlich beeinträchtigten Personen (Steigung der Störwirkungskurve,<br />
hier 3%); dw = Gewichtungsfaktor der Beeinträchtigung<br />
für Kommunikations- bzw. Schlafstörung.<br />
Tab. 2.6: Lärmschaden einer Fahrt von 1000 km in DALY für<br />
die beiden in Abschnitt 2.2 definierten Fahrzeugkategorien.<br />
<strong>Die</strong> Werte wurden mit den Grenzen 55/45 dB(A) berechnet<br />
und entsprechen deshalb nicht den von Müller-Wenk (1999,<br />
S. 50) aufgeführten Werten.<br />
Fahrzeugkategorie<br />
Lärmschaden<br />
Tag [DALY]<br />
i<br />
i<br />
y<br />
i<br />
⎞<br />
⎟<br />
⎠<br />
CH<br />
Lärmschaden<br />
Nacht [DALY]<br />
Kategorie 1 (PKW) 0.0010 0.018<br />
Kategorie 2 (LKW) 0.010 0.16<br />
Abb. 2.5: Von einem Medizinerpanel bestimmte Gewichtungsfaktoren<br />
der Beeinträchtigung für Kommunikationsund<br />
Schlafstörungen (nach Müller-Wenk, 1999, S. 49).<br />
188 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Lärm im Gütertransport<br />
3 Modell für die Auswirkungen<br />
des Schienenlärms<br />
Im Folgenden stellen wir ein Modell vor, das die Auswirkungen<br />
der Lärmemissionen einer Güterzugsfahrt in DALY<br />
berechnet. Das Modell lehnt sich an die Methodik von<br />
Müller-Wenk (1999) für Strassenlärm an. Durch Unterschiede<br />
in den vorh<strong>and</strong>enen Daten, die für die Eisenbahn im<br />
Gegensatz zur Strasse immer streckenbezogen sind, ergeben<br />
sich jedoch beträchtliche Abweichungen.<br />
<strong>Die</strong> Modelle sind für Gütertransport, speziell für Wagenladungsverkehr<br />
ausgearbeitet, können aber leicht auf <strong>and</strong>ere<br />
Gütertransportarten (z.B. unbegleiteter Kombiverkehr) und<br />
auf den Personenverkehr erweitert werden. Wir gehen davon<br />
aus, dass die genaue Route des Zuges bekannt ist, und<br />
nicht nur die gefahrene Distanz.<br />
3.1 Ausbreitungsmodell<br />
Im Abschnitt Ausbreitungsmodell ist die Berechnung der<br />
Zunahme des Lärmpegels, die durch den Verkehr von zusätzlichen<br />
Zügen verursacht wird, aufgeführt.<br />
3.1.1 Emissionskataster der SBB<br />
Der Lärmpegel entlang einer Eisenbahnstrecke hängt von<br />
folgenden Faktoren ab:<br />
– Rollmaterial,<br />
– Geschwindigkeit,<br />
– Verkehrsmenge (Unterscheidung nach Perioden und<br />
Zugstypen),<br />
– Fahrbahnbeschaffenheit.<br />
Zunächst wird der Emissionspegel Leq,z jedes Zugstyps<br />
berechnet 7 , daraus ergibt sich der Gesamtemissionspegel<br />
der Strecke nach Formel 2.<br />
⎛<br />
Leq,e = 10⋅log⎜∑ ⋅<br />
⎝ i<br />
Leq,z<br />
10 0.1 i<br />
Formel 2: Berechnung des Gesamtemissionspegels (Leq,e)<br />
einer Strecke anh<strong>and</strong> der Emissionspegel der Zugstypen<br />
(Leq,z).<br />
<strong>Die</strong> Lärmschutzverordnung (LSV) definiert einen Beurteilungspegel<br />
Lr, der massgebend ist für die Bewertung der<br />
Lärmimmissionen. Er wird gem. Formel 3 berechnet.<br />
⎞<br />
⎟<br />
⎠<br />
Lr = Leq + K1<br />
Formel 3: Berechnung des Beurteilungspegels (Lr) als<br />
massgebende Grösse zur Bewertung der Lärmimmissionen.<br />
Pegelkorrektur (K1) = -15 für M < 7.9; K1 = 10 * log (M /<br />
250) für 7.9 ≤ M ≤ 79; K1 = -5 für M > 79; M = Verkehrsmenge<br />
(Anzahl Züge pro Periode); Leq = Emissionspegel.<br />
<strong>Die</strong> Pegelkorrektur K1 beruht darauf, dass Eisenbahnlärm<br />
als weniger störend empfunden wird als Strassenlärm (Eidgenössische<br />
Kommission für die Beurteilung von Lärm-Immissionsgrenzwerten,<br />
1982). <strong>Die</strong>s belegen auch internationale<br />
Untersuchungen (z.B. Miedema & Vos, 1998).<br />
Wenn wir das Störwirkungsmodell für Strassenlärm von<br />
Müller-Wenk (vgl. Abschnitt 2) verwenden wollen, müssen<br />
wir eine Änderung des Beurteilungspegels und nicht des<br />
Gesamtemissionspegels betrachten. Im Emissionskataster<br />
der SBB (Schweizerische Bundesbahnen, 1999a) sind für<br />
jeden Streckenabschnitt folgende Grössen aufgeführt:<br />
– Emissionspegel jedes Zugstyps (Leq,z),<br />
– effektive Geschwindigkeit jedes Zugstyps,<br />
– Verkehrsmenge jedes Zugstyps (aufgeteilt nach Tag und<br />
Nacht),<br />
– Fahrbahnkorrektur (z.B. für Weichenzonen oder Brükkenabschnitte),<br />
– Gesamtemissionspegel (Leq,e) des Streckenabschnitts<br />
(aufgeteilt nach Tag und Nacht).<br />
3.1.2 Berechnung der Zunahme des Lärmpegels<br />
durch den Verkehr zusätzlicher Züge auf einem<br />
Streckenabschnitt<br />
Der ∆Leq eines Streckenabschnittes wird folgendermassen<br />
berechnet: Indem für den entsprechenden Zugstyp eine höhere<br />
Verkehrsmenge M eingesetzt wird 8 , ergibt sich ein<br />
neuer Leq,e. <strong>Die</strong> Differenz der beiden Leq,e-Werte bildet<br />
den ∆Leq. <strong>Die</strong> Fahrbahnkorrektur muss nicht weiter berücksichtigt<br />
werden, da sie unabhängig von der Verkehrsmenge<br />
ist und keinen Einfluss auf den ∆Leq hat. <strong>Die</strong> Pegelkorrektur<br />
hingegen ändert sich bei einer Änderung von Verkehrsmengen<br />
mit bis zu 79 Zügen pro Periode. Auf den meisten<br />
Streckenabschnitten liegen die Verkehrsmengen in der<br />
Nacht unter, am Tag über 79.<br />
Einerseits sind die Veränderungen der Pegelkorrektur<br />
nicht einfach vernachlässigbar, da sie in der Grössenordnung<br />
der ∆Leq-Werte liegen können. Wenn wir aber die<br />
Veränderungen der Pegelkorrektur berücksichtigen wollen,<br />
ergibt sich ein Konflikt zwischen dem Modell der Ausbreitung<br />
und demjenigen der Dosis-Wirkungs-Beziehungen:<br />
Das Modell unterschiedlicher Störwirkung von Eisenbahn-<br />
7 <strong>Die</strong> Formeln zur Berechnung des Leq,z eines Zugstyps sind in Anhang I des wissenschaftlichen Anhangs aufgeführt. <strong>Die</strong>ser Anhang kann über <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong><br />
bezogen werden. Kontaktanschrift: Dr. Thomas Mettier, <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong>, <strong>ETH</strong>-Zentrum, CH-8092 Zürich.<br />
8 <strong>Die</strong> Verkehrsmengen der übrigen Zugstypen bleiben unverändert.<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 189
Lärm im Gütertransport<br />
und Strassenlärm, das der Pegelkorrektur zu Grunde liegt,<br />
ist nicht linear (vgl. Eidgenössische Kommission für die<br />
Beurteilung von Lärm-Immissionsgrenzwerten, 1982, S.<br />
24ff), wohingegen wir für die Dosis-Wirkungs-Beziehungen<br />
nach Müller-Wenk ein lineares Modell verwendeten<br />
(vgl. Abschnitt 2.4).<br />
Um diesen Konflikt zu vermeiden, berücksichtigten wir<br />
Veränderungen der Pegelkorrektur nicht, obwohl sich dadurch<br />
ein grosser Fehler ergeben kann. Wir behalten auch<br />
die Bezeichnung ∆Leq bei, um klarzustellen, dass es sich um<br />
eine Differenz des Emissionspegels (und nicht des Beurteilungspegels)<br />
h<strong>and</strong>elt; diese stellt eine Schätzung für die<br />
Änderung des Beurteilungspegels dar.<br />
Wir berechneten den ∆Leq-Wert von 27 Streckenabschnitten<br />
für einen zusätzlichen Zug pro Stunde (siehe<br />
Abb. 3.1.2). <strong>Die</strong>s bedeutet eine Erhöhung der Verkehrsmengen<br />
auf jedem dieser Streckenabschnitte um 16 Züge (am<br />
Tag) bzw. 8 Züge (nachts). 9 Da für unsere Berechnungen nur<br />
der Wagenladungsverkehr interessiert, rechneten wir mit<br />
den Zugstypen «Ferngüterzug» (FG) und «Nahgüterzug»<br />
(NG).<br />
3.1.3 Kategorisierung des SBB-Streckennetzes<br />
Eine Einteilung in Kategorien von unterschiedlich stark<br />
befahrenen Strecken, wie sie für das Strassennetz vorh<strong>and</strong>en<br />
sind und von Müller-Wenk (1999) verwendet wurden, existiert<br />
für das SBB-Streckennetz nicht. <strong>Die</strong> Unterteilung in<br />
mehrere Kategorien ist aber sinnvoll, da bei den höheren<br />
Lärmpegeln von stärker befahrenen Strecken der ∆Leq abnimmt.<br />
Wir nahmen eine grobe Einteilung des Netzes vor.<br />
Als Kriterium diente die mittlere tägliche Belastung der<br />
Hauptgeleise in Gesamtbruttotonnen (GBRT) pro Tag. <strong>Die</strong><br />
Gleisbelastung entnahmen wir der Karte «Mittlere tägliche<br />
Belastung der Hauptgeleise» (Schweizerische Bundesbah-<br />
Abb. 3.1.2: <strong>Die</strong> berechneten ∆Leq-Werte eines zusätzlichen Zuges pro Stunde für 27 Streckenabschnitte in Abhängigkeit der<br />
Gleisbelastung für Ferngüterzüge (FG) und Nahgüterzüge (NG). Zur besseren Übersichtlichkeit sind Extremwerte über 1.5<br />
dB(A) nicht dargestellt. <strong>Die</strong> Werte liegen bei geringerer Gleisbelastung eher höher, der Zusammenhang ist jedoch nicht<br />
eindeutig.<br />
9 Vgl. Teil II und III des wissenschaftlichen Anhangs.<br />
190 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Lärm im Gütertransport<br />
Tab. 3.1.3: Kategorien zur Einteilung des SBB-Strekkennetzes<br />
in unterschiedlich stark befahrene Abschnitte. Als<br />
Massstab dient die Gleisbelastung in tausend Gesamtbruttotonnen<br />
(GBRT) pro Tag.<br />
Streckenkategorie<br />
Gleisbelastung<br />
[1000 GBRT d -1 ]<br />
A < 85<br />
B 85-115<br />
Ebenso liegen die Nachtwerte höher als die Tageswerte<br />
(auch hier mit zwei Ausnahmen). <strong>Die</strong>s entspricht ebenfalls<br />
der Erwartung, da nachts der Lärmpegel tiefer ist und ein<br />
zusätzlicher Zug diesen stärker erhöht als tagsüber. Es fällt<br />
aber auf, dass die Unterschiede zwischen den Strekkenkategorien<br />
nachts viel grösser sind als am Tag. Ein<br />
möglicher Grund dafür ist, dass auf grundsätzlich stark<br />
befahrenen Strecken der Verkehr auch nachts gross ist,<br />
während er auf insgesamt schwach befahrenen Nebenstrekken<br />
nachts stark verringert ist.<br />
C 116-145<br />
D > 145<br />
nen, 1999b), wobei wir die Belastung aller Geleise einer<br />
Strecke addierten. <strong>Die</strong> Kategorien wurden relativ willkürlich<br />
festgelegt 10 , die Einteilung ist aus Tab. 3.1.3 ersichtlich.<br />
3.1.4 Berechnung des ∆Leq für jede Kategorie<br />
In der weiteren Rechnung wird für jede Kategorie der Median<br />
der ∆Leq-Werte aller entsprechenden Beispielstrecken<br />
verwendet. <strong>Die</strong> Werte sind in Tab. 3.1.4 aufgeführt.<br />
3.1.5 Diskussion der Resultate<br />
<strong>Die</strong> ∆Leq-Werte gem. Tab. 3.1.4 sind grösser für schwächer<br />
befahrene Strecken. Eine Ausnahme bilden zwei Werte:<br />
∆Leq Tag FG Kategorie A und ∆Leq Tag NG Kategorie C.<br />
<strong>Die</strong>se Abweichungen können ohne genauere Abklärungen<br />
nicht erklärt werden. Mögliche Gründe für dieses Ergebnis<br />
sind die auf der Strecke verkehrenden Zugstypen (Reiseoder<br />
Güterzüge) oder die auf verschiedenen Strekkenabschnitten<br />
unterschiedlichen Geschwindigkeiten.<br />
<strong>Die</strong> Werte sind für Ferngüterzüge grösser als für Nahgüterzüge.<br />
<strong>Die</strong>s entspricht der Erwartung, da Ferngüterzüge<br />
länger sind als Nahgüterzüge.<br />
3.1.6 Diskussion des Vorgehens<br />
Ein erster Diskussionspunkt ist die zeitliche Bezugsbasis der<br />
zusätzlichen Züge. Müller-Wenk setzt für die Strasse ein<br />
zusätzliches Fahrzeug pro Stunde ein. Für die Eisenbahn ist<br />
dieser Wert sehr hoch, da er für schwach befahrene Strecken<br />
in der Grössenordnung der tatsächlichen Verkehrsmenge<br />
liegt, was für eine Grenzbetrachtung problematisch ist.<br />
Wir rechneten zum Vergleich auch für eine Frequenz von<br />
einem zusätzlichen Zug pro Periode (ein Tag bzw. eine<br />
Nacht). Dadurch ergeben sich tatsächlich etwas höhere Werte.<br />
11 Es besteht aber folgendes Problem: <strong>Die</strong> Leq-Werte der<br />
Zugstypen sind im Emissionskataster der SBB auf 0.1<br />
dB(A) genau angegeben. Bei einer Zunahme der Verkehrsmenge<br />
um einen Zug pro Periode ergäben sich Werte < 0.1<br />
dB(A), d.h. kleiner als die Genauigkeit der Ausgangswerte.<br />
Dadurch würde die Genauigkeit der ∆Leq-Werte stark beeinträchtigt.<br />
Wir entschieden uns deshalb, mit einem zusätzlichen<br />
Zug pro Stunde zu rechnen. <strong>Die</strong>se Frage der zeitlichen<br />
Bezugsbasis wird auch in Abschnitt 6.1.3 Zeitliche<br />
Bezugsbasis unter <strong>and</strong>eren Gesichtspunkten diskutiert.<br />
Einen weiteren Diskussionspunkt bildet die Kategorisierung<br />
der Strecken. <strong>Die</strong> Gleisbelastung scheint auf den ersten<br />
Blick ein repräsentativer Wert für den Lärmpegel eines<br />
Streckenabschnittes zu sein. Eine eindeutige Beziehung<br />
zwischen ∆Leq und Gleisbelastung ist aber nicht feststellbar.<br />
Tab. 3.1.4: ∆Leq (Median) für Fern- und Nahgüterzüge auf den vier Streckenkategorien, wenn pro Tages- bzw. Nachtstunde<br />
ein Zug der entsprechenden Kategorie mehr verkehrt. <strong>Die</strong> Werte sind höher für Ferngüterzüge, während der Nacht und auf<br />
schwächer befahrenen Strecken (A entspricht der Streckenkategorie mit der geringsten Gleisbelastung).<br />
Kategorie ∆Leq Ferngüterzug ∆Leq Nahgüterzug<br />
Tag Nacht Tag Nacht<br />
A 0.5 2.3 0.2 1.0<br />
B 0.6 1.0 0.2 0.4<br />
C 0.6 0.5 0.3 0.2<br />
D 0.3 0.5 0.2 0.2<br />
10 Das Vorgehen ist in Teil IV des wissenschaftlichen Anhangs beschrieben.<br />
11 <strong>Die</strong> Werte für beide Frequenzen sind in Teil V des wissenschaftlichen Anhangs aufgeführt.<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 191
Lärm im Gütertransport<br />
<strong>Die</strong> Streckenkategorisierung ist sicher verbesserungsbedürftig.<br />
Möglicherweise ist eine Einteilung in Transit- und<br />
übrige Strecken – wie im Ökoinventar Transporte (Maibach,<br />
Peter & Seiler, 1995, S. 32) – sinnvoll. Eine grössere Anzahl<br />
an Beispielstrecken wäre wohl hilfreich.<br />
3.2 Expositionsanalyse<br />
In der Expositionsanalyse bestimmen wir die Anzahl Personen,<br />
die vom Lärm einer zusätzlichen Zugsfahrt betroffen<br />
sind. Wir benötigen dazu die Anzahl Personen, die am<br />
SBB-Schienennetz einem bestimmten Beurteilungspegel<br />
ausgesetzt sind. Ideal wäre eine Verteilung in 1 dB(A)-Klassen,<br />
vereinfacht genügt aber auch die Anzahl Personen über<br />
einer Grenze von 55 dB(A) am Tag bzw. 45 dB(A) nachts<br />
(vgl. auch Abschnitt 2.3 und 2.4).<br />
Bei den Werten 55/45 dB(A) h<strong>and</strong>elt es sich um die von<br />
Müller-Wenk (1999) in der zweiten Variante vorgeschlagenen<br />
Werte. <strong>Die</strong> Werte 50/50 dB(A), wie sie Müller-Wenk<br />
(1999) in erster Linie annimmt, kamen für uns aus Gründen<br />
der Datenlage nicht in Frage. 12<br />
Wir verwendeten Daten aus dem Bericht der Infraconsult<br />
(1992) im Auftrag des <strong>Die</strong>nstes für Gesamtverkehrsfragen<br />
(GVF) «Soziale Kosten des Verkehrslärms in der Schweiz».<br />
Darin wurde die Zahl der belärmten Wohnungen ab einem<br />
Beurteilungspegel von 55 dB(A) (Tag) bzw. 45 dB(A)<br />
(Nacht) mit einer Klassenbreite von 5 dB(A) berechnet.<br />
Indem wir eine durchschnittliche Wohnungsbelegung von<br />
drei Personen annahmen (Armin Zach, SBB, persönliche<br />
Mitteilung, Mai 2000), berechneten wir aus diesen Zahlen<br />
die Anzahl betroffener Personen in der Schweiz. 13 Ausserdem<br />
mussten die Zahlen mit einem Faktor korrigiert werden,<br />
da sie für das gesamte Schweizer Schienennetz berechnet<br />
wurden, wir aber nur die SBB-Strecken betrachten. 14 Daraus<br />
ergibt sich die Anzahl der am SBB-Streckennetz von Schienenlärm<br />
betroffenen Personen von 596’000. Der Wert ist<br />
derselbe für Tag und Nacht, da die Studie eine durchschnittliche<br />
Anzahl betroffener Wohnungen ermittelt hat, die für<br />
Tag und Nacht dieselbe ist. <strong>Die</strong> Immissionsgrenzwerte der<br />
Lärmschutzverordnung (LSV) sind für die Nacht um 10<br />
dB(A) tiefer angesetzt als für den Tag.<br />
<strong>Die</strong> Daten stammen aus dem Jahre 1990. Das Bundesamt<br />
für Umwelt, Wald und L<strong>and</strong>schaft nimmt an, dass die<br />
Belastung von 1985 bis Mitte der 90er-Jahre stabil geblieben<br />
ist, da Mehrverkehr durch Lärmschutzmassnahmen<br />
kompensiert wurde (BfS & BUWAL, 1997). Seither hat die<br />
SBB so viel in Lärmschutzmassnahmen investiert, dass sich<br />
die Länge der Lärmschutzwände zwischen 1995 und 1999<br />
verdoppelt hat (Schweizerische Bundesbahnen, 2000). Deshalb<br />
hat die Anzahl Betroffener seit 1990 möglicherweise<br />
abgenommen.<br />
<strong>Die</strong> 596’000 Personen wären von einer Erhöhung des<br />
Lärmpegels betroffen, wenn auf dem gesamten SBB-Strekkennetz<br />
ein zusätzlicher Zug pro Stunde verkehren würde.<br />
Wie viele Personen aber sind betroffen, wenn der Zug nur<br />
auf einem Teil des Streckennetzes verkehrt?<br />
Der einfachste Ansatz ist, die Anzahl Betroffener durch<br />
die Streckennetzlänge zu dividieren und mit der Länge der<br />
gefahrenen Strecke zu multiplizieren. 15 <strong>Die</strong>se Annahme<br />
setzt aber voraus, dass die Bevölkerungsdichte entlang der<br />
Eisenbahn gleichmässig verteilt und der Lärmpegel aller<br />
Strecken gleich hoch ist, dies ist jedoch nicht der Fall.<br />
Eine mögliche Lösung, die aber letztlich nicht befriedigt,<br />
wäre eine Differenzierung der Strecken nach ihrer Gleisbelastung,<br />
wodurch die unterschiedlichen Lärmpegel der verschiedenen<br />
Strecken berücksichtigt würden. Für die<br />
Gotthardstrecke zum Beispiel würde dies aber zu einem<br />
grossen Fehler führen, da diese Strecke sehr stark befahren,<br />
aber nur dünn besiedelt ist.<br />
<strong>Die</strong> genaue Anzahl betroffener Personen könnte für mehrere<br />
ausgewählte Streckenabschnitte (möglichst dieselben,<br />
die zur Bestimmung des ∆Leq verwendet wurden) anh<strong>and</strong><br />
des Immissionskatasters der SBB bestimmt werden. <strong>Die</strong>s<br />
bedeutet jedoch einen beträchtlichen Aufw<strong>and</strong>, der im Rahmen<br />
der <strong>Fallstudie</strong> nicht geleistet werden konnte. Wir folgen<br />
deshalb notgedrungen dem einfachsten Ansatz. Wir rechneten<br />
mit einer Streckennetzlänge von 2941 km (Schweizerische<br />
Bundesbahnen, 1999b). Daraus ergibt sich die Anzahl<br />
betroffener Personen pro Kilometer, nämlich 203. Am Tag<br />
und in der Nacht ist jeweils die gleiche Anzahl Wohnungen,<br />
resp. die gleiche Anzahl Personen von Schienenlärm betroffen.<br />
3.3 Abschätzung von Dosis-Wirkungs-<br />
Beziehungen und des Schadens<br />
Für die Abschätzung von Dosis-Wirkungs-Beziehungen bestimmten<br />
wir die Anzahl der durch die Erhöhung des<br />
Lärmpegels zusätzlich beeinträchtigten Personen. Wir verwenden<br />
die zweite der von Müller-Wenk (1999) vorgeschlagenen<br />
Modellvarianten für Strassenlärm (vgl. Abb. 2.4.2).<br />
<strong>Die</strong>se geht davon aus, dass Kommunikationsstörungen ab<br />
55 dB(A) und Schlafstörungen ab 45 dB(A) auftreten. <strong>Die</strong><br />
Zunahme des Anteils der beeinträchtigten Personen beträgt<br />
3% pro dB(A).<br />
Bei der Schadenabschätzung wird die Gewichtung von<br />
Kommunikations- und Schlafstörungen im Vergleich zu<br />
<strong>and</strong>eren Krankheiten bestimmt. Wir verwendeten die von<br />
Müller-Wenk (1999, S. 49) mit Hilfe eines Medizinerpanels<br />
12 Vgl. dazu Teil VI des wissenschaftlichen Anhangs.<br />
13 Müller-Wenk (1999, S. 39) rechnet mit einer Wohnungsbelegung von 2,4 Personen.<br />
14 Das Vorgehen ist in Teil VI des wissenschaftlichen Anhangs dargestellt, ebenso eine Diskussion weiterer Quellen sowie der Qualität der Daten.<br />
15 <strong>Die</strong>ser Ansatz würde auch der Methodik von Ökobilanzen entsprechen, Durchschnittswerte zu verwenden. Eine regionale Differenzierung ist in der<br />
Ökobilanzierung nicht üblich. Allerdings wird versucht, diese «Schwäche» durch die Zusammenführung von Risk Assessment und Life Cycle Assessment<br />
(LCA) zu überwinden (Hauschild et al., 2000).<br />
192 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Lärm im Gütertransport<br />
festgelegten Gewichtungsfaktoren der Beeinträchtigung<br />
von 0.05, sowohl für Kommunikations- wie auch für Schlafstörungen<br />
(siehe auch Abschnitt 2.5)<br />
<strong>Die</strong>se Gewichtungsfaktoren (dw) gelten, wenn die Beeinträchtigung<br />
während eines ganzen Jahres besteht, d.h. wenn<br />
an jedem Tag des Jahres zu jeder Tages- und jeder Nachtstunde<br />
ein Zug mehr fahren würde. Da der Zug aber nur<br />
einmal fährt, muss durch die Anzahl der Tages- bzw. Nachtstunden<br />
eines Jahres dividiert werden (hy in Formel 4).<br />
3.4 Berechnung des Lärmschadens<br />
<strong>Die</strong> Lärmpegelerhöhung ∆Leq i durch einen zusätzlichen<br />
Zug pro Stunde wurde für Kategorien von unterschiedlich<br />
stark befahrenen Strecken berechnet. Dazu müssen die Längen<br />
der in jeder dieser Kategorien gefahrenen Strecken L i<br />
bekannt sein. <strong>Die</strong> Anzahl der von dieser Lärmpegelerhöhung<br />
betroffenen Personen errechnet sich durch die Strekkenlänge<br />
der entsprechenden Streckenkategorie L i , multipliziert<br />
mit der Anzahl betroffener Personen pro Kilometer<br />
BSBB,km. Zusätzlich in ihrer Gesundheit beeinträchtigt sind<br />
pro dB(A) Lärmpegelerhöhung 3% dieser Personen.<br />
Nun wird mit dem Gewichtungsfaktor der Beeinträchtigung<br />
dw gewichtet. Da der Zug nur einmal verkehrt, und<br />
nicht während eines ganzen Jahres zu jeder Tages- und<br />
Nachtstunde, wird noch durch die Anzahl Tages- bzw.<br />
Nachtstunden pro Jahr hy geteilt. Als Schlussresultat erhalten<br />
wir den Lärmschaden der Fahrt eines Güterzuges von A<br />
nach B. Formal kann das Vorgehen folgendermassen dargestellt<br />
werden.<br />
Lärmschaden<br />
[ DALY ] = ∑( ∆ Leq ⋅ L ⋅ B ) ⋅<br />
SBB,km<br />
3.5 Umrechnung von Fahrzeug- in<br />
Tonnenkilometer<br />
i<br />
<strong>Die</strong> vorgestellten Methoden ermitteln die Auswirkungen<br />
des Lärms für die Einheit Fahrzeugkilometer. Da Ökobilanzen<br />
aber üblicherweise auf der Basis von Tonnenkilometern<br />
erstellt werden, muss von Fahrzeugkilometern in Tonnenkilometer<br />
umgerechnet werden.<br />
i<br />
i<br />
s⋅dw⋅<br />
Formel 4: Berechnung des Lärmschadens in DALY. ∆Leqi =<br />
∆Leq der Streckenkategorie i, wenn zu jeder Tages- bzw.<br />
Nachtstunde ein zusätzlicher Zug verkehrt; Li = Länge der<br />
in der Kategorie i gefahrenen Strecke; BSBB,km = Anzahl der<br />
pro Kilometer Streckenlänge von Eisenbahnlärm der SBB<br />
über einem bestimmten Grenzwert betroffenen Personen;<br />
s = Anteil der durch einen ∆Leq von 1 dB(A) zusätzlich<br />
beeinträchtigten Personen (Steigung der Störwirkungskurve,<br />
3%); dw = Gewichtungsfaktor der Beeinträchtigung für<br />
Kommunikations- bzw. Schlafstörung; hy = Anzahl Tagesbzw.<br />
Nachtstunden pro Jahr (5840 bzw. 2920).<br />
1<br />
h<br />
y<br />
3.5.1 Strasse<br />
Wenn die tatsächliche Auslastung unbekannt ist, kann mit<br />
den Durchschnittswerten des Ökoinventars Transporte<br />
(Maibach et al.,1995) gerechnet werden (siehe Tab. 3.5.1).<br />
Für die Betrachtung des Lärms zählt der Lieferwagen zur<br />
Fahrzeugkategorie 1 (PKW).<br />
Tab. 3.5.1: Auslastung von Liefer- und Lastwagen (Maibach<br />
et al., 1995).<br />
Typ Kapazität Auslastung<br />
relativ<br />
3.5.2 Eisenbahn<br />
Auslastung<br />
absolut<br />
Lieferwagen 1,0 t 30% 0,3 t<br />
LKW 16 t 9,5 t 40% 3,8 t<br />
LKW 28 t 17,5 t 40% 7,0 t<br />
LKW 40 t 27,0 t 40% 10,8 t<br />
Das Ökoinventar Transporte (Maibach et al., 1995) enthält<br />
Angaben zum Wagenladungsverkehr, allerdings nicht aufgeteilt<br />
in Nah- und Ferngüterzüge. Aufgrund von Daten der<br />
SBB zur durchschnittlichen Zugslänge (Markus Siegenthaler,<br />
SBB Cargo, persönliche Mitteilung, Juli 2000) berechneten<br />
wir eine absolute Auslastung von 387 t für Ferngüterund<br />
131 t für Nahgüterzüge. Dabei h<strong>and</strong>elt es sich um<br />
Durchschnittswerte, von denen die tatsächlichen Verhältnisse<br />
aufgrund unterschiedlicher Zugskomposition stark abweichen<br />
können.<br />
Tab. 3.5.2: Durchschnittliche Auslastung von Nah- und<br />
Ferngüterzügen. <strong>Die</strong> Berechnung beruht auf Daten der SBB<br />
(Markus Siegenthaler, SBB Cargo, persönliche Mitteilung,<br />
Juli 2000) und des Ökoinventars Transporte (Maibach et al.,<br />
1995).<br />
Faktoren<br />
Ferngüterzug<br />
Nahgüterzug<br />
durchschnittliche Länge 700 m 250 m<br />
Länge der Lokomotive 20 m 20 m<br />
durchschnittliche Wagenlänge<br />
15 m 15 m<br />
durchschnittliche Kapazität<br />
eines Wagens<br />
20 t 20 t<br />
durchschnittliche relative<br />
Auslastung<br />
absolute Auslastung des<br />
Zuges<br />
43% 43%<br />
387 t 131 t<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 193
Lärm im Gütertransport<br />
4 Vergleich der Bewertung von<br />
Strassen- und Schienenlärm<br />
4.1 Resultatevergleich – ein Beispiel<br />
Denken wir uns einen hypothetischen Transport von 10 t<br />
über 100 km. <strong>Die</strong> Distanz sei auf Strasse und Eisenbahn<br />
dieselbe. <strong>Die</strong> Eisenbahnstrecke soll zu 70% in der Streckenkategorie<br />
C und zu je 10% in den Kategorien A, B und D<br />
verlaufen. Der Transport soll mit einem 28 t-LKW mit einer<br />
absoluten Auslastung von 7 t bzw. mit einem Ferngüterzug<br />
mit einer absoluten Auslastung von 387 t erfolgen. Der<br />
LKW fährt tagsüber, der Güterzug nachts.<br />
Für den Transport der 10 t werden somit 1.4 28 t-LKWs<br />
bzw. 0.026 Ferngüterzüge benötigt. Ein LKW verursacht<br />
während des Tages auf 1000 km einen Schaden von 0.01<br />
DALY (siehe Tab. 2.6). Der Schaden von 1.4 LKWs auf 100<br />
km beträgt demnach 0.0014 DALY oder 1.4 mDALY.<br />
<strong>Die</strong> Rechnung für die Eisenbahn ist etwas komplizierter.<br />
Ein zusätzlicher Ferngüterzug verursacht nachts eine<br />
Lärmpegelerhöhung von 2.3 dB(A) in der Streckenkategorie<br />
A, von 1.0 dB(A) in der Kategorie B und von 0.5<br />
dB(A) in den Kategorien C und D. Nach Formel 4 lautet die<br />
Berechnung:<br />
(2.3 * 10 + 1.0 * 10 + 0.5 * 70 + 0.5 * 10) * 203 * 3% * 0.05<br />
/ 2920 = 0.0076 DALY<br />
<strong>Die</strong>s ist der Lärmschaden der Fahrt eines Ferngüterzuges<br />
über die oben beschriebene Strecke. Für 0.026 Ferngüterzüge<br />
beträgt der Schaden demnach 0.0002 DALY oder 0.2<br />
mDALY.<br />
Der Lärmschaden des Strassentransports wäre in diesem<br />
Beispiel also siebenmal grösser als der Schaden desselben<br />
Transportes mit der Eisenbahn. Es stellt sich die Frage, ob<br />
dieses Resultat plausibel ist oder ob der beträchtliche Unterschied<br />
ev. in den verwendeten Modellen begründet ist.<br />
4.2 Modellvergleich<br />
Der Schaden von Strassenlärm wird nach Müller-Wenk<br />
(1999) mit folgender Formel beschrieben (Formel 1):<br />
Lärmschaden<br />
⎛<br />
= ∑⎜<br />
i ⎝<br />
L<br />
SL<br />
[ DALY ] ⎜∆<br />
Leq ⋅ ⋅ ⋅% V ⎟⋅<br />
B ⋅s⋅dw<br />
Da der Anteil am Verkehrsaufkommen %Vi die Verteilung<br />
der Fahrt auf die verschiedenen Strassentypen ausdrückt,<br />
ist der Anteil am Verkehrsaufkommen %Vi multipliziert<br />
mit der Streckenlänge L gleich der Länge der auf dem<br />
entsprechenden Strassentyp gefahrenen Strecke Li, also: Li<br />
=L*%V i . <strong>Die</strong>s in Formel 1 eingesetzt, ergibt nach dem<br />
Umstellen einiger Faktoren Formel 5.<br />
i<br />
i<br />
1<br />
h<br />
Formel 1: Herleitung und Legende siehe Abschnitt 2.6.<br />
y<br />
i<br />
⎞<br />
⎟<br />
⎠<br />
CH<br />
Lärmschaden<br />
[ DALY ]<br />
⎛ L ⎞<br />
i<br />
= ∑<br />
⎜∆<br />
Leqi⋅<br />
B<br />
i SL<br />
⎟ ⋅<br />
⎝<br />
i ⎠<br />
Für den Schaden von Eisenbahnlärm lautet die Formel<br />
nach unserem Modell gem. Formel 4:<br />
<strong>Die</strong> Anzahl der betroffenen Personen pro Kilometer<br />
Streckenlänge ist gleich der Anzahl Betroffener am ganzen<br />
Schienennetz der SBB geteilt durch die Streckennetzlänge,<br />
also: B SBB,km =B SBB /SL SBB .<br />
<strong>Die</strong>s in Formel 4 eingesetzt, ergibt nach dem Umstellen<br />
einiger Faktoren Formel 6:<br />
Vergleichen wir Formel 5 mit Formel 6, so zeigen sich<br />
zwei Unterschiede: die Streckennetzlänge SL und die Anzahl<br />
Betroffener B. <strong>Die</strong> Faktoren BCH (Strasse) und BSBB<br />
(Eisenbahn) sind mitein<strong>and</strong>er vergleichbar, da beide die<br />
Anzahl betroffener Personen entlang des gesamten betrachteten<br />
Streckennetzes bezeichnen.<br />
CH<br />
⋅s⋅dw⋅<br />
Formel 5: Berechnung des Lärmschadens in DALY für Strassenverkehr,<br />
abgeänderte Formel 1. ∆Leqi = ∆Leq des<br />
Strassentyps i, wenn zu jeder Tages- bzw. Nachtstunde ein<br />
zusätzliches Fahrzeug verkehrt; Li = Länge der auf dem<br />
Strassentyp i gefahrenen Strecke; SL i = Streckennetzlänge<br />
des Strassentyps i; hy = Anzahl Tages- bzw. Nachtstunden<br />
pro Jahr (5840 bzw. 2920); BCH = Anzahl der in der Schweiz<br />
von Strassenlärm über einem bestimmten Grenzwert betroffenen<br />
Personen; s = Anteil der durch einen ∆Leq von 1<br />
dB(A) zusätzlich beeinträchtigten Personen (Steigung der<br />
Störwirkungskurve); dw = Gewichtungsfaktor der Beeinträchtigung<br />
für Kommunikations- bzw. Schlafstörung.<br />
Lärmschaden<br />
[ DALY ] = ∑( ∆ Leq ⋅ L ⋅ B ) ⋅<br />
i<br />
i<br />
i<br />
SBB,km<br />
s⋅dw⋅<br />
Formel 4: Herleitung und Legende siehe Abschnitt 3.4.<br />
Lärmschaden<br />
[ DALY ]<br />
⎛ Li<br />
= ∑<br />
⎜∆<br />
Leqi⋅<br />
i ⎝ SL<br />
SBB<br />
⎞<br />
⎟⋅<br />
B<br />
⎠<br />
SBB<br />
⋅s⋅dw⋅<br />
Formel 6: Berechnung des Lärmschadens in DALY für<br />
Schienenverkehr, abgeänderte Formel 4. ∆Leqi = ∆Leq der<br />
Streckenkategorie i, wenn zu jeder Tages- bzw. Nachtstunde<br />
ein zusätzlicher Zug verkehrt; L i = Länge der in der Kategorie<br />
i gefahrenen Strecke; SL SBB = Länge des SBB-Strekkennetzes;<br />
BSBB = Anzahl der am Streckennetz der SBB von<br />
Eisenbahnlärm über einem kritischen Wert betroffenen Personen:<br />
s = Anteil der durch einen ∆Leq von 1 dB(A) zusätzlich<br />
beeinträchtigten Personen (Steigung der Störwirkungskurve);<br />
dw = Gewichtungsfaktor der Beeinträchtigung für<br />
Kommunikations- bzw. Schlafstörung; h y = Anzahl Tagesbzw.<br />
Nachtstunden pro Jahr (5840 bzw. 2920).<br />
1<br />
h<br />
y<br />
1<br />
h<br />
y<br />
1<br />
h<br />
y<br />
194 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Lärm im Gütertransport<br />
Somit besteht die Differenz zwischen den beiden Modellen<br />
einzig im Faktor SL. Bei der Strasse wird die Länge des<br />
Teilnetzes des entsprechenden Strassentyps eingesetzt, bei<br />
der Eisenbahn hingegen die Länge des gesamten Streckennetzes.<br />
<strong>Die</strong>s erklärt, wieso der berechnete Lärmschaden des<br />
Strassentransportes soviel grösser ist als derjenige des Eisenbahntransportes.<br />
<strong>Die</strong> Länge eines Teilnetzes ist immer<br />
kleiner als die Länge des Gesamtnetzes, wodurch das Ergebnis<br />
nach Formel 5 notwendig grösser sein muss als dasjenige<br />
von Formel 6, falls alle übrigen Parameter gleich sind. 16<br />
Wie entsteht der Unterschied? <strong>Die</strong> Verwendung beider<br />
Faktoren ist aus der Sicht des jeweiligen Ansatzes verständlich;<br />
aus der Sicht des jeweils <strong>and</strong>eren Ansatzes wirkt sie<br />
jedoch völlig unverständlich. Warum sollte die Anzahl Betroffener<br />
nur durch die Länge eines Teilstreckennetzes dividiert<br />
werden? Weshalb sollte <strong>and</strong>ererseits der ∆Leq einer<br />
Kategorie über das gesamte Streckennetz verteilt werden,<br />
wenn nur diese eine Kategorie betrachtet wird?<br />
Zudem wurde bei beiden Fällen an der kritischen Stelle<br />
eine nicht triviale Annahme gemacht. Bei der Eisenbahn<br />
h<strong>and</strong>elt es sich um die Vereinfachung, dass die Bevölkerungsdichte<br />
entlang der Schiene sowie die Lärmbelastung<br />
aller Strecken gleich ist (vgl. Abschnitt 3.2). Bei der Strasse<br />
wird angenommen, dass die Division des ∆Leq-Wertes<br />
durch die Länge des Teilstreckennetzes linear möglich ist,<br />
obwohl es sich um eine logarithmische Einheit h<strong>and</strong>elt (vgl.<br />
Abschnitt 2.2).<br />
Daraus folgt, dass die mit diesen unterschiedlichen Methoden<br />
erhaltenen Resultate keinesfalls mitein<strong>and</strong>er verglichen<br />
werden dürfen. Da der Vergleich der Lärmbelastung<br />
von Strasse und Eisenbahn aber unser Ziel ist, muss eines der<br />
Modelle dem <strong>and</strong>eren angepasst werden. Wir ziehen das von<br />
uns für die Eisenbahn erarbeitete Modell aus mehreren<br />
Gründen vor:<br />
Würden wir für die Eisenbahn nach dem Strassenlärmmodell<br />
rechnen, wäre das Resultat stark von der Kategorisierung<br />
der Strecken abhängig, die wir mehr oder weniger<br />
arbiträr vornahmen. Das Streckennetz der Kategorie A ist<br />
zehnmal grösser als die Streckennetze der <strong>and</strong>eren Kategorien.<br />
Dadurch würden die Werte für die Kategorie A überdurchschnittlich<br />
vermindert. 17 Eine <strong>and</strong>ere Kategorisierung<br />
ergäbe vermutlich ganz <strong>and</strong>ere Resultate.<br />
<strong>Die</strong>ses Argument wird durch eine kleine Rechnung verständlicher.<br />
Wenn der ∆Leq für alle Strassentypen gleich<br />
gross wäre, so müsste das Resultat unabhängig von der<br />
Verteilung der Fahrt auf die verschiedenen Strassentypen<br />
sein. Denken wir uns also eine Fahrt von insgesamt 1000 km<br />
Länge, verteilt auf vier Teilstreckennetze. <strong>Die</strong> Längen der<br />
Teilstreckennetze seien SL1 = 1560 km, SL2 = 15’683 km,<br />
SL3 = 3790 km, SL4 = 58’967 km. Der ∆Leq betrage auf<br />
jedem Teilstreckennetz 0.1 dB(A), d.h. ∆Leq i = 0.1 dB(A)<br />
für i = 1-4. Weiter sei BCH = 3’053’600 Personen, s = 3%,<br />
dw = 0.05 und hy = 5840. Wie Tab. 4.2.1 zeigt, ergeben sich<br />
entgegen der Erwartung unterschiedliche Resultate, je nach<br />
Verteilung der 1000 km-Fahrt auf die vier Strassentypen.<br />
Einmal wird die Fahrt gleichmässig verteilt, ein <strong>and</strong>eres Mal<br />
erfolgt die Verteilung nach dem Längenanteil der vier<br />
Strassentypen.<br />
Führen wir dieselbe Rechnung (Fahrt von 1000 km) auch<br />
mit dem Modell für Eisenbahnlärm nach Formel 6 durch. Es<br />
sei ∆Leq i = 0.5 für i = 1-4, SL SBB = 2941 km, B SBB =<br />
596’000 Personen, s = 3%, dw = 0.05 und h y = 5840. Im<br />
Gegensatz zum Strassenlärmmodell von Müller-Wenk ist<br />
der Lärmschaden unabhängig von der Verteilung der 1000<br />
km-Fahrt auf die verschiedenen Streckenkategorien (siehe<br />
Tab. 4.2.2). Unserer Meinung nach stellt dieses Verhalten<br />
des Modells von Müller-Wenk eine Fehlerquelle dar, die<br />
nach Möglichkeit vermieden werden sollte.<br />
Ausserdem ist uns der Schritt von Müller-Wenk (1999, S.<br />
33f), in dem er die 1000 km-Fahrt aufteilt auf das Teilstrekkennetz<br />
eines Strassentyps als Anteil an jedem 1 km-Stück,<br />
nicht ganz verständlich. Nach unserem Verständnis besteht,<br />
wenn der ∆Leq für ein zusätzliches Fahrzeug pro Stunde<br />
z.B. 0.02 beträgt, auf einer Strecke von 1000 km ein ∆Leq<br />
von 0.02 und auf der restlichen Länge des Strassennetzes ein<br />
∆Leq von 0. Wir nahmen deshalb zur Bilanzierung konkreter<br />
Transportketten eine Anpassung der Methode von Müller-Wenk<br />
vor. 18<br />
Tab. 4.2.1: Lärmschaden einer Autofahrt von 1000 km bei unterschiedlicher Verteilung der Fahrt auf vier Strassentypen,<br />
wenn für jeden Strassentyp ein hypothetischer ∆Leq von 0.1 dB(A) eingesetzt wird. <strong>Die</strong> Berechnung erfolgte nach Formel 5.<br />
L 1 [km] L 2 [km] L 3 [km] L 4 [km] Lärmschaden [DALY]<br />
250 250 250 250 0.019<br />
20 200 45 735 0.0039<br />
16 Da wir Strasse und Eisenbahn vergleichen, sind sie das natürlich nicht. Man könnte aber z.B. den Lärmschaden der Eisenbahn nach dem der Formel 4<br />
zugrundeliegenden Modell berechnen. Damit ergäbe sich mit Sicherheit ein höheres Resultat, als wenn Formel 6 verwendet wird.<br />
17 Details dazu sind im wissenschaftlichen Anhang VIII aufgeführt.<br />
18 <strong>Die</strong> Alternative dazu wäre, unser Modell an dasjenige von Müller-Wenk anzupassen. Wie dies gemacht werden könnte, ist im Teil VIII des<br />
wissenschaftlichen Anhangs beschrieben. Im Teil IX werden beide Varianten (d.h. Anpassung der Methode von Müller-Wenk vs. Anpassung unserer<br />
Methode) mitein<strong>and</strong>er verglichen.<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 195
Lärm im Gütertransport<br />
Tab. 4.2.2: Lärmschaden einer Zugsfahrt von 1000 km bei unterschiedlicher Verteilung der Fahrt auf vier Strekkenkategorien,<br />
wenn für jede Streckenkategorie ein hypothetischer ∆Leq von 0.5 dB(A) eingesetzt wird. <strong>Die</strong> Berechnung<br />
erfolgte nach Formel 6.<br />
L 1 [km] L 2 [km] L 3 [km] L 4 [km] Lärmschaden [DALY]<br />
250 250 250 250 0.026<br />
20 200 45 735 0.026<br />
4.3 Anpassung der Methode von<br />
Müller-Wenk<br />
Um den Vergleich der Resultate von Strasse und Eisenbahn<br />
zu ermöglichen, passten wir die Methode von Müller-Wenk<br />
für die Strasse an unser Modell an. Dazu ersetzten wir die<br />
Länge des Teilstreckennetzes durch die des gesamten Strekkennetzes<br />
(siehe Tab. 4.3). 19<br />
Tab. 4.3: Lärmschaden einer Fahrt von 1000 km nach einer Anpassung der Methode von Müller-Wenk (1999). Mit diesen<br />
Werten berechnete Resultate für die Strasse können mit Resultaten nach der Variante «<strong>Fallstudie</strong> 2000» für die Eisenbahn<br />
verglichen werden. Vgl. dazu auch die Werte vor der Anpassung in Tab. 2.6.<br />
Fahrzeugkategorie Lärmschaden 1000 km Tag [DALY] Lärmschaden 1000 km Nacht [DALY]<br />
Kategorie 1 (PKW) 2.5 * 10 -4 2.8 * 10 -3<br />
Kategorie 2 (LKW) 2.4 * 10 -3 2.3 * 10 -2<br />
19 <strong>Die</strong> ausführliche Berechnung findet sich im Teil VII des wissenschaftlichen Anhangs.<br />
196 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Lärm im Gütertransport<br />
5 Lärmbilanz konkreter<br />
Transportketten<br />
Wir wenden im Folgenden die beschriebenen Methoden auf<br />
einige ausgewählte Transportketten an. Das Resultat ist eine<br />
Bewertung der Lärmemissionen der Transportketten in Disability<br />
Adjusted Life Years (DALY). <strong>Die</strong>s ermöglicht, den<br />
Schadensindikator «Lärm» in die gesamte Ökobilanz mit<br />
einzubeziehen. <strong>Die</strong>ser letzte Schritt erfolgt im Kapitel<br />
Ökoeffizienz von Transportketten.<br />
5.1 Ausgewählte Transportketten und<br />
ihre Lärmbilanz<br />
<strong>Die</strong> hier untersuchten Transportketten (TK) sind im Kapitel<br />
Ökoeffizienz von Transportketten ausführlich beschrieben.<br />
Wir führen hier nochmals die für die Bilanzierung des Lärms<br />
relevanten Daten auf: die Streckenlänge (für die Eisenbahn<br />
auch die Streckenführung), die transportierte Menge sowie<br />
die Auslastung des Verkehrsmittels. Leerfahrten werden<br />
entweder bei der Auslastung (Cham Paper Group und Migros)<br />
oder bei der Streckenlänge (V-Zug) einbezogen.<br />
5.1.1 V-Zug<br />
Transportgut: Küchengeräte<br />
Verlauf der Eisenbahnstrecken Zug – Basel:<br />
– TK Bahn: Zug–Rotkreuz–Rangierbahnhof Limmattal–<br />
Frick–Pratteln–Basel SBB Güterbahnhof<br />
– TK Cargosprinter: Zug–Rotkreuz–Frick–Pratteln–Basel<br />
SBB Güterbahnhof<br />
Tab. 5.1.1: Transportketten der V-Zug.<br />
Transportkette Beschreibung Länge Schiene Länge Strasse Menge<br />
LKW Zug – Basel Strasse 382 km 20 4 t<br />
Bahn<br />
Zug – Basel Bahn<br />
Feinverteilung Strasse<br />
131 km<br />
150 km<br />
4 t<br />
Cargosprinter 21<br />
Zug – Basel Cargosprinter<br />
Feinverteilung Strasse<br />
108 km<br />
150 km<br />
4 t<br />
Abb. 5.1.1: Bilanz der Lärmemissionen<br />
einer Fahrt der Transportketten der V-<br />
Zug. <strong>Die</strong> Transportketten der V-Zug mit<br />
Bahnanteil weisen eine deutlich bessere<br />
Lärmbilanz auf als der reine Lastwagentransport.<br />
Der Einfluss der verkürzten<br />
Bahnstrecke bei der Variante<br />
«Cargosprinter» ist gering.<br />
20 Da es sich um einen firmeneigenen LKW h<strong>and</strong>elt, wird der Rückweg zum Firmensitz als Leerfahrt mit eingerechnet.<br />
21 Wir berücksichtigen hier nur die Auswirkung der verkürzten Strecke. Eine Abschätzung des Einflusses der verringerten Lärmemissionen kann im Kapitel<br />
Ökoeffizienz von Transportketten nachgewiesen werden.<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 197
Lärm im Gütertransport<br />
5.1.2 Cham Paper Group<br />
Transportgut: Zellstoff<br />
Verlauf der Eisenbahnstrecken Basel–Cham:<br />
– TK Bahn: Basel Kleinhüningen Hafen–Pratteln–Frick–<br />
Rangierbahnhof Limmattal–Othmarsingen–Rotkreuz–<br />
Cham<br />
– TK Bahn Sonderangebot: Basel Kleinhüningen Hafen–<br />
Pratteln–Frick–Othmarsingen–Rotkreuz–Cham<br />
5.1.3 Migros<br />
Transportgut: Pelati<br />
Verlauf der Eisenbahnstrecken:<br />
– TK Bahn aktuell (Chiasso–Ebikon): Chiasso–Arth-<br />
Goldau–Othmarsingen–Frick–Pratteln–Basel Badischer<br />
Bahnhof–Weil a.R.–Basel Badischer Bahnhof–Pratteln–<br />
Frick–Rangierbahnhof Limmattal–Othmarsingen–Rotkreuz–Ebikon<br />
– TK Bahn zentralisiert (Chiasso–Suhr): Chiasso–Arth-<br />
Goldau–Othmarsingen–Rangierbahnhof Limmattal–<br />
Lenzburg–Suhr<br />
5.1.4 Annahmen<br />
Strassentransport findet tagsüber statt, Eisenbahntransport<br />
nachts. <strong>Die</strong>se Annahme ist für die Strasse zweckmässig<br />
(Nachtfahrverbot für LKWs, dieses dauert allerdings nur bis<br />
5 Uhr). <strong>Die</strong>s wirkt sich im Vergleich der Lärmbilanzen zum<br />
Nachteil der Resultate der Eisenbahn aus, da die Nachtwerte<br />
höher sind als die Tageswerte.<br />
Aufteilung Ferngüterzug/Nahgüterzug: Ferngüterzug von<br />
Rangierbahnhof zu Rangierbahnhof, Nahgüterzug zwischen<br />
Ausgangs-/Zielbahnhof und Rangierbahnhof. <strong>Die</strong>se<br />
Annahme ist nach Armin Zach, SBB, gerechtfertigt.<br />
Auslastung der Eisenbahn: Absolute Auslastung von<br />
Ferngüterzügen 387 t, von Nahgüterzügen 131 t (vgl. Abschnitt<br />
3.5.2).<br />
Tunnel: Grosse Streckenabschnitte, die in Tunnels verlaufen<br />
(z.B. der Gotthardtunnel bei der Migros), werden für die<br />
Lärmbilanz nicht berücksichtigt.<br />
Alternative Cargosprinter: In diesem Teil wird nur die<br />
Verkürzung der Strecke durch Wegfall des Umweges über<br />
den Rangierbahnhof Limmattal berücksichtigt. Eine Abschätzung<br />
der Auswirkungen der verringerten Lärmemissionen<br />
ist im Kap. Ökoeffizienz von Transportketten dargelegt.<br />
Tab. 5.1.2: Transportketten der Cham Paper Group.<br />
Transportkette Beschreibung Länge<br />
Schiene<br />
LKW<br />
Basel – Cham<br />
Strasse<br />
Bahn<br />
Bahn Sonderangebot<br />
Basel – Cham<br />
Eisenbahn<br />
Basel – Cham<br />
Eisenbahn direkt<br />
Länge<br />
Strasse<br />
LKW-Typ<br />
Auslastung<br />
absolut<br />
Menge<br />
93 km 28 t 7 t 400 t<br />
132 km 400 t<br />
109 km 400 t<br />
Abb. 5.1.2: Bilanz der Lärmemissionen<br />
einer Fahrt der Transportketten der<br />
Cham Paper Group. <strong>Die</strong> Lärmbilanz<br />
des Eisenbahntransportes ist bei den<br />
Transportketten der Cham Paper<br />
Group nur wenig geringer als die des<br />
Lastwagentransportes. Der Einfluss<br />
der verkürzten Bahnstrecke bei der Variante<br />
«Bahn Sonderangebot» ist auch<br />
hier gering.<br />
198 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Lärm im Gütertransport<br />
Tab. 5.1.3: Transportketten der Migros.<br />
Transportkette Beschreibung Länge<br />
Schiene<br />
LKW zentralisiert<br />
Bahn aktuell<br />
Bahn zentralisiert<br />
Chiasso – Suhr Strasse<br />
Suhr – Zug Strasse<br />
Chiasso – Weil a.R. Eisenbahn<br />
Weil a.R. – Ebikon Eisenbahn<br />
Ebikon – Zug Strasse<br />
Chiasso – Suhr Eisenbahn<br />
Suhr – Zug Strasse<br />
311 km<br />
135 km<br />
279 km<br />
Länge<br />
Strasse<br />
251 km<br />
45 km<br />
LKW-<br />
Typ<br />
28 t<br />
28 t<br />
Auslastung<br />
absolut<br />
7.00 t<br />
12.25 t<br />
19 km 28 t 12.25 t<br />
45 km 28 t<br />
Menge<br />
4 t<br />
4 t<br />
12.25 t 4 t<br />
Abb. 5.1.3: Bilanz der Lärmemissionen<br />
einer Fahrt der Transportketten der Migros.<br />
<strong>Die</strong> Lärmbilanz der Migros ist bei<br />
der zentralisierten Transportkette mit<br />
Bahntransport am besten. Der Transport<br />
mit LKW weist eine höhere Lärmbilanz<br />
auf.<br />
Abb. 5.2: Vergleich der Lärmbilanz pro<br />
Tonnenkilometer. <strong>Die</strong> Werte der einzelnen<br />
TK liegen sehr nahe zusammen, so<br />
dass die Berechnung eines mittleren<br />
Wertes pro Tonnenkilometer möglich<br />
wäre. <strong>Die</strong> Stichprobenzahl ist allerdings<br />
gering. TK = Transportkette.<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 199
Lärm im Gütertransport<br />
Beschränkung auf die Schweiz: <strong>Die</strong> Modelle sind für die<br />
Schweiz ausgearbeitet, weshalb wir uns auf den schweizerischen<br />
Teil der Transportketten beschränken. Für die kurze<br />
Strecke in Deutschl<strong>and</strong> von Basel nach Weil a.R. nahmen<br />
wir Schweizer Verhältnisse an, was gerechtfertigt erscheint.<br />
5.1.5 Fehlerabschätzung<br />
Eine sehr grobe Fehlerabschätzung durch Betrachtung von<br />
Maximal- und Minimalwerten ergibt einen Unsicherheitsbereich<br />
von 10% bis 600%, d.h., das Resultat könnte im<br />
Extremfall zehnmal kleiner bis sechsmal grösser sein. 22<br />
Durch die Wahl der zeitlichen Bezugsbasis von einer<br />
Stunde wird ein systematischer Fehler eingeführt (vgl. Abschnitt<br />
3.1.6), wodurch die Resultate möglicherweise um ca.<br />
10% vermindert werden. 23<br />
Müller-Wenk (1999) gibt die Fehler der einzelnen Teilschritte<br />
an, nicht aber der gesamten Analyse. Da er zur<br />
Abschätzung der Unsicherheiten zumeist St<strong>and</strong>ardabweichungen<br />
verwendet, macht ein Vergleich mit unserer Fehlerabschätzung<br />
wenig Sinn.<br />
5.2 Lärmbilanz pro Tonnenkilometer<br />
Abschliessend ist in Abb. 5.2 noch ein Vergleich der Lärmbilanzen<br />
der Bahnanteile aller Transportketten pro Tonnenkilometer<br />
dargestellt.<br />
6 Diskussion<br />
6.1 Diskussion der Methoden<br />
6.1.1 Unsicherheit<br />
<strong>Die</strong> Unsicherheit ist gross. <strong>Die</strong>s ist für einen Vergleich der<br />
Lärmbilanzen der verschiedenen Transportketten weniger<br />
wichtig, da der Fehler für alle der gleiche ist. Beim Einbezug<br />
in die gesamte Ökobilanz ist eine Unsicherheit in dieser<br />
Grössenordnung allerdings problematisch, insbesondere<br />
wenn der Anteil des Lärms in der gesamten Ökobilanz hoch<br />
ist.<br />
Müller-Wenk (1999) betrachtet die Schadensabschätzung,<br />
d.h. das Festlegen der Gewichtungsfaktoren der Beeinträchtigung<br />
der Gesundheit, als den schwächsten Teil<br />
seiner Methode. Aufgrund unserer Resultate möchten wir<br />
noch einige <strong>and</strong>ere Schritte nennen, deren Unsicherheit wir<br />
als sehr hoch erachten:<br />
<strong>Die</strong> Modellierung der Störwirkungskurve:<br />
<strong>Die</strong> Anzahl Betroffener nimmt unterhalb von 60 dB(A) stark<br />
zu; die Festlegung der unteren Grenze, wo 0% der Betroffenen<br />
beeinträchtigt sind, beeinflusst das Resultat daher wesentlich.<br />
Es sollte eine <strong>and</strong>ere Modellierung der Störwirkungskurve<br />
(z.B. mit einer logistischen Wachstumskurve)<br />
geprüft werden.<br />
<strong>Die</strong> Auslastung der Lastwagen bzw. Güterzüge:<br />
Wenn konkrete Transportketten betrachtet werden, sollte<br />
wenn möglich auch mit den effektiven Auslastungen gerechnet<br />
werden, da die Auslastung die Bilanz stark beeinflusst<br />
und hier oft ein Ansatzpunkt für ökonomische und<br />
ökologische Verbesserungen besteht.<br />
6.1.2 Übertragbarkeit der schweizerischen<br />
Verhältnisse auf Europa<br />
<strong>Die</strong> Methode wurde spezifisch für die Schweiz ausgearbeitet;<br />
eine Übertragung auf Europa ist nur bedingt möglich.<br />
Müller-Wenk (1999, S. 55ff.) führte für den Strassenlärm<br />
einen Vergleich mit elf europäischen Staaten durch. Er gelangte<br />
zu dem Ergebnis, dass sich die Werte vieler europäischer<br />
Staaten nicht wesentlich von denjenigen der Schweiz<br />
unterscheiden. Für Länder mit stark abweichenden Verhältnissen<br />
schlägt er Korrekturfaktoren vor (0.5 für Dänemark,<br />
Finnl<strong>and</strong> und Schweden; 4 für die Slowakei und Spanien).<br />
Da wir im Rahmen der <strong>Fallstudie</strong> keine solchen Abschätzungen<br />
durchführen konnten, beschränkten wir uns in der<br />
Lärmbilanz auf den schweizerischen Teil der Transportketten.<br />
Zudem liegt der einzige relevante ausländische Transportkettenteil<br />
– nämlich der Pelati-Transport der Migros von<br />
Scafati nach Chiasso – in Italien, das nicht zu den von<br />
Müller-Wenk betrachteten Staaten gehört.<br />
22 Das Vorgehen bei der Fehlerabschätzung ist im Teil X des wissenschaftlichen<br />
Anhangs dargestellt.<br />
23 Vgl. Teil V des wissenschaftlichen Anhangs.<br />
24 <strong>Die</strong> genauen Werte sind im Teil IX des wissenschaftlichen Anhangs<br />
aufgeführt.<br />
6.1.3 Zeitliche Bezugsbasis<br />
Da der ∆Leq nicht linear von der Verkehrsmenge der zusätzlichen<br />
Fahrzeuge (z.B. ein zusätzliches Fahrzeug pro Stun-<br />
200 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Lärm im Gütertransport<br />
de) abhängt, beeinflusst die Wahl der zeitlichen Bezugsbasis<br />
das Resultat.<br />
Eine genaue Abbildung der Wirklichkeit würde dafür<br />
sprechen, die Zeit zu betrachten, während der das Fahrzeug<br />
für eine sich nicht bewegende Person hörbar ist, da nur<br />
während dieser Zeit der Lärmpegel effektiv erhöht ist – also<br />
ein Zeitintervall von wenigen Minuten bis Sekunden.<br />
Andererseits ist für die Beeinträchtigung der Personen<br />
eher der mittlere Lärmpegel über längere Zeit relevant.<br />
Kurzfristige, starke Erhöhungen des Lärmpegels sind aber<br />
vor allem nachts wegen ihrer Weckwirkung wichtig.<br />
<strong>Die</strong> verwendeten Gewichtungsfaktoren der Beeinträchtigung<br />
der Gesundheit gelten für eine Beeinträchtigung zu<br />
jeder Zeit. Nimmt die Zeitdauer der Einwirkung ab, ist die<br />
Abnahme des Schadens wahrscheinlich nicht proportional.<br />
«Kann man gelegentliche Belästigungen noch als zumutbar<br />
bezeichnen, so bedeuten jedoch wiederholte Belästigungen<br />
eindeutig eine Beeinträchtigung der Gesundheit.» (Wanner,<br />
1993).<br />
Mit dem Wert von einem zusätzlichen Fahrzeug pro Stunde<br />
haben wir versucht, einen Mittelweg zu finden. <strong>Die</strong>ser<br />
kann natürlich nicht allen obigen Überlegungen gerecht<br />
werden.<br />
6.1.4 Betroffene Personen<br />
Wie auch Müller-Wenk (1999) betrachten wir die Anzahl<br />
der tatsächlich von Eisenbahnlärm betroffenen Personen.<br />
<strong>Die</strong>s entspricht dem schadensorientierten Ansatz, denn nur<br />
diese Personen erfahren durch die zusätzliche Zugsfahrt<br />
eine Lärmpegelerhöhung im kritischen Bereich.<br />
Mit dieser Methode werden aber schwach besiedelte Gebiete,<br />
die wegen starker Belärmung weniger dicht besiedelt<br />
sind, als sie es sonst möglicherweise wären, sowie Erholungsgebiete<br />
nicht berücksichtigt. <strong>Die</strong>se könnten beispielsweise<br />
durch eine Betrachtung der belärmten Fläche mit<br />
einbezogen werden.<br />
6.2 Wichtige Einflussfaktoren<br />
Auslastung<br />
Bei der V-Zug ist im Gegensatz zu den <strong>and</strong>eren Firmen –<br />
insbesondere der Cham Paper Group – der Unterschied<br />
zwischen Strecken mit und ohne Bahnanteil beträchtlich.<br />
<strong>Die</strong>s liegt insbesondere an der schlechten Auslastung des<br />
firmeneigenen LKWs mit durchschnittlich vier Tonnen pro<br />
Fahrt und einer Leerfahrt auf dem Rückweg. Für die Bahnvarianten<br />
wurde mit einer allgemeinen Auslastung gerechnet,<br />
die für diesen Fall vermutlich zu hoch angesetzt ist.<br />
<strong>Die</strong>ses Beispiel zeigt, dass die Auslastung eine wichtige<br />
Grösse der Bilanz ist und auf ihre korrekte Bestimmung<br />
Wert gelegt werden sollte, was nur in Einzelfallbetrachtungen<br />
möglich ist.<br />
LKW-Typ<br />
Für die Lärmbilanz macht es keinen Unterschied, welcher<br />
LKW-Typ verwendet wird. Somit fällt sie für kleinere Lastwagen<br />
schlechter aus, da diese weniger Last transportieren<br />
können. Um den Unterschied zwischen verschiedenen Typen<br />
zu berücksichtigen, müssten die Fahrzeugkategorien<br />
feiner aufgeteilt werden. Es ist allerdings fraglich, ob die<br />
Differenz der Lärmemissionen verschiedener Lastwagen<br />
bedeutsam ist.<br />
Tageszeit<br />
<strong>Die</strong> Lärmbilanz ist sowohl für die Strasse als auch für<br />
Eisenbahn in der Nacht schlechter als am Tag. Während für<br />
Lastwagen Nachtfahrverbot herrscht, findet ein grosser Teil<br />
der Gütertransporte mit der Eisenbahn nachts statt. <strong>Die</strong>ses<br />
Verhältnis wirkt sich im Vergleich der Lärmbilanzen zum<br />
Nachteil der Eisenbahn aus.<br />
Streckenlänge<br />
<strong>Die</strong> Eisenbahnstrecke ist meist länger als die Strassenstrecke<br />
für denselben Transport, da ein Umweg über mindestens<br />
einen Rangierbahnhof in Kauf genommen werden muss.<br />
Eine Verringerung der Rangiervorgänge (bei den Varianten<br />
V-Zug Cargosprinter sowie Cham Bahn Sonderangebot)<br />
resultiert in einer Verbesserung der Lärmbilanz, die in erster<br />
Näherung linear zur Reduktion der Streckenlänge ist.<br />
6.3 Schlusswort<br />
Transportketten mit Bahnanteil zeigen eine etwas bessere<br />
Lärmbilanz als der entsprechende reine Lastwagentransport.<br />
Obwohl «Lärm die ökologische Achillesferse der Bahn<br />
ist» (P. Hübner, in Eichenberger, 2000), spricht also auch die<br />
Lärmbilanz nicht zu Ungunsten der Bahn, wobei nach wie<br />
vor ein deutliches Verbesserungspotential in diesem Bereich<br />
besteht (siehe auch Scholz et al., 2001).<br />
Der Einbezug von Lärm in Ökobilanzen steht noch am<br />
Anfang. In dieser Arbeit wurde erstmals eine Methode zur<br />
Bilanzierung des Eisenbahnlärms dargestellt sowie eine<br />
Lärmbilanz von konkreten Transportketten erstellt. Der<br />
Wert unseres Beitrags liegt vor allem im Aufzeigen der<br />
Methodik mit all ihren Schwächen und weniger in den<br />
Zahlen, die sich am Ende ergeben.<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 201
Lärm im Gütertransport<br />
Literatur<br />
Angst, P., Grauwiler, S. & Müller, R. (1998). Lärmübersichtskataster<br />
(LUK) des Kantons Zürich. Zürich: Statistisches Amt des<br />
Kantons Zürich.<br />
Berglund, B., Lindvall, T. & Schwela, D. H. (Hrsg.). (1999).<br />
Guidelines for Community Noise. Geneva: World Health Organization<br />
(WHO).<br />
Bickel, P. & Friedrich, R. (1995). Was kostet uns die Mobilität?<br />
Externe Kosten des Verkehrs. Berlin: Springer.<br />
Braunschweig, A. & Müller-Wenk, R. (1993). Ökobilanzen für<br />
Unternehmungen. Eine Wegleitung für die Praxis. Bern: Haupt.<br />
Bundesamt für Statistik (BfS) & Bundesamt für Umwelt, Wald und<br />
L<strong>and</strong>schaft (BUWAL) (1997). Umwelt in der Schweiz. Bern:<br />
BUWAL.<br />
Bundesamt für Umwelt, Wald und L<strong>and</strong>schaft (BUWAL) (1991).<br />
Strassenlärmmodell für überbaute Gebiete (SR Umwelt Nr. 15).<br />
Bern: BUWAL.<br />
De Holl<strong>and</strong>er, A. E. M., Melse, J. M., Lebrte, E. & Kramers, P. G.<br />
N. (1999). An aggregate public health indicator to represent the<br />
impact of multiple environmental exposures. Epidemiology, 10,<br />
606-617.<br />
Eichenberger, R. (2000). Grüne Bahn, ich hör’ dich kommen. Via,<br />
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202 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
<strong>Fallstudie</strong> im W<strong>and</strong>el<br />
<strong>Die</strong> <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>n 1994 bis 2000<br />
Autoren:<br />
S<strong>and</strong>ro Bösch<br />
Jenny Oswald<br />
Inhalt<br />
1. Entwicklung 205<br />
2. Zielsetzung 206<br />
3. <strong>Fallstudie</strong>nbüro 208<br />
4. Projektorganisation 210<br />
5. Produkte 212<br />
6. Zukunft 215
<strong>Fallstudie</strong> im W<strong>and</strong>el<br />
Zusammenfassung<br />
<strong>Die</strong> <strong>Fallstudie</strong>n sind Lehrprojekte des<br />
Departements Umweltnaturwissenschaften<br />
der <strong>ETH</strong> Zürich. Mit der Beauftragung<br />
der Professur für Umweltnatur-<br />
und Umweltsozialwissenschaften<br />
zur Durchführung der <strong>Fallstudie</strong>n<br />
und der Schaffung eines «<strong>Fallstudie</strong>nbüros»<br />
wurde eine längerfristige Konsolidierung<br />
der <strong>Fallstudie</strong>norganisation<br />
angestrebt. So entwickelte sich die<br />
seit 1994 bestehende <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>.<br />
Schwerpunkt der <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>narbeit<br />
ist die interdisziplinäre<br />
Ausein<strong>and</strong>ersetzung eines Studienjahrganges<br />
mit einem realen, komplexen<br />
Problem mit zentralen Umweltaspekten.<br />
Dabei soll das Wissen zum<br />
Fall unter verschiedenen Gesichtspunkten<br />
zusammengetragen und aus<br />
umweltnaturwissenschaftlicher Sicht<br />
bewertet werden. <strong>Die</strong> Wissensintegration<br />
erfolgt in Gruppen von 12 bis 18<br />
Studierenden – den Synthesegruppen.<br />
Unterstützt werden die Studierenden<br />
von einem Team aus Fachleuten – den<br />
Tutorinnen und Tutoren.<br />
Der Einbezug des Falls über seine<br />
Repräsentantinnen und Repräsentanten<br />
– die Träger der <strong>Fallstudie</strong> – ist zu<br />
jedem Zeitpunkt der <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong><br />
von zentraler Bedeutung und<br />
unterstreicht den transdisziplinären<br />
Charakter der Veranstaltung.<br />
Keywords: <strong>Fallstudie</strong>, Transdisziplinarität,<br />
Projektmanagement, Wissensintegration.<br />
Résumé<br />
Les études de cas sont des projets<br />
d’enseignement du Département des<br />
<strong>Science</strong>s de l’Environnement de<br />
l’EPFZ. En chargeant la Chaire pour<br />
les sciences naturelles et sociales de<br />
l’environnement de la réalisation des<br />
études de cas et avec la création d’un<br />
«bureau d’étude de cas», le but visé<br />
était de consolider à long terme l’organisation<br />
des études de cas. C’est ainsi<br />
que l’étude de cas EPFZ-<strong>UNS</strong> s’est<br />
développée depuis sa création en<br />
1994.<br />
Le point essentiel des études de cas<br />
EPF-<strong>UNS</strong> consiste en l’analyse interdisciplinaire<br />
par les étudiants d’une<br />
même année d’un problème réel et<br />
complexe comportant des aspects écologiques<br />
fondamentaux. Les connaissances<br />
relatives au cas sont alors compilées<br />
sous différents aspects et évaluées<br />
du point de vue des sciences<br />
naturelles de l’environnement.<br />
L’intégration des connaissances se fait<br />
au sein de groupes constitués de 12 à<br />
18 étudiants, appelés groupes de synthèse.<br />
Les étudiants bénéficient du<br />
soutien d’un team de spécialistes, les<br />
tutrices et tuteurs.<br />
La prise en compte du cas par l’entremise<br />
de ses représentantes et représentants<br />
– les protagonistes de<br />
l’étude de cas – revêt une importance<br />
primordiale tout au long de l’étude de<br />
cas EPF-<strong>UNS</strong> et souligne le caractère<br />
transdisciplinaire de l’organisation.<br />
Mots-clés: étude de cas, transdisciplinarité,<br />
gestion de projet, intégration<br />
de connaissance.<br />
Summary<br />
The case studies are curricular projects<br />
of the Department of Environmental<br />
<strong>Science</strong>s at the <strong>ETH</strong> <strong>Zurich</strong>.<br />
Appointing the Chair of Environmental<br />
<strong>Science</strong>s, <strong>Natural</strong> <strong>and</strong> <strong>Social</strong><br />
<strong>Science</strong> Interface to carry out the case<br />
studies <strong>and</strong> create an according «Case<br />
Study Bureau» was an effort to consolidate<br />
the case study organization for<br />
the longer term. This is how the <strong>ETH</strong>-<br />
<strong>UNS</strong> case study, existing since 1994,<br />
came to being.<br />
The <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> case study’s main<br />
focus is for a class to deal with real,<br />
complex problems, including central<br />
environmental aspects, in an interdisciplinary<br />
fashion. Knowledge<br />
about the case is collected from different<br />
st<strong>and</strong>points <strong>and</strong> assessed according<br />
to the view of the environmental<br />
sciences. The integration of knowledge<br />
is carried out in groups of 12 to<br />
18 students – the synthesis groups.<br />
The students are supported by a team<br />
of experts – the tutors.<br />
The inclusion of the case’s representatives<br />
– the actual supporters of<br />
the case study – is of crucial importance<br />
at any given time of the <strong>ETH</strong>-<br />
<strong>UNS</strong> case study <strong>and</strong> emphasizes the<br />
transdisciplinary nature of the program.<br />
Keywords: Case study, transdisciplinarity,<br />
project management, knowledge<br />
integration.<br />
204 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
<strong>Fallstudie</strong> im W<strong>and</strong>el<br />
1 Entwicklung<br />
1.1 Der Studiengang Umweltnaturwissenschaften<br />
Abteilung und Departement Umweltnaturwissenschaften<br />
der <strong>ETH</strong> Zürich bestehen seit 1990. Auslöser für die Gründung<br />
waren die Umweltkatastrophen von Tschernobyl im<br />
Jahr 1986 und S<strong>and</strong>oz/Schweizerhalle im Jahr 1986. <strong>Die</strong><br />
systemorientierte Ausrichtung der Ausbildung soll die traditionell<br />
disziplinorientierte Organisation der Hochschulen<br />
ergänzen (vgl. Kasten 1.1).<br />
1.2 <strong>Die</strong> umweltnaturwissenschaftliche<br />
<strong>Fallstudie</strong><br />
Umweltnaturwissenschaften als Beruf<br />
«<strong>Die</strong> Absolventinnen und Absolventen des Studienganges<br />
Umweltnaturwissenschaften lernen, Umweltsysteme zu<br />
analysieren und Lösungen für ökologische Probleme zu<br />
erarbeiten.<br />
<strong>Die</strong> Ausbildung vermittelt die Fähigkeit, ausgehend von<br />
einer naturwissenschaftlichen Analyse der Systeme Wasser,<br />
Boden und Luft, die Wechselwirkungen zwischen<br />
diesen Systemen und der Biosphäre und Anthroposphäre<br />
zu verstehen. Dabei werden die ökologischen Nebenfolgen<br />
menschlicher Aktivitäten und Technologien mitbedacht.<br />
<strong>Die</strong>s erfordert eine interdisziplinäre Arbeitsweise,<br />
die neben den Naturwissenschaften auch die Sozial- und<br />
Geisteswissenschaften sowie die Umwelttechnik einschliesst.<br />
Eine besondere Fähigkeit von Umweltnaturwissenschaftlerinnen<br />
und Umweltnaturwissenschaftlern besteht<br />
in der Kommunikationsfähigkeit, die sich vor allem<br />
im Umgang mit Betroffenen im Falle von Zielkonflikten<br />
bewährt.» (Departement Umweltnaturwissenschaften D-<br />
UMNW, 1999, S. 60).<br />
«Umweltnaturwissenschaftler und Umweltnaturwissenschaftlerinnen<br />
sind Naturwissenschaftler und Naturwissenschaftlerinnen<br />
eines neuen Typs. Sie erfassen das Einzelne<br />
vom Ganzen her und verbinden dabei die erfolgreiche<br />
Art der alten Naturwissenschaft, Einzelfragen zu bearbeiten,<br />
mit neuen theoretischen und methodischen Ansätzen,<br />
Zusammenhänge im Grösseren zu erkennen.»<br />
(Frischknecht & Frey, 1999, S. 5).<br />
Kasten 1.1: Umweltnaturwissenschaften als Beruf.<br />
Im 8. Semester des Studienganges findet für alle Studierenden<br />
eines Jahrgangs eine forschungs- und praxisorientierte<br />
Lehrveranstaltung statt – die umweltnaturwissenschaftliche<br />
<strong>Fallstudie</strong> (auch: Grosse <strong>Fallstudie</strong>). Dabei soll die umweltnaturwissenschaftliche<br />
Forschung mit gesellschaftlichen<br />
Fragen und praxisorientierter Anwendung verbunden werden.<br />
1992 wurde an der <strong>ETH</strong> im Zusammenhang mit der<br />
umweltnaturwissenschaftlichen <strong>Fallstudie</strong> eine neue Professur<br />
für Umweltnatur- und Umweltsozialwissenschaften<br />
(<strong>UNS</strong>) ausgeschrieben. Zu den Lehraufgaben gehört die<br />
«Entwicklung und Leitung von [umweltnaturwissenschaftlichen]<br />
<strong>Fallstudie</strong>n». Erwartet wurde die «Fähigkeit zu disziplinenübergreifendem<br />
Forschen im Bereich der Ursache<br />
von Umweltproblemen und zur Entwicklung von Konzepten<br />
zur ganzheitlichen Untersuchung von Prozessen in<br />
Mensch-Umwelt-Systemen».<br />
Von Beginn weg nahmen die Studierenden einen grossen<br />
Einfluss auf die Gestaltung der <strong>Fallstudie</strong> (Koller, Mieg,<br />
Schmidlin & Scholz, 1995). <strong>Die</strong> Neukonzeption und Planung<br />
der Lehrveranstaltung wurde 1994 in die Hände einer<br />
<strong>Fallstudie</strong>nkommission gelegt, in der neben den Professoren<br />
Rol<strong>and</strong> W. Scholz und Theo Koller die Studierenden die<br />
Mehrheit bildeten. <strong>Die</strong> Kommission konzipierte die <strong>Fallstudie</strong><br />
als problemorientierte Lehrveranstaltung mit gewissen<br />
Forschungsansprüchen:<br />
«<strong>Die</strong> <strong>Fallstudie</strong> ist ein besonderer Typ von Lehrveranstaltung<br />
und Forschungsmethode, die über das Erheben und<br />
Interpretieren von naturwissenschaftlichen Daten hinausgeht.<br />
Sie soll insbesondere ein Freiraum sein für die Entwicklung<br />
einer eigentlich umweltnaturwissenschaftlichen<br />
Vorgehensweise. Angestrebt wird eine integrale Betrachtung<br />
der natürlichen und sozialen Systeme, die befähigt,<br />
Lösungen für ökologische Probleme zu erarbeiten. […]<br />
Gefordert ist ein interdisziplinäres Vorgehen, das neben den<br />
Naturwissenschaften auch die Sozial- und Geisteswissenschaften<br />
einschliesst. Einen wichtigen Stellenwert hat hierbei<br />
nicht nur die Kommunikation zwischen den einzelnen<br />
Disziplinen, sondern auch das Gespräch mit den betroffenen<br />
und beteiligten Menschen.<br />
Zur allgemeinen didaktischen Zielsetzung gehören insbesondere<br />
die Befähigung zu Kooperation und Teamarbeit<br />
[…] und die Fähigkeit zur wissenschaftlichen Bewertung<br />
bereits erfolgter Untersuchungen. Wichtig ist auch, dass die<br />
Teilnehmenden lernen, die eigene Kompetenz und den<br />
St<strong>and</strong> der erreichten Professionalität einzuschätzen.» (Departement<br />
Umweltnaturwissenschaften, <strong>Fallstudie</strong>nkommission<br />
1994, Pflichtenheft der Projekte).<br />
Unter der Leitung der Professur Umweltnatur- und Umweltsozialwissenschaften<br />
(Prof. Scholz) hat die <strong>Fallstudie</strong><br />
eine feste organisatorische Form gefunden: die <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong>-<br />
<strong>Fallstudie</strong>. Organisiert und durchgeführt durch das <strong>UNS</strong><br />
<strong>Fallstudie</strong>nbüro f<strong>and</strong>en seit 1994 sieben <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>n<br />
statt (siehe Tab. 1.2).<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 205
<strong>Fallstudie</strong> im W<strong>and</strong>el<br />
Tab. 1.2: Überblick über die <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>n seit 1994. <strong>Die</strong> <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> wurde dabei von Jahr zu Jahr<br />
weiterentwickelt, und – wo nötig – wurden Anpassungen in der Konzeption vorgenommen.<br />
Jahr Studierende Titel Neuerungen<br />
1994 88 Perspektive<br />
Grosses Moos<br />
1995 80 Industrieareal<br />
Sulzer-Escher Wyss<br />
1996 126 Zentrum<br />
Zürich Nord<br />
1997 91 Region<br />
Klettgau<br />
1998 80 Chancen der<br />
Region Klettgau<br />
1999 65 Zukunft<br />
Schiene Schweiz I<br />
2000 52 Zukunft<br />
Schiene Schweiz II<br />
«Neuer» <strong>Fallstudie</strong>ntyp mit studentischer Führung: Konzept der<br />
externen «Träger» der <strong>Fallstudie</strong>; Szenarioanalyse als <strong>Fallstudie</strong>n-<br />
Methode; weiterführende Diplomarbeiten<br />
Kriterienkatalog zur Themenwahl; Kooperation mit Architekturabteilung<br />
der <strong>ETH</strong>; Kuratorium als unterstützendes Element;<br />
verbesserte Wissenschaftlichkeit durch definierte Methoden<br />
Medien- und Kommunikationskonzept; Modularisierung der Synthesegruppen;<br />
Integration sozialwissenschaftlicher Forschung;<br />
Prozess des gemeinsamen Lernens von Hochschule und Fall;<br />
Förderung der Kooperation der verschiedenen Träger des Falls<br />
2-jährige Bearbeitung eines Falls; Einbezug möglichst aller Studierenden<br />
in die Vorbereitung, Grenzüberschreitung; Kooperation<br />
mit Kultur- und Forstingenieuren der <strong>ETH</strong> und dem EU-<br />
Programm Interreg II<br />
Aufbauend auf den Arbeiten der <strong>Fallstudie</strong> 1997; neues Informationsmanagement<br />
(Infoblatt und Intranet); Einbezug der Bevölkerung<br />
mit Begleitgruppen<br />
SBB-Angestellte arbeiten als Tutorierende mit (direkter Einbezug<br />
von Fallakteuren in die studentischen Synthesegruppen); «Querschnitt-Synthesegruppe»<br />
Individualisierter Unterricht (Kurse zu GIS und Berichte schreiben,<br />
Vorträge zu Gruppenprozessen, Einzelgespräche, etc.);<br />
Synthesetag; stellvertretende Leitung (Prof. Mieg)<br />
2 Zielsetzung<br />
Eine <strong>Fallstudie</strong> orientiert sich immer an einem konkreten<br />
Beispiel – dem Fall (vgl. Scholz, 1995). Eine <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong><br />
<strong>Fallstudie</strong> ist jedoch weder ein Projekt über einen Fall, noch<br />
eine Arbeit für jem<strong>and</strong>en, also keine Auftragsforschung. Sie<br />
ist vielmehr ein Projekt mit den Betroffenen und relevanten<br />
Entscheidungsträgern des Falls. <strong>Die</strong> <strong>Fallstudie</strong> ist ein transdisziplinäres<br />
Projekt (lat. Trans = jenseits, über hinaus).<br />
Gemäss den Zielsetzungen der Unterrichtskommission sollen<br />
die Studierenden lernen, in einem gemeinsamen Prozess<br />
mit den «Akteuren des Falls» Themen und Probleme zu<br />
definieren, die mit Hilfe umweltnatur- und umweltsozialwissenschaftlicher<br />
Methoden bearbeitet werden können<br />
(vgl. Kasten 2). Dementsprechend verfolgt die <strong>Fallstudie</strong><br />
mehrere Zielsetzungen: Lehre, Forschung und Anwendung.<br />
Als Lehrveranstaltung führt sie die Studierenden zu den<br />
Lernzielen (vgl. Tab. 2.). <strong>Die</strong> Studierenden müssen die<br />
Freiheit haben, zu Gunsten des Lerneffekts mit Methoden zu<br />
experimentieren – ihre Projekte müssen auch scheitern dürfen.<br />
Als Ort für Forschung bietet die <strong>Fallstudie</strong> die Möglichkeit,<br />
Methoden zur Wissensintegration (Scholz & Tietje,<br />
1996; in press) weiterzuentwickeln oder neue konzeptionelle<br />
Ansätze auszuprobieren. Erkenntnisse, die aus diesem<br />
Forschungsansatz entspringen, werden in Semester- und<br />
Diplomarbeiten oder in der <strong>UNS</strong>-Forschungsgruppe aufgenommen.<br />
Forschungs- und Entwicklungsarbeit im Rahmen<br />
der <strong>Fallstudie</strong> ist kein Selbstzweck: Sie wird da betrieben,<br />
wo die Studierenden ihr selbst definiertes Projektziel <strong>and</strong>ers<br />
nicht erreichen können.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Fallstudie</strong> als gemeinsamer Lernprozess von Studierenden<br />
und Fallvertretern soll Orientierungen für zukünftiges<br />
H<strong>and</strong>eln liefern (Anwendung). <strong>Die</strong> <strong>Fallstudie</strong> kann und<br />
will keine «pfannenfertigen» Lösungen oder Vorschriften<br />
abgeben. Von Beginn weg wird den Fallvertretern kommuniziert,<br />
dass die <strong>Fallstudie</strong> scheitern kann und somit eine<br />
«Risikokarte» ist.<br />
206 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
<strong>Fallstudie</strong> im W<strong>and</strong>el<br />
Charakteristika der Grossen <strong>Fallstudie</strong><br />
<strong>Die</strong> grosse <strong>Fallstudie</strong> des Departements Umweltnaturwissenschaften<br />
beschäftigt sich mit einem realen, komplexen,<br />
gesellschaftlich relevanten Problem, welches durch Umweltaspekte<br />
mitbestimmt ist. Ausgangspunkt der Arbeit ist<br />
jeweils ein konkreter Fall.<br />
<strong>Die</strong> Studierenden sollen – in einem gemeinsamen Prozess<br />
mit den «Akteuren des Falls» – Themen und Probleme<br />
definieren lernen, die mit umweltnatur- und umweltsozialwissenschaftlichen<br />
Methoden bearbeitet werden können.<br />
Ein besonderes Lernziel liegt in der Optimierung der<br />
Schnittstelle zwischen natürlichen und sozialen Systemen.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Fallstudie</strong> ist ein transdisziplinäres Projekt.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Fallstudie</strong>narbeit bedient sich verschiedener speziell<br />
für die <strong>Fallstudie</strong> entwickelter bzw. angepasster Methoden<br />
der Wissensintegration. <strong>Die</strong>se Methoden dienen dazu,<br />
eine Integration von Wissen aus verschiedenen Horizonten<br />
(Disziplinen, Umweltsystemen, Interessensperspektiven<br />
etc.) vorzunehmen.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Fallstudie</strong> dient dazu, Kommunikations- und Darstellungsfähigkeit,<br />
Teamarbeit sowie Projektorganisation<br />
zu erlernen. <strong>Die</strong> Methoden dienen auch dazu, Teamarbeit<br />
und Projektorganisation zu unterstützen.<br />
Ein wesentliches Merkmal der <strong>Fallstudie</strong>narbeit ist, dass<br />
diese von den Studierenden nicht nur bearbeitet, sondern<br />
auch geplant und geleitet wird.<br />
Kasten 2: Vorgaben für die <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> (Auswahl<br />
der wichtigsten Punkte; aus: Departement Umweltnaturwissenschaften,<br />
Unterrichtskommission, April 1998; internes<br />
Arbeitspapier).<br />
Tab. 2: <strong>Die</strong> Lernziele der <strong>Fallstudie</strong> 2000.<br />
Wissenschaftliche<br />
Ebene<br />
Transdisziplinäre<br />
Ebene<br />
Grundkompetenzen<br />
- Fallverständnis entwickeln<br />
- Methodenbewusstsein (Methoden<br />
der Wissensintegration)<br />
- Mutual Learning: Probleme gemeinsam<br />
mit dem Fall definieren<br />
- Networking: das Beziehungsnetz<br />
des Falls fördern<br />
- Kooperation, Kommunikation<br />
(v.a. in der Gruppe)<br />
- wissenschaftliches Arbeiten (Literaturrecherche;<br />
wiss. Fragestellung<br />
definieren; Berichtskonzeption)<br />
Abb. 2:Um deren Bedürfnisse<br />
kennenzulernen, müssen die<br />
Studierenden in einen engen<br />
Dialog mit den Fallakteuren<br />
eintreten. Ziel ist, einen gemeinsamen<br />
Lernprozess von<br />
Studierenden und Fallvertretern<br />
zu gestalten, ein «mutual<br />
learning between science <strong>and</strong><br />
society» (Bild: Jenny Oswald).<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 207
<strong>Fallstudie</strong> im W<strong>and</strong>el<br />
3 <strong>Fallstudie</strong>nbüro<br />
3.1 Allgemeine Aufgaben<br />
Eine Grossveranstaltung wie die <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> mit<br />
50 bis 120 Studierenden und zeitweise mehreren hundert<br />
involvierten Personen aus der Umgebung des Falls verlangt<br />
nach einer aufwändigen Projektorganisation. Dabei stehen<br />
Planung, Überwachung, Koordination und Steuerung als<br />
klassische Aufgaben des Projektmanagements im Vordergrund<br />
(Witschi, Erb & Biagini, 1996). Um diese Aufgaben<br />
professionell bewältigen zu können, wurde das <strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>nbüro<br />
eingerichtet. Das <strong>Fallstudie</strong>nbüro übernimmt<br />
die operative Leitung der <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> und ist Sekretariat<br />
sowie Organisationszentrum. Seit 1994 steht es<br />
unter der Leitung von S<strong>and</strong>ro Bösch und ist zusätzlich mit<br />
zwei Personen für die natur- sowie sozialwissenschaftliche<br />
Qualitätskontrolle besetzt. Ebenfalls Mitglied des <strong>Fallstudie</strong>nbüros<br />
ist der verantwortliche Hochschullehrer – in der<br />
<strong>Fallstudie</strong> 2000 Prof. Harald A. Mieg. Zur Unterstützung<br />
wird für die Vorbereitung und Durchführung der <strong>Fallstudie</strong><br />
jeweils eine Studierende oder ein Studierender aus dem<br />
Vorjahr als Hilfsassistenz beigezogen. Für die Redaktion des<br />
<strong>Fallstudie</strong>nb<strong>and</strong>es wird ebenfalls eine zusätzliche Person für<br />
eine befristete Zeit eingestellt. Einzelne Aufgaben des <strong>UNS</strong><br />
<strong>Fallstudie</strong>nbüros sind in Tab. 3.1 beschrieben.<br />
Tab. 3.1: Aufgaben und Funktionen des <strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>nbüros.<br />
Aufgabe, Funktion<br />
Akquisition und Vorbereitung<br />
Mitarbeit in der <strong>Fallstudie</strong>nkommission<br />
Teilnahme Orga-<br />
Sitzungen<br />
Ausbildung und Coaching<br />
der Tutorierenden<br />
Aussenkontakte<br />
Organisieren des<br />
<strong>Fallstudie</strong>n-Beirats<br />
Erstellen von Orga-<br />
Dossier und FS-Card<br />
Spezialausbildungen<br />
Organisation von Veranstaltungen<br />
Organisieren der<br />
Erfahrungstage<br />
Projekt- und Qualitätskontrolle<br />
Beschreibung<br />
<strong>Die</strong> Träger des Falls müssen für eine Zusammenarbeit gefunden werden. Ausarbeitung<br />
möglicher Themenbereiche und Sicherung der Finanzierung (Kooperationsvertrag mit dem<br />
Fall).<br />
<strong>Die</strong> <strong>Fallstudie</strong>nkommission (FSK) ist verantwortlich für die Wahl des Falles und für die thematische<br />
Ausrichtung.<br />
<strong>Die</strong> Orga-Gruppe koordiniert die Arbeiten zwischen den Synthesegruppen und ist das Gremium,<br />
in dem organisatorische Entscheide getroffen und Informationen vom FS-Büro an die<br />
Synthesegruppen und zwischen diesen weitergegeben werden. Weitere Aufgaben sind das<br />
Projekt-Controlling und die Früherkennung von Problemen.<br />
<strong>Die</strong> Tutorierenden müssen ausgewählt, eingestellt und auf ihre Aufgabe vorbereitet werden.<br />
Das FS-Büro führt eine Adressdatenbank mit Angaben zu den in der <strong>Fallstudie</strong> kontaktierten<br />
Personen und Institutionen. <strong>Die</strong> Aussenkontakte müssen gepflegt werden und eventuelle<br />
Überlastungen durch studentische Anfragen müssen aufgefangen werden.<br />
Akteure aus dem Fall (z.B. SBB AG, Kantonale Verwaltung Zug, Wirtschaftsvertreter) und<br />
der Hochschule sollen die <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> inhaltlich beraten und steuern.<br />
Das Orga-Dossier enthält die wichtigsten Informationen zur <strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> in schriftlicher<br />
Form. <strong>Die</strong> FS-Card enthält für alle Studierenden Zeitplan mit Meilensteinen, Aufbauorganisation,<br />
wichtige Adressen und Telefonnummern.<br />
Für die Gruppenarbeit wichtige Funktionen wie «Dokumentation der Arbeit», «Logistik»<br />
(Reisen und Material), «Verfassen von Berichten» erfordern z.T. zusätzliche Kenntnisse.<br />
Entsprechende Ausbildung wird durch das FS-Büro angeboten.<br />
Während der Vorbereitung, der Durchführung und nach Abschluss der <strong>Fallstudie</strong> werden<br />
Plenarveranstaltungen zur Information der Studierenden und des Falls durchgeführt (Eröffnung,<br />
Falltag, Postermarkt, Schlusspräsentation, Synthesetag, Schlussveranstaltung<br />
extern, etc.).<br />
Alle Studierenden sollen im Sinne eines Perspektivenwechsels einen Tag Arbeiten in der<br />
Umgebung des Falls übernehmen (z.B. SBB-Stellwerk, Bahnhofskiosk, Bahn-Böschungspflege,<br />
Spedition eines Zuger Unternehmens; vgl. auch Kasten 5).<br />
Erstellen und Überprüfen von Zeitplan, Feedback zu Vorträgen und schriftlichen Zwischenerzeugnissen.<br />
208 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
<strong>Fallstudie</strong> im W<strong>and</strong>el<br />
Tab. 3.1: Fortsetzung.<br />
Aufgabe, Funktion<br />
Pressearbeit und<br />
Kommunikation gegen<br />
aussen<br />
Durchführung der<br />
Evaluation<br />
Erstellen der<br />
Arbeitszeugnisse<br />
Schlussbericht<br />
(<strong>Fallstudie</strong>nb<strong>and</strong>)<br />
Archivierung<br />
Weiterentwicklung der<br />
<strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong><br />
EDV und Material<br />
Internet-Auftritt<br />
Beschreibung<br />
<strong>Die</strong> Arbeit der Studierenden soll in der Region publik gemacht werden. Einzelne Resultate<br />
können auch in Form wissenschaftlicher Publikationen oder an Kongressen verbreitet werden.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Fallstudie</strong> wird mit drei Fragebogen (Anfang, Mitte, Schluss des Semesters) sowie einer<br />
moderierten Schlussdiskussion durch die Studierenden bewertet.<br />
Bescheinigt den Studierenden die Teilnahme an der <strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> und listet spezielle<br />
Fähigkeiten und Funktionen auf.<br />
Das <strong>Fallstudie</strong>nbüro ist Herausgeber des Schlussberichts und organisiert Redaktion und<br />
Review (intern und extern). Neben dem Verfassen eigener Kapitel betreut das FS-Büro auch<br />
die Produktion von Texten im Rahmen von Semesterarbeiten.<br />
Sämtliche Unterlagen der vergangenen <strong>Fallstudie</strong>n werden zusammengestellt und archivarisch<br />
erfasst.<br />
Aufbauend auf den Erfahrungen der vergangenen <strong>Fallstudie</strong>n und unter Berücksichtigung<br />
der studentischen Evaluation werden Änderungen (insbesondere auch der <strong>Fallstudie</strong>ndidaktik)<br />
und Neuerungen erarbeitet.<br />
<strong>Die</strong> Arbeitsräume der Studierenden werden mit Arbeitsstationen für E-mail und Datenbankrecherchen<br />
sowie Verbrauchs- und Moderationsmaterialien ausgerüstet.<br />
<strong>Die</strong> Studierenden, Beteiligte des Falls und weitere interessierte Personen sollen sich im<br />
Internet über die <strong>Fallstudie</strong> informieren können. Das FS-Büro erstellt die entsprechenden<br />
Webseiten.<br />
3.2 Zusammenarbeit mit der <strong>Fallstudie</strong>nkommission<br />
Anlässlich der Revision der <strong>Fallstudie</strong> 1994 wurde eine<br />
<strong>Fallstudie</strong>nkommission (FSK) ins Leben gerufen. Neben<br />
Studierenden sowie Prof. Scholz waren auch die Mitglieder<br />
des <strong>Fallstudie</strong>nbüros vertreten. Für jede <strong>Fallstudie</strong> wurde<br />
eine eigene FSK als leitendes Gremium berufen, die ca. ein<br />
Jahr vor der eigentlichen <strong>Fallstudie</strong> ihre Arbeit aufnahm.<br />
Während der <strong>Fallstudie</strong> tagte die FSK wöchentlich, um<br />
kurzfristig organisatorisch oder inhaltlich eingreifen zu können.<br />
Mit den Jahren w<strong>and</strong>elten sich jedoch Auftrag und<br />
Selbstverständnis der FSK. Insbesondere übernahm das<br />
<strong>Fallstudie</strong>nbüro den Grossteil der organisatorischen Aufgaben,<br />
die anfangs auch von den Studierenden der FSK geleistet<br />
wurden.<br />
Aus den Erfahrungen der <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>n 1994 und<br />
1995 st<strong>and</strong>en für die folgenden <strong>Fallstudie</strong>n eine erprobte<br />
Projektstruktur und ein Konzept zur Verfügung. <strong>Die</strong> Arbeit<br />
der <strong>Fallstudie</strong>nkommission verlagerte sich dadurch zunehmend<br />
vom Konzeptionellen zu inhaltlich-administrativen<br />
Fragen.<br />
Tab. 3.2: Anzahl Sitzungen der <strong>Fallstudie</strong>nkommission in der<br />
Vorbereitungszeit zur <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>.<br />
Abb. 3.2: <strong>Die</strong> <strong>Fallstudie</strong>nkommission 1996 – mit Beteiligung<br />
des <strong>Fallstudie</strong>nbüros – setzt sich mit dem möglichen Fall<br />
«Zentrum Zürich Nord» ausein<strong>and</strong>er (Bild: FS-Büro).<br />
<strong>Fallstudie</strong>njahr<br />
Anzahl Sitzungen<br />
1994 über 50<br />
1995 46<br />
1996 27<br />
1997/98 ca. 25<br />
1999/00 18<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 209
<strong>Fallstudie</strong> im W<strong>and</strong>el<br />
3.3 Kommunikation<br />
Kommunikation ist für den Arbeitsprozess und insbesondere<br />
die Wissensintegration und Synthesearbeit von zentraler<br />
Bedeutung (Bösch, Oswald & Scholz, 1997). <strong>Die</strong> Informationen<br />
über den Fall und die (Zwischen-)resultate der <strong>Fallstudie</strong><br />
sollen möglichst allen Beteiligten zugänglich gemacht<br />
werden. Tab. 3.3 gibt einen Überblick zu den wich-<br />
tigsten Kommunikationsmitteln der vergangenen <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong><br />
<strong>Fallstudie</strong>n.<br />
Seit 1999 stehen allen Studierenden der <strong>ETH</strong> individuelle<br />
E-mail-Adressen und Benutzerkonti zur Verfügung. Dadurch<br />
hat sich die interne Kommunikation merklich verbessert.<br />
<strong>Die</strong> Einrichtung von je einem EDV-Arbeitsplatz in den<br />
Gruppenräumen hat sich für das Abrufen von E-mail und den<br />
Zugriff auf den <strong>Fallstudie</strong>n-Server als positiv erwiesen.<br />
Tab. 3.3: In der <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> eingesetzte Kommunikationsmittel. <strong>Die</strong> «klassischen» Kommunikationsmittel wie<br />
persönliches Gespräch, Telefon oder Briefpost sind nicht aufgelistet.<br />
Kommunikationsmittel Bereich Partner/Zielpublikum <strong>Fallstudie</strong>njahr<br />
<strong>Fallstudie</strong>nzeitung intern Studierende, Tutorierende 1994-1998<br />
Zeitungs- und Journalartikel extern Fallvertreter, Fachleute seit 1994<br />
Intranet intern Studierende, Tutorierende 1998-1999<br />
Internet<br />
intern<br />
extern<br />
Studierende<br />
Fallvertreter<br />
seit 1998<br />
Gruppen-E-mail<br />
intern<br />
z.T. extern<br />
Studierende, Tutorierende<br />
Fallvertreter, Fachleute<br />
seit 1994<br />
4 Projektorganisation<br />
4.1 Modularisierung und Synthese<br />
Wie der Ablauf einer <strong>Fallstudie</strong> organisiert und strukturiert<br />
wird, bildet sich in der Herangehensweise an den «Fall» ab<br />
(siehe Abb. 4.1). Der Ablauf der FS ’94 wurde in «rollender<br />
Planung» organisiert. <strong>Die</strong> Studierenden begannen in fachdisziplinären<br />
Teilprojekten, die anschliessend zu drei Synthesegruppen<br />
umgruppiert wurden. <strong>Die</strong> Zusammenführung<br />
in einer abschliessenden Gesamtsynthese wurde – obwohl<br />
geplant – nicht erreicht.<br />
1995 wurde das Ziel einer Gesamtsynthese – zu Gunsten<br />
mehrerer paralleler Synthesen aus verschiedenen Perspektiven<br />
– aufgegeben. Dazu wurden drei unabhängige Synthesegruppen<br />
und 19 fachdisziplinäre Teilprojekte definiert.<br />
<strong>Die</strong> ersten vier Wochen verbrachten die Studierenden in den<br />
Synthesegruppen und teilten sich anschliessend auf die Teilprojekte<br />
auf. In allen Teilprojektgruppen waren Studierende<br />
aus jeder Synthesegruppe vertreten. Nach Ende der Teilprojekte<br />
kehrten die Studierenden wieder in ihre Synthesegruppe<br />
zurück (Bösch, 1998).<br />
<strong>Die</strong>se Organisationsform war zu kompliziert und motivationshemmend:<br />
<strong>Die</strong> Studierenden fühlten sich in keiner der<br />
unterschiedlich zusammengesetzten Gruppe zu Hause,<br />
manche konnten ihr Teilprojektwissen nicht in die Synthese<br />
einbringen, weil ihr Teilprojekt nicht relevant für die Synthesefragestellung<br />
war. 1996 wurde deshalb die Organisation<br />
nochmals geändert und erhielt die bis 1998 gültige Form.<br />
– <strong>Die</strong> ersten vier Wochen verbringen die Studierenden in<br />
der Synthesegruppe zu 12 bis 18 Personen. <strong>Die</strong> Synthese-<br />
Abb. 4.1: <strong>Die</strong> schematische Ablauf-Organisationsform der<br />
<strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> für die Jahre 1994 bis 2000. Seit 1996<br />
sind die Teilprojektgruppen aus Mitgliedern jeweils nur<br />
einer Synthesegruppe zusammengesetzt.<br />
210 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
<strong>Fallstudie</strong> im W<strong>and</strong>el<br />
Abb. 4.2: Der Zeitplan der <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> 2000. Meilensteine sind fett hervorgehoben.<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 211
<strong>Fallstudie</strong> im W<strong>and</strong>el<br />
phase I dient der Zielfindung. <strong>Die</strong> Gruppe definiert Gegenst<strong>and</strong>,<br />
Ziel, Methode und Produkte. Innerhalb ihrer<br />
Synthese definiert sie drei bis vier Teilprojekte, welche<br />
die inhaltliche und methodische Grundlage zur Synthese<br />
liefern sollen.<br />
– <strong>Die</strong> nächsten sechs Wochen wird in den Teilprojekten<br />
gearbeitet. Parallel wird in Plenumssitzungen der ganzen<br />
Gruppe überprüft, ob die Teilprojekte immer noch auf das<br />
gemeinsame Ziel hinarbeiten.<br />
– Für die letzten vier Wochen, die Synthesephase II, arbeiten<br />
die Studierenden wieder in der Grossgruppe. <strong>Die</strong><br />
Ergebnisse aus den Teilprojekten werden zusammengeführt<br />
und Aussagen zur gewählten Fragestellung abgeleitet.<br />
In der Projektorganisation der <strong>Fallstudie</strong>n 1996 bis 1998<br />
ist das Fehlen der Gesamtsynthese offenkundig. <strong>Die</strong> <strong>Fallstudie</strong>n<br />
«Zukunft Schiene Schweiz» 1999 und 2000 unternahmen<br />
nun den Versuch einer solchen Gesamtsynthese. In der<br />
<strong>Fallstudie</strong> 1999 wurde eine Querschnitts-Synthesegruppe,<br />
die OeRe-Gruppe (Ökologische Rechnungseinheiten), gebildet.<br />
<strong>Die</strong> Mitglieder der OeRe-Gruppe arbeiteten eine Zeit<br />
lang auch in den «normalen» Synthesegruppen mit. Auf der<br />
Grundlage der Arbeit der verschiedenen Synthesegruppen<br />
(z.B. «Altlasten», «Energie») erarbeitete die OeRe-Gruppe<br />
ein Modell zur Verrechnung der SBB-Umweltinvestitionen.<br />
Zum Abschluss der <strong>Fallstudie</strong> 2000 wurde erstmalig ein<br />
Synthesetag durchgeführt. Als «Gesamtschau» der Ergebnisse<br />
sollte er auch dem Abschluss der <strong>Fallstudie</strong> als gemeinsames<br />
Projekt mit der SBB AG und dem Kanton Zug<br />
dienen. <strong>Die</strong>ser Synthesetag f<strong>and</strong> in Zug statt.<br />
4.2 Zeitplan<br />
Für einen erfolgreichen Abschluss eines Projektes wie der<br />
<strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> sind zeitlich und inhaltlich definierte<br />
Übergänge zwischen den einzelnen Projektetappen unabdingbar<br />
– sogenannte Meilensteine (siehe auch Tab. 5). Mit<br />
Hilfe des für alle Teilnehmenden verfügbaren Zeitplans<br />
kann die Realisierbarkeit des Ziels vom Endpunkt her rückblickend<br />
überprüft werden (backward planning). Abb. 4.2<br />
zeigt den Zeitplan zur <strong>Fallstudie</strong> 2000.<br />
5 Produkte<br />
Für die <strong>Fallstudie</strong> gilt: Produkte der <strong>Fallstudie</strong> sind nicht nur<br />
Ergebnisse im klassischen Sinn, sondern auch Prozesse.<br />
<strong>Fallstudie</strong>nb<strong>and</strong><br />
Jedes Jahr wird im Anschluss an die <strong>Fallstudie</strong> durch einzelne<br />
Studierende ein <strong>Fallstudie</strong>nb<strong>and</strong> erstellt. Dabei h<strong>and</strong>elt<br />
es sich um eine Mischung aus Sach- und Fachbuch. Der<br />
B<strong>and</strong> informiert die Vertreter des Falles über die beh<strong>and</strong>elten<br />
Fragestellungen, Vorgehen, Resultate und Schlussfolgerungen<br />
der Studierenden. Andererseits richtet er sich an<br />
interessierte Fachleute und Wissenschaftler. Um zu gewährleisten,<br />
dass die Beiträge in Form und Qualität den Kriterien<br />
einer Publikation für ein wissenschaftliches Publikum genügen<br />
– unter der Berücksichtigung, dass es sich um die<br />
Resultate eines Lehrprojektes h<strong>and</strong>elt – durchlaufen alle<br />
Beiträge ein Reviewverfahren: Nach dem Review durch die<br />
Tutorierenden und die Herausgeber werden die einzelnen<br />
überarbeiteten Kapitel durch externe Fachleute kritisch begutachtet<br />
und anschliessend nochmals überarbeitet.<br />
Schriftliche Produkte während der <strong>Fallstudie</strong><br />
<strong>Die</strong> Erfahrungen haben gezeigt, dass für einen Teil der<br />
Studierenden der <strong>Fallstudie</strong>nb<strong>and</strong> als «greifbares» Produkt<br />
der <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> zu spät kommt. Sie haben am Ende<br />
des <strong>Fallstudie</strong>nsemesters den Eindruck, nichts «Bleibendes»<br />
geleistet zu haben. In der FS ’00 wurde deshalb – auch<br />
im Sinne einer Prozessoptimierung – Wert auf schriftliche<br />
Produkte zum Zeitpunkt der Meilensteine gelegt (siehe Tab.<br />
5.2).<br />
Prozesse als Produkte<br />
Der <strong>Fallstudie</strong>nb<strong>and</strong> ist also nicht das einzige Produkt der<br />
<strong>Fallstudie</strong>. Genauso bedeutend für die Studierenden und den<br />
Fall sind <strong>and</strong>ere schriftliche oder multimediale Produkte<br />
und angeregte Prozesse. Wichtig ist die Einsicht, dass die<br />
<strong>Fallstudie</strong> nicht nur konkrete Ergebnisse für den untersuchten<br />
Fall liefert (wie z.B. einen Plan oder eine Entscheidungshilfe),<br />
sondern vor allem Prozesse in Gang bringt. Der in der<br />
<strong>Fallstudie</strong> erlebte gemeinsame Lernprozess von Studierenden<br />
und Fallvertretern, ein wechselseitiges Lernen (mutual<br />
learning between science <strong>and</strong> society), ist deshalb ein wichtiges<br />
Produkt der <strong>Fallstudie</strong>, wie folgender Zeitungsausschnitt<br />
illustriert:<br />
«’Zuerst waren wir dem ganzen gegenüber eher kritisch<br />
eingestellt, wir hatten Angst, die Studierenden würden hier<br />
in unsere Welt eindringen, ohne uns mit einzubeziehen’,<br />
erklärt der Gemüsebauer Charles Aebersold aus Treiten.<br />
Nach mehreren Gesprächen mit den Betreffenden habe sich<br />
aber eine sehr fruchtbare Zusammenarbeit entwickelt, erzählt<br />
er. Man müsse auch immer sehen, dass diese Studie ein<br />
Lehrgang sei, und keine Meisterarbeit. ’Es hat auch für uns<br />
Gedankenanstösse gegeben’, ist er überzeugt.» (Bieler Tagblatt,<br />
1994).<br />
212 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
<strong>Fallstudie</strong> im W<strong>and</strong>el<br />
Tab. 5.1: Auswahl von <strong>Fallstudie</strong>nprodukte der vergangenen Jahre.<br />
Art des Produkts Beschreibung<br />
Schriftlich - <strong>Fallstudie</strong>nbände (FS ‘94 bis ‘00)<br />
- «Das kleine Emmer-Büchlein», Rezeptheft (FS ‘97)<br />
- «Der zweite Blick...»: Velo- und W<strong>and</strong>erführer für den Klettgau (FS ‘97)<br />
- Stellungnahme zur Revision des kantonalen Richtplanes des Kt. Schaffhausen (FS ‘98)<br />
- Grundlagenordner für naturraum-relevante Projekte in der Region Klettgau (FS ‘98)<br />
- «Wie kommen die Güter auf die Bahn». Artikel im Umwelt Focus 3/2000 (FS ‘00)<br />
Multimedial - Video «StadtBrachL<strong>and</strong>: urbane architektur und umwelt» (Gewinner des «gr<strong>and</strong> prix au féstival<br />
européen du clip vidéo sur l’environnement 1996») (FS ‘95)<br />
- Computergestütztes Tool zur Bestimmung der ökologisch-ökonomisch optimalen Beh<strong>and</strong>lungstechnik<br />
für belasteten Aushub (FS ‘99)<br />
- Computer-Präsentation «Szenarien zur Verkehrsentwicklung» (FS ‘00)<br />
- «Methoden der Wissensintegration» als WWW-Portal (FS ‘00)<br />
Prozesse - Kooperation zwischen ABB, Stadt Zürich und Anwohnern (FS ‘96)<br />
- Runder Tisch der Klettgauer Regionalbanken zum Thema «Nachhaltige Kreditvergabe» (FS ‘98)<br />
- Gründung einer Interessengemeinschaft Klettgau zur Förderung naturraum-relevanter Projekte<br />
(FS ‘98)<br />
- Bevölkerungsinitiative Klettgau CH-D (FS ‘98)<br />
- Güterforum Zug (FS ‘00)<br />
Erfahrungstag<br />
Der folgende Text beschreibt die Erfahrungen einer studentischen<br />
Gruppe bei der Geleisebaugruppe in Herzogenbuchsee:<br />
Abfahrt Schaffhausen 05:27 Uhr, Abfahrt St. Gallen<br />
05:09, Kaffee und Gipfeli im Zug. In Herzogenbuchsee<br />
herzlicher Empfang durch den Aufseher Chrigu Bickel und<br />
der nächste Kaffee wurde eingeworfen. Nächstes Trakt<strong>and</strong>um:<br />
Fassen der orangen Sicherheitswesten und Besteigen<br />
der schweren <strong>Die</strong>sellok Typ Am 841. Abwarten des IC<br />
87523 von Genf nach Zürich, kaum ist die Strecke freigegeben,<br />
ab aufs Gleis in Richtung Baustelle mit flotten 80<br />
Sachen. Gegenzug aus Burgdorf, der obligate Gruss von<br />
Lokführer zu Lokführer, man ist halt eine grosse Familie.<br />
Baustelle in Sicht, Tempo wird gedrosselt, die orangen<br />
Punkte auf den Geleisen bekommen langsam Gesichter,<br />
braune Gesichter, gegerbt von Wind und Wetter. Es werden<br />
kurze Komm<strong>and</strong>os erteilt, jeder kennt seinen Job, es muss<br />
schnell gehen, denn der EC Interlaken - Stuttgart liebt<br />
keine Verspätungen. Der Einsatz darf höchstens 7 Minuten<br />
dauern, eben wegen dem nahenden EC. Der <strong>Die</strong>selmotor<br />
heult auf, für uns war die Zeit zu kurz, um unserer Arbeit<br />
nachzugehen, zurück in den schützenden Heimatbahnhof<br />
Abb. 5.1: <strong>Die</strong> vordere Umschlagsseite des <strong>Fallstudie</strong>nb<strong>and</strong>es<br />
zur <strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> ’99.<br />
Kasten 5: Eine Besonderheit der <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>: Der<br />
Erfahrungstag. Im Sinne des «gemeinsamen, gegenseitigen<br />
Lernens» von Fall und Hochschule soll für einen Tag die Brille<br />
des (angehenden) Akademikers abgelegt und mit der des direkt<br />
Betroffenen vertauscht werden. Es geht dabei nicht darum, die<br />
Systemerfahrung eines langjährigen Mitarbeiters in einem einzigen<br />
Tag vermittelt zu bekommen. <strong>Die</strong> Erfahrungen haben<br />
jedoch gezeigt, dass ein solcher Perspektivenwechsel eine <strong>and</strong>ere<br />
Sicht – die der Betroffenen – auf die konkreten Probleme<br />
des Falls ermöglicht (Fortsetzung nächste Seite).<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 213
<strong>Fallstudie</strong> im W<strong>and</strong>el<br />
Tab. 5.2: Jeder Meilenstein – als Abschluss einer Projektphase (resp. als Übergang zur nächsten) – verlangt nach einem<br />
schriftlichen Produkt der Arbeitsgruppen.<br />
Meilenstein<br />
Synthesekonzept<br />
(Ende Synthesephase I)<br />
Postermarkt<br />
(Ende Teilprojektphase)<br />
Interner Resultateaustausch<br />
am Synthesetag<br />
(Ende Synthesephase II)<br />
Dritte Beiratssitzung<br />
(Nach Abschluss der <strong>Fallstudie</strong>)<br />
Verlangtes Produkt<br />
Das Synthesekonzept enthält folgende Informationen in klaren Formulierungen<br />
ohne undefinierte Begriffe: Gegenst<strong>and</strong>, Problemstellung der Synthesegruppe und<br />
Arbeitsziel, Produkte und Zielgruppen, Synthese- und <strong>and</strong>ere Methoden, Projektarchitektur,<br />
Teilprojektinhalte und -ziele, Zeitplan, Literatur.<br />
Am Postermarkt präsentiert sich jedes Teilprojekt auf einem Poster Format A1 mit<br />
folgenden Informationen: Name des Teilprojektes und Beteiligte, Zielsetzung/Fragestellung,<br />
Verwendete Methoden und Vorgehensweise, Resultate und Schlussfolgerungen,<br />
kritische Selbstbeurteilung. Jede Synthesegruppe stellt ihre Teilprojekte den<br />
<strong>and</strong>ern Gruppen in einer Kurzpräsentation vor (je 15 Minuten).<br />
Am internen Resultateaustausch stellen die Synthesegruppen gegenseitig ihre Arbeit<br />
vor. <strong>Die</strong> Präsentationen bewegen sich auf zwei Ebenen: Einerseits sollen Vorgehensweise,<br />
Resultate und Schlussfolgerungen dargestellt werden (inkl. eine bis drei prägnante<br />
«take home-messages»). Anderseits ist Raum für eine künstlerisch-multimediale<br />
Darstellung oder das Parodieren der eigenen Arbeit vorh<strong>and</strong>en.<br />
Als Grundlage für die dritte Beiratssitzung dienen die Synthesepapiere der verschiedenen<br />
Gruppen und die am Synthesetag erstellten Produkte. Berichtskonzepte<br />
für den B<strong>and</strong> sollten bereits vorliegen. <strong>Die</strong> Sitzung hat zum Ziel, die Arbeiten und<br />
Resultate zu bewerten und die folgenden Arbeiten für den B<strong>and</strong> auszurichten.<br />
Herzogenbuchsee. Einfahrsignal auf grün, die Weichen unserer<br />
Fahrstrasse gestellt, einbiegen ins Nebengleis, Weiche<br />
zurückstellen für die reibungslose Durchfahrt unseres EC’s.<br />
Er braust heran, gezogen von einer Re 4/4 II, dem stolzen<br />
Arbeitspferd unserer Staatsbahn. Eine Erklärung hier, eine<br />
Erklärung da, man sei am umstrukturieren, wisse noch nicht<br />
genau wie weiter und schon ist das Ausfahrts- und Zwergsignal<br />
auf grün und back to the Baustelle. Fachausdrücke wie<br />
Steg, Flansch, Pumpbeton, Kurvenüberhöhung, Schienenprofil<br />
4, UIC-Norm 174.3, einige laute Komm<strong>and</strong>os, ein<br />
Gegenzug beladen mit Lothar-Material, furchtbar laut, diese<br />
Güterwagen, man versteht ja sein eigenes Wort nicht<br />
mehr, ein weiterer Gegenzug und wieder Schluss und zurück,<br />
denn wie gesagt, maximale Verweildauer des Bauzugs<br />
auf der Strecke 7 Minuten. Zeit für die Znünipause im<br />
Bauwagen auf dem Stumpengeleise. Würste, Salami und<br />
alles was man zwischen 2 Scheiben Brot legen kann tauchen<br />
auf. <strong>Die</strong> Arbeit auf der Strecke ist anstrengend: steile<br />
Böschungen, sengende Sonne, schwere Lasten, nicht für<br />
jedermann/frau geeignet. Wir haben nur schon vom Zuschauen<br />
blutige Schwielen bekommen und hoffen auf Arbeitserleichterung,<br />
die uns dann auch subito zugest<strong>and</strong>en<br />
wird. Statt mit Hammer und Sichel sind wir nun mit dem<br />
Aufseher auf der Strecke unterwegs. Wir haben unser Fortbewegungsmittel<br />
<strong>Die</strong>sellok nun gegen einen Baubus Typ<br />
VW LT 35 eingetauscht (leider) und sind nun reguläre<br />
Benutzer der alten Kantonsstrasse Zürich–Bern. Wir sind<br />
nun wieder auf unserer Baustelle und sehen uns die Sache<br />
mal von unten, mal von oben, mal von links und mal von<br />
rechts an. Chrigu hat eine Engelsgeduld und erklärt uns<br />
alten Bau- und Maschinenfachmännern und -frauen jedes<br />
Detail des Geleisebaus, der Unterhaltsarbeiten, etc. Mittagessen<br />
wieder im sog. Rottenwagen. Der Nachmittag: wieder<br />
brutal heiss. Streckenbesichtigung bei der zukünftigen<br />
Neubaustrecke Mattstetten–Rothrist, wieder ein Intercity,<br />
nur diesmal musste einer im Zug schei... und betätigt hygienischerweise<br />
die Spülung. Ein Kommentar zu diesem Erlebnis<br />
bleibt aus. <strong>Die</strong>ser Chrigu hat sich für uns ins Zeug<br />
gelegt, dass nur so die Schwarten krachen. Es war ein<br />
unglaublich eindrucksvoller und strenger Tag, der uns wohl<br />
noch lange in Erinnerung bleiben wird. Wir haben viel<br />
Respekt gewonnen vor diesen Leuten mit den kräftigen<br />
Oberkörpern, dem braunen Teint und den orange leuchtenden<br />
Kleidern. (Manuela Hotz, Adrian Strehler, Laurenz<br />
Alder).<br />
Kasten 5: Fortsetzung.<br />
214 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
<strong>Fallstudie</strong> im W<strong>and</strong>el<br />
6 Zukunft der <strong>Fallstudie</strong><br />
Aus den Evaluationen zu den vergangenen <strong>Fallstudie</strong>n zeigten<br />
sich vor allem drei Problemfelder:<br />
Organisation: <strong>Die</strong> Studierenden müssen sich in einer klaren<br />
Gruppenstruktur «zu Hause» fühlen. <strong>Die</strong> Vereinfachung<br />
der Organisation seit 1994 spiegelt sich in der jährlichen<br />
Evaluation der <strong>Fallstudie</strong> durch die Studierenden wieder.<br />
Zielvorgaben bei Projektbeginn: Nachdem die Synthesephase<br />
I oft als zu richtungslos kritisiert wurde, wurden 1999<br />
verbindliche Grobkonzepte für die Synthesegruppen vorgegeben<br />
(<strong>Die</strong> Ausarbeitung des detaillierten Projektplanes<br />
bleibt aber weiterhin Aufgabe der Gruppen). <strong>Die</strong>se «Leitplanken»<br />
wurden von den Studierenden in der Schlussdiskussion<br />
mehrheitlich positiv bewertet und auch für das<br />
<strong>Fallstudie</strong>njahr 2000 beibehalten.<br />
Abb. 5.2: Der Erfahrungstag fördert das gegenseitige Verständnis<br />
von Fall und Hochschule (Bild: K. Zurfluh).<br />
Produkte im Internet<br />
In zunehmendem Masse gewinnt das Internet Bedeutung in<br />
der Recherche, Bereitstellung und Präsentation von Berichten<br />
und <strong>and</strong>eren Informationen. In diesem Sinne plant die<br />
<strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> ihre Kommunikationsstrategie in<br />
Richtung Internet weiterzuentwickeln, d.h. wir wollen zukunftsorientiert<br />
arbeiten und uns den veränderten Darstellungsformen<br />
so weit notwendig und sinnvoll anpassen.<br />
Für die <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>n ’01 und ’02, die voraussichtlich<br />
in der Region Appenzellerl<strong>and</strong> stattfinden, ist ein<br />
neues Produkt geplant: das «Living Document». Dabei h<strong>and</strong>elt<br />
es sich um eine kommentierte und laufend ergänzte<br />
elektronische Datenbank (Informationsbank) mit Informationen<br />
zu fallrelevanten Projekten, Plänen, Dokumenten,<br />
Literatur, Personen und deren Zuständigkeiten. 1 Insbesondere<br />
sollen auch die während der <strong>Fallstudie</strong> erstellten Dokumente<br />
und Berichte fortlaufend hier publiziert werden. Als<br />
Weiterentwicklung der bisher produzierten <strong>Fallstudie</strong>nbände<br />
soll das Internet nach der <strong>Fallstudie</strong> eine Gesamtsicht der<br />
geleisteten Arbeiten ermöglichen und zusätzliche Zielgruppen<br />
erreichen.<br />
1 Vgl. als Beispiel die vom BUWAL entwickelte Datenbank zu Umweltinformationen:<br />
http://www.ch.cds.ch.<br />
Anbindung ans Studium: Viele Studierende erleben die<br />
<strong>Fallstudie</strong> als «Welt für sich» und haben zunehmend Mühe,<br />
Bezüge zum restlichen Studium zu knüpfen. <strong>Die</strong>se Entwicklung<br />
sollte sowohl vom Departement als auch von der <strong>Fallstudie</strong><br />
aus sorgfältig analysiert werden.<br />
<strong>Die</strong> Diskussion über die <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>n findet<br />
auch innerhalb des Departements Umweltnaturwissenschaften<br />
statt. Es zeigte sich, dass die Idee einer grossen<br />
<strong>Fallstudie</strong> am Ende des Studiums sowohl von den Dozierenden<br />
als auch von den Studierenden mehrheitlich unterstützt<br />
wird. Aus den Resultaten eines departementsinternen Ausschusses<br />
und den Vorschlägen des <strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>nbüros<br />
wurde ein Reglement ausgearbeitet und von der Departementskonferenz<br />
vom Juni 2000 genehmigt. Das wichtigste<br />
Resultat ist, dass in Zukunft mehrere parallele <strong>Fallstudie</strong>n<br />
angeboten werden, unter denen die Studierenden wählen<br />
können. Man ist sich einig, dass die neue Vielfalt der weiteren<br />
Entwicklung der umweltnaturwissenschaftlichen <strong>Fallstudie</strong><br />
im Allgemeinen und der <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> im<br />
Besonderen nur förderlich sein kann.<br />
Abschliessend sind die Anforderungen an zukünftige umweltnaturwissenschaftliche<br />
<strong>Fallstudie</strong>n aufgeführt, wie sie<br />
vom Departement Umweltnaturwissenschaften der <strong>ETH</strong><br />
Zürich an der Departementskonferenz vom Juni 2000 erarbeitet<br />
wurden (internes Protokoll):<br />
– Es steht ein realer Fall eines Umweltproblems im Zentrum.<br />
– Mehrere Disziplinen sind beteiligt, es wird interdisziplinär<br />
(optional: transdisziplinär) gearbeitet.<br />
– Es erfolgt eine Problemanalyse, d.h. die Ursachen von<br />
Umweltproblemen sowie die komplexen Wirkungsketten,<br />
welche von den Ursachen zum Problem führen,<br />
werden betrachtet.<br />
– Identifikation von betroffenen Interessensgruppen (optional:<br />
Integration dieser Interessen in den FS-Prozess).<br />
– Es werden Lösungsansätze umschrieben, welche die Interessen<br />
der Betroffenen berücksichtigen.<br />
– <strong>Die</strong> Studierenden lernen, Recherchen zu einem realen<br />
Problem vorzunehmen (z.B. bei Behörden etc.).<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 215
<strong>Fallstudie</strong> im W<strong>and</strong>el<br />
– <strong>Die</strong> Studierenden lernen die projektorientierte Arbeit in<br />
einem Team von mindestens fünf Studierenden kennen:<br />
realistische Definition von Gruppenzielen, Projekt- und<br />
Zeitplanung, Meilensteine.<br />
– <strong>Die</strong> Studierenden kommunizieren ihre Resultate gegenüber<br />
den Betroffenen (Nichtwissenschaftler bzw. Angehörige<br />
<strong>and</strong>erer Fachdisziplinen) in geeigneter Form und<br />
tragen sie aus der <strong>Fallstudie</strong> heraus.<br />
– <strong>Die</strong> <strong>Fallstudie</strong> bietet den Studierenden die Möglichkeit,<br />
sich aktiv an der Vorbereitung und Durchführung zu<br />
beteiligen.<br />
Literatur<br />
Bieler Tagblatt (1994, 15.10.). Wenn sich Wissenschaft und Praxis<br />
die H<strong>and</strong> reichen. Bieler Tagblatt, S. 21.<br />
Bösch, S., Oswald, J. & Scholz, R. W. (1997). Kommunikation in<br />
der <strong>Fallstudie</strong>. In R. W. Scholz, S. Bösch, H. A. Mieg & J. Stünzi<br />
(Hrsg.), Zentrum Zürich Nord – Stadt im Aufbruch. Bausteine für<br />
eine nachhaltige Stadtentwicklung. <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 1996, (S. 45-<br />
64). Zürich: vdf Hochschulverlag AG.<br />
Bösch, S. (1998). <strong>Die</strong> Organisation der <strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>. In R. W.<br />
Scholz, S. Bösch, H. A. Mieg & J. Stünzi (Hrsg.), Region Klettgau<br />
– Verantwortungsvoller Umgang mit Boden. <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong><br />
1997, (S. 43-60). Zürich: Rüegger.<br />
Departement Umweltnaturwissenschaften (Hrsg.). (1999). Forschung<br />
im Departement Umweltnaturwissenschaften. Zürich:<br />
<strong>ETH</strong> Zürich, Abteilungssekretariat Umweltnaturwissenschaften.<br />
Frischknecht, P. & Frey, G. (1999). Wegleitung für den Studiengang<br />
Umweltnaturwissenschaften. Studienjahr 1999/2000. Zürich:<br />
<strong>ETH</strong> Zürich, Abteilungssekretariat Umweltnaturwissenschaften.<br />
Koller, T., Mieg, H. A., Schmidlin, C. & Scholz, R. W. (1995). <strong>Die</strong><br />
Organisation der <strong>Fallstudie</strong>. In R. W. Scholz, T. Koller, H. A. Mieg<br />
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38). Zürich: vdf Hochschulverlag AG.<br />
Scholz, R. W. (1995). Zur Theorie der <strong>Fallstudie</strong>. In R. W. Scholz,<br />
T. Koller, H. A. Mieg & C. Schmidlin (Hrsg.), Perspektive Grosses<br />
Moos – Wege zu einer nachhaltigen L<strong>and</strong>wirtschaft. <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong><br />
1994, (S. 39-46). Zürich: vdf Hochschulverlag AG.<br />
Scholz, R. W. & Tietje, O. (1996). Methoden der <strong>Fallstudie</strong>. In R.<br />
W. Scholz, S. Bösch, T. Koller, H. A. Mieg & J. Stünzi (Hrsg.),<br />
Industrieareal Sulzer-Escher Wyss – Umwelt und Bauen: Wertschöpfung<br />
durch Umnutzung. <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 1995, (S. 31-70).<br />
Zürich: vdf Hochschulverlag AG.<br />
Scholz, R. W. & Tietje, O. (in press). Embedded case study<br />
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Thous<strong>and</strong> Oaks: Sage.<br />
Witschi, U., Erb, A. & Biagini, R. (1996). Projekt-Management:<br />
Der BWI-Leitfaden zu Teamführung und Methodik (4. Aufl.).<br />
Zürich: Verlag Industrielle Organisation.<br />
216 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
<strong>Fallstudie</strong>ndidaktik –<br />
<strong>Die</strong> Steuerung von gruppendynamischen<br />
Prozessen in einem<br />
transdisziplinären Lehrprojekt<br />
Autor:<br />
Michael Stauffacher<br />
Inhalt<br />
1. Einleitung 219<br />
2. Studierende: selbstverantwortliches Lernen und spezifische Aufgaben 220<br />
3. Tutorierende: Lehrpersonen als Coach 221<br />
4. <strong>Die</strong> Steuerung von Gruppenprozessen als zentrale Schwierigkeit 222<br />
5. Werkzeuge zur Steuerung des Gruppenprozesses 224<br />
6. Mögliche Weiterentwicklungen: Verstehen von Gruppenprozessen<br />
als Lernziel 226
<strong>Fallstudie</strong>ndidaktik<br />
Zusammenfassung<br />
<strong>Die</strong>ses Kapitel gibt konkrete Einblicke<br />
in die Arbeit von Lehrpersonen<br />
und Studierenden in der <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong><br />
<strong>Fallstudie</strong> als Lehrveranstaltung.<br />
Gruppenprozesse, die innerhalb der<br />
studentischen Arbeitsgruppen wie<br />
auch zwischen Studierenden, Tutorierenden<br />
und Fallakteuren erfolgen, stehen<br />
dabei im Mittelpunkt. <strong>Die</strong> <strong>ETH</strong>-<br />
<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> geht vom Prinzip des<br />
«selbstverantwortlichen Lernens»<br />
aus, d.h. die Studierenden müssen sich<br />
mit den Anforderungen aktiv ausein<strong>and</strong>ersetzen<br />
und ihre Arbeiten selbständig<br />
planen und durchführen. <strong>Die</strong><br />
Tutorierenden begleiten die Studierenden<br />
in einer «Coaching-Rolle»: sie<br />
weisen frühzeitig auf Schwierigkeiten<br />
hin und zeigen Möglichkeiten auf,<br />
darauf zu reagieren. Voraussetzung jedes<br />
Gruppencoachings ist die Kenntnis<br />
sozialpsychologischer Grundlagen<br />
von Gruppenprozessen, die wir kurz<br />
skizzieren. Mit einem einfachen Modell<br />
zeigen wir, dass im Projektablauf<br />
die Steuerung von inhaltlicher Ebene<br />
und psychosozialer Ebene verschieden<br />
wichtig ist und ein unterschiedliches<br />
Mass an Intervention erfordert.<br />
Folgende konkrete Werkzeuge werden<br />
vorgestellt: Projektmanagement,<br />
2-Phasen-Schwungrad-Modell, Moderation,<br />
Visualisierung und Feedback.<br />
Wir folgern, dass die <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong><br />
<strong>Fallstudie</strong> als Lehrveranstaltung nur<br />
erfolgreich ist, falls es gelingt, auch<br />
Gruppenprozesse als Zielgrösse für<br />
die Arbeit der Studierenden zu verankern.<br />
Dazu müssen die Tutorierenden<br />
stärker als Lehrpersonen auftreten und<br />
Feedback und Unterstützung bei der<br />
Selbstreflexion von Gruppenprozessen<br />
geben.<br />
Keywords: <strong>Fallstudie</strong>ndidaktik,<br />
Projektunterricht, Gruppenprozesse,<br />
selbstverantwortliches Lernen, Coaching,<br />
Teamteaching, Moderation.<br />
Résumé<br />
Le présent article donne des aperçus<br />
concrets sur le travail des enseignants<br />
et étudiants dans l’étude de cas EPFZ-<br />
<strong>UNS</strong> en tant que cours. La clé de voûte<br />
repose sur les processus de groupe qui<br />
ont lieu au sein des groupes de travail<br />
des étudiants ou entre étudiants, tuteurs<br />
et acteurs de cas. L’étude de cas<br />
EPFZ-<strong>UNS</strong> part du principe de<br />
l’«apprentissage autonome», c’est-àdire<br />
que les étudiants doivent analyser<br />
activement les exigences et planifier et<br />
réaliser leurs travaux de façon indépendante.<br />
Les tuteurs accompagnent<br />
les étudiants en exerçant un<br />
«rôle de coaching»: ils leur signalent<br />
prématurément les difficultés et leur<br />
indiquent des possibilités pour les surmonter.<br />
La condition préalable de tout<br />
coaching de groupe est la connaissance<br />
des principes de psychosociologie<br />
des processus de groupe que nous traitons<br />
brièvement. Nous démontrons à<br />
l’aide d’un modèle simple que, au<br />
cours du déroulement du projet, l’importance<br />
du pilotage diffère selon<br />
qu’il s’agit du niveau du contenu ou de<br />
celui de la psychologie sociale et qu’il<br />
requiert un degré différent d’intervention.<br />
Les outils concrets énumérés ciaprès<br />
sont présentés: management du<br />
projet, modèle de la roue volante biphasée,<br />
modération, visualisation et<br />
feed-back. Nous déduisons que l’étude<br />
de cas EPFZ-<strong>UNS</strong> en tant que cours<br />
n’est efficace que si nous arrivons à<br />
ancrer aussi des processus de groupe<br />
comme cible pour le travail des étudiants.<br />
Pour cela, les tuteurs doivent<br />
donner plus de feed-back et de soutien<br />
lors de l’autocritique des processus de<br />
groupe.<br />
Mots-clés: didactique d’étude de<br />
cas, enseignement par la méthode des<br />
projets, processus de groupe, apprentissage<br />
autonome, coaching, enseignement<br />
en équipe, modération.<br />
Summary<br />
This chapter provides a practical insight<br />
into the project work of teachers<br />
<strong>and</strong> students within the <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong><br />
case study classes. The focus lies upon<br />
group processes – either within the<br />
students’ project groups or between<br />
students, tutors <strong>and</strong> case actors. The<br />
<strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> case study is based on the<br />
principle of self-regulated learning;<br />
i.e. students must actively deal with<br />
the requirements as well as plan <strong>and</strong><br />
execute their project work on their<br />
own. The tutors accompany the students<br />
in their role as coaches: they<br />
point out difficulties early on <strong>and</strong> demonstrate<br />
possibilities to react thereupon.<br />
A prerequisite for any group<br />
coaching is to know about social-psychological<br />
basics regarding group<br />
processes, which we outline briefly. In<br />
a simple model, we demonstrate that<br />
managing the project course with regard<br />
to the level of content is different<br />
in importance from the social-psychological<br />
dimension <strong>and</strong> requires a different<br />
extent of intervention. The following<br />
concrete tools will be introduced:<br />
project management, 2-phaseflywheel<br />
approach, moderating, visualization,<br />
<strong>and</strong> feedback. We conclude<br />
that the <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> case study<br />
can only be a successful part of the<br />
curriculum if it manages to embed<br />
group processes as an object of the<br />
students’ program. This calls for the<br />
tutors’ increased feedback <strong>and</strong> support<br />
of self-reflection of group processes.<br />
Keywords: case study didactics,<br />
project instruction, group processes,<br />
self-regulated learning, coaching,<br />
team-teaching, moderating.<br />
218 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
<strong>Fallstudie</strong>ndidaktik<br />
1 Einleitung<br />
Schon 1994 wurde festgehalten, dass die <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong><br />
Lehre, Forschung und Anwendung vereinen soll<br />
(Scholz, 1995). Seitdem wurde die <strong>Fallstudie</strong> kontinuierlich<br />
weiterentwickelt, wobei vor allem die Entwicklung von<br />
Methoden der Wissensintegration im Mittelpunkt st<strong>and</strong>.<br />
Weniger sichtbar und dennoch von Bedeutung ist die Frage,<br />
wie die <strong>Fallstudie</strong>ndidaktik optimiert werden kann. In diesem<br />
Kapitel soll dieser Entwicklungsprozess reflektiert und<br />
konkrete Einblicke in die Arbeit von Lehrpersonen und<br />
Studierenden in der <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> als Lehrveranstaltung<br />
gegeben werden.<br />
Für Leserinnen und Leser mit einem didaktischen bzw.<br />
pädagogischen Hintergrund kann der Ausdruck «<strong>Fallstudie</strong>»<br />
ein falsches Bild vermitteln. In einer klassischen <strong>Fallstudie</strong><br />
wird ein vergangenes Ereignis auf der Grundlage<br />
einer aufbereiteten Dokumentation von Studierenden analysiert<br />
und diskutiert (Kaiser, 1983). In Anlehnung an das<br />
H<strong>and</strong>buch didaktischer Modelle h<strong>and</strong>elt es sich bei der<br />
<strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> als Lehrveranstaltung um einen Projektunterricht<br />
(Flechsig, 1991, S. 162ff).<br />
Für Frey (1998, S. 14) ist die Projektmethode «[…] ein<br />
Weg zur Bildung. […] Entscheidend dabei ist, dass sich die<br />
Lernenden ein Betätigungsgebiet vornehmen, sich darin<br />
über die geplanten Betätigungen verständigen, das Betätigungsgebiet<br />
entwickeln und die dann folgenden Aktivitäten<br />
im Betätigungsgebiet zu einem sinnvollen Ende führen. Oft<br />
entsteht ein vorzeigbares Produkt.» Zentral sind die<br />
Selbstorganisation der Lernenden, die intensive Ausein<strong>and</strong>ersetzung<br />
mit einer vorgegebenen Projektinitiative, d.h. die<br />
selbständige Erarbeitung von Problem- und Fragestellung<br />
und die Produktorientierung. <strong>Die</strong>se Grundsätze sind auch<br />
für die <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> von grosser Bedeutung.<br />
Neben diesen Übereinstimmungen bestehen deutliche<br />
Unterschiede im Vergleich mit der Projektmethode:<br />
– Der gesamte Arbeitsprozess wird geleitet durch Synthesemethoden,<br />
es wird methodengestützt vorgegangen<br />
(Kästli & Scholz, 1998; Scholz & Tietje, in press).<br />
– <strong>Die</strong> <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> steht viel stärker in der Praxis,<br />
tritt in einen intensiven Austausch mit ihr und stellt somit<br />
ein «transdisziplinäres» Projekt dar (vgl. Kap. Transdisziplinaritäts-Laboratorium<br />
<strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>).<br />
– Beginnend mit der Festlegung der Problem- und Fragestellung<br />
wird zusammen mit Akteuren aus dem Fall<br />
gearbeitet, es wird vom Fall ausgegangen. Ein Prozess<br />
gegenseitigen Lernens, sogenanntes «mutual learning»,<br />
wird angestrebt (Scholz, 2000).<br />
– <strong>Die</strong> Anforderungen an die Lernenden und Lehrenden<br />
sind in einem transdisziplinären Prozess deutlich höher<br />
als bei der Projektmethode, die unterschiedlichen Erwartungen<br />
der direkt Beteiligten müssen fortlaufend abgestimmt<br />
werden.<br />
– <strong>Die</strong> Arbeit in grossen Gruppen von 12 bis 18 Studierenden,<br />
gecoacht von einem Team von drei bis vier Tutorierenden,<br />
ist ein zentrales Prinzip der <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>.<br />
<strong>Die</strong>s führt zu erhöhten Anforderungen bei der Steuerung<br />
des Lernprozesses.<br />
Abb. 1: In der <strong>Fallstudie</strong> wird in grossen Gruppen gearbeitet<br />
(Bild: FS-Büro).<br />
– Allgemeine Führungsfähigkeiten werden somit als zusätzliche<br />
Lernziele relevant: u.a. Moderation, Coaching,<br />
Prozesssteuerung, Projektmanagement.<br />
Zusammenfassend betrachtet stehen Gruppenprozesse,<br />
die innerhalb der studentischen Arbeitsgruppen wie auch<br />
zwischen Studierenden, Tutorierenden und Fallakteuren erfolgen,<br />
bei der <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> als Lehrveranstaltung<br />
im Mittelpunkt. Wir skizzieren dazu im Folgenden einige<br />
sozialpsychologische Grundlagen und geben praktische<br />
Tipps zur optimierten Steuerung von Gruppenprozessen.<br />
Voraussetzung für eine erfolgreiche Durchführung ist jedoch,<br />
dass die Studierenden Verantwortung übernehmen,<br />
und zwar gegenüber dem Fall, den Mitstudierenden sowie<br />
auch bezüglich den Resultaten und Prozessen der Lehrveranstaltung<br />
(Mieg, 1994). Verschiedene «Ämtli» wurden eingeführt,<br />
um die Verantwortungsübernahme zu fördern. <strong>Die</strong>se<br />
legen wir vorab kurz dar. Auch die Lehrpersonen, Tutorierende<br />
genannt, übernehmen unterschiedliche und aufein<strong>and</strong>er<br />
abgestimmte Aufgaben und Rollen, die wir anschliessend<br />
erläutern. Wir schliessen unsere Ausführungen mit<br />
einem Ausblick auf mögliche Verbesserungen der <strong>ETH</strong>-<br />
<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>.<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 219
<strong>Fallstudie</strong>ndidaktik<br />
2 Studierende:<br />
selbstverantwortliches Lernen<br />
und spezifische Aufgaben<br />
<strong>Die</strong> <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> geht vom Prinzip des «selbstverantwortlichen<br />
Lernens» aus, d.h. die Studierenden müssen<br />
sich mit den Anforderungen des Projektes aktiv ausein<strong>and</strong>ersetzen<br />
und ihre Arbeiten selbständig planen und durchführen.<br />
Selbständiges Vorgehen erfordert, dass jede Person<br />
Aufgaben wahrnimmt und sich mit diesen identifiziert. In<br />
jeder Gruppe werden spontane Rollen wahrgenommen, die<br />
für ein erfolgreiches Funktionieren der Gruppe bedeutsam<br />
sind, wie z.B.:<br />
– die Fotografin, die alle Arbeiten und den Gruppenprozess<br />
mit der Kamera dokumentiert,<br />
– der Internetspezialist, der die neusten Informationen zum<br />
Thema vom Netz herunterlädt,<br />
– die Computerspezialistin, die Poster vierfarbig auf A0-<br />
Format ausdruckt,<br />
– der sozial Veranlagte, der die Gruppe immer wieder zu<br />
einem gemeinsamen Bier überredet,<br />
– die exakte Wissenschaftlerin, die jedes Resultat in Frage<br />
stellt.<br />
Daneben wurden zur internen Strukturierung der studentischen<br />
Arbeitsgruppen verschiedene feste und wechselnde<br />
«Ämtli» und Verantwortlichkeiten verbindlich festgelegt,<br />
die jeweils durch eine Kurzausbildung eingeführt werden.<br />
Wochenverantwortliche<br />
<strong>Die</strong> Wochenverantwortlichen (Amtsdauer: eine Woche, immer<br />
zwei Personen) überlegen sich vor Wochenbeginn, welche<br />
Arbeiten erledigt werden müssen: Stehen Meilensteine<br />
im Zeitplan bevor? Welche Veranstaltungen sind bzw. müssen<br />
noch geplant werden? Sie entwerfen den Wochenablauf<br />
im Detail und richten die Arbeiten am Projektziel aus. Sie<br />
bestimmen zwei Personen für das Protokoll (z.B. die Wochenverantwortlichen<br />
der nachfolgenden Woche), die wesentliche<br />
Aspekte von Plenumsdiskussionen und Expertenvorträgen<br />
festhalten. Sie sind verantwortlich für das Controlling<br />
der Arbeiten und führen eine Liste mit Aufgaben,<br />
Verantwortlichkeiten und Terminen, die fortlaufend aktualisiert<br />
wird.<br />
<strong>Die</strong> Wochenverantwortlichen übernehmen die Moderation<br />
von Gruppendiskussionen und alle Arbeiten im Plenum.<br />
Als Moderierende sind sie dafür verantwortlich, dass die<br />
vorgegebenen Themen in der zur Verfügung stehenden Zeit<br />
diskutiert und notwendige Entscheidungen getroffen werden.<br />
AussenministerIn<br />
<strong>Die</strong> AussenministerInnen (eine Person plus StellverteterIn)<br />
vertreten die Gruppe nach aussen, d. h. gegenüber den<br />
<strong>and</strong>eren Synthesegruppen, aber auch gegenüber den Akteuren<br />
aus dem Fall. Sie müssen immer auf dem aktuellen St<strong>and</strong><br />
der Gruppenarbeit sein. Sie treffen sich regelmässig mit dem<br />
Abb. 2: <strong>Die</strong> Wochenverantwortlichen planen eine Sitzung<br />
und präsentieren den Studierenden zu Beginn den genauen<br />
Ablauf der Diskussion (Bild: FS-Büro).<br />
<strong>Fallstudie</strong>nbüro und sichern somit die Verbindung zwischen<br />
den Synthesegruppen und dem <strong>Fallstudie</strong>nbüro, besprechen<br />
wesentliche Anlässe und Produkte der <strong>Fallstudie</strong> und tauschen<br />
inhaltliche und organisatorische Informationen aus<br />
(vgl. Orgasitzung im Kap. <strong>Fallstudie</strong> im W<strong>and</strong>el).<br />
Logistik-Verantwortliche<br />
<strong>Die</strong> Verantwortlichen für die Logistik (eine Person pro Synthesegruppe)<br />
führen die Gruppenkasse, verwalten die<br />
Schlüssel zu den Schränken in den Gruppenräumen, organisieren<br />
Verbrauchsmaterial, Mietautos, Kollektivbillets, usw.<br />
Sie sind verantwortlich, dass am Freitagabend die Gruppenräume<br />
aufgeräumt sind.<br />
DokumentaristIn<br />
<strong>Die</strong> DokumentaristInnen (zwei Personen pro Synthesegruppe)<br />
sind verantwortlich für die Ordnung in Dokumenten,<br />
Büchern, Daten, Kontakten usw. Sie entwerfen papiergestützt<br />
wie auch auf dem EDV-Server die Struktur der Ablage<br />
(mit Ordnern, Unterordnern, usw.), instruieren die <strong>and</strong>eren<br />
Studierenden in der H<strong>and</strong>habung, kontrollieren die korrekte<br />
Ausführung und leiten notwendige Korrekturen an. Mithilfe<br />
eines elektronischen Literaturverwaltungssystems erfassen<br />
sie Bücher, Artikel und <strong>and</strong>ere Dokumente, die von der<br />
Gruppe bearbeitet werden. <strong>Die</strong> DokumentaristInnen führen<br />
ein Logbuch, das alle Kontakte mit externen Personen verzeichnet.<br />
220 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
<strong>Fallstudie</strong>ndidaktik<br />
Berichtverantwortliche<br />
<strong>Die</strong> Berichteverantwortlichen (zwei pro Synthesegruppe)<br />
erstellen nach der <strong>Fallstudie</strong> einen Bericht über die Arbeit<br />
und Resultate der Synthesegruppe. Sie verfolgen kritisch<br />
den gesamten Arbeitsprozess, um ihn später im Bericht<br />
darstellen zu können. Schon während der <strong>Fallstudie</strong> entwerfen<br />
sie ein Inhaltsverzeichnis, das mit den verantwortlichen<br />
Herausgebern diskutiert wird. Der Bericht kann im <strong>Fallstudie</strong>nb<strong>and</strong><br />
veröffentlicht werden (vgl. z.B. Scholz, Bösch,<br />
Mieg & Stünzi, 1997; Scholz, Bösch, Mieg & Stünzi, 1998).<br />
3 Tutorierende: Lehrpersonen als<br />
Coach<br />
Aufgabe der Tutorierenden ist die verantwortungsbewusste<br />
Unterstützung der Arbeit der Studierenden in fachlicher und<br />
persönlicher Hinsicht. <strong>Die</strong> Tutorierenden begleiten die Studierenden<br />
im Sinne einer «Coaching-Rolle»: sie weisen<br />
frühzeitig auf Schwierigkeiten hin und zeigen Möglichkeiten<br />
auf, darauf zu reagieren. <strong>Die</strong> Interventionsmöglichkeiten<br />
umfassen dabei ein breites Spektrum von praktischen Anleitungen<br />
im Bereich des Projektmanagements bis hin zur<br />
fachlichen und methodischen Beratung. Anforderungen an<br />
die Tutorierenden sind somit nebst der fachlichen Qualifikation<br />
auch die Erfahrung im Coaching (Kostka, 1998;<br />
Schreyögg, 1996).<br />
Abb. 3.1: Überblick über die Rollenverteilung und gegenseitige<br />
Unterstützung der Tutorierenden.<br />
<strong>Die</strong> Synthesegruppen werden von einem Tutorierendenteam<br />
betreut: «Teamteaching» (Scholz, 1978). Im Sinne<br />
eines Expertenrollenansatzes bringen die Tutorierenden ihr<br />
je spezifisches Fachwissen ein, für das sie explizit bezeichnet<br />
sind (Mieg, 2000). <strong>Die</strong> sozialpsychologische Expertenforschung<br />
zeigt, dass Expertenwissen nur so wirklich berücksichtigt<br />
werden kann (Stewart & Stasser, 1995). Ein<br />
Team besteht in der Regel aus drei Personen mit sich ergänzenden<br />
Aufgaben: Didaktik-, Fach- und Systemtutorierende.<br />
Dazu kommen Fachpersonen für <strong>Fallstudie</strong>nmethoden,<br />
die bei Bedarf beigezogen werden. Mieg (2000) weist darauf<br />
hin, dass in der <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> immer weniger externe<br />
Fachleute aus Umweltbüros als Tutorierende angestellt wurden.<br />
<strong>Die</strong>sen fällt es seit der stärkeren Formalisierung des<br />
Vorgehens (fester Satz an Synthesemethoden, strukturierter<br />
Ablaufplan, feste Rollenverteilungen) meist schwer, sich an<br />
den Anforderungen als Lehrperson zu orientieren.<br />
Didaktiktutorierende<br />
Den Didaktiktutorierenden kommt eine zentrale Rolle im<br />
Rahmen der <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> zu. Sie kennen die Fall-<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 221
<strong>Fallstudie</strong>ndidaktik<br />
studie, ihre Anforderungen und Hauptideen und können<br />
diese sowohl gegenüber den Studierenden wie den <strong>and</strong>eren<br />
Tutorierenden vermitteln und allenfalls vertreten. Sie begleiten<br />
die Studierenden im Lernprozess vor, während und<br />
nach der <strong>Fallstudie</strong>.<br />
Sie besprechen mit den Wochenverantwortlichen den Ablauf<br />
der Woche, die Grob- und Feinplanung der Arbeiten<br />
und geben ihnen zum Ende der Woche ein persönliches<br />
Feedback zu ihrer Tätigkeit: Planung, Projekt-Controlling,<br />
Moderation usw.<br />
Fachtutorierende<br />
<strong>Die</strong> Fachtutorierenden sollen die Ziele der Synthesegruppen<br />
fachlich abstützen und ausrichten. Sie sichern die inhaltliche<br />
Qualität der Arbeiten und gewährleisten die Wahl machbarer<br />
Projektziele. Sie kommunizieren den «state of the art»<br />
der entsprechenden Fachgebiete gegenüber den Studierenden<br />
und gewährleisten, dass dieses Niveau angestrebt wird.<br />
Systemtutorierende<br />
<strong>Die</strong> Systemtutorierenden ermöglichen den Fallbezug. Sie<br />
stellen sicher, dass die Projektziele mit den Bedürfnissen der<br />
Akteure übereinstimmen. Sie liefern Daten bzw. stellen den<br />
Zugang zu Daten her und vermitteln als «Türöffner» Kontakte<br />
zu geeigneten Experten.<br />
ExpertInnen in <strong>Fallstudie</strong>nmethoden<br />
ExpertInnen in <strong>Fallstudie</strong>nmethoden zeichnen sich aus<br />
durch fundierte Kenntnisse verschiedener Synthesemethoden<br />
und <strong>and</strong>erer Methoden aus Natur- bzw. Sozialwissenschaften.<br />
Sie sind insbesondere verantwortlich für die Wissensintegration<br />
und stellen die korrekte Anwendung der<br />
<strong>Fallstudie</strong>nmethoden sicher.<br />
4 <strong>Die</strong> Steuerung von Gruppenprozessen<br />
als zentrale<br />
Schwierigkeit<br />
Im Laufe der vergangenen <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>n hat sich<br />
gezeigt, dass keine Gruppe wie die <strong>and</strong>ere funktioniert und<br />
dass es schwierig ist, allgemein verbindliche Ratschläge zu<br />
geben, wie die Arbeitsgruppen geführt bzw. gecoacht werden<br />
sollen. Voraussetzung jedes Gruppencoachings ist die<br />
Kenntnis sozialpsychologischer Grundlagen von Gruppenprozessen<br />
(Haug, 1994).<br />
Sozialpsychologische Grundlagen<br />
Zu Beginn ist darauf hinzuweisen, dass eine Gruppe nicht<br />
direkt auf inhaltlicher Ebene mit der Arbeit beginnen kann<br />
(Cohn, 1975). Vielmehr starten alle Studierenden zu Beginn<br />
als Einzelpersonen (vgl. Abb. 4.1 «Ich»), setzen sich mit den<br />
<strong>and</strong>ern ausein<strong>and</strong>er und werden langsam ein «Wir»-Gefühl<br />
herausbilden. Erst jetzt kann die eigentliche inhaltliche Arbeit<br />
beginnen. <strong>Die</strong>ser Prozess läuft dabei nicht nur einmal<br />
ab, er wiederholt sich vielmehr, er muss jeden Tag beachtet<br />
werden.<br />
Um solche Gruppenprozesse zu erkennen und damit gezielt<br />
steuern zu können, müssen – wie bei jeder Form der<br />
Kommunikation – folgende Ebenen ausein<strong>and</strong>ergehalten<br />
bzw. beachtet werden (Watzlawick, Beavin & Jackson,<br />
1985):<br />
– die Sachebene: der Inhalt, die Vorgehensweisen und deren<br />
Organisation, fachspezifische Schwierigkeiten usw.,<br />
– die Beziehungsebene: persönliche Befindlichkeiten, Beziehungen<br />
unterein<strong>and</strong>er, Motivation der einzelnen Personen<br />
usw.<br />
Abb. 3.2:<br />
Der Fachtutor<br />
erklärt<br />
einen<br />
komplexen<br />
Sachver -<br />
halt (Bild:<br />
FS-Büro).<br />
Abb. 4.1: Der Gruppenprozess in der themenzentrierten<br />
Interaktion (verändert nach Cohn, 1975).<br />
222 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
<strong>Fallstudie</strong>ndidaktik<br />
Ergeben sich im Laufe der Gruppenarbeit Probleme, muss<br />
gefragt werden, auf welcher Ebene diese liegen: H<strong>and</strong>elt es<br />
sich um ein inhaltliches Problem? Es bestehen z.B. unterschiedliche<br />
Ansichten darüber, ob zur Berechnung der Umweltbelastung<br />
die Methode der Ökobilanzierung angew<strong>and</strong>t<br />
werden soll. Oder jem<strong>and</strong> will sich z.B. mit seinem Wissen<br />
profilieren und vertritt aus diesem Grund eine gegensätzliche<br />
inhaltliche Position. Erst wenn erkannt wird, wo das<br />
Problem tatsächlich liegt, kann gezielt reagiert werden: im<br />
ersten Fall wird man einen Methodenexperten beiziehen,<br />
während der Profilierungsversuch am besten offen gelegt<br />
und zur Diskussion gestellt wird.<br />
Auf der psychosozialen Ebene werden verschiedene Phasen<br />
des Gruppenprozesses unterschieden (Tuckman & Jensen,<br />
1977):<br />
– forming: ankommen, auftauen, sich orientieren;<br />
– storming: eigene Interessen durchsetzen, Rivalität wird<br />
ausgelebt;<br />
– norming: aush<strong>and</strong>eln von Regeln, Gruppennormen bilden<br />
sich aus;<br />
– performing: Aufgabenverteilung, Resultate erzielen;<br />
– adjourning: Gruppe löst sich wieder auf.<br />
Es ist zu beachten, dass eine Gruppe erst in der «performing»-Phase<br />
inhaltlich effizient arbeiten kann. <strong>Die</strong>s führt in<br />
der Praxis dazu, dass die Studierenden die ersten Wochen<br />
der <strong>Fallstudie</strong> als ineffizient erleben und z.B. darauf drängen,<br />
dass Entscheide schneller und von oben bzw. aussen<br />
getroffen werden. Aus unserer Sicht liegt gerade hier eine<br />
zentrale Lernerfahrung für die Studierenden: zu erkennen,<br />
dass Gruppenprozesse Zeit brauchen und beschwerlich sind<br />
(Haug, 1994, S. 74).<br />
Zum Schluss sei angemerkt, dass einzelne Gruppen nicht<br />
jede dieser verschiedenen Phasen durchlaufen, <strong>and</strong>ere<br />
durchlaufen sie sogar mehrfach (Ardelt-Gattinger & Gattinger,<br />
1998, S. 9). Das Modell ist – wie jedes Modell – stark<br />
vereinfachend, kann aber in schwierigen Phasen als Hilfestellung<br />
dienen.<br />
Ein einfaches Modell zur Steuerung von Inhalt und<br />
Prozess im Projektablauf<br />
Im Projektablauf der <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> ist die Steuerung<br />
von inhaltlicher Ebene und psychosozialer Ebene verschieden<br />
wichtig und erfordert ein unterschiedliches Mass an<br />
Intervention von Seiten der Tutorierenden (Stauffacher &<br />
Hofer, 1999). Abb. 4.2 stellt die Intensität dieser zwei Interventionsebenen<br />
– Inhalt und Prozess – im Prozessablauf dar.<br />
In der folgenden Darstellung legen wir das Schwergewicht<br />
auf die Prozessebene.<br />
Vor Beginn der <strong>Fallstudie</strong> muss sich das Tutorierendenteam<br />
finden und zu einer Gruppe wachsen, was vor allem<br />
von Seiten der Didaktiktutorierenden geringen, aber gezielten<br />
Input auf Prozessebene erfordert. Der Fokus der Steuerung<br />
bei der Erstellung des Grobkonzeptes liegt aber auf<br />
dem Inhalt.<br />
Innerhalb der ersten vier Wochen der <strong>Fallstudie</strong> – der<br />
Synthesephase I – müssen die Studierenden zu einer Gruppe<br />
zusammenfinden, es bilden sich langsam Gruppennormen<br />
heraus (Langmaack & Braune-Krickau, 1989, S. 64ff). All<br />
dies erfordert starke Steuerung auf Prozessebene, die Gruppenbildung<br />
muss durch spezifische Massnahmen gestärkt<br />
werden. Nur so wird die Lösung der eigentlichen inhaltlichen<br />
Arbeit, die Überarbeitung des Grobkonzeptes, überhaupt<br />
möglich.<br />
In der Teilprojektphase (Wochen 5 bis 10) arbeiten die<br />
Studierenden in kleineren Arbeitsgruppen. Auch diese<br />
Gruppen müssen sich finden, wobei hier selten eine Prozessintervention<br />
nötig ist, da alle Studierenden schon Erfahrungen<br />
in Kleingruppenarbeit gesammelt haben und somit auftretende<br />
Probleme meist selbständig lösen.<br />
In der zweiten Synthesephase (Woche 11 bis 14) werden<br />
Interventionen auf der Prozessebene wieder wichtiger und<br />
auch häufiger. Zu Beginn muss die Synthesegruppe wieder<br />
zusammengeführt werden, einige Studierende müssen<br />
«überredet» werden, sich von ihren Teilprojekten zu lösen<br />
und sich wieder mit dem Ziel der Gesamtgruppe ausein<strong>and</strong>erzusetzen.<br />
Gegen Ende der <strong>Fallstudie</strong> muss noch einmal<br />
dem Prozess Aufmerksamkeit geschenkt werden, die Gruppe<br />
muss zu einem geordneten Abschluss der Arbeiten finden<br />
(Langmaack & Braune-Krickau, 1989, S. 77ff).<br />
Abb. 4.2: Intensität der Steuerung von<br />
Prozess und Inhalt in der <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>.<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 223
<strong>Fallstudie</strong>ndidaktik<br />
5 Werkzeuge zur Steuerung des<br />
Gruppenprozesses<br />
Wir sehen, dass die Steuerung des Gruppenprozesses sehr<br />
aufwändig ist und einen grossen Einsatz von Seiten der<br />
Tutorierenden erfordert. Es fragt sich nun, welche konkreten<br />
Werkzeuge dazu zur Verfügung stehen. Wie in der Einleitung<br />
erwähnt, wird der gesamte Prozess der <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong><br />
<strong>Fallstudie</strong> in erster Linie durch die Synthesemethoden gesteuert,<br />
dennoch sind die folgenden Werkzeuge unentbehrlich<br />
für eine erfolgreiche Durchführung.<br />
Projektplanung<br />
Wie in jedem Projekt ist bei der <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> ein<br />
gezieltes Projektmanagement Grundvoraussetzung für erfolgreiches<br />
Arbeiten (Boy, Dudek & Kuschel, 1999). Insbesondere<br />
die Arbeit in einer Grossgruppe erfordert, dass<br />
zentrale Termine, d.h. Meilensteine, früh genug festgelegt<br />
werden, allen bekannt sind und auch eingehalten werden.<br />
<strong>Die</strong> Organisation der <strong>Fallstudie</strong> dient hier als wichtige Unterstützung,<br />
da sie in der Abfolge von erster Synthese-,<br />
Teilprojekt- und zweiter Synthesephase drei Meilensteine<br />
vorgibt, an denen ein schriftliches Produkt vorgelegt und<br />
eine Präsentation gehalten werden muss (siehe Kap. <strong>Fallstudie</strong><br />
im W<strong>and</strong>el). <strong>Die</strong> Detailplanung der Arbeiten erfolgt<br />
innerhalb der Synthesegruppen und wird von den Wochenverantwortlichen<br />
geleitet und überprüft. <strong>Die</strong> Planung erfolgt<br />
mit Vorteil nach dem Prinzip des «backward-planning»:<br />
Man definiert das Endprodukt und entscheidet, was alles<br />
getan werden muss, um dieses zu erreichen. <strong>Die</strong>se Zwischenschritte<br />
werden in eine logische Reihenfolge gebracht<br />
und der jeweils notwendige Zeitaufw<strong>and</strong> wird abgeschätzt.<br />
Abb. 5.1: Wechsel zwischen Einzelarbeiten und Arbeiten in<br />
Gruppen unterschiedlicher Grösse helfen den Tagesablauf<br />
spannend und abwechselnd zu gestalten (Bilder: FS-Büro).<br />
224 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
<strong>Fallstudie</strong>ndidaktik<br />
Abb. 5.2: Mit Visualisierungen werden komplexe Sachverhalte dargestellt und diskutiert (Bild: FS-Büro).<br />
Es bleibt festzuhalten, dass die Projektplanung ein notwendiges<br />
aber nicht hinreichendes Hilfsmittel für die erfolgreiche<br />
Durchführung einer <strong>Fallstudie</strong> darstellt, da nicht ein<br />
Projekt möglichst effizient durchgezogen werden muss,<br />
sondern eine Lehrveranstaltung mit spezifischen Lernzielen<br />
verfolgt wird.<br />
2-Phasen-Schwungrad-Modell<br />
Oft stellt sich die Frage, wie stark die Tutorierenden in den<br />
Prozess eingreifen bzw. ob sie die Gruppe als Projektleiter/innen<br />
führen sollen. Mieg hat dazu schon 1995 ein<br />
konkretes Vorgehensmodell entwickelt, das als Ansatzpunkt<br />
dienen kann: das 2-Phasen-Schwungrad-Modell (Mieg,<br />
Bösch, Stünzi & Zwicker, 1997).<br />
<strong>Die</strong>ses Modell sieht vor, dass in einer ersten Phase die<br />
Tutorierenden vorzeigen, wie eine <strong>Fallstudie</strong>nwoche geplant<br />
und durchgeführt wird. Danach übernehmen die studentischen<br />
Wochenverantwortlichen diese Aufgabe und die<br />
Tutorierenden greifen nur ein, falls es erforderlich ist, d.h.<br />
wenn der Schwung nachlässt. Zentrales Ziel bleibt, dass die<br />
Studierenden selber die Verantwortung für das inhaltliche<br />
Produkt ihrer Arbeit und den Gruppenprozess übernehmen.<br />
Moderation<br />
<strong>Die</strong> Arbeiten und insbesondere Diskussionen in Grossgruppen<br />
stellen eine grosse Herausforderung dar, die nur mit<br />
Hilfe gezielter Planung und Steuerung sinnhaft und effizient<br />
durchgeführt werden können. Zentrales Werkzeug ist hier<br />
die Technik der Moderation, die Diskussionen und Gruppenprozesse<br />
ermöglichen und optimieren soll (Klebert,<br />
Schrader & Straub, 1991; Seifert, 1997). <strong>Die</strong> Moderierenden<br />
sind für einen optimalen Diskussionsprozess verantwortlich,<br />
sie steuern die Diskussion so, dass alle eine Chance<br />
haben, ihre Meinung einzubringen und dass zielgerichtet,<br />
inhaltlich diskutiert wird. <strong>Die</strong> Arbeit mit verschiedenen<br />
Visualisierungstechniken ist hierbei besonders wichtig. Im<br />
Weiteren sorgen die Moderierenden dafür, dass die geeignete<br />
Gruppengrösse für die anstehende Arbeit gewählt wird<br />
und z.B. eine auflockernde Abfolge von Arbeiten in Kleingruppen,<br />
alleine und im Plenum erfolgt (Lipp & Will, 1998).<br />
Visualisierung<br />
<strong>Die</strong> bestens moderierte Gruppendiskussion hilft nichts,<br />
wenn ihre Resultate nicht aufgezeichnet werden. Visualisierungen<br />
garantieren eine fortlaufende Dokumentation der<br />
Arbeiten und dienen als Grundlage für Beseitigung von<br />
bestehenden Unklarheiten und Widersprüchen. <strong>Die</strong> Metaplan-Technik<br />
liefert hier einige Hinweise, die vor allem in<br />
der ersten Synthesephase bei der Erarbeitung der Fragestellung<br />
gewinnbringend eingesetzt werden können (Metaplan,<br />
1992). Hilfsmittel, die zum Einsatz gelangen, sind Hellraumprojektor,<br />
W<strong>and</strong>tafel, Flip-Chart, Pinw<strong>and</strong>, Packpapier,<br />
Diagramme, Tabellen, Karten usw. (Lipp & Will, 1998;<br />
Seifert, 1999).<br />
Feedback<br />
Kenntnisse und Erfahrungen zu Gruppenprozessen sollen<br />
mit der Gruppe wie mit einzelnen Studierenden diskutiert<br />
werden. Gezieltes und auch deutliches Feedback ist in der<br />
<strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> notwendig, da nur so ein eigentlicher<br />
Lernprozess ausgelöst werden kann. Frey (1998, S. 28ff)<br />
spricht in diesem Zusammenhang von einer Metadiskussion<br />
bzw. -interaktion. Neben der eigentlichen Aufgabe, gezielt<br />
Rückmeldung zur Qualität der Arbeit der Einzelnen wie<br />
auch der Gruppe zu geben, dienen diese Gespräche auch der<br />
Förderung der Selbstreflexion. Nur falls Gruppenprozesse<br />
wie auch erzielte Arbeitsresultate reflektiert und hinterfragt<br />
werden, kann für folgende Arbeiten aus allfälligen Fehlern<br />
gelernt werden.<br />
Folgende Zeitpunkte des Feedbacks haben sich im Rahmen<br />
der <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> als geeignet erwiesen:<br />
– für die Wochenverantwortlichen jeweils nach Wochenabschluss;<br />
– für die Gesamtgruppe nach Bedarf, zumindest bei Beendigung<br />
der verschiedenen Projektphasen;<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 225
<strong>Fallstudie</strong>ndidaktik<br />
Feebackbeispiel Wochenverantwortliche und Moderation<br />
Beurteilt werden die folgenden Punkte:<br />
1. Wird die Woche gut und geeignet geplant? Machen sie<br />
sich schon in der Vorwoche Gedanken zum Wochenablauf?<br />
Nehmen sie selbständig ihre Aufgabe wahr?<br />
2. Wird der Wochenplan genügend klar den <strong>and</strong>ern Studierenden<br />
vorgestellt? Ist bei allen Plenen klar, wie lange<br />
sie dauern und welches Ziel sie haben?<br />
3. Werden Aufträge klar genug formuliert und wird abgesichert,<br />
dass alles richtig verst<strong>and</strong>en wurde?<br />
4. Übernehmen sie Verantwortung für die Arbeit der gesamten<br />
Gruppe? Versuchen sie sich einen Überblick zu<br />
erhalten, wo die <strong>and</strong>eren stehen?<br />
5. Kommunizieren sie auch ausserhalb der Plena, um ihre<br />
Aufgabe der Wochenverantwortung wahrzunehmen?<br />
6. Wird neben der inhaltlichen Ebene auch der Prozessebene<br />
Rechnung getragen (Stimmung, Konflikte, usw.)?<br />
7. Werden Gruppendiskussionen zielgerichtet moderiert?<br />
Wird immer klar, wer die Moderation innehat und die<br />
Diskussion führt? Wird versucht, bei Diskussionen inhaltlich<br />
zu folgen? Werden gezielt Fragen gestellt? Werden<br />
Missverständnisse aufgespürt und zu lösen versucht?<br />
8. Werden zentrale Punkte festgehalten und visualisiert?<br />
9. Werden Hilfsmittel geeignet eingesetzt?<br />
10. Wird für Abwechslung durch Änderung der Gruppengrösse<br />
gesorgt? Wird genügend Zeit für die eigentliche<br />
Projektarbeit in kleinen Gruppen bzw. Einzelarbeit gelassen?<br />
11. Werden nicht erledigte Arbeiten aus der vorhergehenden<br />
Woche wieder aufgenommen? Werden kritische Punkte<br />
wirklich ausdiskutiert?<br />
12. Erfolgt ein gut organisierter Übergang in das Wochenende?<br />
Kasten 5: Ein Beispiel für detaillierte Kriterien, auf die in<br />
einem Feedback Bezug genommen werden kann.<br />
– für einzelne Studierende nach Bedarf und insbesondere<br />
nach Präsentationen oder <strong>and</strong>eren, klare Eigenleistung<br />
erfordernden Tätigkeiten.<br />
Zusätzlich wird mit allen Studierenden ein persönliches<br />
Schlussgespräch geführt, dessen Ergebnisseauf Wnsch in<br />
ein Arbeitszeugnis einfliessen. Der Inhalt des Feedbacks<br />
fokussiert auf folgende Schwerpunkte:<br />
– <strong>Fallstudie</strong>n-Spezifisches: z.B. Verständnis für den Fall,<br />
Kontakte mit Akteuren des Falles wahrnehmen und sich<br />
mit ihnen austauschen, einen klaren Beitrag zu den Produkten<br />
liefern.<br />
– Allgemein-wissenschaftliches H<strong>and</strong>werk: zu klarer<br />
Problem- und Fragestellung beitragen, Literatur lesen<br />
und verarbeiten, methodengestützt und reflektiert vorgehen,<br />
um Nachvollziehbarkeit der erzielten Resultate besorgt<br />
sein, verständlich schreiben, klar und strukturiert<br />
präsentieren.<br />
– Persönliches: Teamfähigkeit, Moderation, effiziente Arbeitsweise,<br />
Einsatz.<br />
6 Mögliche Weiterentwicklungen:<br />
Verstehen von Gruppenprozessen<br />
als Lernziel<br />
Abschliessend wollen wir einige bestehende Schwächen<br />
unseres Lehrkonzeptes und mögliche Optimierungen diskutieren.<br />
<strong>Die</strong> <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> wurde in diesem Jahr bereits<br />
zum siebten Mal durchgeführt und hat innerhalb wie<br />
ausserhalb der <strong>ETH</strong> grosse Anerkennung gewonnen. Trotzdem<br />
kann und soll sie nicht stehen bleiben, sondern fortlaufend<br />
verbessert werden.<br />
<strong>Die</strong> Erfahrung zeigt, dass die <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> als<br />
Lehrveranstaltung nur erfolgreich ist, falls es gelingt, auch<br />
das Verstehen und die Steuerung von Gruppenprozessen als<br />
Zielgrösse für die Arbeit der Studierenden zu verankern.<br />
<strong>Die</strong>s deckt sich auch mit Ergebnissen der Evaluation von<br />
<strong>Fallstudie</strong>n bzw. Projektunterricht in der Lehre, die zeigen,<br />
dass diejenigen Studierenden am meisten lernen, «[who]<br />
focus the underlying learning process rather than project<br />
outcomes (e.g., grades, teacher approval)» (Ertmer, Newby<br />
& MacDougall, 1996, p. 722).<br />
Widerstände gegen projektbasierten Unterricht bestehen<br />
vor allem in einem Umfeld, wo leicht nachprüfbare Leistungsnachweise<br />
das Lerngeschehen bestimmen und einfache<br />
Problemlöseleistungen hoch bewertet werden (Frey,<br />
1998, S. 278). <strong>Die</strong>s trifft für die <strong>ETH</strong> und das Departement<br />
UMNW zu, was mit dazu beiträgt, dass sich einige Studierende<br />
eher ablehnend gegenüber der <strong>Fallstudie</strong> äussern.<br />
Ertmer und Kollegen haben darauf hingewiesen, dass der<br />
Ablehnung durch Studierende in der Evaluationsforschung<br />
zu wenig Beachtung geschenkt wird: «The possibility that<br />
some students’ needs may not match the characteristics <strong>and</strong><br />
dem<strong>and</strong>s of this method has been downplayed, if not completely<br />
ignored.» (Ertmer et al., 1996, p. 720). Sie betonen,<br />
dass die Lehrpersonen darauf reagieren müssen: «It is important<br />
for case instructors to be aware of students’ responses<br />
<strong>and</strong> approaches to the case method <strong>and</strong> to provide<br />
support for those who are intimidated, reluctant, or unprepared<br />
to engage in these unfamiliar <strong>and</strong> ambiguous learning<br />
tasks.» (Ertmer et al., 1996, p. 722).<br />
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach notwendigen<br />
Anpassungen in der <strong>Fallstudie</strong>ndidaktik. Es scheint,<br />
dass die <strong>Fallstudie</strong> nicht für alle Studierenden eine geeignete<br />
Lehrform darstellt bzw. sie mit dieser nicht ohne Unterstützung<br />
umgehen können. <strong>Die</strong>s erfordert, dass ein modulares<br />
System aufgebaut wird, da nicht alle Gleiches lernen wollen<br />
bzw. auch können. Es soll eine stärkere Individualisierung<br />
des Unterrichtes erfolgen. Dazu müssen die Lernziele klarer<br />
definiert und mit den Studierenden diskutiert werden. In der<br />
<strong>Fallstudie</strong> 2000 wurden einige Anstrengungen in diese<br />
Richtung unternommen: die Lernziele wurden wiederholt<br />
präsentiert, es wurden Einzelgespräche zu bestehenden Vorbehalten<br />
gegenüber der <strong>Fallstudie</strong> geführt, Vorträge und<br />
Diskussionen zu Gruppenprozessen abgehalten, ein Einführungskurs<br />
in GIS (Geographical Information System) angeboten,<br />
eine ganztägige Berichte-Werkstatt zum Üben des<br />
Schreibens von Texten organisiert, usw. <strong>Die</strong>se Anstrengungen<br />
müssen auch in Zukunft weiterverfolgt werden.<br />
226 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
<strong>Fallstudie</strong>ndidaktik<br />
Gruppenprozesse und der Lernprozess als solcher müssen<br />
als wesentliche Elemente der <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> etabliert<br />
werden. Wie oben angedeutet, braucht es dazu ein Bewusstsein<br />
unter den Studierenden, und die Rolle der Tutorierenden<br />
muss überdacht werden: Sie müssen vermehrt als Lehrpersonen<br />
auftreten sowie Feedback und Unterstützung bei<br />
der Selbstreflexion von Gruppenprozessen geben.<br />
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228 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Entwicklung der <strong>Fallstudie</strong>nmethoden<br />
Autoren:<br />
Olaf Tietje<br />
Rol<strong>and</strong> W. Scholz<br />
Inhalt<br />
1. Ursprung 231<br />
2. Charakteristika: Synthese und Wissensintegration 232<br />
3. Vom Lehre-Forschungs-Anwendungs-Paradigma zur Wissensintegration 234<br />
4. Übersicht 238<br />
5. Ausblick 241
Entwicklung der <strong>Fallstudie</strong>nmethoden<br />
Zusammenfassung<br />
<strong>Die</strong> <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>nmethodik<br />
wurde in ihren Grundzügen bereits<br />
mit der <strong>Fallstudie</strong> im Jahre 1994 festgelegt.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Fallstudie</strong>n-Methoden entstammen<br />
verschiedenen Gebieten der<br />
Wissenschaft, aus der Systemanalyse<br />
(z. B. System Dynamics), der Entscheidungsforschung<br />
(z. B. multikriterielle<br />
Nutzentheorie) oder dem Bereich<br />
der spezifisch umweltnaturwissenschaftlichen<br />
Methoden (z. B. Ökobilanz<br />
und Stoffflussanalyse). Einige<br />
Methoden wurden für die <strong>Fallstudie</strong>narbeit<br />
adaptiert, <strong>and</strong>ere wurden neu<br />
entwickelt, z.B. die Raumnutzungsverh<strong>and</strong>lungen.<br />
<strong>Die</strong> <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>nmethoden<br />
unterstützen die<br />
<strong>Fallstudie</strong>narbeit, insbesondere die<br />
Synthese und die Wissensintegration<br />
in den Projektgruppen.<br />
Mit der Anwendung und Weiterentwicklung<br />
der <strong>Fallstudie</strong>n-Methoden<br />
wird ein wissenschaftlicher Beitrag<br />
zur Methodenentwicklung an der<br />
Schnittstelle zwischen Umweltsozialund<br />
Umweltnaturwissenschaften geleistet.<br />
Darüber hinaus leisten die <strong>Fallstudie</strong>n-Methoden<br />
einen Beitrag zur<br />
Analyse und Regelung von Systemen<br />
der Anthroposphäre (z.B. Altlastenbearbeitung,<br />
Stadtentwicklung).<br />
Keywords: ill-defined problems,<br />
Wissensintegration, multikriterielle<br />
Bewertung, Synthese, Stoffflussanalyse,<br />
dynamische Modellierung, formative<br />
Szenarioanalyse.<br />
Résumé<br />
La méthodologie des études de cas<br />
EPFZ-<strong>UNS</strong> avait déjà été fixée dans<br />
ses gr<strong>and</strong>es lignes dans l’étude de cas<br />
de 1994. Les méthodes des études de<br />
cas proviennent de divers domaines de<br />
la science, de l’analyse des systèmes<br />
(par ex. System Dynamics), de la recherche<br />
de décision (par ex. théorie du<br />
profit multicritère ou du domaine des<br />
méthodes spécifiques des sciences naturelles<br />
écologiques (par ex. analyse<br />
de cycle de vie et analyse de flux).<br />
Certaines méthodes ont été adaptées<br />
au travail des études de cas, d’autres<br />
ont été nouvellement développées, par<br />
ex. négociations de l’utilisation de<br />
l’espace. Les méthodes des études de<br />
cas EPFZ-<strong>UNS</strong> renforcent le travail<br />
des études de cas, en particulier la<br />
synthèse et l’intégration des connaissances<br />
dans les groupes de projet.<br />
L’application et l’amélioration des<br />
méthodes des études de cas apportent<br />
une contribution scientifique au développement<br />
des méthodes à l’intersection<br />
entre les sciences sociales de l’environnement<br />
et les sciences physiques<br />
et naturelles. De plus, les méthodes<br />
des études de cas fournissent une contribution<br />
à l’analyse et au règlement de<br />
systèmes de l’anthroposphère (par ex.<br />
élaboration des décharges désaffectées,<br />
développement urbain).<br />
Mots-clés: ill-defined problems,<br />
intégration des connaissances, évaluation<br />
multicritère, synthèse, analyse de<br />
flux, System Dynamics, analyse formative<br />
des scénarios.<br />
Summary<br />
The basis of the <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> case study<br />
methodology had already been developed<br />
with the case study 1994. The<br />
case study methods originate from various<br />
scientific areas, from systems<br />
analysis (e.g. system dynamics), decision-making<br />
sciences (e.g. multi-attribute<br />
utility theory) or from the specific<br />
environmental sciences (e.g. environmental<br />
assessment <strong>and</strong> material flux<br />
analysis). Some methods were adapted<br />
for the <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> case study,<br />
others were developed anew, e.g. area<br />
development negotiations. The <strong>ETH</strong>-<br />
<strong>UNS</strong> case study methods support the<br />
case study work, in particular the synthesis<br />
<strong>and</strong> the knowledge integration<br />
conducted by the study teams.<br />
The application <strong>and</strong> further development<br />
of the case study methods are<br />
a scientific contribution to the development<br />
of methods, which organize<br />
the interface between the natural <strong>and</strong><br />
social sciences of the environment.<br />
Moreover, the case study methods<br />
contribute to analysis <strong>and</strong> regulation<br />
of anthropospheric systems (e.g. treatment<br />
of contaminated sites).<br />
Keywords: ill-defined problems,<br />
knowledge integration, multi-criteria<br />
evaluation, synthesis, material flux<br />
analysis, system dynamics, formative<br />
scenario analysis.<br />
230 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Entwicklung der <strong>Fallstudie</strong>nmethoden<br />
1 Ursprung<br />
<strong>Die</strong> gegenwärtigen Herausforderungen, vor denen die berufstätigen<br />
UmweltnaturwissenschafterInnen stehen, sind<br />
häufig sogenannte ill-defined problems, also komplexe,<br />
schlecht definierbare Probleme. <strong>Die</strong> <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>n<br />
beschäftigen sich mit solchen ill-defined problems an realen,<br />
komplexen Fällen, bei denen Umweltaspekte zentral<br />
sind. Kennzeichnend für die <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>n ist, dass<br />
sie nicht von einer einzelnen Theorie oder einem speziellen<br />
Modellansatz ausgehen und versuchen, diesen in einer <strong>Fallstudie</strong><br />
zu illustrieren. Ausgangspunkt der <strong>Fallstudie</strong> sind<br />
reale Fälle in ihrer Gesamthaftigkeit. <strong>Die</strong> Beteiligten sollen<br />
lernen, mit diesen Fällen umzugehen und sie wissenschaftlich<br />
zu bearbeiten. <strong>Die</strong> <strong>Fallstudie</strong>nmethoden dienen dazu, in<br />
diesem unscharfen Raum zu manövrieren.<br />
Seit 1994 wurde in jedem Sommersemester eine <strong>Fallstudie</strong><br />
neuen Stils durchgeführt. Lernziel war, einen «besonderen<br />
Typ von umweltnaturwissenschaftlicher Forschung und<br />
Anwendung» zu entwickeln (Scholz, Koller, Mieg, &<br />
Schmidlin, 1995, S. 14). Hierbei st<strong>and</strong> vielfach die Nachhaltigkeit<br />
als Anwendungsziel bzw. fallbezogener Zielzust<strong>and</strong><br />
im Vordergrund. Studien zur nachhaltigen Entwicklung<br />
zeichnen sich dadurch aus, dass nicht nur der Zielzust<strong>and</strong><br />
nicht wohldefiniert ist, sondern auch unklar ist, wie nachhaltig<br />
oder unnachhaltig der Anfangs- oder Ausgangszust<strong>and</strong><br />
ist. Zudem ist häufig unklar ist, welcher Typ von Barriere bei<br />
der «Problemlösung zu überwinden ist» (s. Abb. 1). Daraus<br />
ergab sich das Forschungsziel, wissenschaftliche Methoden<br />
anzuwenden oder (weiter) zu entwickeln, mit deren Hilfe<br />
gesellschaftlich relevante (Umwelt-) Probleme gelöst werden<br />
können. Ein besonderer Aspekt bei der Entwicklung der<br />
<strong>Fallstudie</strong>nmethoden war weiterhin der Einbezug der Fallakteure.<br />
<strong>Die</strong> <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>n trugen insofern auch zur<br />
Entwicklung der Methoden der Transdisziplinarität bei, einer<br />
in den letzten Jahren verstärkt diskutierten und entwickelten<br />
Form der wissenschaftlichen Arbeit (vgl. Kap.<br />
Transdisziplinaritäts-Laboratorium <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>;<br />
Scholz, 1999).<br />
Eine Reihe von wissenschaftlichen Methoden erwiesen<br />
sich als sinnvoll und notwendig und wurden für die <strong>Fallstudie</strong>narbeit<br />
als <strong>Fallstudie</strong>nmethoden adaptiert oder neu<br />
entwickelt (Scholz & Tietje, in press). Von zentraler Bedeutung<br />
sind systemanalytische Methoden, auf die wir an dieser<br />
Stelle etwas näher eingehen möchten. Für eine Analyse von<br />
Umweltsystemen stellen diese Methoden häufig eine unabdingbare<br />
Voraussetzung dar. <strong>Die</strong> <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>nmethoden<br />
greifen aber im Rahmen der Verwendung von System<br />
Dynamics-Methoden nicht nur auf die Systemökologie<br />
(Odum, 1983; Richter, 1985; Fischlin, 1992) zurück, welche<br />
vornehmlich die Dynamik von Ökosystemen bis hin zum<br />
Weltmodell zum Gegenst<strong>and</strong> hatte (Meadows, Meadows, &<br />
R<strong>and</strong>ers, 1993; Fischlin et al., 1991). Ein Beispiel für diesen<br />
eher traditionellen naturwissenschaftlichen Umgang mit<br />
System Dynamics findet sich in der <strong>Fallstudie</strong> Zentrum<br />
Zürich Nord, in der der Wasserhaushalt eines Siedlungsgebiets<br />
modelliert wurde. System Dynamics wird in der <strong>ETH</strong>-<br />
<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> auch im Rahmen der Optimierung des «wissenschaftlichen<br />
Managements» (Forrester, 1961) genutzt,<br />
wie es sich im Operations Research entwickelt hat. Als<br />
Beispiel sei hier die Konstruktion sogenannter «Softmodelle»<br />
im Rahmen der <strong>Fallstudie</strong> 1995 Umwelt und Bauen<br />
genannt, mit der die Auswirkungen verschiedener umweltpolitischer<br />
Massnahmen auf die Stoffflüsse modelliert wurden<br />
(Scholz, Bösch, Koller, Mieg & Stünzi, 1996). Spezifisch<br />
umweltnaturwissenschaftliche Methoden wie die<br />
Stoffflussanalyse (Baccini & Bader, 1996) und das Life<br />
Cycle Assessment (Frischknecht, Hofstetter, Knoepfel, Dones<br />
& Zollinger, 1995) lassen sich im weiteren Sinne als<br />
Weiterentwicklungen oder Vereinfachungen dieses Modellansatzes<br />
ansehen. <strong>Die</strong>se spezifischen Methoden sind an die<br />
Datenlage und die Zielsetzung angepasst und finden auch<br />
ihren Platz in den <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>n. 1<br />
Abb. 1: Komplexe, schlecht definierbare<br />
Probleme (ill-defined problems).<br />
1 Ein typisches Beispiel findet sich im Kapitel Ökobilanz der <strong>Fallstudie</strong> Sulzer-Escher Wyss-Areal (Scholz et al., 1996) bzw. in der Synthesegruppe Gebäude<br />
in der <strong>Fallstudie</strong> Zentrum Zürich Nord (Scholz, Bösch, Mieg & Stünzi, 1997).<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 231
Entwicklung der <strong>Fallstudie</strong>nmethoden<br />
Der historische Bezug zur Umweltsystemanalyse ist sicher<br />
wichtig und grundlegend. Mindestens von gleicher<br />
Bedeutung bei der Entwicklung der Synthesemethoden waren<br />
die Bezüge zur wirtschaftspsychologischen Entscheidungsforschung,<br />
zur Risikoforschung und zu den Planungswissenschaften.<br />
Schon in der ersten <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong><br />
wurde eine formative Szenarioanalyse durchgeführt, eine<br />
Methodik, die in allen darauffolgenden <strong>Fallstudie</strong>n Anwendung<br />
f<strong>and</strong> und weiterentwickelt wurde. Parallel zum wirtschaftswissenschaftlichen<br />
Bereich setzte sich – wenn auch<br />
langsamer und noch nicht vollständig – im Umweltbereich<br />
die Erkenntnis durch, dass die Systemanalyse und -beschreibung<br />
durch eine Bewertung von Systemzuständen zu ergänzen<br />
sei. <strong>Die</strong>s wurde schon programmatisch in einem der<br />
ersten Artikel zu den Zielsetzungen der <strong>Fallstudie</strong> und zum<br />
Studium Umweltnaturwissenschaften zum Ausdruck gebracht:<br />
«Zentral für die Absolventen/Absolventinnen [der<br />
Umweltnaturwissenschaften] sollte die Fähigkeit sein, Umweltsysteme<br />
ausgehend von einer naturwissenschaftlichen<br />
Analyse in ihrem Gesamtzusammenhang und ihren sozialen<br />
Bestimmungskomponenten zu analysieren, zu bewerten und<br />
zu reflektieren.» (Scholz, 1993). Wichtige Bezugspunkte<br />
der <strong>Fallstudie</strong> bilden somit die Entscheidungstheorie<br />
(Scholz et al., 1997; Keeney & Raiffa, 1976; Paustenbach,<br />
1989) sowie das Systemmanagement (Dauscher, 1998;<br />
Beroggi, 1999). Weil <strong>Fallstudie</strong>narbeit im Team stattfindet,<br />
best<strong>and</strong> eine Aufgabe auch darin, Methoden zur Kommunikation<br />
(vgl. Oswald & Scholz, 1999), Organisation (vgl.<br />
Mieg, Scholz & Stünzi, 1996) und zum Teammanagement<br />
(Schnelle, 1979) zu entwickeln.<br />
<strong>Die</strong> übergeordnete <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>nmethodik beinhaltet<br />
die wissenschaftliche und wissenschaftstheoretische<br />
Fundierung der <strong>Fallstudie</strong>n, insbesondere die Synthese und<br />
die Wissensintegration mit Hilfe der genannten Methoden,<br />
und deren Umsetzung für den Umgang mit dem Fall und die<br />
Organisation der <strong>Fallstudie</strong>. Sie stellt den ersten Versuch<br />
dar, die genannten Methoden und deren spezifischen Beitrag<br />
für eine ganzheitliche Falluntersuchung in einem wissenschaftlichen<br />
Konzept zusammenzufassen. Grundprinzip bei<br />
der Verwendung der <strong>Fallstudie</strong>nmethoden ist das Postulat,<br />
dass der Gegenst<strong>and</strong> bzw. das vorliegende Problem die Wahl<br />
und die Ausgestaltung der wissenschaftlichen Methode bestimmt<br />
und nicht umgekehrt mit einer Methode auf einen<br />
Fall losgegangen wird und so lange gesucht wird, bis sich<br />
ein geeigneter Anwendungsaspekt ergibt. Damit unterscheiden<br />
sich die <strong>Fallstudie</strong>nmethoden in einem weiteren Punkt<br />
von <strong>and</strong>eren Methoden, welche als transdisziplinäre Forschungsansätze<br />
bezeichnet werden. Als Beispiel seien hier<br />
der Bedürfnisfeld-Ansatz (Minsch & Mogalle, 1998) oder<br />
der Syndrom-Ansatz (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung<br />
Globale Umweltveränderungen, 1996) genannt.<br />
<strong>Die</strong>se sind nicht spezifisch fallorientiert bzw. nicht<br />
detailliert auf spezifische Einzelmethoden bezogen.<br />
Ziel dieses Kapitels ist es, die Bedeutung der wissenschaftlichen<br />
Methodik der <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>n zu betonen,<br />
mit einem Rückblick und Überblick Verständnis dafür<br />
zu wecken und dem interessierten Leser durch die Angabe<br />
von Referenzen den Einstieg in die wissenschaftliche Struktur<br />
und Vernetzung der <strong>Fallstudie</strong>nmethodik zu ermöglichen.<br />
2 Charakteristika: Synthese und<br />
Wissensintegration<br />
Jede <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> ist etwas Neues. Sie beschäftigt<br />
sich mit einem Fall. Der Fall ist ein spezieller und in gewisser<br />
Hinsicht einmaliger Gegenst<strong>and</strong>. Ein Gegenst<strong>and</strong> wird<br />
ein Fall, da er für etwas steht und ein bestimmtes Problem<br />
repräsentiert. Der «SBB-Bahngüterverkehr in der Region<br />
Zugersee» wird zum Fall, da an ihm die aktuellen Entwicklungsprobleme<br />
und Fragen der Umweltbewertung von Güterverkehr<br />
exemplarisch in einer solchen Weise untersucht<br />
werden können, dass Erkenntnisse gewonnen werden, die<br />
auch für <strong>and</strong>ere Fälle und die Problemlage des Güterverkehrs<br />
von Aufschluss sind.<br />
Da jede <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> Fälle mit wissenschaftlich<br />
noch wenig oder unbefriedigt untersuchten Fragestellungen<br />
definiert, wird bei der Studie des Falls vielfach wissenschaftliches<br />
Neul<strong>and</strong> betreten. <strong>Fallstudie</strong>n dieses Typs werden<br />
auch «groundbreaking case studies» genannt (Scholz &<br />
Tietje, in press). <strong>Die</strong> Studierenden werden auf eine harte<br />
Probe gestellt. Das Wissen, das sie sich in den bisherigen<br />
Studienjahren angeeignet haben, muss in eigenständiger,<br />
weitgehend selbstorganisierter Arbeit in einem neuen Gebiet<br />
mit neuen, praktischen, fallspezifischen Aspekten verknüpft<br />
und sinnvoll angewendet werden.<br />
Im Rahmen einer Fallbearbeitung treffen Studierende auf<br />
höchst unterschiedliche Probleme, wie die Lärmbelastung<br />
der Bevölkerung, die Qualität des Naturraumes oder die<br />
Wirtschaftlichkeit einer Bahnstrecke. In der Regel können<br />
die Studierenden einen Teil dieser Probleme lösen, indem<br />
sie auf im Studium vermitteltes Wissen zurückgreifen. Für<br />
einige Probleme müssen sie neue Lösungsstrategien erlernen<br />
oder gar entwickeln. Unterstützt und gecoacht werden<br />
sie dabei von einem Team von Fachtutorierenden.<br />
Eine Hauptaufgabe der <strong>Fallstudie</strong>narbeit ist die Synthese,<br />
die durch verschiedene Formen der Wissensintegration vorgenommen<br />
werden kann. Eine Form der Synthese ist, dass<br />
das Wissen verschiedener Fallakteure oder Fallexperten einbezogen<br />
wird. <strong>Die</strong>s erfolgt in der Regel dadurch, dass die<br />
Studierenden und die Tutorierenden, die Betroffenen und<br />
die <strong>and</strong>eren an der <strong>Fallstudie</strong> Beteiligten mitein<strong>and</strong>er kommunizieren<br />
und kooperieren. <strong>Die</strong>ser Prozess beginnt mit<br />
dem gegenseitigen Zuhören und endet im Entwickeln von<br />
Verständnis und dem wechselseitigen Lernen (mutual learning).<br />
Im Laufe der letzten Jahre hat sich für diese Arbeit der<br />
Begriff transdisziplinär entwickelt (vgl. Scholz, 2000; Häberli,<br />
Scholz, Bill & Welti, 2000; Thompson Klein et al.,<br />
2001).<br />
Obwohl der Fall für jede <strong>Fallstudie</strong> neu definiert wird und<br />
das <strong>Fallstudie</strong>nteam prinzipiell vor neuen Aufgaben steht,<br />
wird mit den <strong>Fallstudie</strong>nmethoden ein Rüstzeug zur Verfügung<br />
gestellt, mit dem sich «ill-defined problems» bearbeiten<br />
lassen. <strong>Die</strong> Methoden werden problembezogen zur Organisation<br />
der Arbeit und zur Wissensintegration verwendet.<br />
Für ihre Anwendung müssen i. a. spezielle Zwischenziele<br />
oder Untereinheiten des Falls definiert oder konstruiert<br />
werden. Für eine solche Vorgehensweise im Rahmen einer<br />
Fallanalyse hat sich im Englischen der Terminus «embed-<br />
232 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Entwicklung der <strong>Fallstudie</strong>nmethoden<br />
ded case study» durchgesetzt (Yin, 1994; Scholz & Tietje, in<br />
press).<br />
Wissensintegration bedeutet jedoch mehr als nur die Zusammenstellung<br />
verschiedener Informationen. Mit Hilfe der<br />
<strong>Fallstudie</strong>nmethoden soll eine Synthese erzeugt werden.<br />
<strong>Die</strong>s ist ein neues Produkt, das ohne die Zusammenführung<br />
der verschiedenen Elemente nicht möglich ist. Ein gutes<br />
Beispiel, wie die <strong>Fallstudie</strong>nmethoden eine Synthese unterstützen,<br />
ist die Formative Szenarioanalyse: Hier werden<br />
neue Zukunftsbilder, also Szenarien, in mehreren Schritten<br />
aufgebaut, anh<strong>and</strong> derer das Ziel konkret als Beschreibung<br />
des zukünftigen Systemzust<strong>and</strong>s diskutiert werden kann<br />
und deren Konsistenz und damit Glaubwürdigkeit mit einem<br />
einfachen Ansatz gemessen wird (vgl. z.B. Achermann<br />
& Kehl, 1996). Auch eine integrale Bewertung ist ein Beispiel<br />
für eine Synthese, sie kann auf verschiedene Weisen<br />
erstellt werden. Eine Möglichkeit besteht darin, über verschiedene<br />
Kriterien oder Systemperspektiven zu integrieren,<br />
eine <strong>and</strong>ere Möglichkeit ist, die Wünsche und Präferenzen<br />
eines Personenkreises zu integrieren.<br />
Das Prinzip der <strong>Fallstudie</strong>narbeit als Wissensintegration<br />
ist bereits in der Übersicht der <strong>Fallstudie</strong>nmethoden im<br />
Bericht zur zweiten <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> Industrieareal<br />
Sulzer-Escher Wyss enthalten. Folgende Typen der Integration<br />
werden genannt (Scholz et al., 1996):<br />
– Disziplinen (insbesondere Sozial- und Naturwissenschaften),<br />
– Systeme (z. B. Wasser, Boden, Luft),<br />
– Typen von Wissen (z. B. Erfahrungswissen/Wissenschaftswissen),<br />
– Interessen (von verschiedenen Beteiligten, die sich z. B.<br />
auch in Bewertungen ausdrücken).<br />
Abb. 2 gibt eine Übersicht über diese Integrationstypen.<br />
<strong>Die</strong> Wissensintegration ermöglicht die Verarbeitung heterogener<br />
Informationen und ist daher ein wesentliches Element<br />
der robusten Wahrnehmung der untersuchten Probleme.<br />
Ein Beispiel für eine Methode, mit der eine Integration<br />
von Disziplinen unterstützt wird, ist die Szenarioanalyse.<br />
<strong>Die</strong> gleichzeitige Berücksichtigung von wirtschaftlichen<br />
Einflussfaktoren (z. B. Bruttoinl<strong>and</strong>sprodukt), sozialen Ein-<br />
Abb. 2: In den <strong>Fallstudie</strong>n-Methoden<br />
werden vier Typen der Wissensintegration<br />
unterschieden. Zwei Kreuze zeigen<br />
den jeweiligen Typ der Wissensintegration<br />
an, der bei der Anwendung der<br />
Methoden im Vordergrund gest<strong>and</strong>en<br />
hat, weitere Erläuterung s. Text.<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 233
Entwicklung der <strong>Fallstudie</strong>nmethoden<br />
flussfaktoren (z. B. ökologisches Bewusstsein) und ökologischen<br />
Einflussfaktoren (z. B. ökologische Qualität, Biodiversität)<br />
erfordert eine gemeinsame Sprache über die Disziplinen<br />
hinweg. <strong>Die</strong> Beziehungen zwischen den Wirkgrössen<br />
werden in der formativen Szenarioanalyse entsprechend<br />
ihrer Einflusstärke modelliert. <strong>Die</strong>s ermöglicht so eine Verbindung<br />
von Disziplinen, etwa indem der Einfluss von<br />
(ökologischen) Einstellungen auf Umweltsysteme betrachtet<br />
wird.<br />
<strong>Die</strong> Ökobilanz ist ein Beispiel für die Integration von<br />
Systemen. <strong>Die</strong> Methode ermöglicht die gleichzeitige Berücksichtigung<br />
von Umweltemissionen in Wasser, Boden<br />
und Luft (Atmosphäre). Mit Hilfe der Ökobilanz erfolgt eine<br />
gemeinsame Bewertung aller Emissionen und somit eine<br />
Gewichtung der verschiedenen Umweltprobleme.<br />
<strong>Die</strong> Integration von verschiedenen Typen von Wissen erfolgt<br />
sowohl durch die direkte Begegnung mit dem Fall als<br />
auch durch den Einbezug des Erfahrungswissens der Fallakteure<br />
und durch den Kontakt mit den persönlich Betroffenen<br />
während der <strong>Fallstudie</strong>. Ein Ereignis während der <strong>ETH</strong>-<br />
<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>, das persönlichen Kontakt in besonderem<br />
Masse herstellt, ist der Erfahrungstag (Experiential Case<br />
Encounter). Hier werden eigene persönliche Erfahrungen<br />
durch einen Tag gemeinsamen Arbeitens mit den Fallakteuren<br />
gesammelt. <strong>Die</strong> Studierenden vollziehen einen Seitenwechsel.<br />
Sie sind einzeln mit ganz verschiedenen Arbeiten<br />
beschäftigt und tauschen hinterher die Erfahrungen unterein<strong>and</strong>er<br />
aus. Sie profitieren auch von den mitgeteilten<br />
Erfahrungen der Fallakteure. <strong>Die</strong>se Erfahrungen haben eine<br />
besondere Bedeutung für die eigene Motivation, für den Fall<br />
geeignete Problemlösungen zu finden. <strong>Die</strong> anstudierte analytisch-wissenschaftliche<br />
Denkweise wird hier ergänzt<br />
durch die intuitiv-wertende Wahrnehmung.<br />
<strong>Die</strong> Integration von Interessen ist sicher eine der anspruchsvollsten<br />
Aufgaben, weil sie in den meisten Fällen die<br />
<strong>and</strong>eren Integrationen voraussetzt. Selbst bei einem schwierigen<br />
Konsens über den Gegenst<strong>and</strong> gehen die interessensgeleitete<br />
Interpretation und die Bewertung von H<strong>and</strong>lungsoptionen<br />
oft weit ausein<strong>and</strong>er. Sicher lassen sich einige<br />
verschiedene Interessen der Fallakteure leicht ausmachen,<br />
aber in den meisten Fällen werden die genauen Positionen<br />
und Perspektiven viel ausgefeilter und schwieriger zu beurteilen<br />
sein. Durch eine multikriterielle Bewertung kann ein<br />
Bewusstmachen erfolgen. <strong>Die</strong> Diskussion, der Vergleich<br />
und die Gruppierung verschiedener Positionen helfen, Probleme<br />
aufzuzeigen und Kompromissmöglichkeiten auszuloten.<br />
3 Vom Lehre-Forschungs-<br />
Anwendungs-Paradigma zur<br />
Wissensintegration<br />
<strong>Die</strong> erste <strong>Fallstudie</strong> der Professur <strong>UNS</strong> war die Perspektive<br />
Grosses Moos (Scholz, Koller, Mieg & Schmidlin, 1995).<br />
Bereits hier wurden die wesentlichen Merkmale der <strong>ETH</strong>-<br />
<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>n entwickelt und mit dem Begriff Lehre-Forschungs-Anwendungs-Paradigma<br />
zusammengefasst. Das<br />
bedeutet soviel wie: <strong>Die</strong> <strong>Fallstudie</strong> ist primär eine Lehrveranstaltung<br />
und daher für die Studierenden da. Darüber hinaus<br />
sollte ein Teil Forschung enthalten sein – insbesondere<br />
die Anwendung und Erprobung der <strong>Fallstudie</strong>nmethoden –<br />
und ein Teil Anwendung, also das Ziel, realistische Lösungen<br />
für den Fall zu produzieren. <strong>Die</strong> Studierenden der<br />
Umweltnaturwissenschaften sollten lernen, ihr sinnvolles<br />
Wissen nicht nur für das Bücherregal, sondern für den Fall<br />
einzusetzen.<br />
<strong>Fallstudie</strong>n werden nicht nur in den Umweltnaturwissenschaften<br />
eingesetzt, z.B. auch in der Lehre: In der Ausbildung<br />
zum «Master of Business Administration» in hochrangigen<br />
Einrichtungen wie der Harvard Business School werden<br />
<strong>Fallstudie</strong>n eingesetzt, um ein offenes, nicht einfach<br />
lösbares Problem darzustellen und den Umgang damit einzuüben.<br />
<strong>Die</strong> vielfache Anwendung ausserhalb der Umweltnaturwissenschaften<br />
erfolgt auch unter dem Forschungsaspekt,<br />
zum Beispiel in den Erziehungs-, Wirtschafts-<br />
und Rechtswissenschaften. Aus Erfahrungen in diesen<br />
Anwendungsbereichen wurden an der Professur <strong>UNS</strong><br />
sehr früh bereits Prinzipien herausgestellt, welche die Auswahl,<br />
die Adaption und die Entwicklung der <strong>Fallstudie</strong>nmethoden<br />
bestimmt haben (Tab. 3.1). <strong>Die</strong> Betonung des Anwendungsaspektes<br />
der <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> resultierte zunächst<br />
aus dem Ziel, das «Wissen der SystemkennerInnen in<br />
die Forschung zu integrieren» (Scholz et al., 1995, S. 43; s.<br />
a. Tab. 3.1). Damit wurde bereits am Anfang der Entwicklung<br />
eine Berücksichtigung dessen festgeschrieben, was<br />
unter dem Aspekt der Partizipation, der Beteiligung Betroffener<br />
inzwischen eine sehr grosse Bedeutung hat. <strong>Die</strong> <strong>Fallstudie</strong>nmethodik<br />
ist daher im Ansatz transdisziplinär (Gibbons<br />
et al., 1994, Scholz, 2000).<br />
Der Bericht zur zweiten <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> Industrieareal<br />
Sulzer-Escher Wyss (Scholz et al., 1996) enthält bereits<br />
eine erste kurze Übersicht über die Methoden der <strong>Fallstudie</strong>.<br />
Das Ziel beim Umgang mit einem schlecht definierbaren<br />
Problem (vgl. Abb. 1) soll die Synthese, die Konstruktion<br />
von neuen, integrierten Lösungen für den Fall darstellen.<br />
Als mögliche und geeignete Vorgehensweise wird das<br />
Brunswiksche Linsenmodell und der damit verbundene<br />
probabilistische Funktionalismus erläutert (Brunswik,<br />
1950). <strong>Die</strong> einzelnen <strong>Fallstudie</strong>nmethoden werden in dieser<br />
Übersicht erstmals im Schema des Brunswikschen Linsenmodells<br />
dargestellt.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Fallstudie</strong>nmethoden dienen dazu, schlecht definierbare<br />
Probleme zu beh<strong>and</strong>eln. Sie helfen dem <strong>Fallstudie</strong>nteam,<br />
in einem unscharfen Raum zu manövrieren (vgl. Abb.<br />
1). Der Zielzust<strong>and</strong> ist unscharf, weil die Rahmenbedingungen<br />
nicht prognostiziert werden können und weil er von<br />
234 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Entwicklung der <strong>Fallstudie</strong>nmethoden<br />
Tab. 3.1: Prinzipien der <strong>Fallstudie</strong>nforschung am Anfang der Methodenentwicklung (aus Scholz et al., 1995, S. 43).<br />
Prinzipien der <strong>Fallstudie</strong>nforschung<br />
P1 Erhaltung der Komplexität und Ganzheitlichkeit des Falls: Beschreibung und Analyse des Falls sollten komplex und<br />
ganzheitlich sein und Variablen aus natürlichen und sozialen Systemen einbeziehen.<br />
P2 Erkenntnisgewinnung durch Rekonstruktion der Veränderung: <strong>Fallstudie</strong>nforschung muss eine Analyse der Vergangenheit<br />
und Geschichte des untersuchten Systems einschliessen.<br />
P3 Generalisierung durch Analyse und Synthese und nicht durch statistisches Schliessen (vgl. Blumenberg, 1952): Eine<br />
Verallgemeinerung – innerhalb eines Falles und darüber hinaus – sollte theorie- und verständnisgeleitet sein («Analyse<br />
und Synthese»).<br />
P4 Studium des Verhältnisses vom Besonderen zum Allgemeinen: Obwohl sich eine <strong>Fallstudie</strong> mit einem konkreten Fall<br />
beschäftigt, ist sie dennoch nicht singulär. Vielmehr gilt es, am Fall das Verhältnis des Besonderen zum Allgemeinen zu<br />
studieren (vgl. Otte & Vogel, 1978).<br />
P5 Integration von Wissen aller Beteiligten an der <strong>Fallstudie</strong>: Für den <strong>Fallstudie</strong>nforscher ist der Fall nicht «Studienobjekt»,<br />
vielmehr charakterisiert sich die <strong>Fallstudie</strong>nforschung durch die Integration des Wissens aller Beteiligten (Forscher, Entscheidungsträger,<br />
Bürger etc.).<br />
vielfachen persönlichen, wirtschaftlichen und <strong>and</strong>eren Interessen<br />
abhängt. <strong>Die</strong> <strong>Fallstudie</strong>nmethoden liefern jedoch<br />
keine Lösungen in traditionellem Sinne und sind nicht als<br />
Heilmittel zu verstehen, um das schlecht-definierbare Problem<br />
nachträglich doch noch definierbar zu machen. Vielmehr<br />
geht es darum:<br />
– einige Barrieren zu identifizieren und durch besser überschaubare<br />
Barrieren zu ersetzen: zum Beispiel die unbekannte<br />
zukünftige Entwicklung auf ein dynamisches<br />
Systemmodell mit begründeten Annahmen zu reduzieren<br />
oder die unterschiedliche Bewertung von Alternativen<br />
durch Akteure mit Hilfe einer formal-quantitativen Beschreibung<br />
transparent und diskutabel zu machen;<br />
– den Zielzust<strong>and</strong> wenigstens in Hinblick auf einen Teil<br />
seiner Charakteristika zu beschreiben: Zum Beispiel, den<br />
«einzig wahren Zielzust<strong>and</strong>» als Diskussionsgegenst<strong>and</strong><br />
aufzugeben und die Diskussion über eine zukünftige<br />
Entwicklung durch die Erstellung von überschaubaren<br />
Szenarien zu ermöglichen.<br />
Nach Brunswik (1950) stehen die Informationen bezogen<br />
auf das Gesamtresultat in einer logischen Beziehung zuein<strong>and</strong>er.<br />
Elemente des Linsenmodells – die Perzeptoren –<br />
können als eine Art gleichzeitige Interpretation verst<strong>and</strong>en<br />
werden (vgl. Abb. 3.1). Nach Brunswik bilden sie eine<br />
«oder»-Relation: Eine zuverlässige Wahrnehmung erfolgt<br />
bereits, wenn einige und nicht alle Informationen vorh<strong>and</strong>en<br />
sind (vicarious mediation, vgl. Scholz, 1999). Es gibt viele<br />
bekannte Beispiele von Zeichnungen, die sich dies zunutze<br />
machen. Oft reicht es aus, ein Objekt mit nur wenigen<br />
Federstrichen darzustellen, um es erkenntlich zu machen.<br />
Hier sehen wir, dass unser Bild – zum Beispiel von einem<br />
Kind – aus einer sehr grossen Anzahl von Elementen besteht,<br />
von denen eigentlich sehr wenige schon ausreichen<br />
würden, um es zu identifizieren. Darüber hinaus könnten<br />
auch ganz <strong>and</strong>ere dieser Elemente zur Identifikation führen.<br />
Kurz gesagt, das Brunswiksche Linsenmodell liefert eine<br />
Erklärung für die robuste Informationsverarbeitung bei der<br />
visuellen Wahrnehmung. <strong>Die</strong> <strong>Fallstudie</strong>nmethodik macht<br />
sich diese robuste Informationsverarbeitung bei der Lösung<br />
von schlecht definierbaren Problemen in den Umweltnaturwissenschaften<br />
zunutze.<br />
Ein Beispiel aus der <strong>Fallstudie</strong> Zentrum Zürich Nord<br />
(Scholz et al., 1997): Es soll bestimmt werden, welche<br />
langfristige Entwicklung dieses Gebiets als nachhaltig eingestuft<br />
werden kann. Dazu wird eine Formative Szenarioanalyse<br />
durchgeführt (siehe Abb. 3.1). Der erste Schritt<br />
besteht aus der Analyse und Dekomposition des Anfangszust<strong>and</strong>s,<br />
um relevante Einflussfaktoren zu identifizieren, die<br />
als Perzeptoren dienen können. In der anschliessenden formativen<br />
Synthese werden eine Reihe von Verfahrensschritten<br />
auf diese Einflussvariablen angewendet, mit denen die<br />
Art der Fallrepräsentation verändert wird (z. B. als Tabelle,<br />
als System Grid oder als Netzwerkgrafik). Das Ergebnis, die<br />
Synthese, ist eine gewisse Anzahl von konsistenten (und<br />
daher möglichen) zukünftigen Systemzuständen – den<br />
Szenarien. <strong>Die</strong> Ergebnisse der einzelnen Verfahrensschritte<br />
und insbesondere die Auswahl weniger wichtiger Szenarien<br />
geben ein robustes Bild von der zukünftigen Entwicklung<br />
des Zentrums Zürich Nord, das auf diese Art für eine (anschliessende)<br />
Untersuchung der Nachhaltigkeit zugänglich<br />
gemacht wurde. In unserem Beispiel waren es die Szenarien<br />
«Wirtschaftlicher Aufbruch», «Orientierungslosigkeit und<br />
Krise», «Polarisierung» und «Neue gesellschaftliche Werte»,<br />
aus denen mehrere Thesen für das weitere Vorgehen im<br />
Planungsprozess des Zentrums Zürich Nord abgeleitet wurden.<br />
Das Beispiel macht deutlich, warum eine robuste Wahrnehmung<br />
notwendig für die Planung und Steuerung eines<br />
Stadtteils ist. Es zeigt, wie die <strong>Fallstudie</strong>nmethoden im<br />
Sinne des Brunswikschen Linsenmodells eine Reihe von<br />
Informationselementen (Perzeptoren) generieren und wie<br />
sie diese zur Synthese führen. Hervorzuheben ist, dass die<br />
Synthese ein qualitativer Denk(!)schritt ist, der aufgrund der<br />
Ergebnisse jedoch nachvollziehbar sein muss. <strong>Die</strong> Planung<br />
der Synthese – und damit die Gestaltung der <strong>Fallstudie</strong> –<br />
muss also das Schlussfolgern aus möglichen (Zwischen-)<br />
Ergebnissen einbeziehen und ist daher eine äusserst schwie-<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 235
Entwicklung der <strong>Fallstudie</strong>nmethoden<br />
Abb. 3.1: Das Brunswiksche Linsenmodell für die formative Szenarioanalyse. Ausgangspunkt der Analyse ist der Fall.<br />
Zielpunkt ist ein Verständnis des zukünftigen Zust<strong>and</strong>es des Falls. Um zu letzterem zu gelangen wird eine Dekomposition<br />
vorgenommen und es werden die wichtigsten Einflussvariablen bestimmt, die als hinreichend betrachtet werden, um Zust<strong>and</strong><br />
und Dynamik des Falls zu beschreiben (z.B. Energieverbrauch). Um zu einer Synthese zu kommen, werden mit Einflussfaktoren<br />
eine Reihe von Beziehungen konstruiert und die Ergebnisse dieser Arbeit (Erarbeitung durch die <strong>Fallstudie</strong>nteams) in<br />
verschiedener Form dargestellt (z.B. als Matrix oder Graph). Von diesen Repräsentationen ausgehend erfolgt dann eine<br />
qualitative Beschreibung der zukünftigen Zustände.<br />
rige und für einen Teil der Beteiligten eine neue Aufgabe.<br />
<strong>Die</strong> Erfüllung dieser Aufgabe wird wesentlich vereinfacht,<br />
wenn die Synthese als Brunswiksche Linse dargestellt und<br />
diskutiert wird.<br />
<strong>Die</strong> Notwendigkeit von speziellen <strong>Fallstudie</strong>nmethoden<br />
wird offenbar allgemein akzeptiert und durch die geleistete<br />
Arbeit auch bestätigt. Es wird darauf hingewiesen, dass die<br />
Methoden Hilfsmittel zur Wissens- und Projektorganisation<br />
sind. Nachfolgend sind Leitlinien für die Anwendung der<br />
Methoden aufgelistet, wie sie nach der <strong>Fallstudie</strong> 1997<br />
erstellt wurden (Scholz, Bösch, Mieg, & Stünzi, 1998).<br />
– <strong>Die</strong> Anwendung der Methoden erfordert Vorwissen: Insbesondere<br />
einen «groben Überblick» über die Methoden,<br />
über die Theorie der <strong>Fallstudie</strong> und über ihre Architektur.<br />
– Fallverständnis: <strong>Die</strong>s ist die Voraussetzung für jede <strong>Fallstudie</strong>narbeit<br />
und insbesondere für die Anwendung der<br />
Methoden.<br />
– Das Problem bestimmt die Methode: <strong>Die</strong>s sollte ein<br />
Grundsatz für jede wissenschaftliche Untersuchung sein.<br />
– Methoden nicht mechanisch verwenden: Vielmehr soll<br />
mit ihnen kreativ umgegangen werden.<br />
– Den «epistemischen Status» der Aussagen reflektieren:<br />
<strong>Die</strong>s bedeutet, dass die fachwissenschaftliche Absicherung,<br />
der Detailliertheitsgrad und die Genauigkeit im<br />
richtigen Ausmass für alle Aussagen etwa gleichmässig<br />
gelten müssen.<br />
– Das Prinzip der Methoden verstehen: <strong>Die</strong>s ist wichtig für<br />
die Auswahl der richtigen Methode für die eigene Synthesegruppe<br />
und für die Einschätzung von Arbeitsergebnissen<br />
<strong>and</strong>erer Gruppen.<br />
<strong>Die</strong> zweite Klettgaufallstudie, Chancen der Region Klettgau<br />
(Scholz, Bösch, Carlucci & Oswald, 1999), wartet mit<br />
einer Bestimmung der Begriffe Region und L<strong>and</strong>schaft auf<br />
und diskutiert verschiedene wissenschaftliche Zugänge.<br />
Hierbei wird auf den Unterschied zwischen Verstehen, Begreifen<br />
und Erklären eingegangen, in denen sich die Architektur<br />
der <strong>Fallstudie</strong> spiegelt (s. Abb. 3.2). Darüber hinaus<br />
werden Intuition und Analyse als gleich wichtige Denkmodi<br />
in ihrer Bedeutung für die <strong>Fallstudie</strong>narbeit dargestellt.<br />
In den <strong>Fallstudie</strong>n 1999 und 2000 Zukunft Schiene<br />
Schweiz wird ein inhaltlicher Schwerpunkt auf die Umwelteffizienz<br />
bzw. auf das ökologische Potential der SBB gelegt.<br />
Ein besonderer Punkt dabei ist die Einrichtung einer übergeordneten<br />
Synthesegruppe (die OeRe-Gruppe beschäftigte<br />
sich mit oekologischen Rechnungseinheiten). Auf diese<br />
Weise wird die Erstellung einer Gesamtsynthese für die<br />
<strong>Fallstudie</strong> ermöglicht. Tab. 3.2 gibt eine Übersicht der Methoden<br />
in den <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>n seit 1994.<br />
236 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Entwicklung der <strong>Fallstudie</strong>nmethoden<br />
Abb. 3.2: <strong>Die</strong> Architektur der <strong>Fallstudie</strong>. <strong>Die</strong><br />
<strong>Fallstudie</strong>nmethoden dienen vor allem zur<br />
Synthese. Sie verbinden die Ergebnisse der<br />
vorwiegend disziplinären Arbeit in den Teilprojekten<br />
unterein<strong>and</strong>er und mit dem ganzheitlichen<br />
Erfassen des Falls.<br />
Tab. 3.2: Überblick über die Methoden in den <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>n seit 1994.<br />
Jahr Titel Methoden<br />
1994 Perspektive<br />
Grosses Moos<br />
1995 Industrieareal<br />
Sulzer-<br />
Escher Wyss<br />
1996 Zentrum<br />
Zürich Nord<br />
1997 Region<br />
Klettgau<br />
1998 Chancen der<br />
Region<br />
Klettgau<br />
1999 Zukunft<br />
Schiene<br />
Schweiz<br />
2000 Zukunft<br />
Schiene<br />
Schweiz<br />
Neu: Erkennen der Notwendigkeit einer methodenbasierten komplexen Fallanalyse, erste Methodenanwendungen<br />
Angewendete Methoden: Formative Szenarioanalyse, Fragestellungswerkstatt, die Idee zur Methode Raumnutzungsverh<strong>and</strong>lungen<br />
wird geboren, die Synthesemoderation wird als wichtiges Hilfsmittel erkannt<br />
Neu: Erste kurze Übersicht über die Methoden der <strong>Fallstudie</strong><br />
Angewendete Methoden: erstmalige Anwendung von Ökobilanz, Formative Szenarioanalyse, die Methode der<br />
Raumnnutzungsverh<strong>and</strong>lungen und der Explorationsparcours werden entwickelt, Ideenwerkstatt, Erfahrungstage<br />
Neu: Intensive Methodenanwendungen als Ziel der <strong>Fallstudie</strong>narbeit<br />
Angewendete Methoden: Formative Szenarioanalyse, Multikriterielle Nutzentheorie (mit Explorationsparcours),<br />
System Dynamics Modellierung, Stoffflussanalyse, Risikoabschätzung, Planspiel, Erfahrungstage<br />
Neu: Kurzes Fazit über die <strong>Fallstudie</strong>nmethoden zur Wissensintegration in vereinfachter Darstellung als Einstieg<br />
für den «Methodenanfänger» (Kästli & Scholz, 1998)<br />
Angewendete Methoden: Formative Szenarioanalyse, Raumnutzungsverh<strong>and</strong>lungen (einschl. Explorationsparcours),<br />
Multikriterielle Nutzentheorie, System Dynamics Modellierung, Risikoh<strong>and</strong>lungsmodell, Synthese-<br />
Moderation, Erfahrungstage<br />
Angewendete Methoden: Formative Szenarioanalyse, Zukunftswerkstatt, Multikriterielle Bewertung,<br />
Erfahrungstage<br />
Neu: Methodische Integration aller Synthesegruppen in der SG OeRe<br />
Angewendete Methoden: Formative Szenarioanalyse, Multikriterielle Nutzentheorie, Ökobilanz, Stoffflussanalyse,<br />
Erfahrungstage<br />
Neu: Rückblick auf die Entwicklung der <strong>Fallstudie</strong> und ihrer Methoden<br />
Angewendete Methoden: Formative Szenarioanalyse, Ökobilanz, Erfahrungstage<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 237
Entwicklung der <strong>Fallstudie</strong>nmethoden<br />
4 Übersicht<br />
4.1 Methodenüberblick<br />
Im Jahr 2001 wurde auch das Buch zu den <strong>Fallstudie</strong>nmethoden<br />
fertiggestellt (Scholz & Tietje, in press). Es gibt<br />
einen umfassenden Einblick in das Design von <strong>Fallstudie</strong>n,<br />
die Anwendung von <strong>Fallstudie</strong>n in verschiedenen Disziplinen<br />
und die Architektur der <strong>Fallstudie</strong>n (vgl. Abb. 3.2) am<br />
Beispiel der <strong>Fallstudie</strong> Zentrum Zürich Nord. Neben detaillierten<br />
Beschreibungen der verschiedenen <strong>Fallstudie</strong>nmethoden<br />
wurde auch eine Systematik und ein Überblick über<br />
die Methoden erstellt. Dort wurden die <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>nmethoden<br />
in vier Klassen eingeteilt (s. a. Tab. 4):<br />
– Fallrepräsentation und Modellierung,<br />
– Fallbewertung und Evaluation,<br />
– Fallentwicklung und Fallveränderung,<br />
– <strong>Fallstudie</strong>n-Gruppen.<br />
<strong>Die</strong> meisten der beschriebenen Methoden sind bei ihrer<br />
Anwendung nicht auf die Umweltnaturwissenschaften beschränkt,<br />
sondern auch in <strong>Fallstudie</strong>n aus <strong>and</strong>eren Bereichen<br />
anwendbar, sei es zum Beispiel beim Management von<br />
Organisationen, in der Pädagogik, der Medizin oder der<br />
Rechtswissenschaft.<br />
4.2 Methoden zur Fallrepräsentation<br />
und Modellierung<br />
<strong>Die</strong>s sind zunächst die formative Szenarioanalyse (FSA) und<br />
System Dynamics (SD), aber auch die Stoffflussanalyse.<br />
formative Szenarioanalyse<br />
<strong>Die</strong> Formative Szenarioanalyse versucht, mit einer definierten<br />
Menge von Annahmen Einsicht in den Fall und seine<br />
potentielle Entwicklung zu erhalten. Ein Szenario be-<br />
Tab. 4: Schlüsselfragen für die Methoden der Wissensintegration in <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>n.<br />
Methode<br />
Formative Szenarioanalyse<br />
System Dynamics<br />
Stoffflussanalyse<br />
Multiattributive Nutzentheorie<br />
Integriertes Risikomanagement<br />
Ökobilanz<br />
Bioökologische Potenzialanalyse<br />
Raumnutzungsverh<strong>and</strong>lungen<br />
Zukunftswerkstätten<br />
Erfahrungstage<br />
Synthese-Moderation<br />
Schlüsselfragen<br />
Fallrepräsentation und Modellierung<br />
- Welches sind die Variablen, die für den Systemzust<strong>and</strong> und seine Veränderung<br />
entscheidend sind?<br />
- Wie könnte und wie sollte das System sich entwickeln? Was kann passieren?<br />
- Welche Variablen bestimmen die zeitliche Dynamik des Systems?<br />
- Welche (unerwarteten) Resultate ergeben sich aus den dynamischen Wechselwirkungen<br />
zwischen den Variablen?<br />
- Welches sind die kritischen Stoffflüsse und Materialien?<br />
- Welche Quellen und Senken besitzt das System bzw. der Fall?<br />
Fallbewertung und Evaluation<br />
- Wie können verschiedene Bewertungskriterien zusammengefasst werden?<br />
- Welche Fehlwahrnehmungen ergeben sich aus übergreifenden Bewertungen?<br />
- Welche Menge von H<strong>and</strong>lungsalternativen implizieren das geringste Risiko?<br />
- Welche Alternative entspricht am ehesten meiner Bewertung?<br />
- Wie kann oder soll ich mit Unsicherheiten umgehen?<br />
- Wie können die hauptsächlichen Umweltauswirkungen bilanziert werden?<br />
- Wie kann die bioökologische Qualität des Fallareals bewertet werden?<br />
Fallentwicklung und Fallveränderung<br />
- Was verursacht Konflikte zwischen den Schlüsselakteuren des Falls?<br />
- Welche Fehlwahrnehmungen haben die Fallakteure?<br />
- Wie können wir pareto-optimale Lösungen finden?<br />
- Welche Ideen können zur Beantwortung der Fragen führen: Was kann eintreten<br />
/ was soll eintreten?<br />
<strong>Fallstudie</strong>n-Gruppen<br />
- Wie sieht der Fall aus der Perspektive der Betroffenen aus?<br />
- Wie kann ich die Zusammenarbeit optimieren um den Syntheseprozess zu<br />
verbessern?<br />
- Wie finde ich die richtige Synthesemethode?<br />
238 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Entwicklung der <strong>Fallstudie</strong>nmethoden<br />
schreibt einen hypothetischen zukünftigen Systemzust<strong>and</strong>.<br />
Dazu werden sogenannte Einflussfaktoren definiert, die den<br />
gegenwärtigen Zust<strong>and</strong> und die mögliche Dynamik des<br />
Falls charakterisieren und die im Allgemeinen aus verschiedenen<br />
Disziplinen stammen. <strong>Die</strong> Kunst der Szenarioanalyse<br />
besteht darin, eine suffiziente Menge von Einflussfaktoren<br />
zu definieren und sie so mitein<strong>and</strong>er zu verknüpfen, dass<br />
mehrere valide Fallbeschreibungen entstehen. <strong>Die</strong> Formative<br />
Szenarioanalyse besteht aus mehreren Schritten, in denen<br />
quantitative Analysen der Einflussfaktoren durchgeführt<br />
werden und die Szenarien in Hinsicht auf ihre Möglichkeit<br />
und Konsistenz eingeschätzt werden. Eine Szenarioanalyse<br />
ist angebracht, wenn keine genaue Prognose möglich ist,<br />
wenn aber die anstehenden Entscheidungen mehr Klarheit<br />
über die zukünftige Entwicklung erfordern. Eine Szenarioanalyse<br />
ist keine eindeutige Prognose, sondern eine «mehrdeutige»<br />
Zukunftsschau über verschiedene mögliche Entwicklungen.<br />
Eine Szenarioanalyse ist auch keine Bewertung,<br />
sondern erstellt nur die Zukunftsbilder und somit den<br />
Gegenst<strong>and</strong> einer Bewertung. Eine Bewertung, sei sie intuitiv<br />
oder wissenschaftlich, kann erst – wenn überhaupt – in<br />
einem weiteren, anschliessenden Schritt erfolgen. Eine<br />
Szenarioanalyse kann auch in Thesen resultieren, wie bestimmte<br />
Entwicklungen gefördert oder verhindert werden<br />
können.<br />
System Dynamics (SD)<br />
Bei der Anwendung von System Dynamics werden die Systemvariablen<br />
– im Vergleich mit den Einflussfaktoren der<br />
Szenarioanalyse – genauer mitein<strong>and</strong>er verknüpft. <strong>Die</strong><br />
funktionalen Beziehungen der Systemvariablen unterein<strong>and</strong>er<br />
machen die Modellstruktur aus und bestimmen die Dynamik<br />
der Veränderungen. Mit der Vorhersage der Entwicklung<br />
des Systems und von zukünftigen Systemzuständen<br />
wird versucht, ein genaues Verständnis von der Dynamik<br />
des Falls zu entwickeln. Dass inzwischen recht benutzerfreundliche<br />
Software existiert, darf nicht darüber hinweg<br />
täuschen, dass man oftmals Unsicherheiten in den Daten und<br />
der Modellstruktur berücksichtigen muss, indem man verschiedene<br />
Annahmen durchrechnet. <strong>Die</strong> resultierenden Ergebnisse<br />
werden hier oft auch Szenarien genannt, weil sie<br />
ebenfalls hypothetische zukünftige Systemzustände sind.<br />
<strong>Die</strong>se Szenarien können zwar differenzierter oder valider<br />
sein als in diejenigen der Szenarioanalyse, der Informationsbedarf<br />
und der Modellierungsaufw<strong>and</strong> sind jedoch im allgemeinen<br />
auch wesentlich höher. Daher ist die Anwendung<br />
von SD nur angebracht, wenn die Aussicht auf genügend<br />
genaue Daten und Informationen besteht, um innerhalb<br />
eines Modells auch wirklich Rechnungen durchführen zu<br />
können. In den <strong>Fallstudie</strong>n besteht jedoch nicht der Anspruch,<br />
mit Hilfe von SD perfekte Systemmodelle zu erstellen.<br />
Im Verlauf der Konstruktion des System Dynamics<br />
Modells wird ein spezielles Fallverständnis entwickelt.<br />
Stoffflussanalyse<br />
<strong>Die</strong> Stoffflussanalyse beinhaltet die Aufnahme, Beschreibung,<br />
und Interpretation von kritischen Flüssen in einem<br />
System. Obwohl wir vorwiegend Material- und Energie-<br />
Flüsse innerhalb von Umweltsystemen modellieren, kann<br />
die Methodik leicht auf <strong>and</strong>ere Systeme angewendet werden.<br />
Der Sinn der Methode besteht darin, fehlende Glieder<br />
in der Massen- und Energiebilanz zu bestimmen, aufgrund<br />
von Massen- und Energieerhaltung, die als (Neben-) Bedingungen<br />
in die Berechnung eingehen. Grundsätzlich beschreibt<br />
das Modell die gegenwärtigen Stoff- und Energieflüsse<br />
mit einem linearen Gleichungssystem (Baccini &<br />
Bader, 1996), ist also ein stationäres lineares Modell. Eine<br />
Erweiterung auf eine dynamische Betrachtung liegt jedoch<br />
vor. In jedem Fall ist die Anwendung wegen dem hohen<br />
Datenbedarf aufwändig, vergleichbar mit System Dynamics.<br />
Eine Reihe von Anwendungen im Umweltbereich liegen<br />
vor, so dass für weitere Anwendungen ein Teil der notwendigen<br />
Daten «recycliert» werden können.<br />
4.3 Methoden zur Fallbewertung und<br />
Evaluation<br />
<strong>Die</strong>se sind die Multiattributive Nutzentheorie, das Integrierte<br />
Risikomanagement, die Ökobilanz und die Bioökologische<br />
Potenzialanalyse.<br />
Multiattributive Nutzentheorie<br />
<strong>Die</strong> Multiattributive Nutzentheorie bildet den wissenschaftlichen<br />
Hintergrund für Bewertungen aufgrund von mehreren<br />
Kriterien. <strong>Die</strong> Kriterien messen zunächst die für die<br />
Bewertung wichtigen Eigenschaften des Falls. Sie können<br />
sich auf Teilsysteme des Falls beziehen und auch unterschiedliche<br />
disziplinäre Perspektiven repräsentieren. Darüber<br />
hinaus können sie auf verschiedenen Skalen definiert<br />
sein und einer subjektiven Einschätzung bedürfen. Wesentlich<br />
ist jedoch, dass die Wichtigkeit der Kriterien durch die<br />
verschiedenen Perspektiven und Interessen der Beteiligten<br />
bestimmt wird. Aufgabe in den <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>n ist es<br />
daher, die subjektiven Einschätzungen der Kriterien und<br />
ihre Wichtigkeit (Gewichtungen) – wie sie von einem speziellen,<br />
repräsentativen Personenkreis gesehen werden – mit<br />
Hilfe von sozialwissenschaftlichen Methoden zu messen<br />
und auszuwerten. <strong>Die</strong> Komposition der Kriterien mit ihren<br />
Gewichten zu einem Gesamturteil ist daher oft nicht das<br />
oberste Ziel. Vielmehr geht es um das Bewusstmachen von<br />
Bewertungen, um die Diskussion, den Vergleich und die<br />
Gruppierung verschiedener Positionen.<br />
Integriertes Risikomanagement<br />
Das Integrierte Risikomanagement befasst sich mit der Erstellung<br />
von H<strong>and</strong>lungsalternativen (Optionen) zur Lösung<br />
eines Problems, mit den damit verbundenen mehr oder<br />
weniger wahrscheinlichen Ereignissen (Konsequenzen,<br />
Outcomes) und mit der Konstruktion einer Risikofunktion<br />
zur integralen Bewertung der relevanten Teilaspekte des<br />
Problems.<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 239
Entwicklung der <strong>Fallstudie</strong>nmethoden<br />
Ökobilanz<br />
Eine Ökobilanz dient zur gesamthaften Umweltbewertung<br />
von Alternativen (meist von alternativen Produkten). Der<br />
Nutzen der Alternativen wird als funktionelle Einheit quantifiziert.<br />
<strong>Die</strong> Bewertung erfolgt integriert über Zeit und<br />
Raum und berücksichtigt die mit der Alternative verbundenen<br />
vor- und nachgeschalteten Aktivitäten, also alle wichtigen<br />
Prozesse vom Ressourcenabbau über Produktion,<br />
Transport, Verteilung, Gebrauch bis zur Entsorgung, kurz<br />
gesagt den gesamten Lebenszyklus. Bei der Bewertung<br />
werden die aktuellen Umweltprobleme soweit wie pragmatisch<br />
möglich berücksichtigt. Dazu gehören im Moment die<br />
Ozonschichtzerstörung, die Eutrophierung der Gewässer,<br />
die Versauerung von Böden, die Beeinträchtigung der Biodiversität<br />
durch L<strong>and</strong>nutzung, aber auch die Wirkung von<br />
Schadstoffemissionen auf den Menschen und den Verbrauch<br />
von Ressourcen.<br />
Bioökologische Potenzialanalyse<br />
<strong>Die</strong> Bioökologische Potenzialanalyse ist komplementär zur<br />
Ökobilanz. Sie erfolgt als Bewertungsprozess, der den bioökologischen<br />
Wert von Gebieten und L<strong>and</strong>schaften beurteilt<br />
und sich auf St<strong>and</strong>orte in ihrer Beziehung zur Region bezieht.<br />
4.4 Methoden zur Fallentwicklung und<br />
Fallveränderung<br />
<strong>Die</strong>s sind die Raumnutzungsverh<strong>and</strong>lungen und die Zukunftswerkstätten.<br />
4.5 Methoden zur Unterstützung der<br />
<strong>Fallstudie</strong>n-Gruppen<br />
<strong>Die</strong>s sind die Erfahrungstage und die Synthese-Moderation.<br />
Erfahrungstage<br />
<strong>Die</strong> Erfahrungstage basieren auf der Strategie, die Perspektive<br />
eines Insiders durch einen Seitenwechsel zu erreichen<br />
(Scholz, 1987). <strong>Die</strong> wissenschaftlichen Teilnehmer der <strong>Fallstudie</strong><br />
agieren während der Erfahrungstage als Fallakteure,<br />
indem sie einen Tag lang auf dem Gebiet der <strong>Fallstudie</strong> eine<br />
praktische Tätigkeit ausüben. Wichtig ist hier das enaktive<br />
Lernen (Bruner, Goodnow, & Austin, 1956) und das «Learning<br />
By Doing». <strong>Die</strong> Erfahrungstage werden vorher häufig<br />
als nicht effizient, nachher jedoch überwiegend als positiv<br />
eingeschätzt. Durch diese Art des Kennenlernens wird eine<br />
persönliche Beziehung zum Fall und seinen Akteuren aufgebaut,<br />
die die Motivation zur Lösung der vorliegenden<br />
Probleme – und damit die Lösung selbst – entscheidend<br />
beeinflusst. Ein ähnliches Prinzip wird zur Weiterbildung<br />
schweizerischer Kaderleute verwendet (siehe<br />
www.seitenwechsel.ch).<br />
Synthese-Moderation<br />
<strong>Die</strong> Synthese-Moderation umfasst eine Reihe von Techniken<br />
zur Anleitung von Arbeitsgruppen, zur Ideengenerierung,<br />
Fallanalyse und Projektmanagement. <strong>Die</strong>se Techniken<br />
unterstützen in erster Linie die <strong>Fallstudie</strong>ngruppen (Synthesegruppen)<br />
bei der Organisation und Kommunikation. Sie<br />
beinhalten auch Regeln zur Erzeugung einer produktiven<br />
Atmosphäre.<br />
Raumnutzungsverh<strong>and</strong>lungen (RNV)<br />
<strong>Die</strong> Raumnutzungsverh<strong>and</strong>lungen sind eine einzigartige<br />
Technik, die speziell für die <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>n entwickelt<br />
wurde. <strong>Die</strong> Methode beinhaltet ein mehrstufiges Vorgehen:<br />
Zuerst werden die verschiedenen Interessengruppen<br />
bestimmt. Anschliessend werden ihre Interessen identifiziert,<br />
indem eine multi-attributive Nutzenbewertung durchgeführt<br />
wird. <strong>Die</strong> hierbei häufigsten Methoden zur Datenerhebung<br />
werden in den RNV durch die Technik des Explorationsparcours<br />
ergänzt. Mit dieser Technik wird eine möglichst<br />
realistische Konfrontation der Fallakteure mit den<br />
Vertretern der jeweils <strong>and</strong>eren Interessengruppen und mit<br />
den verfügbaren Informationen über den Fall erreicht.<br />
Zukunftswerkstätten<br />
<strong>Die</strong> Zukunftswerkstätten sind eine «Familie» von Techniken<br />
zur kreativen Problembearbeitung. Auf der Suche nach neuen<br />
Perspektiven und Lösungen wird das Blickfeld erweitert,<br />
um den Blick auf unkonventionelle Lösungsvorschläge zu<br />
ermöglichen. <strong>Die</strong>se Techniken erfordern und fördern das<br />
analytische und intuitive Wissen der Fallakteure.<br />
240 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Entwicklung der <strong>Fallstudie</strong>nmethoden<br />
5 Ausblick<br />
Literatur<br />
<strong>Die</strong> <strong>Fallstudie</strong>nmethoden stellen in der Praxis erarbeitete<br />
und erprobte Lösungswege dar. Spezifische, prototypische<br />
Anwendungen in den Umweltnaturwissenschaften sind in<br />
den <strong>Fallstudie</strong>nbänden und in Scholz & Tietje (in press)<br />
dargestellt. <strong>Die</strong> <strong>Fallstudie</strong>nmethoden sind zu verstehen als<br />
ein Werkzeugkasten, der je nach Fall zu verändern oder zu<br />
ergänzen ist. Mit der Anwendung und Weiterentwicklung<br />
der <strong>Fallstudie</strong>nmethoden wurde ein wissenschaftlicher Beitrag<br />
zur Methodenentwicklung an der Schnittstelle zwischen<br />
Umweltnatur- und Umweltsozialwissenschaften geleistet.<br />
Das Potenzial, das diese Methoden für Anwendungen<br />
auf weitere Fälle besitzen, ist noch lange nicht ausgeschöpft.<br />
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nachhaltige Stadtentwicklung. <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 1996. Zürich: vdf<br />
Hochschulverlag AG.<br />
Scholz, R. W., Bösch, S., Mieg, H. A. & Stünzi, J. (Hrsg.). (1998).<br />
Region Klettgau – Verantwortungsvoller Umgang mit Boden.<br />
<strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> 1997. Zürich: Rüegger.<br />
Scholz, R. W., Bösch, S., Carlucci, L. & Oswald, J. (Hrsg.). (1999).<br />
Chancen der Region Klettgau – Nachhaltige Regionalentwicklung.<br />
<strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> 1998. Zürich: Rüegger.<br />
Scholz, R. W., Koller, T., Mieg, H. A. & Schmidlin, C. (Hrsg.).<br />
(1995). Perspektive grosses Moos. Wege zu einer nachhaltigen<br />
L<strong>and</strong>wirtschaft. <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 1994. Zürich: vdf Hochschulverlag<br />
AG.<br />
Scholz, R. W. & Tietje, O. (in press). Embedded case study<br />
methods. Integrating quantitative <strong>and</strong> qualitative knowledge.<br />
Thous<strong>and</strong> Oaks: Sage.<br />
Thompson Klein, J., Grossenbacher-Mansuy, W., Häberli, R., Bill,<br />
A., Scholz, R. W. & Welti, M. (Eds.). (2001). Transdisciplinarity:<br />
Joint Problem Solving among <strong>Science</strong>, Technology, <strong>and</strong> Society.<br />
An effective way for managing complexity. Basel: Birkhäuser.<br />
Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen<br />
(1996). Welt im W<strong>and</strong>el: Herausforderungen für<br />
die deutsche Wirtschaft. Jahresgutachten 1996. Berlin und Heidelberg:<br />
Springer.<br />
Yin, R.K. (1994). Case study research: Design <strong>and</strong> methods (2nd<br />
ed.). London: Sage.<br />
242 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Transdisziplinaritäts-Laboratorium<br />
<strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> –<br />
Werkstatt für ein neuartiges Zusammenwirken<br />
von Wissenschaft und Praxis<br />
Autoren:<br />
Rol<strong>and</strong> W. Scholz<br />
Michael Stauffacher<br />
Inhalt<br />
1. Einleitung 245<br />
2. Geschichte und Theorie des TDL 245<br />
3. Praxis des TDL 248<br />
4. Folgerungen 252
Transdisziplinaritäts-Laboratorium <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong><br />
Zusammenfassung<br />
Das Transdisziplinaritäts-Laboratorium<br />
(TDL) wird vorgestellt. Der Begriff<br />
Laboratorium beschreibt eine<br />
Art Werkstätte, in der ein Satz von<br />
Instrumenten und Methoden zur Verfügung<br />
steht und Transdisziplinarität<br />
gelernt und weiterentwickelt wird. Ein<br />
neuartiges Zusammenwirken von<br />
Wissenschaft und Praxis ist ein wichtiger<br />
Wesenszug dieses Laboratoriums.<br />
Wir diskutieren, wie es zu dieser<br />
Form der Zusammenarbeit in der<br />
<strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> gekommen ist<br />
und präsentieren Prinzipien dieses<br />
Dialogs.<br />
<strong>Die</strong> Arbeit eines <strong>Fallstudie</strong>nteams<br />
im Transdisziplinaritäts-Laboratorium<br />
beginnt mit einem umfassenden<br />
Verständnis des Falls und seiner Problemlagen.<br />
<strong>Die</strong> Fallakteure sind «Systemexperten<br />
einer <strong>and</strong>eren Art»: Sie<br />
kooperieren mit Studierenden und<br />
Dozierenden nicht nur in der Problemdefinition,<br />
sondern auch in der Erarbeitung<br />
von Orientierungen. Ziel ist<br />
es, in einen gemeinsamen Lernprozess<br />
zu treten. Von diesem neuartigen Dialog<br />
profitieren beide Seiten gleichermassen.<br />
Wir schliessen, dass die <strong>ETH</strong>-<br />
<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> eine ideale Werkstatt<br />
sein kann, um Transdisziplinarität zu<br />
lernen und neue Ansätze auszuloten.<br />
Keywords: Transdisziplinarität, Laboratorium,<br />
<strong>Fallstudie</strong>, Schnittstellen,<br />
Kommunikation, Qualitätskontrolle.<br />
Résumé<br />
Le laboratoire transdisciplinaire<br />
(TDL) est présenté. Le concept laboratoire<br />
décrit une sorte d’atelier doté<br />
d’un lot d’outils où l’interdisciplinarité<br />
est enseignée et perfectionnée.<br />
Une collaboration d’un nouveau genre<br />
entre science et pratique est un trait<br />
caractéristique important de ce laboratoire.<br />
Nous discutons de la manière<br />
dont on est arrivé à cette forme de<br />
collaboration dans l’étude de cas<br />
EPFZ-<strong>UNS</strong> et présentons des principes<br />
de ce dialogue.<br />
Le travail d’une équipe d’étude de<br />
cas dans le laboratoire transdisciplinaire<br />
débute par une compréhension<br />
globale du cas et de sa problématique.<br />
Les acteurs de cas sont des «experts de<br />
système d’un autre type»: ils coopèrent<br />
avec les étudiants et les enseignants<br />
non seulement dans la<br />
définition du problème mais également<br />
dans l’élaboration des orientations.<br />
L’objectif recherché est d’initier<br />
un processus d’apprentissage en commun.<br />
Les deux parties profitent au<br />
même titre de ce dialogue innovateur.<br />
Nous concluons que l’étude de cas<br />
EPFZ-<strong>UNS</strong> peut être un atelier idéal<br />
pour apprendre l’interdisciplinarité et<br />
sonder de nouvelles approches.<br />
Mots-clés: transdisciplinarité, laboratoire,<br />
étude de cas, intersections,<br />
communication, contrôle de qualité.<br />
Summary<br />
The transdisciplinarity-lab (TDL) is<br />
introduced. The term «lab» describes<br />
a sort of workshop with a set of tools,<br />
where transdisciplinarity is taught <strong>and</strong><br />
developed. A novel co-operation of<br />
sciences <strong>and</strong> practice is one this lab’s<br />
essential traits. We discuss how it<br />
came to this form of co-operation in<br />
the <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> case study <strong>and</strong> present<br />
the principles of this dialogue.<br />
Each case-study team’s activity in<br />
the TDL starts with a comprehensive<br />
underst<strong>and</strong>ing of the case <strong>and</strong> its set of<br />
problems. The case protagonists are<br />
«systems experts of another kind»:<br />
Their co-operation with students <strong>and</strong><br />
lecturers not only concerns the definition<br />
of problems but the elaboration of<br />
orientations as well. The goal is to<br />
share a common learning process.<br />
Both sides st<strong>and</strong> to gain equally from<br />
this novel dialogue. We conclude that<br />
the <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> case study is an ideal<br />
workshop for learning transdisciplinarity<br />
<strong>and</strong> exploring new approaches.<br />
Keywords: transdisciplinarity, lab,<br />
case study, interface, communication,<br />
quality control.<br />
244 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Transdisziplinaritäts-Laboratorium <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong><br />
1 Einleitung<br />
Der Gedanke, die <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> als ein Transdisziplinaritäts-Laboratorium<br />
(TDL) zu begreifen, ist langsam<br />
gewachsen. Er ist das Ergebnis von nunmehr gut acht Jahren<br />
der Vorbereitung, Durchführung und Reflexion von <strong>Fallstudie</strong>n<br />
im Umweltbereich 1 . Der Begriff Laboratorium im Umfeld<br />
von Lernen ist in der Geschichte der Wissenschaft<br />
bereits verschiedentlich genutzt worden. Als zwei prägnante<br />
Beispiele seien die lernpsychologischen Laboratorien genannt,<br />
welche zu Anfang des letzten Jahrhunderts geschaffen<br />
wurden sowie die von Hartmut v. Hentig gegründete<br />
Laborschule an der Universität Bielefeld (Thurn & Tillmann,<br />
1997). Experimentallaboratorien zur Erforschung<br />
des Lernens und didaktischer Prozesses wurden an verschiedenen<br />
Stellen, so z.B. von Wilhelm Wundt in Leipzig, 1906<br />
(Katz, 1913) oder von Karl Bühler in Wien (Benetka, 1990)<br />
geschaffen, um in einer Art Selbsthilfe Zugang zu den<br />
wissenschaftlichen Grundlagen des Lernens zu bekommen.<br />
Der Begriff Laboratorium beschreibt für uns eine Art Werkstätte,<br />
in der ein Satz bewährter Werkzeuge zur Verfügung<br />
steht und von erfahrenen Personen zusammen mit Studierenden<br />
angew<strong>and</strong>t und ausgebaut wird: es wird Transdisziplinarität<br />
gelernt und weiterentwickelt.<br />
Wir legen hier zunächst dar, vor welchem Hintergrund<br />
diese neue Form des Wissenschaftslabors entst<strong>and</strong>en ist,<br />
welcher Nutzen aus einem solchen Laboratorium entstehen<br />
kann, welche Anforderungen an ein solches Laboratorium<br />
innerhalb der <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>n zu stellen sind und wie<br />
es in der Praxis funktioniert.<br />
2 Geschichte und Theorie des TDL<br />
2.1 Hintergrund und Grundsätze<br />
<strong>Die</strong> Idee, in der Lehre und Forschung mit der <strong>Fallstudie</strong>nmethodik<br />
zu arbeiten, ist nicht neu (vgl. DeTombe, 1990;<br />
Kaiser, 1983; Ronstadt, 1993). <strong>Die</strong> <strong>Fallstudie</strong>n als wissenschaftliches<br />
Instrument sind in der Wissenschaftsgeschichte<br />
wiederholt in verschiedenen Varianten entwickelt und realisiert<br />
worden (für eine Taxonomie von <strong>Fallstudie</strong>n siehe<br />
Scholz & Tietje, in press). Prägend waren insbesondere<br />
Ansätze in der Psychiatrie und Neuropsychologie, Teilgebieten<br />
der Medizin und Psychologie, den Planungswissenschaften<br />
sowie den Rechts- und Wirtschaftswissenschaften.<br />
<strong>Die</strong>sen Ansätzen ist zum einen gemein, dass sie die<br />
Vielschichtigkeit und Gesamtheit von Problemen nicht nur<br />
dulden, sondern zu einem wissenschaftlichen Gegenst<strong>and</strong><br />
machten, der mit geeigneten Methoden zu beh<strong>and</strong>eln ist.<br />
Zum <strong>and</strong>eren wird bei diesen Ansätzen der Erfolg nicht nur<br />
mit wissenschaftsinternen Kriterien gemessen, vielmehr ist<br />
der Praxisbeitrag, den ein Verfahren, ein Modell oder eine<br />
Grundsätze der <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong><br />
– Gegenst<strong>and</strong> ist ein komplexer, realer, gesellschaftlich<br />
relevanter Fall, bei dem Umweltprobleme bedeutend<br />
sind. Während der Studie bleiben Komplexität und<br />
Ganzheitlichkeit erhalten (vgl. Scholz, Koller, Mieg &<br />
Schmidlin , 1995; Stake, 1976).<br />
– Interdisziplinarität und Wissensintegration wird wissenschaftlich<br />
über die Anwendung spezieller Methoden<br />
unterstützt bzw. organisiert (Scholz & Tietje, in press).<br />
– Es wird ein Prozess des wechselseitigen Lernens<br />
(Scholz, 2000) zwischen Lehrenden, Lernenden und<br />
Fallakteuren angestrebt, der einen Nutzen für alle Beteiligten<br />
erbringt. In diesem Prozess werden Netzwerke<br />
geschaffen und organisiert (Mieg & Scholz, 2001).<br />
– Das Lernen wird in tutorierten Lerngruppen nach den<br />
Team-Kleingruppenmodell organisiert (Bair &<br />
Woodward, 1963; Br<strong>and</strong>t & Liebau, 1978; Scholz,<br />
1978; Winkel, 1974 vgl. auch Kapitel <strong>Fallstudie</strong>ndidaktik).<br />
– Es werden Orientierungen für den Fall, jedoch keine<br />
schnellen Lösungen, vorfertigen Projekte, Empfehlungen<br />
oder Belehrungen erzeugt.<br />
– <strong>Die</strong> Ergebnisse der Studie werden überarbeitet, zusammengefasst,<br />
weiterentwickelt und (in einem B<strong>and</strong>) publiziert.<br />
Kasten 2.1: <strong>Die</strong> Grundsätze der <strong>Fallstudie</strong> befinden sich in<br />
einer laufenden Entwicklung. Unterschiedliche Darstellungen<br />
begründen sich vor allem dadurch, dass die <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong><br />
<strong>Fallstudie</strong> ein sogenannter Hybrid ist, in dem Lehre, Forschung<br />
und Anwendung mitein<strong>and</strong>er verknüpft werden.<br />
1 <strong>Die</strong> Geschichte der <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>n und ihre Entwicklung lassen sich am besten aus den Vorworten und Synopsen der Buchpublikationen zu diesen<br />
Projekten rekonstruieren (Scholz, Bösch, Carlucci & Oswald, 1999; Scholz, Bösch, Koller, Mieg & Stünzi, 1996; Scholz, Bösch, Mieg & Stünzi, 1997;<br />
Scholz, Bösch, Mieg & Stünzi, 1998; Scholz, Bösch, Oswald & Stauffacher, 2000; Scholz, Koller, Mieg & Schmidlin, 1995) sowie aus dem Kap. <strong>Fallstudie</strong><br />
im W<strong>and</strong>el.<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 245
Transdisziplinaritäts-Laboratorium <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong><br />
Theorie liefern kann, gleichermassen in der Bewertung zu<br />
berücksichtigen.<br />
2.2 Transdisziplinarität: ein Bedürfnis<br />
der Praxis<br />
...-disziplinär<br />
Wir unterscheiden zwischen disziplinärer (fachspezifischer)<br />
Forschung, angew<strong>and</strong>ter oder theorieorientierter<br />
interdisziplinärer Forschung (Integration mehrerer Disziplinen,<br />
vgl. Thompson Klein, 1990) sowie transdisziplinärer<br />
Forschung und Arbeit. In einer transdisziplinären Studie<br />
wird «beyond science» gedacht und gegangen. Es<br />
werden Wissen, Werte und Interessen von Akteuren des<br />
Falls in die wissenschaftliche Arbeit einbezogen (vgl. zu<br />
unterschiedlichen Definitionen auch Br<strong>and</strong>, 2000).<br />
Kasten 2.2.1: disziplinär – interdisziplinär – transdisziplinär.<br />
Abb. 2.2: Ein auslösendes Element zur Findung der Transdisziplinarität.<br />
<strong>Die</strong> Veranstaltung im Restaurant «Bären» in<br />
Ins, <strong>Fallstudie</strong> 1994 «Grosses Moos»: Es stellte sich plötzlich<br />
ein Werkstattcharakter ein und es bildeten sich verschiedenste<br />
Diskussionsgruppen.<br />
<strong>Die</strong> Gründer des Studiengangs Umweltnaturwissenschaften<br />
an der <strong>ETH</strong> Zürich waren sich Mitte der achtziger Jahre<br />
zumindest der Notwendigkeit einer umfassenden, die Einzelwissenschaften<br />
übergreifenden Interdisziplinarität bewusst<br />
(Gigon, 1997; Müller-Herold & Neuenschw<strong>and</strong>er,<br />
1992). Seit Einrichtung des Studiengangs im Jahre 1987<br />
wurde die sogenannte Grosse <strong>Fallstudie</strong> des Studiengangs<br />
Umweltnaturwissenschaften als ein Kernstück der umweltwissenschaftlichen<br />
Ausbildung begriffen. Dabei st<strong>and</strong>en<br />
zweifelsfrei die Aspekte der Multi- bzw. Interdisziplinarität<br />
und der Ganzheitlichkeit im Vordergrund. UmweltwissenschafterInnen<br />
sollten in der Lage sein, ökologische Probleme<br />
wie eine Flussrenaturierung oder den ökologischen<br />
L<strong>and</strong>bau aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und<br />
dabei eine ganzheitliche Bearbeitung des Problems anzustreben.<br />
Eine Erweiterung erfuhr der Gedanke der umweltwissenschaftlichen<br />
<strong>Fallstudie</strong> in den Jahren 1993 und 1994. Unter<br />
Verantwortung der neu eingeführten Professur <strong>UNS</strong><br />
(deutsch Umweltnatur- und Umweltsozialwissenschaften,<br />
engl. Chair of Environmental <strong>Science</strong>s: <strong>Natural</strong> <strong>and</strong> <strong>Social</strong><br />
<strong>Science</strong> Interface), wurde einer Realisation einer umfassenden<br />
– Sozial- und Geisteswissenschaften beinhaltenden –<br />
Interdisziplinarität grösste Bedeutung beigemessen. Des<br />
Weiteren wurde der Anspruch formuliert, dass eine angew<strong>and</strong>te<br />
Studie, an der rund 100 Studierende in Zusammenarbeit<br />
mit 20 bis 30 Lehrenden teilnehmen und die das<br />
Pensum eines halben akademischen Semesters umfasst, für<br />
den Fall auch einen Nutzen erbringen sollte. Es sei angemerkt,<br />
dass dieser Aspekt auch heute immer noch Gegenst<strong>and</strong><br />
der Diskussion ist, sowohl unter Studierenden als auch<br />
unter Lehrenden.<br />
Am Departement wurden in den Jahren 1991-1993 bereits<br />
verschiedene interdisziplinäre <strong>Fallstudie</strong>n durchgeführt.<br />
Eine Wendung von der interdisziplinären zur transdisziplinären<br />
<strong>Fallstudie</strong> ergab sich für die Beteiligten eher unerwartet.<br />
Als Geburtsdatum dieser neuen Richtung möchten wir<br />
den 23. Juni 1994 nennen, Geburtsort war das Restaurant<br />
«Bären» in Ins, einer kleinen Gemeinde im schweizerischen<br />
Seel<strong>and</strong>, rund 20 km westlich von Bern. Eingeladen wurde<br />
die dortige Bevölkerung zu einer Informationsveranstaltung<br />
im Rahmen der <strong>Fallstudie</strong> Perspektive Grosses Moos, Wege<br />
246 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Transdisziplinaritäts-Laboratorium <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong><br />
zu einer nachhaltigen L<strong>and</strong>wirtschaft. Zu diesem Zeitpunkt<br />
hatten sich 86 Studierende und 25 Lehrende bereits mehrere<br />
Wochen damit beschäftigt, wie Orientierungen und Wege zu<br />
einer nachhaltigen Gemüseproduktion zu finden seien. In<br />
den vielen Gesprächen und Interviews mit der Bevölkerung<br />
wurde den Teilnehmenden immer wieder Skepsis gegenüber<br />
einem studentischen Projekt der <strong>ETH</strong> entgegen gebracht. In<br />
Nachfragen wurde dieser Argwohn mit schlechten Erfahrungen<br />
begründet. Ursache der Bedenken waren dabei nicht<br />
die Interdisziplinarität und die Ziele der <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>,<br />
für die Region einen Nutzen zu erzielen. <strong>Die</strong> Skepsis<br />
begründete sich vielmehr in den negativen Erfahrungen,<br />
welche die Region in der Vergangenheit mit wissenschaftlichen<br />
Studien verschiedener Hochschulen gemacht hatte.<br />
Zusammengefasst wurde vermittelt, dass diese Studien sich<br />
meistens mit Einzelaspekten (dem «Steckenpferd» der Forschenden)<br />
beschäftigen würde, die Betroffenen aus der Region<br />
zwar Daten abliefern, dann aber abschliessend von der<br />
Studie keinen oder höchst zweifelhaften Nutzen hätten. Um<br />
diesem negativen Bild entgegenzuwirken, wurde von Seiten<br />
der <strong>Fallstudie</strong> in das Restaurant «Bären» eingeladen.<br />
<strong>Die</strong> Veranstaltung nahm für uns einen ungewohnten Verlauf.<br />
Zum einen rechneten wir nur mit einer sehr kleinen<br />
Anzahl von Interessierten aus der Region. Geplant wurden<br />
individuelle Tischgespräche, die mit einigen improvisierten<br />
Postern umrahmt werden sollten. Auch bei der Mehrzahl der<br />
Studierenden war eine deutliche Zurückhaltung sichtbar.<br />
Doch wir trafen auf eine unerwartet grosse, jedoch umso<br />
erwartungsvoller wartende Anzahl von Einwohnerinnen<br />
und Einwohnern. In einer kurzen Ansprache wurde dargelegt,<br />
dass man nicht gekommen sei, um fertige Ergebnisse<br />
zu organisieren, sondern um zu lernen und am Beispiel des<br />
Falls Grosses Moos, Schwierigkeiten und Möglichkeiten<br />
ökologischen H<strong>and</strong>elns im ländlichen Raum zu erkunden.<br />
Es stellte sich plötzlich ein Werkstattcharakter ein: Lehrende,<br />
Studierende und Beteiligte aus der Region versuchten,<br />
sich in intensivem Gespräch über Zielsetzungen, Sinnhaftigkeit,<br />
Wirkungen, Risiken, Grenzen und Möglichkeiten<br />
einer <strong>Fallstudie</strong> Grosses Moos zu verständigen. Atmosphäre<br />
und Gespräche waren gezeichnet von der Suche nach Neuem<br />
und es bildeten sich Diskussionsgruppen, denen die Zeit<br />
bis zur Polizeistunde nicht ausreichte und die folglich ihren<br />
Austausch nach Mitternacht auf der Strasse fortsetzten.<br />
2.3 Prinzipien des Wissenschaft-Praxis-<br />
Dialogs<br />
Der Einbezug von Praktikern in die Arbeit ist ein wichtiger<br />
Wesenszug des Transdisziplinaritäts-Laboratoriums (TDL)<br />
<strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>. <strong>Die</strong> Art und Weise dieses Einbezugs<br />
hat sich in den letzten Jahren langsam entwickelt. Folgende<br />
Aspekte sind kennzeichnend:<br />
<strong>Die</strong> Wissenschaft vom Kopf auf die Füsse stellen:<br />
Zentrales Prinzip der Arbeit im TDL der <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong><br />
ist, dass ein umfassendes Verständnis des Falls und<br />
seiner Problemlagen die dominierende Rolle spielt. Wir<br />
«Was zwischenmenschlich stattfindet – Kennerlernen,<br />
die Lernbereitschaft, Vertrauen schaffen – ist am wichtigsten.»<br />
(Frau Weber, Bäuerin).<br />
«Ich hätte Gemeinderatsitzung gehabt heute Abend,<br />
aber das hier war mir wichtiger. Es war sehr interessant,<br />
ich hatte gute Diskussionen.» (Herr Niklaus-Sieber, L<strong>and</strong>wirt).<br />
«Der Zugang zu den Leuten ist gelungen, denn Zielsetzungen<br />
sind nicht als Forderungen formuliert worden.<br />
Offensichtlich nehmt Ihr die Fragen der Leute ernst.»<br />
(Herr Leiser, kantonales Naturschutz-Inspektorat).<br />
«Im Dialog kann die <strong>Fallstudie</strong> eine gute Richtung nehmen.<br />
Wir wollen kein Schulterklopfen, wir wollen uns<br />
verst<strong>and</strong>en vorkommen, dann hören wir auch besser zu.»<br />
(Herr Tobler, Pfarrer).<br />
«Ich kam mit der Erwartung: <strong>Die</strong> wissen doch alles<br />
besser, wirklich verst<strong>and</strong>en haben sie aber nichts. Aber es<br />
ist sehr positiv, was ich alles erlebt habe, Ihr werdet<br />
Vorschläge bringen, die uns nicht in den Sinn gekommen<br />
wären und umgekehrt. Der Kontakt ist das wichtigste.»<br />
(Herr Kissling, L<strong>and</strong>wirt).<br />
Kasten 2.2.2: Stimmen aus der Veranstaltung im Restaurant<br />
«Bären», Ins (Salatblatt 7/94, S. 1-2). 2<br />
sprechen auch von einem Primat des Falles. Ein Fall wird<br />
zwar aus einer bestimmten theoretischen Perspektive und<br />
Fragestellung angegangen und es ist wichtig, dass diese<br />
Fragestellung beibehalten wird. Wesentlich ist jedoch, dass<br />
der Fall in seiner ganzen Komplexität und Vielfältigkeit<br />
erhalten bleibt und verst<strong>and</strong>en wird.<br />
Fallagenten als Systemexperten<br />
<strong>Die</strong> Fallakteure werden im TDL einer <strong>Fallstudie</strong> nicht als<br />
Betroffene, Problemeigner (problem owners) oder Versuchspersonen<br />
begriffen. Sie sind vielmehr «Systemexperten<br />
einer <strong>and</strong>eren Art». Während die Studierenden und<br />
Dozierenden als Experten für die Zeichenebene, d.h. für<br />
Formeln, Begriffe, Computermodelle etc. angesehen werden,<br />
sind Fallakteure als Fallexperten in dem Sinne zu<br />
betrachten, dass sie den Fall in seiner Gegenständlichkeit am<br />
besten verstehen. Sie werden somit als qualitativ <strong>and</strong>ers<br />
geartete, jedoch im Grundsatz gleichberechtigte Experten<br />
angesehen.<br />
Qualitätskontrolle und Projektcontrolling in<br />
Zusammenarbeit mit dem Fall:<br />
Fallakteure, Studierende und Dozierende kooperieren nicht<br />
nur in der Phase der Problemdefinition, sondern arbeiten<br />
zusammen auch in der Erarbeitung von Orientierungen.<br />
<strong>Die</strong>s geschieht nicht, wie in traditionellen Forschungspro-<br />
2 <strong>Fallstudie</strong>nzeitung der <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> ‘94 (nicht mehr erhältlich).<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 247
Transdisziplinaritäts-Laboratorium <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong><br />
jekten, durch die Übergabe von Daten, Interviews oder<br />
gelegentlichen Gesprächen. In einem TDL besitzt jede Forschungs-<br />
oder Synthesegruppe eine Begleitgruppe aus Fallakteuren<br />
und die Qualitätskontrolle der Studie und ihrer<br />
Produkte wird in systematischer Weise auch durch Fallakteure<br />
gesichert (vgl. Kap. <strong>Fallstudie</strong> im W<strong>and</strong>el).<br />
Experiential Case Encounter<br />
Forscher und Wissenschafter sind es normalerweise gewohnt,<br />
in der Beobachterrolle zu verbleiben. <strong>Fallstudie</strong>n<br />
erfordern <strong>and</strong>erseits einen umfassendes Verständnis des<br />
Falls. Um den beteiligten Lernenden und Lehrenden einen<br />
geeigneten Einblick zu gewähren, ist ein erfahrungsbasiertes<br />
Lernen zu organisieren. <strong>Die</strong>ses Lernen bezeichnen wir<br />
als Experiental Case Encounter (Erfahrungstage, Seitenwechsel).<br />
Trennung von Kompetenzbereichen der Fallagenten<br />
und der akademischen <strong>Fallstudie</strong>nmitglieder<br />
<strong>Die</strong> Studierenden und die Dozierenden betrachten es nicht<br />
als Aufgabe, in direkter Weise in konkrete Entscheidungsprozesse<br />
einzugreifen oder an diesen Prozessen zu partizipieren,<br />
wie dies in der Regel in der Aktionsforschung der<br />
Fall ist. Ziel ist es vielmehr, anh<strong>and</strong> eines Falles in einen<br />
gemeinsamen Lernprozess zu treten, um für wichtige theoretische<br />
Fragen oder Konzepte wie «nachhaltige Entwicklung»<br />
oder «ökoeffizientes H<strong>and</strong>eln» theoretische Einsichten<br />
zu erlangen. Für diese Art der <strong>Fallstudie</strong> wird auch der<br />
Begriff Ground-Breaking Case Study (Ronstadt, 1993) verwendet.<br />
Trägerschaft und Identifikation mit der <strong>Fallstudie</strong><br />
Studierende und Fallakteure sollen im Verlauf der <strong>Fallstudie</strong><br />
eine Identifikation mit der <strong>Fallstudie</strong> entwickeln. In der<br />
<strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> wurde dazu der Begriff der Trägerschaft<br />
entwickelt.<br />
Methodengestützte Wissensorganisation<br />
Schon in der ersten <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> im Jahre 1994<br />
wurde die besondere Wichtigkeit von Wissensintegration<br />
hervorgehoben (Scholz et al., 1995, S. 7). Eine wichtige<br />
Erkenntnis war, dass eine solche Wissensintegration nicht<br />
im «Selbstlauf» realisiert wird, sondern es dazu besonderer<br />
Methoden bedarf (s. a. Kap. Entwicklung der <strong>Fallstudie</strong>nmethoden).<br />
Von diesem neuartigen Dialog profitieren beide Seiten<br />
gleichermassen: die Hochschule verlässt ihren «Elfenbeinturm»<br />
und tritt in direkten Kontakt mit ausseruniversitären<br />
Realitäten. Der Fall erhält einen Spiegel vorgehalten, eine<br />
unbeeinflusste Sicht von aussen. <strong>Die</strong> <strong>Fallstudie</strong> kommt von<br />
aussen, ist neutral und hat deshalb ein Moderations-, bzw.<br />
Mediationspotenzial. Sie bindet Leute ein, bringt Leute<br />
zusammen und wirkt im Fall harmonisierend.<br />
3 Praxis des TDL<br />
Wie wir gesehen haben, ist das transdisziplinäre Vorgehen<br />
zentral für die <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>. Entscheidend ist dabei<br />
die gemeinsame Problemdefinition und -bearbeitung zusammen<br />
mit den Fallakteuren, es wird ein «mutual learning»<br />
angestrebt. Damit werden die Prozesse, die zu gemeinsamen<br />
Produkten führen, zentral (vgl. Kap. <strong>Fallstudie</strong>ndidaktik).<br />
<strong>Die</strong>se Anforderungen unterscheiden sich von klassischen<br />
Projektaufgaben in (inter-) disziplinären Forschungsprojekten:<br />
die auftretenden Probleme sind akzentuierter, erfordern<br />
neue Formen der Zusammenarbeit, und die Kommunikation<br />
beansprucht viel Zeit und hat grosse Bedeutung (Aenis &<br />
Nagel, 2000; Br<strong>and</strong>, 2000; Weiss, 2000).<br />
Das Projekt <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> ist mit den verschiedensten<br />
Schnittstellen konfrontiert, die zum ersten erkannt<br />
und dann auch gezielt verfeinert werden müssen. <strong>Die</strong> Beteiligten<br />
stehen zwischen verschiedenen Kulturen von unterschiedlichen<br />
Wissenschaften und der Praxis und müssen<br />
diese Grenzen überwinden (Gieryn, 1983; Thompson Klein,<br />
1996). <strong>Die</strong>se Art der Kompetenz braucht praktische, langjährige<br />
Erfahrung, Permanenz, fortlaufende Optimierungen<br />
und kann nicht nur theoretisch erarbeitet werden. In der<br />
<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> findet sich diese Kernkompetenz einerseits<br />
im <strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>nbüro und in einem festen Pool von<br />
langjährigen Tutorierenden. Als wissenschaftliches Bezugssystem<br />
für die involvierten Forscherinnen und Forscher<br />
bleibt für längere Zeit noch die klassisch disziplinäre Forschung,<br />
man wird an deren Qualitätskriterien gemessen.<br />
Erst langsam entstehen spezifische Evaluationsinstrumente<br />
für inter- und transdisziplinäre Forschung, die den Spezifitäten<br />
dieser Art Forschung Rechnung tragen (Defila & Di<br />
Giulio, 1999; Shaapen & Wamelink, 1999).<br />
3.1 Schnittstellen: «boundary objects»<br />
als Vermittlungsinstanz<br />
In der <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> bestehen unterschiedliche<br />
Schnittstellen, die alle beachtet und verwaltet werden müssen.<br />
Für gewisse Schnittstellen wurden in den letzten Jahren<br />
Institutionen geschaffen, die diese optimieren sollen.<br />
Schnittstelle zwischen <strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>nbüro und Fall<br />
<strong>Die</strong> Person des Pivots bildet eine zentrale Schnittstelle zwischen<br />
Hochschule und Praxis. Der Pivot ist ein ständiger<br />
Ansprechpartner im Fall, der sowohl in organisatorischen<br />
als auch in fachlichen Belangen die richtigen Informationen<br />
und Kontakte vermitteln kann. Idealerweise wird er unterstützt<br />
durch eine fallinterne Arbeitsgruppe, um eine fallinterne<br />
Koordination der Arbeiten und Zuständigkeiten zu<br />
erreichen und zentrale Entscheidungen vorzubereiten und<br />
mit zu tragen. Unterstützt wird diese Funktion durch den<br />
Beirat.<br />
248 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Transdisziplinaritäts-Laboratorium <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong><br />
Schnittstelle zwischen <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> und<br />
Hochschule<br />
Zentrales Element bilden die wissenschaftlichen Paten bzw.<br />
Träger, die sich jeweils einer Synthesegruppe annehmen,<br />
dieser Rückmeldung zu schriftlichen Papieren geben und<br />
den Zugang zur aktuellen wissenschaftlichen Diskussion<br />
ermöglichen. Auch diese Funktion wird unterstützt durch<br />
den Beirat.<br />
Schnittstelle zwischen Synthesegruppen und Fall<br />
Der direkte Kontakt zwischen den einzelnen Synthesegruppen<br />
und dem Fall wird in Begleitgruppen hergestellt, die<br />
Arbeiten der Studierenden kritisch begleiten. Wiederum<br />
kommt dem Beirat eine wichtige Rolle zu.<br />
Schnittstellen der Synthesegruppen unterein<strong>and</strong>er<br />
Während des Semesters finden wöchentliche Organisationssitzungen<br />
(vgl. Kap. <strong>Fallstudie</strong> im W<strong>and</strong>el) statt, an<br />
denen organisatorische Informationen ausgetauscht und geplante<br />
Arbeiten koordiniert werden.<br />
Schnittstelle zwischen den Tutorierenden der<br />
verschiedenen Synthesegruppen<br />
Neben den internen Sitzungen der jeweiligen Tutorierendenteams<br />
werden zwei Abende, ein Tag vor Beginn des<br />
Semesters und regelmässige Sitzungen während des Semesters<br />
organisiert. An diesen Terminen werden Prinzipien und<br />
Funktionsweise der <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> vermittelt, und es<br />
erfolgt eine Koordination und Absprache über die Grenzen<br />
der Synthesegruppen hinweg. Alle Tutorierenden erhalten<br />
weiter eine Grundausbildung in <strong>Fallstudie</strong>nmethoden. <strong>Die</strong>se<br />
Ausbildung vermittelt auch eine Art eigene Sprache zum<br />
inhaltlichen Projektmanagement und zur Wissensintegration.<br />
Wichtig für ein gemeinsames Verständnis der <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong><br />
<strong>Fallstudie</strong> sind sogenannte «boundary objects» 3 (vgl. Star &<br />
Griesemer, 1989): man muss sich auf gemeinsame Begrifflichkeiten<br />
einigen, wobei aber die Begriffe durchaus vage<br />
bleiben können und anpassungsfähig sein müssen. So wurde<br />
z.B. in der <strong>Fallstudie</strong> Grosses Moos der Begriff «Agrarkonsens»<br />
als «Übersetzungshilfe für verschiedene Wissensbereiche»<br />
gebraucht (Mieg, Scholz & Stünzi, 1996, S. 12).<br />
Auch der Begriff «Fall» dient hier als Beispiel: wir bezeichnen<br />
damit einerseits das Untersuchungsgebiet <strong>and</strong>ererseits<br />
auch die darin wohnenden bzw. arbeitenden Personen. Im<br />
Gegensatz zu einer wissenschaftlichen Systemanalyse wird<br />
man die Grenzen nicht einheitlich ziehen. Es müssen und<br />
können je nach Fragestellung unterschiedliche Grenzen gewählt<br />
werden, so lange gewährleistet ist, dass Bezüge zwischen<br />
den verschiedenen Gruppen hergestellt werden können.<br />
Hilfreich für ein gemeinsames Fallverständnis sind<br />
insbesondere Visualisierungen, wie L<strong>and</strong>karten, Luftbildaufnahmen<br />
und <strong>and</strong>ere Fotografien, aber auch Fallbegegnungen.<br />
Innerhalb des Semesters wird dies angestrebt durch<br />
den sogenannten «Falltag» in der ersten Semesterwoche, an<br />
dem Studierende und Tutorierende gemeinsam den Fall<br />
«erfahren», und die Erfahrungstage, an dem alle Studierenden<br />
einen Seitenwechsel vornehmen und den Fall «mit allen<br />
Sinnen erleben» sollen (vgl. Kap. <strong>Fallstudie</strong> im W<strong>and</strong>el).<br />
3.2 Kommunikation: eine Reihe von<br />
Zwischenprodukten als Hilfsmittel<br />
<strong>Die</strong> Wissensdiffusion zwischen Praxis und Wissenschaft<br />
stellt eine zentrale Anforderung an die Arbeiten der <strong>ETH</strong>-<br />
<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> dar. Unterschiedlichste Instrumente – z.B.<br />
Informationsveranstaltungen, Medienmitteilungen, <strong>Fallstudie</strong>nzeitung,<br />
«Stammtische» – wurden <strong>and</strong>ernorts diskutiert<br />
(vgl. Mieg & Scholz, 1999, S. 199). Durch Kommunikation<br />
sollen Kooperationsstrukturen geschaffen werden, die auch<br />
über die eigentliche Projektarbeit hinaus bestehen bleiben<br />
(Mieg & Scholz, 2001). Hier soll ein Ausschnitt von Möglichkeiten<br />
zur Stärkung der Kommunikation vertieft werden:<br />
die Rolle diverser schriftlicher Zwischenprodukte und<br />
der dazu führenden Prozesse. In einem Grossprojekt wie der<br />
<strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> kommt diesen schriftlichen Produkten<br />
eine grosse Bedeutung zu. Sie unterstützen eine gezielte<br />
Kommunikation, klären wesentliche Dinge und bewirken<br />
einen offenen, für alle überschaubaren Arbeitsprozess. Für<br />
die <strong>Fallstudie</strong> 2001 ist geplant, den ganzen Prozess und<br />
Ablauf auf dem Internet zu dokumentieren, so dass der<br />
Zugriff auf aktuelle Dokumente, laufende Arbeiten und<br />
Prozesse für alle Beteiligten zeitgleich und von überall<br />
möglich wird.<br />
Projektskizze<br />
Bei den ersten Sitzungen mit den Fallakteuren muss die<br />
<strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> erklärt werden. Auf der <strong>and</strong>eren Seite<br />
muss sich die Hochschule mit dem Fall ausein<strong>and</strong>ersetzen,<br />
ein erstes tieferes Verständnis der Problemlagen erarbeiten.<br />
Auf Grundlage der Diskussionen mit verschiedenen Fallvertretern<br />
wird vom <strong>Fallstudie</strong>nbüro eine Projektskizze erstellt.<br />
Es erfolgt eine erste gegenseitige Annäherung, ein erster<br />
gemeinsamer Lernprozess von Wissenschaft und Praxis<br />
setzt ein.<br />
3 «Das spezielle an den Grenzsteinen, wie auch an den damit bezeichneten boundaries, ist dabei zweierlei: Erstens, dass sie Territorien vonein<strong>and</strong>er trennen<br />
und sie gleichzeitig mitein<strong>and</strong>er verbinden, da sie ja immer zu beiden zugleich gehören. Und zweitens, dass sie als negotiable entities verst<strong>and</strong>en werden,<br />
dass sie also nicht starr und unveränderlich sind, sondern als Objekte von Aush<strong>and</strong>lungsprozessen dienen können.» (Pohl, 2000, S. 6, Hervorhebungen im<br />
Original).<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 249
Transdisziplinaritäts-Laboratorium <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong><br />
Abb. 3.1: Akteurgruppen in<br />
der <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>:<br />
Beirat als zentrale Schnittstelle<br />
zwischen den verschiedenen<br />
involvierten Akteuren.<br />
interessierte Studierende beteiligt. <strong>Die</strong> Grobkonzepte werden<br />
in einer ersten Beiratssitzung vorgestellt und diskutiert.<br />
Definitive Konzepte Synthesegruppen<br />
<strong>Die</strong> überarbeiteten Grobkonzepte bilden die Grundlage der<br />
eigentlichen <strong>Fallstudie</strong>narbeiten, wobei von den Studierenden<br />
in den ersten vier Wochen des Semesters eine definitive<br />
Fassung erstellt wird. <strong>Die</strong>ses sogenannte Synthesekonzept<br />
wird vom verantwortlichen Hochschullehrer, dem <strong>Fallstudie</strong>nbüro<br />
und Fallvertretern begutachtet.<br />
Abb. 3.2.1: Das <strong>Fallstudie</strong>nbüro in Weisweil. Es bestehen<br />
verschiedene Möglichkeiten, die Kommunikation zwischen<br />
Fall und Praxis zu institutionalisieren. Eine ist die Präsenz<br />
vor Ort (Mieg & Scholz, 1999). In den <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong>n<br />
1997 und 1998 war das <strong>Fallstudie</strong>nbüro in einem ehemaligen<br />
Rathaus untergebracht, einem Zentrum örtlicher Kommunikation,<br />
wo sich auch verschiedenste Vereine treffen<br />
(Photo: S<strong>and</strong>ro Bösch).<br />
Grobkonzept Gesamtfallstudie und Synthesegruppen<br />
Im Grobkonzept wird festgelegt und beschrieben, welche<br />
Hauptfragestellungen bearbeitet werden und in welchen<br />
Synthesegruppen gearbeitet werden soll. Spätestens zu diesem<br />
Zeitpunkt werden Studierende aktiv in die Arbeiten<br />
einbezogen. Auf Ebene Synthesegruppen werden die Fragestellungen<br />
der einzelnen Synthesegruppen konkretisiert sowie<br />
Datenlage und Datenbedarf abgeklärt. An den Vorbereitungssitzungen<br />
sind das jeweilige Tutorierendenteam und<br />
Teilprojektberichte<br />
An einem Postermarkt in der zehnten Semesterwoche präsentiert<br />
sich jedes Teilprojekt mit einem Poster. Als Grundlage<br />
für den Postermarkt dient ein kurzes Teilprojektpapier.<br />
<strong>Die</strong> Unterlagen werden an den Beirat verschickt, damit<br />
dieser an seiner zweiten Sitzung die Arbeiten diskutieren<br />
kann.<br />
Entwurf Syntheseberichte<br />
Zum Abschluss der Arbeiten während des Semesters wird<br />
von allen Synthesegruppen ein Synthesepapier erstellt. <strong>Die</strong>se<br />
Unterlagen dienen als Grundlage für die dritte Beiratssitzung<br />
in der ersten Woche nach dem Semesterende. <strong>Die</strong><br />
Sitzung soll die Arbeiten und Resultate bewerten und die<br />
folgenden Arbeiten für den B<strong>and</strong> ausrichten.<br />
250 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Transdisziplinaritäts-Laboratorium <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong><br />
Abb. 3.3: Mehrstufiges Reviewverfahren bei der Erstellung<br />
des <strong>Fallstudie</strong>nb<strong>and</strong>es, das die Qualität der Endprodukte<br />
garantieren soll.<br />
Abb. 3.2.2: <strong>Die</strong> unterschiedlichen Zwischenberichte im Ablauf<br />
der <strong>Fallstudie</strong> unterstützen die Kommunikation zwischen<br />
Wissenschaft und Praxis. <strong>Die</strong> Vorbereitungsarbeiten<br />
beginnen in der Regel zwei Jahre vor dem eigentlichen<br />
Beginn des <strong>Fallstudie</strong>nsemesters.<br />
3.3 Qualitätskontrolle: verschiedene<br />
sich gegenseitig ergänzende<br />
Elemente<br />
In der <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> wird Qualitätskontrolle nicht als<br />
einmalige Aktivität zum Abschluss der Arbeiten verst<strong>and</strong>en,<br />
sondern als fortlaufender Prozess. Alle oben angesprochenen<br />
Institutionen und Werkzeuge haben dabei grosse<br />
Bedeutung:<br />
– der Pivot und die fallinterne Arbeitsgruppe, sowie die<br />
Begleitgruppen garantieren, dass die bearbeiteten Fragestellungen<br />
für den Fall relevant sind,<br />
– der Beirat begutachtet Konzeptpapiere und steuert die<br />
Ausrichtung der Arbeiten,<br />
– die wissenschaftlichen Träger und Paten geben Rückmeldungen<br />
und ermöglichen somit die Anbindung an aktuelle<br />
wissenschaftliche Diskussionen,<br />
– die Tutorierenden erarbeiten die Grobkonzepte ihrer<br />
Synthesegruppen, sorgen für bestmögliche Umsetzung<br />
der Vorarbeiten und sichern die fachliche und methodische<br />
Qualität der Arbeiten,<br />
– das <strong>Fallstudie</strong>nbüro und der verantwortliche Hochschullehrer<br />
prüfen fortlaufend den Fortschritt und die inhaltliche<br />
Qualität der Arbeiten.<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 251
Transdisziplinaritäts-Laboratorium <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong><br />
Wichtig für die Qualität der Arbeiten ist ein gemeinsames<br />
Verständnis der <strong>Fallstudie</strong>: alle Beteiligten müssen sich<br />
verantwortlich fühlen für den Prozess und die erarbeiteten<br />
Produkte. Lehrende werden zu Trägern der <strong>Fallstudie</strong>. Hier<br />
kommt dem <strong>Fallstudie</strong>nbüro und dem verantwortlichen<br />
Hochschullehrer eine zentrale Aufgabe zu: sie müssen fortlaufend<br />
vermitteln und erklären, was die <strong>Fallstudie</strong> will,<br />
kann bzw. eben nicht kann. Realistische Erwartungen sind<br />
die Kernvoraussetzung guter Qualität.<br />
Erhöhte Aufmerksamkeit erfordert die Erstellung des<br />
<strong>Fallstudie</strong>nb<strong>and</strong>es. Hierzu wurde ein mehrstufiges Reviewverfahren<br />
eingerichtet, das grösstmögliche Qualität der erzeugten<br />
Produkte garantieren soll (vgl. Abb. 3.3). <strong>Die</strong> Synthesegruppen<br />
erstellen zuerst intern einen ersten Entwurf,<br />
der von den Tutorierenden sorgfältig geprüft wird. Aufgrund<br />
einer ersten Rückmeldung vom Hauptherausgeber<br />
und dem Redakteur (fachlich qualifizierte und erfahrene<br />
Person, die während der Nachbearbeitung zusätzlich angestellt<br />
wird) werden die Berichte überarbeitet. Falls die dann<br />
vorliegende Fassung den Ansprüchen genügt, wird sie in ein<br />
externes Review geschickt (Fachleute aus Wissenschaft und<br />
Praxis). Danach erfolgen die notwendigen Überarbeitungen<br />
bis hin zur druckfertigen Aufbereitung von Text, Grafiken<br />
und Layout. <strong>Die</strong> Endkontrolle obliegt der Herausgeberschaft<br />
und der Redaktion.<br />
4 Folgerungen:<br />
Institutionalisierung<br />
transdisziplinärer Schnittstellen<br />
Es bedarf geeigneter institutioneller Einrichtungen, in denen<br />
der Wissenschaft-Praxis-Dialog zur Erarbeitung neuen Wissens,<br />
neuer Methoden, alternativer Problemlösestrategien<br />
usw. entwickelt wird. Wir sind überzeugt, dass eine Paradigmenerweiterung<br />
in der Wissenschaft auch mittelfristig die<br />
einzige Möglichkeit ist, um sozial robuste Lösungen für<br />
reale, komplexe Probleme zu erarbeiten (Gibbons & Nowotny,<br />
2001). Der Umweltbereich ist ein prototypisches Feld,<br />
wo die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis notwendig<br />
ist (Kleiber, 2001). Für die Wissenschaft stellt sich<br />
dabei die Herausforderung, neue Formen der internen<br />
Arbeitsteilung, wie auch der Kommunikation mit externen<br />
Stellen zu finden. <strong>Die</strong> <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> stellt hierbei<br />
eine Werkstatt dar, wie sie von Scholz & Marks (2001, S.<br />
252, vgl. Abb. 4) vorgeschlagen wurde. WissenschafterInnen,<br />
Studierende und Fallakteure kooperieren über einen<br />
bestimmten Zeitraum, um nach Abschluss der <strong>Fallstudie</strong><br />
wieder in ihre «Heimat zurückzukehren».<br />
<strong>Die</strong> Erfahrungen von nunmehr acht Jahren <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong><br />
<strong>Fallstudie</strong>n zeigen, dass Fall und Hochschule von solchen<br />
Laboratorien profitieren können. Für die Wissenschaft bedeutet<br />
dies, dass sie ein neues Verhältnis zur Praxis und ein<br />
neues Selbstverständnis entwickelt. Bezogen auf den Fall ist<br />
sie nicht der «Nabel der Weisheit». <strong>Die</strong>s erfordert Kooperation<br />
und Kommunikation jenseits der «sender-receiver-metaphor»<br />
und des Wissenschaftsmarketings. <strong>Die</strong> bis anhin<br />
erzielten Erfahrungen der <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> zeigen, dass<br />
Transdisziplinarität möglich ist, wenn Schnittstellen, Kommunikation,<br />
Rollen und Partnerschaften geeignet definiert<br />
Abb. 4: <strong>Die</strong> Idee zur Institutionalisierung von Transdisziplinaritäts-Laboratorien<br />
wurde auf der internationalen Konferenz<br />
zu «Transdisciplinarity: Joint Problem Solving Among<br />
<strong>Science</strong>, Technology <strong>and</strong> Society» diskutiert (Häberli,<br />
Scholz, Bill & Welti, 2000; Scholz, Häberli, Bill & Welti,<br />
2000; Thompson Klein et al., 2001): Wissenschafter und<br />
Praktikerinnen kooperieren temporär in Problemdefinition<br />
bzw. Problemlösung und kehren nach gemeinsamer Projektzeit<br />
mit neuem Wissen und neuen Orientierungen in ihre<br />
eigenen Arbeitsbereiche zurück.<br />
252 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Transdisziplinaritäts-Laboratorium <strong>ETH</strong>-<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong><br />
und nach Möglichkeit institutionalisiert werden. <strong>Die</strong>s verlangt<br />
einen hohen Aufw<strong>and</strong> in der Prozesssteuerung, der<br />
aber nicht davon abhalten darf, wissenschaftliche Arbeit und<br />
Ergebnisse von hoher Qualität zu liefern.<br />
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254 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Abkürzungsverzeichnis<br />
Abkürzungsverzeichnis<br />
AG Aktiengesellschaft<br />
Bahn 2000 Modernisierungsprojekt von Rollmaterial<br />
und Infrastruktur bei der SBB<br />
BfS Bundesamt für Statistik<br />
BUC BahnUmwelt-Center<br />
BUWAL Bundesamt für Umwelt, Wald und L<strong>and</strong>schaft<br />
DALY Disability Adjusted Life Years<br />
DB Deutsche Bahn AG<br />
EI 99 Eco-Indicator 99<br />
<strong>ETH</strong> Eidgenössische Technische Hochschule<br />
(Zürich)<br />
EU Europäische Union<br />
EWLV Einzelwagenladungsverkehr<br />
FE Funktionelle Einheit<br />
FG Ferngüterzug<br />
FinöV Bundesbeschluss über Bau und Finanzierung<br />
der Infrastrukturvorhaben des öffentlichen<br />
Verkehrs<br />
FS <strong>Fallstudie</strong><br />
FSK <strong>Fallstudie</strong>nkommission<br />
GB Geschäftsbereich<br />
GBRT Gesamtbruttotonnen<br />
GTN Gütertransportnutzen<br />
HVS Hauptverkehrsstrassen / Autostrassen<br />
KV kombinierter Verkehr<br />
LCA Life Cycle Asessment<br />
LG L<strong>and</strong>is & Gyr<br />
LITRA Informationsdienst für öffentlichen Verkehr<br />
LKW Lastwagen<br />
LSV Lärmschutzverordnung<br />
LSVA Leistungsabhängige Schwerverkehrs-Abgabe<br />
LUK Lärmübersichtskataster<br />
LWL Lieferwagen<br />
MGB Migros-Genossenschafts-Bund<br />
MICMAC: Matrice d’Impacts Croisés – Multiplication<br />
Appliqueé à un Classement<br />
NEAT Neue Eisenbahn-Alpen-Transversale<br />
NFP 41 Nationales Forschungsprogramm «Verkehr<br />
und Umwelt. Wechselwirkungen Schweiz-<br />
Europa»<br />
NG Nahgüterzug<br />
NMHC nicht-methanogene Kohlenwasserstoffe<br />
ÖBB Österreichische Bundesbahnen<br />
ÖE Ökoeffizienz<br />
ÖV öffentlicher Verkehr<br />
PDF Potentially Disapeared Fraction<br />
pkm Personenkilometer<br />
PW Personenwagen<br />
RL Rollende L<strong>and</strong>strasse<br />
RZ Regionalzug<br />
SBB Schweizerische Bundesbahnen<br />
SBB AG Schweizerische Bundesbahnen AG<br />
SD System Dynamics<br />
SGZZ St. Galler Zentrum für Zukunftsforschung<br />
SNCF Société National de Chemin de Fer<br />
SZ Schnellzug<br />
TDL Transdisziplinaritäts-Laboratorium<br />
TK Transportkette<br />
tkm Tonnenkilometer<br />
TQ Transportqualität<br />
UBP Umweltbelastungspunkte<br />
UCPTE-Mix Europäischer Strommix<br />
UIC Union Internationale des Chemins de fer,<br />
Internationaler Eisenbahnerverb<strong>and</strong><br />
UKV Unbegleiteter Kombiverkehr<br />
<strong>UNS</strong> Professur für Umweltnatur- und Umweltsozialwissenschaften<br />
UVEK Eidgenössisches Departement für Umwelt,<br />
Verkehr, Energie und Kommunikation<br />
WBCSD World Business Council for Sustainable<br />
Development<br />
WLV Wagenladungsverkehr<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 255
Index<br />
Index<br />
A<br />
Akteure 42<br />
- Öffentliche H<strong>and</strong> 146, 151<br />
- SBB Cargo 145, 151<br />
- Strassen-Transportunternehmer<br />
146, 151<br />
- Verlader 146, 151<br />
Akteursnetz 144<br />
Akteurspositionen 147<br />
Aktivität<br />
- von Einflussfaktoren 159<br />
Alpeninitiative 63<br />
Arbeitsgruppe<br />
- Szenarien 31<br />
Arbeitsproduktivität 92<br />
Auslastung 30<br />
- Schiene 193<br />
- Strasse 193<br />
Aussenminister 220<br />
B<br />
backward-planning 224<br />
Bahn<br />
- Produktivität 68<br />
- Umweltverträglichkeit 68<br />
Bahnfrustration 66<br />
Bahnmalus 30<br />
Bahnreform 51ff, 63, 157<br />
BahnUmwelt-Center 34, 57<br />
Berichtverantwortliche 221<br />
Binnenkombi-System 63<br />
Böschung 116, 132<br />
Böschungspflege<br />
- alternative 42, 133<br />
boundary objects 248<br />
Brunswiksches Linsenmodell 236<br />
C<br />
Cargosprinter 108<br />
Cham Paper Group 100, 198<br />
Citylogistik 63, 67<br />
Coaching 221<br />
D<br />
DALY 188<br />
DIANE 63<br />
Didaktik 217<br />
- Weiterentwicklung 226<br />
Dokumentaristen 220<br />
Dosis-Wirkungs-Beziehungen 186,<br />
192<br />
Durchlässigkeitsmodell 122<br />
E<br />
Eco-Indicator 99 95, 184<br />
ECOINVENT 94<br />
Einflussfaktoren 158f<br />
Einflussmatrix 159<br />
Eisenbahnverb<strong>and</strong><br />
- internationaler 28<br />
Energie 2000 63<br />
Erfahrungstag 213, 240<br />
Experimental Case Encounter 248<br />
Expositionsanalyse 185, 192<br />
externe Kosten 61<br />
F<br />
Fahrzeugkilometer 193<br />
Fahrzeugpark 143<br />
Faktor 4 35, 68, 177<br />
<strong>Fallstudie</strong><br />
- als Lehrveranstaltung 219<br />
- Anwendungsziel 231<br />
- Forschungsziel 231<br />
- Grundsätze 245<br />
- Identifikation mit 248<br />
- Kommunikation 210, 249<br />
- Kompetenzbereiche 248<br />
- Lernziel 231<br />
- Methoden 229<br />
- Planung 210<br />
- Produkte 212<br />
- Projektcontrolling 247<br />
- Prozesse als Produkte 212<br />
- Qualitätskontrolle 247, 251<br />
- Trägerschaft 248<br />
- Zeitplan 212<br />
- Zielfindung 212<br />
- Zukunft 215<br />
<strong>Fallstudie</strong>nb<strong>and</strong><br />
- Reviewverfahren, mehrstufiges<br />
251<br />
<strong>Fallstudie</strong>nbeirat 39<br />
<strong>Fallstudie</strong>nbüro<br />
- Aufgaben 208<br />
<strong>Fallstudie</strong>nforschung 235<br />
<strong>Fallstudie</strong>nkommission 209<br />
Feedback 225f<br />
Ferngüterzug 190<br />
FINÖV 63<br />
free access 52<br />
funktionelle Einheit 96f<br />
Furmia 107<br />
G<br />
Gesamtfallstudie<br />
- Grobkonzept 250<br />
Gesamtsynthese 210<br />
Gesamtverkehrskonzeption 61<br />
GIS 122<br />
Graschlad 126<br />
Grossraum 116, 122, 130<br />
Gruppenprozesse 219<br />
- Grundlagen, sozialpsychologische<br />
222<br />
- Phasen 223<br />
- Steuerung 222, 224ff<br />
Güter<br />
- bahnaffine 28<br />
Güterforum 43, 148<br />
Gütertransport<br />
- Anteil 28<br />
Gütertransportnutzen (GNT) 93, 96ff<br />
Güterverkehr 28<br />
- kombinierter (KV) 63<br />
Güterverkehrs-Forum 70<br />
Güterverkehrszentren 67<br />
H<br />
H<strong>and</strong>lungsoptionen 151<br />
I<br />
ill-defined problems 231<br />
Integration<br />
- von Disziplinen 233<br />
- von Interessen 234<br />
- von Systemen 234<br />
- von Wissen 234<br />
Integriertes Risikomanagement 239<br />
Intermodalität 67<br />
Internationaler Eisenbahnverb<strong>and</strong><br />
(UIC) 176<br />
Internet 215<br />
K<br />
Kanton Zug<br />
- Attraktivität 77<br />
- Bevölkerung 77<br />
- Eisenbahn 82<br />
- Verkehr 85<br />
Kapitalproduktivität 92<br />
Kleinraum 116, 119, 130<br />
Kommunikationsmittel 210<br />
Kommunikationsstörungen 184, 186<br />
Konsistenzanalyse 159ff<br />
Korridore für Wildtiere 123<br />
K.O.-Wert 104<br />
256 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Index<br />
L<br />
L<strong>and</strong>is & Gyr 80<br />
L<strong>and</strong>schaftsästhetik 41<br />
L<strong>and</strong>schaftsbewertung 127<br />
L<strong>and</strong>strasse<br />
- rollende 64<br />
L<strong>and</strong>verkehrsabkommen 67<br />
Lärm 44, 183<br />
- Ausbreitungsmodell 184, 189<br />
- beeinträchtigte Personen 186<br />
- betroffene Personen 186, 200<br />
- Kosten 183<br />
- Modellanpassung 196<br />
- Modellvergleich 194<br />
- Übertragbarkeit der Resultate<br />
200<br />
Lärmbilanz 200<br />
Lärmimmissionen 189<br />
Lärmpegel<br />
- Zunahme, ∆Leq 185, 187, 189<br />
Lärmschaden 188, 193<br />
Lehre-Forschungs-Anwendungs-<br />
Paradigma 234<br />
Lehrveranstaltung<br />
- problemorientierte 205<br />
Lernen<br />
- selbstverantwortliches 220<br />
Life Cycle Assessment (LCA) 94,<br />
231<br />
Logistik<br />
- Bedürfnisse 139<br />
- Konzepte 65<br />
- Verantwortliche 220<br />
LSVA 63, 143<br />
M<br />
Migros 101, 198<br />
Mobiler-LKW 107<br />
Moderation 225<br />
Modularisierung 210<br />
Monetarisierungs-Ansatz 37<br />
Multiattributive Nutzentheorie 239<br />
mutual learning 31, 207<br />
N<br />
Nachtfahrverbot 66<br />
Nahgüterzug 190<br />
Naturraum 41, 115<br />
NEAT 63<br />
Nestlé 79<br />
Networking 31<br />
Netzzugang<br />
- freier 52<br />
NFP 41 28, 35, 61, 63<br />
O<br />
Ökobilanz 94, 240<br />
Ökobilanzierung 40, 183<br />
Ökobonus 28<br />
Ökoeffizienz 40, 92<br />
open access 33, 52<br />
Organisation<br />
- disziplinorientierte 205<br />
- systemorientierte 205<br />
Organisationsformen 210<br />
Orientierungen für zukünftiges H<strong>and</strong>eln<br />
206<br />
P<br />
Papierfabrik Cham 79<br />
Passivität<br />
- von Einflussfaktoren 159<br />
Pegasus 63<br />
Pegelkorrektur 189f<br />
Potenzialanalyse<br />
- bioökologische 240<br />
Professur für Umweltnatur- und<br />
Umweltsozialwissenschaften<br />
(<strong>UNS</strong>) 205<br />
Projektablauf 223<br />
Projektorganisation 208<br />
Projektplanung 224<br />
Projektunterricht 219<br />
psychosoziale Ebene 223<br />
R<br />
Raumnutzungsverh<strong>and</strong>lungen 240<br />
Refugialraum 119<br />
Region Zugersee 33, 37<br />
Risch 126<br />
Rothirsch 122<br />
S<br />
SBB<br />
- Emissionskataster 189<br />
- Kategorisierung des Streckennetzes<br />
190<br />
- Umweltmanagement 53<br />
- Umweltschutz 53<br />
- Umweltstrategien 53<br />
Schadenabschätzung 187, 192<br />
Schadenkategorien 95<br />
Schienenlärm 183, 189<br />
- betroffene Personen 192<br />
Schlafstörungen 184, 186<br />
Schutzgüter 95<br />
Shuttle-Züge 146<br />
Stadtbahn<br />
- Zuger 86<br />
Stoffflussanalyse 231, 239<br />
Störwirkungskurve 186<br />
Strassenlärm 183<br />
Strassentypen 185<br />
Strommix 37, 141<br />
Swissmetro 64<br />
Synthese 210, 232<br />
Synthesegruppe<br />
- Akteure 31<br />
- Naturraum 31<br />
- Ökoeffizienz 31, 40<br />
Synthese-Moderation 240<br />
Synthesephase I 210ff<br />
Synthesephase II 211f<br />
System Dynamics 231, 239<br />
Systemexperten 247<br />
System-Graph 160<br />
System-Grid 159<br />
Szenarien 157<br />
Szenarien 43<br />
Szenario<br />
- Erfolg dank Ökologie 167<br />
- Gewinnmaximierung 165, 168<br />
- Misere 168<br />
- Trend 164, 166<br />
Szenarioanalyse<br />
- formative 43, 158, 232, 238<br />
Szenario-Technik 157<br />
T<br />
Teamteaching 221<br />
Teilprojekte 211f<br />
Tonnenkilometer 193<br />
Transdisziplinarität 246<br />
Transdisziplinaritäts-Laboratorium<br />
243<br />
Transport<br />
- Eigenschaften 66<br />
- Entscheide 66<br />
Transportkette 140<br />
- Lärmbilanzen 197, 200<br />
Transportqualitäten 97<br />
Tutoren 221<br />
- Didaktiktutorierende 221<br />
- Experten in <strong>Fallstudie</strong>nmethoden<br />
222<br />
- Fachtutorierende 222<br />
- Systemtutorierende 222<br />
U<br />
UBP-Methode 141<br />
UIC Railplan 176<br />
Umsteigeelastizitäten 28<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 257
Index<br />
Umweltbelastungspunkte-Methode<br />
141<br />
Umweltnetzwerk 34, 57<br />
Umweltvorteil der Bahn 53<br />
<strong>UNS</strong> 31<br />
<strong>UNS</strong> <strong>Fallstudie</strong> 27, 31<br />
V<br />
Vegetationsaufnahme 119<br />
Verkehrstelematik 64<br />
Verkehrsverlagerung 27<br />
Verlader 140<br />
Verzinkerei Zug 81<br />
Visualisierung 225<br />
Vorsprung<br />
- ökologischer 30<br />
V-Zug 99, 197<br />
W<br />
Waldr<strong>and</strong> 119<br />
Waldr<strong>and</strong>bewertung 120<br />
Wirtschaftsst<strong>and</strong>ort Zug 76<br />
Wissenschaft-Praxis-Dialog 247, 252<br />
Wissensintegration 232, 234<br />
- methodengestützte 248<br />
Wochenverantwortliche 220<br />
Wohnungsbelegung 192<br />
Z<br />
Zugsbildung<br />
- intelligente 68<br />
Zugstypen 189f<br />
Zukunftsgüterbahn 35, 37<br />
Zukunftswerkstätten 240<br />
Zwei-Phasen-Schwungrad-Modell<br />
225<br />
258 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000
Studierende<br />
<strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000 259
Tutor/innen<br />
260 <strong>UNS</strong>-<strong>Fallstudie</strong> 2000