Anästhesie bei Pat über 65 - Universitätsspital Basel
Anästhesie bei Pat über 65 - Universitätsspital Basel
Anästhesie bei Pat über 65 - Universitätsspital Basel
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<strong>Anästhesie</strong>-Management für<br />
Allgemeinanästhesie <strong>bei</strong> <strong>Pat</strong>ienten <strong>über</strong> <strong>65</strong><br />
Was ist Best Practice?<br />
Diplomar<strong>bei</strong>t zur diplomierten Expertin in <strong>Anästhesie</strong>pflege NDS<br />
Andrea Ignjatic<br />
Ahornstrasse 30, 4055 <strong>Basel</strong><br />
Andrea.Ignjatic@usb.ch<br />
Juni 2013<br />
Mentorin: Isabelle Gisler Ries<br />
<strong>Universitätsspital</strong> <strong>Basel</strong><br />
Fachkurs 11
Danksagung<br />
Herzlich bedanken möchte ich mich <strong>bei</strong> Prof. Dr. med. Luzius Steiner für die<br />
Unterstützung <strong>bei</strong> der Literaturwahl. Besonders danke ich ihm für das Durchlesen<br />
meiner Diplomar<strong>bei</strong>t und die Überprüfung auf Korrektheit, für das tolle Gespräch und<br />
die wertvollen Ratschläge.<br />
Ein besonderer Dank gilt auch meiner Mentorin Isabelle Gisler Ries. Sie war mir eine<br />
grosse Unterstützung und stand mir jederzeit mit Rat und Tat und grossem<br />
Engagement motivierend zur Seite, auch <strong>bei</strong> der Durchsicht meines Textes.<br />
Des Weiteren danke ich Tobias Ries-Gisler, der mir ebenfalls <strong>bei</strong> der Literatursuche<br />
behilflich war sowie Silvia Schnyder, Jennifer Bryan und Martine Gerber für die<br />
grosse Unterstützung <strong>bei</strong> der Bear<strong>bei</strong>tung der englischen Literatur.<br />
Herzlich danken möchte ich auch Marc Lüthy für seine wertvollen Ratschläge – er<br />
war mir eine grosse Unterstützung <strong>bei</strong> der Beantwortung sämtlicher meiner Fragen –<br />
sowie Arno Mutschler für seine vielen wertvollen Hinweise zur Literatur.<br />
Ein weiterer Dank geht an Tanja Mayer und Matthias Grütter, die mir ihre<br />
Präsentation «<strong>Anästhesie</strong> und das liebe Alter» zur Verfügung stellten,<br />
sowie an meine Berufsbildner Christoph Schori, Matthias Klimkait, Jürgen<br />
Heinzmann und Regula Schmidt für die wertvollen Tipps.<br />
Ein grosser Dank geht auch an Kai Monte für die Erstellung einiger Grafiken.<br />
Ausserdem möchte ich mich <strong>bei</strong> meinen Teamkollegen und Anästhesisten, die ich<br />
nicht namentlich erwähnt habe, auch herzlich für die Unterstützung und die<br />
wertvollen Gespräche und Literaturhinweise bedanken.<br />
Ein grosses Dankeschön geht schliesslich auch an meine Familie und meine<br />
Freunde, die in dieser Zeit viel Verständnis zeigten und mich stets unterstützt und<br />
motiviert haben.
Inhaltsverzeichnis<br />
1. Einleitung 1<br />
1.1 Themenwahl und Motivation 1<br />
1.2 Zielsetzung 2<br />
1.3 Fragestellung 2<br />
1.4 Abgrenzung 2<br />
1.5 Methodik und Literaturrecherche 3<br />
2. Hauptteil 4<br />
2.1 Allgemeine Grundlagen 4<br />
2.2 Alter und Organfunktion 6<br />
2.3 Physiologie 6<br />
2.3.1 Alterpysiologische Veränderungen 7<br />
2.3.2 Herz-Kreislauf-System 7<br />
2.3.3 Lunge 8<br />
2.3.4 Niere 9<br />
2.3.5 Leber 10<br />
2.3.6 Gehirn 10<br />
2.4 Pharmakologie 11<br />
2.4.1 Pharmakokinetik und Pharmakodynamik im Alter 11<br />
2.4.2 Wie verändert sich die Pharmakokinetik und Pharmakodynamik<br />
<strong>bei</strong> Fentanyl, Propofol und Sevofluran im Alter? 13<br />
2.5 Anästhesiologisches Vorgehen 18<br />
3. Schlussteil 20<br />
3.1 Fazit 20<br />
3.2 Reflexion 22<br />
4. Quellenverzeichnis<br />
4.1 Abbildungsverzeichnis<br />
5. Anhang<br />
5.1 Selbständigkeitserklärung<br />
5.2 Grafik zu anästhesierten <strong>Pat</strong>ienten der Jahre 2007 bis 2011 im<br />
<strong>Universitätsspital</strong> <strong>Basel</strong>
1. Einleitung<br />
1.1 Themenwahl und Motivation<br />
Täglich betreue ich in meinem Praxisalltag am <strong>Universitätsspital</strong> <strong>Basel</strong> ältere<br />
<strong>Pat</strong>ienten 1 . Ich erlebe immer wieder einen wechselhaften intraoperativen<br />
<strong>Anästhesie</strong>verlauf, der oft mit hohen Blutdruckschwankungen verbunden ist. Ältere<br />
<strong>Pat</strong>ienten reagieren häufig sensibler und langsamer auf Anästhetika. Aufgrund ihrer<br />
verminderten Kompensationsmechanismen sind sie vermehrt vasoaktivapflichtig. Die<br />
<strong>Anästhesie</strong> <strong>bei</strong> älteren Menschen stellte mich während meines<br />
Nachdiplomstudienganges <strong>Anästhesie</strong> häufig vor grosse Herausforderungen. Ich war<br />
mehrfach unzufrieden mit meiner <strong>Anästhesie</strong>führung und fragte mich, was ich anders<br />
machen könnte. Im folgenden Fall<strong>bei</strong>spiel schildere ich eine Situation, die mich dazu<br />
bewogen hat, mich vertieft mit diesem Thema auseinanderzusetzen: Ich betreute<br />
eine 92-jährige <strong>Pat</strong>ientin, die aufgrund einer Schenkelhalsfraktur operiert werden<br />
musste. Die wichtigsten Nebendiagnosen waren Status nach cerebrovaskulärem<br />
Insult, transitorische ischämische Attacke, Hypertonie, Harnwegsinfekt, schwere<br />
Demenz und Osteoporose. Die <strong>Pat</strong>ientin hatte in den letzten 5 Jahren schon mehrere<br />
operativ versorgte Frakturen. Ausserdem war ein postoperatives Delir beschrieben.<br />
Der genaue Zeitpunkt des Delirs war nicht dokumentiert. Medikamentös nahm sie<br />
Trittico, Temesta, Importal, Rocephin und Fragmin. Es wurde eine balancierte<br />
<strong>Anästhesie</strong> durchgeführt mit den Medikamenten Thiopental, Fentanyl, Tracrium und<br />
Sevofluran. Die Maskenbeatmung und die Intubation verliefen problemlos. Nach der<br />
Einleitung fiel der Blutdruck rapide ab und wir unterstützten den Kreislauf primär<br />
bolusweise mit insgesamt 10 mg Ephedrin und 150 mcg Phenylephrin. Aufgrund der<br />
persistierenden Hypotonie entschied sich der Oberarzt für die kontinuierliche<br />
Noradrenalin-Gabe. Die Sevofluran-Konzentration belief sich durchschnittlich auf<br />
1,5% endtidal. Der gesamte intraoperative Verlauf war mit grossen<br />
Blutdruckschwankungen verbunden. Trotz der Relaxation atmete die <strong>Pat</strong>ientin auch<br />
immer wieder spontan. Ich versuchte dies durch eine Vertiefung der <strong>Anästhesie</strong> mit<br />
Sevofluran zu unterbinden, was jedoch die Hypotonie verstärkte und die<br />
Noradrenalin-Gabe erhöhte.<br />
Solche Situationen erlebe ich immer wieder <strong>bei</strong> älteren <strong>Pat</strong>ienten und jedes Mal war<br />
ich mir in der <strong>Anästhesie</strong>führung unsicher. Ich fragte mich oft: «Welches<br />
1 Im Text wird die männliche Form verwendet, die weibliche Form ist sinngemäss mitgemeint.<br />
1
<strong>Anästhesie</strong>verfahren der Allgemeinanästhesie wäre <strong>bei</strong> älteren <strong>Pat</strong>ienten besser<br />
geeignet?» oder «Wie erreiche ich eine bessere hämodynamische Stabilität?»<br />
Ebenfalls beobachte ich in meinem Praxisalltag unterschiedliche Handhabungen zur<br />
<strong>Anästhesie</strong>führung <strong>bei</strong> älteren <strong>Pat</strong>ienten. Diese Situationen haben mir meine<br />
Unsicherheit <strong>bei</strong>m Thema <strong>Anästhesie</strong> im Alter aufgezeigt und ich stelle fest, dass ich<br />
noch wenig Fachwissen <strong>über</strong> diese Thematik besitze. Mit der Diplomar<strong>bei</strong>t erhoffe<br />
ich mir, mehr Sicherheit in der <strong>Anästhesie</strong>führung <strong>bei</strong> älteren <strong>Pat</strong>ienten zu erlangen.<br />
Ich möchte mein Fachwissen vertiefen und neue Erkenntnisse gewinnen. Zudem ist<br />
es mir wichtig, durch die neu erar<strong>bei</strong>teten Kenntnisse einen Transfer in die Praxis zu<br />
schaffen.<br />
1.2 Zielsetzung<br />
Mit der Diplomar<strong>bei</strong>t möchte ich durch die Vertiefung meines Fachwissens <strong>über</strong> die<br />
pharmakologischen und physiologischen Veränderungen mehr Sicherheit in der<br />
Praxis erlangen, damit ich mit den gewonnenen Kenntnissen ein möglichst optimales<br />
<strong>Pat</strong>ientenmanagement gewährleisten kann. Mein Ziel ist es herauszufinden, ob für<br />
die Allgemeinanästhesie- eine balancierte <strong>Anästhesie</strong> oder eine totale intravenöse<br />
<strong>Anästhesie</strong>- die Best-Practice-Methode zur intraoperativen <strong>Anästhesie</strong>führung <strong>bei</strong><br />
<strong>Pat</strong>ienten <strong>über</strong> <strong>65</strong> ist. Den Fokus habe ich auf die Anästhetika Propofol, Sevofluran<br />
und Fentanyl gelegt.<br />
1.3 Fragestellung<br />
‣ Wie verändert sich die Physiologie im Alter?<br />
‣ Wie verändert sich die Pharmakokinetik und Pharmakodynamik <strong>bei</strong> Propofol,<br />
Sevofluran und Fentanyl im Alter?<br />
‣ Gibt es Empfehlungen zur Best Practice <strong>bei</strong> der intraoperativen<br />
<strong>Anästhesie</strong>führung von <strong>Pat</strong>ienten <strong>über</strong> <strong>65</strong> Jahre <strong>bei</strong> einer<br />
Allgemeinanästhesie?<br />
1.4 Abgrenzung<br />
Um die Rahmenbedingungen der Diplomar<strong>bei</strong>t einzuhalten, musste ich klare<br />
Schwerpunkte setzen und das Thema stark eingrenzen.<br />
2
In meiner Diplomar<strong>bei</strong>t werde ich mich mit <strong>Pat</strong>ienten <strong>über</strong> <strong>65</strong> Jahre befassen. Den<br />
Schwerpunkt lege ich auf die intraoperative <strong>Anästhesie</strong>führung <strong>bei</strong> einer<br />
Allgemeinanästhesie und werde auf die präoperative und postoperative Phase nicht<br />
eingehen. Die postoperative Schmerztherapie und die Vor- und Nachteile einer<br />
Regionalanästhesie werden nicht erwähnt. Ebenso werde ich nicht auf das<br />
postoperative Delir eingehen.<br />
1.5 Methodik und Literaturrecherche<br />
Eine ausführliche Recherche zur Literatur erfolgte <strong>über</strong> die elektronische Datenbank<br />
Pubmed und Google Scholar. In der Medizinalbibliothek konnte ich auf diverse<br />
Fachbücher zugreifen. Ich habe mich zusätzlich an Prof. Dr. med. Luzius Steiner<br />
gewandt, um mir noch weitere Anregungen zur Literatur einzuholen. Ebenfalls haben<br />
mich Isabelle Gisler und Tobias Gisler- Ries immer wieder auf interessante Literatur<br />
hingewiesen.<br />
Ich schrieb auch Prof. Dr. med. Rolf Zander an, der in seinem Artikel «Marburger<br />
Hirn-Schrumpfung» [http://www.physioklin.de/physiocave/fehler-gefahren/marburgerhirn-schrumpfung.html]<br />
auf Falschaussagen im Fach<strong>bei</strong>trag «Pharmakologische<br />
Besonderheiten und Probleme des älteren <strong>Pat</strong>ienten» (Kratz et al., 2005) hinweist.<br />
Ich fragte nach der Richtigkeit der in diesem Artikel beschriebenen<br />
pharmakologischen Veränderungen und ob ich mich darauf in der Diplomar<strong>bei</strong>t<br />
berufen könne. Prof. Dr. med. Rolf Zander hat mir von diesem ganzen Fach<strong>bei</strong>trag<br />
abgeraten, da <strong>bei</strong> den physiologischen Daten erhebliche Zweifel an der Richtigkeit<br />
aufgetreten seien. Zusätzlich erhielt ich Tipps zur Fachliteratur für die Physiologie<br />
und Pharmakologie im Alter.<br />
Ausserdem bekam ich wertvolle Informationen und Ratschläge von meinen<br />
Teamkollegen, Anästhesisten und Berufsbildnern.<br />
3
2. Hauptteil<br />
2.1 Allgemeine Grundlagen<br />
Demografie<br />
Abb. 1. Quelle: [Zugriff 20.05.2013 auf http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/<br />
themen/01/02/blank/key/alter/nach_geschlecht.html]<br />
Die Bevölkerungsentwicklung hat sich in der Schweiz während des 20. Jahrhunderts<br />
deutlich verändert (vgl. Abb. 1). Der Anteil an älteren Menschen (<strong>über</strong> <strong>65</strong> Jahre) stieg<br />
von 5,8% (1900) auf 17,2% (2011), wo<strong>bei</strong> der Anteil <strong>bei</strong> den Jugendlichen (unter 20<br />
Jahre) von 40,7% auf 20,6% gesunken ist (Bundesamt für Statistik, 2013). Personen<br />
ab <strong>65</strong> Jahre bilden die zahlenmässig am schnellsten wachsende<br />
Bevölkerungsgruppe in der Schweiz. Bis 2060 wird sich dieser Anteil der <strong>65</strong>-jährigen<br />
und älteren Menschen auf 28% erhöhen (Bundesamt für Statistik, 2013).<br />
Im Vergleich mit anderen europäischen Ländern gibt es eine vergleichbare<br />
Entwicklung. So lag zum Beispiel der Anteil an Personen <strong>über</strong> <strong>65</strong> Jahre in<br />
Deutschland anfangs des 20. Jahrhunderts <strong>bei</strong> ca. 5% und ist bis zu Beginn des 21.<br />
Jahrhunderts auf 19% gestiegen. Im Jahr 2030 soll dieser Anteil schon <strong>bei</strong> 30%<br />
liegen (Müller & Zwissler, 2012). Auch in Österreich wird der Anteil an Personen <strong>über</strong><br />
<strong>65</strong> Jahre ab 2020 <strong>bei</strong> 21% erwartet (Gonano, Kettner, Seibt & Zimpfer, 2001). Die<br />
Ursache für diesen Wandel in der Bevölkerungsentwicklung ist mit der steigenden<br />
Lebenserwartung und der abnehmenden Geburtenzahlen begründet (Bundesamt für<br />
Statistik, 2013). Entsprechend der demografischen Entwicklung wird das<br />
4
<strong>Anästhesie</strong>team intraoperativ vermehrt mit der Betreuung älterer <strong>Pat</strong>ienten<br />
konfrontiert (Müller & Zwissler, 2012). In der Literatur wird eine Zunahme der <strong>über</strong><br />
<strong>65</strong>-jährigen <strong>Pat</strong>ienten in der operativen Medizin beschrieben. Am <strong>Universitätsspital</strong><br />
<strong>Basel</strong> blieb der prozentuale Anteil <strong>über</strong> <strong>65</strong>-jährigen <strong>Pat</strong>ienten konstant. Die<br />
Fallzahlen sind <strong>über</strong> die Jahre generell gestiegen und somit werden mehr <strong>über</strong> <strong>65</strong>-<br />
jährige anästhesiert (Monte, 2013).<br />
Definition: „Alter <strong>Pat</strong>ient“<br />
Was heisst Alter? Wer ist ein alter oder geriatrischer <strong>Pat</strong>ient?<br />
Es scheint, als gebe es hinsichtlich des Begriffs keine klare oder eine einzig gültige<br />
Definition. Herminghaus, Löser & Wilhelm (2012, S.164) stützen sich auf die<br />
Aufteilung nach der Weltgesundheitsorganisation:<br />
‣ „ältere Menschen – von 60 bis 75 Jahre“<br />
‣ „alte (betagte) Menschen – von 75 bis 90 Jahre“<br />
‣ „sehr alte (hochbetagte) Menschen – älter als 90 Jahre“<br />
In der Literatur wird ebenso vielfach zwischen dem chronologischen bzw. dem<br />
errechneten Alter und dem biologischen Alter, dem körperlichen Zustand eines<br />
Menschen, unterschieden. Das biologische Alter wird als aussagekräftigster<br />
Parameter beschrieben, da im Alter erhebliche interindividuelle Unterschiede<br />
bestehen.<br />
Es ist interessant, dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Alter <strong>über</strong> 50 Jahre noch<br />
eine Kontraindikation für eine Operation darstellte. Allerdings ermöglicht der<br />
Fortschritt in der Medizin und Medizintechnik heutzutage eine bessere<br />
Gesundheitsvorsorge, Diagnosestellung, bessere operative Möglichkeiten und<br />
Behandlungen von Krankheiten, so dass ein hohes Alter und Multimorbidität kein<br />
Hindernis mehr für eine grosse Operation darstellen (Gonano et al., 2001).<br />
Mortalität<br />
Gemäss Larsen (2010) beträgt die operative Mortalität <strong>bei</strong> alten <strong>Pat</strong>ienten für elektive<br />
Eingriffe ca. 5% und für Notfalleingriffe, je nach Art von Operation und<br />
Komplikationen, ca. 10%. Die altersphysiologischen Veränderungen erhöhen die<br />
Gefahren von Operationen und <strong>Anästhesie</strong>. Larsen (2010) führt auf, dass die<br />
anästhesiebedingte Mortalität ca. 2% beträgt und somit um das Dreifache höher ist<br />
als <strong>bei</strong> jüngeren <strong>Pat</strong>ienten, da die körpereigenen Kompensationsmechanismen<br />
5
aufgrund der altersbedingten Veränderungen vermindert sind. Die <strong>Pat</strong>ienten<br />
reagieren daher viel empfindlicher auf eine Belastung wie Operation und <strong>Anästhesie</strong><br />
(Larsen, 2010). Obwohl die Funktionen der Organsysteme für die alltäglichen<br />
Anforderungen ausreichen, ist die funktionelle Leistungsreserve eingeschränkt, so<br />
dass eine Operation und eine <strong>Anästhesie</strong> die Organsysteme des älteren Menschen<br />
aus dem Gleichgewicht bringen können (Gonano et al., 2001).<br />
2.2 Alter und Organfunktion<br />
Die geriatrischen <strong>Pat</strong>ienten befinden sich aufgrund der altersphysiologischen<br />
Veränderungen häufig in einem labilen oder allenfalls metastabilen Gleichgewicht<br />
(vgl. Abb. 2). Metastabil ist eine schwache Form der Stabilität. Bei kleinen<br />
Veränderungen stabil, aber instabil <strong>bei</strong> grösseren Veränderungen. Trotz der<br />
eingeschränkten funktionellen Leistungsreserve bleibt die Organfunktion für die<br />
alltäglichen Anforderungen in Homöostase, wo<strong>bei</strong> eine Ausnahmesituation wie eine<br />
Operation mit <strong>Anästhesie</strong> den älteren <strong>Pat</strong>ienten und die Organfunktion aus dem<br />
Gleichgewicht bringen kann. Aus diesem Grund kann es zu einer verzögerten<br />
Erholung nach der Operation kommen, und nicht immer wird der präoperative<br />
körperliche Zustand erreicht (Herminghaus et al., 2012).<br />
Abb. 2. Quelle: Herminghaus, A., Löser, S. & Wilhelm. (2012). <strong>Anästhesie</strong> <strong>bei</strong><br />
geriatrischen <strong>Pat</strong>ienten. Teil 1: Alter, Organfunktion und typische Erkrankungen.<br />
Anaesthesist, 61, S. 1<strong>65</strong>.<br />
2.3 Physiologie<br />
Die physiologischen Veränderungen im Alter werden in der Fachliteratur sehr<br />
umfangreich und umfassend beschrieben. Im Rahmen meiner Diplomar<strong>bei</strong>t und der<br />
obengenannten Fragestellungen werde ich nur die wichtigsten physiologischen<br />
Veränderungen und die klinischen Bedeutungen für die Praxis erar<strong>bei</strong>ten.<br />
6
2.3.1 Alterpysiologische Veränderungen<br />
Im Alter kommt es zu progredienten Veränderungen in den Organen und deren<br />
Funktionen. Herminghaus et al. (2012) schreiben, dass sich ab dem 40. Lebensjahr<br />
die Leistungsfähigkeit fast aller Organsysteme pro Jahr um ca. 0,5–1% reduziert,<br />
womit die körpereigene Leistungsfähigkeit und Kompensationsmechanismen<br />
eingeschränkt werden.<br />
2.3.2 Herz-Kreislauf-System<br />
Verlust von elastischen Fasern im Endothel und Zunahme des Kollagenanteils<br />
Verminderte Produktion von Stickstoffmonoxid im Endothel<br />
Steifheit von Gefässen und Myokard<br />
Verringerte Compliance der arteriellen Gefässe<br />
Anstieg des systolischen Blutdrucks und systemischen vaskulären<br />
Widerstandes<br />
Linksherzhypertrophie<br />
Verminderte Herzfrequenz<br />
Vermindertes Herzzeitvolumen (HZV)<br />
Verminderte Stimulierbarkeit der kardialen Beta- Rezeptoren<br />
Verminderte Ansprechbarkeit des Myokards auf Katecholamine und<br />
Sympathikusaktivierung<br />
Reduzierte Baroreflexantwort<br />
(Graf et al., 2010)<br />
Klinische Bedeutung<br />
Kardiovaskuläre Kompensationsmechanismen sind aufgrund der genannten<br />
altersphysiologischen Veränderungen eingeschränkt. Die ventrikuläre<br />
Kontraktionsdauer verlängert sich auf Kosten der Füllungsphase, damit das<br />
Herzzeitvolumen (HZV) <strong>bei</strong> starrem Gefässsystem und erhöhter Nachlast<br />
aufrechterhalten werden kann. In Ruhe wird dies häufig toleriert, <strong>bei</strong> Belastung<br />
beziehungsweise <strong>bei</strong> einem Anstieg der linksventrikulären Nachlast kann sich aber<br />
aufgrund der kontraktilen Einschränkung eine Herzinsuffizienz entwickeln. Deshalb<br />
ist unter Belastung leichter eine Dekompensation möglich (Graf et al., 2010).<br />
Infolge der gesteigerten Nachlast und der daraus erhöhten Wandspannung erhöht<br />
sich auch der myokardiale Sauerstoffbedarf. Dementsprechend steigt das<br />
7
myokardiale Ischämierisiko. Ebenso kann die subendokardiale Durchblutung, die<br />
während der Diastole erfolgt, aufgrund der verlangsamten Relaxation des Myokards<br />
beeinträchtigt werden, was die Myokardischämie weiter begünstigt. Herzfrequenzen<br />
>120/min werden wegen verkürzten Diastolendauer schlechter toleriert. Zudem tritt<br />
eine altersabhängige Abnahme der Herzfrequenzsteigerung <strong>bei</strong> Belastung auf.<br />
Hierdurch kann das HZV <strong>bei</strong> Belastung nur durch eine Dilatation des Herzens und<br />
durch eine Zunahme des Schlagvolumens gesteigert werden. Das HZV wird <strong>bei</strong>m<br />
alten <strong>Pat</strong>ienten vor allem durch den Frank-Starling-Mechanismus gesteuert darum ist<br />
eine ausreichende Zeit für die diastolische Füllung des Herzens und die<br />
Aufrechterhaltung eines hohen Füllungsdruckes von grosser Wichtigkeit. Im Alter ist<br />
ebenso die Stimulierbarkeit der Beta-Rezeptoren des Herzens vermindert und somit<br />
die Anpassungsfähigkeit des Herzens an perioperative hämodynamische<br />
Belastungen wie Hypertonie, Hypotonie, Hypo- oder Hypervolämie eingeschränkt.<br />
Das «alte Herz» ist daher empfindlicher gegen<strong>über</strong> einer Hypo- oder Hypervolämie.<br />
Die Erklärung ist; Die verminderte Elastizität der Aorta führt zu einer systolischen<br />
Hypertonie. Dadurch steigt die linksventrikuläre Nachlast. Es kommt zu einer<br />
linksventrikulären Hypertonie mit einer verminderten Compliance des linken<br />
Ventrikels. Es wird ein höherer enddiastolischer Druck für die Ventrikelfüllung<br />
benötigt. Da die Kontraktiliät des Myokards begrenzt ist, hängt die Steigerung des<br />
HZV unter Belastung vermehrt von einer adäquaten Ventrikelfüllung ab. Wenn das<br />
intravasale Volumen abnimmt, erfolgt keine ausreichende Ventrikelfüllung und das<br />
HZV wird vermindert (Larsen, 2010).<br />
2.3.3 Lunge<br />
Verminderter Atemantrieb auf Hypoxie und Hyperkapnie<br />
Abgeschwächte Schluck- und Hustenreflexe<br />
Atrophie der Muskulatur im Hypopharynx und Pharynx<br />
Erhöhte Funktionelle Residualkapazität (FRC)<br />
(Herminghaus et al., 2012)<br />
Klinische Bedeutung<br />
Die Reaktion des zentralen Atemantriebs ist <strong>bei</strong> Hyperkapnie und Hypoxie <strong>bei</strong> älteren<br />
Menschen vermindert. Dies wird durch Anästhetika verstärkt, sodass in der frühen<br />
postoperativen Phase die Gefahr einer respiratorischen Insuffizienz besteht. Bei<br />
8
Operationsende soll ein „Überhang“ von Opioiden, Anästhetika, Muskelrelaxantien<br />
und Prämedikation vermieden werden. Ältere Menschen neigen wegen der Atrophien<br />
der Muskulatur im Hypopharynx und Pharynx zu Obstruktion der oberen Atemwege.<br />
Sie haben folglich häufiger ein Schlaf-Apnoe- Syndrom. Ausserdem steigt die Gefahr<br />
der stillen Aspiration wegen abgeschwächter Schluck- und Hustenreflexe<br />
(Herminghaus et al., 2012).<br />
Die FRC vergrössert sich mit zunehmenden Alter und es kommt zu einer längeren<br />
An- und Abflutungszeit der volatilen Anästhetika, bzw. schlechteren Steuerbarkeit<br />
(Graf et al. 2010).<br />
Wax, Lin, Hossain & Porter (2010) haben in ihrer Untersuchung ausmachen können,<br />
dass eine Hypokapnie von 4,3kPa endtidaler Kohlendioxid-Konzentration (etCO 2 ) <strong>bei</strong><br />
laparoskopischen Operationen zu verlängerten Spitalaufenthalten führen kann (Wax<br />
et al., 2010 zitiert in Herminghaus et al., 2012). Herminghaus et al. (2012) weisen<br />
darauf hin, dass eine milde Hyperkapnie (paCO 2 von 6,25–6,9kPa) die<br />
Gewebedurchblutung und Oxygenierung verbessert. Sie empfehlen für die<br />
intraoperative Beatmung eine Normoventilation oder allenfalls milde Hyperkapnie:<br />
paCO 2 : 5,5–6,9 kPa oder etCO 2 : 5,5–6,25kPa.<br />
2.3.4 Niere<br />
Abnahme der Nierenfunktion und der Nierendurchblutung<br />
Abnahme der glomeruläre Filtrationsrate GFR<br />
Abnahme der tubulären Sekretion und Rückresorption<br />
Verminderte Kreatininclearance<br />
Eingeschränkte Reaktion auf Natriummangel<br />
Eingeschränkte Funktion des Renin-Angiotensin-Aldosteron- Systems<br />
Verminderte Konzentrationsfähigkeit des Urins<br />
(Larsen, 2010)<br />
Eingeschränkte Reaktion auf das antidiuretische Hormon<br />
(Müller & Zwissler, 2012)<br />
Klinische Bedeutung<br />
Aufgrund der altersbedingten Veränderungen der Niere sind die renalen<br />
Kompensationsmechanismen unter der Belastung von Operation und <strong>Anästhesie</strong><br />
eingeschränkt, sodass die Gefahr eines perioperativen Nierenversagens besteht.<br />
9
Ausserdem treten leichter Flüssigkeits- und Elektrolytstörungen auf. Trotz des<br />
verminderten Kreatininclearance kommt es zu keinem Anstieg des Kreatininwertes,<br />
da die Muskelmasse im Alter abnimmt. Das heisst: aufgrund der reduzierten<br />
Muskelmasse muss weniger Kreatinin ausgeschieden werden. Daher kann bereits<br />
ein leichter Anstieg des Kreatininwertes auf eine Beeinträchtigung der Nierenfunktion<br />
hindeuten. Für den Anästhesisten ist des Weiteren wichtig, dass die renale<br />
Clearance von bestimmten Medikamenten vermindert ist und somit die Wirkzeit<br />
verlängert sein kann (Larsen, 2010).<br />
2.3.5 Leber<br />
Abnahme der Leberfunktion und der Leberdurchblutung<br />
Verminderte hepatische Elimination<br />
(Larsen, 2010)<br />
Abnahme des Albumins und damit der Proteinbindung<br />
(Heck & Fresenius, 2010)<br />
Klinische Bedeutung<br />
Aufgrund der verminderten hepatischen Elimination von Medikamenten, kann deren<br />
Halbwertszeit verlängert. Es besteht ein geringerer Bedarf an Medikamenten<br />
(Larsen, 2010).<br />
Höherer Wirkspiegel, aufgrund freier und nicht gebundener Medikamente (Heck &<br />
Fresenius, 2010).<br />
2.3.6 Gehirn<br />
Reduktion der Gehirnmasse, Abnahme der Anzahl der Neuronen<br />
Verminderte autonome Reflexe<br />
(Müller & Zwissler, 2012)<br />
Erhöhte Empfindlichkeit des Gehirns auf Benzodiazepine und Opioide<br />
Die Anzahl der Opioidrezeptoren nimmt ab<br />
(Heck & Fresenius, 2010)<br />
Erhöhte Empfindlichkeit des Gehirns gegen<strong>über</strong> zentral wirkenden Pharmaka<br />
(Larsen, 2010)<br />
10
Klinische Bedeutung<br />
Trotz erhöhtem Katecholaminspiegel ist die Reizantwort durch das autonome<br />
Nervensystem innervierten Organe verlangsamt. Bsp. ist die autonome<br />
Reflexantwort für die Aufrechterhaltung des kardiovaskulären Gleichgewichts durch<br />
die Barorezeptoren abgeschwächt (Müller & Zwissler, 2012).<br />
Infolge der erhöhten Empfindlichkeit des Gehirn und der verminderten Anzahl der<br />
Opioidrezeptoren kann es <strong>bei</strong> normaler Dosierung von Opioiden zu länger<br />
anhaltenden Atemdepression führen (Heck & Fresenius, 2010).<br />
Das Gehirn reagiert empfindlicher auf zentral wirkende Pharmaka, was die minimale<br />
alveoläre Konzentration (MAC) von Inhalationsanästhetika altersbedingt vermindert<br />
(Larsen, 2010).<br />
2.4 Pharmakologie<br />
2.4.1 Pharmakokinetik und Pharmakodynamik im Alter<br />
Pharmakokinetik: «What the body does to the drug.»<br />
Die Pharmakokinetik von Medikamenten wird im Alter von folgenden Faktoren<br />
beeinflusst:<br />
‣ Veränderungen der Körperkompartimente<br />
‣ Geringere Plasmaproteinbindung<br />
‣ Verminderung der Nierenfunktion und der Leberfunktion<br />
Im Alter nehmen das Gesamtkörperwasser und die Muskelmasse ab, während das<br />
Fettgewebe zunimmt. Mit den Veränderungen der Körperkompartimente ändert sich<br />
daher auch das Verteilungsvolumen, die Verteilung von Medikamenten und deren<br />
Eliminationshalbwertszeit. Der Verteilungsraum für die hydrophilen Medikamente ist<br />
wegen der Abnahme des Gesamtkörperwassers vermindert (Larsen, 2010). So kann<br />
es <strong>bei</strong> gleicher Dosierung zu einer verstärkten Wirkung hydrophiler Medikamente<br />
kommen. Wegen des verringerten Verteilungsraums entsteht daher <strong>bei</strong> gleicher<br />
Dosis eine höhere Plasmakonzentration (Herminghaus et al., 2012). Gleichermassen<br />
ist der Verteilungsraum für lipophile Medikamente (z. B. Propofol, Thiopental,<br />
Fentanyl) wegen der Zunahme des Fettgewebes erhöht (Larsen, 2010). Larsen<br />
(2012, S. 1125) schreibt: «Je grösser der Verteilungsraum, desto länger die<br />
Eliminationshalbwertszeit und umgekehrt.» Herminghaus et al. (2012) erwähnen,<br />
dass vor allem <strong>bei</strong> der kontinuierlichen Gabe die Elimination lipophiler Medikamente<br />
11
verlängert ist. Zudem ist die Serumalbuminkonzentration erniedrigt, sodass die<br />
Plasmaeiweissbindung von Medikamenten vermindert ist. Folglich hat es mehr freie<br />
Medikamentenkonzentration im Plasma, die eine verstärkte Wirkung verursachen<br />
kann (Larsen, 2010).<br />
Pharmakodynamik: «What the drug does to the body.»<br />
Nach Larsen (2010) ist die Pharmakodynamik im Alter vergleichbar mit jener von<br />
Jüngeren. Die Bindung von Medikamenten an den Rezeptoren und deren Wirkung ist<br />
ähnlich. Jedoch kommt es altersbedingt zu einer Abnahme der Anzahl an<br />
Rezeptoren, sodass manche Medikamente niedriger dosiert werden müssen. Auch<br />
Herminghaus et al. (2012) erwähnen, dass die Wirkung eines Medikaments von der<br />
Konzentration, der Zahl an Rezeptoren und der Signal<strong>über</strong>tragung abhängig ist.<br />
Ältere <strong>Pat</strong>ienten reagieren daher sehr variabel auf Medikamente. Je nachdem kann<br />
die Empfindlichkeit gegen<strong>über</strong> Medikamentenwirkung erhöht oder erniedrigt sein. So<br />
reagieren ältere <strong>Pat</strong>ienten aufgrund von Veränderungen an den Rezeptoren<br />
empfindlicher auf Benzodiazepine und Opioide – folglich kann es <strong>bei</strong> normalen<br />
Dosierung zu länger anhaltenden Atemdepression führen. Hingegen ist die<br />
Empfindlichkeit auf Katecholamine wegen der verringerten Beta-Rezeptoren-Zahl<br />
vermindert– d.h. <strong>bei</strong> Verabreichung von Katecholaminen resultiert ein geringerer<br />
Effekt (Herminghaus et al., 2012).<br />
Müller & Zwissler (2012) weisen darauf hin, dass nur wenige Daten zur veränderten<br />
Pharmakodynamik im Alter vorliegen und dass sich die pharmakokinetischen und<br />
pharmakodynamischen Veränderungen klinisch nur schwer voneinander abgrenzen<br />
lassen.<br />
Klinische Bedeutung<br />
Infolge der pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Veränderungen<br />
müssen viele Medikamente niedriger und vorsichtiger verabreicht werden um die<br />
gewünschte Wirkung zu erreichen.<br />
12
2.4.2 Wie verändert sich die Pharmakokinetik und Pharmakodynamik <strong>bei</strong><br />
Fentanyl, Propofol und Sevofluran im Alter?<br />
Fentanyl<br />
Die Opioiddosis kann im Alter reduziert werden. Da die Opioide lipophile<br />
Eigenschaften besitzen und im Alter der Verteilungsraum für lipophile Medikamente<br />
vergrössert ist, ist die Eliminationshalbwertszeit somit verlängert. Die Halbwertszeit<br />
von Fentanyl kann <strong>bei</strong> einem älteren <strong>Pat</strong>ienten mit 945 Min. um das Vierfache<br />
verlängert sein als <strong>bei</strong> jüngeren <strong>Pat</strong>ienten (Müller & Zwissler, 2012). Graf et al.<br />
(2010) empfehlen, die perioperative Dosis der Medikamente <strong>bei</strong> älteren <strong>Pat</strong>ienten um<br />
50% im Vergleich zur empfohlenen Dosis <strong>bei</strong> jüngeren <strong>Pat</strong>ienten zu reduzieren. Auch<br />
der verlangsamte Abbau und die Ausscheidung von Opioiden und die verminderte<br />
Plasmaeiweissbindung im Alter führen zu einer verstärkten und verlängerten<br />
Wirkung. Ausserdem weisen Müller & Zwissler (2012) darauf hin, dass in der<br />
Literatur als Ursache für die verlängerte Wirkung auch pharmakodynamische<br />
Veränderungen beschrieben werden. So wird als Ursache die erhöhte<br />
Empfindlichkeit der Opioidrezeptoren erwähnt. Die erhöhte Empfindlichkeit des<br />
Gehirns gegen<strong>über</strong> den Opioiden hat einen wesentlichen Einfluss auf die verlängerte<br />
und verstärkte Wirkung von Fentanyl im Alter (Herminghaus et al. (2012); Graf et al.<br />
(2010).<br />
Klinische Bedeutung<br />
Die älteren <strong>Pat</strong>ienten reagieren empfindlicher auf Fentanyl, daher soll die Dosis<br />
reduziert werden. In der Literatur wird jedoch kein Dosierungsschema im höheren<br />
Alter beschrieben. Mein Fazit ist, die Opioide daher reduziert anzuwenden, vor allem<br />
aber vorsichtig und langsam nach klinischer Wirkung zu titrieren. Wichtig ist, dass<br />
eine erhebliche individuelle Variabilität bestehen kann! Die benötigte Dosis kann von<br />
Mensch zu Mensch variieren. Die Dosierungen sollten nicht nur nach Schema,<br />
sondern vielmehr nach klinischer Wirkung und Nebenwirkung verabreicht werden.<br />
Sevofluran<br />
In der deutschen Literatur konnte ich nur Informationen zu Inhalationsanästhetika im<br />
Allgemeinen finden. Leider wird nicht spezifisch auf die pharmakologischen<br />
Auswirkungen von Sevofluran eingegangen. Deswegen beziehe ich mich ganz<br />
allgemein auf Inhalationsanästhetika.<br />
13
Im Alter ist der MAC- Wert für die volatilen Anästhetika je nach Literatur um bis zu<br />
20- 30% reduziert. Die Dosis der volatilen Anästhetika ist stark altersabhängig. Die<br />
höchsten Werte erreicht man im ersten Lebensjahr und die niedrigsten <strong>bei</strong><br />
Frühgeborenen und mit zunehmenden Alter. Nach Graf et al. (2010) gilt als<br />
Faustregel, dass sich pro Lebensdekade die Konzentration um 6% reduziert. Die<br />
altersbedingten Veränderungen des MAC-Wertes basieren den Vermutungen nach<br />
auf der erhöhten Empfindlichkeit des Gehirns auf Inhalationsanästhetika (Graf et al.,<br />
2010). In der Abb. 4 werden die Veränderungen des MAC-Wertes von Sevofluran,<br />
Desfluran und Isofluran im Alter von 45, 75 und 90 Jahren dargestellt. Herminghaus<br />
et al. (2012, S.3<strong>65</strong>) erklären zu der Abb. 4; „wenn man die minimal alveoläre<br />
Konzentration eines beliebigen volatilen Inhalationsänasthetikums <strong>bei</strong> einem 40-<br />
Jährigen als 100% definiert, dann sinkt der MAC- Wert mit zunehmenden Alter um<br />
ca. 0,6% pro Lebensjahr“. Das heisst, dass mit zunehmendem Alter eine geringere<br />
Konzentration des Inhalationsanästhetikums benötigt wird, um einen<br />
Bewusstseinsverlust zu erzeugen. So benötigt ein 75-jähriger <strong>Pat</strong>ient gemäss der<br />
Abb. 4 einen MAC-Wert von 1,5% endtidal (Herminghaus et al., 2012). Des Weiteren<br />
empfehlen Herminghaus et al. (2012) die Überwachung mit BIS-Monitor, um die<br />
Anästhetika nach dem EEG- Effekt dosieren zu können und dadurch Awareness,<br />
Über- und Unterdosierungen zu vermeiden.<br />
Abb. 4. Quelle: Herminghaus, A., Löser, S. & Wilhelm, W. (2012). <strong>Anästhesie</strong> <strong>bei</strong> geriatrischen<br />
<strong>Pat</strong>ienten. Teil 2: Anästhetika, <strong>Pat</strong>ientenalter und <strong>Anästhesie</strong>führung. Anaesthesist, 61, S. 3<strong>65</strong>.<br />
14
Inhalationsanästhetika weisen eine günstige Pharmakokinetik <strong>bei</strong> älteren <strong>Pat</strong>ienten<br />
auf. So werden etwa Sevofluran und Desfluran wenig metabolisiert, haben eine<br />
schnelle Aufsättigung und eine schnelle Elimination aufgrund der geringen<br />
Blutlöslichkeit. Ausserdem wirken Inhalationsanästhetika kardioprotektiv (Kretz &<br />
Teufel, 2006). Wenn jedoch ein Rechts-links-Shunt (z. B. zunehmende<br />
Akteletasenbildung im Alter) vorliegt, kommt es zu einer verzögerten An- und<br />
Abflutungszeit der Inhalationsanästhetika. Gleichermassen werden die An- und<br />
Abflutungszeit durch die vergrösserte FRC im Alter verzögert. Die Steuerbarkeit der<br />
Konzentration der Inhalationsanästhetika wird schlechter. Auch die altersbedingte<br />
Abnahme des HZV und somit der Lungendurchblutung führt zu einer schnelleren<br />
Anflutung. Die Erklärung ist, dass der Partialdruckausgleich zwischen Alveolargas<br />
und inspiratorischem Gasgemisch schneller erfolgt (Graf et al., 2010). Nach Graf et<br />
al. (2010, S. 77) gilt: «Je niedriger das HZV, desto schneller steigt der alveoläre<br />
Partialdruck des Inhalationsanästhetikums.» Das heisst: <strong>bei</strong> einem niedrigen HZV<br />
aufgrund einer Herzinsuffizienz oder Hypovolämie nimmt die kardiodepressive und<br />
anästhesiologische Wirkung verstärkt und schneller zu, da die Einleitungszeit<br />
verkürzt ist.<br />
Klinische Bedeutung<br />
Um einen Bewusstseinsverlust zu erreichen, wird eine geringere<br />
Inhalationsanästhetikakonzentration benötigt, was zu geringeren hämodynamischen<br />
Nebenwirkungen führt. Der Dosisbedarf der Anästhetika kann von Mensch zu<br />
Mensch variieren, weshalb es laut Herminghaus et al. (2012) wichtig ist, dass sicher<br />
ein Bewusstseinsverlust vorliegt. Meine Empfehlung ist es deshalb, die Dosierung<br />
altersadaptiert zu vermindern und die Überwachung mit einem BIS- Monitor häufiger<br />
in Erwägung ziehen, um Über- und Unterdosierungen, wie auch Awareness zu<br />
vermeiden. In meinem Praxisalltag konnte ich bisher nicht die Beobachtung machen,<br />
dass die An- und Abflutungszeit der Inhalationsanästhetika verzögert oder dass<br />
sogar die Steuerbarkeit der Konzentration der Inhalationsanästhetika schlechter ist.<br />
Die Theorie scheint mir, wie auch bezüglich dem vermindertem HZV einleuchtend,<br />
weshalb ich in der Zukunft vermehrt während der Einleitungs- und Ausleitungsphase<br />
darauf achten werde. Zusammengefasst ist wichtig; Eine vorsichtige Dosierung und<br />
Titration der Anästhetika nach Klinik.<br />
15
Propofol<br />
Die Induktionsdosis von Propofol soll <strong>bei</strong> älteren Menschen auf 1,0–1,5 mg/kg<br />
reduziert werden, damit eine ausgeprägte kardiovaskuläre Depression vermieden<br />
wird (Barann, Linden, Witten et al., 2008 zitiert in Graf et al., 2010).<br />
Im Alter weist Propofol eine verstärkte Wirksamkeit hin. Aufgrund der altersbedingten<br />
erniedrigten Clearance und der Änderungen der Körperkompartimente kommt es zur<br />
Veränderung der Pharmakokinetik von Propofol. Bei älteren <strong>Pat</strong>ienten kann es <strong>bei</strong><br />
einer kontinuierlichen Infusionszufuhr zu einer um 20–30% höheren Propofol-<br />
Plasmaspiegel kommen. Um eine ähnliche Medikamentenwirkung wie <strong>bei</strong> einem 25-<br />
Jährigen <strong>Pat</strong>ienten zu erreichen, ist eine um 30–75% geringere Propofol-Dosis<br />
ausreichend (Schnider, Minto, Shafer et al., 1999 zitiert in Graf et al., 2010). Auch<br />
Herminghaus et al. (2012) erklären, dass <strong>bei</strong> einer totalen intravenösen <strong>Anästhesie</strong><br />
mit Propofol das Alter einen grösseren Einfluss auf die benötigte Propofol-Dosis hat<br />
als das Körpergewicht. Folglich ist <strong>bei</strong> einem 80-Jährigen für die Erhaltung einer<br />
bestimmten Propofol-Plasmakonzentration eine niedrigere Propofol-Infusionsdosis<br />
notwendig (vgl. Abb. 3).<br />
Abb. 3. Quelle: Herminghaus, A., Löser, S. & Wilhelm. (2012). <strong>Anästhesie</strong> <strong>bei</strong> geriatrischen<br />
<strong>Pat</strong>ienten. Teil 2: Anästhetika, <strong>Pat</strong>ientenalter und <strong>Anästhesie</strong>führung. Anaesthesist, 61, S. 366.<br />
Bei der kontinuierlichen Zufuhr von Propofol ist zu beachten, dass die<br />
kontextsensitive Halbwertszeit sowohl vom Alter als auch von der Infusionsdauer<br />
abhängig ist. Der Begriff kontextsensitive Halbwertzeit wurde entwickelt, um das<br />
Verhalten eines Pharmakons nach kontinuierlicher Infusion zu beschreiben. Die<br />
Definition lautet: „Die kontextsensitive Halbwertzeit eines Pharmakons ist die Zeit,<br />
16
innerhalb deren die Plasmakonzentration der Substanz nach Unterbrechung der<br />
kontinuierlichen Infusion um 50% abgefallen ist“ (Larsen, 2010, S.18). Sie beruht auf<br />
der Verteilung und Metabolismus eines Pharmakons. Da die kontextsensitive<br />
Halbwertzeit <strong>bei</strong> älteren <strong>Pat</strong>ienten erhöht ist, muss <strong>bei</strong> der Propofol-<strong>Anästhesie</strong> mit<br />
langen Aufwachzeiten gerechnet werden. Besonders nach langer <strong>Anästhesie</strong>dauer<br />
kann es zu verzögertem Erwachen kommen. Herminghaus et al. (2012) empfehlen<br />
die Propofol-Infusionsrate gegen Ende der Operation zu reduzieren. Die<br />
Überwachung mit BIS-Monitoren wird empfohlen, um Propofol nach dem EEG-Effekt<br />
dosieren zu können. Ausserdem verringert Propofol allein oder in Kombination mit<br />
Fentanyl die bereits verminderte Baroreflexantwort zusätzlich und kann somit<br />
zusammen mit der im Alter eingeschränkten kardialen Reserve eine ausgeprägte<br />
Hypotension verursachen (Müller & Zwissler, 2012).<br />
Graf et al. (2010) verweisen für die kontinuierliche Zufuhr von Propofol auf das<br />
Target controlled Infusions- Modell (TCI). Die altersspezifischen Besonderheiten der<br />
Pharmakokinetik werden ausgenutzt, um in Abhängigkeit von Alter und<br />
Körpergewicht die Infusionsrate zu bestimmen. In einer Untersuchung an <strong>über</strong> 80-<br />
jährigen <strong>Pat</strong>ienten mit einer Hüftoperation konnte im Vergleich zwischen der Gruppebalancierte<br />
<strong>Anästhesie</strong> und der Gruppe Propofol- TCI eine vergleichbare<br />
hämodynamische Stabilität festgestellt werden. Hingegen <strong>bei</strong> der Gruppe manuell<br />
gesteuerten Propofol- <strong>Anästhesie</strong> mussten oft die Medikamentendosierungen<br />
korrigiert werden, da häufiger Hypotensionen auftraten (Passot et al., 2005 zitiert in<br />
Benzing & Loop, 2009). Passot et al. (2005) empfehlen ebenfalls wie schon Schnider<br />
et al. (1999) das TCI-Modell für die Aufrechterhaltung der Propofol-<strong>Anästhesie</strong>. Auch<br />
im <strong>Universitätsspital</strong> <strong>Basel</strong> (USB) wird ebenfalls TCI angewendet. Die Applikation<br />
erfolgt nach dem Schnider- Modell. Geschlecht, Alter, Körpergewicht und<br />
Körpergrösse des <strong>Pat</strong>ienten werden berücksichtigt. Die Infusionsrate wird durch die<br />
TCI- Pumpe so gesteuert, dass die vom Anwender gewünschte Zielkonzentration im<br />
Gehirn erreicht wird. Zur Überwachung der <strong>Anästhesie</strong>tiefe und Steuerung der<br />
Zielkonzentration wird das BIS- Monitor verwendet. Im USB gibt es im<br />
Operationsbereich West ein Schema zur Anwendung von TCI, dass auch an<br />
<strong>Pat</strong>ienten <strong>über</strong> <strong>65</strong> Jahre angepasst ist. TCI wird dort <strong>bei</strong> allen <strong>Pat</strong>ienten durchgeführt<br />
unabhängig von der Fachdisziplin. Im Operationsbereich Ost erfolgt die Applikation<br />
per TCI anhand der Erfahrung von der <strong>Anästhesie</strong>pflegefachperson. Dort wird TCI<br />
hauptsächlich für Thorax- und Neurochirurgische Eingriffe angewendet.<br />
17
Klinische Bedeutung<br />
Durch die pharmakologischen Veränderungen im Alter weist Propofol eine verstärkte<br />
Wirkung auf. Die Eliminationshalbwertszeit ist aufgrund der verminderten Clearance<br />
verlängert und die Dosis reduziert. Auch hier ist wichtig zu erwähnen, dass die Dosis<br />
von Mensch zu Mensch variieren kann. Deshalb ist eine reduzierte und vorsichtige<br />
Dosierung von Propofol nach Klinik von grosser Bedeutung. Ebenfalls verweise ich<br />
für die Aufrechterhaltung einer <strong>Anästhesie</strong> mit Propofol auf das TCI-Modell. Zur<br />
Überwachung der <strong>Anästhesie</strong>tiefe und Steuerung der Zielkonzentration soll das BIS-<br />
Monitor verwendet werden. Auch muss <strong>bei</strong> der Propofol-<strong>Anästhesie</strong> mit längerem<br />
Aufwachzeiten gerechnet werden, da die kontextsensitive Halbwertszeit von Propofol<br />
<strong>bei</strong> älteren <strong>Pat</strong>ienten erhöht ist. Es ist sinnvoll die Infusionsrate Propofol gegen Ende<br />
der Operation zu reduzieren.<br />
2.5 Anästhesiologisches Vorgehen<br />
Ich stellte mir oft die Fragen: «Welches Verfahren der Allgemeinanästhesie – eine<br />
totale intravenöse <strong>Anästhesie</strong> (TIVA) oder eine balancierte <strong>Anästhesie</strong> – ist <strong>bei</strong><br />
älteren <strong>Pat</strong>ienten besser geeignet?» und «Mit welcher <strong>Anästhesie</strong>führung erreiche<br />
ich eine bessere hämodynamische Stabilität?»<br />
Die Literatur ist sich bezüglich dieser Fragen einig. Es gibt keine ideale <strong>Anästhesie</strong><br />
für ältere <strong>Pat</strong>ienten. Bis zum heutigen Zeitpunkt konnte nicht eindeutig geklärt<br />
werden, ob eine bestimmte Art der Allgemeinanästhesie besser ist als die andere.<br />
Die Literatur empfiehlt das Verfahren anzuwenden, welches der Anästhesist am<br />
besten beherrscht. Wichtig ist es, eine individuelle, dem <strong>Pat</strong>ienten angepasste<br />
<strong>Anästhesie</strong>-Technik auszuwählen.<br />
Nach Benzing & Loop (2009) steht wahrscheinlich weniger der Vorteil einer<br />
intravenösen gegen<strong>über</strong> einer volatilen <strong>Anästhesie</strong> im Vordergrund, sondern<br />
vielmehr eine sorgfältige präoperative Einschätzung der Organfunktion. Des weiteren<br />
verweisen Herminghaus et al. (2012, S. 171) auf die Ergebnisse der «Perioperative<br />
Ischemic Evaluation (POISE) Study», die gezeigt hat «dass eine intra- und<br />
postoperative Hypotonie (systolischer Blutdruck
es intraoperativ zu einer länger dauernden Hypotonie kommt» (Bijker et al., 2009<br />
zitiert in Herminghaus et al., 2012, S. 171).<br />
Zusammenfassend habe ich mir für die <strong>Anästhesie</strong>führung folgendes<br />
herausgear<strong>bei</strong>tet: Es können alle <strong>Anästhesie</strong>verfahren angewendet werden, sowohl<br />
balancierte <strong>Anästhesie</strong> wie auch eine TIVA. Bei der Anwendung der TIVA sollte<br />
allerdings die Applikationsart TCI angewendet werden. Die Anästhetika sollen im<br />
Allgemeinen eher reduziert angewendet werden, weshalb zur Überwachung der<br />
<strong>Anästhesie</strong>tiefe und Steuerung der Anästhetika das BIS- Monitor zu empfehlen ist.<br />
Wichtig ist jedoch, dass eine erhebliche interindividuelle Variabilität bestehen kann!<br />
Der Dosisbedarf variiert von Mensch zu Mensch, weshalb Medikamente reduziert,<br />
langsam und nach klinischer Wirkung und Nebenwirkung verabreicht werden sollen.<br />
Ebenfalls verweise ich auf die Empfehlungen für das perioperative<br />
anästhesiologische Management <strong>bei</strong> geriatrischen <strong>Pat</strong>ienten von Bijker, Klei, Kappen<br />
et al. (2007): Eine grosszügige Indikationsstellung für ein erweitertes Monitoring zur<br />
engmaschigen hämodynamischen Überwachung: zum Beispiel arterielle<br />
Druckmessung oder Anlage eines zentralen Venenkatheters – vor allem, wenn eine<br />
Operation in Bauchlage geplant ist, eine antihypertensive Multimedikation oder eine<br />
Herzrhythmusstörung vorliegt. Es sollte eine Normovolämie zur Stabilisierung des<br />
Blutdrucks angestrebt werden. Hypervolämie jedoch vermeiden! Meist wird ein<br />
vermehrter Einsatz von Katecholaminen erforderlich, z. B. Noradrenalin. Der<br />
Zielblutdruckwert ist der Ausgangswert auf der Station. Systolischer Blutdruck
3. Schlussteil<br />
3.1 Fazit<br />
Aufgrund der Bevölkerungsentwicklung wird sich der Anteil an älteren Menschen in<br />
den nächsten Jahren erhöhen. Dies wird zu einer Zunahme an älteren <strong>Pat</strong>ienten in<br />
der operativen Medizin führen. Deswegen sind die Kenntnisse <strong>über</strong> die<br />
physiologischen und pharmakologischen Veränderungen für ein optimales<br />
<strong>Anästhesie</strong>management von grosser Wichtigkeit.<br />
Mit zunehmendem Alter kommt es zu physiologischen Veränderungen in fast allen<br />
Organsystemen. Diese Veränderungen können sich individuell sehr unterscheiden.<br />
Denn nicht alle Menschen sind in gleich guter körperlicher Verfassung. Ältere<br />
Menschen sind aufgrund ihrer verminderten kardialen Kompensationsmechanismen<br />
empfindlicher auf Hypovolämien und Hypervolämien. Ebenso ist die<br />
Anpassungsfähigkeit des Herzens an die perioperativen hämodynamischen<br />
Belastungen wie Hypertonie und Hypotonie eingeschränkt. Auch reagieren ältere<br />
Menschen viel sensibler auf Veränderungen der Homöostase. Schon geringe<br />
Störungen können vielfältige Probleme verursachen. Deshalb ist es wichtig,<br />
intraoperativ auf eine hämodynamische Stabilität zu achten. Viele Autoren empfehlen<br />
ein grosszügig erweitertes Monitoring für engmaschige Überwachung und<br />
Stabilisierung. Genauso wird die Pharmakologie durch die altersbedingten<br />
physiologischen Veränderungen beeinträchtigt. Die älteren <strong>Pat</strong>ienten reagieren viel<br />
empfindlicher auf Anästhetika. Im Alter kann es durch die veränderte Empfindlichkeit,<br />
durch eine verminderte Nieren- und Leberfunktion und die geänderten<br />
Verteilungsräume zu verstärkter Wirkung und verlängerter Wirkdauer kommen.<br />
Daraus resultiert oft ein geringerer Dosierungsbedarf. Da jedoch der Dosisbedarf von<br />
Mensch zu Mensch variieren kann, wird in der Literatur kein starres<br />
Dosierungsschema vorgegeben und ist auch aus meiner Sicht nicht sinnvoll.<br />
Bezüglich der Wahl eines <strong>Anästhesie</strong>verfahrens ist sich die Literatur einig. Es gibt<br />
keine ideale <strong>Anästhesie</strong> <strong>bei</strong> älteren <strong>Pat</strong>ienten. Es wird empfohlen, die <strong>Anästhesie</strong><br />
anzuwenden, die vom <strong>Anästhesie</strong>personal am Besten beherrscht wird. Es kann<br />
sowohl eine TIVA wie auch eine balancierte <strong>Anästhesie</strong> angewandt werden. Wichtig<br />
ist es, eine individuelle <strong>Anästhesie</strong>technik auszuwählen und da<strong>bei</strong> den reduzierten<br />
Dosisbedarf beachten. Jedoch besteht auch hier eine erhebliche interindividuelle<br />
Variabilität. Die balancierte <strong>Anästhesie</strong> wirkt weniger Kreislaufdepressiv. Bei der<br />
20
Anwendung einer TIVA mit Propofol wird die Benutzung des TCI-Modells empfohlen,<br />
da das Alter einen grösseren Einfluss auf die benötigte Propofoldosis hat als das<br />
Körpergewicht. Ebenfalls empfehlen die Autoren die Überwachung mit BIS-Monitor,<br />
um die Anästhetika nach dem EEG- Effekt dosieren zu können und dadurch Überund<br />
Unterdosierungen und Awareness zu vermeiden. Das Ziel ist auch ein<br />
schnelleres Aufwachen und eine raschere Erholung von einer <strong>Anästhesie</strong>.<br />
Nach dem Studium der Fachliteratur ist mein Fazit, dass alle <strong>Anästhesie</strong>verfahren<br />
angewendet werden können, sowohl balancierte <strong>Anästhesie</strong> wie auch eine TIVA. Bei<br />
der Anwendung einer TIVA werde ich häufiger die Applikationsart TCI in Erwägung<br />
ziehen. Im USB wird dies nur in definierten Fachbereichen durchgeführt. In der<br />
Zukunft werde ich versuchen <strong>bei</strong> einer TIVA vermehrt mit TCI zu ar<strong>bei</strong>ten, vorallem<br />
aber <strong>bei</strong> älteren <strong>Pat</strong>ienten mit einer langen und grossen Operation und <strong>bei</strong> den<br />
<strong>Pat</strong>ienten die aufgrund ihrer Erkrankung/ Komorbidität ein erhöhtes perioperatives<br />
Risiko aufweisen. Ebenfalls werde ich häufiger zur Überwachung der <strong>Anästhesie</strong>tiefe<br />
und Steuerung der Anästhetika das BIS- Monitor verwenden. Des Weiteren werde<br />
ich Anästhetika reduziert, langsam und nach klinischer Wirkung und<br />
Nebenwirkungen dosieren. Mit diesem Leitsatz ist die Anwendung der Anästhetika<br />
beschrieben, deswegen kam es auch immer wieder in meiner Diplomar<strong>bei</strong>t vor.<br />
Wichtig ist noch, obwohl die Anästhetika reduziert angewendet werden sollen, kann<br />
eine erhebliche interindividuelle Variabilität bestehen. Also kann der Dosisbedarf von<br />
Mensch zu Mensch variieren, deswegen sollen die Dosierungen nach klinischer<br />
Wirkung und Nebenwirkung verabreicht werden. Zudem habe ich für mich folgenden<br />
Konsequenzen für die <strong>Anästhesie</strong>führung abgeleitet:<br />
‣ Vorsichtiges Volumenmanagement, Hypo- und Hypervolämie vermeiden<br />
‣ Hypotonie, systolisch
3.2 Reflexion<br />
Das Thema <strong>Anästhesie</strong> und Alter ist ein sehr interessantes und grosses Thema. Am<br />
Anfang hatte ich Schwierigkeiten, die Thematik einzugrenzen. Durch die vertiefte<br />
Auseinandersetzung mit der Materie konnte ich feststellen, dass jede meiner<br />
Fragestellungen eine ganze Diplomar<strong>bei</strong>t umfassen könnte. Darum fiel es mir<br />
schwer, aus solch einem grossen Thema das Wichtigste herauszufiltern. Denn alle<br />
Teilgebiete – ob prä-, intra- oder postoperativ – geben wichtige Hinweise für ein<br />
optimales <strong>Anästhesie</strong>management. Ausserdem hatte ich eine grosse Auswahl an<br />
Literatur – vor allem aber englische Literatur. Ich habe sehr viel Zeit investiert, um<br />
diese Texte zu <strong>über</strong>setzen, bis ich festgestellt habe, dass ich mir nicht sicher war, ob<br />
ich auch den Sinn dieser Fachartikel richtig verstanden habe. Deshalb wäre es sehr<br />
interessant, sich in einer anderen Diplomar<strong>bei</strong>t mit der englische Literatur zum<br />
Thema „<strong>Anästhesie</strong> und geriatrischer <strong>Pat</strong>ient“ zu befassen und neue Erkenntnisse<br />
auszuar<strong>bei</strong>ten. Obwohl dieses Thema sehr aktuell ist, ist mir aufgefallen, dass nur<br />
wenig Fachliteratur zum Thema „<strong>Anästhesie</strong>management <strong>bei</strong> geriatrischen<br />
<strong>Pat</strong>ienten“ vorhanden ist. Es sind weitere Forschungen zum Thema Alter nötig, den<br />
das <strong>Anästhesie</strong>team wird in der Zukunft vermehrt mit der perioperativen Betreuung<br />
älterer <strong>Pat</strong>ienten konfrontiert. Ich finde es ist wichtig, dass in der Zukunft vermehrt<br />
auf diesem Themengebiet geforscht wird, um neue Erkenntnisse für die Best<br />
Practise zu erreichen.<br />
Ich konnte dank der Diplomar<strong>bei</strong>t mein Wissen zum Thema <strong>Anästhesie</strong> und Alter<br />
vertiefen und neue Kenntnisse gewinnen, welche mir im Praxisalltag sehr hilfreich<br />
sind. Ebenso erlangte ich dadurch mehr Sicherheit. Ich konnte auch mein Ziel –<br />
einen Transfer in die Praxis – erreichen, welcher für mich sehr wichtig war. Ich<br />
konnte mir einige wichtige Konsequenzen für die <strong>Anästhesie</strong>führung daraus ableiten.<br />
Diese Konsequenzen und mein persönliches Fazit habe ich in der Schlussfolgerung<br />
beschrieben.<br />
Rückblickend auf meine Fragestellung konnte ich alle Fragen weitgehend<br />
beantworten. Ich konnte mit Hilfe der zwei ersten Fragestellungen mein Fachwissen<br />
zu Physiologie und Pharmakologie im Alter erweitern und so ein besseres<br />
Verständnis dafür entwickeln, wieso die älteren <strong>Pat</strong>ienten empfindlicher auf<br />
Anästhetika reagieren und weshalb es oft zu intraoperativen Blutdruckschwankungen<br />
kommt. Auch bezüglich der Anwendung der Anästhetika konnte ich mir einen<br />
22
Leitsatz erar<strong>bei</strong>ten. Diesen Leitsatz; Anästhetika reduziert, langsam und nach<br />
klinischer Wirkung und Nebenwirkungen dosieren, konnte ich in meinem Praxisalltag<br />
oft beobachten. Jedoch fehlte mir damals das Fachwissen dar<strong>über</strong>. Die letzte<br />
Fragestellung konnte ich ebenfalls durch die vertiefte Literaturbear<strong>bei</strong>tung<br />
beantworten. Jedoch kam ich nicht zum dem Ergebnis, welches ich mir erhoffte,<br />
denn es gibt momentan keine Empfehlung zur Best Practice. Gemäss der Literatur<br />
können alle <strong>Anästhesie</strong>verfahren angewendet werden. Die Anästhetika sollen in<br />
reduzierter Dosis angewendet werden. Nur <strong>bei</strong> einer TIVA wird die Applikationsart<br />
TCI empfohlen. Hier konnte ich im USB unterschiedliche Handhabungen zur<br />
<strong>Anästhesie</strong>führung beobachten. Ich werde in der Zukunft <strong>bei</strong> einer TIVA vermehrt die<br />
Applikationsart TCI in Erwägung ziehen. Auch erhoffe ich mir, dass in der Zukunft<br />
TCI nicht fachspezifisch sondern nach <strong>Pat</strong>ientenbedürfnissen angewendet wird.<br />
Ausserdem ist es mir wichtig, von den Anästhesisten die sich vertieft mit dem Thema<br />
„<strong>Anästhesie</strong> und Alter“ auseinandergesetzt und dazu geforscht haben, weiter zu<br />
profitieren und somit ein möglichst optimales <strong>Pat</strong>ientenmanagement gewährleisten<br />
zu können.<br />
Ein zusätzlicher Lerneffekt entstand zudem durch die Auseinandersetzung mit<br />
wissenschaftlichen Texten. Ausserdem lernte ich, gezielt nach Studien zu suchen,<br />
was mir in Zukunft <strong>bei</strong> weiteren Recherchen hilfreich sein wird.<br />
23
4. Quellenverzeichnis<br />
Benzing, A. & Loop, T. (2009). <strong>Anästhesie</strong>verfahren <strong>bei</strong>m alten Menschen. In:<br />
<strong>Anästhesie</strong> <strong>65</strong> plus. <strong>Pat</strong>ientensicherheit erhöhen – perioperative Komplikationen<br />
verringern. Köln: Deutscher Ärzte-Verlag GmbH.<br />
Gonano, C., Kettner, S.C., Seibt, F.A. & Zimpfer, M. (2001). Der geriatrische <strong>Pat</strong>ient<br />
aus chirurgischer Sicht – Perioperative Aspekte. Acta Chirurgica Austriaca, 33(5),<br />
218-222.<br />
Graf, B.M., Sinner, B. & Zink, W. (2010). <strong>Anästhesie</strong> <strong>bei</strong> alten Menschen. Stuttgart:<br />
Georg Thieme.<br />
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20.04.2013 auf<br />
http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/01/01/pan.html]<br />
4.1 Abbildungsverzeichnis<br />
Titelbild: Wikipedia. (2013). Alter. [Zugriff 12.05.2013 auf<br />
http://de.wikipedia.org/wiki/Alter]
5. Anhang<br />
5.1 Selbständigkeitserklärung<br />
Ich erkläre hiermit, dass ich diese Ar<strong>bei</strong>t selbständig durchgeführt, keine anderen als<br />
die angegebenen Quellen, Hilfsmittel oder Hilfspersonen <strong>bei</strong>gezogen und keine<br />
fremden Texte als eigene ausgegeben habe. Alle Textstellen in der Ar<strong>bei</strong>t, die<br />
wörtlich oder sinngemäss aus Quellen entnommen wurden, habe ich als solche<br />
gekennzeichnet.<br />
<strong>Basel</strong>, den 25. Juni 2013<br />
Andrea Ignjatic
5.2 Grafik zu anästhesierten <strong>Pat</strong>ienten der Jahre 2007 bis 2011 im<br />
<strong>Universitätsspital</strong> <strong>Basel</strong>