Earnest & Algernon: Geheimsache
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<strong>Geheimsache</strong>
E<br />
A
GEHEIMSACHE
INHALT<br />
6<br />
Editoral<br />
Elisabeth Helena<br />
Jacobs-Jahrreiß &<br />
Christian Jacobs<br />
8<br />
Was ist heute noch<br />
subversiv?<br />
Robert Misik<br />
14<br />
Der subversive Doppeltitel<br />
Konstantin Adamopoulos<br />
23<br />
Wer durch mein Leben will<br />
muss durch mein Zimmer<br />
Odilo Weber<br />
30<br />
Campaigning for Change<br />
Subversive Aktion<br />
Andreas Graf von<br />
Bernstorff<br />
38<br />
Prometheische Projekte<br />
Ein Gespräch mit dem<br />
Philosophen<br />
Armen Avanessian<br />
Ludwig Engel<br />
45<br />
Figuration<br />
Ayzit Bostan<br />
62<br />
25 Jahre Friedliche<br />
Revolution<br />
Die subversive Kraft der<br />
Menschenrechte<br />
Roland Jahn<br />
66<br />
Subversive Reproduction<br />
A new approach to teach and<br />
learn entrepreneurship<br />
Sylvain Bureau &<br />
Pierre Tectin<br />
74<br />
Jenseits von Subversion<br />
und Sozialdarwinismus<br />
Für eine neue Bewegung der<br />
Befreiung (von) der Arbeit<br />
Michael Hirsch<br />
81<br />
Leipzig!<br />
Mischa Kuball<br />
106<br />
Strategische Subversion:<br />
Wofür? – Wogegen?<br />
Franz Liebl<br />
112<br />
Hollywoodschaukel oder<br />
der Garten des Anderen<br />
Hans-Georg Wegner<br />
114<br />
Subversion ist ein Fluidum<br />
Nina Gühlstorff<br />
118<br />
Performance as technology<br />
of other-worlding<br />
a conversation with<br />
Alexander Baczyński-Jenkins<br />
Kina Deimel<br />
126<br />
Subversion ist auch nicht<br />
mehr das, was sie einmal war<br />
Wolfgang Müller<br />
134<br />
Autoporträt<br />
GeburtshelferIN Zensur –<br />
Warum ich nicht Verleger<br />
werden wollte und es<br />
dann doch geworden bin<br />
Christoph Links<br />
138<br />
Subversion als Keim<br />
für Innovation?<br />
Melanie Torney<br />
139<br />
Partizipation als subversive<br />
Kunstform<br />
Urbane Künste Ruhr und<br />
die Neudefinition von<br />
Kunst im urbanen Raum<br />
Katja Aßmann<br />
142<br />
<strong>Algernon</strong>’s Truth<br />
Ingo Arend<br />
144<br />
WAHNMOCHING<br />
Die Münchenseite<br />
146<br />
Horoskop<br />
Die astrologischen<br />
Konstellationen der<br />
kommenden Monate<br />
Alexander Graf von Schlieffen<br />
SpotlightS<br />
150<br />
154<br />
E&A goes out<br />
154<br />
Autoren & Künstler<br />
Impressum<br />
BUNBURY<br />
160<br />
162<br />
5
7<br />
THOUGHTS FOR THE DAY<br />
tor<br />
1863 Begeisterung<br />
im Londoner Underground. erste U-Bahn der Welt<br />
126 Jahre später friedlichen Revolution DDR. Gebete<br />
haben Staat erschüttert<br />
Kerzen in den Händen<br />
und dafür braucht ein Mensch beide Hände<br />
tragen und schützen .<br />
Subversive Strategien gestalten<br />
Wie kann der Mensch heute noch subversiv handeln?<br />
In österreichischen Schulen wird jetzt schon das Erstellen von „Spickzetteln“<br />
Widerständigkeit und Rebellischsein<br />
Produktivkräfte<br />
Entrepreneurship ist wahre Subversion in der<br />
Ökonomie<br />
<strong>Geheimsache</strong><br />
Ihre Ja Ja & Ja
ASiST<br />
heute<br />
n Ch<br />
subV<br />
rsiV?
T: Robert Misik<br />
9<br />
„Sei kreativ, mach’<br />
nicht mit, unterminiere das<br />
Hergebrachte.“<br />
Diese Forderung kann man heute schon in Stellenanzeigen<br />
lesen. Schlechte Zeiten für das Subversive.<br />
In seinem Film „Die fetten Jahre sind vorbei“<br />
lässt der österreichische Regisseur Hans Weingartner<br />
einen seiner Protagonisten sagen: „Was<br />
früher subversiv war, kannst du heute im Laden<br />
kaufen.“ Subversivität ist, so gesehen, eine große Selbsttäuschung.<br />
Das eigensinnige Subjekt glaubt, etwas Widerständiges<br />
zu tun, und tappt doch immer wieder nur in die<br />
Falle der Systemstabilisierung und Affirmation. Führe dem<br />
kapitalistischen System rebellische Energien zu – und es<br />
verwandelt sie in einen Trend, mit dem sich gute Geschäfte<br />
machen lassen. Widerstands-Communities werden in Lifestyle-Communities<br />
verwandelt, provokante Kunst in den<br />
dernier crie und das Nietenarmband der Punks gibt es<br />
vierzig Jahre später bei H&M zu kaufen. Und all das vollzieht<br />
sich in immer rasanterem Rhythmus. Jahrzehnte dauert<br />
es nicht mehr: Was heute die Subkultur rockt, ist in<br />
der nächsten Saison schon auf den Brettern der großen<br />
Staatstheater. Oder anders gesagt: Hochkultur ist die Subkultur<br />
von gestern, die erfolgreich geworden ist.<br />
All das gilt natürlich zunächst und vor allem<br />
für das Kraftfeld aus Konsumkultur, Kunst<br />
und Gegenkultur. Blicken wir einen Augenblick<br />
zurück, in eine Zeit, in der die Welt<br />
noch in Ordnung war, also ordentlich sortiert. Eine Welt,<br />
in der Konformismus und Nonkonformismus noch klar<br />
unterscheidbar waren.<br />
Gegen die Unfreiheit, die Konventionen,<br />
den gesellschaftlichen Druck von Spießertum<br />
und dem bloß Üblichen, dem<br />
bloßen „das macht man eben so“, dem<br />
„das gehört sich so“ rebellierten Bohémiens, Halbstarke,<br />
Hippies, Aussteiger, Punks. Man hat davon ein bestimmtes<br />
Bild im Kopf: das der uniformierten, formatierten<br />
Gesellschaft der Ähnlichen in ihren Reihenhäusern. Mama<br />
hat Lockenwickler auf dem Kopf, Papa ist sehr darauf<br />
bedacht, dass die Nachbarn nicht schief schauen, und<br />
alle haben die gleichen Gardinen vor den Fenstern. Dagegen<br />
war man. Und irgendwie verstanden sich alle diese<br />
Bewegungen und Subkulturen als links oder progressiv,<br />
und sei es nur halb bewusst. Die, die das bewusster taten,<br />
legten sich eine Theorie zurecht. Dass der Kapitalismus<br />
die Welt gleichförmig mache, dass er den Menschen ihre<br />
Kreativität und den Dingen ihre Authentizität austreibe.<br />
Dass also Hippies und Alternativkultur oder Gegenkultur<br />
so etwas wie Freiheitsrevolten und antikapitalistische<br />
Revolten zugleich seien. Diese Kritik hatte bestimmt für
<strong>Geheimsache</strong> #8<br />
10<br />
einige Phasen der gesellschaftlichen Entwicklung<br />
Wichtiges und Richtiges zu sagen, war<br />
zugleich aber immer auch ein kulturpessimistisches<br />
linkes Vorurteil, das deshalb paradoxe<br />
Trugschlüsse nach sich zog. Etwa den Glauben,<br />
mit dem Etablieren einer alternativen Gegenkultur<br />
würde den Homogenisierungstendenzen<br />
des Kapitalismus Widerstand geleistet – während<br />
in der Realität die Gegenkulturen von Hippies<br />
bis Punk dem Konsumkapitalismus nur<br />
neue Energien zuführten. Man fühlte sich dissident, war<br />
aber auch nur eine Marktnische und Zielgruppe. Deshalb<br />
ist, wie die kanadischen Autoren Joseph Heath und Andrew<br />
Potter schrieben, die gegenkulturelle Politik „in den letzten<br />
vierzig Jahren eine der wichtigsten Triebkräfte des<br />
Konsumkapitalismus gewesen“. Schließlich seien es die<br />
Nonkonformisten, nicht die Konformisten, „die an der<br />
Konsumschraube drehen“. Denn: „Wenn die Konsumenten<br />
bloß Konformisten wären, dann würden sie sich allesamt<br />
das Gleiche kaufen und damit glücklich und zufrieden<br />
sein.“ Es ist dieses Paradoxon, das den Philosophen Peter<br />
Sloterdijk zu dem Aperçu veranlasste: „Alle Wege der<br />
Achtundsechziger führen in den Supermarkt.“ Dass der<br />
Kapitalismus die Welt eintöniger mache, und im<br />
Umkehrschluss die kreativen Energien, die die Welt bunter<br />
machen, subversiv seien, ist ein sehr fragwürdiges<br />
Postulat, bestenfalls eine jener Überzeugungen, die wahr<br />
und falsch zugleich sind. Das ließe sich schon an der<br />
Basiseinheit des kapitalistischen Wirtschaftens ersehen,<br />
der Ware nämlich. Die lässt sich schließlich, wie wir alle<br />
wissen, dann am besten verkaufen, wenn sie sich von<br />
anderen Waren unterscheidet – und nicht, wenn sie allen<br />
anderen Waren gleicht. Selbst objektiv ununterscheidbare<br />
Waren müssen unterscheidbar gehalten werden, ein Imperativ,<br />
der Werbe- und Marketingagenturen und Branding-<br />
Experten ein schönes fixes Einkommen garantiert. Heute<br />
darf jeder sein Ding machen, ja, es wird sogar von ihm<br />
gefordert. Jeder darf anders sein als der andere, soll seinen<br />
persönlichen Stil entwickeln, der ihn von anderen<br />
unterscheidet und mit kleinen Peer-Groups ihm Ähnlicher<br />
im Gegenzug verbindet, zu sogenannten Lebensstil-<br />
Gemeinschaften, die auch nichts anderes sind als Marktnischen<br />
und Zielgruppen. So ist es heute wirklich schwierig<br />
geworden, unkonventionell zu sein, weil jeder doch<br />
auf seine Art unkonventionell ist. Das Freiheitsgefühl, das<br />
so entsteht, na, mit dem können mächtige ökonomische<br />
Gruppen prima leben.<br />
An den Orten, an denen auf raffiniertere<br />
Weise über „Systemkritik“ nachgedacht<br />
wird, ist deshalb schon vor einigen Jahren<br />
die Frage nach den Möglichkeiten<br />
von Subversion das große Thema geworden – auch wenn<br />
es im leise melancholischen, selbstreflexiv ironischen<br />
Ton besprochen wird. Je nach Anlass ist man entweder<br />
der Meinung Slavoj Žižeks, dass in der Postmoderne „der<br />
Exzess der Überschreitung seine Schockwirkung“ verliert<br />
und völlig integriert wird. Oder man ist der gegensätzlichen<br />
Meinung Slavoj Žižeks, dass es nämlich keineswegs<br />
so ist, „dass der Kapitalismus die endlose Fähigkeit<br />
besäße, alle Sonderwünsche zu integrieren und ihnen<br />
die subversive Spitze zu nehmen.“<br />
Aber wir wollen etwas systematischer<br />
an die Sache<br />
herangehen, nicht zuletzt<br />
deswegen, weil Subversion<br />
ja ein schillernder, überdeterminierter<br />
und deshalb auch unpräziser Begriff ist,<br />
der nur scheinbar immer dasselbe meint,<br />
aber doch in den unterschiedlichen Themenfeldern<br />
eine andere Bedeutung<br />
annimmt:<br />
Der Saboteur, der während eines Streiks in<br />
einem Telekommunikationsunternehmen<br />
die Leitungen lahmlegt, ist auf andere,<br />
offensichtlichere Weise subversiv als der<br />
Polit-Aktivist, der eine Straßenblockade organisiert. Dieser<br />
wiederum auf völlig andere Weise als der Theaterprovokateur,<br />
der das Bürgertum schockt oder der Punk, der sich<br />
eine Sicherheitsnadel durch die Wange rammt. Ist, wer eine<br />
theatralische Attac-Straßenaktion macht, schon subversiv?<br />
Ist es ein Hausbesetzer? Und was wird mit den Hausbesetzern,<br />
die subversive Kulturinstitutionen wie die Rote<br />
Flora in Hamburg etablieren? Was ist, wenn zwanzig Jahre<br />
später das Vibrierende der Gegenkultur wichtiger Bestandteil<br />
angesagter Stadtquartiere geworden ist? Was ist, wenn<br />
das große Andere der Kommerzkultur zum Element der<br />
kapitalistischen Immobilienentwicklung wird? Vereinfacht<br />
ausgedrückt: Wenn die Rebellion nur der erste Schritt in<br />
Richtung Gentrifizierung ist?<br />
Überhaupt: Ist irgendeine Art von<br />
unbestimmtem „Dagegensein“ schon<br />
subversiv?<br />
Zum Kernverständnis von Subversion gehört<br />
jedenfalls, dass man nicht nur innerhalb einer<br />
bestehenden Ordnung eine positive Alternative<br />
entwickeln will, oder der Ordnung den<br />
Rücken zukehrt und ihr ein „ich scheiß’ auf dich“ zuruft,<br />
sondern dass diese Ordnung als solche unterspült und<br />
untergraben werden soll. Subversion ist tatsächlich etwas<br />
anderes als bloße „Opposition“ oder sich „Verweigern“. Zu<br />
den Vorstellungsreihen, die das Wort Subversion evoziert,<br />
gehören Begriffe wie „Auflösung“ oder „Zersetzung“<br />
untrennbar dazu. Und das sind wohl nicht zufällig Begriffe,<br />
die der militärischen Terminologie entnommen sind.<br />
Die Begriffsgeschichte politischer Subversivität<br />
ist jedenfalls seit vielen Jahrzehnten<br />
schon geprägt von einem stetigen Abarbeiten<br />
an dem Umstand, dass, was wie<br />
Subversion erscheint, immer auch in neue Verhärtungen<br />
und Konformismen umschlagen kann. Vor hundert Jahren<br />
hätte man noch jeden Arbeiter, der sich in einer „proletarischen<br />
Organisation“ engagiert, als Subversiven bezeichnet.<br />
Der Gewerkschafter, der eine Gegenmacht im Betrieb<br />
aufbaut, der Aktivist, der sich in einer „proletarischen<br />
Kampfpartei“ engagiert, wäre wie selbstverständlich als<br />
Subversiver durchgegangen. Bloß erwies sich, dass alle<br />
diese Institutionen dazu neigen, ihre Mitglieder zu disziplinieren,<br />
dass die Organisationen, wenn sie an Bedeutung<br />
gewinnen, selbst zu Agenturen der Anpassung und des<br />
Kompromisses mit den Verhältnissen werden können. Dem-
Was ist heute noch subversiv?<br />
11<br />
gegenüber wurde ein Konzept „proletarischer Subversion“<br />
entwickelt, das sich gerade dadurch auszeichnen sollte,<br />
dass es den Eigensinn der Subjekte gegen die Homogenisierung<br />
des Apparates hochhielt. Dieser Sinn von „echter“<br />
Subversivität wurde von so unterschiedlichen Geistesströmungen<br />
wie den „Situationisten“ oder den italienischen<br />
Theoretikern der „Arbeiterautonomie“ betont.<br />
Viel Strahlkraft in die „Arbeiterklasse“ hinein<br />
hatten diese Theorien nicht (sieht man<br />
von wenigen historischen Augenblicken<br />
nach 1968 ff. ab), dafür umso mehr in<br />
die Theorie- und Kunst-Communities. An die waren diese<br />
Theorien auch besonders leicht anschlussfähig. Der<br />
„Schock“, der „andere Blick“ durch radikale Intervention<br />
und theatralische Protestformen, all das ist etwas, wofür<br />
die Kunst immer ein waches Sensorium hat. Der „Eigensinn“<br />
des widerständigen Subjektes ist etwas, was mit dem<br />
Idealtypus des Künstlersubjektes durchaus leicht in Übereinstimmung<br />
zu bringen ist – zumal in einer Epoche, die<br />
den Individualismus zu<br />
einem Element ihrer<br />
Leitideologie macht.<br />
Aber<br />
hier<br />
sind<br />
wir<br />
schon an dem Punkt,<br />
an dem der Kurzschluss<br />
vorprogrammiert<br />
ist: Denn was<br />
wird denn aus der<br />
Subversion, wenn<br />
eines ihrer Hauptmotive<br />
im breiten Strom<br />
des Zeitgeistes<br />
schwimmt? Wenn<br />
Autonomie als Individualismus<br />
selbst von<br />
den Hochglanzmagazinen<br />
propagiert<br />
wird? Wenn, was als andere alternative Lebensform<br />
erscheint, auch nicht viel anders ist als die allgemein als<br />
erstrebenswert betrachtete Lebensform der „individuellen<br />
Selbstverwirklichung“?<br />
Die Figur des originellen, provozierenden<br />
und rebellischen Künstlers, der sich vielleicht<br />
sogar aus der Gesellschaft, zumindest<br />
aber aus dem Mainstream absentiert,<br />
sich womöglich sogar aufopfert, ganz gewiss jedenfalls<br />
nicht von berechnendem<br />
Materialismus angetrieben<br />
ist, diese Figur als Idealtypus<br />
reicht ja schon seit dem<br />
19. Jahrhundert bis in unsere<br />
Gegenwart. Nur hat die<br />
Dichotomie, diese Figur der<br />
„konformistischen und spießbürgerlichen<br />
Bourgeoisie<br />
[entgegenzustellen], ausgedient“,<br />
wie das der französische<br />
Denker Pierre-Michel<br />
Menger formulierte. Fantasie, Kreativität, Improvisationskunst,<br />
ja, auch Anarchie, alles Charakteristika der Künstlerkompetenz,<br />
die man früher als Antipoden zum Krämergeist<br />
der Geschäftswelt betrachtet hätte, sind im<br />
neoliberalen Kapitalismus zu Tugenden geworden, die<br />
man vom kleinsten Angestellten und prekärsten Zuarbeiter<br />
erwartet. Schon vor zwanzig Jahren konnte man in<br />
Stellenanzeigen von Spezialmaschinenherstellern Sätze<br />
wie diese lesen: „Wir erwarten eine positive Unruhe in<br />
Form von neuen Gedanken und Wegen sowie Spaß an<br />
dieser mehr auf Kooperation angelegten Aufgabe“.<br />
In österreichischen Schulen wird heute bereits<br />
standardmäßig – und durchaus folgerichtig –<br />
die Erstellung und Benutzung von „Schummelzetteln“<br />
(Spickzetteln), gelehrt, also das Umgehen<br />
autoritärer Normen. Es ist längst bekannt, dass<br />
Widerständigkeit und Rebellischsein die größten Produktivkräfte<br />
überhaupt sind, da sie eigensinnige Individuen<br />
hervorbringen, die in der Lage sind, für jedes Problem eine<br />
Lösung zu finden. Und<br />
gerade solche Individuen<br />
braucht man in<br />
Unternehmen mit flachen<br />
Hierarchien, in<br />
denen Beschäftigte<br />
nicht nur acht Stunden<br />
täglich ihre bloße<br />
Arbeitskraft investieren,<br />
sondern all ihren<br />
Grips, ihre Emotionen,<br />
ihre Leidenschaft und<br />
Kreativität.Heißt<br />
das,<br />
dass<br />
Subversion<br />
heute überhaupt<br />
nicht mehr<br />
möglich ist? Nein,<br />
nicht unbedingt.<br />
Ohnehin gilt das oben Gesagte nur für den paradoxen<br />
Raum der entwickelten kapitalistischen Staaten des<br />
Westens, in denen kaum mehr festzustellen ist, wo der<br />
Ort der Macht ist, da in ihnen die Macht eher eine Struktur<br />
ist. Hier verliert sich verortbare Macht in eine Struktur,<br />
die sehr geschickt darin ist, Widerstand ins Leere<br />
laufen zu lassen, ja, ihn sich sogar nutzbar zu machen.<br />
In Gesellschaften wie Russland oder wie Syrien, sieht<br />
das schon ganz anders aus. Die Brüder Arash und Arman<br />
Riahi haben in ihrem wunderschönen Film „Everyday<br />
Rebellion“ gezeigt, wie hier kleine, kreative Aktionen schon<br />
die Macht herausfordern können.<br />
Dazu ein Beispiel: Regimegegner haben<br />
Hunderte von Tischtennisbällen mit dem<br />
Wort „Freiheit“ beschrieben, und diese<br />
eine abschüssige Straße vor dem Regierungspalast<br />
herunterkullern lassen, was die Geheimpolizisten,<br />
die jedem einzelnen Ball nachliefen, gehörig ins<br />
Schwitzen brachte. Doch hier wie in unseren Breiten sind<br />
subversive Strategien nichts mehr, was die Subversiven im<br />
Geheimen aushecken, sondern letzten Endes immer sub-
<strong>Geheimsache</strong> #8<br />
12<br />
versive Kommunikationsstrategien, Eingriffe in öffentliche<br />
Diskurse oder Nicht-Diskurse, oft Bild-Strategien, kleine<br />
Steinchen, die man ins Wasser wirft und von denen man<br />
hofft, sie mögen ihre Kreise ziehen – in Social Media etwa.<br />
Subversion, von der niemand erfährt, findet nicht statt. Das<br />
Subversivste ist ohnehin, Geheimes ans Licht der Öffentlichkeit<br />
zu zerren, siehe die Enthüllungen von Edward Snowden<br />
oder die Wikileaks-Aufdeckungen von Julian Assange.<br />
In den seltensten Fällen wird die herrschende Ordnung<br />
als solche tangiert, in den meisten Fällen ist höchstens zu<br />
erwarten, dass zwar die Zustimmung zu ihr erodiert, aber<br />
nicht die Funktionsfähigkeit der Institutionen.<br />
Gleichzeitig gilt aber natürlich auch: Wenn<br />
„Dissidenz flüchtig ist“, wie das die Berliner<br />
Theoretikerin Katja Diefenbach formulierte,<br />
und wenn der heute formulierte<br />
Widerspruch morgen schon ein Geschäft sein kann, dann<br />
macht das den Widerspruch trotzdem nicht belanglos oder<br />
unnötig, sondern lässt eher Selbstreflexion und stetige<br />
Selbstbefragung als empfehlenswert erscheinen.<br />
Ob der schwammige „Subversions“-<br />
Begriff überhaupt noch taugt? Und<br />
was sind die langfristigen, positiven<br />
Folgen davon? Über all das kann man<br />
mit Recht diskutieren. Womöglich war „Subversion“ ohnehin<br />
immer ein etwas romantischer Begriff. Getragen von<br />
der Vorstellung, es könne eine Abkürzung zur Verbesserung<br />
der Welt geben: Man unterminiert die Ordnung mit ein paar<br />
geschickten Handgriffen, und schon zerbröselt sie von selbst<br />
– ganz ohne die Mühen der Ebene, des Bündnisse Schmiedens<br />
in einer Opposition, ganz ohne den langweiligen Kampf<br />
um gesellschaftliche Mehrheiten. Letzterer wurde als Sache<br />
fader Reformisten angesehen, während die Subversion als<br />
die Heldentat der Revolutionäre geadelt wurde.<br />
Was wenn die faden Reformisten die<br />
eigentlichen Helden sind?<br />
•
Der<br />
subve<br />
rsiVe<br />
Dopp<br />
eltitel
T: Konstantin Adamopoulos<br />
15<br />
Zum Vorspann etwas<br />
aus dem Berufsalltag der<br />
Rahmenbedingungen<br />
„Mir ist es wichtig zu unterscheiden, in welchem Rahmen ich<br />
mich mit Kunst beschäftige. Es ist etwas anderes, ob es<br />
privat oder geschäftlich ist. Privat habe ich mir mein Umfeld<br />
selbst geschaffen und kann mich jeden Tag in einer anderen<br />
Ecke aufhalten, die ich selbst auswähle. Das ist beruflich nur<br />
bedingt möglich. Ich habe mich einmal für ein Unternehmen<br />
entschieden und damit die Rahmenbedingungen akzeptiert.<br />
Diese kann ich zwar beeinflussen, aber viel weniger als mein<br />
privates Umfeld. Zur Kunst: Im Unternehmen kann ich mich<br />
natürlich mit Kunst auseinandersetzen. Wie ich das mache,<br />
wird allerdings maßgeblich von den Rahmenbedingungen<br />
vorgegeben: von den Kollegen, dem Stellenwert von Kunst<br />
bei uns im Haus, meiner Position im Haus, unserer Diskussionskultur<br />
etc. Privat verzichte ich gerne einmal bewusst auf<br />
festen Boden. Beruflich ist das nur eingeschränkt möglich.<br />
Sowohl unser Geschäftsmodell als auch unsere Unternehmenskultur<br />
sind von Sicherheit geprägt. Das muss ich zunächst<br />
akzeptieren. Und von da aus schau’ ich, was ich bewegen kann.“<br />
Ein Bronnbacher Stipendiat
a) Für die Organisation<br />
ist das Individuum<br />
subversiv<br />
b) Die Organisation<br />
ist für das Individuum<br />
subversiV<br />
Bewegen sich subversive Kräfte im Grenzbereich zur umstürzlerischen<br />
Täuschung, oder schillert ihr Reiz gerade im<br />
schwerelosen Angebot zur Alternative?<br />
Sarah Vanhee bietet seit einem Jahr<br />
regelmäßig eine 15-minütige „Lecture<br />
for everyone“ an, und zwar bevorzugt<br />
unangekündigt in den Organisationen,<br />
in denen Business Meetings auf der Tagesordnung<br />
stehen. Dabei soll möglichst nur eine gastgebende<br />
Person, die den Zugang ermöglicht, vorher davon<br />
wissen. Zur gewünschten subversiven Wirkung, die<br />
dieser Vortrag aktuell in Verbindung mit dem HAU,<br />
dem Hebbel-Theater in Berlin aufkommen lässt,<br />
gehört also eine gewisse Diskretion. In der Geschäftswelt,<br />
wo sich alles lieber strukturiert und durchgetaktet<br />
gibt, erscheint die intervenierende Aktion porös und<br />
spontan. Wer mag sich schon, ohne dass sein eigenes<br />
Team und die übergeordneten Hierarchien eingeweiht<br />
sind, einen Harlekin und Bürgerschreck in eine berufliche<br />
Sitzung einladen? Da wo Interventionen nur ungern Überraschungen<br />
bieten dürfen, stattdessen Übereinkunft und<br />
Sicherheit hochgestellte Alltagswerte verkörpern, wirkt<br />
eine nur Insidern bekannte belgische Kunst-Aktivistin als<br />
Person und Gegenüber nicht so fantastisch wie vielleicht<br />
Marina Abramović, ein Star, der sich mit „The Artist is Present“<br />
2010 im New Yorker Museum of Modern Art als<br />
Königin ihrer Profession ausstellte.<br />
1 Sarah Vanhee bietet sich<br />
eher als schlichte Arbeiterin in<br />
sozialen Fragen an, wie es<br />
Joseph Beuys etwa in seinem<br />
Vortrag mit dem Titel „Jeder<br />
Mensch ein Künstler – Auf dem<br />
Weg zur Freiheitsgestalt des<br />
sozialen Organismus“ 1978 in<br />
Achberg vorgab. Die junge Performancekünstlerin<br />
bricht das<br />
Thema „Kunst im Unternehmen“<br />
zunächst auf alltägliche Gedanken herunter: Wie wichtig<br />
ist mir eigentlich meine Arbeit? Karriere? Geld? … Wie<br />
messe ich mich mit anderen? Dabei irritiert die Künstlerin<br />
in ihrem künstlerischen Sosein mit diesen spröden Tatsachen,<br />
doch ihre zugewandte und freundliche Art lässt die<br />
Abwehrreaktionen schmelzen. Ihre Kunst brilliert nicht mit<br />
dem Glamoureffekt, der in der Geschäftswelt vielleicht<br />
ankommen könnte. Ihre Präsenz gleitet vielmehr unter<br />
dem Radar der globalen Wirtschaftskennzahlen hindurch.<br />
Den zweifelnden Gatekeeper ritualisierter Allzeit-voran-<br />
Meetings beruhigen im eigens eingerichteten Blog unter
DER SUBVERSIVE DOPPELTITEL<br />
17<br />
www.lectureforeveryone.be sanfte Teilnehmerkommentare<br />
wie „We all need to be pushed out of our orbit of thoughts<br />
sometimes, it makes the world more interesting.“ Dazu<br />
fallen mir zwei Thesen ein: Das Subversive benötigt Identität.<br />
Subversion aktiviert Identifikation.<br />
Wie also lautet die Definition?<br />
Eine subversiv tätige Person bewirkt den<br />
Wandel einer erstarrten Situation, das Aufbrechen<br />
zu neuen Möglichkeiten. Ziel wäre<br />
Verjüngung statt Vergreisung.<br />
Zwischen diesen Polen leben wir,<br />
mal mehr hierhin, mal mehr dorthin gezogen.<br />
Eine subversiv berührte Identität<br />
gerät in Bewegung, weil ihre Identität<br />
als Frage angesprochen wurde. Dabei<br />
bleibt die Subversion als solche nahezu<br />
unbemerkt. Identität kommt vom lateinischen<br />
„idem“ für „dasselbe“ oder „derselbe“,<br />
im Sinne von: Sie ist mit sich selbst<br />
vollkommen gleich. Eine Persönlichkeit<br />
mit Identität kultiviert in sich eine Instanz,<br />
auf deren Grundlage Entscheidungen<br />
mehr Tiefe und weitere Perspektiven<br />
aufnehmen. Subversiv gegenüber einem<br />
Unternehmen erscheinen nun einzelne<br />
Personen, deren Taten und Gedanken<br />
eine sich wiederholende Vorgabe oder<br />
ein festes Gefüge der Organisation aus<br />
dem Status quo in Bewegung bringen. Die Selbstzensur<br />
im Kopf mag solche Störgedanken schon im Einzelnen<br />
vereiteln, darin sind wir artige Kinder unserer Zeit. Das<br />
Wegschlagen verkrusteter Teile wird zu einer Angelegenheit,<br />
die man besser externen Beratern überlässt. Die<br />
Unternehmensidentität wirkt damit selbst subversiv.<br />
Doch noch einmal zurück zur klassischen<br />
Richtung der Subversion: Mit absurden<br />
Weihnachtszipfelmützen auf dem Kopf<br />
verschenkten im real existierenden Sozialismus<br />
der Achtzigerjahre Studenten Damenbinden einzeln<br />
an Passantinnen, um dafür von den aufgebrachten<br />
Arbeiterstaatsschützern als Störenfriede der öffentlichen<br />
Ordnung für ein paar Tage eingelocht zu werden. Blieben<br />
doch diese immer raren Utensilien zur Körperpflege meist<br />
den Parteibonzen vorbehalten und waren somit zum Symbol<br />
für Privilegien und ungerechte Verteilung geworden.<br />
Der zarte Lohn für diese kabarettistischen Robin-Hood-<br />
Aktionen war das dankbare Winken der Bevölkerung den<br />
abgeführten Zipfelmützen für das vorgeführte Heilsversprechen<br />
einer kommenden Konsumwelt.<br />
Zu a)<br />
Spätestens in den Sechziger- und Siebzigerjahren<br />
bekam der Begriff Subversion im<br />
Westen den schicken Beigeschmack, eine<br />
kluge Alternative zu sein. Der überwiegende<br />
Teil der intellektuellen Eliten glaubte nicht an physische<br />
Gewalt zur Wandlung der attestierten Herrschaftsbedingungen.<br />
Gegen den wirtschaftlichen Boom und die konservative<br />
Medienmacht im Westen erschien nur eine versteckte<br />
Rhetorik zielführend. Rudi Dutschke erklärte in<br />
seinen posthum veröffentlichten Tagebuchaufzeichnungen<br />
das praktische Vorgehen: Zu den Maidemonstrationen für<br />
bessere Arbeitsbedingungen beispielsweise sollten möglichst<br />
viele Eltern mit Kindern als Teilnehmer gewonnen<br />
werden. Diese würden dort dann schon die brutale Gewalt<br />
der „Ordnungskräfte“ am eigenen Leib erfahren. In Folge<br />
dieser subversiven Strategie würden die konsumtrunkenen<br />
Westbürger aufmerksam auf die kapitalistischen Bedingungen<br />
außerhalb ihrer neugewonnenen<br />
Komfortzone. Vielfältige Eigenbewegungen<br />
der Individuen gegen<br />
die erkannte Allianz von Staat und<br />
privaten Wirtschaftsinteressen waren<br />
also das Ziel der damaligen westlichen<br />
Subversion als Strategie. Umgekehrt<br />
sah die Organisation der Rechtschaffenen<br />
sich durch Individualität solcher<br />
Art bedroht. Heute ist diese Furcht vor<br />
subversiven Elementen kaum mehr<br />
vorstellbar.Die vermeintliche<br />
Wahlfreiheit zwischen<br />
gesellschaftlicher<br />
Auseinandersetzungskultur<br />
und Konsumfreiheit<br />
wurde früh von manch genialer Werbung<br />
begleitet: 1968 im Afri-Cola-<br />
Rausch: „Sexy-mini-super-flower-pop-op-cola – alles ist<br />
in AFRI-COLA!“ Diese Erweiterung des Partybewusstseins<br />
sollte die als strikt erlebten Gesellschaftsnormen, wenn<br />
nicht negieren, dann doch überwinden helfen. Das so<br />
erweiterte Konsumbewusstsein vernebelte allerdings<br />
auch das konkrete Ziel der Subversion nach stärkerem<br />
Wachbewusstsein.<br />
Zu b)<br />
Zunehmend dreht sich die ursprünglich emanzipatorisch<br />
verstandene Strategie der Subversion<br />
des bürgerlichen Einzelnen gegenüber<br />
dem Staat im wirtschaftlichen Alltag<br />
um. Die individuelle Bereitschaft zur emanzipierten Teilhabe<br />
und selbstbewussten Mitverantwortung der Angestellten<br />
dient heute vornehmlich der erwarteten Profitmaximierung,<br />
statt den Sinn für selbst gesteckte Ziele zu stärken.<br />
Auf jeder Ebene und in jeder Position<br />
machen wir uns heute in Organisationen<br />
selbst gehörigen Druck. Angesichts der<br />
uns permanent vorgehaltenen Kennzahlen<br />
über unsere eigene Relevanz, die aus dem Marktgeschehen<br />
abgeleitet sind und damit objektiv erscheinen,<br />
erleben wir die systemischen Ziele identisch mit unseren<br />
eigenen. Die Führungsebene verlagert das Unternehmensziel,<br />
den Wunsch des Kunden zu erfüllen und damit<br />
den Profit zu maximieren, in die Hand jedes einzelnen<br />
Mitarbeiters, der dieses Ziel zu seinem eigenen, persönlichen<br />
erhöht. Die indirekte Führung in Unternehmen ver-
<strong>Geheimsache</strong> #8<br />
18<br />
feinert sich geradewegs zur psychologischen Methode.<br />
Die Ansprüche und Ziele des Human-Resources-Managements<br />
werden durch die Architektur der Arbeitsumgebung<br />
und die allgegenwärtige Feedback-Kultur des Unternehmens<br />
vom Mitarbeiter derart verinnerlicht, dass er sich<br />
mehr und mehr im Sinne des Kapitalismus selbst steuert.<br />
Hat die Subversion ihre Richtung geändert?<br />
Zumindest setzt das Individuum nun seine<br />
tiefsten Kräfte frei, um die eigenen<br />
Erwartungen für die systemisch erfahrenen<br />
Umstände zu befriedigen. Das Assessment Center<br />
sitzt permanent in uns zu Gericht. „Work Hard – Play Hard“<br />
(2011), dieser Dokumentarfilm von Carmen Losmann nimmt<br />
uns schwellenlos in die schöne neue Designwelt für optimiertes<br />
Tätigsein mit. Die vorgeführte Heilswelt der neuen<br />
Arbeit lässt das Publikum stutzen. Kürzlich ist der lesenswerte<br />
Reader zum Film mit Essays samt Reaktionen aus<br />
dem Berateralltag erschienen. Der Anspruch zur freudigen<br />
Selbständigkeit verkehrt sich zur All-inclusive-Knechtschaft,<br />
die zum Privileg verklärt wird nach dem Motto „Lieber so<br />
als anders.“ Unterschwellig wie noch nie gleiten wir in die<br />
schöne neue Welt der Arbeit: 2.0, 3.0, 4.0 … Wie die<br />
Individuen im Liberalismus zu „Wohlstand“ und „Erfolg“<br />
verdonnert sind, hatte Michel Foucault 1980 die „Subjektivierung<br />
der Wahrheit“ genannt. 2 Und die Kunst nimmt<br />
den sanften Weg?<br />
Subversion und Individualität<br />
In gesellschaftlichen Systemen kann zwischen<br />
Kunst, Politik und Wirtschaft ein subversives<br />
Spiel herrschen, produktiv oder destruktiv. Solch<br />
eine ungezügelte Aussicht mag manche ermatten,<br />
sich und andere lieber in folgenloser Mittellage zu<br />
wiegen, um sich aus der historisch kurzen Selbstbestimmung<br />
in der Nischenexistenz geschmeidig zur schnurrenden<br />
Hauskatze am wärmenden Ofen der Unterhaltungsfinanzierung<br />
zu veredeln (siehe Fußnote 1). Individualität<br />
aufrechtzuerhalten, erscheint aussichtslos unter dem Schutzangebot<br />
des Systems, das der Soziologe Ralf Dahrendorf<br />
schon in den Sechzigerjahren anprangerte. Selbst die vielfach<br />
Privilegierten erleben sich unter wachsendem Zwang<br />
als unselbständige Lemminge, als eingepferchte Funktionsgehilfen.<br />
Die ehemals umstülpenden Ansprüche werden<br />
von ihnen überführt in Angst um die eigenen, privaten Privilegien<br />
in ziselierter Alternativlosigkeit.<br />
Dem liberalen Herrschaftsforscher Dahrendorf<br />
war die Gesellschaft allein schon<br />
deshalb ein Dorn im Auge, weil deren<br />
Sanktionen den geburtsbedingten Persönlichkeitsversuch<br />
des Einzelnen zu löschen trachten.<br />
Dahrendorf empfand daher den Konflikt als „eine hervorragende,<br />
schöpferische Kraft“. Mit dieser Haltung hielt er<br />
sich zehn Jahre lang in der Position des leitenden Direktors<br />
der London School of Economics and Political Science<br />
(LSE) und danach ebenso lange als Rektor des St. Antony’s<br />
College in Oxford. 3 Der später geadelte Sir Ralf erkannte<br />
sich als Teil einer elitären Minderheit im täglichen Kampf<br />
gegen die Versuchungen der Unfreiheit. Seine privilegierte<br />
Position nutzte Dahrendorf daher auch dafür, sich für<br />
das Grundeinkommen als „Bürgergeld“ einzusetzen.<br />
Der Mensch ist das Wesen, das sich jeden<br />
Tag aus Freiheit eigene und neue Ziele<br />
stecken kann. Organisationen verfolgen<br />
etwas konträr Wirkendes, sie wollen vorausplanen<br />
und versprechen Sicherheit. Innovatives stört<br />
unkalkulierbar den mechanistischen Ablauf und wird daher<br />
als Gewürz und zur Färbung lieber extern zugekauft. Also<br />
steht das kreative Individuum den Rahmenbedingungen<br />
konstitutiv bestärkend gegenüber. Der Zusammenhang<br />
zwischen Systemdruck und Verlust der Freiheit bleibt weiterhin<br />
bestehen. Das Individuelle des Menschen spiegelt<br />
sich heute geradezu in seiner Fähigkeit zur Subversion.<br />
Wenn meine individuelle Aufgabe zur Selbsterkenntnis<br />
allerdings die Frage nach dem allgemein Menschlichen<br />
verliert, verkrümme ich mich narzisstisch. Die Fähigkeit<br />
des Einzelnen zum selbst ermächtigten Handeln entschwindet<br />
an der Systemlogik vorbei, anstatt mit dieser in den<br />
Kampf zu treten. Ist das Spiel damit aussichtslos geworden?<br />
Ist die Subversion zur bloßen Vermeidungshaltung<br />
degeneriert angesichts der Übermacht des Systems? Oder<br />
zeigt sich gerade in der vom System unabhängigen Handlungslogik<br />
wirkliche Freiheit, die sich nicht mehr in der<br />
bloßen Reaktion auf das System legitimiert?<br />
Mit dem Maultier unterwegs in<br />
öffentlichen Angelegenheiten<br />
Der Konzeptkünstler Merlin Bauer setzt in<br />
seinen performanceähnlichen Aufführungen<br />
die inszenatorische Praxis im öffentlichen<br />
Raum um. Er führt mit dem Straßentheater<br />
eine alte künstlerische Form vor – und setzt<br />
von vornherein auf die subversive Kraft der schwachen,<br />
man könnte sagen, hilflosen Geste.<br />
Mit dem Maultier durch Köln – in öffentlichen<br />
Angelegenheiten unterwegs“ führt<br />
das Publikum von Station zu Station und<br />
„<br />
lässt zum Beispiel vor deren Augen eine<br />
riesige Zeichnung auf der Kölner Domplatte anfertigen.<br />
Dort, wo normalerweise die Touristen den Pastellkunsthandwerkern<br />
ein paar Cent hinwerfen, verweist diese monumentale<br />
Kreidedarstellung bis zum nächsten Regen auf die<br />
Finanzströme einer Public-private-Partnership zwischen<br />
kommunalen und privaten Banken und der Stadtverwaltung.<br />
Zusätzlich gewinnt der Künstler professionelle Chorsänger<br />
dafür, vor Kirchenportalen Schimpflieder gegen die Verquickung<br />
von städtischen Betrieben und Privatinteressen zu<br />
intonieren. Im weiteren Verlauf der Tour provoziert sein Alter<br />
Ego „Berlin Mauer“ als Hauptstadtrepräsentant mit einer<br />
Schmährede die erwürdige Bronzestatue des Kölner Ex-<br />
Bürgermeisters und Altkanzlers Konrad Adenauer, dessen<br />
Nachkommen bis heute die Kölner Geschicke leiten.<br />
Schon für seinen Karnevalswagen und dessen<br />
Teilnahme im offiziellen Kölner Rosenmontagszug<br />
2010 aktivierte der Künstler gern Publikumsperspektiven,<br />
z. B. bei den Verantwortlichen<br />
des 1. FC Köln und dessen Fans mit dem Slogan „Ihr<br />
seid Künstler und wir nicht!“ Das Karnevaleske der Aktion<br />
gegen den voreiligen Abriss und Neubau des Kölner Schauspielhauses<br />
konnte ein befreiendes Bild des Umsturzes gegen<br />
die Obrigkeit im öffentlichen Leben der Stadt aufzeigen.
DER SUBVERSIVE DOPPELTITEL<br />
19<br />
Zum Abschluss seines intervenierenden Streifzugs<br />
mit dem Maultier durch die Gemeinde<br />
lässt er im September 2012 zum Abschied<br />
der erfolgreichen und doch von der Obrigkeit<br />
geschassten Schauspielintendantin an die Fahnenstange<br />
auf dem Offenbachplatz noch ein Banner hissen:<br />
„Employee of the Year“, als Zitat aus der aktuellen griechischen<br />
Protestbewegung. „Mit dem Maultier durch Köln –<br />
In öffentlichen Angelegenheiten unterwegs“ hat das Format<br />
eines Evergreens.<br />
Vom Glauben an die Unfreiheit frei werden,<br />
heißt frei werden.“ 4 Es bleibt die<br />
Frage, wie wir Neuem Gehör verschaffen<br />
– zunächst in uns – und wie wir dann<br />
tatsächliche Veränderungen anbahnen, gerade dann, wenn<br />
individuelle Impulse der Systemlogik zu widersprechen<br />
scheinen. 5 „Aber Abhängigkeit hebt Selbstständigkeit, hebt<br />
Freiheit nicht auf. Sie bestimmt nicht das Wesen …“ 6<br />
Abspann<br />
Um seine Strategie zu ändern, verlässt nach<br />
dem offiziellen Verbot der Rheinischen Zeitung<br />
für Politik, Handel und Gewerbe in<br />
Köln deren Chefredakteur Karl Marx 1843<br />
die Stadt in Richtung Paris: „Man muss jede Sphäre der<br />
deutschen Gesellschaft als die partie honteuse [den Schandfleck]<br />
der deutschen Gesellschaft schildern, man muss<br />
diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen,<br />
dass man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt!“ 7<br />
•<br />
1 Abramović erliegt<br />
aktuell mit ihrem Werbefilm<br />
für adidas der subversiven<br />
Umarmung durch<br />
das Unternehmen. Adidas<br />
bietet ausgewählten Kulturtreibenden<br />
die Mittel,<br />
eine selbst gewählte<br />
Geschichte in einem Filmspot<br />
zu erzählen. Als<br />
anerkannte Großmeisterin<br />
der Kunst hat sie alle<br />
Freiheiten und verfängt<br />
sich in der Leistungssportästhetik<br />
ihres gastgebenden<br />
Verführers.<br />
2 Siehe dazu Foucault,<br />
Michel, Die Regierung der<br />
Lebenden. Vorlesungen am<br />
Collège de France 1979–<br />
1980, Berlin 2014; und<br />
Riechermann, Cord, in der<br />
Frankfurter Allgemeinen<br />
Sonntagszeitung vom<br />
13. Juli 2014, „Die Macht<br />
allein macht es auch<br />
nicht.“<br />
3 Ralfs Vater Gustaf<br />
Dahrendorf hatte 1933 noch<br />
eigensinnig gegen das<br />
Ermächtigungsgesetz<br />
gestimmt und damit seine<br />
Inhaftierung und anschließende<br />
Arbeitslosigkeit<br />
sehenden Auges in Kauf<br />
genommen. Bei den Dahrendorfs<br />
hat also die antiautoritäre<br />
Fackelübergabe<br />
zwischen Vater und Sohn<br />
geklappt. – Meinen Kindern<br />
und möglichen Enkelkindern<br />
übergebe ich durch mein<br />
Leben auch eine Fackel.<br />
Wird sie mehr Statusbestätigung<br />
oder doch auch<br />
Lichtbringer sein?<br />
4 Buber, Martin, Ich<br />
und Du, Heidelberg 1883,<br />
zit. nach Reclams Universal-Bibliothek,<br />
Stuttgart<br />
2008<br />
5 „Wenn es der Tragödie<br />
gelingt, das Geheimnis des<br />
menschlichen Schreckens<br />
tief auszuloten, und der<br />
Zuschauer von ‚dem heiligen<br />
Schrecken‘ erfasst<br />
wird, kann Läuterung, die<br />
sich daraus ergibt, als<br />
innere Umkehr, als geistige<br />
Erhebung verstanden werden.<br />
[…] Diese Sicht der Dinge<br />
zeigt uns, dass nur die<br />
geistige Umkehr und Verwandlung<br />
es gewissen Formen<br />
menschlicher Tragik<br />
erlauben, in Schönheit<br />
überzugehen.“ In: Cheng,<br />
Francois, Fünf Meditationen<br />
über die Schönheit, Verlag<br />
C. H. Beck, München 2008<br />
6 Schelling, Friedrich<br />
W. J., Über das Wesen der<br />
menschlichen Freiheit,<br />
zit. nach Reclams Universal-Bibliothek,<br />
Stuttgart<br />
1986. Am Ende des Büchleins<br />
heißt es noch: „Das<br />
Band unserer Persönlichkeit<br />
ist der Geist. Und<br />
wenn nur die werktätige<br />
Verbindung beider Prinzipien<br />
schaffend und<br />
erzeugend werden kann, so<br />
ist die Begeisterung im<br />
eigentlichen Sinn das<br />
wirksame Prinzip jeder<br />
erzeugenden und bildenden<br />
Kunst oder Wissenschaft.“<br />
7 Marx, Karl; Engels,<br />
Friedrich, Werke, Diez<br />
Verlag, Bd. 1, Berlin 1956,<br />
S. 381
Our Future<br />
is Co Created<br />
Xin Chen<br />
CEO<br />
@HeroBakery<br />
The World’s First Address of NextGeneration #ChinaGermany
Menschen werden sich<br />
auch künftig treffen,<br />
um Gemeinschaft und<br />
Identität zu finden,<br />
Sich auszutauschen und<br />
weiterzubilden.<br />
Hiskia Wiesner<br />
Leiterin Kongresse & Tagungen<br />
Leipzig Tourismus und Marketing GmbH
WER<br />
DURCH<br />
MEIN<br />
LEBEN<br />
WILL<br />
MUSS<br />
DuRCH<br />
MEIN<br />
ZIMMER
<strong>Geheimsache</strong> #8<br />
24<br />
Erster Brief<br />
Mit sozialistischen GruSS<br />
(Aus Ramturs Nachlass) 1<br />
Lieber Herr Kollege Direktor!<br />
Heute will ich Ihnen schreiben.<br />
Ich bin Herr Ramtur aus der Dreherei<br />
und möchte Ihnen einen Vorschlag<br />
unterbreiten: Schicken sie mir bitte<br />
jeden Monat mein Gehalt zu. Ich<br />
möchte ein Jahr lang nicht arbeiten.<br />
Viele Grüße<br />
Kollege Ramtur<br />
Erste Antwort<br />
Lieber Kollege Ramtur!<br />
Ich habe Ihren Brief bekommen.<br />
Was soll aus unserer Fabrik<br />
werden,wenn alle so denken, wie Sie?<br />
Kommen Sie sofort zur Arbeit.<br />
Kollege Direktor<br />
2<br />
…Was geschah, nachdem sie<br />
die Schule verlassen hatten?<br />
Sie waren damals fünfzehn,<br />
stimmt's?<br />
Ich war fünfzehn, ging in<br />
Berlin auf eine ganz normale<br />
Oberschule und machte nach<br />
der zwölften Klasse mein<br />
Abitur. Ich war in einer neuen<br />
Stadt, besuchte eine normale<br />
Schule, wo es Jungen und<br />
Mädchen gab, wo man<br />
abends nach Hause ging und<br />
eine eigene Meinung haben<br />
konnte. Das war noch vor<br />
dem Mauerbau, als die Leute<br />
nach Westberlin ins Kino<br />
gingen. Für mich war das<br />
alles unglaublich.<br />
Zweiter Brief<br />
Liebe Kollege Direktor!<br />
Ich möchte Ihnen noch einen Vorschlag<br />
machen. Wenn ich ein Jahr nicht arbeite,<br />
hat die Fabrik einen Verlust von 2376<br />
Stunden. Das sind genau 99 Tage. Ein<br />
Jahr hat 52 Sonnabende und 52 Sonntage.<br />
Wenn ich im folgenden Jahr jeden Sonnabend<br />
und Sonntag 24 Stunden arbeite, haben<br />
Sie dazu noch einen Gewinn von 120 Stunden,<br />
die ich dem Betrieb schenke.<br />
Herzlich<br />
Kollege Ramtur<br />
Das hatten sie noch nie gemacht?<br />
Bis dahin nicht. Das war mir<br />
einfach nicht möglich<br />
gewesen. Aber dann fuhr ich<br />
eine Zeitlang rüber nach<br />
Westberlin.<br />
War das etwas völlig Neues für sie?<br />
Zweite Antwort<br />
Lieber Kollege Ramtur!<br />
Das geht alles nicht. Auch ich möchte<br />
manchmal nicht arbeiten und muss<br />
morgens im Bett weinen. Ich habe auch<br />
nicht mehr viel Geduld mit ihnen.<br />
Kollege Direktor<br />
Überschnitt sich das mit ihren<br />
literarischen Interessen?<br />
Aber sicher.<br />
Ich hatte schon in der<br />
Kadettenschule ein<br />
wenig geschrieben.<br />
War das eine Art Flucht oder<br />
ein Mittel, um sich ein wenig<br />
zu distanzieren?
T: Thomas Brasch, zusammengestellt<br />
von Odilo Weber<br />
25<br />
Dritter Brief<br />
Lieber Kollege Direktor!<br />
Ich möchte mich mit meiner Frau<br />
unterhalten über<br />
a) meine Frau<br />
b) mich<br />
c) unsere Ehe<br />
d) Kunst und Fernsehen<br />
e) Haushalt, Reparaturen,<br />
Neuanschaffungen<br />
f) unsere Kinder<br />
(Zustand und Perspektive)<br />
g) das Leben, Qualifizierung,<br />
Weiterbildung<br />
Da ich bisher um 17 Uhr nach Hause kam,<br />
und keine Konzentration hatte,<br />
brauche ich für die genaue Analysierung<br />
der Probleme ein Jahr.<br />
Ich bitte Sie, das einzusehen.<br />
Kollege Ramtur<br />
Dritte Antwort<br />
Kollege Ramtur!<br />
Sie kommen jetzt schon acht Wochen<br />
nicht zur Arbeit. Das habe ich gemeldet.<br />
Sie werden Bescheid bekommen.<br />
Sie haben mich dazu gezwungen.<br />
Vierter Brief<br />
Herr Direktor!<br />
Ich bin jetzt für 15 Monate in einer<br />
verschlossenen Weberei tätig.<br />
Hiermit teile ich Ihnen mit,<br />
daß sich eine Fortführung<br />
unseres Briefwechsels damit erübrigt.<br />
Herr Ramtur 57382<br />
1 „Mit sozialistischem Gruß“,<br />
entnommen dem Band:<br />
Thomas Brasch, „Vor den Vätern<br />
sterben die Söhne“, Rotbuch,<br />
Berlin 1977, S. 88 – 90<br />
2 Thomas Brasch,<br />
„Ich merke mich nur im Chaos.<br />
Interviews 1976–2001“,<br />
(hg. von Martina Hanf),<br />
Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2009,<br />
S. 44 – 85, zitiert aus<br />
einem Interview mit<br />
Thomas Hoernigk, Eberhard Knödler-<br />
Bunte und Lienhard Wawrzyn<br />
Richtig. Diesen Aspekt hatte<br />
es für mich. Ich hatte mir auf<br />
der Kadettenschule – was<br />
mir letztendlich nicht half –<br />
in den Kopf gesetzt, Schriftsteller<br />
zu werden, weil ich<br />
dachte, daß ihnen dann ein<br />
Licht aufgehen und sie mich<br />
rausschmeißen würden. Also<br />
schrieb ich ein paar<br />
Geschichten, Gedichte,<br />
Stücke und so weiter.<br />
Erhielten sie dafür Anerkennung?<br />
Von den Kadetten schon, von<br />
den Offizieren weniger. Es war<br />
ein Versuch. Eigentlich fing ich<br />
mit dem Schreiben an, damit<br />
sie mich rauswarfen, aber<br />
dann erzählten sie mir,<br />
Schriftsteller zu werden, sei<br />
eine ehrenwerte Beschäftigung,<br />
die auch in der Volksarmee<br />
ihren Platz hätte. Man<br />
könnte Kurzgeschichten für<br />
die Armeezeitung schreiben<br />
oder Glossen und solche<br />
Sachen. Sie mussten mich<br />
also nicht rauswerfen, wenn<br />
ich Schriftsteller würde. Außerdem<br />
tischten sie mir noch ein<br />
Argument auf. Schreiben<br />
könne man nicht lernen – was<br />
stimmt – Schreiben verlange<br />
eine intensive Beziehung zum<br />
Leben, auch das ist theoretisch<br />
sicher richtig. Dann<br />
gaben sie mir Gorkis Biographie<br />
zu lesen. Gorki hat nicht<br />
studiert, seine Universität war<br />
die Straße. Das war ihre<br />
ideologische Rechtfertigung,<br />
mich nicht rauszuwerfen. Ich<br />
mußte also andere Wege<br />
probieren, indem ich beispielsweise<br />
Waffen vorschriftswidrig<br />
benutzte oder nach dem<br />
Wecken im Bett liegenblieb<br />
oder mich einfach weigerte,<br />
Schulaufgaben zu machen,<br />
aber nichts davon half …<br />
• • •
<strong>Geheimsache</strong> #8<br />
26<br />
ZWISCHEN DEN BILDERN ENTZÜNDEN DIE<br />
NERVENSÄGEN 3<br />
einander aufreibend die Sehnsucht nach<br />
dem roten Wahnsinn. Zwischen den Bildern<br />
klaffen die schweigenden Löcher aufgetan<br />
zum großen Fall zurück in den Schoß. Das<br />
ist Theater und kein Vorhang senkt sich<br />
über der mächtig behaarten Votze.<br />
In den Bildern Männer und Frauen oder<br />
Männer gegen Frauen hetzten einander wie<br />
Tiere im Fell reiben einander wie Tiere<br />
im Fell bis endlich endlich eines aufschreit<br />
und fällt. Da liegt es auf den<br />
glattgehobelten Brettern und kratzt an den<br />
Wachsflecken und sagt endlich nichts mehr.<br />
Zwischen den Bildern will ich leben, wenn<br />
die Hauptpersonen Atem holen zum nächsten<br />
Schlag zum nächsten Satz, zwischen<br />
den Bildern will ich meine Fratze sehen<br />
am geschlossenen Vorhang, versteckt vor<br />
den weißen Ingenieuren, zwischen den<br />
Bildern mein Stück in dem nichts mehr<br />
geschieht.<br />
... sie müssen verstehen, dass<br />
ein Teil meiner Altersgenossen<br />
Westberlin besuchte. Allerdings<br />
aus anderen Gründen als ich.<br />
Sie kauften sich meistens keine<br />
Bücher, sondern Jeans und<br />
Nylonjacken, die gerade „in“<br />
waren. Um 1960 liefen in der<br />
Schule plötzlich alle mit<br />
Nylonjacken herum. Später dann<br />
schritt die FDJ gegen unsere<br />
neuen Parkas und Kappen ein.<br />
Sie schickten Sicherheitsgruppen<br />
der FDJ, die dann vor der<br />
Schule standen und uns die<br />
Jacken wieder wegnahmen. An<br />
ihnen würde das Blut der<br />
Vietnamesen kleben, sagten sie<br />
– was durchaus richtig gewesen<br />
sein mag. Trotzdem wird ein<br />
Prozess in Gang gesetzt, den<br />
ich für problematisch halte: Als<br />
Reaktion auf solche Dinge fängt<br />
man nämlich an, reaktionär zu<br />
werden. Ich habe zum Beispiel<br />
gedacht: „Was gehen uns die<br />
Vietnamesen an, du Arschloch.<br />
Gib mir einfach meine Jacke<br />
zurück!“<br />
Könnten sie das noch ein<br />
wenig genauer ausführen?<br />
Das ist ein wichtiger Punkt.<br />
3 Aus dem Band: Thomas Brasch,<br />
„Wer durch mein Leben will,<br />
muss durch mein Zimmer“, Gedichte<br />
aus dem Nachlaß, (hg. von Fritz<br />
J. Raddatz; Katharina Thalbach),<br />
Suhrkamp, Frankfurt a. M.<br />
2002, S. 118<br />
4 „Der Schlag gegen den Kopf des<br />
Ochsen“ und „Mit sozialistischem<br />
Gruß“, entnommen dem Band:<br />
Thomas Brasch, „Vor den Vätern<br />
sterben die Söhne“, Rotbuch,<br />
Berlin 1977, S. 71 f.<br />
Nun, wenn die Regierung, die<br />
herrschende Macht, auf alles<br />
Anspruch erhebt, was mit Marxismus<br />
zu tun hat oder was angeblich<br />
„revolutionär“ ist, dann ist der<br />
einzige Weg meiner Generation<br />
– die natürlich gegen die existierende<br />
Macht beziehungsweise<br />
gegen Autorität im allgemeinen<br />
rebelliert –,, darauf zu reagieren,<br />
indem sie in kindlichen Starrsinn<br />
zurückfällt. Und weil Westberlin zu<br />
war und die Studenten damals –<br />
sie erinnern sich sicher noch an die<br />
Studentengeneration mit den<br />
kurzen Haaren und den Stehkragen<br />
– mehr oder weniger reaktionär<br />
waren, ahmten wir sie einfach nach.<br />
Was dazu führte, dass wir ihr reaktionäres<br />
Gehabe zu unserer Form<br />
der Revolte machten.
Wer durch mein Leben will muss durch mein Zimmer<br />
27<br />
Der Schlag gegen den Kopf des Ochsen 4<br />
Ramtur lehnte am Spänewagen und wartet, daß<br />
sein Herz zu schlagen aufhört. Sein Kopf<br />
liegt auf seinem Arm, über dem Rand des<br />
Wagens, zwischen den Spänen. Seine Augen<br />
sind geschlossen. Er ist sicher, daß er<br />
tot sein wird, bevor die Frühschicht zu<br />
Ende ist. Er steht zwischen zwei Karusselldrehbänken.<br />
Er ist 65 Jahre alt. Er hat den<br />
Amnestierten angesehen, als die Dreher auf<br />
ihn wiesen und sagten: Bis eine Fräsbank<br />
frei ist, mußt du mit dem da Dreck räumen.<br />
Der wird dir erzählen, daß er Generalfeldmarschall<br />
Göring geohrfeigt hat, daß die<br />
australische Polizei seinen Sohn erschossen<br />
hat, weil er in die DDR zurückwollte, daß<br />
er eine Lampe mit Buntpapier umwickelt und<br />
vor den Bildschirm stellt, damit er farbfernsehen<br />
kann, daß er beim Zirkus Sarrasani<br />
war und Verbesserungsvorschläge an<br />
die UNO schickt. Aber der glaubt sich<br />
selber nichts. Der ist schon lange reif für<br />
die Gummizelle. Die geballten Fäuste des<br />
Amnestierten in den Hosentaschen. Sie<br />
werden mich aus der Halle tragen. Sie werden<br />
mein Fahrrad in den Dreck schmeißen. Sie<br />
werden mein Foto aus der Kaderakte nehmen<br />
und ans schwarze Brett hinter den Schleifscheiben<br />
hängen. Er hält seine Schaufel mit<br />
seinen Schenkeln zwischen seinen Beinen. Er<br />
hört das Pochen in seinem Fleisch und das<br />
Echo aus seinen Kniekehlen. Er hat das<br />
Surren gehört, als der Schraubstock durch<br />
die Luft flog, bevor er ihm gegen den<br />
Brustkorb schlug. Wie der Amnestierte abgewinkt<br />
hat, als die Fräser ihm anboten,<br />
seine Maschine einzurichten: Kann ich<br />
selber. Du lernst auch noch, dich anzupassen.<br />
Ich laß mich nicht zum Kuli machen<br />
wie ihr. Ein Jahr Bewährung, und dann habt<br />
ihr mich in diesem Stall zum letzten Mal<br />
gesehen. Wie die Fräser dastanden und dem<br />
Amnestierten zusahen: Der Dorn läuft in die<br />
falsche Richtung, gleich wird ihm der<br />
Schraubstock um die Ohren krachen. Wie er<br />
den Amnestierten von der Maschine weggerissen<br />
hatte, als der Schraubstock aus der<br />
Halterung flog und durch die Luft. Das<br />
Surren des Stahls in der Luft, der Schlag<br />
gegen den Kopf des Ochsen. Der Fall in den<br />
Spänehaufen. Vierzig Jahre, ein Auge aus<br />
Glas, und die Facharbeiter schreien. Dreckräumer,<br />
Knastologenkumpel. Wie er abgewinkt<br />
hatte, als der Meister ihn fragte, ob er<br />
sich verletzt habe. Wie der Amnestierte ihn<br />
hochzog. Aber das Summen in der Luft und<br />
die geballten Fäuste des Amnestierten, als<br />
die Fräser über die Geschichten lachten. Er<br />
weiß jetzt, daß er mit dem Sterben fertig<br />
ist, bevor die Sirene heult.<br />
... wie haben Sie und Ihre<br />
Freunde sich in dieser Haltung<br />
unterstützt? Haben Sie sich<br />
zusammengeschlossen und<br />
Musik gehört? Sind Sie<br />
zusammen ins Kino gegangen?<br />
Ja, wir haben zusammen<br />
Bänder aufgenommen und<br />
solche Sachen. Ich hatte zum<br />
Beispiel nicht das Geld, um<br />
mir Westsachen zu kaufen,<br />
aber ich habe in den Ferien<br />
immer in der Fabrik gearbeitet<br />
und mir genug für ein<br />
Tonbandgerät zusammengespart.<br />
Dann habe ich Schallplatten<br />
ausgeliehen von<br />
Freunden, die Geld hatten,<br />
um sich im Westen welche zu<br />
besorgen, und Bänder<br />
zusammengestellt. Aus<br />
solchen scheinbar unbedeutenden<br />
Anlässen entstehen<br />
wie von selbst fest organisierte<br />
Gruppen. In Polen zum<br />
Beispiel gibt es eine weit<br />
verbreitete Platten-Subkultur.<br />
Illegale Buchhändler haben<br />
verbotene Platten unter dem<br />
Tresen, die sie für vierzig oder<br />
fünfzig Zloty an Leute<br />
verleihen, und die nehmen<br />
sie zu Hause auf Tonband auf.<br />
Nahm diese gegenseitige<br />
Unterstützung auch politische<br />
Formen an? Was nicht heißen<br />
soll, daß das, was Sie gerade<br />
erzählt haben, unpolitisch ist.
<strong>Geheimsache</strong> #8<br />
28<br />
Im gleichen Moment 5<br />
… Wenn er hier, in Mantel und Stiefeln,<br />
auf dem Heimweg befindlich, den Arm<br />
leicht gebeugt auf dem Rücken, zu den<br />
Sternen aufschaut …<br />
… Wenn sie dort ein Lid schiebt aufs<br />
andere wegen der Sonne, das Buch auf den<br />
Knien, angelehnt an die Rückwand der<br />
Bank …<br />
haben beide den gleichen Gedanken:<br />
Wir sehen uns nie, weil die, die<br />
dazwischen, einander nicht kennen.<br />
MEIN VOLK IST FREI. JETZT KANN ES TUN 6<br />
was es mit sich tun läßt.<br />
Stoß es aus seinen bunten Schuhn<br />
Gib’ ihm den Rest.<br />
Thomas Brasch wurde am 19. Februar<br />
1945 in Westow/Yorkshire (England)<br />
als Sohn jüdischer Emigranten geboren.<br />
1946 siedelte die Familie nach<br />
Deutschland in die sowjetische<br />
Besatzungszone. 1968 wurde er wegen<br />
„staatsfeindlicher Hetze“ zu 27<br />
Monaten Haft verurteilt. Sein<br />
Vater, ein hoher SED-Funktionär,<br />
hatte ihn bei der Stasi angezeigt.<br />
Im Dezember 1976 wird ihm zusammen<br />
mit seiner Lebensgefährtin Katharina<br />
Thalbach eine „einmalige<br />
Ausreise zwecks Übersiedlung aus<br />
der DDR“ gestattet. Er veröffentlichte<br />
zahlreiche Lyrikbände, Prosa<br />
und Theaterstücke. Außerdem drei<br />
Kinofilme. Am 3.November 2001 verstarb<br />
Thomas Brasch in Berlin.<br />
Natürlich nicht. Unpolitisch ist<br />
es nur am Anfang. Sie wissen<br />
ja – oder vielleicht wissen sie<br />
hier drüben auch nichts<br />
davon –, daß es eine<br />
berühmte Demonstration gab,<br />
die sogenannte „Hippie-<br />
Demonstration“ in Leipzig,<br />
1966, nach der bei einem<br />
internationalen Fußballspiel<br />
zwischen dreißig- und<br />
vierzigtausend Leute mitmachten.<br />
Das betrifft genau<br />
das, worüber wir diskutiert<br />
haben. Es passierte so: In<br />
praktisch jedem Bezirk gibt<br />
es Leute, die sich wegen<br />
dieser Schallplattengeschichte<br />
in einer festen Gruppe<br />
organisiert haben. Wie eine<br />
Partei. In Dresden oder im<br />
Kreis X, Y oder Z kennt jeder,<br />
der in dieser illegalen Gruppe<br />
ist, andere Leute. Sie arbeiten<br />
nach dem Prinzip „Fünf“, das<br />
heißt, jeder kennt fünf Leute<br />
und jeder dieser fünf kennt<br />
wiederum fünf andere Leute,<br />
und durch diese Organisationsweise<br />
– Sie können sich<br />
vorstellen, wie effektiv diese<br />
Flüsterpropaganda funktionierte<br />
– kam 1966, nach dem<br />
Fußballspiel zwischen Ungarn<br />
und der DDR, der Aufruf für<br />
die Demonstration zustande.<br />
Die dann auch stattfand. Die<br />
Regierung war darauf gar<br />
nicht vorbereitet.<br />
Was für eine Demonstration<br />
war das?<br />
5 Thomas Brasch, „Wer durch mein<br />
Leben will, muss durch mein<br />
Zimmer“, Gedichte aus dem Nachlaß,<br />
(hg. von Fritz J. Raddatz;<br />
Katharina Thalbach), Suhrkamp,<br />
Frankfurt a. M. 2002, S. 127<br />
6 Thomas Brasch, „Wer durch mein<br />
Leben will, muss durch mein<br />
Zimmer“, Gedichte aus dem Nachlaß,<br />
(hg. von Fritz J. Raddatz;<br />
Katharina Thalbach) Suhrkamp,<br />
Frankfurt a. M. 2002, S. 96<br />
Gegen die Unterdrückung der<br />
Jugend! Nieder mit der<br />
Mauer! Im Grunde genommen<br />
kam alles auf dem Tisch.
29<br />
Fritz Raddatz, Auszug aus der Grabrede<br />
auf dem Dorotheenstädtischen<br />
friedhof, Berlin-Mitte, 2001<br />
„Thomas Brasch war Haut. In der Haut, so<br />
sagt man, nistet die Seele des Menschen.<br />
Er hat seine Haut über diese Welt<br />
gespannt, und die Welt zerbarst. Und<br />
seine Haut zerriß. Er wirkte ja ungebärdig,<br />
und dabei war es eine zärtliche<br />
Ungebärdigkeit. Er wußte als hochentwickelter<br />
Künstler, daß Kunst das Gehärtetete<br />
sein muss. Unter dem Gehärteten,<br />
unter dem Unerbittlichen des Kunstgesetzes<br />
lag aber seine Bittlichkeit.<br />
Immer, wenn Sie genau lesen, ob in Stücken,<br />
in Prosa, vielleicht ganz besonders<br />
in der Lyrik, werden Sie finden<br />
eine Gebärde des Flehentlichen. Sabre<br />
nennt man in Israel die dort Geborenen.<br />
Sabre ist die Kakteenfrucht: außen stachelig<br />
und innen süß und saftig. Thomas<br />
Brasch, nicht dort geboren, war gleichwohl<br />
ein Sabre. Er hat uns eine Welt<br />
vorgeführt, vor der er die Menschen<br />
warnt. Gleichwohl hat er gesagt, sie<br />
möge nicht so sein. Das war der Impetus<br />
des Werks von Thomas Brasch. Deswegen<br />
konnte er Freund sein, deswegen konnte<br />
er die Menschen streicheln, übrigens<br />
nicht nur mit dem Wort, sondern veritabel<br />
streicheln. Eine Umarmung mit Thomas<br />
Brasch war immer gleichzeitig die Umarmung<br />
mit einem großen Stück Traurigkeit.<br />
Diese seltsame Wechselwirkung zwischen<br />
Traurigkeit, Trotz und Zärtlichkeit war,<br />
was für mich den Menschen Thomas Brasch<br />
ausmachte und was sein Werk prägte ...“<br />
•<br />
Die Gedichte entstammen dem Band:<br />
Thomas Brasch, „Wer durch mein<br />
Leben will, muss durch mein Zimmer“,<br />
Gedichte aus dem Nachlaß, (hg.<br />
von Fritz J. Raddatz; Katharina<br />
Thalbach), Suhrkamp, Frankfurt a.<br />
M. 2002<br />
DAS INTERVIEW ENTSTAMMT DEM BAND:<br />
Thomas Brasch, „Ich merke mich<br />
nur im Chaos. Interviews<br />
1976 – 2001“, (hg. von Martina Hanf),<br />
Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2009<br />
Beim Durchblättern deiner<br />
Bücher ist immer wieder der<br />
Begriff der Haut aufgetaucht.<br />
Ich habe das zuerst überhaupt<br />
nicht gemerkt. Man<br />
fängt an obsessionell zu<br />
werden, ohne daß man es ja<br />
merkt. Irgendjemand hat mich<br />
das mal gefragt, ich habe mir<br />
dann eine Theorie zurechtgelegt,<br />
ob die ehrlich ist, weiß<br />
ich nicht. Sicher ist dieses<br />
Material Haut ja das, was<br />
einerseits mich einschließt<br />
oder hinter dem ich mich<br />
verkleide. Auf der anderen<br />
Seite ist es das Material, was<br />
mich von der Welt trennt und<br />
gleichzeitig mit ihr in Berührung<br />
bringt. Es ist mein<br />
Äußerstes und das Äußerste,<br />
an das Welt kommt. Das<br />
Ritzen von Haut oder etwas<br />
geht einem unter die Haut,<br />
heißt ja, dass die Haut das<br />
Material ist. Was mich in<br />
Berührung bringt mit allem,<br />
was außen ist, und vielleicht<br />
hat es für mich, zu einem<br />
ganz besonderen Zeitpunkt,<br />
beides am besten wiedergegeben.<br />
Auf der einen Seite<br />
das Eingeschlossensein in die<br />
eigene Hülle oder Verkleidung<br />
oder Verpackung, wo<br />
ich manchmal jemand ganz<br />
anderes sein will und eine<br />
andere Verpackung, eine<br />
andere Verkleidung oder gar<br />
keine haben will. Auf der<br />
andern Seite ist es das Organ<br />
oder das Material. Wo die<br />
Welt dich verletzt, ich glaube,<br />
beides ist es.<br />
Erzählungen:<br />
„Der Schlag gegen den Kopf des<br />
Ochsen“ und „Mit sozialistischem<br />
Gruß“, entnommen dem Band:<br />
Thomas Brasch, „Vor den Vätern<br />
sterben die Söhne“, Rotbuch,<br />
Berlin 1977
CAmpAi<br />
for C<br />
30<br />
T:<br />
Andreas<br />
Graf<br />
von<br />
Bernstorff<br />
Die klassischen Medien, also Zeitungen, Radio und Fernsehen<br />
haben sich entkoppelt von den sozialen Institutionen,<br />
denen sie seit Erfindung der Druckpresse und vor allem<br />
im 19. und 20. Jahrhundert einmal ihre Entstehung verdankten:<br />
von den religiösen und sozialen Bewegungen, den<br />
politischen Parteien, Regierungen, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden<br />
und Genossenschaften. Entkoppelt heißt:<br />
Sie sind nicht mehr eigentlich die Medien, durch die etwas
gning<br />
hAnge<br />
hindurch von A(uftraggeber) zu B(eobachter) vermittelt wird.<br />
Sie sind heute Verkäufer von Informationen, Nachrichten<br />
und Bildern in eigener Regie. Sie bewirtschaften als profitorientierte<br />
Unternehmen einen Aufmerksamkeitsmarkt<br />
und nutzen oder kreieren sogar Erregungspotenziale. Der<br />
Titel eines Publizistik-Sammelbandes lautet deshalb auch:<br />
„Wie die Medien die Welt erschaffen und wie die Menschen<br />
darin leben“ (1998).
<strong>Geheimsache</strong> #8<br />
32<br />
Heute hat ein durchschnittlich ausgestatteter<br />
Journalist an jedem Arbeitstag bis<br />
zu Beginn seiner Mittagspause an die tausend<br />
Meldungen auf dem Bildschirm. Wie<br />
sollen wir ihn für unser Anliegen interessieren? Am besten<br />
sprechen wir ihn persönlich an. Zuweilen nützt die sorgfältigste<br />
Einplanung von Nachrichtenfaktoren für unsere<br />
Botschaft nichts. Es gibt zwar Minimalbedingungen für<br />
gelingende Kommunikation, aber keine Erfolgsgarantie.<br />
Medienarbeit ist mehr denn je Beziehungsarbeit nach dem<br />
Motto: Ich kenne jemanden, der mir vertraut, der mein<br />
Anliegen teilt und mich unterstützt. Wenn ein Medium kein<br />
Medium mehr ist, sondern ein Unternehmen, muss ich<br />
mich mit jemandem aus dem Unternehmen verbünden.<br />
Natürlich reichen aber Sympathie und gemeinsames Anliegen<br />
nicht aus. Kein guter Journalist lässt sich für die Verbreitung<br />
von Botschaften Anderer einspannen. Wir müssen<br />
neue Information liefern, unser Anliegen gestalten, ihm<br />
ein Narrativ geben, Stories anbieten, die Dramaturgie vorhalten,<br />
kurz: eine Kampagne planen. Cross Media mit Text,<br />
Sprache, Bildern für alle Medienarten. Ohne Kampagnenplan<br />
lässt sich ein gesellschaftliches Veränderungsprojekt<br />
heute nicht aussichtsreich umsetzen.<br />
In die Medien, die die „Welt erschaffen“, müssen<br />
wir als Veränderer eindringen, offen und erkannt<br />
oder unerkannt und subversiv.<br />
Kampagnen<br />
Kampagnen sind Eingriffe in Politik, Gesellschaft,<br />
Unternehmen oder Marktgeschehen.<br />
Ihr Ziel ist Veränderung – beobachtbar,<br />
messbar oder wenigstens gefühlt, was man<br />
übrigens auch messen kann. Überall, wo es um Veränderung<br />
geht – Image, Marketing, Mobilisierung von Unterstützern<br />
und Spendern, Erschließung neuer Kunden- und<br />
Käuferkreise, Aktivierung von Belegschaften oder ganzen<br />
Bevölkerungsgruppen, Change-Prozesse – überall da kann<br />
man Campaigning Tools einsetzen oder sogar ganze Projekte<br />
und Prozesse als Kampagne fahren.<br />
Campaigning for Change, Kampagne als<br />
Instrument von Veränderung ist bisher<br />
besonders gut entwickelt in zwei<br />
Bereichen. Erstens in der Arbeit der<br />
NGOs (Non Government Organizations), die auf eine Veränderung<br />
im G(overnment)-Bereich abzielt, und zweitens<br />
den politischen Wahlkämpfen, die auf einen Austausch<br />
der G-Leitung, der Regierung abzielen. Beiden gemeinsam<br />
ist das Ziel der Verhaltensänderung oder Änderung<br />
der Verhältnisse in der Exekutive, der Unternehmensleitung,<br />
Verbandsspitze o.ä., also in einem vorab definierten<br />
oder einem zuweilen erst während der laufenden Kampagne<br />
zu bestimmenden Zielsystem. Einem Zielsystem<br />
mit Steuerungsfunktion.<br />
Der Akteur, der Campaigner mit seinem<br />
Auftraggeber, ist im etablierten System<br />
zunächst nicht vorgesehen, geschweige<br />
denn gefragt. Er steht erst mal vor dem<br />
Zaun, durch den er schreit(et). Wie einst Gerhard Schröder,<br />
der nachmalige deutsche Bundeskanzler in jungen Jahren<br />
am Tor des Bundeskanzleramtes rüttelte. Obwohl er nicht<br />
vorgesehen ist, kann er im Zielsystem – dort, wo die Veränderung<br />
stattfinden soll – nachhaltige oder bescheidener<br />
ausgedrückt: dauerhafte Wirkung entfalten. Dazu muss er<br />
sein Bezugssystem, den Kommunikationsraum, in dem er<br />
arbeitet und den er bespielen will, festlegen; er muss die<br />
Subsysteme, die Mitspieler oder Stakeholder definieren,<br />
deuten und auf dem Spielfeld richtig anordnen sowie sich<br />
selbst in eine günstige Ausgangsposition begeben. Das<br />
heißt heute häufig Power Analyse.<br />
Das zweite hochprofessionelle Instrumentarium<br />
für Kampagnen wird seit Jahrzehnten<br />
in US-amerikanischen Wahlkämpfen<br />
und deshalb weltweit<br />
vorbildgebend entwickelt. Hier werden alle Formen der<br />
empirischen Sozialforschung bemüht und alle medialen<br />
Kanäle bespielt; nicht primär, um Gegner und Zweifler<br />
zu überzeugen, sondern um die eigene Anhängerschaft<br />
zu mobilisieren.<br />
Beiden Formen ist noch gemeinsam, dass<br />
sie zunächst keine Macht entfalten (können),<br />
sondern nur Einfluss ausüben, Einfluss<br />
ohne den Einsatz formeller Machtinstrumente.<br />
Kampagnen sind „Feldzüge um die öffentliche<br />
Meinung“, wie überhaupt die ursprüngliche militärische<br />
Wortbedeutung immer wieder hilfreich ist. Campus ist das<br />
Feld, die Campagna, später die Kampagne, der Feldzug:<br />
Bewegung in Raum und Zeit auf ein (Eroberungs-)Ziel hin.<br />
Die Kampagne hat folglich Anfang und Ende und ist nicht<br />
etwas, das man alle Tage, immer, tut.<br />
Warum Kampagnen?<br />
Schauen wir uns Niklas Luhmanns Themenkarrieren<br />
an. Er benennt vier Phasen: die<br />
Latenz-, die Durchbruchs-, Mode- und<br />
schließlich Ablebephase. In der ersten Phase<br />
„schläft“ das Thema, nur wenige Spezialisten befassen<br />
sich damit; dann kommt es zum Durchbruch in die Öffentlichkeit,<br />
es ist in aller Munde (Mode). Wir können dennoch<br />
sicher sein, dass das Thema zwar nicht stirbt, aber „ablebt“.<br />
Jetzt ist es scheintot. Es kann wiederbelebt werden, was<br />
schwer ist, aber bisweilen gelingt.<br />
Man kann kein Thema, keine Kampagne<br />
auf Dauer stellen. Also muss die Kampagne<br />
einen definierten, kurz bemessenen,<br />
Zeitraum haben, oder, wenn das<br />
Vorhaben dafür zu groß ist, in kurze Campaigning-Abschnitte<br />
zerlegt werden, für die man mit viel Aufmerksamkeit<br />
rechnen kann. Günstig sind hier verschiedene Stories unter<br />
gemeinsamem Motto. Überhaupt sind Geschichten, Stories,<br />
nach den Bildern und Symbolen in der Kampagnenarbeit<br />
die wichtigsten emotionalen Anker.<br />
Kampagnen arbeiten mit symbolischer Konfrontation.<br />
An die Stelle von Waffen treten<br />
Bilder, Symbole, Handlungsfiguren. Ein tragendes<br />
Element des Campaigning ist das<br />
Zeugnisablegen (bearing witness). Die Akteure begeben<br />
sich an den Ort der Tat (der Untat, den Tatort) beispielsweise<br />
ein industrielles Abwasserrohr oder ein Feld mit<br />
gentechnisch verändertem Mais. Sie künden vor Ort von
Subversion I<br />
Greenpeace will einen stinkenden<br />
Fabrikschlot mit einem Banner<br />
dekorieren. Das Fabrikgelände ist<br />
abgesperrt und von Werkschutz bewacht.<br />
Wie kommen wir hinein? Unerkannt.<br />
Wir nennen uns „Friedemann Grün –<br />
Rohrleitungsbau“, so steht’s auf dem<br />
VW-Bus, eine Klempnerwerkstatt<br />
vortäuschend. „Hohe Brücke 1 2000<br />
Hamburg 11“. Das ist die richtige<br />
Adresse. Ein gefälschter Passierschein<br />
enthält den Vermerk „Dieses Dokument<br />
berechtigt nicht zum Betreten des<br />
Geländes“. Kleiner gedruckt als der<br />
Rest, aber nicht unlesbar und auch<br />
nicht auf der Rückseite. Wenn die<br />
Werkschützer es bemerken, dann war es<br />
unser Pech. Wenn sie es nicht bemerken,<br />
sind wir vor Strafverfolgung wegen<br />
Hausfriedensbruchs geschützt. Sie<br />
merken es erst, als das Banner hängt.<br />
Und das wird weithin bemerkt.<br />
Begründung<br />
Anders kommen wir nicht hin<br />
(auf den Kamin).<br />
Quelle<br />
Bernstorff, Andreas Graf von, Einführung<br />
in das Campaigning, Carl-Auer-Verlag,<br />
Heidelberg 2012, S. 19 f.
35<br />
Subversion II<br />
Am 3. Dezember 2004, dem<br />
20. Jahrestag des Chemieunfalls<br />
von Bhopal, Indien,<br />
meldet der Deutschlandfunk<br />
mehrmals am Vormittag:<br />
Dow Chemical als Eigentümer<br />
der Verursacherfirma Union<br />
Carbide wolle sich zu<br />
seiner Pflicht bekennen und<br />
werde zwölf Milliarden<br />
US-Dollar an die Familien<br />
der mehr als 3.000 Toten<br />
und 120.000 Verletzten von<br />
Bhopal auszahlen: „Ich bin<br />
sehr glücklich, dass ich<br />
heute mitteilen kann, dass<br />
Dow erstmals die volle<br />
Verantwortung für die Katastrophe<br />
in Bhopal übernimmt.<br />
[…] Wir haben<br />
beschlossen, Union Carbide<br />
zu liquidieren, diesen<br />
Albtraum für die Welt, der<br />
Dow Kopfschmerzen bereitet“,<br />
habe Dow-Sprecher Jude<br />
Finisterra der britischen<br />
BBC gesagt. Es folgt ein<br />
Dementi, und „Jude Finisterrra“<br />
stellt sich als<br />
Yes Man Andy Bichlbaum<br />
heraus. In der Zwischenzeit<br />
ist der Wert von Dow Chemical<br />
an der Börse um circa<br />
zwei Milliarden Dollar<br />
gesunken. Immer wieder<br />
lancieren die Yes Men<br />
derartige Fakes.<br />
Begründung<br />
Wenn die großen Medien unsere<br />
Forderung nicht bringen<br />
wollen, dann verabreichen wir<br />
sie eben als Meldung mit<br />
höchstem Nachrichtenwert:<br />
überraschend, aktuell, von<br />
globaler Bedeutung etc.<br />
Quelle<br />
www.theyesmen.org/hijinks/<br />
bbcbhopal
<strong>Geheimsache</strong> #8<br />
36<br />
dem Unrecht, indem sie die Medien mobilisieren; sie legen<br />
Hand an, um das Unrecht (ab) zu wenden. Sie verstopfen<br />
das Abwasserrohr oder pflügen den Maisacker um. Das<br />
ist schon stellvertretendes Handeln, sie tun, was die Verantwortlichen<br />
ihrer Meinung nach tun sollten. Entscheidend<br />
bei all dem ist nicht, dass gehandelt wird, sondern,<br />
dass das Handeln gezeigt und gesehen, kommuniziert<br />
wird. In der Regel zielen Kampagnen auf eine bestimmte<br />
Lösung an einem einzigen Ort der Veränderung (= Zielsystem).<br />
Campaigner sagen nicht: Das könnte oder sollte<br />
anders sein, sondern: So muss es sein.<br />
Was braucht man dazu?<br />
Voraussetzungen für den wirksamen Einsatz<br />
von Kampagnen sind mindestens<br />
drei Menschen mit Veränderungswillen,<br />
Mut, Phantasie und Planungsdisziplin. Drei<br />
Menschen können mit einem quasi Null-Budget durch<br />
Aufsehen erregende Aktionen und Öffentlichkeitsarbeit<br />
vieles verhindern oder erreichen. Eine Bundesbehörde<br />
kann unter Einsatz einiger Millionen Euro in einem halben<br />
Jahr ein paar Tausend Leute dazu bringen, anders als zuvor<br />
bei der Liebe Kondome zu benutzen. „Gib Aids keine Chance“<br />
unter anderem mit dem Slogan: „Ich hab immer einen<br />
Gummi dabei – meinen Schwanz vergess’ ich ja auch<br />
nicht“, ist ein gutes Beispiel. Leider sind die meisten Regierungs-<br />
und Behördenkampagnen sonst aber schlecht<br />
gemacht und wirkungslos.<br />
Zur Standardausstattung jeder Kampagnenarbeit<br />
gehören: Slogans und auch Logos als<br />
kleinste Kommunikationseinheiten, eine kurze<br />
Problemerklärung, ein kurzer Medientext<br />
auf maximal einer Seite (wie eine Presseerklärung), dazu<br />
mehrseitige Hintergrundberichte, oft Fact Sheet oder Digest<br />
genannt, mit Zitaten und Nachweisen in Fußnoten. Sie<br />
dienen dem Kompetenznachweis der Akteure.<br />
Günstig sind Fallstudien, die am Beispiel<br />
lebender Personen oder Wesen das<br />
Anliegen der Kampagne anschaulich<br />
und nachvollziehbar machen. Hiermit<br />
kommen wir dem häufig geäußerten Wunsch der Medien<br />
nach Protagonisten und Stories nach. Solche Elemente<br />
werden heutzutage auf YouTube-tauglichen Filmchen in<br />
Szene gesetzt und haben in etlichen Fällen eine rasende<br />
Verbreitung gefunden. In derselben Form müssen auch<br />
Kurzinterviews (Soundbites und Videoclips) und Statements<br />
der Verantwortlichen verfügbar sein. Denn es geht nicht<br />
um das Handeln selbst, sondern um das sichtbar und<br />
bekannt Machen des Handelns.<br />
Die Planung<br />
Die Gedankenführung bei der Kampagnenplanung<br />
beginnt bei einer großen Idee,<br />
dem Anliegen, und leitet dann zur Bestimmung<br />
der Relevanz des Themas für ein<br />
Bezugssystem über (alle Deutschen, die Jugend von Mannheim,<br />
die Mitarbeiter am Standort X, alle Führungskräfte<br />
eines Konzerns oder auch die ganze Welt). Das ist der<br />
Kommunikationsraum, den man zu bespielen plant.<br />
Die nun folgende Festlegung von Ziel und<br />
Zielsystem führt dorthin, wo die Veränderung<br />
stattfinden soll, also in die Geschäftsführung,<br />
den Aufsichtsrat, das Bundesministerium<br />
X, die Gewerkschaftszentrale Y und gelingt<br />
realistisch erst durch das Bestimmen der Faktoren Zeitrahmen<br />
und Ressourcen. Dazu gehören Personal, Arbeitszeit,<br />
Budget, nutzbare Expertise, Social Media Reichweite,<br />
Autos, Schiffe …<br />
Nach der Entwicklung von Slogan und Ziel<br />
werden die geeigneten Elemente und<br />
Handlungsformen bestimmt und in eine<br />
räumliche und zeitliche Ordnung gebracht.<br />
Nur so gelingt es, die Kampagne als strategische (Konflikt-)Inszenierung<br />
zu führen, mit kalkulierten Eskalationsstufen,<br />
Höhepunkten und Ausstiegsszenarien. Dabei ist<br />
auf größtmögliche Wiedererkennbarkeit zu achten.<br />
Beschränkung auf das Wesentliche<br />
Die Arbeit der Zuspitzung folgt dem Gebot<br />
der Reduktion: Dazu gehört, dass immer<br />
dieselbe Person spricht. Sie ist das Gesicht<br />
der Kampagne, sie verkündet immer den<br />
gleichen Slogan, verknüpft mit immer den gleichen Bildern<br />
und Symbolen, immer der gleichen Erklärung, der<br />
gleichen Forderung an immer dieselbe Adresse.<br />
Der Maßnahmenplan einer Kampagne als<br />
Feldzug um die öffentliche Meinung ist<br />
jetzt entwickelbar. Wir tragen die Einzelmaßnahmen<br />
auf eine Zeitleiste ein, die<br />
nicht länger als sechs Monate dauern sollte. Und wenn<br />
die Kampagne etwas länger braucht, ihr Ziel nicht erreicht<br />
oder wiederholt werden muss, dann geben wir noch einmal<br />
ein paar Monate zu, aber nicht mehr.<br />
Unter dem Reduktionszwang wirksamer<br />
Kommunikation stehend, kann es schon<br />
passieren, dass eine Kampagne von außen<br />
etwas unterkomplex, etwas simpel wirkt.<br />
Die echte Gestaltungskraft von Kampagnen entfaltet sich<br />
in der Regel aber gar nicht vor den Augen der Öffentlichkeit,<br />
obwohl sie durch die Öffentlichkeitswirkung erst<br />
ermöglicht wird. Ein Beispiel: Umweltschützer belagern<br />
den Bundestag mit Massen von böse blickenden (gentechnisch<br />
veränderten) Maiskolbenmodellen. Die Botschaft<br />
ist: „keine Gentechnik“. Drinnen im Bundestag findet eine<br />
hoch differenzierte Debatte über eine komplexe Regelung<br />
zur Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte<br />
Organismen statt. Diese haben die Umweltschützer über<br />
ihre Lobbyisten genau verfolgt und längst beeinflusst. Der<br />
Druck der Straße aber hat den Diskurs im Parlament erst<br />
ermöglich oder hat ihn erzwungen. Das ist das Mandat<br />
der Zivilgesellschaft: Defizitkommunikation.<br />
•
Subversion III<br />
Am 11. Dezember 2013 hat Shell in Berlin zum Science Slam eingeladen.<br />
Junge Wissenschaftler/-innen präsentieren ihre Ideen zum Thema<br />
erneuerbare Energien. Die Shell AG möchte so die öffentliche Meinung<br />
positiv beeinflussen, um ein günstiges Bild von der eigenen gesellschaftlichen<br />
Verantwortung (CSR = Corporate Social Responsibility)<br />
zu zeichnen. Dieser Plan geht nicht auf. Es melden sich nämlich zwei<br />
junge Männer mit einer neuartigen Technologie zur Neutralisierung<br />
von CO2-Emissionen aus Autos. Während sie auf der Bühne ihre Wundermaschine<br />
starten, ergießt sich eine Öl-ähnliche, zähe braune Flüssigkeit<br />
über ihre weißen Hemden, und sie klagen laut „Oweiowei, wie<br />
konnte das passieren …“ Interessant ist der aufbrausende Jubel im<br />
Saal.<br />
Autor solcher Aktionen ist die Gruppe Peng! Collective für Subversionsberatung<br />
und Humanistische Rechtsauslegung sowie Praktische Protestforschung<br />
Begründung<br />
Kleine Sünden (Greenwashing) strafen wir sofort.<br />
Quelle<br />
www.slamshell.com
T: LUDWIG ENGEL 38<br />
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Prometheische Projekte 39<br />
Ein Gespräch mit dem Philosophen Armen Avanessian über<br />
die Aktualität subversiver Gesten, die transformatorische<br />
Kraft des Akzelerationalismus und die Bedeutung spekulativer<br />
Praxis für unsere Städte<br />
Letztes Weihnachten bekam ich ein dünnes<br />
Bändchen aus dem Merve-Verlag geschenkt,<br />
auf dessen blau angeschnittenem Cover in<br />
verlagstypischer Schlichtheit stand: „#Akzeleration<br />
– Armen Avanessian (Hg.)“. Ich kann mich nicht<br />
mehr genau daran erinnern, warum ich mich darüber<br />
freute. Vielleicht hatte ich schon davon gelesen, vielleicht<br />
gefiel mir einfach auch nur das Versprechen des Titels,<br />
vielleicht hatte meine Mutter mir schon davon erzählt,<br />
who knows. Auf jeden Fall sind Bücher zu Weihnachten<br />
ja grundsätzlich ein gutes Geschenk, da sie eine ernsthafte<br />
Chance haben, gleich in den nächsten Tagen gelesen<br />
zu werden. In „#Akzeleration“ fand ich dann gleich<br />
im Vorwort von Armen Avanessian diese Sätze: „Die Perspektive<br />
des Akzelerationalismus zielt auf die Zukunft.<br />
Aber vielleicht nicht nur … als ein Zurück in die Zukunft,<br />
sondern als ein Zurück aus der Zukunft. Denn die Gegenwart<br />
erhält nur dann ihre Kontingenz und Offenheit (zurück),<br />
wenn sie von einer erst zu entwerfenden Zukunft aus in<br />
den Blick genommen werden kann.“ 1 Das haute mich<br />
um. Wir hatten vor ein paar Jahren unserem Büro den<br />
etwas platten (aber ernstgemeinten) Untertitel „office<br />
from a better future“ hinzugefügt, und hier kam nun ein<br />
Philosoph und rief mit dem Akzelerationalismus einen<br />
wohlklingenden Flügel einer noch wohlklingenderen<br />
philosophischen Richtung („Spekulativer Realismus“, my<br />
god!) auf, der unserer Arbeit einen hoffentlich postbloch’schen,<br />
auf jeden Fall linken, intellektuellen Überoder<br />
zumindest Unterbau liefern könnte. Noch vor dem<br />
Lesen des ersten Essays war ich schon Akzelerationist.<br />
Nach den ersten Seiten legte sich dann die<br />
Aufregung etwas. Mein nur mäßig philosophisch<br />
geschulter Kopf fühlte sich an<br />
Sprachduktus und Neomarxismus einer<br />
unregelmäßigen Lektüre der New Left Review und eine<br />
kurzzeitige Obsession mit Frederic Jamesons „Archeologies<br />
of the Future“ erinnert. In Sachen Gegenwartsanalyse<br />
blieb bei mir von den Essays und dem Akzelerationalistischen<br />
Manifest lediglich hängen, dass sich die immer<br />
weiter beschleunigenden globalen (Kapital-)Märkte zunehmend<br />
destabilisieren und damit die Krise zum Dauerzustand<br />
werden würde. Dem kapitalistischen System ist aber<br />
nicht zu entkommen, denn ein Außerhalb gibt es in diesem<br />
System nicht mehr, sodass jeglicher intellektueller Eskapismus<br />
und jeder Versuch der Entschleunigung ein gleichermaßen<br />
systemstabilisierendes Moment und persönliches<br />
Scheitern mit sich bringt. Da der Akzelerationalismus<br />
nach eigenen Regeln beschleunige und sich den technischen<br />
Fortschritt zu eigen mache, würde so die Technologie<br />
dem kapitalistischen System nicht einfach überlassen<br />
werden. Ja, denkt man. NSA usw., wüssten wir mehr über<br />
Technik, wäre schon noch etwas zu gewinnen. Aber dann?<br />
Was tun? Hier musste ich dann doch bis ganz zum Schluss<br />
warten, bis sich Avanessian wieder selbst zu Wort meldete<br />
und von seinen linken Denkkollegen statt einer systemstabilisierenden<br />
Beschleunigung der Systemkritik eine<br />
handelnde Rolle, die Akzeleration des gesellschaftlichen,<br />
techno-sozialen Körpers als gestaltendes Projekt einfordert:<br />
„Sie [die Kritik, Anm. d. V.] ermahnt uns, die konkreten<br />
Probleme anzupacken, und nicht einer Vorstellung von<br />
Fortschritt nachzuhängen, die sich doch längst als Hirngespinst<br />
erwiesen habe. Sie warnt uns davor, in Utopismus<br />
zu verfallen oder uns in Spekulationen darüber zu ergehen,<br />
wie eine ganz andere Zukunft aussehen könnte. Dabei liegt<br />
die Gefahr in Wahrheit eher darin, dass wir das Bild, das<br />
die Kritik uns zeigt, wenn sie der Gegenwart den Spiegel<br />
vorhält, mit der Zukunft verwechseln – nicht anders als<br />
die allgegenwärtige Finanzspekulation, die den Wert der<br />
Gegenstände, von allem und jedem, kalkuliert, indem sie<br />
Vergangenheit quantifiziert und das Ergebnis auf die Zukunft<br />
überträgt. In beiden Fällen ist die Möglichkeit nicht vorgesehen,<br />
von einer anderen Zukunft aus auf eine kontingente<br />
Gegenwart zu(rück)zugreifen. Dazu bedürfte es der (abduktiven)<br />
Herstellung – also nicht der ästhetischen Imagination,<br />
sondern der tatsächlichen Produktion (poiesis) – einer<br />
Zukunft, die es ermöglicht, unsere Gegenwart anders zu<br />
verstehen und sie damit zu einer anderen zu machen.“ 2<br />
Ende April traf ich Armen Avanessian in seiner<br />
Wohnung an der Torstraße in Berlin Mitte,<br />
um mit ihm darüber zu sprechen, wie sich<br />
diese poiesis dort auswirken könne, wo ich<br />
mit meinen Kollegen im „office from a better future“ forsche:<br />
in der Stadt, im Gebauten. Das Stichwort dazu lieferte<br />
mit dem Thema „Subversion“ <strong>Earnest</strong> & <strong>Algernon</strong>.<br />
Denn was wäre subversiver als ein linkes Überholen des<br />
Systems? Gerade nicht im Denken, sondern im Handeln?<br />
1 Avanessian, Armen, #Akzereleration,<br />
Merve Verlag, Berlin 2013, S. 15<br />
2 Avanessian, #Akzeleration 2013, S. 74
<strong>Geheimsache</strong> #8<br />
40<br />
Ludwig Engel<br />
(L. E.)<br />
In unserem Gespräch soll<br />
es grob um Subversion und<br />
Stadt gehen. Deshalb vielleicht<br />
zuerst die allgemeine<br />
Frage, ob Subversion<br />
heute noch gestaltende,<br />
transformatorische Kraft<br />
hat?<br />
Armen Avanassian<br />
(A. A.)<br />
Subversion, die Idee einer<br />
Unterwanderung, einer<br />
Umkehrung, eines Umstülpens<br />
oder einer Transgression,<br />
ist<br />
eine strukturalistische<br />
Phantasie<br />
in einem<br />
Denkuniversum, das vom<br />
Gedanken der Opposition<br />
geprägt ist. Doch<br />
diese Opposition<br />
erfüllt<br />
heute nur<br />
noch eine<br />
Alibi-Funktion,<br />
die unter<br />
unglaublichem<br />
Verschleiß an<br />
intellektueller<br />
und praktischer<br />
Produktivkraft<br />
genau das nicht<br />
leistet, was sie propagiert.<br />
Diese übersteigerten<br />
oszillierenden Gesten<br />
zwischen manischer Subversionsrhetorik<br />
und Melancholie<br />
halte ich einfach<br />
für unfruchtbar.<br />
L. E.<br />
Wie sollen wir dann das<br />
Projekt einer gesellschaftlichen<br />
Transformation<br />
angehen? Sollen wir<br />
überhaupt …?<br />
A. A.<br />
Ich arbeite mit dem Akzelerationalismus<br />
an einem<br />
nichtoppositionellen<br />
Denkmodell, an einer<br />
transformativen Praxis,<br />
die nicht von einer Umkehrung<br />
des Gegenwärtigen<br />
träumt oder den Phantasien<br />
eines Freiraums in einem<br />
Transgression<br />
bedeutet Überschreitung<br />
oder Übertretung.<br />
Strukturalismus<br />
ist eine wissenschaftliche Forschungsmethode,<br />
die nach unbewussten, universalen<br />
Denkprinzipien sucht. Anliegen<br />
neuen Außen nachhängt.<br />
Pate stehen dafür auch<br />
frühere politische Theoretiker<br />
wie etwa Marx – als<br />
erster Akzelerationalist.<br />
Denn Marx war derjenige,<br />
der mit den ausgefeiltesten<br />
wissenschaftlichen<br />
Methoden und dem größtmöglichen<br />
Wissen über den<br />
Stand der maschinellen<br />
Technologie eine exakte<br />
politische Gegenwartsanalyse<br />
versucht hat, eine<br />
politische Ökonomie,<br />
um darauf<br />
basierend Szenarien<br />
zu entwerfen.<br />
Nebenbei hat er<br />
der Strukturalisten ist es, bestimmte<br />
Äußerungssysteme wie Sprachen,<br />
Künste oder Schriften auf jene Ordnungs-<br />
und Organisationsstrukturen<br />
zurückzuführen, die Kommunikation erst<br />
übrigens mit viel Hohn<br />
und Spot gegen die<br />
Anarcho-Radikalisten,<br />
die<br />
ständig naiv<br />
von Subversion<br />
sprachen,<br />
polemisiert.<br />
Der Akzelerationalismus<br />
ist hingegen<br />
ein<br />
prometheisches<br />
Projekt, das darüber<br />
möglich machen und die die Grundlage<br />
für die Erzeugung von Sinn bilden.<br />
funktioniert, dass es<br />
sich unterschiedliche<br />
Wissenspraktiken ansieht<br />
und weitertransformiert.<br />
Einem solchen prometheischen<br />
Projekt kann es<br />
nicht um eine Subversion<br />
gehen, aber sehr wohl<br />
darum, was Subversion<br />
eigentlich bezwecken will,<br />
nämlich transformative,<br />
emanzipatorische<br />
und<br />
im emphatischen<br />
Sinne<br />
produktive,<br />
d. h. Neues<br />
ermöglichende<br />
Effekte.<br />
L. E.<br />
Was wären denn diese<br />
produktiven Effekte?<br />
A. A.<br />
Diese subversiven und<br />
transgressiven, diese<br />
ästhetisierten und situationistischen<br />
Gesten sind<br />
das ständige Benzin für<br />
den Antriebsmotor unseres<br />
Kapitalismus. Den kann man<br />
nicht damit heilen, dass<br />
man ihm noch mehr Ästhetisierung<br />
einspritzt, noch<br />
mehr Sensibilität, noch<br />
mehr Erfahrungsreichtum<br />
und noch mehr Wahrnehmungsreize.<br />
Dagegen will<br />
ich ein rationalistisches<br />
Kalkül setzen und wegkommen<br />
von diesem ästhetischen<br />
Modell, das uns<br />
in einen passiven Modus<br />
zwingt. Ich will positive<br />
Effekte erzeugen, die ich<br />
in ein rekursives, transformatives<br />
und emanzipatorisches<br />
Denken einbinden<br />
kann.<br />
L. E.<br />
Ist das nicht die Aufgabe<br />
der Kunst in modernen<br />
Gesellschaften? Brüche<br />
aktivieren, Emanzipationsprozesse<br />
anschieben?<br />
Transformation gesellschaftsfähig<br />
machen?<br />
A. A.<br />
Die Kunst heute entspricht<br />
großteils dem ästhetischen<br />
Geist des Kapitalismus.<br />
Das Kunstsystem formt<br />
gerade ein ästhetisches<br />
Regime und hat dazu beigetragen,<br />
dass unser Kapitalismus<br />
so jubilatorisch,<br />
so<br />
Prometheus<br />
Titan in der griechischen Mythologie,<br />
brachte den Menschen<br />
gegen den Willen der Götter das<br />
wunderbar funktioniert<br />
und eine<br />
allumfassende<br />
reelle Subsumtion<br />
produziert<br />
hat. Innerhalb<br />
dieser gibt es<br />
kein subversives<br />
Handeln. Was sich<br />
einmal so genannt hat,<br />
ist systemnotwendigerweise<br />
völlig eingepreist. Ich<br />
versuche in allem, was<br />
ich mache, dagegen anzudenken.<br />
Darauf zielt der<br />
Akzelerationalismus, und<br />
das interessiert mich an<br />
der Denk- und Urteilsform<br />
der Abduktion.<br />
Feuer. Übersetzt heißt Prometheus<br />
„der Vordenker“.
PROMETHEISCHE PROJEKTE<br />
41<br />
Abduktion?<br />
L. E.<br />
A. A.<br />
Ja, Abduktion als Alternative<br />
zu Deduktion und<br />
Induktion. Wenn ich zum<br />
Beispiel ein Buch schreibe,<br />
darf am Ende nicht<br />
das herauskommen, was ich<br />
vorher als Arbeitshypothese<br />
hineingelegt habe –<br />
auch wenn das eigentlich<br />
die Art zu arbeiten ist,<br />
auf die mich die Universität<br />
getrimmt hat. Aber<br />
die Methode entwickelt<br />
sich erst beim Schreiben.<br />
Während man schreibt,<br />
verändert man sich und<br />
damit die Art und Weise,<br />
wie man denkt. Der Prozess<br />
ist mit dem fertigen<br />
Buch nicht abgeschlossen,<br />
denn das Geschriebene<br />
diffundiert in andere<br />
Bereiche, affiziert und<br />
steckt an und produziert<br />
etwas nicht Vorhergesehenes.<br />
In der Abduktion<br />
ist das angelegt. Deshalb<br />
scheint mir dieses Denkmodell<br />
symptomatisch für<br />
eine bestimmte Aufbruchsbewegung,<br />
die aus dem<br />
Ungenügen eines gegenwärtigen<br />
Handlungsparadigma<br />
heraus entstanden ist.<br />
L. E.<br />
Als Stadtforscher interessiert<br />
mich, wie sich der<br />
Akzelerationalismus ins<br />
Urbane einschreiben<br />
könnte. Wenn ich deinen<br />
Gedanken folge, haben<br />
heutige informelle Taktiken<br />
des Intervenierens<br />
und Bauens im städtischen<br />
Umfeld ihren subversiven<br />
Impetus ja schon verloren.<br />
A. A.<br />
Warum schaffen wir es<br />
nicht, diese Praktiken<br />
aus der Kritik zu befreien<br />
und ihnen einen emanzipatorischen<br />
Twist zu<br />
geben? Vielleicht können<br />
wir das eher, wenn wir<br />
uns nicht ständig Gedankenspielen<br />
über die Subversion<br />
hingeben. Diejenigen,<br />
die sagen, sie<br />
handeln subversiv, wollen<br />
ja nicht unbedingt etwas<br />
anderes als ich. Es<br />
bleibt nur die Frage, wie<br />
man Veränderung herstellt.<br />
Der Akzelerationalismus<br />
ist ja auch eine<br />
linke Theorie. Beim Akzelerationalismus<br />
geht es<br />
nicht darum, dass man<br />
sich einordnet, reproduziert.<br />
Was wäre denn zum<br />
Beispiel ein abduktives<br />
Bauen? Was wäre ein Bauen,<br />
das nicht einfach<br />
unter bestimmten allgemeinen<br />
Zwängen und konkreten<br />
Anlässen Kompromisse<br />
sucht? Was aus<br />
einer Zweierlogik<br />
ausbricht? Ich<br />
glaube<br />
nicht, dass<br />
es über politische<br />
Pamphlete<br />
geht,<br />
und ich glaube<br />
nicht, dass es<br />
über geniale<br />
Einfälle formensprachlicher<br />
Natur<br />
geht. Das sind alles<br />
ästhetische Ideen und<br />
Praktiken. Jedem Architekten<br />
und Aktivisten ist<br />
doch heute klar, dass es<br />
ein Zusammenspiel zwischen<br />
lokal und global<br />
geben muss. Aber wie das<br />
zu denken ist, wie eine<br />
altermoderne Architektur<br />
aussehen<br />
könnte, die<br />
nicht<br />
einem<br />
Situationismus<br />
ist im urbanen Kontext eng<br />
mit der Idee verknüpft, die<br />
Stadt als Spektakel zu<br />
modernistischen<br />
Universalismus,<br />
der über<br />
alles Partikulare<br />
drüber<br />
fährt, gehorcht,<br />
aber eben auch<br />
nicht einem weinerlichen,<br />
sich nichts<br />
zutrauenden und politisch<br />
kraftlosen und tatsächlich<br />
alles andere als<br />
begreifen. Die Situationisten<br />
unternahmen sogenannte<br />
subversiven Partikularismus<br />
gehorcht, kurz: Wie<br />
diese Architektur aussehen<br />
würde, das müssen<br />
andere herausfinden bzw.<br />
die entsprechenden<br />
Arbeitsformen entwickeln.<br />
L. E.<br />
Waren die Situationisten<br />
mit ihrer Idee der Stadt<br />
als Spektakel, also mit<br />
ihrer Taktik vom Umdeuten<br />
des urbanen Raumes durch<br />
zielloses Umherstreifen<br />
auf dem Weg zu einem, wie<br />
du es nennst, abduktiven<br />
Bauen?<br />
dérives – ziellose Wanderungen<br />
durch die Stadt, um<br />
sie dadurch auf neue Art zu<br />
erleben. In diesem Sinne<br />
A. A.<br />
Die Umdeutung des<br />
Raumes, die die Situationisten,<br />
Baudelaire<br />
und frühere<br />
betrieben haben,<br />
ist das, was sich<br />
heute verwirklicht<br />
hat. Städte<br />
sind heute<br />
Orte der Erlebnis-Stilisierung,<br />
der<br />
Reizkultur.<br />
Klaus Wowereit ist<br />
in diesem Sinne ein<br />
absolut zeitgemäßer Bürgermeister<br />
für Berlin als<br />
ästhetisierte Erlebnisstadt.<br />
Hier geht es gar<br />
nicht um die Situationisten<br />
oder irgendwelche<br />
Architekten, die<br />
bauen oder nicht<br />
bauen, sondern es<br />
herrscht eine<br />
sind die Situationisten Wegbereiter<br />
der Perfomance Art.<br />
Gouvernementalität<br />
ist ein vom französischen Philosophen<br />
Michel Foucault geschaffener Begriff<br />
zur Bezeichnung des für moderne<br />
Gesellschaften charakteristischen<br />
Zusammenwirkens von staatlichen<br />
Formen des Regierens und Techniken<br />
der Selbstregierung von Individuen.<br />
von oben verordnete<br />
Kulturalisierung<br />
des Städtischen.<br />
Eine gouvernementalisierte<br />
Er setzt sich zusammen aus den französischen<br />
Worten gouverner (regieren)<br />
und mentalité (Denkweise).<br />
Gentrifizierung<br />
mittels eines allumfassenden<br />
ästhetischen<br />
Regimes.<br />
L. E.<br />
Subversive Taktiken des<br />
Urbanen wären somit auch
<strong>Geheimsache</strong> #8<br />
42<br />
nur Benzin für den<br />
Antriebsmotor des Kapitalismus.<br />
Wie schützt sich<br />
denn der Akzelerationalismus<br />
vor dieser Usurpation?<br />
A. A.<br />
Es geht nicht darum, sich<br />
zu schützen, sondern es<br />
geht darum, sich hineinzuwerfen<br />
und zu manipulieren<br />
und sich, die Welt und das<br />
Allgemeine zu verändern.<br />
Und das ist nicht mit<br />
existenzialistischem<br />
Pathos gesprochen, sondern<br />
es geht für mich um den<br />
fortwährenden Wandel, der<br />
aber gesteuert werden<br />
muss. Im urbanen Kontext<br />
wäre deshalb für mich die<br />
Frage, ob man das, was man<br />
mit subversiven Interventionen<br />
bezwecken möchte,<br />
nicht eher über eine<br />
Poetisierung hervorbringen<br />
kann. Also das Hervorbringen<br />
von Räumen im antiken<br />
griechischen Verständnis<br />
von poiesis – ganz anders,<br />
als wir es heute verwenden.<br />
Wir verwenden heute<br />
Poetik quasi als Gegensatz<br />
von Praxis. Für die Griechen<br />
war aber die poiesis<br />
eine bestimmte Form von<br />
Praxis im Sinne eines<br />
Herstellens von Wahrheit,<br />
das sich unterscheidet vom<br />
bloßen Machen. Und meine<br />
Frage ist demzufolge die<br />
nach einem poetischen<br />
Denken und Handeln, das<br />
sich von der ästhetischen<br />
Trennung von Denken und<br />
Tun löst: Was wäre eine<br />
dementsprechende rationale<br />
Imagination? Was wäre<br />
diese poetische Praxis<br />
nicht als eine Poetisierung,<br />
sondern wirklich als<br />
eine Hervorbringungspraxis?<br />
Was wäre eine Hervorbringungspraxis,<br />
in der es<br />
wirklich um Produktion, um<br />
das Herstellen eines Wahrheitsraumes<br />
geht, in dem<br />
es Veränderungen, Transformationen<br />
gibt, der sich<br />
selbst verändert, der<br />
aktiv transformiert?<br />
L. E.<br />
Aber vermag nicht genau<br />
das die Subversion?<br />
A. A.<br />
In der Kunst<br />
und Kunsttheorie<br />
und in der<br />
Universität<br />
wird das kritische,<br />
subversive<br />
und ästhetische<br />
Ideal hochgehalten.<br />
Das ist dort gelebte<br />
Praxis: Sei kritisch, und<br />
kreativ, entfalte dich<br />
selbst. Das wird allen<br />
eingetrichtert. Jeder<br />
Künstler hat das nach<br />
spätestens drei Wochen an<br />
der Kunsthochschule drauf.<br />
Jeder Akademiker muss auch<br />
kritisch sein und macht<br />
schon in der zweiten<br />
Seminarsitzung im ersten<br />
Semester den Mund auf und<br />
opponiert. Wenn dann einer<br />
wie ich kommt und gegen<br />
die Kritik und für den<br />
Akzelerationalismus<br />
spricht, dann werde ich<br />
gleich als Krypto-Faschist<br />
gebrandmarkt, unkritisch<br />
und apokalyptisch, weil<br />
ich angeblich den Kapitalismus<br />
noch beschleunige.<br />
So stellt sich das innerhalb<br />
des ästhetischen<br />
Regimes eines Denkens dar,<br />
dem nur das Werkzeug der<br />
Kritik zur Verfügung<br />
steht und dem alles<br />
andere als unkritisch<br />
vorkommen muss. Ich<br />
glaube aber einfach nur<br />
nicht an die kritische<br />
Subversion, sondern<br />
manipuliere und transformiere<br />
lieber. Für<br />
mich persönlich hat das<br />
definitiv mehr Emanzipatorisches<br />
als Kritik oder<br />
Subversion. Es setzt Energien<br />
bei mir frei, und ich<br />
bin produktiver. Das kann<br />
man natürlich wieder kapitalistisch<br />
verformen, aber<br />
definitiv ist das nicht<br />
subversiv. Emanzipatorisches<br />
Denken muss ein<br />
ebensolches Handeln implizieren<br />
und kann nicht auf<br />
der Ebene der Reflexion<br />
bleiben. Was wäre denn,<br />
wenn ich in<br />
einem subversiven<br />
Akt versuchen<br />
würde,<br />
meine akademischen<br />
Kollegen<br />
von irgendetwas<br />
mittels ganz<br />
ausgefeilter<br />
Reflexionen zu überzeugen?<br />
Wovon überhaupt? Dass sie<br />
sich alle abduktiv transformieren<br />
sollen? Die<br />
würden mich anschauen, als<br />
ob ich noch verrückter<br />
wäre, als sie ohnehin<br />
schon glauben.<br />
•
„Kunst legt sich nicht<br />
in das für sie gemachte<br />
bett; sie macht sich<br />
davon, sobald man sie<br />
beim namen nennt.<br />
am liebsten wahrt sie<br />
das inkognito. sie zeigt<br />
sich im besten<br />
licht, wenn sie ihren<br />
namen vergisst.”<br />
Jean Dubuffet<br />
Französischer Künstler und Erfinder des Konzeptes der Art-Brut<br />
Collection de l’Art Brut
AYZIT BOSTAN FIGURATION<br />
© Ayzit Bostan und Fabian Frinzel
25 JAHRE FriedliChe<br />
ReVolUTIOn<br />
Die suBVersiVe KRAft<br />
der MensChenreChte<br />
„Die Deutsche Demokratische Republik ist ein sozialistischer<br />
Staat der Arbeiter und Bauern. Sie ist die politische Organisation<br />
der Werktätigen in Stadt und Land unter der Führung<br />
der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei.“<br />
So lautete Artikel 1 der Verfassung der DDR,<br />
eines Landes, das es nicht mehr gibt. Im<br />
Herbst 1989 hatten die „Werktätigen“ endlich<br />
genug davon, unter der „Führung der<br />
Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei“<br />
zu leben. Sie gingen auf die Straße und verlangten das,<br />
was in einer Demokratie üblich ist: freie Wahlen, Presseund<br />
Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, die Möglichkeit,<br />
Parteien zu gründen, und vor allem auch Reisefreiheit.<br />
Das Volk erkämpfte sich seine Rechte, und<br />
nach 40 Jahren an der Macht war das<br />
Ende für die SED, die herrschende Sozialistische<br />
Einheitspartei Deutschlands,<br />
gekommen. Mit der Öffnung der Mauer am 9. November<br />
1989 begann das sehr rasche Ende der SED-Herrschaft.<br />
Innerhalb von vier Monaten war ihr mächtigstes Instrument,<br />
„Schwert und Schild“ der Partei, das Ministerium<br />
für Staatssicherheit, entmachtet und abgewickelt, befanden<br />
sich alle seine Akten unter Kontrolle der Bürger. Was<br />
das Volk wirklich von der Partei hielt, zeigte es bei den<br />
ersten freien Wahlen in der DDR am 18. März 1990. Von<br />
99,94 Prozent der Wählerstimmen bei der letzten Wahl<br />
1986 sank die Zustimmung auf 16,4 Prozent ab, trotz der<br />
Umbenennung der SED in PDS (Partei des Demokratischen<br />
Sozialismus). Drei Monate später hielt die D-Mark<br />
Einzug in die DDR und drei weitere Monate später auch<br />
die Bundesrepublik. In weniger als 11 Monaten war das<br />
Land verschwunden.<br />
Vom Ende her betrachtet, beim entfernten<br />
Blick auf den rasanten Verfall eines Landes,<br />
fragt man sich, wieso die DDR nicht<br />
schon viel früher kollabierte, warum die<br />
Mauer nicht schon viel eher verschwand. Wieso sich 17<br />
Millionen Menschen damit abgefunden hatten, in einem<br />
Land zu leben, das ihre fundamentalen Menschenrechte<br />
einschränkte oder sie ihnen gar verweigerte. Je länger<br />
das alles zurückliegt, desto unverständlicher wird es, die<br />
Realität dieser Zeit zu begreifen.
T: Roland Jahn<br />
63<br />
Die Macht der Sozialistischen Einheitspartei<br />
beruhte auf der Beschränkung und<br />
Beschneidung von Menschenrechten, auf<br />
Einschüchterung und Repression und<br />
immer wieder auch auf tödlicher Gewalt. Die Toten an der<br />
Mauer, die Toten des Aufstands vom 17. Juni, die Toten in<br />
den Arbeitslagern und Gefängnissen – sie waren massives<br />
Zeugnis der Bereitschaft, die eigene Macht mit allen Mitteln<br />
zu sichern. Sie waren somit auch erfolgreiches Mittel<br />
der Abschreckung und deutliche Aufforderung zur Anpassung<br />
an das Geforderte.<br />
Für die meisten Menschen in der DDR waren<br />
diese brutalen Methoden nicht täglich spürbar.<br />
Wer der Aufforderung zur Anpassung an<br />
das Geforderte folgte, der vermied es nicht<br />
nur, die härtesten Konsequenzen aus unerwünschtem Verhalten<br />
am eigenen Leibe zu spüren. Für das eigene Überleben<br />
in der Diktatur war es auch hilfreich, Mauer, Stacheldraht<br />
und politische Häftlinge weitgehend auszublenden<br />
und sich an die verlangte Gefolgschaft im Alltag zu gewöhnen.<br />
Der Alltag in der SED-Diktatur, er verlangte von den<br />
Menschen ein Leben in vorgezeichneten Bahnen. Sofern<br />
diese Bahnen eingehalten wurden, konnte man halbwegs<br />
problemlos sein Leben leben. Eine Kindheit und Jugend<br />
begleitet von der Mitgliedschaft in den staatlichen Organisationen<br />
Junge Pioniere und Freie Deutsche Jugend (FDJ)<br />
sicherte die Möglichkeit auf einen Studienplatz. Das Mitlaufen<br />
bei den immer wiederkehrenden Paraden einen<br />
angenehmen Arbeitsalltag. Das Hinaushängen der Fahne<br />
an den geforderten Tagen die Ruhe im Plattenbau.<br />
Das Erscheinen zu den Wahlen, die mit „Zettel falten“<br />
ausreichend beschrieben waren, war ein besonders<br />
überwachtes und kontrolliertes Zugeständnis<br />
der Menschen in der DDR an die Macht im Staat.<br />
Schließlich „legitimierte“ es die Inszenierung der<br />
SED in der „demokratischen“ Republik.<br />
Das Leben in einer Diktatur, es stellt<br />
besondere Anforderungen an das<br />
Menschsein. Seine Individualität<br />
selbstbestimmt zu leben und zivilgesellschaftliches<br />
Engagement ohne Staat zu<br />
betreiben, das allein ist schon unter den Bedingungen<br />
einer Diktatur subversiv. Wenn eine bestehende<br />
Ordnung die Grundlagen des Zusammenlebens,<br />
die Achtung der Menschenrechte<br />
einschränkt, liegt es in der Logik eines solchen<br />
Regimes, dass das Normale zum Außergewöhnlichen<br />
wird, das politisch bekämpft werden muss,<br />
weil es das System der Diktatur in Frage stellt.<br />
Das spiegelte sich im Sprachgebrauch der Herrschenden<br />
in der DDR wider. Diejenigen, die für<br />
die Achtung der Menschenrechte eintraten, betrieben<br />
„ideologische Diversion“, sie waren „feindlichnegative<br />
Gruppierungen“, sie arbeiteten den „Feinden<br />
des Sozialismus“ in die Hände.<br />
Strategien der Selbstbehauptung und<br />
damit der Subversion im Sinne des<br />
Kampfes für die Menschenrechte<br />
zu entwickeln, war nicht einfach.<br />
Der Spielraum war oft eng. Mein eigenes Leben<br />
verlief eine gute Weile lang in jenen Bahnen, die<br />
die Partei von ihren Bürgern verlangte. Als Schüler<br />
war ich bei den Jungen Pionieren und in der<br />
FDJ. Das Verlangte zu tun, war im Empfinden jener<br />
Zeit nicht einmal eine Zumutung, sondern es war<br />
das, was für alle galt. Die Kritik am Staat, an seiner Engstirnigkeit,<br />
an der Gängelung der Menschen wuchs, aber<br />
als junger Mensch wollte ich aus meinem Leben etwas<br />
machen. Ich wollte studieren. Ein Studium aber verlangte<br />
ein hohes Maß an Anpassung. Immer wieder machte ich<br />
Kompromisse, um mein Ziel zu erreichen. Erfolgreich. Bis<br />
ich Anfang 1977, im dritten Semester, wegen meiner<br />
Kritik an der Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann<br />
von der Uni geworfen wurde.<br />
Befreit vom Druck, mich für mein Studium<br />
anpassen zu müssen, wollte ich meinen Protest<br />
gegen die Unterdrückung der Meinungsfreiheit<br />
bei einer Parade zum 1. Mai zeigen.<br />
Aber wie konnte ich mich dabei vor Verfolgung schützen?<br />
Am 1. Mai trugen die „Werktätigen“ die Losungen der SED<br />
durch die Straßen: „Vorwärts mit dem Programm des IX.<br />
Parteitags!“ Ein Schild, auf dem ein Protest gegen die Unterdrückung<br />
der Meinungsfreiheit zu lesen war, wäre ein sehr<br />
wahrscheinlicher Verhaftungsgrund gewesen. So kam mir<br />
die Idee, mich mit einem unbeschriebenen Plakat unter die<br />
SED-Parolen zu mischen. Wegen nichts konnte man mich
<strong>Geheimsache</strong> #8<br />
64<br />
auch nicht für etwas zur Verantwortung ziehen. Weil nun aber<br />
jeder auf seinen Plakaten die langfristig festgelegten Losungen<br />
der SED durch die Stadt zu tragen hatte, konnte das leere<br />
Plakat eine ganz eigene Wirkung entfalten. Und so geschah<br />
es auch. Das nackte Plakat wurde zu einer kleinen Botschaft,<br />
mein Protest gelang ohne weitere Zwischenfälle.<br />
Sich innerhalb der Regeln Freiräume zu<br />
suchen, um gegen die Verhältnisse aktiv zu<br />
wirken, wurde zu einer Art Sport für mich<br />
und meine Freunde in Jena. Als die polnische<br />
Gewerkschaft Solidarność 1981 zu einer Massenbewegung<br />
wurde, kaufte ich jede Menge kleiner polnischer<br />
Papierfähnchen. Die Solidarität mit dem polnischen „Brudervolk“<br />
war eine gern genutzte, offizielle Parole der DDR-<br />
Staatsführung. Sie nun auf so ein Fähnchen zu schreiben,<br />
so glaubte ich, konnte der Staat doch wohl nicht ahnden.<br />
Wie sollten sie sich gegen ihre eigenen Worte wenden?<br />
Ich wollte sie mit ihren eigenen Waffen schlagen. Eine<br />
ganze Weile ging auch das gut, obwohl die DDR die<br />
Solidarność zu einer „konterrevolutionären Gruppierung“<br />
erklärt hatte. Doch dann wurde mir eines dieser Fähnchen<br />
am Fahrrad zum Verhängnis. Die Stasi verhaftete mich<br />
wegen „Missachtung staatlicher Symbole“. Die deutschpolnische<br />
Freundschaft hatte mich nicht vor dem Zugriff<br />
des SED-Staates bewahrt.<br />
Als ich während der U-Haft meine<br />
Entlassung aus meiner Arbeitsstelle<br />
vor einem Arbeitsgericht anfechten<br />
wollte, wurde mir völlig klar,<br />
wie ein System funktioniert, das Menschenrechte<br />
und Rechtsstaatlichkeit nicht achtet. Und dass meine<br />
kleinen Strategien der Subversion eben doch<br />
auch naiv waren, weil sie im Grunde davon ausgingen,<br />
dass DDR-Recht und -Gesetz für alle galten,<br />
egal wie eingeschränkt sie formuliert waren. Denn<br />
auch nach DDR-Gesetzen durfte ein Untersuchungshäftling<br />
eigentlich nicht von seinem Arbeitgeber entlassen<br />
werden, bis nicht ein Urteil in der Anklagesache gesprochen<br />
war. Doch der Richter entschied gegen mich. Und mein<br />
Stasi-Vernehmer sagte mir siegesgewiss lächelnd nach dem<br />
Urteilsspruch: „Sehen Sie Herr Jahn, es kommt nicht darauf<br />
an, wer Recht hat, sondern wer die Macht hat.“<br />
Das hat mein Vertrauen in die Kraft der Subversion<br />
dennoch nicht erschüttert. So deutlich<br />
vermittelt zu bekommen, dass Unrecht<br />
von Staats wegen begangen wurde, hat die<br />
Notwendigkeit dagegen anzugehen, weiter begründet.<br />
m<br />
Juni 1983 wurde ich dann gegen meinen<br />
Willen aus der DDR geworfen und<br />
landete in West-Berlin. Meine Kontakte<br />
zu den Freunden hinter der Mauer, aber<br />
auch zu bereits ausgereisten und ausgebürgerten Freunden<br />
im Westen intensivierten sich. So entstand ein sehr<br />
lebendiges Informationsnetzwerk zwischen Ost und West,<br />
das auf eine neue Art zu einer Quelle der Subversion der<br />
Verhältnisse in der DDR wurde. Es war der besonderen<br />
Situation des geteilten Deutschlands zu verdanken, dass<br />
die Unterdrückung der Meinungsfreiheit in der DDR durch<br />
die Berichterstattung in den Medien der Bundesrepublik<br />
stetig und dauerhaft konterkariert wurde. ARD und ZDF<br />
(bis in die Mitte der Achtzigerjahre gab es noch keine<br />
Privatsender) waren in Sachen Informationsversorgung<br />
der DDR quasi subversive Medien. Sie sendeten Nachrichten,<br />
Unterhaltung und Informationen aus einem anderen<br />
Deutschland und immer wieder auch andere Informationen<br />
aus und über die DDR. Gegen diesen steten Strom<br />
an journalistisch vielfältigen, kritischen und streitbaren<br />
Informationen konnte die DDR nur mit Propaganda und<br />
Verboten angehen, die jedoch ihre Wirkung mit jedem<br />
Jahrzehnt ihrer Existenz verloren. Einzig die Bevölkerung<br />
der Region Dresden war von diesem Informationsfluss<br />
technisch abgeschnitten. Im „Tal der Ahnungslosen“ konnten<br />
die Antennen die terrestrischen Fernsehwellen nicht<br />
mehr wirklich einfangen.<br />
Als am 9. Oktober 1989 in Leipzig 70.000<br />
Menschen bei der Montags-Demo auf die<br />
Straße gingen, waren es die leicht verwackelten<br />
Videoaufnahmen auf grobkörnigem<br />
VHS-Material, die den Mut der Menschen dokumentierten.<br />
Es waren zwei kühne Aktivisten, Aram Radomski und Siegbert<br />
Schefke, die sich an jenem Abend auf einen<br />
Kirchturm geschlichen hatten, um diese verbotenen<br />
Aufnahmen zu machen. Es war ein beherzter Pfarrer,<br />
der ihnen den Turm aufschloss. Mutige Politiker<br />
und Diplomaten hatten dafür gesorgt, dass die<br />
Kamera in die DDR geschmuggelt worden war. Ein<br />
kühner Spiegel-Korrespondent hatte das gedrehte<br />
Material schließlich von Leipzig über Ost-Berlin<br />
heimlich nach Berlin-Charlottenburg gebracht, wo<br />
es im Sender Freies Berlin einen Tag später via<br />
Tagesschau und andere Nachrichtensendungen<br />
verbreitet wurde.<br />
Diese Bilder im West-Fernsehen wurden<br />
zum Signal für den Rest der DDR. Der<br />
Mut der Bürger war stärker als die Macht<br />
der Partei. Es war ein Signal dafür, dass<br />
man die Angst vor den Folgen des eigenen Handelns verloren<br />
hatte. Die Angst, das war der Kitt der Diktatur. Als<br />
sie verschwand, wie es überwältigend auf der Straße<br />
demonstriert wurde, da verloren die Mächtigen die Kontrolle<br />
über die Menschen.<br />
Das ist für mich die zentrale Erkenntnis, die<br />
die Erinnerung an die Friedliche Revolution<br />
so wichtig macht: Diktatur ist überwindbar.<br />
Die bestehenden Verhältnisse zu verändern,<br />
wenn ihre Ignoranz gegen die Menschenrechte es<br />
notwendig macht, kann gelingen. Selbst wenn es lange<br />
dauert, bis es soweit ist. Viele kleine Schritte, viele kleine<br />
Subversionen ergeben irgendwann den Durchbruch, einen<br />
Wandel ohne Gewalt, eine Friedliche Revolution.<br />
•
SuBve<br />
rsive<br />
Reprod<br />
uction<br />
O<br />
o<br />
A new approach to teach and<br />
learn entrepreneurship
T: Sylvain Bureau & Pierre Tectin<br />
67<br />
Introduction<br />
A large part of the American entrepreneurial elite studied<br />
at top Universities: Larry Page (Google), Jerry Yank (Yahoo!)<br />
and Peter Thiel (Paypal) were at Stanford; Richard Stallman<br />
(GNU), Bill Gates (Microsoft), Mark Zuckerberg (Facebook)<br />
and Salman Khan (Khan University) were at Harvard; Jeff<br />
Bezos (Amazon) was at Princeton; Pierre Omidyar (Ebay)<br />
was at Tufts and so on and so forth. Instead of reproducing<br />
society through traditional careers, these entrepreneurs<br />
develop subversive projects which challenge rules and<br />
values related to privacy, propriety rights, education or<br />
commerce. We define this double process as the subversive<br />
reproduction: the reproduction of an elite which subverts<br />
our society to create new social dynamics. After a brief<br />
overview of the subversive dynamics of entrepreneurship,<br />
we explain how we try to support the process of subver sive<br />
reproduction at the oldest Business School in the world,<br />
ESCP Europe.<br />
What is subversion?<br />
“That which comes into the world to disturb<br />
nothing deserves neither respect nor patience.”<br />
(René Char, 1948)<br />
In old French, the word subvertisseoir designates<br />
the person who overthrows; in other words,<br />
someone who destroys the established order.<br />
More generally, we can define subversion as an<br />
interplay between three actors: some activists, a system<br />
and the masses. In this game, the activists intend to destroy<br />
a system using efficient techniques. Eventually, the subversive<br />
activities provoke various scandals among public<br />
opinion. In the 20th century, the term was used in a variety<br />
of historical contexts: the Cold War, decolonization,<br />
May ‘68 in France, the sexual revolution, or avant-garde<br />
artistic movements.<br />
Subversion: from art to<br />
entrepreneurship<br />
The word subversion is largely diffused in the<br />
art world and barely used in the business<br />
world. This situation is quite surprising regarding<br />
the subversive potential of each context.<br />
We have listed below three necessary conditions and one<br />
sufficient condition for art and entrepreneurship to be<br />
subversive:
<strong>Geheimsache</strong> #8<br />
68<br />
Many entrepreneurs use the media not only to challenge<br />
competitors but also to explain how their business<br />
changes the world. They tend to generate cleavages<br />
within society, with some people strongly in favour or<br />
against them (which is propitious to launch a buzz).<br />
Peter Thiel and Larry Flint are typical examples of these<br />
Larry Flint, Vice meets Larry Flint<br />
Drawn by Pierre Tectin
SuBversive Reproduction<br />
69<br />
Conditions<br />
Art<br />
Entrepreneurship<br />
Not totally autonomous<br />
New representations<br />
and emotional perceptions<br />
Behavioural impact beyond<br />
own field<br />
Weakly connected<br />
to society<br />
Frequently<br />
Occasionally<br />
Firmly connected<br />
to society<br />
Frequently<br />
Typically<br />
Activism Frequently Occasionally<br />
Dynamics<br />
Triad of actors<br />
Artist, institution,<br />
masses<br />
Intent to destroy Frequently Occasionally<br />
Action with limited<br />
Frequently<br />
Frequently<br />
resources<br />
Scandals Frequently Occasionally<br />
Table 1: Subversion in art and entrepreneurship<br />
Entrepreneur, established<br />
firms/ institutions, clients<br />
Based on this comparison, it seems that the<br />
potential for subversion is high in the two<br />
contexts. Both creative artists and entrepreneurs<br />
tend to alter and transgress many<br />
operating rules of a field so as to change the status quo.<br />
Among artists, this is especially true in the case of groundbreaking<br />
ideas that challenge contemporary conventions.<br />
The Situationists International (SI), for instance,<br />
developed a radical critical outlook with a<br />
form of juxtaposition of Rimbaud’s search<br />
to “change life” and Marx’s wish to “transform<br />
the world”1. In this perspective, the members of SI,<br />
called Situs, wanted to impact events and participate in<br />
the transformation of the Real. According to them, life is<br />
a series of fortuitous situations that are for the greatest<br />
majority so indistinguishable and so dull that they give off<br />
a perfect impression of resemblance. When that is not the<br />
case, when finally a situation gets a little out of the ordinary,<br />
then these rare captivating situations withhold and<br />
progressively limit the rest of life. To overcome this dilemma,<br />
Situs put forward an efficient technique of construction<br />
of situations, whose purpose was to disrupt everyday<br />
life. This technique involved the construction of “moments”<br />
of life that generated new desires and new emotions through<br />
a play on events and the collective organization of a unified<br />
atmosphere. These situations were subversive by definition,<br />
and scandalous: shouting out that “God is dead” in<br />
a cathedral, for example. By doing so, they challenged the<br />
system (e.g. the Catholic Church) and created a cleavage<br />
between those who were against these attacks and those<br />
who were in favor. The Russian art movement Voïna and<br />
the Chinese artist Ai Weiwei are contemporary examples<br />
of activism in art. Similarly, the entrepreneur engaging in<br />
creative destruction must be prepared to take on the role<br />
of the diverging figure.<br />
Entrepreneurial<br />
subversion: illustrations<br />
In the 1960s, entrepreneurs illegally developed<br />
private radio stations in the United Kingdom.<br />
The State’s authority was challenged with extremely<br />
limited resources. Each party attempted<br />
to seduce the population, and the famous Caroline Radio<br />
was particularly successful in that endeavor, contributing<br />
to the legitimization of rock-and-roll and to new forms of<br />
radio broadcasting.<br />
In the mid-70s, Larry Flynt founded Hustler magazine.<br />
At that time, Playboy was the dominant<br />
actor in an industry which had made significant<br />
changes to increase its respectability. In 1976,<br />
for instance, the very religious presidential candidate Jimmy<br />
Carter agreed to do an interview with this erotic magazine.<br />
Hustler’s editorial policy was deliberately on the<br />
opposite end of Playboy’s: instead of seeking the approval<br />
of institutions, Hustler proclaimed its independence<br />
and flaunted its image as unapologetically pornographic.<br />
Everything in Hustler’s story evokes the idea of subversion.<br />
The context brought together three actors: a system<br />
(Puritan values and American obscenity laws), the masses<br />
(American citizens), and a group of activists (the Hustler<br />
start-up). Their message was radical in nature and sought<br />
to destroy the puritan morals of the time. Twisting the spirit<br />
behind the First Amendment to the American Constitution<br />
that guaranties freedom of expression, Larry Flynt<br />
defended his right to publish pornography as a form of<br />
expression and demanded the abolition of censorship.<br />
Finally, despite depending on resources that were extremely<br />
limited at first, the magazine provoked such scandals<br />
and high-publicity trials that it was soon known across<br />
the country and financially very lucrative.
<strong>Geheimsache</strong> #8<br />
A<br />
famous example is also The Free Software<br />
Movement, whose leader, Richard<br />
Stallman, has been trying to provide free<br />
and open access to software source<br />
codes since the early 1980’s. Stallman’s core beliefs are<br />
best summed up in this sentence of his 1985 Manifesto:<br />
“Proprietary modifications will not be allowed.”2<br />
Thus, this project challenges one of the central<br />
founding blocks of capitalism: intellectual property<br />
rights.Worth mentioning are also the<br />
American entrepreneurs who<br />
are Libertarians and whose<br />
ambition is to destroy the<br />
power of the State, or at least to limit it significantly. Peter<br />
Thiel, for instance, who founded Paypal in the late 1990’s<br />
with the initial objective to create a private international<br />
currency that would undermine the State’s monopoly on<br />
issuing money. This project was met with great hostility<br />
and led to several lawsuits, preventing it from attaining<br />
its original goal. Nevertheless, it now generates extremely<br />
high revenues that reach several billion dollars.<br />
In these examples, there is more than just a<br />
competition between economic players. There<br />
are some subversive dynamics initiated by entrepreneurs<br />
trying to diffuse their innovations.<br />
Learning subversion in a Business<br />
School?<br />
If entrepreneurs challenge the status quo, break<br />
the rules, and subvert systems; as a professor<br />
at ESCP Europe, how can I teach such a thing?<br />
The problem I have to answer this question is<br />
that I am teaching in top ranked programs at ESCP Europe.<br />
I am not in a garage somewhere planning to change<br />
the world. I am part of the most established business<br />
schools in Europe. I am part of this system of reproduction<br />
described by Pierre Bourdieu.<br />
Trying to solve the dilemma, I started to explore<br />
the art scene and the theories about art.<br />
This approach is not unusual. Art-based learning<br />
in business schools is a common practice.<br />
Art is used as an illustration for case studies. Art is<br />
also used as an analogy to develop business skills through<br />
an instrumental perspective: art can help to leverage your<br />
leadership or your creativity through practicing theater for<br />
example. All of that makes a lot of sense but there is one<br />
thing missing when people use art for business purposes:<br />
subversion. Subversion in art is a common practice. You<br />
can find many texts and references about art and subversion.<br />
If we want to develop analogies and metaphors with<br />
art in education; we should consider that very key aspect.<br />
Eventually, I started to collaborate with Pierre Tectin, an<br />
artist working in squats in Paris and its suburbs; a sort of<br />
subversive artist doing weird things according to a guy<br />
like me. Eventually, after some (situationist) drifts, we developed<br />
an experiment: Improbable.<br />
Improbable is a creative method to learn and<br />
experience entrepreneurship through art.<br />
Courses do not only take place in classrooms<br />
but also in museums, studios and other unusual<br />
spaces. Participants do not only have to write business<br />
plans but are also asked to create (subversive) artistic<br />
prototypes. Key resources are not only<br />
investors but also artists and encounters<br />
of all sorts. Conceived as a 4-day workshop,<br />
Improbable creates an extreme<br />
setting with no pre-assigned artefacts<br />
and routines, no hierarchy in teams, a<br />
diversity of the participants’ backgrounds,<br />
a highly compressed time frame<br />
and total freedom to choose the form and content of<br />
the final output.<br />
Improbable: a dialogical pedagogy<br />
To enable the students to let go of their preconceptions<br />
and create, we designed various<br />
heteropias and developed a dialogical<br />
pedagogy. According to Michel Foucault, contrary<br />
to utopias, heterotopias are physical spaces but they<br />
are spaces where you can rethink about the world as if you<br />
were outside it. To explore, imagine and challenge the status<br />
quos, our students have to experience new roles, time<br />
and spaces. During Improbable, participants work at night,<br />
discuss with people in the streets, collect garbage, barter<br />
various material and immaterial objects… They do a list of<br />
things that they never do or that they never even imagine<br />
they could do in a professional environment. Thus, traditional<br />
business schools students act as entrepreneurial apprentices<br />
taking a transitory role such as that of an artist<br />
within a transitory environment such as La Cartonnerie (one<br />
of the studios where these workshops take place in Paris).<br />
Although ephemeral, these experiences generated intense<br />
feelings in so far as it involved a disruption in the form of<br />
the challenging task of ‘having to let go’ of a ‘stable state’<br />
in order to ‘move to’ a new one.<br />
Moreover, during the process, we continuously<br />
support (contradictory)<br />
dialogues of all sorts: dialogues<br />
between students and the academic<br />
team, but also among students, between students and<br />
unknown people in the street… This process enables what<br />
Michael Bakhtin names the dialogical process which is key<br />
to challenge the taken for granted.<br />
Among the 300 people who attended the<br />
last opening exhibition, there were some<br />
recognized artists and curators. They were<br />
quite amazed by the quality of the work<br />
as well as the presentations and discussions they had<br />
with the students.<br />
Improbable and its subversive outputs<br />
70<br />
The works of art created by the students challenged<br />
the perceived status quo in different<br />
ways. These physical outputs seem to help<br />
students to explicit their vision of the world;
SuBversive Reproduction<br />
71<br />
entrepreneurs who challenge the status quo and are<br />
“ideal characters” for TV shows. Far from only being<br />
mediatised heroes, these entrepreneurs know very well<br />
how political activism can be integrated into their<br />
(subversive) marketing strategies.<br />
Peter Thiel, Has America lost its ability to dream big? (CNN)<br />
Drawn by Pierre Tectin
<strong>Geheimsache</strong> #8<br />
72<br />
Illustrations<br />
for the work of art<br />
Illustrations<br />
for the events<br />
Finance Group: two juxtaposed<br />
videos presenting<br />
parallel realities of the<br />
world of finance. One<br />
showing the time/space<br />
disconnections of dominant<br />
market finance from the<br />
real world entrepreneurs,<br />
and another recording the<br />
entrepreneurial aspects of<br />
this video-development<br />
process itself during the<br />
Improbable workshop.<br />
Finance Group: creation of<br />
an event to raise awareness<br />
about Crowdfunding.<br />
To do so, students organized<br />
a live event and a<br />
conference of entrepreneurs<br />
involved in Crowdfunding,<br />
including an open<br />
debate on the value of<br />
this emergent domain in<br />
addressing inherent inefficiencies<br />
of traditional<br />
finance.<br />
Entrepreneurial Festival<br />
Group: a yellow jacket was<br />
given to audience members<br />
who had to wear it and<br />
pass it onto each other.<br />
Through this process,<br />
unexpected discussions and<br />
interactions were developed<br />
on the day of the<br />
exhibition opening.<br />
Entrepreneurial Festival<br />
Group: a ‘Human Shaker<br />
Experience’ was designed<br />
to develop new ways of<br />
networking to enable<br />
improbable encounters<br />
during an event; instead<br />
of a traditional cocktail<br />
where people tend to engage<br />
with people they already<br />
know and within hierarchical<br />
limits.<br />
TABLE 2: Examples from<br />
Improbable 2012, Paris<br />
in other words, to form their own ideologies.<br />
starting with these artistic productions, students<br />
develop entrepreneurial projects which go far<br />
beyond the art world. This detour in art makes<br />
them not only practice creation but also helps<br />
them realize better what they want to fight for/<br />
against and why.<br />
Beyond these examples, Improbable<br />
was described by the students as<br />
an intense and memorable experience<br />
in itself. A moment of emancipation,<br />
about doing things in life that you don’t know you<br />
can do. Improbable is not only a tool, an instrument, a detour.<br />
Art cannot be just a detour. Art is also valuable in itself in<br />
this context. Improbable might be very useful because it<br />
seems a priori useless to ask business school students to<br />
create a contemporary piece of art.<br />
Conclusion: from subversion to a<br />
subversive reproduction<br />
ESCP Europe offers more and more programmes<br />
addressing subversion. By deviating techniques<br />
designed by the Situationists (e.g. the drift<br />
described by Guy-Ernest Debord) or concepts<br />
like heterotopias (e.g. Foucault), we<br />
try to infuse these subversive dynamics.<br />
Even though Improbable is an<br />
on-going research project related to<br />
several topics (subversion, leadership,<br />
effectuation, informal practices<br />
in entrepreneurship, dialogism,<br />
enactment…), we still know very little<br />
about these questions and more<br />
needs to be done to assess the<br />
impacts and understand the dynamics<br />
of such workshops. At least, we know what we would<br />
like to achieve. We hope that these methods help to disrupt<br />
the infinite reproduction of our elites. We hope that these<br />
programs help to create new territories where people from<br />
various social and cultural backgrounds can become actors<br />
and play, invent, work with more capabilities than today. We<br />
hope that we won’t reproduce an elite but support a subversive<br />
reproduction…<br />
•<br />
www.improbable.strikingly.com
Related publications of the authors<br />
Bureau, Sylvain (2014) “Piracy as an avant-garde deviance: how do entrepreneurial<br />
pirates contribute to the wealth or misery of nations?”, International Journal<br />
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Bureau, Sylvain & Zander, Ivo (2014) “Entrepreneurship as an Art of Suver sion”,<br />
Scandinavian Journal of Management, Vol. 30, n°1, pp. 124-133<br />
Bureau, Sylvain (2014) “Improbable: How to experience entrepreneurship through<br />
Effectual Art”, EFMD Entrepreneurship Conference, Babson College, Boston, Feb.<br />
23-25<br />
Zorina, Aljona; Bureau, Sylvain (2014) “Creative Destruction as Sociomaterial<br />
Becoming: Insights from the Entrepreneurial Processes”, OLAP, Roma, Italy, June<br />
26-27<br />
Verzat, Caroline; O’Shea, Noreen; Bureau, Sylvain (2014) “Apprendre à entreprendre<br />
en équipe, le rôle du leadership distribué”, 5èmes Journées Georges Doriot, Rabat,<br />
Maroc, May 15-16<br />
Bureau, Sylvain; Tectin, Pierre; Bruno, Christophe (2014) “Does the education<br />
system reproduce an elite who subverts our society? The case of a subversive<br />
reproduction within a European Business School”, AoMo, Copenhaguen, Aug. 28-31<br />
Bureau, Sylvain (2013) “Entrepreneurship as a Subversive Activity: How Can<br />
Entrepreneurs Destroy in the Process of Creative Destruction?”, M@n@gement,<br />
Vol. 16, n°3, pp. 204-237<br />
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Vol. 19, n°47<br />
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Business School: an ‘improbable’ encounter”, European Group of Organization<br />
studies, Montréal, Canada, July 4-6<br />
Bureau, Sylvain; Tectin, Pierre (2013) “Effectual Art: A First Definition”, Effectuation<br />
Conference, Lyon, June 3-4<br />
Bureau, Sylvain; Fendt, Jacqueline (2012) “La dérive Situationniste : le plus<br />
court chemin pour apprendre à entreprendre ? ”, Revue Française de Gestion,<br />
Vol. 38, n°223, pp. 181-200<br />
Bureau, Sylvain; Tectin, Pierre (2012) “Improbable”, ouvrage collectif sur<br />
l’exposition Improbable, Paris<br />
Bureau, Sylvain; Koufaris, Marios (2012) “How to Teach Effectuation: The<br />
situationist Dérive as a Solution?”, Academy of Management, Boston, MA., Aug. 3-7<br />
Bureau, Sylvain (2012) “Bringing the Informal Economy into the Classroom:<br />
A Barter Experiment”, Symposium Aesthetic Marketplaces in Informal Economies:<br />
An Artifactual Experience, Ed. S. Sarasvathy, Academy of Management, Boston, MA.,<br />
Aug. 3-7<br />
Bureau, Sylvain; Fendt, Jacqueline (2011) “Entrepreneurship and Situationism:<br />
A Détournement”, European Group of Organization Studies, Gothenburg, Sweden,<br />
June 6-9
JeNseits<br />
von Sub<br />
Für eine neue Bewegung<br />
der Befrei-<br />
Ver<br />
ung (von) der Arbeit<br />
sionund<br />
SoziaL<br />
darWin<br />
ismus<br />
74
T: Michael Hirsch<br />
Kapitalismus als Subversionsmaschine<br />
Die Frage nach der Emanzipation ist die<br />
nach einem fortschrittlichen Zusammenhang<br />
von vier Elementen des Sozialen:<br />
von Subjektbildung und subjektivem<br />
Begehren, der Gewalt von Staat und Ökonomie<br />
über unser Leben, dem Befreiungspotenzial und<br />
den Organisationsformen sozialer Bewegungen<br />
und sozialen Ideen. Die Frage ist bis heute offen,<br />
und zwar ebenso auf der intellektuell-kulturellen<br />
wie auf der politischen und individuellen Ebene.<br />
Wir sind in den letzten zwei Jahrzehnten Zeugen<br />
des Niedergangs von gewerkschaftlicher und sozialdemokratischer<br />
Organisationsmacht und ihrer<br />
strategischen Intelligenz gewesen; Zeugen vom<br />
Verlust eines allgemeinen politischen Fortschrittsprojekts<br />
der Linken bereits auf der intellektuellen<br />
Ebene und der Herausbildung neuer Subjektivitätsformen,<br />
welche sich in der Zeit weniger<br />
als emanzipatorisch als vielmehr dem post-fordistischen<br />
Arbeitsregime und seinen Zwängen angepasst<br />
erweisen.<br />
Die Figur der Subversion ist ein Symptom<br />
für diese mehrfache Krise<br />
des Emanzipationsgedankens; für eine<br />
Krise des politischen, politökonomischen<br />
und kulturellen Freiheitsgedankens zugleich. Konnte die<br />
kulturelle Linke noch eine Zeitlang davon träumen, dass<br />
Subversion eine machtvolle Figur nicht nur des Ausdrucks<br />
individuellen Freiheitsstrebens, sondern auch der effektiven<br />
emanzipatorischen Umwandlung der herrschenden<br />
wirtschaftlichen und staatlichen Systeme, ihrer Konformitätszwänge<br />
und ihres Machtpotenzials sein könnte, so<br />
zeigt sich seit knapp zwei Jahrzehnten: Der zeitgenössische<br />
Kapitalismus selbst ist der absolute Meister der Subversion.<br />
Er eignet sich alle gegen ihn gerichteten Wünsche<br />
und Energien an, programmiert sie um und unterwirft sie<br />
seinen Zwecken. So hat er es geschafft, im Verbund mit<br />
dem neoliberalen Staat die Arbeitsverhältnisse in einer<br />
Weise zu deregulieren, dass zuletzt die ökonomische Herrschaft,<br />
das Kommando zunehmend in den Subjekten selbst<br />
verankert und die Fremdzwänge zunehmend in Selbstzwänge<br />
überführt wurden. Er hat es geschafft, den Kampf<br />
gegen kapitalistische Lohnarbeit und Entfremdung immer<br />
mehr umzufunktionieren in einen Imperativ der Selbstverwertung<br />
des Subjekts und der sozialen Entsolidarisierung.<br />
Der sogenannte Arbeitskraftunternehmer scheint mittlerweile<br />
bereit zur freiwilligen Selbstausbeutung. Dies war<br />
schon Maurizio Lazzaratos These in seinem Beitrag „Immaterielle<br />
Arbeit“ in dem Buch „Umherschweifende Produzenten.<br />
Immaterielle Arbeit und Subversion“, das 1998 in<br />
Deutschland erschien. Der Befund lautet: Der zeitgenössische<br />
Kapitalismus ist die gerissenste Maschine zur kreativen<br />
Aneignung aller gegen ihn gerichteten Bestrebungen.<br />
Resignative Leitideologie<br />
An diesem Stand der Dinge hat sich bis<br />
heute nichts geändert. Seitdem sind einige<br />
schlaue soziologische Veröffentlichungen<br />
hinzugekommen, welche diese Thesen<br />
en détail entfalten. Die bekanntesten sind „Der neue<br />
Geist des Kapitalismus“ von Luc Boltanski und Ève Chiapello;<br />
„Das erschöpfte Selbst. Depression und Gesellschaft<br />
in der Gegenwart“ von Alain Ehrenberg; „Das unternehmerische<br />
Selbst. Zur Soziologie einer Subjektivierungsform“<br />
von Ulrich Bröckling. Alle<br />
diese Bücher sind Teil und Symptom<br />
einer resignativen gesellschaftlich-kulturellen<br />
Grundstimmung;<br />
einer Gesellschaft,<br />
die zur Gestaltung der Geschichte<br />
nicht mehr die Phantasie hat,<br />
sondern ihre Kraft aufzehrt in<br />
der Anpassung an die als naturgegeben<br />
erscheinende Evolution<br />
von Kapital, Ökonomie und<br />
Technologie. Unsere Gegenwart<br />
hat einige Züge der Spätphase<br />
der DDR, in der allen Beobachtern<br />
das herrschende System<br />
als unveränderlich erschien,<br />
während es innerlich unmerklich<br />
zerfiel. Und in der den einzelnen<br />
Subjekten mangels Alternative<br />
kleine subversive Gesten und<br />
Ausbrüche aus dem erlaubten Korridor des Normalen wie<br />
das höchste der Gefühle in Sachen Freiheit erschien. Denn<br />
Subversion ist ein Zeichen von Schwäche. Wenn wir der<br />
Ansicht sind, dass die herrschenden Lebensbedingungen<br />
uns weder auf der individuellen noch auf der kollektiven<br />
Ebene Raum für autonome Neugestaltungen lassen, dann<br />
trösten wir uns mit kleinen Gesten des Widerstands. Dann<br />
geht es fast nur noch um die subjektiven Effekte der (vermeintlichen)<br />
Unterwanderung eines herrschenden Regimes.<br />
Wenn alle, auch die Herrschenden selbst,<br />
zunehmend nur noch Getriebene einer<br />
als übermächtig und unbeherrschbar<br />
empfundenen Struktur sind; wenn<br />
sowohl die kollektive Handlungsfähigkeit als auch die<br />
individuellen Alternativen zu den bestehenden Formen<br />
des Arbeitens und Wirtschaftens kleiner werden, dann<br />
bemächtigt sich eine tiefe Resignation der Menschen.<br />
Dann bleibt nur noch der Trost kleiner Praktiken der Verweigerung.<br />
Subversion ist die Leitideologie einer unfreien<br />
Gesellschaftsordnung. Sie sagt: Ich kann nichts machen,<br />
mir bleibt nichts anderes übrig, als so zu handeln wie ich<br />
handle, wie wir alle handeln; es ist letztlich gar nicht ich<br />
selbst, der hier handelt, sondern das herrschende Regime<br />
der Arbeitsorganisation und Regulierung des Sozialen. Die<br />
Subversion erzeugt einen imaginären Abstand zum eigenen<br />
Tun. Sie verbirgt die Tatsache, dass unter den bestehenden<br />
Bedingungen die Einzelnen immer mehr zu Mitläufern<br />
werden, in den Schulen und Hochschulen, in den<br />
Familien, in den Parteien und Gewerkschaften, in Behörden,<br />
Betrieben und Unternehmen.<br />
Die Ausnahme als Normalzustand<br />
75<br />
Wenn die Ausnahme zum Normalzustand<br />
wird; wenn die Herausforderungen an<br />
Einzelne und Kollektive chronisch<br />
immer ein wenig über deren Kapazität
<strong>Geheimsache</strong> #8<br />
zu Leistung und Problemlösung liegen – dann leben die<br />
Menschen im Neoliberalismus. Man kann diesen Herrschaftstyp<br />
so definieren: Die Menschen gewöhnen sich<br />
zunehmend an irreguläre Zustände und Anforderungen.<br />
Die Krise in Permanenz ist unser Lebensgefühl geworden.<br />
Das ist keine besonders originelle Einsicht mehr. Indessen<br />
ist es intellektuell von großer Bedeutung, sich die Folgen<br />
dieser Konstellation vor Augen zu führen. Sie liegen zunächst<br />
einmal auf der Ebene der Lebensformen und Gewohnheiten,<br />
im privaten wie im beruflichen Umfeld gleichermaßen.<br />
Und sie liegen auf der Ebene der Frage nach demjenigen<br />
Menschentyp, der sich in solch einer Situation durchsetzen<br />
kann. Wenn die Kämpfe ums Überleben heftiger werden,<br />
dann wird sich ein ganz bestimmter Menschentyp durchsetzen:<br />
ein vitaler Typ von Mensch, der sich der Situation<br />
des permanenten Kampfes ums Dasein anpassen kann.<br />
Es gehört nicht viel Scharfsinn dazu zu sehen, dass dies<br />
ein durchsetzungsstarker, aber nicht gerade besonnener,<br />
nachdenklicher, rücksichtsvoller, um die zukünftigen Bedingungen<br />
der sozialen, kulturellen und ökologischen Reproduktion<br />
der Gesellschaft besorgter Menschentyp sein wird.<br />
Die soziale, kulturelle und ökologische Qualität der Praxis<br />
ist für ihn kein Kriterium. Er ist nur darum besorgt, dass<br />
es „so weiter“ geht wie bisher. Von Walter Benjamin stammt<br />
der schöne Satz: „Daß es ‚so weiter‘ geht, ist die Katastrophe.“<br />
Dass das Weiter-So möglicherweise nicht nur in<br />
eine Katastrophe führt, sondern bereits der Anfang einer<br />
Katastrophe sein könnte – diese Möglichkeit existiert im<br />
Bewusstsein des neoliberalen Kraftmenschen nicht. Der<br />
praktische Sozialdarwinist ist viel zu sehr mit dem Kampf<br />
ums Überleben beschäftigt. Seine ganze Kraft wird von<br />
der Anstrengung aufgezehrt, die es kostet, dafür zu sorgen,<br />
dass es erst einmal „so weiter“ geht. Die neuen Eliten im<br />
Staat und in der Wirtschaft, in Schulen und Hochschulen,<br />
im sozialen wie im kulturellen Bereich – sie sind kampfbereite<br />
Sozialdarwinisten. Sie sind die Klonkrieger des<br />
Neoliberalismus.<br />
Irreguläre Arbeitsbedingungen<br />
– freiwillige Mehrarbeit<br />
Wir leben heute in einer Dystopie. Ihr<br />
Merkmal ist die allgemeine Über-Identifikation<br />
des Subjekts mit seiner<br />
Arbeit. Sie entspricht der Schließung<br />
des gesellschaftlichen Zukunftshorizonts. Es handelt sich<br />
dabei nicht nur um ein Regime der allgemeinen erzwungenen<br />
Mehrarbeit und der wachsenden Ungleichheiten<br />
von Einkommen und Anerkennung,<br />
sondern eben auch um<br />
eines der extremen libidinösen<br />
Besetzung von Arbeit. Waren bis<br />
vor kurzem die normalen Arbeitszeiten<br />
und Arbeitsanforderungen<br />
noch an einer tariflich vereinbarten<br />
und an einem hypothetischen<br />
Gesellschaftsvertrag abgelesenen<br />
Norm orientiert, so scheint<br />
die neue Norm eben die zur<br />
Regel gewordene Ausnahme geworden zu sein: permanente<br />
Mehrarbeit, Überstunden, Deregulierungen und<br />
Intensivierungen der Arbeit in allen möglichen Formen.<br />
Die neue Arbeitsnorm in den avancierten Professionssystemen<br />
der Wirtschaft, aber auch der Kultur ist auf einer<br />
prinzipiellen Ebene irregulär. Es gibt nunmehr nicht mehr<br />
da und dort Abweichungen von der Norm; die Abweichung<br />
ist zur neuen Norm geworden. Man kann sich kaum noch<br />
auf einen geltenden Standard berufen, um sie zu kritisieren<br />
und gegebenenfalls zu verändern.<br />
Das aber bedeutet, dass sich der klassische<br />
Gesellschaftsvertrag aufgelöst hat. Er war<br />
um das Normalarbeitsverhältnis herum<br />
organisiert – letztlich um die Idee einer<br />
normativ aufgeladenen Grenze zwischen Arbeit und Nichtarbeit,<br />
mit einer klaren Fortschrittsachse: als fortschrittlich<br />
galt – analog zur Steigerung wirtschaftlicher Produktivität<br />
– das Ziel der Verringerung der Gesamtarbeitsmenge und<br />
entsprechend das Ziel der Verringerung und sozial gerechten<br />
Verteilung von Arbeitszeiten und Arbeitsarten (1.); das<br />
Ziel der möglichst egalitären Verteilung von Löhnen und<br />
Gehältern (2.); schließlich das Ziel der möglichst weitgehenden<br />
Mitbestimmung oder demokratischen Verfügung<br />
der Arbeitenden über die Prozesse ihrer Produktion und<br />
Zusammenarbeit (3.).<br />
Neue Regelungen – gegen die<br />
Überidentifikation mit der Arbeit<br />
Wenn dieser Gesellschaftsvertrag aufgegeben<br />
wird und (implizit) durch<br />
einen der permanenten Steigerung<br />
von wirtschaftlicher Produktivität<br />
ohne die Perspektive der „Vermeidung nutzloser Arbeit“<br />
(Karl Marx) ersetzt wird, dann ist die Folge die Implosion<br />
des Arbeitsprozesses in die Gesellschaft: die Kolonialisierung<br />
der Lebenswelt durch die Imperative wirtschaftlicher<br />
Rationalität. Dies ist wiederum auch kein sonderlich<br />
neuer Gedanke. Aber er wird aktuell und wichtig<br />
dadurch, dass wir verstehen, dass die „Norm der Abweichung“<br />
ein ästhetisch-kreatives Paradigma in die Prozesse<br />
wirtschaftlicher Arbeit einführt. Damit aber wird die<br />
Grenze zwischen Freiheit und Notwendigkeit verwischt:<br />
Die erzwungene Über-Identifikation mit der Arbeit bedeutet<br />
auf der Ebene der Subjekte und ihrer psychischen<br />
Ökonomie eben die libidinöse Besetzung der (Mehr-)<br />
Arbeit. Anstelle der klassischen Differenz zwischen Freiheit<br />
und Notwendigkeit oder Freiheit und Zwang tritt<br />
eine neue Anweisung, ein neues gesellschaftliches Über-<br />
Ich: Das wollen, was ich muss!<br />
Eine solche Ordnung kann eigentlich nicht<br />
subversiv unterwandert werden. Wie sollte<br />
man von einer Norm abweichen, die selbst<br />
irregulär ist? Sie kann letztlich nur durch<br />
die Aufrichtung einer neuen Norm transformiert werden.<br />
Subversion läuft leer wegen der systematischen affirmativen<br />
Besetzung des herrschenden Systems durch die<br />
eigene Arbeit. Produktiv im Sinne der Erzeugung einer<br />
kritischen inneren Distanz zum herrschenden System sind<br />
subversive Strategien nur in politischen Systemen wie<br />
dem der DDR. Hier gibt es eine offiziell herrschende Doktrin,<br />
die aber im Alltag überall kreativ unterwandert und<br />
angeeignet wird. Nicht so in der heutigen Gesellschaft,<br />
wo die Subjekte mit all ihren Energien und Eigenheiten<br />
in das Wirtschaftssystem (sowohl als Produzenten wie<br />
76
JENSEITS VON SUBVERSION UND SOZIALDARWINISMUS<br />
77<br />
als Konsumenten) eingesogen werden. Für uns kommt<br />
deswegen alles darauf an, neue Regeln des Sozialen,<br />
neue Regeln der Arbeit aufzustellen: neue Definitionen<br />
des Normalen.<br />
Ein neuer Gesellschaftsvertrag<br />
Der Widerstand gegen die Kontrollgesellschaften,<br />
von denen zeitgenössische<br />
Unternehmen wohl der Prototyp sind, hat<br />
sich in den letzten 20 Jahren als völlig<br />
wirkungslos herausgestellt. Er wird zerrieben im neuen<br />
deregulierten Arbeitsregime der Individualisierung und<br />
der Steuerung weniger<br />
über kollektive<br />
Normen als über<br />
individuelle Leistungsanreize.<br />
Man<br />
wird daraus folgern<br />
müssen, dass dies<br />
ohne neue Formen<br />
der kollektiven Organisation<br />
der Arbeitenden<br />
auch so bleiben<br />
wird. Ohne eine<br />
neue, fundamentale<br />
Artikulation der Interessen<br />
der Beschäftigten<br />
an sozialer<br />
Sicherheit, ausreichendem<br />
Einkommen<br />
und guten<br />
Arbeitsbedingungen<br />
wird es weder sozialen<br />
Frieden noch<br />
individuelle Zufriedenheit, noch gute Arbeit auch im Sinne<br />
langfristiger wirtschaftlicher und gesellschaftlicher<br />
Entwicklungsziele geben. Ziel sind mithin neue soziale<br />
Vereinbarungen über die Normalitäten der Arbeitswelt.<br />
An die Stelle irregulärer Arbeitsverhältnisse<br />
und erzwungener Identifikationen mit<br />
vorgegebenen Produktions- und Unternehmenszielen<br />
wird ein neuer Gesellschaftsvertrag<br />
treten müssen, der die Lebenswelt und die<br />
Wünsche der Beschäftigten ebenso wie die sozialen, ökologischen<br />
und kulturellen Entwicklungsziele der Gesellschaft<br />
berücksichtigt. Formen der unternehmerischen Organisation<br />
und der Arbeitsorganisation, die das missachten, werden<br />
verschwinden müssen. Das Leiden der Einzelnen an<br />
den Verhältnissen, die sie durch ihr Handeln reproduzieren<br />
– es darf nicht privat bleiben. Die Sehnsucht der Einzelnen<br />
nach Emanzipation und Sinn darf nicht individuell bleiben;<br />
das darf sich nicht in kleinen subversiven Praktiken und<br />
Zeichen von zweifelhafter Effektivität erschöpfen. Es muss<br />
die Schwelle der Kollektivität überschreiten und in kollektiven<br />
Neuschöpfungen von Regeln über das Normale und<br />
das Unnormale, das Nützliche und das Schädliche, das<br />
Gute und das Schlechte Form annehmen. Ob die Subjekte<br />
solcher Neuschöpfungen kleinere Zusammenschlüsse in<br />
Betrieben oder Berufsgruppen oder größere gewerkschaftliche<br />
Organisationen oder demokratische nationale Kollektive<br />
sein werden, kann erst einmal dahingestellt bleiben.<br />
Weniger arbeiten – besser leben<br />
In der Zeit, die es dauern wird, bis solche kollektiven<br />
fortschrittlichen Verbindungen entstehen,<br />
werden die Einzelnen sich in der Tat in<br />
subversiven Übungen und ihrer Darstellung<br />
betätigen müssen. Die Hauptoperation wird der Widerstand<br />
gegen die Mehrarbeit sein; die Verweigerung gegenüber<br />
dem Imperativ der Überidentifikation mit der Erwerbsarbeit.<br />
Weniger tun und arbeiten, als es eigentlich heute<br />
„normal“ ist, das wäre die subversive Geste par excellence.<br />
Es wäre die Grundthese einer neuen Avantgarde. Und<br />
dabei geht es nicht darum, individuell als heroische Ausnahme<br />
zu erscheinen, sondern eher darum, ein anderes<br />
Modell, einen anderen Maßstab des Normalen zu behaupten.<br />
Das Unnormale, das Irreguläre sind diese Verhältnisse<br />
hier, und wir richten ein anderes Modell des Normalen<br />
auf, indem wir jetzt schon nach einer Norm leben, von der<br />
wir hoffen, dass sie in Zukunft für alle gilt. Damit tun wir<br />
zweierlei. Zum einen versuchen wir, als Einzelne jetzt schon<br />
so zu leben, wie es eigentlich richtig wäre. Zum anderen<br />
stellen wir damit ein allgemeines Modell auf. Die bloß<br />
negative Funktion des Subversiven versucht der Avantgardist<br />
der Zukunft zu überwinden in einer Bejahung, die<br />
allgemeine Gültigkeit beansprucht. Die Fortschrittshoffnung<br />
der Emanzipationsidee jenseits bloßer Subversion<br />
lautet: Dass Arbeit (in ihren verschiedenen Formen als<br />
Erwerbsarbeit, familiäre und soziale Sorgearbeit, Gemeinwesenarbeit<br />
und politisches Engagement, kulturelle und<br />
Bildungsarbeit) einmal Teil eines guten Lebens für alle<br />
sein wird – und nicht mehr das Symptom einer schlechten,<br />
einer ungesunden Überschätzung des Wertes der<br />
Erwerbsarbeit.<br />
•
EARNEST & ALGERNON #8 SUBVERSION 104<br />
<strong>Geheimsache</strong> #8<br />
104<br />
Leipzig!<br />
kein Warten mehr,<br />
kein Moment der Geduld,<br />
freie Sicht auf die Welt,<br />
kein Systemzwang,<br />
Bilder einer Stadt,<br />
Bilder eines Auges,<br />
Stadt ohne Angst,<br />
kein zwanghafter Blick,<br />
keine Blickdoktrin,<br />
freie Menschen,<br />
freie Welt?<br />
eine Stadt mit Mut,<br />
1989?<br />
Leipzig!<br />
Der von Mischa Kuball entwickelte Beitrag „Leipzig!“ für <strong>Earnest</strong> & <strong>Algernon</strong> ist ein<br />
performativ überarbeiteter Gedanke zur ehemaligen DDR mit Auszügen aus dem handgemachten<br />
Künstlerbuch „Mischa Kuball, Leipzig!“, Juni Verlag, Mönchengladbach 1990 in<br />
einer Auflage von 16 Exemplaren.
StRAte<br />
gische<br />
SubV<br />
ersion:<br />
WofUr?<br />
–Woge<br />
gen?
T: Franz Liebl<br />
107<br />
Versteht man Subversion ganz allgemein<br />
als ein Vorgehen, welches die Regeln und<br />
Mechanismen eines Systems so nutzt, dass<br />
sie sich gegen das System selbst wenden,<br />
so lässt sich diese Denkfigur sicherlich bis in die Antike<br />
zurückverfolgen. Doch selbst, wenn der Betrachtungshorizont<br />
auf die letzten Jahrzehnte begrenzt wird, zeigt sich<br />
ein bemerkenswerter, auch verschlungener, Karrierepfad<br />
der Subversion. Daniels (2014) resümiert, dass sich der<br />
Terminus „Subversion“ über diese Periode hinweg erheblich<br />
in seinen Konnotationen verändert habe. Während<br />
damit ursprünglich destruktive Aktionen bezeichnet worden<br />
seien, habe sich das Bedeutungsspektrum mit den Sechzigerjahren<br />
ins Positive gewandelt; und diese Entwicklung<br />
habe sich bis heute fortgesetzt: „Subversion wurde nun<br />
als politischer, strategischer, künstlerischer und programmatischer<br />
Begriff benutzt. … ehemals subversive künstlerische<br />
Strategien des Détournement, der Appropriation<br />
und des Culture Jamming [sind nunmehr] zu universellen<br />
Kulturtechniken der Massenmedien geworden.“ Mit anderen<br />
Worten, der Diskreditierung folgte eine Art emanzipativer<br />
Schub, der in eine Begeisterung darüber mündete,<br />
dass heute jeder alles subvertiert; aber auch gepaart mit<br />
der Enttäuschung darüber, dass Subversion zum Produktivfaktor<br />
insbesondere in Marketingkontexten geworden ist<br />
(z. B. Frank 1997; Heath/Potter 2005; Doll 2008).<br />
Damit einher geht die Multiplikation von<br />
Begrifflichkeiten, die Subversives bezeichnen,<br />
etwa „Hacking“. Im Kielwasser<br />
unserer Metapher bzw. des Neologismus<br />
„Cultural Hacking“ zur Bezeichnung subversiver Strategien<br />
kultureller Innovation (Liebl 2001; Düllo/Liebl 2005) folgte<br />
beispielsweise eine Begriffswelle von „Bindestrich-<br />
Hackings“, die bis in die jüngste Zeit anhielt: Reality<br />
Hacking, Ikea-Hacking, Gender Hacking, Design Hacking,<br />
Urban Hacking, Planet Hacking, Biohacking und so weiter<br />
und so fort (Liebl/Düllo 2014). In dem Maße, wie alles<br />
und jedes gehackt werden konnte und schließlich auch<br />
gehackt wurde, geriet jedoch der Grundgedanke immer<br />
weiter aus dem Blickfeld. Das primäre Interesse, das uns<br />
zum Begriff bzw. zur Denkfigur des „Cultural Hacking“<br />
geführt hatte, war im Rückgriff auf Groys und de Certeau<br />
die Frage nach der Innovation sowie den damit verbundenen<br />
Praktiken und Strategien. Hierzu gehören insbesondere<br />
(künstlerische) Positionen, welche etablierte Konfliktlinien<br />
bzw. Oppositionen ignorieren und mit komplexeren<br />
Zugriffen operieren – vorzufinden etwa bei Dunne + Raby,<br />
Human Beans und einer Reihe anderer Künstler und Designer.<br />
Sie alle lassen ein bestimmtes Grundmuster erkennen:<br />
Zweifellos kritisch in der Diagnose herrschender<br />
Bedingungen, sind sie aber dennoch bereit, mit Unternehmen<br />
zu kooperieren, dabei in den Mitteln subversiv<br />
und spielerisch, teils auch parasitär und viral vorgehend.<br />
Es existiert also ein wesentlicher – und oftmals nicht verstandener<br />
– Unterschied zum Komplex des sogenannten<br />
„Culture Jamming“ und der „Kommunikationsguerilla“, welche<br />
sich noch an althergebrachten Konfliktlinien abarbeiten:<br />
Es geht nicht darum, lediglich Kritik zu formulieren,<br />
Widerstand zu leisten oder den Gegner bloßzustellen,<br />
sondern das Ziel besteht in der Schaffung einer Innovation.<br />
Die Rolle von Subversion sehen wir daher nicht als<br />
Ziel, sondern als Mittel – genauer gesagt, als gegebenenfalls<br />
nützliches Mittel – zur Realisierung notwendiger oder<br />
wünschenswerter Innovationen.<br />
Die Quantität von Subversionen schlug um<br />
in eine veränderte Qualität: Ist Subversion<br />
mit einem Mal ubiquitär und alltäglich,<br />
wird ihre Mechanik nicht nur leichter<br />
durchschaubar, sondern auch Teil der Erwartungshaltung<br />
des Publikums: „Nun unterwandert und überrascht uns<br />
mal schön …“ An solch einer Messlatte können Akteure<br />
nur scheitern, wenn die „Drehung an der Détournement-<br />
Schraube“ (Edlinger 2006) häufig genug vollzogen wurde.<br />
Und schließlich existiert insbesondere im Kulturbetrieb<br />
– namentlich im Bereich der Bildenden Kunst, der Architektur<br />
und der Darstellenden Künste – eine neuartige<br />
Rhetorik der „Intervention“, die vorwiegend als pure Behauptung<br />
einer Subversion operiert. Mit Schäfer/Bernhard<br />
(2008) lässt sich folglich feststellen: „Subversion erweist<br />
sich oft mehr als Zuschreibung denn als Effekt.“ Und Hiller/Kerber/Borries/Wegner/Wenzel<br />
(2012) kommen zu<br />
dem Resümee, dass es sich bei „Intervention“ um einen<br />
„überverwendeten, aber unterbestimmten“ Begriff handelt.<br />
Von dieser Inflationierung und Banalisierung<br />
der Begriffswolke Subversion – Intervention<br />
– Hacking sind Managementwissenschaft<br />
und -praxis weitgehend unberührt<br />
geblieben. Gleichwohl lauert das Thema Subversion in diesen<br />
Bereichen unausgesprochen an allen Ecken und Enden.<br />
Es war vor allem Mintzberg (1994), der ins Bewusstsein<br />
gerückt hat, wie wenig die ursprünglich geplanten Strategien<br />
von Unternehmen mit den letztendlich realisierten zu<br />
tun haben. Umgehend deutete die Beraterzunft diese<br />
Be obachtung als ein „Implementierungsproblem“; dass<br />
nämlich angeblich subversive Mitarbeiter im Mittelmanagement<br />
es verhindern würden, dass für sie unliebsame, weil<br />
unbequeme Strategien umgesetzt würden. So genanntes<br />
„Change Management“ wurde zur präferierten Sozialtechnologie<br />
der Überwindung solcher Implementierungswiderstände<br />
gegen Strategien, sofern nicht ohnehin die martialische<br />
Rhetorik aus dem Business Process Re-engineering<br />
Verwendung fand; angefangen von der „Implementierung<br />
mit harter Hand“ bis hin zu Slogans des Typs „strike hard,<br />
cut deep“. Insofern herrscht – ob absichtlich oder nicht –<br />
mit diesem Generalverdacht gegen das Mittelmanagement<br />
als „subversives Element“ ein Subversionsverständnis vor,<br />
das aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts datiert.<br />
Gleichzeitig spiegelt sich hierin der Gedanke der asymmetrischen<br />
Kriegsführung wider, den man bei de Certeau<br />
(1980) als modus operandi zwischen Strategen und (subversiven)<br />
Taktikern beschrieben findet. Allerdings mit dem<br />
feinen Unterschied, dass beide Parteien sich in ein und<br />
derselben Organisation befinden, von deren Erfolg sie existenziell<br />
abhängig sind. Angesichts dieser unübersichtlichen<br />
Gemengelage stellt sich die Frage: Warum und zu welchem<br />
Ende braucht es also Subversion in Führungskontexten?<br />
Und was ist eigentlich das strategische Problem, für das<br />
Subversion eine Lösung sein kann?<br />
Um sich einer Beantwortung dieser Frage<br />
zu nähern, lohnt eine genauere Betrachtung<br />
des Phänomens emergenter Strategien.<br />
Die Lesart, die gemeinhin Mintzbergs
<strong>Geheimsache</strong> #8<br />
Beobachtungen unterlegt wird, lässt sich folgendermaßen<br />
charakterisieren: Strategie ist das, was im Nachhinein als<br />
Strategie ausgegeben wird. Natürlich ist eine solche Schlaumeierei<br />
nicht ganz verkehrt, aber als strategischer Nihilismus<br />
– ja, gar Zynismus – nicht hilfreich, wenn eine<br />
Organisation an strategischer Handlungsfähigkeit dazugewinnen<br />
will. Für Mintzbergs Beobachtungen bietet sich<br />
indes eine alternative Lesart an, die man wie folgt beschreiben<br />
könnte: Emergente Strategien verkörpern keineswegs<br />
nur Störfeuer, um in böswilliger Weise strategische Intentionen<br />
zu Fall zu bringen. Im Gegenteil, so legen Mintzbergs<br />
Ausführungen und Beispiele nahe, befinden sich<br />
darunter häufig unerwartete, gute Ideen aus dem Kreis<br />
der Mitarbeiter oder überraschende Umfeldentwicklungen,<br />
aus denen wichtige Opportunitäten und „strategische<br />
Fenster“ erwachsen. Sie unrealisiert zu lassen, wäre unklug,<br />
ja gar fahrlässig. Die Frage ist also nicht, wie derartige<br />
Unterwanderungen intendierter Strategien zu vermeiden<br />
wären, sondern im Gegenteil, wie solch „emergentes Strategisieren“<br />
(emergent strategizing) in einer Organisation<br />
kultiviert – d. h. stimuliert, kanalisiert und wertgeschätzt<br />
– werden kann. Dies stellt einen zentralen Aspekt dessen<br />
dar, was wir bereits in <strong>Earnest</strong> & <strong>Algernon</strong>, Heft 2/2012<br />
(„Laugh & Cry“), als „Strategische Mobilisierung“ beschrieben<br />
haben. Daraus resultiert ein verändertes Verständnis<br />
von Strategischem Management, das nicht mehr aus dem<br />
ebenso technokratischen wie anfälligen Hintereinander<br />
von Planung und Umsetzung besteht, sondern als ein<br />
Ineinandergreifen von emergenter Strategisierung und<br />
strategischer Mobilisierung verstanden werden kann (siehe<br />
hierzu ausführlich Liebl/Düllo 2014).<br />
Wenn also in einem solchen prozessorientierten<br />
Strategieverständnis Subversion<br />
überhaupt eine zielführende<br />
Funktion einnehmen kann, dann wohl<br />
primär die, die Aktivitäten emergenter Strategisierung zu<br />
stimulieren bzw. zu mobilisieren. Was dann, paradox genug,<br />
eine „Subversion von oben“ wäre, welche die Führungsaufgabe,<br />
einen angemessenen Strategieprozess aufzusetzen,<br />
erfüllt. Wie aber ist so etwas vorstellbar, wenn Subversion<br />
von oben offenbar gerade nicht bedeuten soll, mit<br />
„harter Hand, gepaart mit Hinterlist“ gegen den Willen der<br />
Mitarbeiter intendierte Strategien durchzusetzen? Wo also<br />
gerade nicht das Bonmot gilt: „Subversion ist Schnellbeton“<br />
(Schäfer/Bernhard 2008)? Und die Subversion nicht<br />
gegen etwas, sondern für etwas operiert? Das heißt: Ähnlich<br />
wie im Kontext des Hacking stellt ein strategischer<br />
Zugang zu Subversion die Zielsetzung der Innovation in<br />
den Vordergrund. Überträgt man Barthes’ (1971, 127)<br />
Diktum, dass die beste Subversion darin bestehe, die<br />
Codes zu entstellen, auf den Strategieprozess, so bedeutet<br />
das beispielsweise, diesen Prozess gerade nicht als<br />
strategisch zu markieren. Aber warum sollte man das tun,<br />
wo doch das Attribut „strategisch“ so gerne verwendet<br />
wird, um Nichtigkeiten zu adeln? Erstens genau deshalb.<br />
Denn mit der (Zwangs-)Rekrutierung von Mitarbeitern zu<br />
angeblichen Strategieworkshops und -klausurtagungen,<br />
deren Ergebnisse in der Wahrnehmung der Teilnehmer<br />
ebenso unstrategisch ausfallen wie folgenlos bleiben, wird<br />
in Organisationen nicht nur Zeit vergeudet, sondern auch<br />
unnötig Frustration erzeugt. Sinnfällig ist die Vermeidung<br />
des Etiketts „strategisch“ für Strategieprozesse zudem,<br />
wenn die Organisation bereits eine mehr oder weniger<br />
lange Leidensgeschichte durch erfolglose (Strategie-)Beratungsprojekte<br />
oder strategisch verbrämte Kostensenkungsrunden<br />
hinter sich gebracht hat. Mit anderen Worten, wenn<br />
also niemand mehr unterhalb der Geschäftsleitung das<br />
Wort Strategie hören mag, aber die Organisation gleichzeitig<br />
nichts dringender braucht als die emergenten Strategiebeiträge<br />
aus dem Kreis der Mitarbeiterschaft.<br />
Bei Voigt (2003) findet sich für einen derartigen<br />
Fall die folgende Form der Subversion<br />
beschrieben: Es sei nämlich unter solchen<br />
Voraussetzungen nicht gleich wieder<br />
ein sogenanntes „Strategie-Projekt“ aufzusetzen, sondern<br />
der konkrete Leidensdruck an der operativen Basis zum<br />
Ausgangspunkt zu nehmen und die Verbesserungsvorschläge<br />
der betroffenen Abteilungen so zu orchestrieren,<br />
dass eine strategische Neuausrichtung daraus resultiert.<br />
Ganz im Sinne von Porter (1996), der die detailgenaue<br />
Abstimmung der Prozesse als wesentlich für die Wettbewerbsfähigkeit<br />
des Geschäftsmodells als Ganzes ansieht:<br />
„The correct answer is that everything matters.“ Voigt schildert,<br />
wie in dem von ihm betrachteten Fall eine unschuldig<br />
klingende, weil scheinbar operative Fragestellung –<br />
Wie optimieren wir als Handelsunternehmen die Arbeit<br />
unseres Vertriebs-Call-Centers? – als Hebel für eine strategische<br />
Neukonfiguration genutzt wurde. Voraussetzung<br />
hierfür ist, den „archimedischen Punkt“ in Form einer<br />
geeigneten Fragestellung zu finden. Dies ist dann gegeben,<br />
wenn sich in dem betreffenden Unternehmensbereich<br />
der komplette Satz verdrängter bzw. unerkannter strategischer<br />
Fragen wie in einem Hologramm abbildet. Im Fall<br />
des betreffenden Unternehmens waren das Fragen des<br />
Typs: Wie segmentieren wir unsere Kundenbasis? Wie<br />
gestalten wir unser Beziehungsmarketing? Müssen wir<br />
das Kundenportfolio bereinigen? Müssen Konditionenpolitik<br />
und Lieferrhythmen neu überdacht werden? Welche<br />
Anreizstruktur soll im Vertrieb herrschen? All diese Fragen<br />
waren in den Call-Center-Operationen implizit oder explizit<br />
miteinander verknüpft. Die betrachteten, scheinbar<br />
operativen Problemlagen der Call-Center-Agenten wirkten<br />
wie ein loser Faden, anhand dessen sich nach und nach<br />
ein gordischer Knoten auflösen ließ. Strategische Subversion<br />
bedeutet insofern nicht die Unterwanderung des<br />
Systems, sondern das Aushebeln der Systemblockade.<br />
Porter (1996) schreibt über die Quintessenz<br />
von Strategie: „The essence of strategy is<br />
choosing what not to do.“ Da ist es nur<br />
konsequent, bei strategischer Subversion<br />
nicht von Strategie zu reden.<br />
•<br />
108
Literatur<br />
Barthes, Roland, Sade, Fourier, Loyola, Paris 1971<br />
Daniels, Donna, Subversion als Strategie heute?, in: Landwehr, Dominik (Hg.),<br />
Political Interventions, Zürich 2014<br />
de Certeau, Michel, L’invention du quotidien: 1. arts de faire, Paris 1980<br />
Doll, Martin, Für eine Subversion der Subversion: Über die Widersprüche eines<br />
politischen Individualismus, in: Ernst, Thomas; Cantó, Patricia Gozalbez; Richter,<br />
Sebastian; Sennewald, Patricia; Tieke, Julia (Hg.), Zum Verhältnis von Politik<br />
und Ästhetik in der Gegenwart, Bielefeld 2008, S. 47–68<br />
Düllo, Thomas; Liebl, Franz (Hg.), Cultural Hacking: Kunst des Strategischen<br />
Handelns, Wien 2005<br />
Edlinger, Thomas, Alphabet des Abfalls: C – wie Comme des Garçons, in: The Gap,<br />
#072, Dezember 2006/Jänner 2007, S. 24<br />
Frank, Thomas, The Conquest of Cool: Business Culture, Counterculture, and the<br />
Rise of Hip Consumerism, Chicago, IL 1997<br />
Groys, Boris, Über das Neue – Versuch einer Kulturökonomie, München 1992<br />
Heath, Joseph; Potter, Andrew, The Rebel Sell: How the Counterculture Became<br />
Consumer Culture, Chichester 2005<br />
Hiller, Christian; Kerber, Daniel; Borries, Friedrich von; Wegner, Friederike;<br />
Wenzel, Anna-Lena (HG.), Glossar der Interventionen: Annäherung an einen überverwendeten,<br />
aber unterbestimmten Begriff, Berlin 2012<br />
Liebl, Franz, Wege aus der Retro-Schleife, in: brand eins, Vol. 3, #09, November,<br />
2001, S. 110–111<br />
Liebl, Franz, Mobilisierung: Strategische Nutzung emotionaler Ressourcen; in:<br />
earnest & <strong>Algernon</strong>, #2: “Laugh & Cry”, 2012, S. 134–136<br />
Liebl, Franz; Düllo, Thomas, Strategie als Kultivierung (erscheint 2014)<br />
Mintzberg, Henry, The Rise and Fall of Strategic Planning, New York 1994<br />
Porter, Michael E., What Is Strategy?, in: Harvard Business Review, Vol. 74, #6,<br />
1996, S. 61–78<br />
Schäfer, Mirko Tobias; Bernhard, Hans, Subversion ist Schnellbeton! Zur Ambivalenz<br />
des “Subversiven” in Medienproduktionen, in: Ernst, Thomas; Cantó, Patricia<br />
Gozalbez; Richter, Sebastian; Sennewald, Patricia; Tieke, Julia (Hg.),<br />
SUBversionen: Zum Verhältnis von Politik und Ästhetik in der Gegenwart, Bielefeld<br />
2008, S. 69–87<br />
Voigt, Thorsten, Just implement it? Strategische Kräfte im Unternehmen mobilisieren,<br />
Berlin 2003
weitblick<br />
statt<br />
fernsehen<br />
Juliane Stiegele<br />
Utopia Toolbox
HoLLyWOOdschAu<br />
kel oDEr der GA<br />
Rten des AnDEren<br />
T: Hans-Georg Wegner<br />
Das Gegenteil von Macht ist ja<br />
nicht Ohnmacht. Sondern?<br />
Das Gegenteil von Autoritätshörigkeit ist ja<br />
nicht Selbstbestimmtheit. Oder?<br />
Das Gegenteil von Hierarchie ist ja<br />
nicht Freiheit. Sicher?<br />
Aber was ist dann das Gegenteil von all dem,<br />
was wir mit Macht verbinden?<br />
Es wird den Ostdeutschen ja gerne bescheinigt,<br />
sie seien a) autoritätshörig, hätten b)<br />
eine Vorliebe für autoritäre Strukturen, also<br />
strenge Hierarchien, und c) bewunderten<br />
Menschen mit Macht. Woher diese Wessi-Meinung über<br />
die Ostdeutschen kommt, ist klar: Sie waren es ja nicht<br />
anders gewohnt im Osten, wo ein straff organisierter Parteiapparat<br />
das Leben der Staatsbürger bis in jedes Alltagsdetail<br />
hinein geplant und geregelt hatte. Selbstbestimmung<br />
kam in dieser Diktatur der Avantgarde, wie sich<br />
die DDR-Führung auch gerne bezeichnete, offiziell nicht<br />
vor. Das Ich sollte sich im Wir verwirklichen. Der Blick<br />
über die Mauer aus westlicher Sicht hinein in den DDR-<br />
Zoo ergab dann logisch, dass diese Fremdbestimmtheit,<br />
unter der die DDR-Bürger scheinbar so sehr litten, zu<br />
enorm hohem Druck geführt hätte, der sich dann in der<br />
Wende 1989 entlud und zur befreienden Sprengung der<br />
Grenzen hinein in die Wessi-Freiheit führte. Das Mythen-<br />
Muster dieser Geschichtssicht erfüllt sich wunderbar: Eine<br />
privilegierte, machtvolle Elite beutet die Bevölkerung aus,<br />
knechtet sie so lange, bis sie es nicht mehr aushält, die<br />
Sklaven rebellieren und jagen die Unterdrücker zum Teufel.<br />
Doch dieser Mythos trifft auf das, was während der<br />
Wende vorging, leider nicht zu.
Hollywoodschaukel oder der Garten des anderen<br />
113<br />
Ich kann an dieser Stelle natürlich nicht die absolute<br />
Wahrheit über die Wende erzählen. Niemand<br />
kann das, klar. Und auch klar: „Den Ostdeutschen“<br />
gibt es nicht. Aber meiner Meinung<br />
nach stimmt das Klischee über das Verhältnis der Ostdeutschen<br />
zur Macht nicht. Ich möchte hier eine subjektive These<br />
zur Erklärung vorlegen.<br />
Die Wirtschaft der DDR war geprägt von<br />
Volkseigenen Betrieben, den berühmten<br />
VEB’s. Die Idee dahinter ist eigentlich<br />
bestechend: Wenn der Arbeiter weiß,<br />
dass er nicht für den Besitzer des Betriebes arbeitet,<br />
sondern dass er selbst der Besitzer ist, arbeitet er für<br />
sich selbst und identifiziert sich viel mehr mit der Arbeit,<br />
wird also produktiver. Da man aber aus ideologischen<br />
Gründen nicht gewillt war, jeden Arbeiter zugleich zum<br />
Unternehmer zu machen – also sowohl an der Verantwortung<br />
wie auch am Risiko und am Gewinn zu beteiligen<br />
– war diese schöne Idee zum Scheitern verurteilt.<br />
Die unternehmerische Leitung behielt nach wie vor<br />
die Partei, und damit blieb das Machtverhältnis das<br />
für den Arbeiter gewohnte: „Die da oben“ sagen, was<br />
gemacht wird, und ich führe es aus.<br />
Da die unternehmerischen Qualitäten<br />
der DDR-Eliten allerdings nicht besonders<br />
groß waren und auch solch ein<br />
Wirtschaftssystem zunächst völlig unerprobt,<br />
tat sich an unerwarteter Stelle der Himmel des<br />
selbstbestimmten Arbeitens auf: Ging das Material zu<br />
Ende, das für den eigentlichen Zweck des Betriebes<br />
nötig gewesen wäre, begann man mit dem noch verfügbaren<br />
Material andere Dinge zu produzieren. Zum<br />
Beispiel Hollywoodschaukeln für den Garten des Anderen.<br />
Niemand langweilt sich gerne bei der Arbeit.<br />
Absoluter Machtanspruch kann nicht<br />
gelingen. Es wird immer unerreichbare<br />
Nischen geben. In diesen Nischen entwickelt<br />
sich dann Freiheit, ja Anarchie.<br />
Insofern können Hierarchien für den Arbeitnehmer auch<br />
etwas sehr Verlockendes haben. Dass die Ostdeutschen<br />
sich so sehr nach Autorität sehnen, hat mehr damit zu tun,<br />
dass sie im Schatten dieser Autorität ihre Freiräume finden<br />
und lieben, in denen sie selbstbestimmt ihren Bedürfnissen<br />
nachgehen können. Es hat nichts damit zu tun, dass<br />
sie sich nach autoritären Ansagen sehnen würden. Macht<br />
wird sehr gerne unterlaufen. Die Erfahrung des Ostens mit<br />
Macht ist die, dass Machtansprüche nur zum Schein bedient<br />
und in der Praxis einfach unterlaufen werden.<br />
Entsprechend wurde der Bereich des Privaten<br />
so wichtig. Das Private stand für den Einzelnen<br />
absolut im Zentrum des Lebens. Nicht,<br />
wie so gerne geglaubt wird, „weil es ja nix<br />
anderes gab, womit man sich beschäftigen konnte“, sondern<br />
weil das Private einerseits den Geschmack der Rebellion<br />
gegen den autoritären Anspruch des Allgemeinwohls<br />
hatte, andererseits, weil – geben wir es zu – das Private<br />
einfach das ist, worum es geht im Leben. Es hatte noch<br />
nicht den Beigeschmack des Peinlichen, Kleinlichen, der<br />
ihm im heutigen Wirtschaftsleben anhaftet. Heute ist das<br />
Private nur als Statussymbol (Kinder) oder zur Rekreation<br />
der Arbeitskraft erlaubt („Quality-Time“).<br />
Wenn man genauer hinschaut, war es<br />
auch der Bereich des Privaten, der<br />
1989 den entscheidenden Boost zur<br />
Wende gab. Die Ostdeutschen wollten<br />
besseres Essen, schönere Urlaube, komfortablere Autos<br />
etc. Die Zahl der wahren Rebellen, die wirklich gesellschaftliche<br />
Freiheit wollten, war verhältnismäßig klein. Sie<br />
wurden zuletzt schwer enttäuscht von der Entwicklung<br />
der sogenannten Revolution von 1989. Ihre Ideen und<br />
Gedanken hätten das Zeug zu einer wirklichen Revolution<br />
gehabt, an der weder Ost noch West gesteigertes Interesse<br />
zeigten.<br />
Die Wende war das Produkt des expansiven<br />
Privatbereichs der Ostdeutschen, nicht<br />
das einer politischen Revolte. Im Schatten<br />
des großen Wir, inmitten der volkseigenen<br />
Produktionsmittel, vor allem total gegen den Anspruch<br />
der SED, hat sich in der DDR ein faszinierendes Biotop<br />
des Privaten ausgebreitet, dessen Sinnerfahrung stärker<br />
wirkte als die öffentlich propagierte Ansicht, dass die Welt<br />
den Sozialismus braucht, um menschlicher zu werden.<br />
Wenn der Ostdeutsche sich heute nach<br />
mächtigen Hierarchien sehnen sollte,<br />
dann in der Regel deshalb, weil er<br />
geschult ist, diese zu unterlaufen und<br />
sich darin seine Freiräume zu suchen. Und wenn er nostalgisch<br />
sein sollte, dann deshalb, weil er dem riesigen<br />
Bereich des privaten Lebens nachtrauert, den er exzessiv<br />
beackern durfte. Für beides steht die Hollywoodschaukel:<br />
Sie wurde in der Schlosserei des Volkseigenen Chemiekombinates<br />
Bitterfeld gebaut und wurde schaukelnd genossen<br />
beim Grillen mit einem in der Filmfabrik Wolfen<br />
gebauten Grill. Eingeladen waren Freunde, von denen<br />
man ein paar Sack Zement und Steine für die neu zu bauende<br />
Datsche erwartete, vorausgesetzt, man konnte den<br />
Bitterfelder Kollegen überreden, eine weitere Hollywood-<br />
Schaukel zu bauen, für die er dann einen super Grill Marke<br />
Eigenbau bekommen würde.<br />
•
SubVer<br />
sion<br />
iST ein<br />
FlUid<br />
uM<br />
Ich habe den Eindruck, dass diese Epoche ein Verlangen<br />
hat zu trennen, ein Verlangen nach Apartheid. Wir werden<br />
uns damit auseinandersetzen müssen, was Teilen bedeutet.<br />
Achille Mbeme
T: Nina Gühlstorff 115<br />
Meine Herkunft<br />
Meine Lehrer waren Achtundsechziger,<br />
und ich habe von Ihnen alle kritischen<br />
Instrumente an die Hand bekommen,<br />
um die Gesellschaft, die Kunstproduktion<br />
und – dann später im Studium der Theaterregie –<br />
Inszenierungen und Texte zu analysieren. Ich bin, wie viele<br />
meiner Generation, bestens ausgebildet „subversives“ Theater<br />
zu machen, einen Text gegen den Strich zu lesen und<br />
sein gesellschaftskritisches Potenzial herauszuarbeiten.<br />
Nach der Ausbildung dachten wir: Es<br />
muss doch möglich sein, die Gesellschaft<br />
mittels Theater auf neue Gedanken<br />
zu bringen!<br />
Aber es kam anders: Unsere subversiven<br />
Strategien wurden als Attitüde gelesen.<br />
Wir stellten fest, dass die rebellische<br />
Pose auf der Bühne Teil des Marktes ist.<br />
Sie fand in der Arena statt und hatte einfach nichts zu<br />
tun mit der Wirklichkeit. Wir mussten feststellen, dass<br />
die Dekonstruktion des bürgerlichen Stückekanons als<br />
Event rezipiert wurde. Bis heute ist es so: Manche feiern<br />
das Hinterfragen des Bekannten, andere regen sich darüber<br />
auf und kehren dem Theater den Rücken zu. Rebellion<br />
gehört zum Geschäft, und das aufregende Infragestellen<br />
des Repertoires steigert den Marktwert der<br />
Regisseure. Zu politischen oder gesellschaftlich relevanten<br />
Auseinandersetzungen im Publikum führt der Aufstand<br />
jedenfalls äußerst selten. Ein weiteres Problem tat sich<br />
bei subversiven Aufführungen auf: Sie waren ziemlich<br />
elitäre Veranstaltungen. Der Zugang zur Gruppe der Theatergänger<br />
ist begrenzt. Die Besucher müssen nicht nur<br />
das Geld für einen Theaterbesuch übrig haben, sondern<br />
auch die Sozialisation, die sie überhaupt dazu veranlasst,<br />
ins Theater zu gehen, die Zeit, die literarische Vorbildung<br />
– ach, einfach das Selbstverständnis, Bürger oder Bürgerin<br />
zu sein.<br />
Uns dämmerte es: Die nächste Theaterrevolution<br />
musste nicht auf der Bühne stattfinden,<br />
sondern im Foyer oder gleich auf<br />
der Straße. Die Herausforderung heute ist<br />
doch, dass wir in einer heterogenen Gesellschaft eine<br />
heterogene Gemeinschaft sein können – mit dem Mut zur<br />
komplexen Ausdifferenziertheit, aber in einem gemeinsamen<br />
Lebensraum. Dafür muss man sich treffen, reden,<br />
hören, live, in ungesicherten Kontexten und nicht im abgeschirmten<br />
Kunstkontext des Theatersaals.<br />
Jedenfalls reicht es nicht mehr aus, die Klassiker<br />
noch einmal neu zu lesen und dem<br />
immer gleichen Publikum anzubieten. Subversive<br />
Strategien sind wie ein Fluidum und<br />
ändern sich mit der Zeit.<br />
Der dritte Weg – Ein Projekt anlässlich<br />
des 20-jährigen Mauerfalls<br />
Der Dritte Weg, Eine theatrale<br />
Demonstration, Jena 2009<br />
Ein in dieser Hinsicht entscheidender Versuch<br />
war „Der dritte Weg“: Ausgehend von Interviews<br />
mit DDR-Oppositionellen, die über<br />
ihren Antrieb berichteten, sich für Veränderung<br />
einzusetzen, die ihren „dritten Weg“ zwischen den<br />
zwei Systemen beschrieben, entstand eine theatrale<br />
Demonstration, ein dokumentarisches Theaterstück im<br />
öffentlichen Raum.<br />
Lothar Probst, Politikwissenschaftler an der<br />
Universität Bremen, sieht in dem Aufbruch<br />
von 1989 die Merkmale jener Bürgergesellschaft,<br />
von der heute so viel die Rede ist:<br />
„Zivilcourage, Initiative, Spontanität. Engagement, Lust am<br />
politischen Handeln, Übernahme von Verantwortung, Selbstorganisation<br />
– diese Eigenschaften, die in der Diskussion<br />
über die Bürgergesellschaft jetzt so oft beschworen werden,<br />
haben damals das politische Geschehen geprägt.“<br />
Diese Lebenshaltung machten wir am Beispiel sichtbar:<br />
Ausgehend von der Stadtkirche, dem Ort der Montagsdemonstrationen<br />
in Jena, initiierten wir einen Marsch in die<br />
Stadt. Was zunächst als Spaziergang begann, bei dem das<br />
Publikum nur unbeschriftete Plakate trug, verwandelte sich<br />
in eine Demonstration. Am Ende des Abends wurden die<br />
Banner mit Inhalten versehen, und das Publikum wie bei<br />
einer echten Demonstration von der Polizei durch die Innenstadt<br />
bis zum Theaterhaus eskortiert. Kunst? Re-Enactment<br />
einer historischen Situation? Eine reale Demo? Die Grenzen<br />
hatten sich verschoben. Abschluss des Abends bildeten<br />
Work-Shops zu gegenwärtigen Formen zivilen Ungehorsams.<br />
Mitglieder der Piratenpartei waren zu Gast, die das<br />
Publikum darin schulten, sich unerkannt im Internet zu<br />
bewegen. Sitzblockade-Techniken wurden geübt. Thema<br />
dieses Abends war ohne Zweifel politische Subversion –<br />
aber war dieser Abend selbst subversiv?<br />
1986 fand auf dem „Platz der Kosmonauten“<br />
das 1. Spontane Jenaer Open-Air-Frühstück<br />
statt, eine Gruppe junger, langhaariger Oppositioneller<br />
verlegte ihr Frühstück an einem<br />
Sonntag auf einen öffentlichen Platz, ein paar Wolf-Biermann-Lieder<br />
wurden gesungen. Der Staat reagierte mit<br />
Verhaftungen und Repressalien. Das 2. Open-Air-Frühstück,<br />
veranstaltet im Herbst 2010 im Vorfeld unseres Projekts<br />
an gleicher Stelle, war ein nettes Picknick. Subversion ist<br />
zeitgebunden.
<strong>Geheimsache</strong> #8<br />
116<br />
„Was ich mir damals gewünscht habe? … Äh … was haben<br />
wir denn auf diese Flugblätter gedruckt? … Freiheit<br />
wahrscheinlich … Irgendwas zwischen Jesus und Bakunin!<br />
… Auf jeden Fall keine Wiedervereinigung!“<br />
SCHWARZWEISS –<br />
Projekt am Theater Dessau<br />
Wer in Dessau aus dem Zug steigt,<br />
kann sich entscheiden: Der Westausgang<br />
führt Richtung Bauhaus<br />
in ein modernes Univiertel. In der<br />
Nähe sitzt das Umweltbundesamt in einem tollen Neubau.<br />
Oder man nimmt den Ostausgang: vorbei an einem der<br />
größten Theaterbauten der Nazis, dem Anhaltischen Theater<br />
Dessau, ins Stadtzentrum, das hauptsächlich aus<br />
tristen Wohnblocks und einer Rathauspassage mit den<br />
üblichen austauschbaren Einkaufslandschaften besteht.<br />
2005 ist in der Gewahrsamszelle der Dessauer<br />
Polizei ein Mann zu Tode gekommen. Die<br />
Umstände sind bis heute nur unbefriedigend<br />
aufgeklärt. Der Mann hieß Oury Jalloh, seine<br />
Biografie klingt geläufig: Er kam aus Sierra Leone, sein<br />
Asylverfahren wurde abgelehnt, er lebte im Duldungsstatus<br />
und wurde wegen Drogendelikten angeklagt. Eine Story<br />
also, die in meinem Segment der Gesellschaft eine klare<br />
Haltung hervorruft: Wie konnte das nur passieren! Eine<br />
Schande – oder wie es einer der Polizisten, die wir interviewten,<br />
formulierte: Die „Zelle ist das Herz des Staates“.<br />
Darin darf so etwas nicht passieren, weil es das gesamte<br />
Gewaltmonopol des Staates in Frage stellt.<br />
Von diesem Fall ausgehend entwickelten<br />
wir gemeinsam mit dem Künstlerpaar<br />
Annette Schemmel und Paul Huf einen<br />
Parcours im öffentlichen Raum. Er begann<br />
im Stadtpark, führte durch die Dessauer Moschee, in das<br />
von Afrikanern genutzte Call-Center, über eine Turnhalle bis<br />
auf einen öffentlichen Platz in der Nähe der Rathauspassage.<br />
So wurde der Stadtraum im Zuge der Stadtbegehung<br />
– wie in Jena – selbst zur Bühne, das Publikum zu Akteuren:<br />
Zu Beginn bekam jeder der Teilnehmer anstelle eines Programmheftes<br />
ein Kostüm, das aus scheinbar afrikanischem<br />
Stoff geschneidert zum Träger einer Botschaft und zum<br />
Diskussionsangebot wurde. Annette Schemmel und Paul<br />
Huf hatten, einer west-afrikanischen Tradition folgend, einen<br />
narrativen Stoff entworfen, der Aspekte des Falls Oury Jalloh<br />
beleuchtete. So markiert gingen die Zuschauer durch<br />
den bekannten Stadtraum, bewegten sich an Orten, die sie<br />
normalerweise nicht aufsuchen würden, und Passanten, die<br />
normalerweise nicht ins Theater gehen würden, wurden zu<br />
Zeugen des Theatergeschehens. Was der öffentliche Raum<br />
hier bewirkte, war eine Egalisierung der Zuschauer. Ob man<br />
nun da war, weil man ins Theater wollte, ob man zufällig<br />
Zeuge wurde oder sich aus Neugier eingeschlichen hatte:<br />
Es bildete sich eine verschworene Gemeinschaft, eine<br />
Gemeinschaft mit ganz unterschiedlichen Haltungen. Jedem<br />
in Dessau, wie sehr er auch versuchen mochte, das Thema<br />
SCHWARZWEISS, Stadtbegehung, Dessau 2011<br />
zu vermeiden, fiel die Publikumsprozession auf. Sie wurde<br />
zu einem Zug gegen das Vergessen. Nicht zuletzt deshalb<br />
war auch die Polizei bei jeder Vorstellung anwesend: Weil<br />
dieser Zug sich angreifbar gemacht hatte, verletzlich war.<br />
Teilhabe<br />
Ohne dass wir in „gated communities“<br />
leben, werden die mentalen Mauern zwischen<br />
einzelnen Bevölkerungsgruppen<br />
immer größer. Wir vernetzen uns im Internet<br />
mit Gleichgesinnten und können damit unsere Peer-<br />
Group immer genauer ausdifferenzieren. Ziel der Web-<br />
Analyse ist es letztlich immer, sich selbst mit Ähnlichen zu<br />
vernetzen. Amazon bietet uns die Produkte an, die uns<br />
gefallen, Facebook schlägt uns Freunde vor, die gut zu uns<br />
passen. Kurz, wir lernen immer nur uns selbst kennen. Subversion<br />
könnte heute heißen, für die Dauer eines Abends<br />
Gemeinschaften herzustellen, die sich sonst nicht begegnet<br />
wären, die aber auf diese Weise ins Gespräch kommen.<br />
Wenn es keine gemeinsam genutzten Räume mehr gibt,<br />
entsolidarisiert sich eine Gesellschaft. Die neue Subversion<br />
begreift sich also als Abweichung von der vorherrschenden<br />
Norm, setzt sich selbst aber wieder ein normatives Ziel.<br />
Insofern war das 2. Jenaer Open-Air-Frühstück<br />
vielleicht nicht mehr subversiv in seinem ursprünglichen<br />
Verständnis, aber auch hier wurde eine<br />
neue Gemeinschaft erschaffen: Wir kamen mit<br />
Unbekannten ins Gespräch, die Stadt wurde zur Bühne und<br />
damit wurde die Bühne wieder zu einem Ort der neuen<br />
Subversivität.<br />
•<br />
Dokumentation<br />
SCHWARZWEISS – Eine theatrale Stadtbegehung<br />
des Anhaltischen Theaters Dessau um<br />
den Fall Oury Jalloh, Textem Verlag,<br />
Hamburg 2012
Performance<br />
as technology of<br />
other-worlding<br />
118<br />
A conversation with<br />
Alexander<br />
Baczyński-Jenkins<br />
It was in the very final phase of my research for this issue’s<br />
guiding topic – subversion – that I travelled to Basel Art Week<br />
this year. At the centre of this event there is Art Basel, one of<br />
the world’s most important fairs for showing and, above all,<br />
for selling contemporary art. Against this background, I wasn’t<br />
expecting to encounter much<br />
that would have proved to<br />
be fruitful from the perspective<br />
of subversive practices.<br />
At the same time, however,<br />
I wasn’t disposed to join in<br />
the sense of resignation that<br />
art has lost all its subversive<br />
potential in favour of becoming<br />
a commodity like any
T: Kina Deimel<br />
119<br />
other. Indeed, many of the works presented at the show stands<br />
appeared as subjects to the primacy of complaisance and<br />
salability in terms of format, to an aesthetics that often drifted<br />
towards the realm of decoration. But despite the difficulties<br />
that many young artists face in this overwhelmingly commercialized<br />
art world, the context in Basel left, if not opened up<br />
a space for some subversive experiments.<br />
During my stay in Basel my attention was drawn to the work<br />
of Alexander<br />
Baczyński-Jenkins,<br />
a young British-<br />
Polish artist one<br />
of whose cho-<br />
reographies was<br />
enacted as<br />
part of this year’s<br />
performance<br />
project at LISTE.<br />
Concurrently<br />
taking place to Art<br />
Basel every<br />
year since its<br />
inauguration<br />
in 1996, LISTE<br />
brands itself as<br />
“the world’s most<br />
important fair<br />
for young and<br />
emerging art,” a complement to the established artistic positions<br />
that Art Basel presents. Though this might sound promising<br />
in terms of subversion, much of what was presented<br />
ultimately revealed a reproduction of the very same logic that<br />
dominated the mass-attracting partner event. I interviewed<br />
Alexander about the ideas behind his work, about what it<br />
means to present performance work in such a context, the<br />
reasons for his decision for this processual form of expression,<br />
and about the platform that LISTE provides for his work.<br />
Maybe, what’s left to be subversive in such contexts lies in<br />
the engagement with what we tend to consider as the banal,<br />
the most fundamental and simple elements, encounters and<br />
experiences of everyday life.
- and Frank?<br />
- I’ve never been to San Sebastian, Irun, Hendaye, Biarritz,<br />
Bayonne, I don’t know how to pronounce the names<br />
- she’s a basic bitch<br />
Dedication Schwester Schwester, Basel LISTE 2014. Alexander Baczyński-Jenkins,<br />
in collaboration with and performed by: Karl Fagerlund, Zachariah Fletcher, Imma Mess
- but having a coke with you is definitely even more fun<br />
than going to all those places<br />
- having a coke with you is even more fun than …<br />
- being sick to my stomach on meth in east block …
<strong>Geheimsache</strong> #8<br />
122<br />
Kina Deimel<br />
(K. D.)<br />
To begin maybe, could you<br />
say a few words about your<br />
work in general? What are<br />
you mainly concerned with,<br />
what kind of questions<br />
trigger your artistic<br />
practice, and why do you<br />
choose performance – a<br />
relatively young and experimental<br />
artistic field<br />
– as a means of expression?<br />
Alexander Baczyński-<br />
Jenkins (A. B.-J.)<br />
I make choreographies.<br />
There is this track by<br />
Throbbing Gristle that I<br />
love, probably their most<br />
famous track, which is<br />
called Discipline. Genesis<br />
P-Orridge wilds out on the<br />
commands: “I want discipline!<br />
I need some discipline<br />
in here! We need<br />
some discipline!” Genesis<br />
trips on these words and<br />
h/er voice is in overkill…<br />
h/er voice is in total<br />
excess,<br />
what’s<br />
so<br />
strong<br />
about<br />
what’s<br />
happening<br />
is<br />
that s/<br />
he’s<br />
undoing the command<br />
through the voice, through<br />
its affect. S/he’s taking<br />
discipline and fucking<br />
with it, putting it in<br />
motion, letting it fill<br />
with desire and un-disciplining<br />
it. So it’s about<br />
un-disciplining as a practice<br />
and how to do through<br />
affect and affection. In<br />
Desire in Language, Julia<br />
Kristeva writes about<br />
un-disciplining as play, a<br />
poetic practice and experience<br />
– escaping that<br />
attempt to close things<br />
down and make them seem<br />
stable. I choose performance<br />
because it is the<br />
medium of emergence and<br />
contingency, and I also<br />
like the instance of the<br />
gathering. I like to think<br />
of performance as an<br />
ubiquitous technology of<br />
other-worlding. I am particularly<br />
interested with<br />
the other-worlding that<br />
happens in the everyday<br />
through desire, play,<br />
friendship, love. You<br />
re-imagine, you make a<br />
shared fantasy, it produces<br />
a space between you<br />
and affects you… it’s the<br />
capacity of bodies in<br />
alliance to make poetic,<br />
un-disciplined experiences;<br />
the pleasure of<br />
being together and performing<br />
with/for one another.<br />
To perform as making<br />
anOther present.<br />
K. D.<br />
How does Dedication Schwester<br />
Schwester, a poetry<br />
recital and choreography<br />
performed by three rollerbladers,<br />
fit into your<br />
practice? Was it commissioned<br />
by LISTE or why did<br />
you decide to do the<br />
performance there?<br />
A. B.-J.<br />
As a kind of urban choreography,<br />
it has a lot to<br />
do with my previous project<br />
Yet, see him through<br />
my eyes. I lived in Beirut<br />
for a year, to take<br />
part in the Home Workspace<br />
Program with Ashkal<br />
Alwan. In Lebanon, due to<br />
the law of “sexual acts<br />
against nature” – a colonial<br />
hangover – homosexual<br />
sex is illegal and so<br />
you have these old cinemas<br />
that screen straight<br />
erotica/porn, but are<br />
actually cruising places<br />
for men who have sex with<br />
men. Just before I arrived,<br />
two such cinemas<br />
were raided by the<br />
police. As part of the<br />
X-apartments project,<br />
Matthias Lilienthal’s<br />
curatorial format to<br />
develop site-specific<br />
performance works around<br />
the private/public, I<br />
began to look into queer<br />
presences and the Arab<br />
celluloid screen. This<br />
largely amounted to<br />
Egyptian cinema as comparatively<br />
speaking, for<br />
the Arabic-speaking film<br />
industry, Hollywood is<br />
the Cairo of the West.<br />
What came out of the<br />
research was a collection<br />
of scenes from Egyptian<br />
cinema that represent<br />
non-hetero-normative<br />
narratives. The resulting<br />
work was a 30-minute<br />
montage that was then<br />
screened on a loop for<br />
four days in a cruising<br />
cinema in Beirut’s<br />
district of Bourj Hammoud.<br />
In the cine-performance<br />
Yet, see him<br />
through my eyes, the<br />
screen of the cinema,<br />
usually operating in<br />
straight-drag, performs<br />
itself - the queer<br />
desires that are acted on<br />
in the audience are given<br />
their cinematic luminous<br />
presence.<br />
Dedication Schwester<br />
Schwester was commissioned<br />
by LISTE, but the concept<br />
also came out of my<br />
research in Beirut. I<br />
lived right next to the<br />
Corniche – the sea front,<br />
which is<br />
one of<br />
the few<br />
public<br />
spaces in<br />
Beirut.<br />
It's<br />
popular<br />
with<br />
rollerbladers,<br />
and is<br />
also a<br />
cruising<br />
area. I<br />
started<br />
roller-
PErformance as technology of other-Worlding<br />
123<br />
blading there. At the same<br />
time, I was looking into<br />
queer love in Arabic<br />
literature, of which there<br />
is a lot of material. I<br />
came across this medieval<br />
study of love practices by<br />
Ahmad Al-Tifashi – The<br />
Delight of Hearts or What<br />
you will not find in any<br />
book – with one chapter<br />
dedicated to poetry written<br />
on men loving men.<br />
While getting into rollerblading<br />
and reading poetry,<br />
the complicity between<br />
these became<br />
apparent. I started working<br />
with the idea of a<br />
rollerblade poetry practice.<br />
K. D.<br />
Can you specify what you<br />
mean with complicity,<br />
especially with regards to<br />
the poems you selected for<br />
the performance? One of<br />
them is Frank O’Hara’s<br />
Having a Coke With You…<br />
A. B.-J.<br />
For the iteration in<br />
Basel, the poets we sampled<br />
from included Frank<br />
O’Hara, Eileen Myles and<br />
Langston Hughes. The chosen<br />
poems orbit around<br />
desire/pleasure/love. What<br />
I really connect with in<br />
Frank O’Hara’s work is how<br />
he made sure to take<br />
poetry off any pedestal<br />
and include it as part of<br />
everydayness. Frank<br />
O’Hara’s poetry isn’t<br />
sheltered from the mundane,<br />
but in it and<br />
through it. He doesn’t<br />
make a distinction between<br />
the banal experience and<br />
high art, the pursued<br />
marvelous experience can<br />
be just having a coke with<br />
someone that you feel for.<br />
In making the poetry into<br />
a conversation, a joint<br />
practice, how the text is<br />
owned and lived by the<br />
performers is really<br />
important. The piece is a<br />
collaboration with Karl<br />
Fagerlund, Zachariah Fletcher<br />
and Imma Mess. The<br />
poetry functions as a<br />
shared pretext for a<br />
meeting. I choreograph the<br />
conditions for hanging out<br />
together, but it is really<br />
about how the performers<br />
engage with<br />
that – hanging<br />
out on<br />
rollerblades<br />
with each<br />
other and<br />
the text as<br />
a way to<br />
have fun<br />
and take<br />
pleasure<br />
– this is<br />
where the<br />
piece happens.<br />
There<br />
is both a<br />
strong<br />
choreographic<br />
framing<br />
and an<br />
out-of-controlness<br />
in how they move<br />
through that, live it.<br />
It’s therefore as much<br />
about the poetry as how<br />
they play with it.<br />
K. D.<br />
And what about the relationship<br />
to your audience?<br />
Within this constellation<br />
you describe, how do you<br />
see the viewer’s role?<br />
A. B.-J.<br />
I like to think of<br />
audience as an implicated<br />
voyeur. Jean Rouch spoke<br />
about the role of the<br />
camera participating in<br />
the rituals he filmed as<br />
cine-trance, the observing<br />
camera is a catalyst – the<br />
ritual would have happened<br />
anyway, but the camera’s<br />
attention makes the performers<br />
go further into<br />
it. A gathering of bodies<br />
with a directed attention<br />
often heightens an experience,<br />
both for the<br />
performers and for the<br />
audience. This context of<br />
people doing something<br />
together amplifies sensation…<br />
And then there is<br />
the dimension of making a<br />
public experience of performances<br />
that might usually<br />
be invisible.<br />
K. D.<br />
I know that<br />
you rehearsed<br />
the<br />
performance<br />
in front of<br />
some friends<br />
at Dalston<br />
Square in<br />
London<br />
shortly<br />
before<br />
coming to<br />
Basel. What<br />
was different<br />
there<br />
and in Basel<br />
at Theodorkirchsplatz?<br />
A. B.-J.<br />
We rehearsed in various<br />
places in London: Dalston<br />
Square, Hyde Park, the<br />
skate park at South Bank,<br />
outside a shopping mall<br />
next to Russell Square and<br />
in my flat. The sharing of<br />
the practice with friends<br />
is part of the work both<br />
because of the dialogue<br />
this generates and also<br />
because it provides the<br />
opportunity to practice<br />
how to keep the performance<br />
intimate and lucid,<br />
to practice keeping the<br />
performance as a practice.<br />
I liked that the performance<br />
in Basel happened<br />
outside a church.<br />
K. D.<br />
Was that your idea? What<br />
did you like so much about<br />
that setting?<br />
A. B.-J.<br />
The location was proposed<br />
by Fabian Schoeneich, the<br />
curator of LISTE, and my
eaction was – yes let’s<br />
take this to church. To<br />
unpack that: when you say,<br />
"I’m going to take that to<br />
church", it either means<br />
that you’re going to<br />
school it, or, when you<br />
really like someone or<br />
something, as an expression<br />
of conviction. The<br />
second meaning is what<br />
interests me. Church is<br />
both the old power that<br />
did and does a lot of<br />
damage and that represents<br />
ideas that really need to<br />
go and at the same time it<br />
stands for what’s still<br />
relevant: conviction and<br />
love. I don’t agree with<br />
conservative Christian<br />
morals, but I respect the<br />
sense of acting on a set<br />
of beliefs with the idea<br />
that they can have an<br />
efficacy. The combination<br />
of profanation and conviction<br />
is why I think Christian<br />
aesthetics have been<br />
appropriated a lot in<br />
queerings and camp. And<br />
then Stuart Hall says<br />
about critical practice:<br />
“You have to be a pessimist<br />
intellectually and an<br />
optimist with your will.”<br />
I would say being an optimist<br />
with your will is<br />
being a believer. Not in<br />
the protestant neo-liberal<br />
individualist sense – if<br />
you work hard enough you<br />
can make it – but as an<br />
affirmative ethics: small<br />
acts matter.<br />
K. D.<br />
Considering its taking<br />
place simultaneously to<br />
Art Basel, one of the<br />
world’s biggest and most<br />
important fairs for showing<br />
and selling contemporary<br />
art: What kind<br />
of platform does LISTE<br />
provide for you as a<br />
young, emerging artist?<br />
And what does it mean<br />
to present a processual<br />
and ephe meral work in<br />
such a context?<br />
A. B.-J.<br />
LISTE has a history of<br />
showing strong new directions<br />
in performance. Like<br />
any respected platform, as<br />
a young artist it gives<br />
your work visibility and<br />
gives cultural capital to<br />
what you are doing. It’s<br />
not that I seek institutional<br />
validation, but as<br />
the way things are now, it<br />
gives one's work a wider<br />
reach.<br />
There is an infatuation of<br />
the art world with performance,<br />
and a definite<br />
surge in the commercial<br />
art world’s interest.<br />
What’s not clear is how<br />
performance will challenge<br />
that economy and its modes<br />
of circulation. The question<br />
is: Will it re-order<br />
ways of thinking, presenting,<br />
and owning art?<br />
•
T: Wolfgang Müller<br />
127<br />
Der Begriff der Subversion kommt aus dem Lateinischen, subversor<br />
bedeutet „Umstürzer“ und bezieht sich allgemein auf<br />
Vorgänge, Bestrebungen oder Darstellungen, welche die bestehende<br />
soziale Ordnung, also Autoritäten, gesellschaftliche<br />
Zugehörigkeiten und Hierarchien, Ausbeutung von Gruppen,<br />
Machtkonzentrationen und so weiter in Frage stellen, irritieren<br />
bzw. verändern wollen.<br />
Subversion als Gegenmacht<br />
Claudia Reichert aka Wanda:<br />
Destabilisierungsstrategien und<br />
Raumöffnungen.<br />
Auf der unerquicklichen Suche nach einem<br />
Wohnraum stößt die DDR-Bürgerin Claudia<br />
Reichardt Anfang der Achtzigerjahre<br />
in Dresden auf eine dreistöckige alte Villa.<br />
Diese wird „Villa Marie“ genannt, ist umgeben von Streuobstwiesen<br />
und liegt malerisch am Ufer der Elbe. Es be ginnt<br />
eine Liebesgeschichte, die gleichzeitig zur Lebens- und<br />
Kunstgeschichte ihrer Entdeckerin wird. Fasziniert untersucht<br />
Claudia Reichardt alias Wanda die Historie des<br />
Hauses, sie lernt Bewohner, Orte und Zeiten kennen, die<br />
mit diesem verbunden sind oder waren. Im Jahr 1982 zieht<br />
sie in die „Villa Marie“ und eröffnet 1986 dort eine Galerie<br />
namens „fotogen“, aus der sich eine unabhängige Galerie<br />
entwickelt. Keine professionelle, kommerziell orientierte<br />
Galerie in der DDR, weder ein staatlich organisierter Kunsthandel,<br />
noch eine vom Staat anerkannte Privatgalerie. Das<br />
unabhängige, undefinierte, souveräne Territorium wächst,<br />
und wird von Wanda gegen alle Widerstände verteidigt.<br />
Irgendwann wird die<br />
marode Villa vom alten<br />
Eigentümer der Stadt<br />
Dresden geschenkt. Nun<br />
kleben die Behörden<br />
regelmäßig Räumungsbefehle<br />
an die Türen –<br />
kein Bewohner der Villa<br />
nimmt das ernst. Aus<br />
den Hausbewohnern werden so unvermittelt Hausbesetzer.<br />
Bei Elbehochwasser werden die Bewohner einschließlich<br />
der Galeristin mit dem Hubschrauber der Nationalen Volksarmee<br />
in Sicherheit gebracht. Wandas Galerie „fotogen“<br />
wird in der Folge zu einer Attraktion in der DDR. Auch<br />
Kunstinteressierte aus der BRD kommen regelmäßig zu<br />
Wandas Ausstellungen, wie beispielsweise der Kurator<br />
Eckart Gillen aus Karlsruhe. Mehr als zwanzig Jahre später<br />
wird er zusammen mit Stephanie Barron aus Los Angeles<br />
zum Kurator der Ausstellung „Kunst und Kalter Krieg. Deutsche<br />
Positionen 1945–1989 Art of Two Germanys / Cold<br />
War Cultures“, die im LACMA Los Angeles, dem Deutschen<br />
Historischen Museum Berlin (2009/2010) und im Germanischen<br />
Nationalmuseum Nürnberg zu sehen ist.
<strong>Geheimsache</strong> #8<br />
Den DDR-Behörden werden die Ausstellungsaktivitäten<br />
von Wanda irgendwann<br />
unheimlich. Sie verlangen von der Galeristin<br />
eine Liste der Vernissage-Gäste – im<br />
Voraus. Artig schreibt Wanda die Namen von zwanzig Personen<br />
auf – allesamt Vertreter des offiziellen Kulturlebens<br />
von Dresden und als solche sowieso dienstlich tätig. Ein<br />
von den Behörden übermitteltes Ausstellungsverbot kontert<br />
Wanda mit der Aktion „Die Galerie bleibt während der<br />
128<br />
abstoßend – und zieht doch zugleich ein bis dato unbekanntes<br />
Publikum magisch an.<br />
Wie sich seine Stimme entwickelt hat,<br />
erläutert John Lydon alias Johnny<br />
Rotten in einem Interview mit dem<br />
Berliner Stadtmagazin TIP 15/2012:<br />
„Wir wollten unter gar keinen Umständen in den [katholischen<br />
Knaben] Chor. […] Die Älteren warnten uns. Wir<br />
haben dann instinktiv gelernt, dieser Institution zu begegnen;<br />
und zwar, indem wir lernten, nicht<br />
zu singen. Oder nicht richtig. Denn wenn<br />
du singen konntest, kamst du in den<br />
Chor. Warst du im Chor, hatte der Priester<br />
Zugriff auf dich.“<br />
Er habe sich nie erlaubt, zum<br />
Opfer zu werden, sagt John<br />
Lydon und weiter: „Genau<br />
darauf aber spekulierten<br />
die Priester, das war eine Schande.“<br />
Übersetzt bedeutet das: Sie lernten,<br />
schrill und abstoßend zu singen, um sich<br />
vor den sexuellen Übergriffen von Autoritäten<br />
zu schützen.<br />
Subversion als Dynamisierung<br />
Öffnungszeit geschlossen“. Als der Galeriebetrieb am Ende<br />
doch noch verboten wird, stellt Wanda keine Bilder oder<br />
Skulpturen aus – stattdessen präsentiert sie hundert diverse<br />
Gerüche auf verschiedenen Stoffen in verschiedensten<br />
Flakons: „Es stinkt – wir riechen – wir stinken – es riecht.“<br />
Dass der Staatssicherheitsdienst der DDR<br />
zeitgleich ein Archiv mit Geruchsproben<br />
Tausender politisch verdächtiger Personen<br />
in Einweckgläsern angelegt hat, wird<br />
beliebtes Thema von SPIEGEL-TV-Reportagen ab Sommer<br />
1990. Mit diesem Archiv kann der Begriff des „Schnüffelstaates“<br />
besonders anschaulich verbildlicht werden.<br />
Später sagt Wanda, dass Beuys’ Idee eines<br />
erweiterten Kunstbegriffes sie zur Idee einer<br />
Geruchsausstellung angeregt habe. Die<br />
Geschichte der „Villa Marie“ endet 1990.<br />
Aus dem Westen kommend, übernehmen Immobilienspekulanten<br />
und Glücksritter des Geldes das Terrain.<br />
Subversion als Aggression<br />
Johnny Rotten aka John Lydon:<br />
Destruktion und Raumexpansion<br />
Im Jahr 1977 veröffentlichen die Sex Pistols aus<br />
England ihr legendäres Album „Never Mind The<br />
Bollocks“ – und bereiten damit den Weg zur<br />
Popularisierung von Punk vor. Der quäkendnervenzerreibende<br />
schrille Gesang von Johnny Rotten,<br />
Sänger dieser Punkband, wird zum Markenzeichen. Sein<br />
Gesang will offensichtlich niemanden gefallen, er wirkt<br />
Kannibalistische Integration und<br />
Mainstream. Stefan Marquardt,<br />
Sascha Lobo und Gerald Hörhan:<br />
Punkköche und Punkbörsianer.<br />
Worte wie Subversion, Subkultur und<br />
Punk erfuhren nach 1990, den Jahrzehnten<br />
der Auflösung von Ost- und<br />
Westblock, eine radikale Umwertung.<br />
Sie entledigten sich ihrer negativen Konnotation und<br />
entwickelten sich zu positiv aufgeladenen Begriffen. Nun<br />
kündeten sie von der<br />
Dynamik des Kapitalismus<br />
und dessen unbegrenzter<br />
Wandlungsfähigkeit.<br />
Die verkündete<br />
Alternativlosigkeit des<br />
kapitalistischen Systems<br />
bewies sich durch seine<br />
Integrationskraft, die<br />
selbst vor Ausdrücken<br />
wie „Punk“ und „Subversion“<br />
nicht haltmachte.<br />
Punk ist gegenwärtig<br />
positiv konnotiert.<br />
Im Jahr 2008<br />
warb die Autofirma<br />
Honda<br />
mit dem Slogan<br />
„Vernunft ist der neue<br />
Punk“. Gemeint ist Rationalität,<br />
kombiniert mit der<br />
Art von Freiheit, Grenzüberschreitung und Dynamisierung,<br />
für die der Begriff Punk aktuell steht. Die Deutsche Bahn<br />
lockte 2010 ihre Fahrgäste mit einem Menü, welches, so
Subversion ist auch nicht mehr das, was sie einmal war<br />
129<br />
die Speisekarte, ein „Punk-Koch“ zubereitet habe. In den<br />
Achtzigerjahren hätte eine solche Ankündigung die Restaurantgäste<br />
mit Sicherheit zur panischen Flucht aus dem<br />
Speisewagen veranlasst. Der DB-Punk-Koch Stefan Marquardt<br />
kochte vier Jahre später, im Jahr 2014 gemeinsam<br />
mit dem CSU-Kandidaten Christian Ebele, in dessen Familien-Gasthof<br />
Eberle unter dem Motto : „Der Koch und der<br />
Kandidat – Politik mit Geschmack“. Ein Investmentbanker<br />
namens Gerald Hörhan aus Österreich tritt mit sogenannter<br />
Irokesenfrisur in TV-Talkshows auf und wird von den<br />
Fahrradtour zu Nicos Grab.<br />
Links: Wolfgang Müller; Rechts: Akwiratékha;<br />
Auf den T-Shirts ein Satz in Kanien’keha-Sprache:<br />
„Ich kenne keine Tabus.“<br />
Medien als Investment-Punk bezeichnet, ähnliches gilt für<br />
den Journalisten und Werbetexter Sascha Lobo. Eher<br />
gewöhnlich gekleidet, sticht sein rotgefärbter, sogenannter<br />
Irokese hervor, der zu seinem Markenzeichen wurde.<br />
Für die von heftigen Protesten der lokalen<br />
Bevölkerung wegen Korruption und sozialen<br />
Missständen begleitete Fußballweltmeisterschaft<br />
in Brasilien wirbt im Juni des Jahres<br />
2014 ein überdimensionales Plakat am Potsdamer Platz<br />
in Berlin. Zu sehen ist der Kopf eines jubelnden Mannes,<br />
welcher einen Fußballfan darstellen soll. Als Frisur trägt<br />
er einen schwarz-rot-goldenen, in den deutschen Nationalfarben<br />
gefärbten, sogenannten Irokesenschnitt …<br />
Irritierte Subversion<br />
Modern Colonial Primitives or what? Mazahuacholoskatopunks,<br />
Indiopunks. Sphärenschwingungen<br />
und Grenzmanöver.<br />
Während die Begriffe Punk und Subkultur<br />
heute in der eurozentrischen<br />
weißen Welt allgemeine Wertschätzung<br />
erlangt haben, verschwindet<br />
dieser Respekt schlagartig, sobald es sich um nichtweiße<br />
Punks handelt, beispielsweise um amerikanische<br />
Erstbewohner. Von „Entwurzelung“ ist dann die Rede und<br />
vom „Verleugnen der Herkunft“. Als Diagnose gilt: Identitätslosigkeit.<br />
Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) untertitelt<br />
am 26. März 2010, Nr. 71, ein Foto auf<br />
ihrer Titelseite mit folgendem Satz: „Immer<br />
mehr Stadtindianer in Mexiko“. Zu sehen<br />
sind drei junge Männer mit sogenannter Irokesenfrisur,<br />
eine davon grün gefärbt. Sie tragen nietenverzierte Lederjacken,<br />
T-Shirts und Bluejeans. Weiter heißt es: „Manche<br />
der jungen Indigenen, die in die Hauptstadt Mexikos ziehen,<br />
verleugnen ihre Herkunft und übernehmen die Verhaltens-<br />
und Konsumgewohnheiten urbaner Subkultur. Oft<br />
genug versuchen sie so, der rassistischen Diskriminierung<br />
zu entkommen.“ Der Fotograf Federico Gama habe nun<br />
das Leben „entwurzelter Stadtindianer“ dokumentiert.<br />
Die neuen jungen Stadtbewohner werden<br />
als „Mazahuacholoskatopunks“ bezeichnet.<br />
Ein weiterer Grund, warum sie ihre Dörfer<br />
verlassen, wird im Folgenden geschildert:<br />
„… weil das städtische Leben fernab jeglicher sozialen<br />
Kontrolle seine Reize entfaltet: Ob Piercings, ungenierter<br />
Sex, Drogenkonsum oder eine punkige Frisur – alles ist<br />
möglich und damit erlaubt, was im Dorf verboten oder<br />
schlicht undenkbar war.“<br />
Diese Beschreibung eines reizvollen urbanen<br />
Lebens passt genauso auf die europäischen<br />
und nordamerikanischen weißen<br />
Punks vom Ende der Siebzigerjahre, die<br />
ebenfalls oft aus kleinen Dörfern der ländlich-konservativen<br />
Provinz kommend, sich in Richtung der Metropolen, nach<br />
London, (West)-Berlin oder New York bewegten. Auch für<br />
sie wäre die Erklärung zutreffend: „Ob Piercings, ungenierter<br />
Sex, Drogenkonsum oder eine punkige Frisur –<br />
alles ist möglich und damit erlaubt, was im Dorf verboten<br />
oder schlicht undenkbar war.“ Von „Entwurzelung“ wäre<br />
dann allerdings wohl nicht die Rede gewesen, vielleicht<br />
eher von „Dekadenz“.<br />
(Re)Konstruktion als Subversion<br />
und Gestaltung?<br />
Die transatlantische Spiegelschule –<br />
Melancholie und Exotismus. Die Sehnsucht nach<br />
Präsenz. Akwiratékha Martin, Nico und der Autor.
130<br />
Im Jahr<br />
2002 fliege<br />
ich<br />
von Berlin<br />
nach Island. In Reykjavík<br />
mache ich die<br />
Bekanntschaft mit<br />
Akwiratékha Martin.<br />
Sein Wohnort ist das<br />
Kahnawa:ke Mohawk-<br />
Territory. Akwiratékha<br />
ist Besucher in<br />
Island wie ich. Im<br />
Gespräch entdecken<br />
wir unsere gemeinsame<br />
Faszination für<br />
Nico, alias Christa<br />
Paeffgen, der in<br />
Lübbenau an der<br />
Spree aufgewachsenen<br />
Sängerin von<br />
Velvet Underground. Die von Andy Warhol produzierte Band<br />
wird heute zusammen mit den Stooges von Iggy Pop als<br />
die bedeutendste Prä-Punkband bezeichnet. Akwiratékha<br />
interessiert sich für Nicos letztes Konzert im Westberliner<br />
Planetarium 1988, und ich erzähle ihm davon aus<br />
meiner Erinnerung. Wenn er mal Lust<br />
habe, nach Berlin zu kommen, könnten<br />
wir dort gemeinsam das Grab von Nico<br />
besuchen.Akwiratékha fliegt vier<br />
Jahre später über den<br />
Atlantik. Zusammen<br />
radeln wir zu Nicos<br />
Grab im Forst Berlin-Grunewald, hinter<br />
dem Teufelssee, auf dem Friedhof der<br />
Namenlosen in einer Waldlichtung der<br />
Havel. Akwiratékha pflückt einige Efeublätter<br />
an Nicos Grab, übersetzt den<br />
von ihr gesungenen Velvet-Underground-Klassiker „All<br />
Tomorrows Parties“ in die Sprache der Mohawk, ins<br />
Kanien’kéha, und singt ihn.<br />
Drei Jahre später verabreden wir uns im<br />
Kahnawà:ke Mohawk Territory, einer Siedlung<br />
am Südufer des St. Lorenz-Stroms<br />
gegenüber Montreal. Akwiratékha erwirbt<br />
ein elektrisches Harmonium, übersetzt und singt weitere<br />
Songs von Nico auf Kanien’kéha – einer Sprache, die heute<br />
nur noch etwa zweitausend überwiegend ältere Menschen<br />
beherrschen. Aber auch eine Sprache, die seit einigen<br />
Jahren wieder zunehmend jüngere Menschen erlernen.<br />
Die Selbstbezeichnung der Mohawk ist Kanien’kehá:ka.<br />
Die Sprache der Kanien’kehá:ka nennt sich Kanien’kéha.<br />
Mohawk sind also Kanien’kehá:ka, die die Kanien’kéha<br />
sprechen. Viele Kanien’kehá:ka sprechen Englisch, sind<br />
englischsprachig in einem französisch(sprachig) dominierten<br />
Umfeld aufgewachsen. Die deutsche Sprache heißt auf<br />
Kanien’kéha: Tehotinontsistokerón:te raotiwén:na. Die Deutschen<br />
werden genannt: Tehotinontsistokerón:te. Wörtlich<br />
übersetzt: Quadratköpfe.<br />
Learning Mohawk in fifty-five minutes; Wísk<br />
niwáhsen wísk nikahseriiè:take kanien’kéha<br />
wa’katéweienste, übersetzt: Mohawk lernen<br />
in 55 Minuten.<br />
Die Stimmen sollen den Raum öffnen für<br />
eine transatlantische Spiegelschule, die<br />
Raumsynergien erfahren lässt. Der Lernprozess<br />
ist schmerzhaft. Das Büffeln der<br />
Lektionen wird qualvoll, der Unterricht zur Marter.<br />
Die transatlantische Spiegelschule kennt den<br />
Schmerz, aber sie spürt ihn nicht.<br />
Die transatlantische Spiegelschule kennt keinen<br />
Schmerz, sie spürt ihn.<br />
Die transatlantische Spiegelschule kennt den Schmerz,<br />
sie spürt ihn.<br />
Die transatlantische Spiegelschule kennt den Schmerz,<br />
aber sie spürt ihn nicht.<br />
Die transatlantische Spiegelschule spürt den Schmerz,<br />
aber sie kennt ihn nicht.<br />
•<br />
Buch<br />
Reichardt, Claudia,<br />
Die Galerie bleibt während der<br />
Öffnungszeit geschlossen,<br />
102 Seiten, Abbildungen,<br />
Martin Schmitz Verlag, Berlin 2010<br />
CD<br />
Müller, Wolfgang,<br />
„Séance Vocibus Avium“<br />
& „Wísk niwáhsen wísk<br />
nikahseriiè:take kanien’kéha<br />
wa’katéweienste“ oder<br />
"Learning Mohawk in fifty-five<br />
minutes", 2 CD-Box & 112 S.<br />
Booklet. Intermedium, Belleville<br />
Verlag, München 2012
I’ll be your mirror<br />
I’ll be your mirror,<br />
Ich werde dein Spiegel,<br />
Satátken enká:ton,<br />
Reflect what you are<br />
Der zeigt, was du bist<br />
Ienhsatátken ó:nen<br />
In case you don’t know<br />
Falls du es nicht weißt,<br />
iah tehsatatienté:ri<br />
I’ll be the wind<br />
Ich werde der Wind<br />
Ówera enká:ton<br />
The rain and the sunset<br />
Regen und Abendrot<br />
Ohné:ka tánon’ karáhkwa<br />
The light on your door<br />
Das Licht an deiner Tür<br />
Sahnhóha tenkhswáthe’te<br />
To show that you’re home<br />
Das zeigt, du bist da<br />
Nó:nen ienséhsewe.<br />
When you think the night<br />
has seen your mind<br />
Wenn du denkst, die Nacht<br />
kommt,<br />
überwältigt dich<br />
Nó:nen íhsehre<br />
tetisa’nikonhrà:karas<br />
That inside you’re twisted<br />
and unkind<br />
Dass du verquer und dass<br />
du lieblos bist<br />
Tánon’ io’táksen serià:ne<br />
Let me stand to show that<br />
you are blind<br />
Lass mich dann ertragen,<br />
dich blind – zu sehen<br />
Tó: konna’tón:hahs tsi<br />
tehseron’wé:kon<br />
Please put down your hands<br />
Senke deine Hand<br />
Tóhsa satatkonhsáhseht<br />
‘cause I see you<br />
weil ich dich seh’<br />
né: tsi kón:kens
I’ll find it hard<br />
Es fällt mir schwer<br />
Wakentorà:se<br />
To believe you don’t know<br />
Zu glauben, dass du nicht<br />
weißt,<br />
Aontakéhtahkwe tsi<br />
That beauty you are<br />
Wie schön du nur bist<br />
Iah tesaterièn:tare<br />
But if you don’t<br />
Aber falls nicht<br />
Tsi sonkwe’tí:io<br />
Let me be your eyes<br />
Lass mich dein Auge sein<br />
Tó: sakà:ra ká:ton<br />
A hand to your darkness<br />
Eine Hand in deinem Dunkel<br />
Tenkonhswathè:ten<br />
So you won’t be afraid<br />
so dass du dich nicht fürchtest<br />
ne tóhsa aonsasáhteron’ne<br />
the night has seen your<br />
mind<br />
die Nacht hat deinen Geist<br />
gesehen<br />
tetisa’nikonhrà:karas<br />
That you’re twisted and<br />
unkind,<br />
Dass du verquer und lieblos<br />
bist<br />
Tánon’ io’táksen serià:ne<br />
Please put down your hands<br />
Bitte senk die Hand<br />
Tóhsa satatkonhsáhseht<br />
Cause I see you<br />
Weil ich dich seh’<br />
Né: tsi kón:kens<br />
I’ll be your mirror<br />
Ich werde dein Spiegel<br />
Satátken enká:ton<br />
Reflect what you are<br />
Der zeigt, was du bist<br />
Ienhsatátken ó:nen<br />
When you think<br />
Wenn du glaubst,<br />
Nó:nen íhsehre
AUTOPORTRät<br />
134<br />
Geburtshelferin Zensur –<br />
Warum ich nicht Verleger<br />
werden wollte und es<br />
dann doch geworden bin *<br />
* Erschienen als Beitrag für:<br />
„Ausgerechnet Bücher. 31 verlegerische<br />
Selbstporträts“, hg.<br />
von Rita Galli, Ch. Links Verlag,<br />
Berlin 1998<br />
Eigentlich wollte ich nie<br />
Verleger werden. Das Beispiel<br />
meiner Eltern<br />
schreckte zu sehr. Im Monat<br />
meiner Geburt, im September<br />
1954, begann mein Vater als<br />
frisch diplomierter Germanist<br />
im Verlag Volk und<br />
Welt Berlin, als Lektor zu<br />
arbeiten. In meiner Kindheit<br />
sah ich ihn vergleichsweise<br />
wenig, und<br />
wenn, dann in Begleitung<br />
von Autoren, Fotografen<br />
oder Gestaltern. Ob sie<br />
Bobrowski, Hochhuth oder<br />
Frisch hießen, interessierte<br />
mich wenig. Meine Mutter,<br />
zunächst Deutschlehrerin,<br />
wechselte bald auch<br />
ins Verlagsgeschäft und<br />
landete im Philosophie-Lektorat<br />
des Deutschen Verlages<br />
der Wissenschaften. Die<br />
Gespräche am Familientisch<br />
lassen sich erahnen. Mit<br />
dieser Welt, die einen<br />
Menschen so ganz mit Haut<br />
und Haaren fraß, daß Arbeit<br />
und Privatleben nicht mehr<br />
auseinanderzuhalten waren,<br />
wollte ich nun wirklich<br />
nichts zu tun haben. Außerdem<br />
galt es, etwas Eigenes<br />
zu finden, das sich erkennbar<br />
von den vorgezeichneten<br />
Familienwegen absetzte. In<br />
den frühen siebziger Jahren<br />
entbrannte mein Interesse<br />
für Lateinamerika. Nach dem<br />
Tod von Che und dem gescheiterten<br />
Umgestaltungsversuch<br />
in Chile<br />
empörte mich das<br />
Wüten der südamerikanischen<br />
Militärs.<br />
Emotional<br />
gestärkt wurde ich<br />
dabei durch die<br />
Auftritte der<br />
exilierten Musiker<br />
beim alljährlichen<br />
„Festival des<br />
politischen Liedes“<br />
in Ost-Berlin,<br />
an dem ich<br />
begeistert mitarbeitete. So<br />
entstand mein Wunsch,<br />
Lateinamerikanist zu werden<br />
und etwas gegen die Ungerechtigkeit<br />
in diesem Teil<br />
der Welt zu unternehmen. Da<br />
die wenigen Studienplätze<br />
für dieses Fach in der DDR<br />
bereits alle vergeben<br />
waren, entschloß ich mich,<br />
in Berlin Philosophie zu<br />
studieren und parallel dazu<br />
in Leipzig eine Zweitausbildung<br />
am dortigen Lateinamerika-Seminar<br />
aufzunehmen.<br />
Hier konnte ich mich<br />
auch politisch relativ<br />
identisch bewegen, denn die<br />
Vorgänge in Lateinamerika<br />
waren nicht mit derart<br />
vielen Tabus blockiert wie<br />
etwa die Kulturpolitik der<br />
DDR oder die Entwicklung in<br />
den anderen osteuropäischen<br />
Ländern. Doch meine unbewußte<br />
Flucht vor den erstarrten<br />
Verhältnissen zu<br />
Hause in ferne abenteuerliche<br />
Welten wurde relativ<br />
bald auf den Boden der<br />
Realitäten zurückgeholt.<br />
Nachdem ich 1980 mit der<br />
„Berliner Zeitung“ als<br />
Lateinamerika-Redakteur<br />
angefangen hatte, war ich<br />
schnell in die Zwänge des<br />
journalistischen Alltags<br />
eingebunden und hatte auf<br />
alle taktischen Winkelzüge<br />
der Partei- und Staatspresse<br />
Rücksicht zu nehmen.
T: Christoph Links<br />
135<br />
Diese machten auch vor<br />
entfernten Kontinenten<br />
nicht halt, galt es doch<br />
allerorten, die außenwirtschaftlichen<br />
Interessen der<br />
angeschlagenen DDR-Wirtschaft<br />
zu fördern. So<br />
wurden monatelang kritische<br />
Artikel über die argentinischen<br />
Militärs auf Eis<br />
gelegt, wenn die Hoffnung<br />
auf den Verkauf von zwei<br />
Hafenkränen für Buenos<br />
Aires bestand. Den Einengungen<br />
der Tagespresse<br />
versuchte ich nun, durch<br />
Buchprojekte zu entkommen,<br />
denn Verlage wurden bekanntlich<br />
an einer längeren<br />
Leine als die Tagespresse<br />
geführt. Während die erste<br />
Publikation „Contras contra<br />
Nicaragua“ im Berliner<br />
Dietz-Verlag 1985 problemlos<br />
über die Bühne ging,<br />
gab es beim zweiten Buch<br />
über die politische Geschichte<br />
Mittelamerikas<br />
schon spürbar Ärger. Wie<br />
ich im Vorfeld der Veröffentlichung<br />
erfuhr, mußte<br />
jedes Buchmanuskript in der<br />
DDR, das sich mit einem<br />
außenpolitischen Thema<br />
beschäftigte, zunächst von<br />
einer Fachabteilung des<br />
Zentralkomitees der SED<br />
oder des Außenministeriums<br />
begutachtet werden. Erst<br />
wenn diese Prüfung positiv<br />
ausgefallen war, gab es die<br />
erforderliche Druckgenehmigung<br />
des Kulturministeriums,<br />
ohne die kein Buch<br />
veröffentlicht werden<br />
durfte, nicht mal Goethe<br />
oder Shakespeare. Im konkreten<br />
Fall mißfiel dem<br />
Zensor in „Sechsmal Mittelamerika<br />
– Konflikte einer<br />
Region“ eine Passage über<br />
die direkte Demokratie im<br />
revolutionären Nicaragua,<br />
wo sich jeden Monat ein<br />
Regierungsvertreter oder<br />
Parteifunktionär öffentlich<br />
den kritischen<br />
Fragen der Bevölkerung<br />
stellt und dies auch<br />
vom Fernsehen übertragen<br />
wurde. Da die<br />
Altherrenriege des<br />
SED-Politbüros schon<br />
längst nicht mehr<br />
irgendwelche Fragen an<br />
sich heran ließ, sollte<br />
nun auch nicht über<br />
derartige Vorgänge in<br />
anderen Ländern berichtet<br />
werden. Die eigene<br />
Bevölkerung hätte ja<br />
auf dumme Gedanken<br />
kommen können. Also mußte<br />
ich die entsprechende<br />
Stelle umschreiben. Derart<br />
frustriert, sann ich nach<br />
Möglichkeiten, dieses<br />
Procedere zu umgehen und<br />
träumte von einem unabhängigen<br />
Sachbuch-Verlag, in<br />
dem ich ungestört veröffentlichen<br />
konnte, was ich<br />
tatsächlich dachte. Auch<br />
meinen Freunden, denen es<br />
mit ihren kritischen Texten<br />
ähnlich ging, wollte ich<br />
ein entsprechendes Podium<br />
bieten. Der Weg dorthin<br />
schien allerdings unendlich<br />
weit. Doch die Staatssicherheit<br />
stand mir auf ihre<br />
Weise hilfreich zur Seite.<br />
1986 beschloß sie, mich als<br />
politischen Redakteur aus<br />
der „Berliner Zeitung“ zu<br />
entfernen, da meine anhaltenden<br />
Kontakte zum Rudi-<br />
Bahro-Kreis mich als „Träger<br />
revisionistischen<br />
Gedankengutes“ ausweisen<br />
würden. Um öffentlichen<br />
Ärger zu vermeiden, suchte<br />
man nach einem möglichst<br />
unspektakulären Abgang und<br />
delegierte mich zu einem<br />
Promotionsstudium der<br />
Lateinamerikanistik, unter<br />
der Voraussetzung, daß ich<br />
niemals in die Redaktion<br />
zurückkehren würde. Da mir<br />
jedoch nichts an einer<br />
reinen Wissenschaftskarriere<br />
lag, versuchte ich,<br />
einen Betrieb vom Modell<br />
einer „außerplanmäßigen<br />
Aspirantur“ zu überzeugen,<br />
um mit dem praktischen<br />
Berufsleben verbunden zu<br />
bleiben. Danach wurde man<br />
zwei bis drei Monate im<br />
Jahr bezahlt freigestellt,<br />
um die Dissertation voranzubringen,<br />
arbeitete ansonsten<br />
aber normal. Auf<br />
eine solche Variante ließ<br />
sich der Aufbau-Verlag ein,<br />
da Verleger Elmar Faber zu<br />
diesem Zeitpunkt dringend<br />
einen Assistenten der<br />
Geschäftsleitung suchte.<br />
(Der vorige hatte wegen<br />
fortgesetzter<br />
Trunkenheit<br />
am Schreibtisch<br />
gerade<br />
den Verlag<br />
verlassen.)<br />
So war ich<br />
nun doch in<br />
einem Verlag<br />
gelandet,<br />
wenn auch in<br />
einem rein<br />
belletristischen.<br />
Hier<br />
lernte ich<br />
von der Pieke<br />
auf, durchlief<br />
die verschiedenen<br />
Abteilungen des Hauses und<br />
hospitierte in Setzereien<br />
wie Druckereien. Meinen<br />
Sachbuchambitionen zeigte<br />
man jedoch stets die kalte<br />
Schulter. Das zugeteilte<br />
Papier reichte nicht einmal,<br />
um Christa Wolf oder<br />
Christoph Hein ausreichend<br />
zu drucken. Was wollte ich<br />
da mit der ohnehin politisch<br />
schwierigen Zeitgeschichte?<br />
Anfang 1989<br />
stellte ich daraufhin den<br />
Antrag an das DDR-Kulturministerium<br />
zur Gründung<br />
eines von Parteien und
politischen Organisationen<br />
unabhängigen Sachbuchverlages,<br />
der ein eigenes Papierkontingent<br />
und entsprechende<br />
Druckereikapazitäten<br />
erhalten sollte, die damals<br />
von der staatlichen Plankommission<br />
zugeteilt werden<br />
mußten. Ohne sogenannten<br />
Bilanzanteil funktionierte<br />
nämlich gar nichts. Obwohl<br />
mich alle wegen dieser<br />
Windmühlen-Kämpfe nur<br />
mitleidig belächelten,<br />
wurde ich immerhin zum<br />
Gespräch beim Leiter der<br />
Hauptverwaltung Verlage und<br />
Buchhandel gebeten. Dort<br />
allerdings verkündete man<br />
mir scheinheilig, daß<br />
dieser Initiative<br />
grundsätzlich<br />
nichts im Wege<br />
stehe, nur leider<br />
fehle es an Kontingent<br />
und Kapazität.<br />
Die sozialistische<br />
Planwirtschaft sei<br />
mit ihren 78 Verlagen<br />
völlig ausbilanziert<br />
und würde<br />
beim besten Willen<br />
keinen weiteren<br />
mehr verkraften.<br />
Von der Gefahr<br />
„unkontrollierten Agierens“<br />
war natürlich keine Rede.<br />
Es dauerte nur noch wenige<br />
Monate, bis die verknöcherten<br />
Verhältnisse zu wanken<br />
begannen. Am 18. Oktober<br />
1989 mußte der für<br />
die Pressezensur<br />
zuständige ZK-Sekretär<br />
Joachim<br />
Herrmann gemeinsam<br />
mit Erich Honecker<br />
und Wirtschaftschef<br />
Günter Mittag<br />
abdanken. Am 4.<br />
November 1989 fand<br />
in Berlin die<br />
größte unabhängige<br />
Demonstration der<br />
DDR-Geschichte<br />
statt, deren zentrale<br />
Forderung<br />
Presse- und Versammlungsfreiheit<br />
war. Am 9. November<br />
fiel die Mauer<br />
und drei Wochen<br />
später, am 1. Dezember<br />
1989, die Zensur. Fortan<br />
sollte es keine Druckgenehmigungen<br />
mehr geben. Nachdem<br />
ich in den Wochen zuvor<br />
mehr Zeit auf Demonstrationen<br />
und in Kirchen als an<br />
meiner fast vollendeten<br />
Doktorarbeit über das<br />
Theoriekonzept der Sandinisten<br />
verbracht hatte –<br />
sie erschien zwei Jahre<br />
später als Buch unter dem<br />
Titel „Sandinismus – Ein<br />
Versuch mittelamerikanischer<br />
Emanzipation“ in<br />
einem kleinen Kölner Verlag<br />
–, entschloß ich mich an<br />
jenem 1. Dezember, sofort<br />
einen Antrag für einen<br />
zeitgeschichtlichen<br />
Sachbuchverlag<br />
zu stellen.<br />
Die Geschichte des<br />
eigenen Landes war<br />
mir plötzlich viel<br />
näher als das<br />
ferne Lateinamerika,<br />
in das ich<br />
mich so viele<br />
Jahre geflüchtet<br />
hatte. Doch die<br />
zuständige Verlagsabteilung<br />
im<br />
Kulturministerium<br />
befand sich bereits in<br />
Auflösung und erteilte<br />
keine Lizenzen mehr. Sie<br />
würden ab 1. Januar 1990<br />
generell nicht mehr gebraucht,<br />
hieß es. Was also<br />
136<br />
lag näher, als am 5. Januar<br />
1990 beim Notar eine Verlags-GmbH<br />
zu gründen, auch<br />
wenn noch völlig unklar<br />
war, wie das Unternehmen<br />
künftig finanziert werden<br />
sollte, denn außer einigen<br />
gesparten Honoraren besaß<br />
ich nichts. Die Aufbruchstimmung<br />
im<br />
Land war<br />
aber so<br />
groß, daß<br />
sich nach<br />
den ersten<br />
Zeitungsberichten<br />
über<br />
unsere<br />
Gründung<br />
spontan<br />
völlig<br />
unbekannte<br />
Menschen aus<br />
verschiedenen<br />
Bezirken<br />
der DDR<br />
meldeten,<br />
die mit einer Einlage als<br />
stille Teilhaber das Projekt<br />
fördern wollten. Lange<br />
genug waren wichtige historische<br />
Themen tabuisiert<br />
gewesen, hatte es an einer<br />
kritischen Aufarbeitung<br />
gemangelt.<br />
So fand ich mich plötzlich<br />
im eigenen Verlag wieder,<br />
also an einer Stelle, die<br />
ich immer umgehen wollte.<br />
Nicht nur das. Auch meine<br />
Frau Christina arbeitete<br />
nach anfänglicher Tätigkeit<br />
als Slawistik-Dozentin<br />
inzwischen als Lektorin in<br />
einem Verlag, und zwar bei<br />
„Volk und Welt“, den mein<br />
Vater Ende der siebziger<br />
Jahre in Richtung Leipzig<br />
verlassen hatte, weil er<br />
dort die Leitung der Verlagsgruppe<br />
Insel/Kiepenheuer<br />
übernahm. Was also erklären<br />
meine beiden Töchter<br />
kategorisch? Niemals wollen<br />
sie in einem Verlag arbeiten,<br />
denn dann hätten ihre<br />
Kinder wieder Eltern, die<br />
selten greifbar sind und am<br />
Abendbrottisch womöglich<br />
nur über das eine reden.<br />
•
Eine Sinn-stiftende<br />
Unternehmenskultur und<br />
Wert-volles Wirtschaften<br />
bilden das Fundament<br />
für überdurchschnittlichen<br />
Erfolg.<br />
Christine Kienhöfer<br />
Vorsitzende des Verwaltungsrates<br />
Felss Holding GmbH
Subversion als Keim<br />
für Innovation?<br />
138<br />
T: Melanie Torney<br />
Ich bin Designerin. Das<br />
Thema Innovation ist für<br />
mich also zwangsläufig von<br />
großem Interesse. Bestehendes<br />
zu hinterfragen, zu<br />
verändern und zu verbessern,<br />
um daraus etwas<br />
Neues zu erschaffen,<br />
gehört zum Selbstverständnis<br />
meines Berufes. Die<br />
Frage ist, wie man neue,<br />
unpopuläre Wege gehen und<br />
dabei trotzdem erfolgreich<br />
sein kann. In meinem Buch<br />
„Innovation durch Subversion“<br />
habe ich mich mit<br />
Menschen beschäftigt,<br />
denen das gelungen ist.<br />
Menschen wie die Modeschöpferin<br />
Vivienne Westwood<br />
oder die Band Einstürzende<br />
Neubauten. Sie<br />
haben durch eine Verkehrung<br />
der Ordnung, durch<br />
Zweckentfremdung und<br />
Umnutzung von Funktionen<br />
oder Materialien Neues<br />
entstehen lassen. Subversion<br />
steht hier für ein<br />
großes dynamisches und<br />
positives Potenzial. Auch<br />
Designer können sich Dekodierung<br />
zunutze machen, um<br />
neue Wege zu gehen und<br />
einem starren Diktat zu<br />
trotzen. Das Thema Subversion<br />
hat mich inspiriert<br />
und die Edition ANFANG<br />
ENDE angeregt, deren Mitbegründerin<br />
ich bin.<br />
Dahinter steht die Idee,<br />
Design für eine moderne<br />
Trauerkultur anzubieten,<br />
aber auch das Bedürfnis,<br />
Kritik an bestehenden<br />
Produkten der Trauerkommunikation<br />
hinsichtlich<br />
Symbolik, Materialität,<br />
Produktionstechniken und<br />
Weiterverarbeitung zu<br />
üben. Und darüber hinaus:<br />
Einen Diskurs zu den<br />
tabuisierten Themen Tod<br />
und Trauer in die Öffentlichkeit<br />
zu tragen. Mir<br />
geht es darum, historischtraditionelle<br />
Symbole<br />
sowie Rituale neu zu<br />
interpretieren und dem<br />
heutigen Zeitgeist gemäß<br />
neu zu gestalten. Das<br />
heißt konkret, dass ich<br />
die lebensbejahende Philosophie<br />
der Hospizbewegung<br />
aufgreife und Trauernde in<br />
den Prozess bewusst<br />
miteinbeziehe. Transparente<br />
Produktionswege sind<br />
mir dabei ebenso wichtig<br />
wie Nachhaltigkeit, Regionalität<br />
und eine faire<br />
Zusammenarbeit mit unseren<br />
Partnern.<br />
•<br />
BUCH<br />
Torney, Melanie,<br />
Innovation durch<br />
Subversion, LIT-<br />
Verlag, Köln 2008<br />
(= Kölner Internationale<br />
Schriften zum<br />
Design)
Partizipation als<br />
subversive Kunstform<br />
139<br />
T: Katja ASSmann<br />
Urbane<br />
Künste Ruhr<br />
und die<br />
Neudefinition<br />
von<br />
Kunst im<br />
urbanen<br />
Raum<br />
Kunst im öffentlichen Raum<br />
markiert oftmals den Endpunkt<br />
einer gesellschaftlichen<br />
Entwicklung. Revolutionen<br />
erreichen ihren<br />
Höhepunkt mit dem Sturz<br />
alter Denkmale und enden<br />
mit dem Errichten von<br />
neuen – als Ausdruck einer<br />
Erstarrung der Verhältnisse.<br />
Die Kunstorganisation<br />
Urbane Künste Ruhr<br />
unterläuft bewusst diese<br />
Bedeutung von Kunst im<br />
öffentlichen Raum, indem<br />
sie den Begriff als<br />
öffentliche Kunst neu<br />
definiert. Im Vordergrund<br />
steht das Prozesshafte,<br />
oftmals Performative und<br />
Partizipative. Das Ruhrgebiet<br />
bietet hierfür ein<br />
besonders geeignetes<br />
Arbeitsfeld, da unterschiedlichste<br />
Formen des<br />
Wandels – und insbesondere<br />
des Wandels durch Kultur<br />
– hier bereits mit wechselndem<br />
Erfolg erprobt<br />
Gabriela Oberkofler, BRUGGELKRAXE<br />
wurden. Bei sowohl zeitlich<br />
wie auch räumlich<br />
ausgedehnten Projekten wie<br />
„DAS DETROIT-PROJEKT“<br />
(2013–14) oder „A40|B1 –<br />
Die Schönheit der großen<br />
Straße“ (2010/2013–14)<br />
entwickeln Künstler und<br />
Künstlerinnen sowie Kunstkollektive<br />
gemeinsam mit<br />
der Bevölkerung vor Ort<br />
ihre Arbeiten. Thema des<br />
„DETROIT-PROJEKTES“ ist<br />
die Entwicklung einer<br />
postindustriellen Zukunft<br />
der Stadt Bochum nach der<br />
Schließung des Opel-Werkes<br />
durch künstlerische Interventionen.<br />
„A40|B1 – Die<br />
Schönheit der großen Straße“<br />
erforscht Lebensbedingungen<br />
in unmittelbarer<br />
Nähe der das Ruhrgebiet<br />
prägenden Stadtautobahnen,<br />
fördert und inszeniert die<br />
Nutzung von durch die<br />
automobile Infrastruktur<br />
entstandenen urbanen Unorten.<br />
Oftmals bleibt kein<br />
Artefakt dieser Arbeit<br />
nach Abschluss der Projekte<br />
zurück. Nachhaltigkeit<br />
entsteht hier durch<br />
die aktive Teilnahme der<br />
Bevölkerung, insbesondere<br />
auch von gelegentlich als<br />
„kulturfern“ bezeichneten<br />
Gruppen. Sie entsteht auch<br />
durch die Implementierung<br />
neuer Ideen und Bilder vom<br />
eigenen Lebensumfeld in<br />
die Stadtgesellschaft des<br />
Ruhrgebietes. Der Begriff<br />
von der Kulturmetropole<br />
Ruhr erhält so eine neue<br />
Bedeutung jenseits von<br />
Opernhäusern, Museen und<br />
Festivals – als eine<br />
Region, in der kulturelle<br />
Prozesse langfristig als<br />
Möglichkeit des Wandels<br />
und der selbstbestimmten<br />
Veränderung in der gesamten<br />
Bevölkerung aktiv sind.<br />
•
<strong>Algernon</strong>’s Truth<br />
T: Ingo Arend<br />
142<br />
„Wir müssen in einer Sprache<br />
sprechen, die Hass unter den<br />
Massen sät, Ekel denjenigen<br />
gegenüber, die nicht mit<br />
uns über-<br />
einstimmen“.<br />
Was Wladi- mir Iljitsch<br />
Lenin einst seinen Bolschewiki<br />
einschärfte,<br />
prägte lan- ge das Bild<br />
von Subversion. Bei der Vokabel<br />
denkt man an die klandestine<br />
Wühlarbeit revolutionärer Zellen:<br />
In düsteren Katakomben bereiten<br />
Männer mit Bomben und Bärten<br />
den Staatsumsturz vor. Wo man<br />
von „Subversion“ sprach, lag ein<br />
Hauch von Sarajewo in der Luft.
Das verführerisch schillernde<br />
Wort Subversion<br />
hat heute ideologischen<br />
Rost angesetzt. Die sozialen<br />
Fronten von heute sind<br />
unübersichtlich geworden.<br />
Subversive Arbeit findet<br />
da nur noch mühsam ihren<br />
Ansatzpunkt. Schon Gilles<br />
Deleuze vermochte es nicht<br />
mehr, den „Windungen der<br />
Schlange“ zu folgen. So<br />
lautlos, wie dieses Reptil<br />
durch das Gelände mäandert,<br />
camoufliere sich Macht in<br />
den subtilen Kontrollgesellschaften<br />
der Gegenwart.<br />
Die Akzelerationisten haben<br />
deswegen die Subversions-<br />
Segel gestrichen. Diese<br />
neue Philosophie-Bewegung<br />
will den Kapitalismus nicht<br />
mehr unterwandern, sondern<br />
beschleunigen. Ganz in die<br />
Mottenkiste der Revolutionsgeschichte<br />
gehört die<br />
Subversion freilich noch<br />
nicht.<br />
Auf dem Höhepunkt der Gezi-<br />
Kämpfe in der Türkei legten<br />
die RedHacker in der Türkei<br />
das Netz von Staatsbank,<br />
AK-Partei und des größten<br />
Mobilfunkanbieters lahm.<br />
Ausgerechnet im friedlichen<br />
Linz startete vor ein<br />
paar Jahren eine Subversiv-<br />
Messe für Gegenkultur und<br />
Widerstandstechnologie. Um<br />
dem widerstandsunerfahrenen<br />
Publikum einen „niederschwelligen<br />
Zugang“ zu Idee<br />
und Praxis der Subversion<br />
bieten, konnte man sich<br />
Radio-Störsender basteln,<br />
im Guerilla-Gardening üben<br />
oder von den Sizzy Boys<br />
lernen, wie man falsche<br />
Bärte klebt. Wie Subversion<br />
gründlich schiefgehen kann,<br />
zeigte dagegen der deutsche<br />
Verfassungsschutz, als er<br />
die rassistische Mörderbande<br />
des „Nationalsozialistischen<br />
Untergrunds“( NSU)<br />
„unterwanderte“.<br />
Doch was lässt sich mit<br />
derlei<br />
Techniken<br />
eigentlich<br />
noch<br />
ausrichten,<br />
wenn sie<br />
längst<br />
zur<br />
Produktivkräften<br />
der<br />
globalen<br />
Kulturindustrie<br />
avanciert<br />
sind? Die trainiert die<br />
Generation Praktikum im<br />
Guerilla-Marketing und ruft<br />
ihnen mit zynischer Vernunft<br />
„Sei der Revolutionär<br />
Deiner selbst!“ zu. Das<br />
Berliner Designerkollektiv<br />
anschlaege verdient seine<br />
Brötchen mit einer Rebel<br />
Academy. Auf deren Lehrplan<br />
stehen so subversive Praktiken<br />
wie der Barrikadenbau,<br />
die Einrichtung einer<br />
Volxküche oder die Anleitung,<br />
wie man mit Videobotschaften<br />
eine Revolution<br />
anzettelt. Zwei US-Nerds<br />
haben ihre neueste Software,<br />
mit denen sich Dateiversionen<br />
verwalten lassen,<br />
Subversion genannt.<br />
143<br />
Natürlich gibt es verblüffende<br />
Beispiele für die<br />
Soft-Power-Subversion.<br />
Die DDR-Opposition unterlief<br />
ihre real existierende<br />
Gerontokratie mit<br />
dem Rückzug in den Alltag<br />
und in ästhetische Nischen<br />
unendlich wirksamer als<br />
mit Bombenwerfen und Sabotage.<br />
Und die britische<br />
Rebel Clown Army stellt<br />
die Sicherheitskräfte mit<br />
Wasserpistolen, Staubwedel<br />
und Pappnasen womöglich<br />
überzeugender bloß<br />
als der Schwarze Block das<br />
Schweinesystem mit Chaostagen.<br />
Aber selbst die<br />
letzte große Subversion,<br />
der Punk, firmiert heute<br />
als Label der Modeindustrie.<br />
Da bleibt nur noch die<br />
höchste Form der Subversion<br />
– das scharfe Denken.<br />
Dieser „Wirbelsturm, der<br />
alle herkömmlichen Wegweiser<br />
umweht“ (Hannah Arendt)<br />
schien schon den alten<br />
Athenern so gefährlich,<br />
dass sie Sokrates, seinen<br />
hervorragendsten Entfacher,<br />
zum Tode verurteilten.<br />
•
Wahnmoching 144<br />
1844<br />
2 Tote, über 100 Verletze<br />
und fast 150 Festnahmen,<br />
weil der Bierpreis erhöht<br />
werden soll. In München regt<br />
sich Widerstand, wenn es um<br />
existenzielle Fragen geht.<br />
1893 — 1909<br />
Franziska von Reventlow<br />
lebt zwischen 1893 und 1909<br />
in Schwabing und ist bis<br />
heute eine der schillerndsten<br />
Figuren des Münchner<br />
Undergrounds. Sie prägt<br />
den Begriff „Wahnmoching“,<br />
praktiziert die freie Liebe<br />
und ist eine der ersten<br />
Frauen, die in Deutschland<br />
für ihre Unabhängigkeit<br />
eintritt. 1910 übersiedelt<br />
sie auf den Monte Verità,<br />
das europäische Zentrum für<br />
eine Welt von Übermorgen.<br />
Presseball, München 1968<br />
1900 — 1902<br />
Etwa zur selben Zeit lebt<br />
Lenin in München! 1900<br />
bis 1902 wohnt Wladimir<br />
Iljitsch Uljanow unter dem<br />
Namen Meyer in der Kaiserstraße<br />
53 – illegal. In<br />
München entsteht die erste<br />
gesamtrussische Zeitung:<br />
Iskra. Lenin liebt Spaziergänge<br />
im Englischen Garten.<br />
PARTEI DER SPAZIERGÄNGER.<br />
Und eigentlich ist die<br />
Räterepublik das Fundament<br />
des Freistaats Bayern.<br />
ERINNERN.<br />
Citta 2000, München 1970<br />
1896<br />
Der Simplicissimus ist eine<br />
satirische Wochenzeitschrift,<br />
die von 1896 an<br />
fast 50 Jahre lang in München<br />
publiziert wird und<br />
bis heute weltweites Ansehen<br />
genießt. Die Bulldogge,<br />
die britische, von Thomas<br />
Theodor Heine ist ihr Markenzeichen.<br />
1882 — 1948<br />
Herbert Achternbusch und<br />
Christoph Schlingensief<br />
bewundern Karl Valentin. Er<br />
ist der erste deutschsprachige<br />
POPKÜNSTLER: 1882<br />
bis 1948.<br />
HANS UND SOPHIE SCHOLL,<br />
1943:<br />
FLUGBLÄTTER<br />
BRINGEN DEN TOD.
Wahnmoching – DIe MÜNCHENSEITE<br />
145<br />
1957<br />
1957 stellt die Künstlergruppe<br />
S.P.U.R. im Pavillon<br />
des Alten Botanischen<br />
Gartens aus.<br />
1959<br />
1959 wird die Gruppe zur<br />
Repräsentanz der Situationistischen<br />
Internationale.<br />
ENTTRÜMMERER DER WELT.<br />
Dieter Kunzelmann ist das<br />
Gehirn.<br />
1962<br />
1962 kommt es in der Feilitzschstraße<br />
1 in Schwabing<br />
zu einer viertägigen<br />
Straßenschlacht. Einige<br />
meinen bis heute, dass die<br />
Schwabinger Krawalle der<br />
Beginn der 68er-Bewegung<br />
sind.<br />
ANDREAS BAADER<br />
WAR AUCH DABEI.<br />
1963 — 1966<br />
Subversive Aktion… 1963<br />
bis 1966 in München… liefert<br />
maßgebliche Impulse<br />
in die Subkultur der APO…<br />
Adorno… Freud… Horkheimer…<br />
Marcuse… Marx… Reich…<br />
Situationisten:<br />
Straßentheater, Derivé…<br />
1966<br />
Uschi Obermaier und die<br />
Kommune 1: SEX SYMBOL<br />
Blinky Palermo 1966 in der<br />
Galerie Friedrich und Dahlem,<br />
München<br />
BIG APPLE DISKOTHEK<br />
BERLIN MÜNCHEN<br />
„A HARD DAYS NIGHT“ von<br />
den Beatles ist in München<br />
sofort beliebt.<br />
Hauptbahnhof, München 1973<br />
1976<br />
Zu dieser Zeit studiert<br />
Wim Wenders in München, er<br />
schreibt. Ist im Gefängnis,<br />
dreht wunderbare Filme und<br />
zieht 1976 nach Berlin.<br />
Monopteros im Englischen<br />
Garten:<br />
KIFFEN IN MÜNCHEN<br />
Klaus Lemke porträtiert<br />
in hinreißenden Filmen<br />
die Außenseiter.<br />
Er ist der König von Schwabing.<br />
Rainer Werner Fassbinder,<br />
der in München beerdigt<br />
ist, bewundert ihn.<br />
Das Grab erkennt jeder an<br />
der roten Rose.<br />
Joachim Lottmann … Bei mir<br />
war Liebeskummer immer<br />
besonders schlimm …<br />
1976<br />
Werkstattkino e.V.: Trash,<br />
Monster-Movies, Siebziger-<br />
Sex-Streifen, Dokus sowie<br />
Experimentalfilme in der<br />
Tradition des undependent<br />
film center. Jährlich: Kurzfilmfest<br />
Bunter Hund.<br />
1981<br />
Andreas Dorau und sein<br />
Lied: „FRED VOM JUPITER“.<br />
THOMAS MEINECKE: Hellblau<br />
2010<br />
Florian Süssmayr, Teilnehmer<br />
der Punkbewegung, Fußballer<br />
und ab 2010 ein vom Kunstmarkt<br />
entdeckter Maler<br />
www.suessmayr.de<br />
Puerto Giesing… leider Geschichte<br />
und wo bleibt der<br />
Underground?<br />
BergWolf Late Night<br />
Restaurant… Glück Auf…<br />
Favoritbar… Unaufgeregt…<br />
Room Lothringer 13…<br />
entfernte Gedanken…<br />
www.diehonigpumpe.de<br />
Stadtteilhonig und Beuys<br />
feiern<br />
2014<br />
Milla Club hier am<br />
14.11.2014, das Konzert von<br />
Mutter „Texte und Musik“<br />
Goldene Bar … von hier kann<br />
es wieder losgehen …<br />
•
Horoskop<br />
146<br />
T: Alexander Graf von Schlieffen<br />
Die astrologischen<br />
Konstellationen der<br />
kommenden Monate<br />
Der Begriff Subversion bezieht sich<br />
auf Vorgänge, Bestrebungen oder<br />
Darstellungen, welche die bestehende<br />
soziale Ordnung<br />
(Autoritäten, gesellschaftliche<br />
Zugehörigkeiten<br />
und Hierarchien,<br />
Ausbeutung<br />
von Gruppen, Machtkonzentrationen<br />
usw.) in Frage stellen bzw. verändern<br />
wollen. *<br />
* Quelle: Wikipedia
Horoskop<br />
147<br />
Wie ist es denn, wenn<br />
wir in einer Zeit, in<br />
der wir das Bedürfnis<br />
haben, das Leben aus<br />
uns heraus zu gestalten,<br />
uns auf die natürlichen<br />
Zeitzyklen des<br />
Universums beziehen und<br />
sie, entgegen der eingebildeten<br />
Omnipotenz<br />
des eigenen Handelns,<br />
in unsere Entscheidungsfindungen<br />
miteinbeziehen?<br />
Jeder Planet entspricht<br />
einer Wesenskraft, und<br />
die sich verändernden<br />
Beziehungen der verschiedenen<br />
Himmelskörper<br />
unseres Universums<br />
zueinander beschreiben<br />
die Energiemuster der<br />
jeweiligen Zeit.<br />
Mars symbolisiert das<br />
Handeln, die Tatkraft<br />
und auch die Aggression.<br />
Er lief einige<br />
Monate lang durch das<br />
Zeichen der Waage, in<br />
dem er sehr schwach<br />
ist. Mars möchte seinem<br />
Naturell gemäß handeln,<br />
bevor die bleierne<br />
Schwere des Gedankens<br />
seine Spannkraft lähmt.<br />
Er betrachtet und beurteilt<br />
das Resultat nach<br />
der Tat, das entspricht<br />
seinem Charakter. Dann<br />
erst blickt er weiter<br />
und reflektiert unter<br />
Umständen sogar.<br />
Das Zeichen Waage aber<br />
steht für das Einbeziehen<br />
des Standpunktes<br />
eines Gegenübers.<br />
Dadurch wird der Handlungsimpuls<br />
gebremst.<br />
Seine Energie wird<br />
nicht durch Tätigkeit<br />
kanalisiert, sondern<br />
sie bleibt im Kopf. Die<br />
folglich nicht ausgelebte<br />
Aggression beherrscht<br />
das Denken und<br />
auch das Fühlen und<br />
Wahrnehmen. Aus aggressiven<br />
Denkstrukturen<br />
werden dann Systeme<br />
entwickelt, deren Ursprung<br />
die Verdrängung<br />
des nicht Ausgelebten<br />
ist.<br />
In den zurückliegenden<br />
Monaten sind in der<br />
politischen Welt Dinge<br />
geschehen, die uns in<br />
einen Zustand der Wut,<br />
Fassungslosigkeit und<br />
Verzweiflung versetzt<br />
haben, ob in der Ukraine,<br />
in Venezuela oder<br />
im Gaza-Streifen, um<br />
nur einige zu nennen.<br />
Die Verzweiflung resultierte<br />
vor allem aus<br />
dem Gefühl heraus, dass<br />
bei jedem Einschreiten<br />
die totale Eskalation<br />
zu befürchten ist,<br />
die sich zur empfundenen<br />
Wut disproportional<br />
verhält.<br />
Am 26.07.2014 wandert<br />
Mars in das Zeichen des<br />
Skorpion, wo er bis zum<br />
13.09. bleibt. Skorpion<br />
steht für strategische<br />
Machtergreifung.<br />
Wenn man die<br />
Macht ergreifen will,<br />
ist es wenig geschickt,<br />
das offensichtlich zu<br />
tun, sonst könnte der<br />
Noch-Machtinhaber seinem<br />
Nichteinverständnis<br />
Ausdruck verleihen.<br />
Also bedeutet die Konstellation<br />
Mars im Skorpion<br />
die verborgene,<br />
aber zielstrebige Art,<br />
seinen Willen zu behaupten.<br />
Das Thema ist<br />
Kontrolle oder Macht.<br />
So manch ein Politiker<br />
wird versuchen, sich<br />
diese Energie zunutze<br />
zu machen. Motto: Mit<br />
Zähigkeit kommt man zum<br />
Ziel.<br />
Diese Energien können<br />
im persönlichen<br />
Leben zu Klärungsprozessen<br />
genutzt werden,<br />
wenn man seiner eigenen<br />
Wahrheit auf der Spur<br />
sein möchte, was auch<br />
immer diese sei. Falls<br />
man die Wahrheit verdrängen<br />
möchte, dann<br />
könnte es besonders um<br />
den 25.08. herum zu<br />
zähen Machtkämpfen mit<br />
dem eigenen Innenleben<br />
und seinen unbewusst in<br />
die unmittelbare Umwelt<br />
projizierten Statthaltern<br />
kommen.<br />
Vom 13.09. geht Mars<br />
bis zum 26.10. in das<br />
Zeichen Schütze. Aussichtsreiche<br />
Perspektiven<br />
stimulieren die<br />
Handlungsimpulse, gern<br />
wird Gegenwart schon<br />
mit Zukunft verwechselt.<br />
Um den 08.10.<br />
könnte die Euphorie gar<br />
so ansteigen, dass weit<br />
über das Ziel hinaus<br />
geschossen wird, bevor<br />
man überhaupt richtig<br />
angefangen hat.<br />
Das ändert sich schlagartig,<br />
wenn Mars ab dem<br />
26.10. in das Zeichen<br />
Steinbock läuft. Jetzt<br />
zählen Resultate, und<br />
die Kraft soll dosiert<br />
im Dienst langfristiger<br />
Ziele eingesetzt<br />
werden. Wer allerdings<br />
am 11.11. zu verbohrt<br />
zu Werke geht, könnte<br />
dabei auf Granit stoßen.<br />
Zwei Tage später<br />
empfiehlt es sich, auf<br />
seine innere Zentrierung<br />
zu achten, sonst<br />
könnten einen abrupt<br />
auftretende Handlungsimpulse<br />
jäh vom Weg<br />
abbringen. Am 01.12.<br />
zeigen sich die ersten<br />
Früchte harter Arbeit.<br />
Bereits vier Tage später<br />
wandert Mars in den<br />
Wassermann, dem Zeichen,<br />
in dem sich die<br />
instinktiven Triebkräfte<br />
in größter Erdferne<br />
befinden, also geradezu<br />
abgekuppelt sind.<br />
Das ist nicht immer so<br />
einfach, denn es ist ja<br />
ganz hilfreich, seinen
<strong>Geheimsache</strong> #8<br />
148<br />
Feind verorten zu können.<br />
Das alles geschieht vor<br />
dem Hintergrund langfristiger<br />
planetarischer<br />
Zyklen, die zum<br />
Teil bereits seit zwei<br />
Jahren das große Panorama<br />
thematisch spiegeln.<br />
Hier steht der Planet<br />
Jupiter traditionell<br />
für Glück, Sinn, Wachstum<br />
und Perspektive. Am<br />
16.07. wechselte er in<br />
das Zeichen Löwe, nachdem<br />
er zuvor etwa zwei<br />
Jahre durch den Krebs<br />
gelaufen ist. Im Zeichen<br />
Krebs stand die<br />
erfüllte Zukunft in<br />
unmittelbarem Zusammenhang<br />
mit dem Aufgreifen<br />
liegengebliebener Themen<br />
aus der Vergangenheit.<br />
Mit ihnen konnte<br />
aber aussichtsreich und<br />
beseelt abgeschlossen<br />
werden, was beste<br />
Startbedingung für das<br />
Morgen bot.<br />
Nun, im Löwen, geht es<br />
darum, die Konsequenzen<br />
aus den inneren<br />
Versöhnungen zu ziehen<br />
und selbsttätig das<br />
große Glück zu schaffen.<br />
Diese Chance ist<br />
gekoppelt an gigantische<br />
Hoffnungen, die<br />
vor allem dann berechtigt<br />
sind, wenn die<br />
Vorhaben oder Projekte<br />
einer Herzensangelegenheit<br />
entsprechen.<br />
Nur was authentisch<br />
ist, hat Erfolg. Bei<br />
lediglich großen Versprechungen<br />
überdreht<br />
diese Energie<br />
die Selbsteinschätzung<br />
und bläht das Ego wie<br />
einen Luftballon auf.<br />
Das kann besonders in<br />
der Wirtschaft und in<br />
der Politik so manchen<br />
selbsternannten Heilsbringer<br />
hervorrufen.<br />
Saturn steht für Realitätsbeherrschung,<br />
für<br />
Ordnung und Struktur.<br />
Er durchläuft das Zeichen<br />
Skorpion, in dem<br />
es um die Bedingungen<br />
für gemeinsame Investitionen<br />
geht. Das bedeutet<br />
auch eine bremsende<br />
Gegenenergie zum<br />
Aufbruch verheißenden<br />
Jupiter. Diese Konstellation<br />
eignet sich<br />
hervorragend dazu, um<br />
Klarheit in gegenseitige<br />
Verstrickungen zu<br />
bringen. Dazu gehört<br />
die wirtschaftliche<br />
und psychologische Bestandsaufnahme<br />
der eigenen<br />
Bindungsmuster.<br />
Ab 2015 wandert Saturn<br />
in den Schützen, und<br />
dann geht es innerhalb<br />
der Bündnisse um das<br />
Konkretisieren der gemeinsamen<br />
Wege in die<br />
Zukunft.<br />
Pluto steht für das<br />
Vertrauen oder die Kontrolle.<br />
Er steht im<br />
Zeichen des Steinbocks.<br />
Da bestimmen Regelwerke<br />
die Bindungen, ob<br />
persönlicher, politischer<br />
oder vor allem<br />
wirtschaftlicher Art.<br />
Reglementierung bedeutet<br />
Kontrolle, aber<br />
auch Verlust von Freiheit<br />
und Vertrauen. Das<br />
nimmt den meisten Prozessen<br />
etwas an spielerischer<br />
Leichtigkeit.<br />
Wer die Regeln nicht<br />
einhält, der fliegt<br />
raus. Eine geeignete<br />
Zeit, um Ordnung zu<br />
schaffen.<br />
Diesen etwas rigiden<br />
Energiemustern stehen<br />
nun noch zwei ganz<br />
andersartige entgegen.<br />
Veränderung und Umbrüche<br />
symbolisiert der<br />
Planet Uranus. Er steht<br />
im durchsetzungsbetonten<br />
Zeichen Widder, das<br />
heißt, „er“ ist sehr<br />
ungeduldig und impulsiv,<br />
vor allem dann,<br />
wenn man „ihn“ an seinen<br />
Vorhaben hindert.<br />
Das geschieht vor allem<br />
durch Pluto. Der<br />
sich gegenseitig ausschließende<br />
Winkel in<br />
ihrer Konstellation<br />
bewirkt maximale Spannung.<br />
Veränderung und<br />
Neuanfang vertragen<br />
sich nicht mit zunehmender<br />
Kontrolle durch<br />
Reglementierungen. Die<br />
Auswirkungen dieser<br />
Konstellation kann man<br />
seit 2012 weltweit beobachten.<br />
Einen Ausweg<br />
gibt es nicht, aber man<br />
kann ein Verständnis<br />
dafür entwickeln, warum<br />
es zu diesen Extremen<br />
im weltpolitischen<br />
wie persönlichen<br />
Leben gekommen ist. Ab<br />
der zweiten Jahreshälfte<br />
ergeben sich für die<br />
Zeit danach die Konsequenzen<br />
und ermöglichen<br />
eine Art Neustart 2015.<br />
Damit das alles<br />
nicht ganz<br />
so unmenschlich<br />
wird, gibt es<br />
noch Neptun.<br />
Er ist in seinem<br />
eigenen<br />
Zeichen Fische<br />
stark und symbolisiert<br />
die<br />
Wirklichkeit jenseits<br />
der gesellschaftlich<br />
normierten und zur Zeit<br />
diskutierten Übereinkünfte<br />
über das, was<br />
wir Realität nennen<br />
wollen – eine Wirklichkeit<br />
jenseits der Simulation,<br />
die viel größer<br />
sein kann, als all das,<br />
was wir begreifen und<br />
erfassen können. Allein<br />
die Bereitschaft der<br />
Akzeptanz, dass es so<br />
sein könnte, verändert<br />
bereits das Bewusstsein.<br />
•
Spotlights 150<br />
LITERATUR<br />
Srecko Horvat,<br />
Nach dem Ende der<br />
Geschichte – Vom<br />
arabischen<br />
Frühling zur Occupy-<br />
Bewegung,<br />
Laika, Hamburg 2013<br />
In Interviews befragt der<br />
junge kroatische Philosoph<br />
Srecko Horvat intelligent<br />
die Größen des Geistes, um<br />
herauszufinden, ob es eine<br />
tragfähige Alternative zum<br />
Kapitalismus gibt und wir<br />
die Welt nicht insgesamt<br />
neu und damit besser ordnen<br />
können.<br />
Anonymus,<br />
Deep Web – DIE DUNKLE<br />
SEITE DES INTERNETS,<br />
Blumenbar, München<br />
2014<br />
„Wir müssen uns fragen, warum<br />
wir im echten Leben die<br />
Tür hinter uns schließen,<br />
wenn wir auf die Toilette<br />
gehen. Und warum wir das<br />
im Internet nicht tun“,<br />
schreibt Anonymus auf den<br />
letzten Seiten seines faszinierenden<br />
Berichtes über<br />
die sogenannte dunkle Seite<br />
des Internets: deep web<br />
oder darknet. Ein exzellente<br />
Einführung in die Bedeutung<br />
des Internets, sowohl<br />
der hellen als auch der<br />
dunklen Seite.<br />
P.M.,<br />
Manetti lesen oder<br />
vom guten Leben,<br />
Edition Nautilus,<br />
Hamburg 2012<br />
Wenn jemand wissen möchte,<br />
wie eine gelungene Zukunft<br />
aussehen könnte, kann er<br />
diesen Roman lesen und das<br />
sogar mit viel Freude,<br />
da er einfach gute Laune<br />
macht. Die Lösung für eine<br />
bessere Welt lauert überall.<br />
Ken Goffman & Dan Joy,<br />
Counterculture through<br />
the ages. Villard Books,<br />
New York 2005<br />
Ist das Buch über die Geschichte<br />
der Subkultur. Neben<br />
einer guten Definition,<br />
was „counterculture“ im 21.<br />
Jahrhundert und über die<br />
Jahrtausende ist, erfahren<br />
wir viel über Menschen, die<br />
die Welt maßgeblich beeinflusst<br />
haben.<br />
Bertram Weisshaar (Hg.),<br />
Spaziergangswissenschaft<br />
in Praxis.<br />
Jovis, Berlin 2013<br />
Der Spaziergang gehört<br />
sicher seit der Situationistischen<br />
Internationale<br />
zu den<br />
subversiven Praktiken<br />
von Stadt- und Landaneignung.<br />
Lucius<br />
Burckhardt begründete<br />
eine Wissenschaft<br />
des Spaziergangs und<br />
Bertram Weisshaar<br />
sammelt in seinem<br />
klugen Buch Theorie<br />
und Praxis. Unbedingt<br />
gehend lesen.<br />
Louis Aragon,<br />
Pariser Landleben.<br />
Rogner & Bernhard,<br />
München 1969<br />
Die Phantasie und den Traum<br />
in die Moderne gerettet. Was<br />
für ein Vergnügen Paris so<br />
zu begehen. Tatsächlich ein<br />
Reiseführer für viele Städte<br />
der Welt, wenn ich mir die<br />
Mysterien erschließen will.<br />
FILM<br />
Henrike Sandner,<br />
Dolce vita in der DDR<br />
(2013)<br />
Inspiriert von Fellinis<br />
Film „Schiff der Träume“<br />
mietet Kristian Wegscheider<br />
1986 das Boot „Weltfrieden“,<br />
um mit etwa 200<br />
Verrückten eine Reise von<br />
Dresden in die Sächsische<br />
Schweiz zu unternehmen. Auf<br />
dem Schiff wird in Kostümen<br />
das dolce vita gefeiert.<br />
Selbstverständlich fand die<br />
Bootsfahrt unter genauer<br />
Beobachtung der Staatssicherheit<br />
statt. Der Film<br />
von Henrike Sandner ist<br />
eine poetische Würdigung<br />
einer ganz und gar phantastischen<br />
Aktion.<br />
Renzo Martens,<br />
Episode III: Enjoy Poverty<br />
(2008)<br />
Spektakuläre Bilder aus der<br />
sogenannten Dritten Welt,<br />
Bilder von unvorstellbarer<br />
Armut und grenzenlosem<br />
Leid<br />
zirkulieren in<br />
unserer Gesellschaft<br />
mit dem<br />
vermeintlichen<br />
Anliegen, Impulse<br />
für eine<br />
Veränderung der<br />
bestehenden<br />
Verhältnisse zu<br />
setzen. In den<br />
meisten Fällen jedoch sind<br />
sie wenig mehr als eine<br />
lukrative Einkommensquelle<br />
für Fotografen aus entwickelten<br />
Ländern. Was aber,<br />
wenn die Subjekte jener<br />
Bilder sich diese Mechanismen<br />
zunutze machen, die<br />
Logik der Zahlungsflüsse<br />
verkehren und die Prekarität<br />
ihrer Verhältnisse<br />
selbst als Einkommensquelle<br />
nutzen?<br />
Pier Paolo Pasolini,<br />
Teorema – Geometrie der<br />
Liebe (1968)<br />
Das bürgerliche Leben<br />
versucht, durch klare<br />
Regeln zu überleben. Pasolini<br />
zeigt, dass das Leben<br />
so nicht zu halten ist und<br />
dass in der Sexualität eine<br />
große transformatorische
Spotlights<br />
151<br />
Kraft steckt. Und nebenbei<br />
beginnt der Film mit einer<br />
unternehmerischen Alternative<br />
und deren Risiko.<br />
Pasolini unbedingt wieder<br />
sehen.<br />
Harun Farocki,<br />
Ein neues Produkt (2012)<br />
In der Dokumentation eines<br />
zunächst banal erscheinenden<br />
Brainstorm-<br />
Meetings werden wir Zeuge,<br />
wie Unternehmensberater<br />
der Hamburger<br />
Agentur Quickborner<br />
Team<br />
unter Verwendung<br />
religiös<br />
besetzter<br />
Begriffe<br />
wie Sinn<br />
und Ewigkeit<br />
neue Entwürfe<br />
für Büroinneneinrichtungskonzepte<br />
entwickeln.<br />
Wo ein geradezu<br />
esoterisches<br />
Gedankenkonstrukt<br />
zu entstehen<br />
erscheint,<br />
die Vision<br />
eines anderen<br />
Lebensentwurfs,<br />
lässt<br />
die Sachlichkeit, mit der<br />
Harun Farocki das Geschehen<br />
kommentarlos festhält, uns<br />
mit einem Gefühl von Bedeutungslosigkeit<br />
zurück.<br />
Anton Corbijn,<br />
Control<br />
(2007)<br />
Der Film vom Meisterfotografen<br />
zeigt das wunderbare<br />
und tragische Leben des Ian<br />
Curtis. Er war der Kopf der<br />
ikonografischen Punkband<br />
Joy Division und beendete<br />
sein Leben am Abend vor<br />
der ersten Amerikatournee.<br />
Bilder und Musik laden zum<br />
Fest im Underground ein.<br />
DIGITALES<br />
Antoni Abad,<br />
megafone.net<br />
(2004 – laufend)<br />
Ob politische Flüchtlinge,<br />
Personen mit eingeschränkter<br />
Mobilität, illegale<br />
Einwanderer, Prostituierte<br />
oder Berufsgruppen wie Taxifahrer<br />
und Motorradkuriere:<br />
Antonio Abads Projekt<br />
fungiert als Sprachrohr<br />
für soziale Gruppen, deren<br />
Existenz<br />
und Realitäten<br />
oftmals<br />
von<br />
Stereotypen<br />
überlagert,<br />
wenn nicht<br />
vollständig<br />
ignoriert<br />
werden. Wo<br />
vorherrschende<br />
gesellschaftliche,<br />
politische,<br />
wirtschaftliche<br />
und<br />
kulturelle<br />
Strukturen<br />
sie an den<br />
Rand unserer<br />
Gesellschaft<br />
drängen,<br />
bietet megafone.net diesen<br />
Gruppen durch die Veröffentlichung<br />
alltäglicher<br />
Audio-, Video- und Fotoaufnahmen<br />
einen Raum.<br />
www.megafone.net<br />
sub-bavaria<br />
sub-bavaria, ein bayerisches<br />
Underground-Wiki.<br />
Menschen in der ganzen Welt<br />
denken immer wieder, Bayern<br />
ist schön und die Welt<br />
ist in Ordnung. Erfreulicherweise<br />
gibt es auch das<br />
Leben am Rande der Gesellschaft<br />
oder auch das Leben<br />
im Underground. Bayern<br />
kommt weiter.<br />
www.sub-bavaria.de<br />
Chaos Computer Club<br />
„Der Chaos Computer Club<br />
e. V. (CCC)<br />
ist die<br />
größte europäische<br />
Hackervereinigung<br />
und seit<br />
über dreißig<br />
Jahren<br />
Vermittler<br />
im Spannungsfeld<br />
technischer<br />
und sozialer<br />
Entwicklungen. Die Aktivitäten<br />
des Clubs reichen<br />
von technischer Forschung<br />
und Erkundung am Rande des<br />
Technologieuniversums über<br />
Kampagnen, Veranstaltungen,<br />
Politikberatung, Pressemitteilungen<br />
und Publikationen<br />
bis zum Betrieb von<br />
Anonymisierungsdiensten und<br />
Kommunikationsmitteln …“<br />
www.ccc.de<br />
Alain Bieber,<br />
rebel:art<br />
(2004)<br />
Wenn wir die besonderen<br />
Aktionen und Ideen finden<br />
wollen, die unsere Welt in<br />
den Städten und auf dem<br />
Land humaner, lebenswerter,<br />
kreativer und widerständiger<br />
machen, dann haben wir<br />
hier eine der besten Seiten<br />
im www. Gratulation Alain<br />
Bieber.<br />
www.rebelart.net<br />
ALLTÄGLICHE PRAKTIKEN<br />
Paul Huf,<br />
You have to be as cool as<br />
Alain Delon<br />
Seit 2009 arbeitet der<br />
Berliner Künstler Paul Huf<br />
mit unbegleiteten minderjährigen<br />
Flüchtlingen, die<br />
nach München kommen. Sein<br />
Ansatz, den Jugendlichen<br />
grundlegende Kenntnisse der
<strong>Geheimsache</strong> #8<br />
Fotografie zu vermitteln<br />
und das Medium zu nutzen,<br />
ihre eigenen Stärken zu<br />
porträtieren und zu entdecken,<br />
unterläuft dominante<br />
Logiken, nach denen Bilder<br />
solcher Flüchtlinge Hilflosigkeit<br />
und Ohnmacht vermitteln<br />
sollen. Die entstehenden<br />
Arbeiten schaffen<br />
Räume und öffnen Möglichkeiten,<br />
die übliche Opfer-<br />
Helfer-Dualität zu überwinden<br />
und an unseren Sinn für<br />
Solidarität zu appellieren,<br />
nicht für Mitleid.<br />
Liam Barrington-Bush,<br />
Constructive Subversion:<br />
A Guide to Organizational<br />
Change (2013)<br />
Gibt es eine Möglichkeit,<br />
sich in die hierarchischen<br />
Strukturen traditioneller<br />
Organisationen zu hacken<br />
und sie durch Raum für mehr<br />
Autonomie und Demokratie<br />
zu ersetzen? „Maybe, maybe<br />
not“ – vielleicht, vielleicht<br />
nicht, meint Aktivist<br />
und Autor Liam Barrington-Bush.<br />
Wo wir aber<br />
ansetzen könnten, und warum<br />
wir es versuchen sollten –<br />
das erläutert er in seinem<br />
Online-Handbuch: www.<br />
roarmag.org/2013/12/<br />
constructive-subversive-guide-change<br />
Atelier für Sonderaufgaben<br />
1999 gründeten die<br />
Zwillinge Frank und<br />
Patrik Riklin das<br />
„Atelier für Sonderaufgaben.“<br />
Seitdem<br />
sorgen sie mit spektakulären<br />
Interventionen für die Auseinandersetzung<br />
mit gesellschaftlich<br />
relevanten Inhalten.<br />
Meist groß und frech.<br />
www.sonderaufgaben.ch<br />
go.stop.act!<br />
Städten, und damit unserer<br />
Gesellschaft muss unbedingt<br />
in kreativer Form neues Leben<br />
eingehaucht werden, und<br />
wen die Stadtgärten schon<br />
nicht mehr wirklich bezaubern,<br />
findet hier Material<br />
für unendlich viel Spaß in<br />
der Stadt, mit sich und der<br />
Gemeinschaft.<br />
www.go-stop-act.de<br />
Berliner Unterwelten E.V.<br />
Ganz praktisch und immer<br />
aufregend hinab in unserer<br />
Hauptstadt. Unzählige<br />
Touren der ganz besonderen<br />
Art führen in die Unterwelt<br />
Berlins und lassen besondere<br />
und vergangene Ereignisse<br />
wieder sehr lebendig<br />
werden. „Innen wie Außen“<br />
(Goethe) sind diese Touren<br />
immer Reisen in unsere kollektiven<br />
und individuellen<br />
Seelenräume.<br />
www.berliner-unterwelten.de<br />
MUSIK<br />
Erik Satie<br />
3 Sonneries de la Rose<br />
+ Croix (1892)<br />
Marlene Dietrich<br />
Lili Marleen<br />
Elvis Presley<br />
Jailhouse Rock 1957<br />
The Beatles<br />
“Help”, live<br />
1965<br />
Sex Pistols<br />
God Save The Queen<br />
1976/77<br />
Heroes / Helden<br />
Christiane F<br />
David Bowie<br />
1978/79<br />
Prince<br />
Purple Rain 1984<br />
Amy Winehouse<br />
Rehab<br />
Tom Waits<br />
Long Way Home<br />
Antony & The Johnsons<br />
The Life and Death of<br />
Marina Abramovic 2011<br />
Michael Nyma<br />
Panzerkreuzer Potemkin 2013<br />
Mutter<br />
Text und Musik 2014<br />
VERANSTALTUNGEN<br />
Subversive Festival<br />
Ist in diesem Jahr leider<br />
schon vorbei und findet<br />
erfreulicherweise jedes<br />
Jahr in Zagreb statt. Neben<br />
einem Filmfestival finden<br />
Vorträge, Diskussionen,<br />
etc. statt. Und es versammeln<br />
sich die Denker und<br />
Akteure der subversiven<br />
Weltsicht.<br />
www.subversivefestival.com<br />
Leipzigparcours<br />
Genau wenn sich der Mauerfall<br />
und der Erfolg der<br />
friedlichen Revolution zum<br />
25-sten Mal jähren (09.-<br />
11.10.2014), gehen der<br />
Künstler Paul Huf und der<br />
Kulturarchitekt Christian<br />
Jacobs 3 Tage zu Fuß durch<br />
Leipzig und begegnen Menschen<br />
und Orten, die das<br />
Subversive und vielleicht<br />
Zukünftige leben. Gehen Sie<br />
mit.<br />
www.earnestalgernon.de/<br />
goesout<br />
Jugendkultur<br />
Freetekno ist die subversive<br />
Form der Techno- und<br />
Raverszene. Teknivals<br />
werden kurzfristig, anonym<br />
und unangemeldet über<br />
das Internet bzw. Flyer<br />
kommuniziert und dann<br />
ist mehrtägige Party. Die<br />
schnellen Beats, bewusstseinserweiternden<br />
Drogen<br />
und ritualisierten Tänze<br />
versetzen in Hypnose. Ganz<br />
ähnlich den traditionellen<br />
Stammesriten von Urkulturen.<br />
www.freetekno.de
E&A goes out im<br />
Herbst 2014<br />
154<br />
Unsere Kulturereignisse tragen im<br />
Wesentlichen dazu bei, dass das<br />
Alltägliche neu erlebt werden kann<br />
und wir den Alltag als Ausgangspunkt<br />
für die Revolution verstehen.<br />
Wenn wir jetzt mit der | Revolution:<br />
nachhaltiger und struktureller<br />
Wandel | beginnen, erhalten wir die<br />
Chance, im Paradies<br />
zu leben.<br />
Stadtparcours Leipzig<br />
„Vom Nutzen des<br />
subversiven Lebens“<br />
Datum: 09.–11.10.2014<br />
Ort: Leipzig<br />
Kulturbegleiter: Paul<br />
Huf und Christian Jacobs<br />
Vor 25 Jahren beendete eine<br />
friedliche Revolution die<br />
Herrschaft der SED, und die<br />
DDR war in Auflösung. Ein<br />
zentraler Ort für die<br />
Entstehung der friedlichen<br />
Revolution war die Nikolaikirche<br />
in Leipzig. Wir<br />
werden uns auf unserem Weg<br />
durch Leipzig auch an<br />
diesem historischen Ort<br />
wiederfinden und uns mit<br />
den Praktiken der friedlichen<br />
Revolution auseinandersetzen.<br />
2.5 Tage<br />
gehen wir zu Fuß kreuz<br />
und quer durch Leipzig<br />
und begegnen Menschen<br />
und Institutionen, die<br />
am Rande des Mainstreams<br />
auf unterschiedlichste<br />
Art und<br />
Weise das andere Leben<br />
ausprobieren, experimentieren<br />
und realisieren.<br />
Für uns steht<br />
die Auseinandersetzung<br />
mit subversiven Praktiken<br />
und Strategien<br />
im Mittelpunkt des<br />
Parcours. Wir leben<br />
selbst auf der Straße<br />
und in einfachen<br />
Verhältnisse und<br />
dennoch wird es schön.<br />
Wer mitgeht, kommt<br />
weiter.
155<br />
Architekturpassage<br />
Biennale di Venezia<br />
Datum: 13.–15.11.2014<br />
Ort: Venedig<br />
Kulturbegleiter: Kina<br />
Deimel und Christian<br />
Jacobs<br />
Die Architekturbiennale<br />
in Venedig hat von ihrem<br />
diesjährigen Leiter Rem<br />
Koolhaas gleich 3 Themen<br />
bekommen, mit denen wir<br />
auf wunderbare Weise spielen<br />
können und die wir auf<br />
unsere jeweilige Arbeitsund<br />
Lebenssituation anwenden<br />
werden. Im Rahmen der<br />
„Fundamentals“ beschäftigt<br />
er sich mit den Basiselementen<br />
der Architektur und<br />
konzentriert sie auf das<br />
Wesentlichste. Was sind die<br />
Wurzeln und wesentliche<br />
Elemente unserer Arbeit?<br />
Worauf kommt es an?<br />
Mit dem Thema „Absorbing<br />
Modernity 1914–2014“ hat<br />
Rem Koolhaas zum ersten<br />
Mal allen Länderpavillons<br />
das gleiche Thema gestellt.<br />
65 Länder zeigen, was ihre<br />
Moderne ausmacht und wie<br />
sie sich in der Architektur<br />
manifestiert. Alltägliche,<br />
besondere, unglaubliche<br />
und verzaubernde Weltsichten<br />
werden erlebbar.<br />
Wie sieht Ihre<br />
Moderne aus? Wie<br />
kann sie sichtbar<br />
werden?<br />
Und auf dem Arsenale-Gelände<br />
begegnen<br />
wir in „Monditalia“<br />
dem Land Italien<br />
und seiner Entwicklung<br />
in Architekturprojekten,<br />
Filmen, Tanz und<br />
weiteren kulturellen<br />
Praktiken. So<br />
wird Italien in<br />
seiner Besonderheit<br />
sichtbar, und<br />
gleichzeitig dient<br />
es uns als Spiegel<br />
einer Welt in<br />
der in zunehmendem<br />
Chaos immer wieder Neues<br />
und Schönes entstehen kann.<br />
Welche „Schönheit“ verwirklichen<br />
Sie?<br />
Wir erkunden die Themen anhand<br />
ausgewählter Projekte<br />
und dem Besuch von Pavillons,<br />
und wir sprechen mit<br />
Repräsentanten. Gemeinsam<br />
entwickeln wir Ideen, wie<br />
wir das Erkundete für unseren<br />
Alltag nützlich machen.<br />
Was fremd ist, wird hilfreich<br />
werden.<br />
Strategieparcours 2014<br />
Datum: 31.10.–01.11.2014<br />
Ort: Jakobsweg<br />
Kulturbegleiter:<br />
Christian Jacobs<br />
Den frühen und frischen<br />
November werden wir nutzen,<br />
um uns auf dem Weg zum<br />
Jakobsweg die guten Inspirationen<br />
für das Jahr 2015<br />
zu ergehen. Die Jahres- und<br />
Strategieplanungen, die<br />
ja vor allen Dingen immer<br />
auch Lebensplanungen sind,<br />
bereiten unsere Zukunft in<br />
bestimmter Weise vor. Wir<br />
werden in ganz individueller<br />
und persönlicher Art<br />
die Jahresplanung für 2015<br />
vorbereiten und für uns die<br />
Welt gestalten, die wir<br />
erleben wollen. In diesem<br />
Jahr werden wir das mit<br />
der besonderen Perspektive<br />
auf den Nutzen „subversiver<br />
Strategien und Methoden“<br />
verstärken, derer wir<br />
einige auf dem Weg finden<br />
werden.<br />
In einem kleinen Kreis<br />
von Führungsverantwortlichen<br />
gehen wir gemeinsam<br />
schweigend, sprechend und<br />
genießend 2 Tage zu Fuß<br />
vom Kloster Wessobrunn bis<br />
Lechbruck, der alten Flößerstadt,<br />
auf dem Weg, der<br />
bis nach Santiago de Compostela<br />
führt.<br />
Organisation<br />
Wenn Sie an einem Parcours<br />
oder der Passage teilnehmen<br />
wollen, melden Sie sich<br />
einfach bei uns. Sie erhalten<br />
dann sehr gerne die<br />
Informationen, die Sie sich<br />
wünschen.<br />
Gerne unterstützen wir Sie<br />
auch bei der Reiseplanung.<br />
Bitte wenden Sie sich diesbezüglich<br />
an Kina Deimel,<br />
T +49 89 / 21 21 84 12<br />
events@earnestalgernon.de<br />
•
Autoren & KÜNSTLER 156<br />
Konstantin<br />
Adamopoulos<br />
ist Kunsthistoriker, Kulturvermittler<br />
und Coach.<br />
Sein Schwerpunkt liegt im<br />
Bereich Kunst und Unternehmen.<br />
Seit 2005 leitet er<br />
als freiberuflicher Kurator<br />
das Bronnbacher Stipendium<br />
– Kulturelle Kompetenz<br />
für künftige Führungskräfte<br />
des Kulturkreises der<br />
deutschen Wirtschaft an der<br />
Universität Mannheim. Er<br />
unterrichtet regelmäßig als<br />
Dozent zum Thema Kunst und<br />
Gesellschaft. 2013 war er<br />
als Curator in Residency des<br />
Goethe-Instituts in<br />
Detroit/Michigan.<br />
Ingo Arend<br />
studierte Politik, Geschichte<br />
und Publizistik in Bonn<br />
und Köln. Seit 1990 arbeitet<br />
er als Kulturjournalist<br />
und Essayist für Bildende<br />
Kunst, Literatur und Politisches<br />
Feuilleton. Von 1996<br />
bis 2010 war er Kulturredakteur<br />
der Wochenzeitung<br />
Freitag, von 2007 bis 2009<br />
ihr Redaktionsleiter. Seit<br />
2010 arbeitet er wieder als<br />
freier Kritiker für Hörfunk<br />
und Print. Seit rund zehn<br />
Jahren beschäftigt Arend<br />
sich mit Kunst, Kultur und<br />
Geschichte der Türkei. 2010<br />
war er Mitbegründer des<br />
Literaturfestivals DilDile.<br />
Er lebt in Berlin.<br />
Katja ASSmann<br />
ist Architektin und Kuratorin<br />
und hat seit Anfang<br />
2012 die künstlerische Leitung<br />
von Urbane Künste Ruhr<br />
inne. Zuvor war sie Leiterin<br />
des Programmbereichs<br />
Stadt der Möglichkeiten<br />
der Kulturhauptstadt Europas<br />
RUHR.2010 und verantwortete<br />
dort alle Projekte<br />
im Bereich Bildende Kunst,<br />
Architektur und Städtebau.<br />
Gleichzeitig arbeitete sie<br />
als Projektleiterin und<br />
später als Geschäftsführerin<br />
für die Landesinitiative<br />
StadtBauKultur NRW. Als<br />
freie Kulturmanagerin hat<br />
Aßmann außerdem zahlreiche<br />
Ausstellungen, u.a. im<br />
Lehmbruck Museum Duisburg<br />
und in Kooperation mit dem<br />
MoMA New York und dem Vitra<br />
Design Museum Weil am Rhein<br />
organisiert und kuratiert.<br />
Armen Avanessian<br />
ist in Deutschland sowohl<br />
mit eigenen Schriften als<br />
auch als Herausgeber einer<br />
Buchreihe im Merve Verlag<br />
hervorgetreten, die sich<br />
Texten aus dem Umkreis des<br />
Spekulativen Realismus und<br />
Akzelerationismus widmet.<br />
Nach dem Studium der Philosophie,<br />
Politikwissenschaft<br />
und Literaturwissenschaft<br />
in Wien, Paris und Bielefeld<br />
arbeitete er einige<br />
Jahre als freier Journalist,<br />
Redakteur und im<br />
Verlagswesen in Paris und<br />
London. Seit 2007 arbeitet<br />
Avanessian am Peter Szondi-<br />
Institut für Allgemeine und<br />
Vergleichende Literaturwissenschaft<br />
der Freien Universität<br />
Berlin.<br />
www.spekulative-poetik.de<br />
Alexander<br />
Baczyński-Jenkins<br />
is a Polish-British artist<br />
who makes choreographies.<br />
With a background in dance<br />
and performance, he appropriates<br />
and mutates everyday<br />
practices of desire. His<br />
work is inclined towards a<br />
sense of queer fantasy. He<br />
currently lives in London.<br />
Andreas Graf<br />
von Bernstorff<br />
lebt und arbeitet als<br />
selbständiger Berater und<br />
Dozent für Campaigning und<br />
Strategische Kommunikation<br />
in Heidelberg. Nach dem<br />
Studium der Geschichte und<br />
der Politikwissenschaft<br />
arbeitete er als Lehrer,<br />
Journalist, Landtagsabgeordneter<br />
und Parlamentarischer<br />
Berater für die Grünen<br />
in Baden-Württemberg.<br />
Von 1989 bis 2005 führte er<br />
internationale und globale<br />
Kampagnen für Greenpeace.<br />
www.bernstorff-camp.de<br />
Ayzit Bostan<br />
lebt und arbeitet in München.<br />
Sie ist Designerin,<br />
Künstlerin und Professorin<br />
für Produktdesign an der<br />
Kunsthochschule in Kassel.<br />
Ihre nicht kommerziellen,<br />
aber tragbaren, minimalistisch<br />
und zugleich komplexen<br />
Kreationen zeigt Ayzit<br />
Bostan mit Vorliebe in<br />
Ausstellungen, Performances
157<br />
und Installationen. Damit<br />
bewegt sie sich an der an<br />
der Schnittstelle zwischen<br />
Design und Kunst. Neben<br />
ihrer eigenen Kollektion<br />
entwirft sie Taschen für<br />
das junge Label PB 0110 von<br />
Philipp Bree.<br />
Sylvain Bureau<br />
holds a PhD in Management<br />
Science and is an Associate<br />
Professor at ESCP<br />
Europe and Ecole Polytechnique.<br />
His research and<br />
classes focus on entrepreneurship,<br />
mingling various<br />
disciplines like Humanities<br />
and Art. For several<br />
years, he has been developing<br />
innovative experiments<br />
to teach entrepreneurship.<br />
One of the main<br />
projects is Improbable,<br />
which helps to experience<br />
and learn entrepreneurial<br />
practices through art<br />
practices. Sylvain is also<br />
co-founder of United Donations,<br />
a crowdfunding<br />
platform for recurring<br />
donations.<br />
Kina Deimel<br />
aufgewachsen in Deutschland<br />
und Frankreich, studierte<br />
an der Zeppelin Universität<br />
in Friedrichshafen<br />
Kultur- und Kommunikationsmanagement<br />
und absolvierte<br />
anschließend einen Master<br />
in Kunstgeschichte am<br />
University College London.<br />
Während des Studiums legte<br />
sie Ihren Schwerpunkt auf<br />
die Schnittstelle zwischen<br />
Kunst und Wirtschaft und<br />
sammelte Arbeitserfahrungen<br />
in Ländern wie Spanien,<br />
Argentinien und den USA.<br />
Seit März 2012 ist sie als<br />
Projektleiterin an der Entwicklung<br />
des „cultural companions“<br />
<strong>Earnest</strong> & <strong>Algernon</strong><br />
beteiligt und für die<br />
Redaktion des gleichnamigen<br />
Magazins verantwortlich.<br />
Ludwig Engel<br />
lebt und arbeitet als Zukunfts-<br />
und Stadtforscher<br />
in Berlin. Seit 2006 übernimmt<br />
er Lehrtätigkeiten<br />
an verschiedenen Institutionen,<br />
aktuell an der<br />
Universität der Künste<br />
Berlin im Bereich strategische<br />
Zukunftsplanung und<br />
an der Technischen Universität<br />
Berlin im Bereich<br />
Stadtentwicklung/-planung,<br />
urbane Zukünfte. Von 2005<br />
bis 2011 war Engel Mitarbeiter<br />
des Daimler AG Think<br />
Tanks für Zukunftsfragen,<br />
seit 2012 ist er Partner<br />
im Büro raumtaktik – office<br />
from a better future.<br />
Sein Arbeitsschwerpunkt<br />
liegt in der Entwicklung<br />
von Zukunftsszenarien und<br />
strategischen Handlungsempfehlungen,<br />
insbesondere im<br />
urbanen Kontext.<br />
www.ludwigengel.net<br />
Fabian Frinzel<br />
absolvierte nach seiner<br />
Fotografenausbildung in<br />
der Oberpfalz zunächst ein<br />
Studium an der Staatlichen<br />
Fachakademie für Fotodesign<br />
München. Es folgten<br />
ein Master in Fine Arts an<br />
der Züricher Hochschule der<br />
Künste, verschiedene Assistenzen<br />
und freie Projekte.<br />
Heute lebt und arbeitet<br />
er als freier Fotograf in<br />
München.<br />
Nina Gühlstorff<br />
studierte an der Bayerischen<br />
Theaterakademie<br />
August Everding Musik- und<br />
Sprechtheaterregie und<br />
lebt heute in Weimar. Neben<br />
ihrer Tätigkeit als<br />
Musiktheaterregisseurin<br />
hat sie sich in den letzten<br />
Jahren immer mehr auf<br />
Stückentwicklungen auf<br />
Basis von dokumentarischem<br />
Material spezialisiert.<br />
Ihre Schwerpunkte sind die<br />
Themenkomplexe Migration,<br />
DDR-Geschichte und Postkolonialismus.<br />
Für die Projekte<br />
„SCHWARZWEISS“ (2011)<br />
und „Die Verdammten dieser<br />
Erde“ (2013) am Anhaltischen<br />
Theater Dessau erhielt<br />
sie Reisestipendien<br />
des Goethe-Instituts in den<br />
Senegal bzw. nach Namibia.<br />
Dr. Michael Hirsch<br />
ist Philosoph und Politikwissenschaftler.<br />
Er lebt<br />
als freier Autor und Dozent<br />
in München und ist als<br />
Privatdozent für Politische<br />
Theorie und Ideengeschichte<br />
an der Universität Siegen<br />
tätig. Als Autor beschäftigt<br />
Hirsch sich vor allem<br />
mit Ideen für eine fortschrittliche<br />
Überwindung<br />
der Arbeitsgesellschaft,<br />
wie wir sie kennen, für<br />
eine Neuordnung der Geschlechterverhältnisse<br />
und für Kulturideen eines<br />
gelungenen Lebens. Zuletzt<br />
erschienen seine Publikationen<br />
„Warum wir eine<br />
andere Gesellschaft brauchen“<br />
(Louisoder, 2013) und
<strong>Geheimsache</strong> #8<br />
158<br />
„Utopien des Überflusses.<br />
Über künstlerische Arbeit<br />
und Bildung in den Zeiten<br />
der Krise“ (Franz Steiner<br />
Verlag, 2014).<br />
Christian Jacobs<br />
geboren im Ruhrgebiet, lebt<br />
mit seiner Frau und den<br />
vier Kindern in München,<br />
Venedig und unterwegs.<br />
Geschäftsführender Gesellschafter<br />
der J&P GmbH und<br />
damit beschäftigt, Organisationen<br />
mit strategischer<br />
und kultureller Mobilisierung<br />
dabei zu unterstützen,<br />
erfolgreich zu sein. Gründet<br />
gemeinsam mit seiner<br />
Frau <strong>Earnest</strong> & <strong>Algernon</strong>,<br />
einen „cultural companion“,<br />
der an der Gestaltung einer<br />
nächsten Gesellschaft arbeitet.<br />
Elisabeth Helena<br />
Jacobs-JahrreiSS<br />
geschäftsführende Gesellschafterin<br />
der J&P GmbH,<br />
hat Rechtswissenschaften,<br />
Japanologie und Französisch<br />
studiert. Sie berät den<br />
Mittelstand und ausgewählte<br />
Konzerne bei der Besetzung<br />
von Führungskräften<br />
und Spezialisten sowie der<br />
Entwicklung nachhaltiger<br />
HR-Prozesse. Sie ist lösungsfokussierter<br />
Coach und<br />
begleitet erfahrene Führungskräfte<br />
in persönlichen<br />
Wechselsituationen und ihrer<br />
Führungsrolle. Mutter,<br />
Köchin und Erfinderin des<br />
GehWegs. Lebt und arbeitet<br />
mit Christian Jacobs und<br />
ihren vier Kindern in München<br />
und Venedig.<br />
Roland Jahn<br />
ist seit 2011 Bundesbeauftragter<br />
für die Stasi-<br />
Unterlagen. Aufgewachsen<br />
in der DDR wurde Jahn 1977<br />
nach seiner Kritik an der<br />
Ausbürgerung Wolf Biermanns<br />
vom Studium exmatrikuliert.<br />
Er protestierte<br />
weiter gegen fehlende<br />
Meinungsfreiheit und die<br />
zunehmende Militarisierung.<br />
1983 wurde er von der Stasi<br />
gegen seinen Willen aus der<br />
DDR geworfen. Von West-<br />
Berlin aus hielt er Kontakt<br />
zur DDR-Opposition und<br />
berichtete als Journalist<br />
in ARD und ZDF über Menschenrechtsverletzungen<br />
und<br />
Umweltzerstörung in der DDR<br />
sowie später über den Vereinigungsprozess<br />
und viele<br />
weitere Themen.<br />
Mischa Kuball<br />
arbeitet seit 1984 als<br />
Künstler im öffentlichen<br />
und institutionellen Raum.<br />
Mit Hilfe des Mediums Licht<br />
– in Installationen und<br />
Fotografie – erforscht er<br />
architektonische Räume und<br />
deren soziale und politische<br />
Diskurse. Er reflektiert<br />
die unterschiedlichen<br />
Facetten, von kulturellen<br />
Sozialstrukturen bis hin zu<br />
architektonischen Eingriffen,<br />
die den Wahrzeichencharakter<br />
und den architekturgeschichtlichen<br />
Kontext<br />
betonen oder neu kodieren.<br />
Seit 2007 ist Mischa Kuball<br />
Professor an der Kunsthochschule<br />
für Medien, Köln.<br />
Dort gründete er auch das<br />
-1/MinusEins Experimentallabor.<br />
Er lebt und arbeitet<br />
in Düsseldorf.<br />
www.mischakuball.com<br />
ProF. Dr. Franz Liebl<br />
geb. 1960, Dipl.-Kfm.,<br />
Dr. oec. publ., Dr. rer<br />
pol. habil., Professor für<br />
Strategisches Marketing an<br />
der Universität der Künste<br />
Berlin. Vorher von 1994<br />
bis 1998 Inhaber des Lehrstuhls<br />
für Allgemeine und<br />
Quantitative Betriebswirtschaftslehre<br />
an der Universität<br />
Witten/Herdecke und<br />
sodann bis 2005 dort Inhaber<br />
des Aral Stiftungslehrstuhls<br />
für Strategisches<br />
Marketing. Forschungs- und<br />
Beratungsschwerpunkte:<br />
Strategisches Management,<br />
Issue-Management,<br />
Geschäftsmodell-Innovation<br />
sowie Marketing unter Bedingungen<br />
gesellschaftlicher<br />
Individualisierung.<br />
Letzte Bücher: „Cultural<br />
Hacking: Kunst des Strategischen<br />
Handelns“ (2005),<br />
„Strategie als Kultivierung“<br />
(im Erscheinen; beide<br />
Bücher zusammen mit Thomas<br />
Düllo).<br />
Robert Misik<br />
lebt als Publizist und<br />
Sachbuchautor in Wien. Er<br />
schreibt für eine Vielzahl<br />
deutschsprachiger Tageszeitungen<br />
und Zeitschriften.<br />
Zu seinen Buchveröffentlichungen<br />
gehören u. a.<br />
„Genial dagegen. Kritisches<br />
Denken von Marx bis Michael<br />
Moore“ (Aufbau-Verlag,<br />
2005) und „Halbe Freiheit.<br />
Warum Freiheit und Gleichheit<br />
zusammen gehören“
Autoren & KÜNSTLER<br />
159<br />
(Suhrkamp-Verlag, 2012).<br />
Träger des österreichischen<br />
Staatspreises für Kulturpublizistik.<br />
Wolfgang Müller<br />
lebt und arbeitet als<br />
Künstler, Musiker und Autor<br />
in Berlin. Er ist Mitbegründer<br />
der Künstlergruppe<br />
Die Tödliche Doris und<br />
prägte mit der Herausgabe<br />
des Manifests „Geniale<br />
Dilletanten“ (Merve Verlag,<br />
1981) den Begriff für die<br />
subkulturelle Kulturszene<br />
Westberlins. Für sein<br />
Audiowerk „Séance Vocibus<br />
Avium“ erhielt er 2009 den<br />
Karl-Sczuka-Preis. Neben<br />
diversen Lehraufträgen, unter<br />
anderem in Österreich,<br />
Island und Deutschland, war<br />
er 2001/2002 an der Hochschule<br />
für bildende Künste<br />
Hamburg Professor für<br />
experimentelle Plastik. Im<br />
vergangenen Jahr erschien<br />
sein aktuelles Buch „Subkultur<br />
Westberlin 1979–<br />
1989. Freizeit“ (Philo Fine<br />
Arts, 2013).<br />
www.die-toedliche-doris.de<br />
Alexander Graf<br />
von Schlieffen<br />
studierte Malerei an der<br />
Kunstakademie Düsseldorf<br />
bei Prof. A. R. Penck<br />
mit dem Schwerpunkt Porträt.<br />
Nach Ausstellungen in<br />
Deutschland und der Schweiz<br />
begann er sich 1991 zusätzlich<br />
der Astrologie zu<br />
widmen. Seit 1996 bildet er<br />
Astrologen europaweit aus,<br />
seit 2001 ist er Dozent<br />
am Liz Greene Centre for<br />
Psychological Astrology in<br />
London. Neben zahlreichen<br />
Veröffentlichungen schrieb<br />
er die Horoskope für die<br />
deutsche Ausgabe der Vanity<br />
Fair und ist Hausastrologe<br />
der Freundin. Zuletzt<br />
erschien sein Buch „When<br />
chimpanzees dream astrology“<br />
(CPA Press, 2004).<br />
www.schlieffen-astrologie.de<br />
www.schlieffen.eu<br />
Pierre Tectin<br />
is an artist who lives and<br />
works in Paris. By using<br />
collages of drawings and<br />
objects, he tries to define<br />
new meanings as visual haïkus.<br />
After having studied<br />
design and art, he expanded<br />
his practice through organising<br />
exhibitions, working<br />
on editions and through<br />
creating artistic workspaces.<br />
Melanie Torney<br />
arbeitet als selbständige<br />
Diplom-Designerin mit<br />
Schwerpunkt in den Bereichen<br />
Corporate Design,<br />
Unternehmenskommunikation,<br />
Informationsdesign sowie<br />
Buch- und Magazingestaltung.<br />
Zudem hat sie sich<br />
auf Designprodukte für eine<br />
moderne Trauerkultur spezialisiert<br />
und ist Mitbegründerin<br />
der „Edition<br />
ANFANG ENDE“. Die Edition<br />
entwickelt, produziert und<br />
vertreibt hochwertige Trauerkarten,<br />
die nach eigenen<br />
Wünschen gestaltet werden<br />
können, edle Kondolenzkarten<br />
exklusiv für Geschäftskunden<br />
sowie maßgeschneiderte<br />
Papeterieprodukte und<br />
hochwertige Kunstfotografien.<br />
www.torney-design.de<br />
Odilo Weber<br />
lebt, schreibt und hört in<br />
Köln und Münster.<br />
Hans-Georg Wegner<br />
ist seit der Spielzeit<br />
2013/2014 Operndirektor am<br />
Deutschen Nationaltheater<br />
Weimar. Aufgewachsen in<br />
einem Pfarrhaus in Wolfen,<br />
Sachsen-Anhalt, studierte<br />
er nach der Wende in Erlangen<br />
und Berlin. 2000 ging<br />
er zunächst als Dramaturg<br />
an die Semperoper Dresden,<br />
ab 2007 als Chefdramaturg<br />
an das Theater Bremen. Von<br />
2010 bis 2012 war er Künstlerischer<br />
Geschäftsführer<br />
am Theater Bremen. Diverse<br />
Lehrtätigkeiten, unter<br />
anderem an der Technischen<br />
Universität Dresden und der<br />
Hochschule für Musik Franz<br />
Liszt Weimar, ermöglichten<br />
ihm darüber hinaus, sein<br />
Wissen und seine Begeisterung<br />
für das Musiktheater<br />
an Studierende weiterzugeben.
EARNEST<br />
&ALGERNOn<br />
Herausgeber Elisabeth Jacobs-Jahrreiß und<br />
Christian Jacobs<br />
Redaktion Kina Deimel, Christian Jacobs und<br />
Benjamin Maierhofer<br />
Lektorat Katrin Pollems-Braunfels<br />
Creative Director Mirko Borsche<br />
Design Gian Gisiger, Marius Jopen,<br />
Florian Mecklenburg, Sophie Schultz<br />
Illustrationen Gian Gisiger<br />
Druck und Verarbeitung DruckVerlag Kettler<br />
Umschlagpapier Gmund, Cement Grey<br />
Papier Inhalt Gmund, Blocker<br />
Schneider & Söhne, LuxoMagic<br />
Spinnenpapier<br />
Anschrift der Redaktion<br />
Königinstr. 11a RGB, 80539 München<br />
Tel +49 89 / 21 21 84 0<br />
Fax +49 89 / 21 21 84 50<br />
www.earnestalgernon.de<br />
www.facebook.com/<strong>Earnest</strong><strong>Algernon</strong><br />
Email: kontakt@earnestalgernon.de<br />
Copyrights<br />
Anonymous, Deep Web – Die dunkle Seite des Internets, Blumenbar, Berlin 2014<br />
S. 33: D.Vennemann/Greenpeace<br />
S. 33: Greenpeace<br />
S. 34: Courtesy of The Yes Men<br />
S. 36: Peng! Collective<br />
S. 115: Joachim Dette<br />
S. 116: Paul Huf<br />
S. 133: Picture Press<br />
S. 139: Urbane Künste Ruhr und MAP Markus Ambach Projekte<br />
S. 144, 145: Dimitri Soulas, www.dimitrisoulas.com<br />
Autorenbilder<br />
Roland Jahn: Ronny Rozum, Katja Aßmann: Roman Mensing,<br />
Mischa Kuball: Yun Lee, Düsseldorf, Wolfgang Müller: Malte Ludwigs<br />
Diese Ausgabe ist ein Kunstwerk, entstanden in Kooperation zwischen der J&P<br />
GmbH, dem Bureau Mirko Borsche und den beteiligten Künstler/-innen und<br />
Autor/-innen.
BUNBURY<br />
How to become a friend of our companion<br />
<strong>Earnest</strong> & <strong>Algernon</strong> hat sich zu einem „cultural companion“ entwickelt, der<br />
sich aktiv an der kulturellen Mobilisierung unserer Gesellschaft beteiligt.<br />
Wir machen Aktionen, begleiten auf Architektur- und Kunstpassagen und gehen<br />
unsere spektakulären Parcours. Und wir bleiben unserem Anfang treu und<br />
machen unser Magazin. Mittlerweile erscheint die 8. Ausgabe, die 9. folgt<br />
noch vor Weihnachten und wird das Thema der Postindustriellen Zeit behandeln.<br />
Unseren Werten Innovation Leidenschaft Qualität bleiben wir auch<br />
treu, die haben uns schließlich unsere Leser zugeschrieben.<br />
Jetzt können Sie companion werden!<br />
# Anstatt unser Magazin im ausgewählten Handel für 14 Euro zu erwerben,<br />
werden Sie Abonnent und zahlen jährlich 56 Euro für 2 Ausgaben und<br />
2 Spezialausgaben.<br />
# Sie werden Förder-Abonnent und zahlen als Schüler und Student, was Sie<br />
können und wollen. Und so machen Sie das auch, wenn Sie kein Schüler<br />
und Student sind, geben nur eben ein bisschen mehr.<br />
# Sie übernehmen die Patenschaft für einen Beitrag und werden dann auch<br />
in diesem Zusammenhang erwähnt. Die Höhe der Investition für eine<br />
Patenschaft richtet sich immer nach den konkreten Erwartungen der<br />
Autor/-innen bzw. Künstler/-innen.<br />
# Sie machen uns noch deutlicher, wie sehr Sie uns mögen, und unterstützen<br />
uns mit Ihrem cultural statement in einer Ausgabe. Das bekommen Sie<br />
schon ab 2.500 Euro und wir beraten gerne Ihren starken Auftritt.<br />
# Sie möchten eine Ausgabe für sich personalisieren und Ihren Stakeholdern<br />
eine Freude machen, dann sprechen Sie mit uns, und wir haben<br />
viele Ideen, wie das gehen kann.<br />
Und Sie können natürlich auch Bunbury werden und damit an der gesamten<br />
kulturellen Mobilisierung teilhaben. Dann sprechen Sie bitte persönlich mit<br />
Christian Jacobs: +49 89 / 21 21 84 70<br />
Die Bunburys freuen sich auf jeden Fall auf Sie!<br />
<strong>Earnest</strong> & <strong>Algernon</strong> proudly presents the Bunburys:<br />
Guido Dermann, Livingpage Münster E&A Webseite<br />
Gmund Papier<br />
Gunnar Kettler, DruckVerlag Kettler E&A Druck und Verarbeitung<br />
Jens Petershagen, Petershagen Kommunikation Gründerunterstützung<br />
Pater Georg Maria Roers