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Earnest & Algernon: Geheimsache

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<strong>Geheimsache</strong>


E<br />

A


GEHEIMSACHE


INHALT<br />

6<br />

Editoral<br />

Elisabeth Helena<br />

Jacobs-Jahrreiß &<br />

Christian Jacobs<br />

8<br />

Was ist heute noch<br />

subversiv?<br />

Robert Misik<br />

14<br />

Der subversive Doppeltitel<br />

Konstantin Adamopoulos<br />

23<br />

Wer durch mein Leben will<br />

muss durch mein Zimmer<br />

Odilo Weber<br />

30<br />

Campaigning for Change<br />

Subversive Aktion<br />

Andreas Graf von<br />

Bernstorff<br />

38<br />

Prometheische Projekte<br />

Ein Gespräch mit dem<br />

Philosophen<br />

Armen Avanessian<br />

Ludwig Engel<br />

45<br />

Figuration<br />

Ayzit Bostan<br />

62<br />

25 Jahre Friedliche<br />

Revolution<br />

Die subversive Kraft der<br />

Menschenrechte<br />

Roland Jahn<br />

66<br />

Subversive Reproduction<br />

A new approach to teach and<br />

learn entrepreneurship<br />

Sylvain Bureau &<br />

Pierre Tectin<br />

74<br />

Jenseits von Subversion<br />

und Sozialdarwinismus<br />

Für eine neue Bewegung der<br />

Befreiung (von) der Arbeit<br />

Michael Hirsch<br />

81<br />

Leipzig!<br />

Mischa Kuball<br />

106<br />

Strategische Subversion:<br />

Wofür? – Wogegen?<br />

Franz Liebl<br />

112<br />

Hollywoodschaukel oder<br />

der Garten des Anderen<br />

Hans-Georg Wegner<br />

114<br />

Subversion ist ein Fluidum<br />

Nina Gühlstorff<br />

118<br />

Performance as technology<br />

of other-worlding<br />

a conversation with<br />

Alexander Baczyński-Jenkins<br />

Kina Deimel<br />

126<br />

Subversion ist auch nicht<br />

mehr das, was sie einmal war<br />

Wolfgang Müller<br />

134<br />

Autoporträt<br />

GeburtshelferIN Zensur –<br />

Warum ich nicht Verleger<br />

werden wollte und es<br />

dann doch geworden bin<br />

Christoph Links<br />

138<br />

Subversion als Keim<br />

für Innovation?<br />

Melanie Torney<br />

139<br />

Partizipation als subversive<br />

Kunstform<br />

Urbane Künste Ruhr und<br />

die Neudefinition von<br />

Kunst im urbanen Raum<br />

Katja Aßmann<br />

142<br />

<strong>Algernon</strong>’s Truth<br />

Ingo Arend<br />

144<br />

WAHNMOCHING<br />

Die Münchenseite<br />

146<br />

Horoskop<br />

Die astrologischen<br />

Konstellationen der<br />

kommenden Monate<br />

Alexander Graf von Schlieffen<br />

SpotlightS<br />

150<br />

154<br />

E&A goes out<br />

154<br />

Autoren & Künstler<br />

Impressum<br />

BUNBURY<br />

160<br />

162<br />

5


7<br />

THOUGHTS FOR THE DAY<br />

tor<br />

1863 Begeisterung<br />

im Londoner Underground. erste U-Bahn der Welt<br />

126 Jahre später friedlichen Revolution DDR. Gebete<br />

haben Staat erschüttert<br />

Kerzen in den Händen<br />

und dafür braucht ein Mensch beide Hände<br />

tragen und schützen .<br />

Subversive Strategien gestalten<br />

Wie kann der Mensch heute noch subversiv handeln?<br />

In österreichischen Schulen wird jetzt schon das Erstellen von „Spickzetteln“<br />

Widerständigkeit und Rebellischsein<br />

Produktivkräfte<br />

Entrepreneurship ist wahre Subversion in der<br />

Ökonomie<br />

<strong>Geheimsache</strong><br />

Ihre Ja Ja & Ja


ASiST<br />

heute<br />

n Ch<br />

subV<br />

rsiV?


T: Robert Misik<br />

9<br />

„Sei kreativ, mach’<br />

nicht mit, unterminiere das<br />

Hergebrachte.“<br />

Diese Forderung kann man heute schon in Stellenanzeigen<br />

lesen. Schlechte Zeiten für das Subversive.<br />

In seinem Film „Die fetten Jahre sind vorbei“<br />

lässt der österreichische Regisseur Hans Weingartner<br />

einen seiner Protagonisten sagen: „Was<br />

früher subversiv war, kannst du heute im Laden<br />

kaufen.“ Subversivität ist, so gesehen, eine große Selbsttäuschung.<br />

Das eigensinnige Subjekt glaubt, etwas Widerständiges<br />

zu tun, und tappt doch immer wieder nur in die<br />

Falle der Systemstabilisierung und Affirmation. Führe dem<br />

kapitalistischen System rebellische Energien zu – und es<br />

verwandelt sie in einen Trend, mit dem sich gute Geschäfte<br />

machen lassen. Widerstands-Communities werden in Lifestyle-Communities<br />

verwandelt, provokante Kunst in den<br />

dernier crie und das Nietenarmband der Punks gibt es<br />

vierzig Jahre später bei H&M zu kaufen. Und all das vollzieht<br />

sich in immer rasanterem Rhythmus. Jahrzehnte dauert<br />

es nicht mehr: Was heute die Subkultur rockt, ist in<br />

der nächsten Saison schon auf den Brettern der großen<br />

Staatstheater. Oder anders gesagt: Hochkultur ist die Subkultur<br />

von gestern, die erfolgreich geworden ist.<br />

All das gilt natürlich zunächst und vor allem<br />

für das Kraftfeld aus Konsumkultur, Kunst<br />

und Gegenkultur. Blicken wir einen Augenblick<br />

zurück, in eine Zeit, in der die Welt<br />

noch in Ordnung war, also ordentlich sortiert. Eine Welt,<br />

in der Konformismus und Nonkonformismus noch klar<br />

unterscheidbar waren.<br />

Gegen die Unfreiheit, die Konventionen,<br />

den gesellschaftlichen Druck von Spießertum<br />

und dem bloß Üblichen, dem<br />

bloßen „das macht man eben so“, dem<br />

„das gehört sich so“ rebellierten Bohémiens, Halbstarke,<br />

Hippies, Aussteiger, Punks. Man hat davon ein bestimmtes<br />

Bild im Kopf: das der uniformierten, formatierten<br />

Gesellschaft der Ähnlichen in ihren Reihenhäusern. Mama<br />

hat Lockenwickler auf dem Kopf, Papa ist sehr darauf<br />

bedacht, dass die Nachbarn nicht schief schauen, und<br />

alle haben die gleichen Gardinen vor den Fenstern. Dagegen<br />

war man. Und irgendwie verstanden sich alle diese<br />

Bewegungen und Subkulturen als links oder progressiv,<br />

und sei es nur halb bewusst. Die, die das bewusster taten,<br />

legten sich eine Theorie zurecht. Dass der Kapitalismus<br />

die Welt gleichförmig mache, dass er den Menschen ihre<br />

Kreativität und den Dingen ihre Authentizität austreibe.<br />

Dass also Hippies und Alternativkultur oder Gegenkultur<br />

so etwas wie Freiheitsrevolten und antikapitalistische<br />

Revolten zugleich seien. Diese Kritik hatte bestimmt für


<strong>Geheimsache</strong> #8<br />

10<br />

einige Phasen der gesellschaftlichen Entwicklung<br />

Wichtiges und Richtiges zu sagen, war<br />

zugleich aber immer auch ein kulturpessimistisches<br />

linkes Vorurteil, das deshalb paradoxe<br />

Trugschlüsse nach sich zog. Etwa den Glauben,<br />

mit dem Etablieren einer alternativen Gegenkultur<br />

würde den Homogenisierungstendenzen<br />

des Kapitalismus Widerstand geleistet – während<br />

in der Realität die Gegenkulturen von Hippies<br />

bis Punk dem Konsumkapitalismus nur<br />

neue Energien zuführten. Man fühlte sich dissident, war<br />

aber auch nur eine Marktnische und Zielgruppe. Deshalb<br />

ist, wie die kanadischen Autoren Joseph Heath und Andrew<br />

Potter schrieben, die gegenkulturelle Politik „in den letzten<br />

vierzig Jahren eine der wichtigsten Triebkräfte des<br />

Konsumkapitalismus gewesen“. Schließlich seien es die<br />

Nonkonformisten, nicht die Konformisten, „die an der<br />

Konsumschraube drehen“. Denn: „Wenn die Konsumenten<br />

bloß Konformisten wären, dann würden sie sich allesamt<br />

das Gleiche kaufen und damit glücklich und zufrieden<br />

sein.“ Es ist dieses Paradoxon, das den Philosophen Peter<br />

Sloterdijk zu dem Aperçu veranlasste: „Alle Wege der<br />

Achtundsechziger führen in den Supermarkt.“ Dass der<br />

Kapitalismus die Welt eintöniger mache, und im<br />

Umkehrschluss die kreativen Energien, die die Welt bunter<br />

machen, subversiv seien, ist ein sehr fragwürdiges<br />

Postulat, bestenfalls eine jener Überzeugungen, die wahr<br />

und falsch zugleich sind. Das ließe sich schon an der<br />

Basiseinheit des kapitalistischen Wirtschaftens ersehen,<br />

der Ware nämlich. Die lässt sich schließlich, wie wir alle<br />

wissen, dann am besten verkaufen, wenn sie sich von<br />

anderen Waren unterscheidet – und nicht, wenn sie allen<br />

anderen Waren gleicht. Selbst objektiv ununterscheidbare<br />

Waren müssen unterscheidbar gehalten werden, ein Imperativ,<br />

der Werbe- und Marketingagenturen und Branding-<br />

Experten ein schönes fixes Einkommen garantiert. Heute<br />

darf jeder sein Ding machen, ja, es wird sogar von ihm<br />

gefordert. Jeder darf anders sein als der andere, soll seinen<br />

persönlichen Stil entwickeln, der ihn von anderen<br />

unterscheidet und mit kleinen Peer-Groups ihm Ähnlicher<br />

im Gegenzug verbindet, zu sogenannten Lebensstil-<br />

Gemeinschaften, die auch nichts anderes sind als Marktnischen<br />

und Zielgruppen. So ist es heute wirklich schwierig<br />

geworden, unkonventionell zu sein, weil jeder doch<br />

auf seine Art unkonventionell ist. Das Freiheitsgefühl, das<br />

so entsteht, na, mit dem können mächtige ökonomische<br />

Gruppen prima leben.<br />

An den Orten, an denen auf raffiniertere<br />

Weise über „Systemkritik“ nachgedacht<br />

wird, ist deshalb schon vor einigen Jahren<br />

die Frage nach den Möglichkeiten<br />

von Subversion das große Thema geworden – auch wenn<br />

es im leise melancholischen, selbstreflexiv ironischen<br />

Ton besprochen wird. Je nach Anlass ist man entweder<br />

der Meinung Slavoj Žižeks, dass in der Postmoderne „der<br />

Exzess der Überschreitung seine Schockwirkung“ verliert<br />

und völlig integriert wird. Oder man ist der gegensätzlichen<br />

Meinung Slavoj Žižeks, dass es nämlich keineswegs<br />

so ist, „dass der Kapitalismus die endlose Fähigkeit<br />

besäße, alle Sonderwünsche zu integrieren und ihnen<br />

die subversive Spitze zu nehmen.“<br />

Aber wir wollen etwas systematischer<br />

an die Sache<br />

herangehen, nicht zuletzt<br />

deswegen, weil Subversion<br />

ja ein schillernder, überdeterminierter<br />

und deshalb auch unpräziser Begriff ist,<br />

der nur scheinbar immer dasselbe meint,<br />

aber doch in den unterschiedlichen Themenfeldern<br />

eine andere Bedeutung<br />

annimmt:<br />

Der Saboteur, der während eines Streiks in<br />

einem Telekommunikationsunternehmen<br />

die Leitungen lahmlegt, ist auf andere,<br />

offensichtlichere Weise subversiv als der<br />

Polit-Aktivist, der eine Straßenblockade organisiert. Dieser<br />

wiederum auf völlig andere Weise als der Theaterprovokateur,<br />

der das Bürgertum schockt oder der Punk, der sich<br />

eine Sicherheitsnadel durch die Wange rammt. Ist, wer eine<br />

theatralische Attac-Straßenaktion macht, schon subversiv?<br />

Ist es ein Hausbesetzer? Und was wird mit den Hausbesetzern,<br />

die subversive Kulturinstitutionen wie die Rote<br />

Flora in Hamburg etablieren? Was ist, wenn zwanzig Jahre<br />

später das Vibrierende der Gegenkultur wichtiger Bestandteil<br />

angesagter Stadtquartiere geworden ist? Was ist, wenn<br />

das große Andere der Kommerzkultur zum Element der<br />

kapitalistischen Immobilienentwicklung wird? Vereinfacht<br />

ausgedrückt: Wenn die Rebellion nur der erste Schritt in<br />

Richtung Gentrifizierung ist?<br />

Überhaupt: Ist irgendeine Art von<br />

unbestimmtem „Dagegensein“ schon<br />

subversiv?<br />

Zum Kernverständnis von Subversion gehört<br />

jedenfalls, dass man nicht nur innerhalb einer<br />

bestehenden Ordnung eine positive Alternative<br />

entwickeln will, oder der Ordnung den<br />

Rücken zukehrt und ihr ein „ich scheiß’ auf dich“ zuruft,<br />

sondern dass diese Ordnung als solche unterspült und<br />

untergraben werden soll. Subversion ist tatsächlich etwas<br />

anderes als bloße „Opposition“ oder sich „Verweigern“. Zu<br />

den Vorstellungsreihen, die das Wort Subversion evoziert,<br />

gehören Begriffe wie „Auflösung“ oder „Zersetzung“<br />

untrennbar dazu. Und das sind wohl nicht zufällig Begriffe,<br />

die der militärischen Terminologie entnommen sind.<br />

Die Begriffsgeschichte politischer Subversivität<br />

ist jedenfalls seit vielen Jahrzehnten<br />

schon geprägt von einem stetigen Abarbeiten<br />

an dem Umstand, dass, was wie<br />

Subversion erscheint, immer auch in neue Verhärtungen<br />

und Konformismen umschlagen kann. Vor hundert Jahren<br />

hätte man noch jeden Arbeiter, der sich in einer „proletarischen<br />

Organisation“ engagiert, als Subversiven bezeichnet.<br />

Der Gewerkschafter, der eine Gegenmacht im Betrieb<br />

aufbaut, der Aktivist, der sich in einer „proletarischen<br />

Kampfpartei“ engagiert, wäre wie selbstverständlich als<br />

Subversiver durchgegangen. Bloß erwies sich, dass alle<br />

diese Institutionen dazu neigen, ihre Mitglieder zu disziplinieren,<br />

dass die Organisationen, wenn sie an Bedeutung<br />

gewinnen, selbst zu Agenturen der Anpassung und des<br />

Kompromisses mit den Verhältnissen werden können. Dem-


Was ist heute noch subversiv?<br />

11<br />

gegenüber wurde ein Konzept „proletarischer Subversion“<br />

entwickelt, das sich gerade dadurch auszeichnen sollte,<br />

dass es den Eigensinn der Subjekte gegen die Homogenisierung<br />

des Apparates hochhielt. Dieser Sinn von „echter“<br />

Subversivität wurde von so unterschiedlichen Geistesströmungen<br />

wie den „Situationisten“ oder den italienischen<br />

Theoretikern der „Arbeiterautonomie“ betont.<br />

Viel Strahlkraft in die „Arbeiterklasse“ hinein<br />

hatten diese Theorien nicht (sieht man<br />

von wenigen historischen Augenblicken<br />

nach 1968 ff. ab), dafür umso mehr in<br />

die Theorie- und Kunst-Communities. An die waren diese<br />

Theorien auch besonders leicht anschlussfähig. Der<br />

„Schock“, der „andere Blick“ durch radikale Intervention<br />

und theatralische Protestformen, all das ist etwas, wofür<br />

die Kunst immer ein waches Sensorium hat. Der „Eigensinn“<br />

des widerständigen Subjektes ist etwas, was mit dem<br />

Idealtypus des Künstlersubjektes durchaus leicht in Übereinstimmung<br />

zu bringen ist – zumal in einer Epoche, die<br />

den Individualismus zu<br />

einem Element ihrer<br />

Leitideologie macht.<br />

Aber<br />

hier<br />

sind<br />

wir<br />

schon an dem Punkt,<br />

an dem der Kurzschluss<br />

vorprogrammiert<br />

ist: Denn was<br />

wird denn aus der<br />

Subversion, wenn<br />

eines ihrer Hauptmotive<br />

im breiten Strom<br />

des Zeitgeistes<br />

schwimmt? Wenn<br />

Autonomie als Individualismus<br />

selbst von<br />

den Hochglanzmagazinen<br />

propagiert<br />

wird? Wenn, was als andere alternative Lebensform<br />

erscheint, auch nicht viel anders ist als die allgemein als<br />

erstrebenswert betrachtete Lebensform der „individuellen<br />

Selbstverwirklichung“?<br />

Die Figur des originellen, provozierenden<br />

und rebellischen Künstlers, der sich vielleicht<br />

sogar aus der Gesellschaft, zumindest<br />

aber aus dem Mainstream absentiert,<br />

sich womöglich sogar aufopfert, ganz gewiss jedenfalls<br />

nicht von berechnendem<br />

Materialismus angetrieben<br />

ist, diese Figur als Idealtypus<br />

reicht ja schon seit dem<br />

19. Jahrhundert bis in unsere<br />

Gegenwart. Nur hat die<br />

Dichotomie, diese Figur der<br />

„konformistischen und spießbürgerlichen<br />

Bourgeoisie<br />

[entgegenzustellen], ausgedient“,<br />

wie das der französische<br />

Denker Pierre-Michel<br />

Menger formulierte. Fantasie, Kreativität, Improvisationskunst,<br />

ja, auch Anarchie, alles Charakteristika der Künstlerkompetenz,<br />

die man früher als Antipoden zum Krämergeist<br />

der Geschäftswelt betrachtet hätte, sind im<br />

neoliberalen Kapitalismus zu Tugenden geworden, die<br />

man vom kleinsten Angestellten und prekärsten Zuarbeiter<br />

erwartet. Schon vor zwanzig Jahren konnte man in<br />

Stellenanzeigen von Spezialmaschinenherstellern Sätze<br />

wie diese lesen: „Wir erwarten eine positive Unruhe in<br />

Form von neuen Gedanken und Wegen sowie Spaß an<br />

dieser mehr auf Kooperation angelegten Aufgabe“.<br />

In österreichischen Schulen wird heute bereits<br />

standardmäßig – und durchaus folgerichtig –<br />

die Erstellung und Benutzung von „Schummelzetteln“<br />

(Spickzetteln), gelehrt, also das Umgehen<br />

autoritärer Normen. Es ist längst bekannt, dass<br />

Widerständigkeit und Rebellischsein die größten Produktivkräfte<br />

überhaupt sind, da sie eigensinnige Individuen<br />

hervorbringen, die in der Lage sind, für jedes Problem eine<br />

Lösung zu finden. Und<br />

gerade solche Individuen<br />

braucht man in<br />

Unternehmen mit flachen<br />

Hierarchien, in<br />

denen Beschäftigte<br />

nicht nur acht Stunden<br />

täglich ihre bloße<br />

Arbeitskraft investieren,<br />

sondern all ihren<br />

Grips, ihre Emotionen,<br />

ihre Leidenschaft und<br />

Kreativität.Heißt<br />

das,<br />

dass<br />

Subversion<br />

heute überhaupt<br />

nicht mehr<br />

möglich ist? Nein,<br />

nicht unbedingt.<br />

Ohnehin gilt das oben Gesagte nur für den paradoxen<br />

Raum der entwickelten kapitalistischen Staaten des<br />

Westens, in denen kaum mehr festzustellen ist, wo der<br />

Ort der Macht ist, da in ihnen die Macht eher eine Struktur<br />

ist. Hier verliert sich verortbare Macht in eine Struktur,<br />

die sehr geschickt darin ist, Widerstand ins Leere<br />

laufen zu lassen, ja, ihn sich sogar nutzbar zu machen.<br />

In Gesellschaften wie Russland oder wie Syrien, sieht<br />

das schon ganz anders aus. Die Brüder Arash und Arman<br />

Riahi haben in ihrem wunderschönen Film „Everyday<br />

Rebellion“ gezeigt, wie hier kleine, kreative Aktionen schon<br />

die Macht herausfordern können.<br />

Dazu ein Beispiel: Regimegegner haben<br />

Hunderte von Tischtennisbällen mit dem<br />

Wort „Freiheit“ beschrieben, und diese<br />

eine abschüssige Straße vor dem Regierungspalast<br />

herunterkullern lassen, was die Geheimpolizisten,<br />

die jedem einzelnen Ball nachliefen, gehörig ins<br />

Schwitzen brachte. Doch hier wie in unseren Breiten sind<br />

subversive Strategien nichts mehr, was die Subversiven im<br />

Geheimen aushecken, sondern letzten Endes immer sub-


<strong>Geheimsache</strong> #8<br />

12<br />

versive Kommunikationsstrategien, Eingriffe in öffentliche<br />

Diskurse oder Nicht-Diskurse, oft Bild-Strategien, kleine<br />

Steinchen, die man ins Wasser wirft und von denen man<br />

hofft, sie mögen ihre Kreise ziehen – in Social Media etwa.<br />

Subversion, von der niemand erfährt, findet nicht statt. Das<br />

Subversivste ist ohnehin, Geheimes ans Licht der Öffentlichkeit<br />

zu zerren, siehe die Enthüllungen von Edward Snowden<br />

oder die Wikileaks-Aufdeckungen von Julian Assange.<br />

In den seltensten Fällen wird die herrschende Ordnung<br />

als solche tangiert, in den meisten Fällen ist höchstens zu<br />

erwarten, dass zwar die Zustimmung zu ihr erodiert, aber<br />

nicht die Funktionsfähigkeit der Institutionen.<br />

Gleichzeitig gilt aber natürlich auch: Wenn<br />

„Dissidenz flüchtig ist“, wie das die Berliner<br />

Theoretikerin Katja Diefenbach formulierte,<br />

und wenn der heute formulierte<br />

Widerspruch morgen schon ein Geschäft sein kann, dann<br />

macht das den Widerspruch trotzdem nicht belanglos oder<br />

unnötig, sondern lässt eher Selbstreflexion und stetige<br />

Selbstbefragung als empfehlenswert erscheinen.<br />

Ob der schwammige „Subversions“-<br />

Begriff überhaupt noch taugt? Und<br />

was sind die langfristigen, positiven<br />

Folgen davon? Über all das kann man<br />

mit Recht diskutieren. Womöglich war „Subversion“ ohnehin<br />

immer ein etwas romantischer Begriff. Getragen von<br />

der Vorstellung, es könne eine Abkürzung zur Verbesserung<br />

der Welt geben: Man unterminiert die Ordnung mit ein paar<br />

geschickten Handgriffen, und schon zerbröselt sie von selbst<br />

– ganz ohne die Mühen der Ebene, des Bündnisse Schmiedens<br />

in einer Opposition, ganz ohne den langweiligen Kampf<br />

um gesellschaftliche Mehrheiten. Letzterer wurde als Sache<br />

fader Reformisten angesehen, während die Subversion als<br />

die Heldentat der Revolutionäre geadelt wurde.<br />

Was wenn die faden Reformisten die<br />

eigentlichen Helden sind?<br />


Der<br />

subve<br />

rsiVe<br />

Dopp<br />

eltitel


T: Konstantin Adamopoulos<br />

15<br />

Zum Vorspann etwas<br />

aus dem Berufsalltag der<br />

Rahmenbedingungen<br />

„Mir ist es wichtig zu unterscheiden, in welchem Rahmen ich<br />

mich mit Kunst beschäftige. Es ist etwas anderes, ob es<br />

privat oder geschäftlich ist. Privat habe ich mir mein Umfeld<br />

selbst geschaffen und kann mich jeden Tag in einer anderen<br />

Ecke aufhalten, die ich selbst auswähle. Das ist beruflich nur<br />

bedingt möglich. Ich habe mich einmal für ein Unternehmen<br />

entschieden und damit die Rahmenbedingungen akzeptiert.<br />

Diese kann ich zwar beeinflussen, aber viel weniger als mein<br />

privates Umfeld. Zur Kunst: Im Unternehmen kann ich mich<br />

natürlich mit Kunst auseinandersetzen. Wie ich das mache,<br />

wird allerdings maßgeblich von den Rahmenbedingungen<br />

vorgegeben: von den Kollegen, dem Stellenwert von Kunst<br />

bei uns im Haus, meiner Position im Haus, unserer Diskussionskultur<br />

etc. Privat verzichte ich gerne einmal bewusst auf<br />

festen Boden. Beruflich ist das nur eingeschränkt möglich.<br />

Sowohl unser Geschäftsmodell als auch unsere Unternehmenskultur<br />

sind von Sicherheit geprägt. Das muss ich zunächst<br />

akzeptieren. Und von da aus schau’ ich, was ich bewegen kann.“<br />

Ein Bronnbacher Stipendiat


a) Für die Organisation<br />

ist das Individuum<br />

subversiv<br />

b) Die Organisation<br />

ist für das Individuum<br />

subversiV<br />

Bewegen sich subversive Kräfte im Grenzbereich zur umstürzlerischen<br />

Täuschung, oder schillert ihr Reiz gerade im<br />

schwerelosen Angebot zur Alternative?<br />

Sarah Vanhee bietet seit einem Jahr<br />

regelmäßig eine 15-minütige „Lecture<br />

for everyone“ an, und zwar bevorzugt<br />

unangekündigt in den Organisationen,<br />

in denen Business Meetings auf der Tagesordnung<br />

stehen. Dabei soll möglichst nur eine gastgebende<br />

Person, die den Zugang ermöglicht, vorher davon<br />

wissen. Zur gewünschten subversiven Wirkung, die<br />

dieser Vortrag aktuell in Verbindung mit dem HAU,<br />

dem Hebbel-Theater in Berlin aufkommen lässt,<br />

gehört also eine gewisse Diskretion. In der Geschäftswelt,<br />

wo sich alles lieber strukturiert und durchgetaktet<br />

gibt, erscheint die intervenierende Aktion porös und<br />

spontan. Wer mag sich schon, ohne dass sein eigenes<br />

Team und die übergeordneten Hierarchien eingeweiht<br />

sind, einen Harlekin und Bürgerschreck in eine berufliche<br />

Sitzung einladen? Da wo Interventionen nur ungern Überraschungen<br />

bieten dürfen, stattdessen Übereinkunft und<br />

Sicherheit hochgestellte Alltagswerte verkörpern, wirkt<br />

eine nur Insidern bekannte belgische Kunst-Aktivistin als<br />

Person und Gegenüber nicht so fantastisch wie vielleicht<br />

Marina Abramović, ein Star, der sich mit „The Artist is Present“<br />

2010 im New Yorker Museum of Modern Art als<br />

Königin ihrer Profession ausstellte.<br />

1 Sarah Vanhee bietet sich<br />

eher als schlichte Arbeiterin in<br />

sozialen Fragen an, wie es<br />

Joseph Beuys etwa in seinem<br />

Vortrag mit dem Titel „Jeder<br />

Mensch ein Künstler – Auf dem<br />

Weg zur Freiheitsgestalt des<br />

sozialen Organismus“ 1978 in<br />

Achberg vorgab. Die junge Performancekünstlerin<br />

bricht das<br />

Thema „Kunst im Unternehmen“<br />

zunächst auf alltägliche Gedanken herunter: Wie wichtig<br />

ist mir eigentlich meine Arbeit? Karriere? Geld? … Wie<br />

messe ich mich mit anderen? Dabei irritiert die Künstlerin<br />

in ihrem künstlerischen Sosein mit diesen spröden Tatsachen,<br />

doch ihre zugewandte und freundliche Art lässt die<br />

Abwehrreaktionen schmelzen. Ihre Kunst brilliert nicht mit<br />

dem Glamoureffekt, der in der Geschäftswelt vielleicht<br />

ankommen könnte. Ihre Präsenz gleitet vielmehr unter<br />

dem Radar der globalen Wirtschaftskennzahlen hindurch.<br />

Den zweifelnden Gatekeeper ritualisierter Allzeit-voran-<br />

Meetings beruhigen im eigens eingerichteten Blog unter


DER SUBVERSIVE DOPPELTITEL<br />

17<br />

www.lectureforeveryone.be sanfte Teilnehmerkommentare<br />

wie „We all need to be pushed out of our orbit of thoughts<br />

sometimes, it makes the world more interesting.“ Dazu<br />

fallen mir zwei Thesen ein: Das Subversive benötigt Identität.<br />

Subversion aktiviert Identifikation.<br />

Wie also lautet die Definition?<br />

Eine subversiv tätige Person bewirkt den<br />

Wandel einer erstarrten Situation, das Aufbrechen<br />

zu neuen Möglichkeiten. Ziel wäre<br />

Verjüngung statt Vergreisung.<br />

Zwischen diesen Polen leben wir,<br />

mal mehr hierhin, mal mehr dorthin gezogen.<br />

Eine subversiv berührte Identität<br />

gerät in Bewegung, weil ihre Identität<br />

als Frage angesprochen wurde. Dabei<br />

bleibt die Subversion als solche nahezu<br />

unbemerkt. Identität kommt vom lateinischen<br />

„idem“ für „dasselbe“ oder „derselbe“,<br />

im Sinne von: Sie ist mit sich selbst<br />

vollkommen gleich. Eine Persönlichkeit<br />

mit Identität kultiviert in sich eine Instanz,<br />

auf deren Grundlage Entscheidungen<br />

mehr Tiefe und weitere Perspektiven<br />

aufnehmen. Subversiv gegenüber einem<br />

Unternehmen erscheinen nun einzelne<br />

Personen, deren Taten und Gedanken<br />

eine sich wiederholende Vorgabe oder<br />

ein festes Gefüge der Organisation aus<br />

dem Status quo in Bewegung bringen. Die Selbstzensur<br />

im Kopf mag solche Störgedanken schon im Einzelnen<br />

vereiteln, darin sind wir artige Kinder unserer Zeit. Das<br />

Wegschlagen verkrusteter Teile wird zu einer Angelegenheit,<br />

die man besser externen Beratern überlässt. Die<br />

Unternehmensidentität wirkt damit selbst subversiv.<br />

Doch noch einmal zurück zur klassischen<br />

Richtung der Subversion: Mit absurden<br />

Weihnachtszipfelmützen auf dem Kopf<br />

verschenkten im real existierenden Sozialismus<br />

der Achtzigerjahre Studenten Damenbinden einzeln<br />

an Passantinnen, um dafür von den aufgebrachten<br />

Arbeiterstaatsschützern als Störenfriede der öffentlichen<br />

Ordnung für ein paar Tage eingelocht zu werden. Blieben<br />

doch diese immer raren Utensilien zur Körperpflege meist<br />

den Parteibonzen vorbehalten und waren somit zum Symbol<br />

für Privilegien und ungerechte Verteilung geworden.<br />

Der zarte Lohn für diese kabarettistischen Robin-Hood-<br />

Aktionen war das dankbare Winken der Bevölkerung den<br />

abgeführten Zipfelmützen für das vorgeführte Heilsversprechen<br />

einer kommenden Konsumwelt.<br />

Zu a)<br />

Spätestens in den Sechziger- und Siebzigerjahren<br />

bekam der Begriff Subversion im<br />

Westen den schicken Beigeschmack, eine<br />

kluge Alternative zu sein. Der überwiegende<br />

Teil der intellektuellen Eliten glaubte nicht an physische<br />

Gewalt zur Wandlung der attestierten Herrschaftsbedingungen.<br />

Gegen den wirtschaftlichen Boom und die konservative<br />

Medienmacht im Westen erschien nur eine versteckte<br />

Rhetorik zielführend. Rudi Dutschke erklärte in<br />

seinen posthum veröffentlichten Tagebuchaufzeichnungen<br />

das praktische Vorgehen: Zu den Maidemonstrationen für<br />

bessere Arbeitsbedingungen beispielsweise sollten möglichst<br />

viele Eltern mit Kindern als Teilnehmer gewonnen<br />

werden. Diese würden dort dann schon die brutale Gewalt<br />

der „Ordnungskräfte“ am eigenen Leib erfahren. In Folge<br />

dieser subversiven Strategie würden die konsumtrunkenen<br />

Westbürger aufmerksam auf die kapitalistischen Bedingungen<br />

außerhalb ihrer neugewonnenen<br />

Komfortzone. Vielfältige Eigenbewegungen<br />

der Individuen gegen<br />

die erkannte Allianz von Staat und<br />

privaten Wirtschaftsinteressen waren<br />

also das Ziel der damaligen westlichen<br />

Subversion als Strategie. Umgekehrt<br />

sah die Organisation der Rechtschaffenen<br />

sich durch Individualität solcher<br />

Art bedroht. Heute ist diese Furcht vor<br />

subversiven Elementen kaum mehr<br />

vorstellbar.Die vermeintliche<br />

Wahlfreiheit zwischen<br />

gesellschaftlicher<br />

Auseinandersetzungskultur<br />

und Konsumfreiheit<br />

wurde früh von manch genialer Werbung<br />

begleitet: 1968 im Afri-Cola-<br />

Rausch: „Sexy-mini-super-flower-pop-op-cola – alles ist<br />

in AFRI-COLA!“ Diese Erweiterung des Partybewusstseins<br />

sollte die als strikt erlebten Gesellschaftsnormen, wenn<br />

nicht negieren, dann doch überwinden helfen. Das so<br />

erweiterte Konsumbewusstsein vernebelte allerdings<br />

auch das konkrete Ziel der Subversion nach stärkerem<br />

Wachbewusstsein.<br />

Zu b)<br />

Zunehmend dreht sich die ursprünglich emanzipatorisch<br />

verstandene Strategie der Subversion<br />

des bürgerlichen Einzelnen gegenüber<br />

dem Staat im wirtschaftlichen Alltag<br />

um. Die individuelle Bereitschaft zur emanzipierten Teilhabe<br />

und selbstbewussten Mitverantwortung der Angestellten<br />

dient heute vornehmlich der erwarteten Profitmaximierung,<br />

statt den Sinn für selbst gesteckte Ziele zu stärken.<br />

Auf jeder Ebene und in jeder Position<br />

machen wir uns heute in Organisationen<br />

selbst gehörigen Druck. Angesichts der<br />

uns permanent vorgehaltenen Kennzahlen<br />

über unsere eigene Relevanz, die aus dem Marktgeschehen<br />

abgeleitet sind und damit objektiv erscheinen,<br />

erleben wir die systemischen Ziele identisch mit unseren<br />

eigenen. Die Führungsebene verlagert das Unternehmensziel,<br />

den Wunsch des Kunden zu erfüllen und damit<br />

den Profit zu maximieren, in die Hand jedes einzelnen<br />

Mitarbeiters, der dieses Ziel zu seinem eigenen, persönlichen<br />

erhöht. Die indirekte Führung in Unternehmen ver-


<strong>Geheimsache</strong> #8<br />

18<br />

feinert sich geradewegs zur psychologischen Methode.<br />

Die Ansprüche und Ziele des Human-Resources-Managements<br />

werden durch die Architektur der Arbeitsumgebung<br />

und die allgegenwärtige Feedback-Kultur des Unternehmens<br />

vom Mitarbeiter derart verinnerlicht, dass er sich<br />

mehr und mehr im Sinne des Kapitalismus selbst steuert.<br />

Hat die Subversion ihre Richtung geändert?<br />

Zumindest setzt das Individuum nun seine<br />

tiefsten Kräfte frei, um die eigenen<br />

Erwartungen für die systemisch erfahrenen<br />

Umstände zu befriedigen. Das Assessment Center<br />

sitzt permanent in uns zu Gericht. „Work Hard – Play Hard“<br />

(2011), dieser Dokumentarfilm von Carmen Losmann nimmt<br />

uns schwellenlos in die schöne neue Designwelt für optimiertes<br />

Tätigsein mit. Die vorgeführte Heilswelt der neuen<br />

Arbeit lässt das Publikum stutzen. Kürzlich ist der lesenswerte<br />

Reader zum Film mit Essays samt Reaktionen aus<br />

dem Berateralltag erschienen. Der Anspruch zur freudigen<br />

Selbständigkeit verkehrt sich zur All-inclusive-Knechtschaft,<br />

die zum Privileg verklärt wird nach dem Motto „Lieber so<br />

als anders.“ Unterschwellig wie noch nie gleiten wir in die<br />

schöne neue Welt der Arbeit: 2.0, 3.0, 4.0 … Wie die<br />

Individuen im Liberalismus zu „Wohlstand“ und „Erfolg“<br />

verdonnert sind, hatte Michel Foucault 1980 die „Subjektivierung<br />

der Wahrheit“ genannt. 2 Und die Kunst nimmt<br />

den sanften Weg?<br />

Subversion und Individualität<br />

In gesellschaftlichen Systemen kann zwischen<br />

Kunst, Politik und Wirtschaft ein subversives<br />

Spiel herrschen, produktiv oder destruktiv. Solch<br />

eine ungezügelte Aussicht mag manche ermatten,<br />

sich und andere lieber in folgenloser Mittellage zu<br />

wiegen, um sich aus der historisch kurzen Selbstbestimmung<br />

in der Nischenexistenz geschmeidig zur schnurrenden<br />

Hauskatze am wärmenden Ofen der Unterhaltungsfinanzierung<br />

zu veredeln (siehe Fußnote 1). Individualität<br />

aufrechtzuerhalten, erscheint aussichtslos unter dem Schutzangebot<br />

des Systems, das der Soziologe Ralf Dahrendorf<br />

schon in den Sechzigerjahren anprangerte. Selbst die vielfach<br />

Privilegierten erleben sich unter wachsendem Zwang<br />

als unselbständige Lemminge, als eingepferchte Funktionsgehilfen.<br />

Die ehemals umstülpenden Ansprüche werden<br />

von ihnen überführt in Angst um die eigenen, privaten Privilegien<br />

in ziselierter Alternativlosigkeit.<br />

Dem liberalen Herrschaftsforscher Dahrendorf<br />

war die Gesellschaft allein schon<br />

deshalb ein Dorn im Auge, weil deren<br />

Sanktionen den geburtsbedingten Persönlichkeitsversuch<br />

des Einzelnen zu löschen trachten.<br />

Dahrendorf empfand daher den Konflikt als „eine hervorragende,<br />

schöpferische Kraft“. Mit dieser Haltung hielt er<br />

sich zehn Jahre lang in der Position des leitenden Direktors<br />

der London School of Economics and Political Science<br />

(LSE) und danach ebenso lange als Rektor des St. Antony’s<br />

College in Oxford. 3 Der später geadelte Sir Ralf erkannte<br />

sich als Teil einer elitären Minderheit im täglichen Kampf<br />

gegen die Versuchungen der Unfreiheit. Seine privilegierte<br />

Position nutzte Dahrendorf daher auch dafür, sich für<br />

das Grundeinkommen als „Bürgergeld“ einzusetzen.<br />

Der Mensch ist das Wesen, das sich jeden<br />

Tag aus Freiheit eigene und neue Ziele<br />

stecken kann. Organisationen verfolgen<br />

etwas konträr Wirkendes, sie wollen vorausplanen<br />

und versprechen Sicherheit. Innovatives stört<br />

unkalkulierbar den mechanistischen Ablauf und wird daher<br />

als Gewürz und zur Färbung lieber extern zugekauft. Also<br />

steht das kreative Individuum den Rahmenbedingungen<br />

konstitutiv bestärkend gegenüber. Der Zusammenhang<br />

zwischen Systemdruck und Verlust der Freiheit bleibt weiterhin<br />

bestehen. Das Individuelle des Menschen spiegelt<br />

sich heute geradezu in seiner Fähigkeit zur Subversion.<br />

Wenn meine individuelle Aufgabe zur Selbsterkenntnis<br />

allerdings die Frage nach dem allgemein Menschlichen<br />

verliert, verkrümme ich mich narzisstisch. Die Fähigkeit<br />

des Einzelnen zum selbst ermächtigten Handeln entschwindet<br />

an der Systemlogik vorbei, anstatt mit dieser in den<br />

Kampf zu treten. Ist das Spiel damit aussichtslos geworden?<br />

Ist die Subversion zur bloßen Vermeidungshaltung<br />

degeneriert angesichts der Übermacht des Systems? Oder<br />

zeigt sich gerade in der vom System unabhängigen Handlungslogik<br />

wirkliche Freiheit, die sich nicht mehr in der<br />

bloßen Reaktion auf das System legitimiert?<br />

Mit dem Maultier unterwegs in<br />

öffentlichen Angelegenheiten<br />

Der Konzeptkünstler Merlin Bauer setzt in<br />

seinen performanceähnlichen Aufführungen<br />

die inszenatorische Praxis im öffentlichen<br />

Raum um. Er führt mit dem Straßentheater<br />

eine alte künstlerische Form vor – und setzt<br />

von vornherein auf die subversive Kraft der schwachen,<br />

man könnte sagen, hilflosen Geste.<br />

Mit dem Maultier durch Köln – in öffentlichen<br />

Angelegenheiten unterwegs“ führt<br />

das Publikum von Station zu Station und<br />

„<br />

lässt zum Beispiel vor deren Augen eine<br />

riesige Zeichnung auf der Kölner Domplatte anfertigen.<br />

Dort, wo normalerweise die Touristen den Pastellkunsthandwerkern<br />

ein paar Cent hinwerfen, verweist diese monumentale<br />

Kreidedarstellung bis zum nächsten Regen auf die<br />

Finanzströme einer Public-private-Partnership zwischen<br />

kommunalen und privaten Banken und der Stadtverwaltung.<br />

Zusätzlich gewinnt der Künstler professionelle Chorsänger<br />

dafür, vor Kirchenportalen Schimpflieder gegen die Verquickung<br />

von städtischen Betrieben und Privatinteressen zu<br />

intonieren. Im weiteren Verlauf der Tour provoziert sein Alter<br />

Ego „Berlin Mauer“ als Hauptstadtrepräsentant mit einer<br />

Schmährede die erwürdige Bronzestatue des Kölner Ex-<br />

Bürgermeisters und Altkanzlers Konrad Adenauer, dessen<br />

Nachkommen bis heute die Kölner Geschicke leiten.<br />

Schon für seinen Karnevalswagen und dessen<br />

Teilnahme im offiziellen Kölner Rosenmontagszug<br />

2010 aktivierte der Künstler gern Publikumsperspektiven,<br />

z. B. bei den Verantwortlichen<br />

des 1. FC Köln und dessen Fans mit dem Slogan „Ihr<br />

seid Künstler und wir nicht!“ Das Karnevaleske der Aktion<br />

gegen den voreiligen Abriss und Neubau des Kölner Schauspielhauses<br />

konnte ein befreiendes Bild des Umsturzes gegen<br />

die Obrigkeit im öffentlichen Leben der Stadt aufzeigen.


DER SUBVERSIVE DOPPELTITEL<br />

19<br />

Zum Abschluss seines intervenierenden Streifzugs<br />

mit dem Maultier durch die Gemeinde<br />

lässt er im September 2012 zum Abschied<br />

der erfolgreichen und doch von der Obrigkeit<br />

geschassten Schauspielintendantin an die Fahnenstange<br />

auf dem Offenbachplatz noch ein Banner hissen:<br />

„Employee of the Year“, als Zitat aus der aktuellen griechischen<br />

Protestbewegung. „Mit dem Maultier durch Köln –<br />

In öffentlichen Angelegenheiten unterwegs“ hat das Format<br />

eines Evergreens.<br />

Vom Glauben an die Unfreiheit frei werden,<br />

heißt frei werden.“ 4 Es bleibt die<br />

Frage, wie wir Neuem Gehör verschaffen<br />

– zunächst in uns – und wie wir dann<br />

tatsächliche Veränderungen anbahnen, gerade dann, wenn<br />

individuelle Impulse der Systemlogik zu widersprechen<br />

scheinen. 5 „Aber Abhängigkeit hebt Selbstständigkeit, hebt<br />

Freiheit nicht auf. Sie bestimmt nicht das Wesen …“ 6<br />

Abspann<br />

Um seine Strategie zu ändern, verlässt nach<br />

dem offiziellen Verbot der Rheinischen Zeitung<br />

für Politik, Handel und Gewerbe in<br />

Köln deren Chefredakteur Karl Marx 1843<br />

die Stadt in Richtung Paris: „Man muss jede Sphäre der<br />

deutschen Gesellschaft als die partie honteuse [den Schandfleck]<br />

der deutschen Gesellschaft schildern, man muss<br />

diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen,<br />

dass man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt!“ 7<br />

•<br />

1 Abramović erliegt<br />

aktuell mit ihrem Werbefilm<br />

für adidas der subversiven<br />

Umarmung durch<br />

das Unternehmen. Adidas<br />

bietet ausgewählten Kulturtreibenden<br />

die Mittel,<br />

eine selbst gewählte<br />

Geschichte in einem Filmspot<br />

zu erzählen. Als<br />

anerkannte Großmeisterin<br />

der Kunst hat sie alle<br />

Freiheiten und verfängt<br />

sich in der Leistungssportästhetik<br />

ihres gastgebenden<br />

Verführers.<br />

2 Siehe dazu Foucault,<br />

Michel, Die Regierung der<br />

Lebenden. Vorlesungen am<br />

Collège de France 1979–<br />

1980, Berlin 2014; und<br />

Riechermann, Cord, in der<br />

Frankfurter Allgemeinen<br />

Sonntagszeitung vom<br />

13. Juli 2014, „Die Macht<br />

allein macht es auch<br />

nicht.“<br />

3 Ralfs Vater Gustaf<br />

Dahrendorf hatte 1933 noch<br />

eigensinnig gegen das<br />

Ermächtigungsgesetz<br />

gestimmt und damit seine<br />

Inhaftierung und anschließende<br />

Arbeitslosigkeit<br />

sehenden Auges in Kauf<br />

genommen. Bei den Dahrendorfs<br />

hat also die antiautoritäre<br />

Fackelübergabe<br />

zwischen Vater und Sohn<br />

geklappt. – Meinen Kindern<br />

und möglichen Enkelkindern<br />

übergebe ich durch mein<br />

Leben auch eine Fackel.<br />

Wird sie mehr Statusbestätigung<br />

oder doch auch<br />

Lichtbringer sein?<br />

4 Buber, Martin, Ich<br />

und Du, Heidelberg 1883,<br />

zit. nach Reclams Universal-Bibliothek,<br />

Stuttgart<br />

2008<br />

5 „Wenn es der Tragödie<br />

gelingt, das Geheimnis des<br />

menschlichen Schreckens<br />

tief auszuloten, und der<br />

Zuschauer von ‚dem heiligen<br />

Schrecken‘ erfasst<br />

wird, kann Läuterung, die<br />

sich daraus ergibt, als<br />

innere Umkehr, als geistige<br />

Erhebung verstanden werden.<br />

[…] Diese Sicht der Dinge<br />

zeigt uns, dass nur die<br />

geistige Umkehr und Verwandlung<br />

es gewissen Formen<br />

menschlicher Tragik<br />

erlauben, in Schönheit<br />

überzugehen.“ In: Cheng,<br />

Francois, Fünf Meditationen<br />

über die Schönheit, Verlag<br />

C. H. Beck, München 2008<br />

6 Schelling, Friedrich<br />

W. J., Über das Wesen der<br />

menschlichen Freiheit,<br />

zit. nach Reclams Universal-Bibliothek,<br />

Stuttgart<br />

1986. Am Ende des Büchleins<br />

heißt es noch: „Das<br />

Band unserer Persönlichkeit<br />

ist der Geist. Und<br />

wenn nur die werktätige<br />

Verbindung beider Prinzipien<br />

schaffend und<br />

erzeugend werden kann, so<br />

ist die Begeisterung im<br />

eigentlichen Sinn das<br />

wirksame Prinzip jeder<br />

erzeugenden und bildenden<br />

Kunst oder Wissenschaft.“<br />

7 Marx, Karl; Engels,<br />

Friedrich, Werke, Diez<br />

Verlag, Bd. 1, Berlin 1956,<br />

S. 381


Our Future<br />

is Co Created<br />

Xin Chen<br />

CEO<br />

@HeroBakery<br />

The World’s First Address of NextGeneration #ChinaGermany


Menschen werden sich<br />

auch künftig treffen,<br />

um Gemeinschaft und<br />

Identität zu finden,<br />

Sich auszutauschen und<br />

weiterzubilden.<br />

Hiskia Wiesner<br />

Leiterin Kongresse & Tagungen<br />

Leipzig Tourismus und Marketing GmbH


WER<br />

DURCH<br />

MEIN<br />

LEBEN<br />

WILL<br />

MUSS<br />

DuRCH<br />

MEIN<br />

ZIMMER


<strong>Geheimsache</strong> #8<br />

24<br />

Erster Brief<br />

Mit sozialistischen GruSS<br />

(Aus Ramturs Nachlass) 1<br />

Lieber Herr Kollege Direktor!<br />

Heute will ich Ihnen schreiben.<br />

Ich bin Herr Ramtur aus der Dreherei<br />

und möchte Ihnen einen Vorschlag<br />

unterbreiten: Schicken sie mir bitte<br />

jeden Monat mein Gehalt zu. Ich<br />

möchte ein Jahr lang nicht arbeiten.<br />

Viele Grüße<br />

Kollege Ramtur<br />

Erste Antwort<br />

Lieber Kollege Ramtur!<br />

Ich habe Ihren Brief bekommen.<br />

Was soll aus unserer Fabrik<br />

werden,wenn alle so denken, wie Sie?<br />

Kommen Sie sofort zur Arbeit.<br />

Kollege Direktor<br />

2<br />

…Was geschah, nachdem sie<br />

die Schule verlassen hatten?<br />

Sie waren damals fünfzehn,<br />

stimmt's?<br />

Ich war fünfzehn, ging in<br />

Berlin auf eine ganz normale<br />

Oberschule und machte nach<br />

der zwölften Klasse mein<br />

Abitur. Ich war in einer neuen<br />

Stadt, besuchte eine normale<br />

Schule, wo es Jungen und<br />

Mädchen gab, wo man<br />

abends nach Hause ging und<br />

eine eigene Meinung haben<br />

konnte. Das war noch vor<br />

dem Mauerbau, als die Leute<br />

nach Westberlin ins Kino<br />

gingen. Für mich war das<br />

alles unglaublich.<br />

Zweiter Brief<br />

Liebe Kollege Direktor!<br />

Ich möchte Ihnen noch einen Vorschlag<br />

machen. Wenn ich ein Jahr nicht arbeite,<br />

hat die Fabrik einen Verlust von 2376<br />

Stunden. Das sind genau 99 Tage. Ein<br />

Jahr hat 52 Sonnabende und 52 Sonntage.<br />

Wenn ich im folgenden Jahr jeden Sonnabend<br />

und Sonntag 24 Stunden arbeite, haben<br />

Sie dazu noch einen Gewinn von 120 Stunden,<br />

die ich dem Betrieb schenke.<br />

Herzlich<br />

Kollege Ramtur<br />

Das hatten sie noch nie gemacht?<br />

Bis dahin nicht. Das war mir<br />

einfach nicht möglich<br />

gewesen. Aber dann fuhr ich<br />

eine Zeitlang rüber nach<br />

Westberlin.<br />

War das etwas völlig Neues für sie?<br />

Zweite Antwort<br />

Lieber Kollege Ramtur!<br />

Das geht alles nicht. Auch ich möchte<br />

manchmal nicht arbeiten und muss<br />

morgens im Bett weinen. Ich habe auch<br />

nicht mehr viel Geduld mit ihnen.<br />

Kollege Direktor<br />

Überschnitt sich das mit ihren<br />

literarischen Interessen?<br />

Aber sicher.<br />

Ich hatte schon in der<br />

Kadettenschule ein<br />

wenig geschrieben.<br />

War das eine Art Flucht oder<br />

ein Mittel, um sich ein wenig<br />

zu distanzieren?


T: Thomas Brasch, zusammengestellt<br />

von Odilo Weber<br />

25<br />

Dritter Brief<br />

Lieber Kollege Direktor!<br />

Ich möchte mich mit meiner Frau<br />

unterhalten über<br />

a) meine Frau<br />

b) mich<br />

c) unsere Ehe<br />

d) Kunst und Fernsehen<br />

e) Haushalt, Reparaturen,<br />

Neuanschaffungen<br />

f) unsere Kinder<br />

(Zustand und Perspektive)<br />

g) das Leben, Qualifizierung,<br />

Weiterbildung<br />

Da ich bisher um 17 Uhr nach Hause kam,<br />

und keine Konzentration hatte,<br />

brauche ich für die genaue Analysierung<br />

der Probleme ein Jahr.<br />

Ich bitte Sie, das einzusehen.<br />

Kollege Ramtur<br />

Dritte Antwort<br />

Kollege Ramtur!<br />

Sie kommen jetzt schon acht Wochen<br />

nicht zur Arbeit. Das habe ich gemeldet.<br />

Sie werden Bescheid bekommen.<br />

Sie haben mich dazu gezwungen.<br />

Vierter Brief<br />

Herr Direktor!<br />

Ich bin jetzt für 15 Monate in einer<br />

verschlossenen Weberei tätig.<br />

Hiermit teile ich Ihnen mit,<br />

daß sich eine Fortführung<br />

unseres Briefwechsels damit erübrigt.<br />

Herr Ramtur 57382<br />

1 „Mit sozialistischem Gruß“,<br />

entnommen dem Band:<br />

Thomas Brasch, „Vor den Vätern<br />

sterben die Söhne“, Rotbuch,<br />

Berlin 1977, S. 88 – 90<br />

2 Thomas Brasch,<br />

„Ich merke mich nur im Chaos.<br />

Interviews 1976–2001“,<br />

(hg. von Martina Hanf),<br />

Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2009,<br />

S. 44 – 85, zitiert aus<br />

einem Interview mit<br />

Thomas Hoernigk, Eberhard Knödler-<br />

Bunte und Lienhard Wawrzyn<br />

Richtig. Diesen Aspekt hatte<br />

es für mich. Ich hatte mir auf<br />

der Kadettenschule – was<br />

mir letztendlich nicht half –<br />

in den Kopf gesetzt, Schriftsteller<br />

zu werden, weil ich<br />

dachte, daß ihnen dann ein<br />

Licht aufgehen und sie mich<br />

rausschmeißen würden. Also<br />

schrieb ich ein paar<br />

Geschichten, Gedichte,<br />

Stücke und so weiter.<br />

Erhielten sie dafür Anerkennung?<br />

Von den Kadetten schon, von<br />

den Offizieren weniger. Es war<br />

ein Versuch. Eigentlich fing ich<br />

mit dem Schreiben an, damit<br />

sie mich rauswarfen, aber<br />

dann erzählten sie mir,<br />

Schriftsteller zu werden, sei<br />

eine ehrenwerte Beschäftigung,<br />

die auch in der Volksarmee<br />

ihren Platz hätte. Man<br />

könnte Kurzgeschichten für<br />

die Armeezeitung schreiben<br />

oder Glossen und solche<br />

Sachen. Sie mussten mich<br />

also nicht rauswerfen, wenn<br />

ich Schriftsteller würde. Außerdem<br />

tischten sie mir noch ein<br />

Argument auf. Schreiben<br />

könne man nicht lernen – was<br />

stimmt – Schreiben verlange<br />

eine intensive Beziehung zum<br />

Leben, auch das ist theoretisch<br />

sicher richtig. Dann<br />

gaben sie mir Gorkis Biographie<br />

zu lesen. Gorki hat nicht<br />

studiert, seine Universität war<br />

die Straße. Das war ihre<br />

ideologische Rechtfertigung,<br />

mich nicht rauszuwerfen. Ich<br />

mußte also andere Wege<br />

probieren, indem ich beispielsweise<br />

Waffen vorschriftswidrig<br />

benutzte oder nach dem<br />

Wecken im Bett liegenblieb<br />

oder mich einfach weigerte,<br />

Schulaufgaben zu machen,<br />

aber nichts davon half …<br />

• • •


<strong>Geheimsache</strong> #8<br />

26<br />

ZWISCHEN DEN BILDERN ENTZÜNDEN DIE<br />

NERVENSÄGEN 3<br />

einander aufreibend die Sehnsucht nach<br />

dem roten Wahnsinn. Zwischen den Bildern<br />

klaffen die schweigenden Löcher aufgetan<br />

zum großen Fall zurück in den Schoß. Das<br />

ist Theater und kein Vorhang senkt sich<br />

über der mächtig behaarten Votze.<br />

In den Bildern Männer und Frauen oder<br />

Männer gegen Frauen hetzten einander wie<br />

Tiere im Fell reiben einander wie Tiere<br />

im Fell bis endlich endlich eines aufschreit<br />

und fällt. Da liegt es auf den<br />

glattgehobelten Brettern und kratzt an den<br />

Wachsflecken und sagt endlich nichts mehr.<br />

Zwischen den Bildern will ich leben, wenn<br />

die Hauptpersonen Atem holen zum nächsten<br />

Schlag zum nächsten Satz, zwischen<br />

den Bildern will ich meine Fratze sehen<br />

am geschlossenen Vorhang, versteckt vor<br />

den weißen Ingenieuren, zwischen den<br />

Bildern mein Stück in dem nichts mehr<br />

geschieht.<br />

... sie müssen verstehen, dass<br />

ein Teil meiner Altersgenossen<br />

Westberlin besuchte. Allerdings<br />

aus anderen Gründen als ich.<br />

Sie kauften sich meistens keine<br />

Bücher, sondern Jeans und<br />

Nylonjacken, die gerade „in“<br />

waren. Um 1960 liefen in der<br />

Schule plötzlich alle mit<br />

Nylonjacken herum. Später dann<br />

schritt die FDJ gegen unsere<br />

neuen Parkas und Kappen ein.<br />

Sie schickten Sicherheitsgruppen<br />

der FDJ, die dann vor der<br />

Schule standen und uns die<br />

Jacken wieder wegnahmen. An<br />

ihnen würde das Blut der<br />

Vietnamesen kleben, sagten sie<br />

– was durchaus richtig gewesen<br />

sein mag. Trotzdem wird ein<br />

Prozess in Gang gesetzt, den<br />

ich für problematisch halte: Als<br />

Reaktion auf solche Dinge fängt<br />

man nämlich an, reaktionär zu<br />

werden. Ich habe zum Beispiel<br />

gedacht: „Was gehen uns die<br />

Vietnamesen an, du Arschloch.<br />

Gib mir einfach meine Jacke<br />

zurück!“<br />

Könnten sie das noch ein<br />

wenig genauer ausführen?<br />

Das ist ein wichtiger Punkt.<br />

3 Aus dem Band: Thomas Brasch,<br />

„Wer durch mein Leben will,<br />

muss durch mein Zimmer“, Gedichte<br />

aus dem Nachlaß, (hg. von Fritz<br />

J. Raddatz; Katharina Thalbach),<br />

Suhrkamp, Frankfurt a. M.<br />

2002, S. 118<br />

4 „Der Schlag gegen den Kopf des<br />

Ochsen“ und „Mit sozialistischem<br />

Gruß“, entnommen dem Band:<br />

Thomas Brasch, „Vor den Vätern<br />

sterben die Söhne“, Rotbuch,<br />

Berlin 1977, S. 71 f.<br />

Nun, wenn die Regierung, die<br />

herrschende Macht, auf alles<br />

Anspruch erhebt, was mit Marxismus<br />

zu tun hat oder was angeblich<br />

„revolutionär“ ist, dann ist der<br />

einzige Weg meiner Generation<br />

– die natürlich gegen die existierende<br />

Macht beziehungsweise<br />

gegen Autorität im allgemeinen<br />

rebelliert –,, darauf zu reagieren,<br />

indem sie in kindlichen Starrsinn<br />

zurückfällt. Und weil Westberlin zu<br />

war und die Studenten damals –<br />

sie erinnern sich sicher noch an die<br />

Studentengeneration mit den<br />

kurzen Haaren und den Stehkragen<br />

– mehr oder weniger reaktionär<br />

waren, ahmten wir sie einfach nach.<br />

Was dazu führte, dass wir ihr reaktionäres<br />

Gehabe zu unserer Form<br />

der Revolte machten.


Wer durch mein Leben will muss durch mein Zimmer<br />

27<br />

Der Schlag gegen den Kopf des Ochsen 4<br />

Ramtur lehnte am Spänewagen und wartet, daß<br />

sein Herz zu schlagen aufhört. Sein Kopf<br />

liegt auf seinem Arm, über dem Rand des<br />

Wagens, zwischen den Spänen. Seine Augen<br />

sind geschlossen. Er ist sicher, daß er<br />

tot sein wird, bevor die Frühschicht zu<br />

Ende ist. Er steht zwischen zwei Karusselldrehbänken.<br />

Er ist 65 Jahre alt. Er hat den<br />

Amnestierten angesehen, als die Dreher auf<br />

ihn wiesen und sagten: Bis eine Fräsbank<br />

frei ist, mußt du mit dem da Dreck räumen.<br />

Der wird dir erzählen, daß er Generalfeldmarschall<br />

Göring geohrfeigt hat, daß die<br />

australische Polizei seinen Sohn erschossen<br />

hat, weil er in die DDR zurückwollte, daß<br />

er eine Lampe mit Buntpapier umwickelt und<br />

vor den Bildschirm stellt, damit er farbfernsehen<br />

kann, daß er beim Zirkus Sarrasani<br />

war und Verbesserungsvorschläge an<br />

die UNO schickt. Aber der glaubt sich<br />

selber nichts. Der ist schon lange reif für<br />

die Gummizelle. Die geballten Fäuste des<br />

Amnestierten in den Hosentaschen. Sie<br />

werden mich aus der ​Halle tragen. Sie werden<br />

mein Fahrrad in den Dreck schmeißen. Sie<br />

werden mein Foto aus der Kaderakte nehmen<br />

und ans schwarze Brett hinter den Schleifscheiben<br />

hängen. Er hält seine Schaufel mit<br />

seinen Schenkeln zwischen seinen Beinen. Er<br />

hört das Pochen in seinem Fleisch und das<br />

Echo aus seinen Kniekehlen. Er hat das<br />

Surren gehört, als der Schraubstock durch<br />

die Luft flog, bevor er ihm gegen den<br />

Brustkorb schlug. Wie der Amnestierte abgewinkt<br />

hat, als die Fräser ihm anboten,<br />

seine Maschine einzurichten: Kann ich<br />

selber. Du lernst auch noch, dich anzupassen.<br />

Ich laß mich nicht zum Kuli machen<br />

wie ihr. Ein Jahr Bewährung, und dann habt<br />

ihr mich in diesem Stall zum letzten Mal<br />

gesehen. Wie die Fräser dastanden und dem<br />

Amnestierten zusahen: Der Dorn läuft in die<br />

falsche Richtung, gleich wird ihm der<br />

Schraubstock um die Ohren krachen. Wie er<br />

den Amnestierten von der Maschine weggerissen<br />

hatte, als der Schraubstock aus der<br />

Halterung flog und durch die Luft. Das<br />

Surren des Stahls in der Luft, der Schlag<br />

gegen den Kopf des Ochsen. Der Fall in den<br />

Spänehaufen. Vierzig Jahre, ein Auge aus<br />

Glas, und die Facharbeiter schreien. Dreckräumer,<br />

Knastologenkumpel. Wie er abgewinkt<br />

hatte, als der Meister ihn fragte, ob er<br />

sich verletzt habe. Wie der Amnestierte ihn<br />

hochzog. Aber das Summen in der Luft und<br />

die geballten Fäuste des Amnestierten, als<br />

die Fräser über die Geschichten lachten. Er<br />

weiß jetzt, daß er mit dem Sterben fertig<br />

ist, bevor die Sirene heult.<br />

... wie haben Sie und Ihre<br />

Freunde sich in dieser Haltung<br />

unterstützt? Haben Sie sich<br />

zusammengeschlossen und<br />

Musik gehört? Sind Sie<br />

zusammen ins Kino gegangen?<br />

Ja, wir haben zusammen<br />

Bänder aufgenommen und<br />

solche Sachen. Ich hatte zum<br />

Beispiel nicht das Geld, um<br />

mir Westsachen zu kaufen,<br />

aber ich habe in den Ferien<br />

immer in der Fabrik gearbeitet<br />

und mir genug für ein<br />

Tonbandgerät zusammengespart.<br />

Dann habe ich Schallplatten<br />

ausgeliehen von<br />

Freunden, die Geld hatten,<br />

um sich im Westen welche zu<br />

besorgen, und Bänder<br />

zusammengestellt. Aus<br />

solchen scheinbar unbedeutenden<br />

Anlässen entstehen<br />

wie von selbst fest organisierte<br />

Gruppen. In Polen zum<br />

Beispiel gibt es eine weit<br />

verbreitete Platten-Subkultur.<br />

Illegale Buchhändler haben<br />

verbotene Platten unter dem<br />

Tresen, die sie für vierzig oder<br />

fünfzig Zloty an Leute<br />

verleihen, und die nehmen<br />

sie zu Hause auf Tonband auf.<br />

Nahm diese gegenseitige<br />

Unterstützung auch politische<br />

Formen an? Was nicht heißen<br />

soll, daß das, was Sie gerade<br />

erzählt haben, unpolitisch ist.


<strong>Geheimsache</strong> #8<br />

28<br />

Im gleichen Moment 5<br />

… Wenn er hier, in Mantel und Stiefeln,<br />

auf dem Heimweg befindlich, den Arm<br />

leicht gebeugt auf dem Rücken, zu den<br />

Sternen aufschaut …<br />

… Wenn sie dort ein Lid schiebt aufs<br />

andere wegen der Sonne, das Buch auf den<br />

Knien, angelehnt an die Rückwand der<br />

Bank …<br />

haben beide den gleichen Gedanken:<br />

Wir sehen uns nie, weil die, die<br />

dazwischen, einander nicht kennen.<br />

MEIN VOLK IST FREI. JETZT KANN ES TUN 6<br />

was es mit sich tun läßt.<br />

Stoß es aus seinen bunten Schuhn<br />

Gib’ ihm den Rest.<br />

Thomas Brasch wurde am 19. Februar<br />

1945 in Westow/Yorkshire (England)<br />

als Sohn jüdischer Emigranten geboren.<br />

1946 siedelte die Familie nach<br />

Deutschland in die sowjetische<br />

Besatzungszone. 1968 wurde er wegen<br />

„staatsfeindlicher Hetze“ zu 27<br />

Monaten Haft verurteilt. Sein<br />

Vater, ein hoher SED-Funktionär,<br />

hatte ihn bei der Stasi angezeigt.<br />

Im Dezember 1976 wird ihm zusammen<br />

mit seiner Lebensgefährtin Katharina<br />

Thalbach eine „einmalige<br />

Ausreise zwecks Übersiedlung aus<br />

der DDR“ gestattet. Er veröffentlichte<br />

zahlreiche Lyrikbände, Prosa<br />

und Theaterstücke. Außerdem drei<br />

Kinofilme. Am 3.November 2001 verstarb<br />

Thomas Brasch in Berlin.<br />

Natürlich nicht. Unpolitisch ist<br />

es nur am Anfang. Sie wissen<br />

ja – oder vielleicht wissen sie<br />

hier drüben auch nichts<br />

davon –, daß es eine<br />

berühmte Demonstration gab,<br />

die sogenannte „Hippie-<br />

Demonstration“ in Leipzig,<br />

1966, nach der bei einem<br />

internationalen Fußballspiel<br />

zwischen dreißig- und<br />

vierzigtausend Leute mitmachten.<br />

Das betrifft genau<br />

das, worüber wir diskutiert<br />

haben. Es passierte so: In<br />

praktisch jedem Bezirk gibt<br />

es Leute, die sich wegen<br />

dieser Schallplattengeschichte<br />

in einer festen Gruppe<br />

organisiert haben. Wie eine<br />

Partei. In Dresden oder im<br />

Kreis X, Y oder Z kennt jeder,<br />

der in dieser illegalen Gruppe<br />

ist, andere Leute. Sie arbeiten<br />

nach dem Prinzip „Fünf“, das<br />

heißt, jeder kennt fünf Leute<br />

und jeder dieser fünf kennt<br />

wiederum fünf andere Leute,<br />

und durch diese Organisationsweise<br />

– Sie können sich<br />

vorstellen, wie effektiv diese<br />

Flüsterpropaganda funktionierte<br />

– kam 1966, nach dem<br />

Fußballspiel zwischen Ungarn<br />

und der DDR, der Aufruf für<br />

die Demonstration zustande.<br />

Die dann auch stattfand. Die<br />

Regierung war darauf gar<br />

nicht vorbereitet.<br />

Was für eine Demonstration<br />

war das?<br />

5 Thomas Brasch, „Wer durch mein<br />

Leben will, muss durch mein<br />

Zimmer“, Gedichte aus dem Nachlaß,<br />

(hg. von Fritz J. Raddatz;<br />

Katharina Thalbach), Suhrkamp,<br />

Frankfurt a. M. 2002, S. 127<br />

6 Thomas Brasch, „Wer durch mein<br />

Leben will, muss durch mein<br />

Zimmer“, Gedichte aus dem Nachlaß,<br />

(hg. von Fritz J. Raddatz;<br />

Katharina Thalbach) Suhrkamp,<br />

Frankfurt a. M. 2002, S. 96<br />

Gegen die Unterdrückung der<br />

Jugend! Nieder mit der<br />

Mauer! Im Grunde genommen<br />

kam alles auf dem Tisch.


29<br />

Fritz Raddatz, Auszug aus der Grabrede<br />

auf dem Dorotheenstädtischen<br />

friedhof, Berlin-Mitte, 2001<br />

„Thomas Brasch war Haut. In der Haut, so<br />

sagt man, nistet die Seele des Menschen.<br />

Er hat seine Haut über diese Welt<br />

gespannt, und die Welt zerbarst. Und<br />

seine Haut zerriß. Er wirkte ja ungebärdig,<br />

und dabei war es eine zärtliche<br />

Ungebärdigkeit. Er wußte als hochentwickelter<br />

Künstler, daß Kunst das Gehärtetete<br />

sein muss. Unter dem Gehärteten,<br />

unter dem Unerbittlichen des Kunstgesetzes<br />

lag aber seine Bittlichkeit.<br />

Immer, wenn Sie genau lesen, ob in Stücken,<br />

in Prosa, vielleicht ganz besonders<br />

in der Lyrik, werden Sie finden<br />

eine Gebärde des Flehentlichen. Sabre<br />

nennt man in Israel die dort Geborenen.<br />

Sabre ist die Kakteenfrucht: außen stachelig<br />

und innen süß und saftig. Thomas<br />

Brasch, nicht dort geboren, war gleichwohl<br />

ein Sabre. Er hat uns eine Welt<br />

vorgeführt, vor der er die Menschen<br />

warnt. Gleichwohl hat er gesagt, sie<br />

möge nicht so sein. Das war der Impetus<br />

des Werks von Thomas Brasch. Deswegen<br />

konnte er Freund sein, deswegen konnte<br />

er die Menschen streicheln, übrigens<br />

nicht nur mit dem Wort, sondern veritabel<br />

streicheln. Eine Umarmung mit Thomas<br />

Brasch war immer gleichzeitig die Umarmung<br />

mit einem großen Stück Traurigkeit.<br />

Diese seltsame Wechselwirkung zwischen<br />

Traurigkeit, Trotz und Zärtlichkeit war,<br />

was für mich den Menschen Thomas Brasch<br />

ausmachte und was sein Werk prägte ...“<br />

•<br />

Die Gedichte entstammen dem Band:<br />

Thomas Brasch, „Wer durch mein<br />

Leben will, muss durch mein Zimmer“,<br />

Gedichte aus dem Nachlaß, (hg.<br />

von Fritz J. Raddatz; Katharina<br />

Thalbach), Suhrkamp, Frankfurt a.<br />

M. 2002<br />

DAS INTERVIEW ENTSTAMMT DEM BAND:<br />

Thomas Brasch, „Ich merke mich<br />

nur im Chaos. Interviews<br />

1976 – 2001“, (hg. von Martina Hanf),<br />

Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2009<br />

Beim Durchblättern deiner<br />

Bücher ist immer wieder der<br />

Begriff der Haut aufgetaucht.<br />

Ich habe das zuerst überhaupt<br />

nicht gemerkt. Man<br />

fängt an obsessionell zu<br />

werden, ohne daß man es ja<br />

merkt. Irgendjemand hat mich<br />

das mal gefragt, ich habe mir<br />

dann eine Theorie zurechtgelegt,<br />

ob die ehrlich ist, weiß<br />

ich nicht. Sicher ist dieses<br />

Material Haut ja das, was<br />

einerseits mich einschließt<br />

oder hinter dem ich mich<br />

verkleide. Auf der anderen<br />

Seite ist es das Material, was<br />

mich von der Welt trennt und<br />

gleichzeitig mit ihr in Berührung<br />

bringt. Es ist mein<br />

Äußerstes und das Äußerste,<br />

an das Welt kommt. Das<br />

Ritzen von Haut oder etwas<br />

geht einem unter die Haut,<br />

heißt ja, dass die Haut das<br />

Material ist. Was mich in<br />

Berührung bringt mit allem,<br />

was außen ist, und vielleicht<br />

hat es für mich, zu einem<br />

ganz besonderen Zeitpunkt,<br />

beides am besten wiedergegeben.<br />

Auf der einen Seite<br />

das Eingeschlossensein in die<br />

eigene Hülle oder Verkleidung<br />

oder Verpackung, wo<br />

ich manchmal jemand ganz<br />

anderes sein will und eine<br />

andere Verpackung, eine<br />

andere Verkleidung oder gar<br />

keine haben will. Auf der<br />

andern Seite ist es das Organ<br />

oder das Material. Wo die<br />

Welt dich verletzt, ich glaube,<br />

beides ist es.<br />

Erzählungen:<br />

„Der Schlag gegen den Kopf des<br />

Ochsen“ und „Mit sozialistischem<br />

Gruß“, entnommen dem Band:<br />

Thomas Brasch, „Vor den Vätern<br />

sterben die Söhne“, Rotbuch,<br />

Berlin 1977


CAmpAi<br />

for C<br />

30<br />

T:<br />

Andreas<br />

Graf<br />

von<br />

Bernstorff<br />

Die klassischen Medien, also Zeitungen, Radio und Fernsehen<br />

haben sich entkoppelt von den sozialen Institutionen,<br />

denen sie seit Erfindung der Druckpresse und vor allem<br />

im 19. und 20. Jahrhundert einmal ihre Entstehung verdankten:<br />

von den religiösen und sozialen Bewegungen, den<br />

politischen Parteien, Regierungen, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden<br />

und Genossenschaften. Entkoppelt heißt:<br />

Sie sind nicht mehr eigentlich die Medien, durch die etwas


gning<br />

hAnge<br />

hindurch von A(uftraggeber) zu B(eobachter) vermittelt wird.<br />

Sie sind heute Verkäufer von Informationen, Nachrichten<br />

und Bildern in eigener Regie. Sie bewirtschaften als profitorientierte<br />

Unternehmen einen Aufmerksamkeitsmarkt<br />

und nutzen oder kreieren sogar Erregungspotenziale. Der<br />

Titel eines Publizistik-Sammelbandes lautet deshalb auch:<br />

„Wie die Medien die Welt erschaffen und wie die Menschen<br />

darin leben“ (1998).


<strong>Geheimsache</strong> #8<br />

32<br />

Heute hat ein durchschnittlich ausgestatteter<br />

Journalist an jedem Arbeitstag bis<br />

zu Beginn seiner Mittagspause an die tausend<br />

Meldungen auf dem Bildschirm. Wie<br />

sollen wir ihn für unser Anliegen interessieren? Am besten<br />

sprechen wir ihn persönlich an. Zuweilen nützt die sorgfältigste<br />

Einplanung von Nachrichtenfaktoren für unsere<br />

Botschaft nichts. Es gibt zwar Minimalbedingungen für<br />

gelingende Kommunikation, aber keine Erfolgsgarantie.<br />

Medienarbeit ist mehr denn je Beziehungsarbeit nach dem<br />

Motto: Ich kenne jemanden, der mir vertraut, der mein<br />

Anliegen teilt und mich unterstützt. Wenn ein Medium kein<br />

Medium mehr ist, sondern ein Unternehmen, muss ich<br />

mich mit jemandem aus dem Unternehmen verbünden.<br />

Natürlich reichen aber Sympathie und gemeinsames Anliegen<br />

nicht aus. Kein guter Journalist lässt sich für die Verbreitung<br />

von Botschaften Anderer einspannen. Wir müssen<br />

neue Information liefern, unser Anliegen gestalten, ihm<br />

ein Narrativ geben, Stories anbieten, die Dramaturgie vorhalten,<br />

kurz: eine Kampagne planen. Cross Media mit Text,<br />

Sprache, Bildern für alle Medienarten. Ohne Kampagnenplan<br />

lässt sich ein gesellschaftliches Veränderungsprojekt<br />

heute nicht aussichtsreich umsetzen.<br />

In die Medien, die die „Welt erschaffen“, müssen<br />

wir als Veränderer eindringen, offen und erkannt<br />

oder unerkannt und subversiv.<br />

Kampagnen<br />

Kampagnen sind Eingriffe in Politik, Gesellschaft,<br />

Unternehmen oder Marktgeschehen.<br />

Ihr Ziel ist Veränderung – beobachtbar,<br />

messbar oder wenigstens gefühlt, was man<br />

übrigens auch messen kann. Überall, wo es um Veränderung<br />

geht – Image, Marketing, Mobilisierung von Unterstützern<br />

und Spendern, Erschließung neuer Kunden- und<br />

Käuferkreise, Aktivierung von Belegschaften oder ganzen<br />

Bevölkerungsgruppen, Change-Prozesse – überall da kann<br />

man Campaigning Tools einsetzen oder sogar ganze Projekte<br />

und Prozesse als Kampagne fahren.<br />

Campaigning for Change, Kampagne als<br />

Instrument von Veränderung ist bisher<br />

besonders gut entwickelt in zwei<br />

Bereichen. Erstens in der Arbeit der<br />

NGOs (Non Government Organizations), die auf eine Veränderung<br />

im G(overnment)-Bereich abzielt, und zweitens<br />

den politischen Wahlkämpfen, die auf einen Austausch<br />

der G-Leitung, der Regierung abzielen. Beiden gemeinsam<br />

ist das Ziel der Verhaltensänderung oder Änderung<br />

der Verhältnisse in der Exekutive, der Unternehmensleitung,<br />

Verbandsspitze o.ä., also in einem vorab definierten<br />

oder einem zuweilen erst während der laufenden Kampagne<br />

zu bestimmenden Zielsystem. Einem Zielsystem<br />

mit Steuerungsfunktion.<br />

Der Akteur, der Campaigner mit seinem<br />

Auftraggeber, ist im etablierten System<br />

zunächst nicht vorgesehen, geschweige<br />

denn gefragt. Er steht erst mal vor dem<br />

Zaun, durch den er schreit(et). Wie einst Gerhard Schröder,<br />

der nachmalige deutsche Bundeskanzler in jungen Jahren<br />

am Tor des Bundeskanzleramtes rüttelte. Obwohl er nicht<br />

vorgesehen ist, kann er im Zielsystem – dort, wo die Veränderung<br />

stattfinden soll – nachhaltige oder bescheidener<br />

ausgedrückt: dauerhafte Wirkung entfalten. Dazu muss er<br />

sein Bezugssystem, den Kommunikationsraum, in dem er<br />

arbeitet und den er bespielen will, festlegen; er muss die<br />

Subsysteme, die Mitspieler oder Stakeholder definieren,<br />

deuten und auf dem Spielfeld richtig anordnen sowie sich<br />

selbst in eine günstige Ausgangsposition begeben. Das<br />

heißt heute häufig Power Analyse.<br />

Das zweite hochprofessionelle Instrumentarium<br />

für Kampagnen wird seit Jahrzehnten<br />

in US-amerikanischen Wahlkämpfen<br />

und deshalb weltweit<br />

vorbildgebend entwickelt. Hier werden alle Formen der<br />

empirischen Sozialforschung bemüht und alle medialen<br />

Kanäle bespielt; nicht primär, um Gegner und Zweifler<br />

zu überzeugen, sondern um die eigene Anhängerschaft<br />

zu mobilisieren.<br />

Beiden Formen ist noch gemeinsam, dass<br />

sie zunächst keine Macht entfalten (können),<br />

sondern nur Einfluss ausüben, Einfluss<br />

ohne den Einsatz formeller Machtinstrumente.<br />

Kampagnen sind „Feldzüge um die öffentliche<br />

Meinung“, wie überhaupt die ursprüngliche militärische<br />

Wortbedeutung immer wieder hilfreich ist. Campus ist das<br />

Feld, die Campagna, später die Kampagne, der Feldzug:<br />

Bewegung in Raum und Zeit auf ein (Eroberungs-)Ziel hin.<br />

Die Kampagne hat folglich Anfang und Ende und ist nicht<br />

etwas, das man alle Tage, immer, tut.<br />

Warum Kampagnen?<br />

Schauen wir uns Niklas Luhmanns Themenkarrieren<br />

an. Er benennt vier Phasen: die<br />

Latenz-, die Durchbruchs-, Mode- und<br />

schließlich Ablebephase. In der ersten Phase<br />

„schläft“ das Thema, nur wenige Spezialisten befassen<br />

sich damit; dann kommt es zum Durchbruch in die Öffentlichkeit,<br />

es ist in aller Munde (Mode). Wir können dennoch<br />

sicher sein, dass das Thema zwar nicht stirbt, aber „ablebt“.<br />

Jetzt ist es scheintot. Es kann wiederbelebt werden, was<br />

schwer ist, aber bisweilen gelingt.<br />

Man kann kein Thema, keine Kampagne<br />

auf Dauer stellen. Also muss die Kampagne<br />

einen definierten, kurz bemessenen,<br />

Zeitraum haben, oder, wenn das<br />

Vorhaben dafür zu groß ist, in kurze Campaigning-Abschnitte<br />

zerlegt werden, für die man mit viel Aufmerksamkeit<br />

rechnen kann. Günstig sind hier verschiedene Stories unter<br />

gemeinsamem Motto. Überhaupt sind Geschichten, Stories,<br />

nach den Bildern und Symbolen in der Kampagnenarbeit<br />

die wichtigsten emotionalen Anker.<br />

Kampagnen arbeiten mit symbolischer Konfrontation.<br />

An die Stelle von Waffen treten<br />

Bilder, Symbole, Handlungsfiguren. Ein tragendes<br />

Element des Campaigning ist das<br />

Zeugnisablegen (bearing witness). Die Akteure begeben<br />

sich an den Ort der Tat (der Untat, den Tatort) beispielsweise<br />

ein industrielles Abwasserrohr oder ein Feld mit<br />

gentechnisch verändertem Mais. Sie künden vor Ort von


Subversion I<br />

Greenpeace will einen stinkenden<br />

Fabrikschlot mit einem Banner<br />

dekorieren. Das Fabrikgelände ist<br />

abgesperrt und von Werkschutz bewacht.<br />

Wie kommen wir hinein? Unerkannt.<br />

Wir nennen uns „Friedemann Grün –<br />

Rohrleitungsbau“, so steht’s auf dem<br />

VW-Bus, eine Klempnerwerkstatt<br />

vortäuschend. „Hohe Brücke 1 2000<br />

Hamburg 11“. Das ist die richtige<br />

Adresse. Ein gefälschter Passierschein<br />

enthält den Vermerk „Dieses Dokument<br />

berechtigt nicht zum Betreten des<br />

Geländes“. Kleiner gedruckt als der<br />

Rest, aber nicht unlesbar und auch<br />

nicht auf der Rückseite. Wenn die<br />

Werkschützer es bemerken, dann war es<br />

unser Pech. Wenn sie es nicht bemerken,<br />

sind wir vor Strafverfolgung wegen<br />

Hausfriedensbruchs geschützt. Sie<br />

merken es erst, als das Banner hängt.<br />

Und das wird weithin bemerkt.<br />

Begründung<br />

Anders kommen wir nicht hin<br />

(auf den Kamin).<br />

Quelle<br />

Bernstorff, Andreas Graf von, Einführung<br />

in das Campaigning, Carl-Auer-Verlag,<br />

Heidelberg 2012, S. 19 f.


35<br />

Subversion II<br />

Am 3. Dezember 2004, dem<br />

20. Jahrestag des Chemieunfalls<br />

von Bhopal, Indien,<br />

meldet der Deutschlandfunk<br />

mehrmals am Vormittag:<br />

Dow Chemical als Eigentümer<br />

der Verursacherfirma Union<br />

Carbide wolle sich zu<br />

seiner Pflicht bekennen und<br />

werde zwölf Milliarden<br />

US-Dollar an die Familien<br />

der mehr als 3.000 Toten<br />

und 120.000 Verletzten von<br />

Bhopal auszahlen: „Ich bin<br />

sehr glücklich, dass ich<br />

heute mitteilen kann, dass<br />

Dow erstmals die volle<br />

Verantwortung für die Katastrophe<br />

in Bhopal übernimmt.<br />

[…] Wir haben<br />

beschlossen, Union Carbide<br />

zu liquidieren, diesen<br />

Albtraum für die Welt, der<br />

Dow Kopfschmerzen bereitet“,<br />

habe Dow-Sprecher Jude<br />

Finisterra der britischen<br />

BBC gesagt. Es folgt ein<br />

Dementi, und „Jude Finisterrra“<br />

stellt sich als<br />

Yes Man Andy Bichlbaum<br />

heraus. In der Zwischenzeit<br />

ist der Wert von Dow Chemical<br />

an der Börse um circa<br />

zwei Milliarden Dollar<br />

gesunken. Immer wieder<br />

lancieren die Yes Men<br />

derartige Fakes.<br />

Begründung<br />

Wenn die großen Medien unsere<br />

Forderung nicht bringen<br />

wollen, dann verabreichen wir<br />

sie eben als Meldung mit<br />

höchstem Nachrichtenwert:<br />

überraschend, aktuell, von<br />

globaler Bedeutung etc.<br />

Quelle<br />

www.theyesmen.org/hijinks/<br />

bbcbhopal


<strong>Geheimsache</strong> #8<br />

36<br />

dem Unrecht, indem sie die Medien mobilisieren; sie legen<br />

Hand an, um das Unrecht (ab) zu wenden. Sie verstopfen<br />

das Abwasserrohr oder pflügen den Maisacker um. Das<br />

ist schon stellvertretendes Handeln, sie tun, was die Verantwortlichen<br />

ihrer Meinung nach tun sollten. Entscheidend<br />

bei all dem ist nicht, dass gehandelt wird, sondern,<br />

dass das Handeln gezeigt und gesehen, kommuniziert<br />

wird. In der Regel zielen Kampagnen auf eine bestimmte<br />

Lösung an einem einzigen Ort der Veränderung (= Zielsystem).<br />

Campaigner sagen nicht: Das könnte oder sollte<br />

anders sein, sondern: So muss es sein.<br />

Was braucht man dazu?<br />

Voraussetzungen für den wirksamen Einsatz<br />

von Kampagnen sind mindestens<br />

drei Menschen mit Veränderungswillen,<br />

Mut, Phantasie und Planungsdisziplin. Drei<br />

Menschen können mit einem quasi Null-Budget durch<br />

Aufsehen erregende Aktionen und Öffentlichkeitsarbeit<br />

vieles verhindern oder erreichen. Eine Bundesbehörde<br />

kann unter Einsatz einiger Millionen Euro in einem halben<br />

Jahr ein paar Tausend Leute dazu bringen, anders als zuvor<br />

bei der Liebe Kondome zu benutzen. „Gib Aids keine Chance“<br />

unter anderem mit dem Slogan: „Ich hab immer einen<br />

Gummi dabei – meinen Schwanz vergess’ ich ja auch<br />

nicht“, ist ein gutes Beispiel. Leider sind die meisten Regierungs-<br />

und Behördenkampagnen sonst aber schlecht<br />

gemacht und wirkungslos.<br />

Zur Standardausstattung jeder Kampagnenarbeit<br />

gehören: Slogans und auch Logos als<br />

kleinste Kommunikationseinheiten, eine kurze<br />

Problemerklärung, ein kurzer Medientext<br />

auf maximal einer Seite (wie eine Presseerklärung), dazu<br />

mehrseitige Hintergrundberichte, oft Fact Sheet oder Digest<br />

genannt, mit Zitaten und Nachweisen in Fußnoten. Sie<br />

dienen dem Kompetenznachweis der Akteure.<br />

Günstig sind Fallstudien, die am Beispiel<br />

lebender Personen oder Wesen das<br />

Anliegen der Kampagne anschaulich<br />

und nachvollziehbar machen. Hiermit<br />

kommen wir dem häufig geäußerten Wunsch der Medien<br />

nach Protagonisten und Stories nach. Solche Elemente<br />

werden heutzutage auf YouTube-tauglichen Filmchen in<br />

Szene gesetzt und haben in etlichen Fällen eine rasende<br />

Verbreitung gefunden. In derselben Form müssen auch<br />

Kurzinterviews (Soundbites und Videoclips) und Statements<br />

der Verantwortlichen verfügbar sein. Denn es geht nicht<br />

um das Handeln selbst, sondern um das sichtbar und<br />

bekannt Machen des Handelns.<br />

Die Planung<br />

Die Gedankenführung bei der Kampagnenplanung<br />

beginnt bei einer großen Idee,<br />

dem Anliegen, und leitet dann zur Bestimmung<br />

der Relevanz des Themas für ein<br />

Bezugssystem über (alle Deutschen, die Jugend von Mannheim,<br />

die Mitarbeiter am Standort X, alle Führungskräfte<br />

eines Konzerns oder auch die ganze Welt). Das ist der<br />

Kommunikationsraum, den man zu bespielen plant.<br />

Die nun folgende Festlegung von Ziel und<br />

Zielsystem führt dorthin, wo die Veränderung<br />

stattfinden soll, also in die Geschäftsführung,<br />

den Aufsichtsrat, das Bundesministerium<br />

X, die Gewerkschaftszentrale Y und gelingt<br />

realistisch erst durch das Bestimmen der Faktoren Zeitrahmen<br />

und Ressourcen. Dazu gehören Personal, Arbeitszeit,<br />

Budget, nutzbare Expertise, Social Media Reichweite,<br />

Autos, Schiffe …<br />

Nach der Entwicklung von Slogan und Ziel<br />

werden die geeigneten Elemente und<br />

Handlungsformen bestimmt und in eine<br />

räumliche und zeitliche Ordnung gebracht.<br />

Nur so gelingt es, die Kampagne als strategische (Konflikt-)Inszenierung<br />

zu führen, mit kalkulierten Eskalationsstufen,<br />

Höhepunkten und Ausstiegsszenarien. Dabei ist<br />

auf größtmögliche Wiedererkennbarkeit zu achten.<br />

Beschränkung auf das Wesentliche<br />

Die Arbeit der Zuspitzung folgt dem Gebot<br />

der Reduktion: Dazu gehört, dass immer<br />

dieselbe Person spricht. Sie ist das Gesicht<br />

der Kampagne, sie verkündet immer den<br />

gleichen Slogan, verknüpft mit immer den gleichen Bildern<br />

und Symbolen, immer der gleichen Erklärung, der<br />

gleichen Forderung an immer dieselbe Adresse.<br />

Der Maßnahmenplan einer Kampagne als<br />

Feldzug um die öffentliche Meinung ist<br />

jetzt entwickelbar. Wir tragen die Einzelmaßnahmen<br />

auf eine Zeitleiste ein, die<br />

nicht länger als sechs Monate dauern sollte. Und wenn<br />

die Kampagne etwas länger braucht, ihr Ziel nicht erreicht<br />

oder wiederholt werden muss, dann geben wir noch einmal<br />

ein paar Monate zu, aber nicht mehr.<br />

Unter dem Reduktionszwang wirksamer<br />

Kommunikation stehend, kann es schon<br />

passieren, dass eine Kampagne von außen<br />

etwas unterkomplex, etwas simpel wirkt.<br />

Die echte Gestaltungskraft von Kampagnen entfaltet sich<br />

in der Regel aber gar nicht vor den Augen der Öffentlichkeit,<br />

obwohl sie durch die Öffentlichkeitswirkung erst<br />

ermöglicht wird. Ein Beispiel: Umweltschützer belagern<br />

den Bundestag mit Massen von böse blickenden (gentechnisch<br />

veränderten) Maiskolbenmodellen. Die Botschaft<br />

ist: „keine Gentechnik“. Drinnen im Bundestag findet eine<br />

hoch differenzierte Debatte über eine komplexe Regelung<br />

zur Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte<br />

Organismen statt. Diese haben die Umweltschützer über<br />

ihre Lobbyisten genau verfolgt und längst beeinflusst. Der<br />

Druck der Straße aber hat den Diskurs im Parlament erst<br />

ermöglich oder hat ihn erzwungen. Das ist das Mandat<br />

der Zivilgesellschaft: Defizitkommunikation.<br />


Subversion III<br />

Am 11. Dezember 2013 hat Shell in Berlin zum Science Slam eingeladen.<br />

Junge Wissenschaftler/-innen präsentieren ihre Ideen zum Thema<br />

erneuerbare Energien. Die Shell AG möchte so die öffentliche Meinung<br />

positiv beeinflussen, um ein günstiges Bild von der eigenen gesellschaftlichen<br />

Verantwortung (CSR = Corporate Social Responsibility)<br />

zu zeichnen. Dieser Plan geht nicht auf. Es melden sich nämlich zwei<br />

junge Männer mit einer neuartigen Technologie zur Neutralisierung<br />

von CO2-Emissionen aus Autos. Während sie auf der Bühne ihre Wundermaschine<br />

starten, ergießt sich eine Öl-ähnliche, zähe braune Flüssigkeit<br />

über ihre weißen Hemden, und sie klagen laut „Oweiowei, wie<br />

konnte das passieren …“ Interessant ist der aufbrausende Jubel im<br />

Saal.<br />

Autor solcher Aktionen ist die Gruppe Peng! Collective für Subversionsberatung<br />

und Humanistische Rechtsauslegung sowie Praktische Protestforschung<br />

Begründung<br />

Kleine Sünden (Greenwashing) strafen wir sofort.<br />

Quelle<br />

www.slamshell.com


T: LUDWIG ENGEL 38<br />

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Prometheische Projekte 39<br />

Ein Gespräch mit dem Philosophen Armen Avanessian über<br />

die Aktualität subversiver Gesten, die transformatorische<br />

Kraft des Akzelerationalismus und die Bedeutung spekulativer<br />

Praxis für unsere Städte<br />

Letztes Weihnachten bekam ich ein dünnes<br />

Bändchen aus dem Merve-Verlag geschenkt,<br />

auf dessen blau angeschnittenem Cover in<br />

verlagstypischer Schlichtheit stand: „#Akzeleration<br />

– Armen Avanessian (Hg.)“. Ich kann mich nicht<br />

mehr genau daran erinnern, warum ich mich darüber<br />

freute. Vielleicht hatte ich schon davon gelesen, vielleicht<br />

gefiel mir einfach auch nur das Versprechen des Titels,<br />

vielleicht hatte meine Mutter mir schon davon erzählt,<br />

who knows. Auf jeden Fall sind Bücher zu Weihnachten<br />

ja grundsätzlich ein gutes Geschenk, da sie eine ernsthafte<br />

Chance haben, gleich in den nächsten Tagen gelesen<br />

zu werden. In „#Akzeleration“ fand ich dann gleich<br />

im Vorwort von Armen Avanessian diese Sätze: „Die Perspektive<br />

des Akzelerationalismus zielt auf die Zukunft.<br />

Aber vielleicht nicht nur … als ein Zurück in die Zukunft,<br />

sondern als ein Zurück aus der Zukunft. Denn die Gegenwart<br />

erhält nur dann ihre Kontingenz und Offenheit (zurück),<br />

wenn sie von einer erst zu entwerfenden Zukunft aus in<br />

den Blick genommen werden kann.“ 1 Das haute mich<br />

um. Wir hatten vor ein paar Jahren unserem Büro den<br />

etwas platten (aber ernstgemeinten) Untertitel „office<br />

from a better future“ hinzugefügt, und hier kam nun ein<br />

Philosoph und rief mit dem Akzelerationalismus einen<br />

wohlklingenden Flügel einer noch wohlklingenderen<br />

philosophischen Richtung („Spekulativer Realismus“, my<br />

god!) auf, der unserer Arbeit einen hoffentlich postbloch’schen,<br />

auf jeden Fall linken, intellektuellen Überoder<br />

zumindest Unterbau liefern könnte. Noch vor dem<br />

Lesen des ersten Essays war ich schon Akzelerationist.<br />

Nach den ersten Seiten legte sich dann die<br />

Aufregung etwas. Mein nur mäßig philosophisch<br />

geschulter Kopf fühlte sich an<br />

Sprachduktus und Neomarxismus einer<br />

unregelmäßigen Lektüre der New Left Review und eine<br />

kurzzeitige Obsession mit Frederic Jamesons „Archeologies<br />

of the Future“ erinnert. In Sachen Gegenwartsanalyse<br />

blieb bei mir von den Essays und dem Akzelerationalistischen<br />

Manifest lediglich hängen, dass sich die immer<br />

weiter beschleunigenden globalen (Kapital-)Märkte zunehmend<br />

destabilisieren und damit die Krise zum Dauerzustand<br />

werden würde. Dem kapitalistischen System ist aber<br />

nicht zu entkommen, denn ein Außerhalb gibt es in diesem<br />

System nicht mehr, sodass jeglicher intellektueller Eskapismus<br />

und jeder Versuch der Entschleunigung ein gleichermaßen<br />

systemstabilisierendes Moment und persönliches<br />

Scheitern mit sich bringt. Da der Akzelerationalismus<br />

nach eigenen Regeln beschleunige und sich den technischen<br />

Fortschritt zu eigen mache, würde so die Technologie<br />

dem kapitalistischen System nicht einfach überlassen<br />

werden. Ja, denkt man. NSA usw., wüssten wir mehr über<br />

Technik, wäre schon noch etwas zu gewinnen. Aber dann?<br />

Was tun? Hier musste ich dann doch bis ganz zum Schluss<br />

warten, bis sich Avanessian wieder selbst zu Wort meldete<br />

und von seinen linken Denkkollegen statt einer systemstabilisierenden<br />

Beschleunigung der Systemkritik eine<br />

handelnde Rolle, die Akzeleration des gesellschaftlichen,<br />

techno-sozialen Körpers als gestaltendes Projekt einfordert:<br />

„Sie [die Kritik, Anm. d. V.] ermahnt uns, die konkreten<br />

Probleme anzupacken, und nicht einer Vorstellung von<br />

Fortschritt nachzuhängen, die sich doch längst als Hirngespinst<br />

erwiesen habe. Sie warnt uns davor, in Utopismus<br />

zu verfallen oder uns in Spekulationen darüber zu ergehen,<br />

wie eine ganz andere Zukunft aussehen könnte. Dabei liegt<br />

die Gefahr in Wahrheit eher darin, dass wir das Bild, das<br />

die Kritik uns zeigt, wenn sie der Gegenwart den Spiegel<br />

vorhält, mit der Zukunft verwechseln – nicht anders als<br />

die allgegenwärtige Finanzspekulation, die den Wert der<br />

Gegenstände, von allem und jedem, kalkuliert, indem sie<br />

Vergangenheit quantifiziert und das Ergebnis auf die Zukunft<br />

überträgt. In beiden Fällen ist die Möglichkeit nicht vorgesehen,<br />

von einer anderen Zukunft aus auf eine kontingente<br />

Gegenwart zu(rück)zugreifen. Dazu bedürfte es der (abduktiven)<br />

Herstellung – also nicht der ästhetischen Imagination,<br />

sondern der tatsächlichen Produktion (poiesis) – einer<br />

Zukunft, die es ermöglicht, unsere Gegenwart anders zu<br />

verstehen und sie damit zu einer anderen zu machen.“ 2<br />

Ende April traf ich Armen Avanessian in seiner<br />

Wohnung an der Torstraße in Berlin Mitte,<br />

um mit ihm darüber zu sprechen, wie sich<br />

diese poiesis dort auswirken könne, wo ich<br />

mit meinen Kollegen im „office from a better future“ forsche:<br />

in der Stadt, im Gebauten. Das Stichwort dazu lieferte<br />

mit dem Thema „Subversion“ <strong>Earnest</strong> & <strong>Algernon</strong>.<br />

Denn was wäre subversiver als ein linkes Überholen des<br />

Systems? Gerade nicht im Denken, sondern im Handeln?<br />

1 Avanessian, Armen, #Akzereleration,<br />

Merve Verlag, Berlin 2013, S. 15<br />

2 Avanessian, #Akzeleration 2013, S. 74


<strong>Geheimsache</strong> #8<br />

40<br />

Ludwig Engel<br />

(L. E.)<br />

In unserem Gespräch soll<br />

es grob um Subversion und<br />

Stadt gehen. Deshalb vielleicht<br />

zuerst die allgemeine<br />

Frage, ob Subversion<br />

heute noch gestaltende,<br />

transformatorische Kraft<br />

hat?<br />

Armen Avanassian<br />

(A. A.)<br />

Subversion, die Idee einer<br />

Unterwanderung, einer<br />

Umkehrung, eines Umstülpens<br />

oder einer Transgression,<br />

ist<br />

eine strukturalistische<br />

Phantasie<br />

in einem<br />

Denkuniversum, das vom<br />

Gedanken der Opposition<br />

geprägt ist. Doch<br />

diese Opposition<br />

erfüllt<br />

heute nur<br />

noch eine<br />

Alibi-Funktion,<br />

die unter<br />

unglaublichem<br />

Verschleiß an<br />

intellektueller<br />

und praktischer<br />

Produktivkraft<br />

genau das nicht<br />

leistet, was sie propagiert.<br />

Diese übersteigerten<br />

oszillierenden Gesten<br />

zwischen manischer Subversionsrhetorik<br />

und Melancholie<br />

halte ich einfach<br />

für unfruchtbar.<br />

L. E.<br />

Wie sollen wir dann das<br />

Projekt einer gesellschaftlichen<br />

Transformation<br />

angehen? Sollen wir<br />

überhaupt …?<br />

A. A.<br />

Ich arbeite mit dem Akzelerationalismus<br />

an einem<br />

nichtoppositionellen<br />

Denkmodell, an einer<br />

transformativen Praxis,<br />

die nicht von einer Umkehrung<br />

des Gegenwärtigen<br />

träumt oder den Phantasien<br />

eines Freiraums in einem<br />

Transgression<br />

bedeutet Überschreitung<br />

oder Übertretung.<br />

Strukturalismus<br />

ist eine wissenschaftliche Forschungsmethode,<br />

die nach unbewussten, universalen<br />

Denkprinzipien sucht. Anliegen<br />

neuen Außen nachhängt.<br />

Pate stehen dafür auch<br />

frühere politische Theoretiker<br />

wie etwa Marx – als<br />

erster Akzelerationalist.<br />

Denn Marx war derjenige,<br />

der mit den ausgefeiltesten<br />

wissenschaftlichen<br />

Methoden und dem größtmöglichen<br />

Wissen über den<br />

Stand der maschinellen<br />

Technologie eine exakte<br />

politische Gegenwartsanalyse<br />

versucht hat, eine<br />

politische Ökonomie,<br />

um darauf<br />

basierend Szenarien<br />

zu entwerfen.<br />

Nebenbei hat er<br />

der Strukturalisten ist es, bestimmte<br />

Äußerungssysteme wie Sprachen,<br />

Künste oder Schriften auf jene Ordnungs-<br />

und Organisationsstrukturen<br />

zurückzuführen, die Kommunikation erst<br />

übrigens mit viel Hohn<br />

und Spot gegen die<br />

Anarcho-Radikalisten,<br />

die<br />

ständig naiv<br />

von Subversion<br />

sprachen,<br />

polemisiert.<br />

Der Akzelerationalismus<br />

ist hingegen<br />

ein<br />

prometheisches<br />

Projekt, das darüber<br />

möglich machen und die die Grundlage<br />

für die Erzeugung von Sinn bilden.<br />

funktioniert, dass es<br />

sich unterschiedliche<br />

Wissenspraktiken ansieht<br />

und weitertransformiert.<br />

Einem solchen prometheischen<br />

Projekt kann es<br />

nicht um eine Subversion<br />

gehen, aber sehr wohl<br />

darum, was Subversion<br />

eigentlich bezwecken will,<br />

nämlich transformative,<br />

emanzipatorische<br />

und<br />

im emphatischen<br />

Sinne<br />

produktive,<br />

d. h. Neues<br />

ermöglichende<br />

Effekte.<br />

L. E.<br />

Was wären denn diese<br />

produktiven Effekte?<br />

A. A.<br />

Diese subversiven und<br />

transgressiven, diese<br />

ästhetisierten und situationistischen<br />

Gesten sind<br />

das ständige Benzin für<br />

den Antriebsmotor unseres<br />

Kapitalismus. Den kann man<br />

nicht damit heilen, dass<br />

man ihm noch mehr Ästhetisierung<br />

einspritzt, noch<br />

mehr Sensibilität, noch<br />

mehr Erfahrungsreichtum<br />

und noch mehr Wahrnehmungsreize.<br />

Dagegen will<br />

ich ein rationalistisches<br />

Kalkül setzen und wegkommen<br />

von diesem ästhetischen<br />

Modell, das uns<br />

in einen passiven Modus<br />

zwingt. Ich will positive<br />

Effekte erzeugen, die ich<br />

in ein rekursives, transformatives<br />

und emanzipatorisches<br />

Denken einbinden<br />

kann.<br />

L. E.<br />

Ist das nicht die Aufgabe<br />

der Kunst in modernen<br />

Gesellschaften? Brüche<br />

aktivieren, Emanzipationsprozesse<br />

anschieben?<br />

Transformation gesellschaftsfähig<br />

machen?<br />

A. A.<br />

Die Kunst heute entspricht<br />

großteils dem ästhetischen<br />

Geist des Kapitalismus.<br />

Das Kunstsystem formt<br />

gerade ein ästhetisches<br />

Regime und hat dazu beigetragen,<br />

dass unser Kapitalismus<br />

so jubilatorisch,<br />

so<br />

Prometheus<br />

Titan in der griechischen Mythologie,<br />

brachte den Menschen<br />

gegen den Willen der Götter das<br />

wunderbar funktioniert<br />

und eine<br />

allumfassende<br />

reelle Subsumtion<br />

produziert<br />

hat. Innerhalb<br />

dieser gibt es<br />

kein subversives<br />

Handeln. Was sich<br />

einmal so genannt hat,<br />

ist systemnotwendigerweise<br />

völlig eingepreist. Ich<br />

versuche in allem, was<br />

ich mache, dagegen anzudenken.<br />

Darauf zielt der<br />

Akzelerationalismus, und<br />

das interessiert mich an<br />

der Denk- und Urteilsform<br />

der Abduktion.<br />

Feuer. Übersetzt heißt Prometheus<br />

„der Vordenker“.


PROMETHEISCHE PROJEKTE<br />

41<br />

Abduktion?<br />

L. E.<br />

A. A.<br />

Ja, Abduktion als Alternative<br />

zu Deduktion und<br />

Induktion. Wenn ich zum<br />

Beispiel ein Buch schreibe,<br />

darf am Ende nicht<br />

das herauskommen, was ich<br />

vorher als Arbeitshypothese<br />

hineingelegt habe –<br />

auch wenn das eigentlich<br />

die Art zu arbeiten ist,<br />

auf die mich die Universität<br />

getrimmt hat. Aber<br />

die Methode entwickelt<br />

sich erst beim Schreiben.<br />

Während man schreibt,<br />

verändert man sich und<br />

damit die Art und Weise,<br />

wie man denkt. Der Prozess<br />

ist mit dem fertigen<br />

Buch nicht abgeschlossen,<br />

denn das Geschriebene<br />

diffundiert in andere<br />

Bereiche, affiziert und<br />

steckt an und produziert<br />

etwas nicht Vorhergesehenes.<br />

In der Abduktion<br />

ist das angelegt. Deshalb<br />

scheint mir dieses Denkmodell<br />

symptomatisch für<br />

eine bestimmte Aufbruchsbewegung,<br />

die aus dem<br />

Ungenügen eines gegenwärtigen<br />

Handlungsparadigma<br />

heraus entstanden ist.<br />

L. E.<br />

Als Stadtforscher interessiert<br />

mich, wie sich der<br />

Akzelerationalismus ins<br />

Urbane einschreiben<br />

könnte. Wenn ich deinen<br />

Gedanken folge, haben<br />

heutige informelle Taktiken<br />

des Intervenierens<br />

und Bauens im städtischen<br />

Umfeld ihren subversiven<br />

Impetus ja schon verloren.<br />

A. A.<br />

Warum schaffen wir es<br />

nicht, diese Praktiken<br />

aus der Kritik zu befreien<br />

und ihnen einen emanzipatorischen<br />

Twist zu<br />

geben? Vielleicht können<br />

wir das eher, wenn wir<br />

uns nicht ständig Gedankenspielen<br />

über die Subversion<br />

hingeben. Diejenigen,<br />

die sagen, sie<br />

handeln subversiv, wollen<br />

ja nicht unbedingt etwas<br />

anderes als ich. Es<br />

bleibt nur die Frage, wie<br />

man Veränderung herstellt.<br />

Der Akzelerationalismus<br />

ist ja auch eine<br />

linke Theorie. Beim Akzelerationalismus<br />

geht es<br />

nicht darum, dass man<br />

sich einordnet, reproduziert.<br />

Was wäre denn zum<br />

Beispiel ein abduktives<br />

Bauen? Was wäre ein Bauen,<br />

das nicht einfach<br />

unter bestimmten allgemeinen<br />

Zwängen und konkreten<br />

Anlässen Kompromisse<br />

sucht? Was aus<br />

einer Zweierlogik<br />

ausbricht? Ich<br />

glaube<br />

nicht, dass<br />

es über politische<br />

Pamphlete<br />

geht,<br />

und ich glaube<br />

nicht, dass es<br />

über geniale<br />

Einfälle formensprachlicher<br />

Natur<br />

geht. Das sind alles<br />

ästhetische Ideen und<br />

Praktiken. Jedem Architekten<br />

und Aktivisten ist<br />

doch heute klar, dass es<br />

ein Zusammenspiel zwischen<br />

lokal und global<br />

geben muss. Aber wie das<br />

zu denken ist, wie eine<br />

altermoderne Architektur<br />

aussehen<br />

könnte, die<br />

nicht<br />

einem<br />

Situationismus<br />

ist im urbanen Kontext eng<br />

mit der Idee verknüpft, die<br />

Stadt als Spektakel zu<br />

modernistischen<br />

Universalismus,<br />

der über<br />

alles Partikulare<br />

drüber<br />

fährt, gehorcht,<br />

aber eben auch<br />

nicht einem weinerlichen,<br />

sich nichts<br />

zutrauenden und politisch<br />

kraftlosen und tatsächlich<br />

alles andere als<br />

begreifen. Die Situationisten<br />

unternahmen sogenannte<br />

subversiven Partikularismus<br />

gehorcht, kurz: Wie<br />

diese Architektur aussehen<br />

würde, das müssen<br />

andere herausfinden bzw.<br />

die entsprechenden<br />

Arbeitsformen entwickeln.<br />

L. E.<br />

Waren die Situationisten<br />

mit ihrer Idee der Stadt<br />

als Spektakel, also mit<br />

ihrer Taktik vom Umdeuten<br />

des urbanen Raumes durch<br />

zielloses Umherstreifen<br />

auf dem Weg zu einem, wie<br />

du es nennst, abduktiven<br />

Bauen?<br />

dérives – ziellose Wanderungen<br />

durch die Stadt, um<br />

sie dadurch auf neue Art zu<br />

erleben. In diesem Sinne<br />

A. A.<br />

Die Umdeutung des<br />

Raumes, die die Situationisten,<br />

Baudelaire<br />

und frühere<br />

betrieben haben,<br />

ist das, was sich<br />

heute verwirklicht<br />

hat. Städte<br />

sind heute<br />

Orte der Erlebnis-Stilisierung,<br />

der<br />

Reizkultur.<br />

Klaus Wowereit ist<br />

in diesem Sinne ein<br />

absolut zeitgemäßer Bürgermeister<br />

für Berlin als<br />

ästhetisierte Erlebnisstadt.<br />

Hier geht es gar<br />

nicht um die Situationisten<br />

oder irgendwelche<br />

Architekten, die<br />

bauen oder nicht<br />

bauen, sondern es<br />

herrscht eine<br />

sind die Situationisten Wegbereiter<br />

der Perfomance Art.<br />

Gouvernementalität<br />

ist ein vom französischen Philosophen<br />

Michel Foucault geschaffener Begriff<br />

zur Bezeichnung des für moderne<br />

Gesellschaften charakteristischen<br />

Zusammenwirkens von staatlichen<br />

Formen des Regierens und Techniken<br />

der Selbstregierung von Individuen.<br />

von oben verordnete<br />

Kulturalisierung<br />

des Städtischen.<br />

Eine gouvernementalisierte<br />

Er setzt sich zusammen aus den französischen<br />

Worten gouverner (regieren)<br />

und mentalité (Denkweise).<br />

Gentrifizierung<br />

mittels eines allumfassenden<br />

ästhetischen<br />

Regimes.<br />

L. E.<br />

Subversive Taktiken des<br />

Urbanen wären somit auch


<strong>Geheimsache</strong> #8<br />

42<br />

nur Benzin für den<br />

Antriebsmotor des Kapitalismus.<br />

Wie schützt sich<br />

denn der Akzelerationalismus<br />

vor dieser Usurpation?<br />

A. A.<br />

Es geht nicht darum, sich<br />

zu schützen, sondern es<br />

geht darum, sich hineinzuwerfen<br />

und zu manipulieren<br />

und sich, die Welt und das<br />

Allgemeine zu verändern.<br />

Und das ist nicht mit<br />

existenzialistischem<br />

Pathos gesprochen, sondern<br />

es geht für mich um den<br />

fortwährenden Wandel, der<br />

aber gesteuert werden<br />

muss. Im urbanen Kontext<br />

wäre deshalb für mich die<br />

Frage, ob man das, was man<br />

mit subversiven Interventionen<br />

bezwecken möchte,<br />

nicht eher über eine<br />

Poetisierung hervorbringen<br />

kann. Also das Hervorbringen<br />

von Räumen im antiken<br />

griechischen Verständnis<br />

von poiesis – ganz anders,<br />

als wir es heute verwenden.<br />

Wir verwenden heute<br />

Poetik quasi als Gegensatz<br />

von Praxis. Für die Griechen<br />

war aber die poiesis<br />

eine bestimmte Form von<br />

Praxis im Sinne eines<br />

Herstellens von Wahrheit,<br />

das sich unterscheidet vom<br />

bloßen Machen. Und meine<br />

Frage ist demzufolge die<br />

nach einem poetischen<br />

Denken und Handeln, das<br />

sich von der ästhetischen<br />

Trennung von Denken und<br />

Tun löst: Was wäre eine<br />

dementsprechende rationale<br />

Imagination? Was wäre<br />

diese poetische Praxis<br />

nicht als eine Poetisierung,<br />

sondern wirklich als<br />

eine Hervorbringungspraxis?<br />

Was wäre eine Hervorbringungspraxis,<br />

in der es<br />

wirklich um Produktion, um<br />

das Herstellen eines Wahrheitsraumes<br />

geht, in dem<br />

es Veränderungen, Transformationen<br />

gibt, der sich<br />

selbst verändert, der<br />

aktiv transformiert?<br />

L. E.<br />

Aber vermag nicht genau<br />

das die Subversion?<br />

A. A.<br />

In der Kunst<br />

und Kunsttheorie<br />

und in der<br />

Universität<br />

wird das kritische,<br />

subversive<br />

und ästhetische<br />

Ideal hochgehalten.<br />

Das ist dort gelebte<br />

Praxis: Sei kritisch, und<br />

kreativ, entfalte dich<br />

selbst. Das wird allen<br />

eingetrichtert. Jeder<br />

Künstler hat das nach<br />

spätestens drei Wochen an<br />

der Kunsthochschule drauf.<br />

Jeder Akademiker muss auch<br />

kritisch sein und macht<br />

schon in der zweiten<br />

Seminarsitzung im ersten<br />

Semester den Mund auf und<br />

opponiert. Wenn dann einer<br />

wie ich kommt und gegen<br />

die Kritik und für den<br />

Akzelerationalismus<br />

spricht, dann werde ich<br />

gleich als Krypto-Faschist<br />

gebrandmarkt, unkritisch<br />

und apokalyptisch, weil<br />

ich angeblich den Kapitalismus<br />

noch beschleunige.<br />

So stellt sich das innerhalb<br />

des ästhetischen<br />

Regimes eines Denkens dar,<br />

dem nur das Werkzeug der<br />

Kritik zur Verfügung<br />

steht und dem alles<br />

andere als unkritisch<br />

vorkommen muss. Ich<br />

glaube aber einfach nur<br />

nicht an die kritische<br />

Subversion, sondern<br />

manipuliere und transformiere<br />

lieber. Für<br />

mich persönlich hat das<br />

definitiv mehr Emanzipatorisches<br />

als Kritik oder<br />

Subversion. Es setzt Energien<br />

bei mir frei, und ich<br />

bin produktiver. Das kann<br />

man natürlich wieder kapitalistisch<br />

verformen, aber<br />

definitiv ist das nicht<br />

subversiv. Emanzipatorisches<br />

Denken muss ein<br />

ebensolches Handeln implizieren<br />

und kann nicht auf<br />

der Ebene der Reflexion<br />

bleiben. Was wäre denn,<br />

wenn ich in<br />

einem subversiven<br />

Akt versuchen<br />

würde,<br />

meine akademischen<br />

Kollegen<br />

von irgendetwas<br />

mittels ganz<br />

ausgefeilter<br />

Reflexionen zu überzeugen?<br />

Wovon überhaupt? Dass sie<br />

sich alle abduktiv transformieren<br />

sollen? Die<br />

würden mich anschauen, als<br />

ob ich noch verrückter<br />

wäre, als sie ohnehin<br />

schon glauben.<br />


„Kunst legt sich nicht<br />

in das für sie gemachte<br />

bett; sie macht sich<br />

davon, sobald man sie<br />

beim namen nennt.<br />

am liebsten wahrt sie<br />

das inkognito. sie zeigt<br />

sich im besten<br />

licht, wenn sie ihren<br />

namen vergisst.”<br />

Jean Dubuffet<br />

Französischer Künstler und Erfinder des Konzeptes der Art-Brut<br />

Collection de l’Art Brut


AYZIT BOSTAN FIGURATION<br />

© Ayzit Bostan und Fabian Frinzel


25 JAHRE FriedliChe<br />

ReVolUTIOn<br />

Die suBVersiVe KRAft<br />

der MensChenreChte<br />

„Die Deutsche Demokratische Republik ist ein sozialistischer<br />

Staat der Arbeiter und Bauern. Sie ist die politische Organisation<br />

der Werktätigen in Stadt und Land unter der Führung<br />

der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei.“<br />

So lautete Artikel 1 der Verfassung der DDR,<br />

eines Landes, das es nicht mehr gibt. Im<br />

Herbst 1989 hatten die „Werktätigen“ endlich<br />

genug davon, unter der „Führung der<br />

Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei“<br />

zu leben. Sie gingen auf die Straße und verlangten das,<br />

was in einer Demokratie üblich ist: freie Wahlen, Presseund<br />

Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, die Möglichkeit,<br />

Parteien zu gründen, und vor allem auch Reisefreiheit.<br />

Das Volk erkämpfte sich seine Rechte, und<br />

nach 40 Jahren an der Macht war das<br />

Ende für die SED, die herrschende Sozialistische<br />

Einheitspartei Deutschlands,<br />

gekommen. Mit der Öffnung der Mauer am 9. November<br />

1989 begann das sehr rasche Ende der SED-Herrschaft.<br />

Innerhalb von vier Monaten war ihr mächtigstes Instrument,<br />

„Schwert und Schild“ der Partei, das Ministerium<br />

für Staatssicherheit, entmachtet und abgewickelt, befanden<br />

sich alle seine Akten unter Kontrolle der Bürger. Was<br />

das Volk wirklich von der Partei hielt, zeigte es bei den<br />

ersten freien Wahlen in der DDR am 18. März 1990. Von<br />

99,94 Prozent der Wählerstimmen bei der letzten Wahl<br />

1986 sank die Zustimmung auf 16,4 Prozent ab, trotz der<br />

Umbenennung der SED in PDS (Partei des Demokratischen<br />

Sozialismus). Drei Monate später hielt die D-Mark<br />

Einzug in die DDR und drei weitere Monate später auch<br />

die Bundesrepublik. In weniger als 11 Monaten war das<br />

Land verschwunden.<br />

Vom Ende her betrachtet, beim entfernten<br />

Blick auf den rasanten Verfall eines Landes,<br />

fragt man sich, wieso die DDR nicht<br />

schon viel früher kollabierte, warum die<br />

Mauer nicht schon viel eher verschwand. Wieso sich 17<br />

Millionen Menschen damit abgefunden hatten, in einem<br />

Land zu leben, das ihre fundamentalen Menschenrechte<br />

einschränkte oder sie ihnen gar verweigerte. Je länger<br />

das alles zurückliegt, desto unverständlicher wird es, die<br />

Realität dieser Zeit zu begreifen.


T: Roland Jahn<br />

63<br />

Die Macht der Sozialistischen Einheitspartei<br />

beruhte auf der Beschränkung und<br />

Beschneidung von Menschenrechten, auf<br />

Einschüchterung und Repression und<br />

immer wieder auch auf tödlicher Gewalt. Die Toten an der<br />

Mauer, die Toten des Aufstands vom 17. Juni, die Toten in<br />

den Arbeitslagern und Gefängnissen – sie waren massives<br />

Zeugnis der Bereitschaft, die eigene Macht mit allen Mitteln<br />

zu sichern. Sie waren somit auch erfolgreiches Mittel<br />

der Abschreckung und deutliche Aufforderung zur Anpassung<br />

an das Geforderte.<br />

Für die meisten Menschen in der DDR waren<br />

diese brutalen Methoden nicht täglich spürbar.<br />

Wer der Aufforderung zur Anpassung an<br />

das Geforderte folgte, der vermied es nicht<br />

nur, die härtesten Konsequenzen aus unerwünschtem Verhalten<br />

am eigenen Leibe zu spüren. Für das eigene Überleben<br />

in der Diktatur war es auch hilfreich, Mauer, Stacheldraht<br />

und politische Häftlinge weitgehend auszublenden<br />

und sich an die verlangte Gefolgschaft im Alltag zu gewöhnen.<br />

Der Alltag in der SED-Diktatur, er verlangte von den<br />

Menschen ein Leben in vorgezeichneten Bahnen. Sofern<br />

diese Bahnen eingehalten wurden, konnte man halbwegs<br />

problemlos sein Leben leben. Eine Kindheit und Jugend<br />

begleitet von der Mitgliedschaft in den staatlichen Organisationen<br />

Junge Pioniere und Freie Deutsche Jugend (FDJ)<br />

sicherte die Möglichkeit auf einen Studienplatz. Das Mitlaufen<br />

bei den immer wiederkehrenden Paraden einen<br />

angenehmen Arbeitsalltag. Das Hinaushängen der Fahne<br />

an den geforderten Tagen die Ruhe im Plattenbau.<br />

Das Erscheinen zu den Wahlen, die mit „Zettel falten“<br />

ausreichend beschrieben waren, war ein besonders<br />

überwachtes und kontrolliertes Zugeständnis<br />

der Menschen in der DDR an die Macht im Staat.<br />

Schließlich „legitimierte“ es die Inszenierung der<br />

SED in der „demokratischen“ Republik.<br />

Das Leben in einer Diktatur, es stellt<br />

besondere Anforderungen an das<br />

Menschsein. Seine Individualität<br />

selbstbestimmt zu leben und zivilgesellschaftliches<br />

Engagement ohne Staat zu<br />

betreiben, das allein ist schon unter den Bedingungen<br />

einer Diktatur subversiv. Wenn eine bestehende<br />

Ordnung die Grundlagen des Zusammenlebens,<br />

die Achtung der Menschenrechte<br />

einschränkt, liegt es in der Logik eines solchen<br />

Regimes, dass das Normale zum Außergewöhnlichen<br />

wird, das politisch bekämpft werden muss,<br />

weil es das System der Diktatur in Frage stellt.<br />

Das spiegelte sich im Sprachgebrauch der Herrschenden<br />

in der DDR wider. Diejenigen, die für<br />

die Achtung der Menschenrechte eintraten, betrieben<br />

„ideologische Diversion“, sie waren „feindlichnegative<br />

Gruppierungen“, sie arbeiteten den „Feinden<br />

des Sozialismus“ in die Hände.<br />

Strategien der Selbstbehauptung und<br />

damit der Subversion im Sinne des<br />

Kampfes für die Menschenrechte<br />

zu entwickeln, war nicht einfach.<br />

Der Spielraum war oft eng. Mein eigenes Leben<br />

verlief eine gute Weile lang in jenen Bahnen, die<br />

die Partei von ihren Bürgern verlangte. Als Schüler<br />

war ich bei den Jungen Pionieren und in der<br />

FDJ. Das Verlangte zu tun, war im Empfinden jener<br />

Zeit nicht einmal eine Zumutung, sondern es war<br />

das, was für alle galt. Die Kritik am Staat, an seiner Engstirnigkeit,<br />

an der Gängelung der Menschen wuchs, aber<br />

als junger Mensch wollte ich aus meinem Leben etwas<br />

machen. Ich wollte studieren. Ein Studium aber verlangte<br />

ein hohes Maß an Anpassung. Immer wieder machte ich<br />

Kompromisse, um mein Ziel zu erreichen. Erfolgreich. Bis<br />

ich Anfang 1977, im dritten Semester, wegen meiner<br />

Kritik an der Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann<br />

von der Uni geworfen wurde.<br />

Befreit vom Druck, mich für mein Studium<br />

anpassen zu müssen, wollte ich meinen Protest<br />

gegen die Unterdrückung der Meinungsfreiheit<br />

bei einer Parade zum 1. Mai zeigen.<br />

Aber wie konnte ich mich dabei vor Verfolgung schützen?<br />

Am 1. Mai trugen die „Werktätigen“ die Losungen der SED<br />

durch die Straßen: „Vorwärts mit dem Programm des IX.<br />

Parteitags!“ Ein Schild, auf dem ein Protest gegen die Unterdrückung<br />

der Meinungsfreiheit zu lesen war, wäre ein sehr<br />

wahrscheinlicher Verhaftungsgrund gewesen. So kam mir<br />

die Idee, mich mit einem unbeschriebenen Plakat unter die<br />

SED-Parolen zu mischen. Wegen nichts konnte man mich


<strong>Geheimsache</strong> #8<br />

64<br />

auch nicht für etwas zur Verantwortung ziehen. Weil nun aber<br />

jeder auf seinen Plakaten die langfristig festgelegten Losungen<br />

der SED durch die Stadt zu tragen hatte, konnte das leere<br />

Plakat eine ganz eigene Wirkung entfalten. Und so geschah<br />

es auch. Das nackte Plakat wurde zu einer kleinen Botschaft,<br />

mein Protest gelang ohne weitere Zwischenfälle.<br />

Sich innerhalb der Regeln Freiräume zu<br />

suchen, um gegen die Verhältnisse aktiv zu<br />

wirken, wurde zu einer Art Sport für mich<br />

und meine Freunde in Jena. Als die polnische<br />

Gewerkschaft Solidarność 1981 zu einer Massenbewegung<br />

wurde, kaufte ich jede Menge kleiner polnischer<br />

Papierfähnchen. Die Solidarität mit dem polnischen „Brudervolk“<br />

war eine gern genutzte, offizielle Parole der DDR-<br />

Staatsführung. Sie nun auf so ein Fähnchen zu schreiben,<br />

so glaubte ich, konnte der Staat doch wohl nicht ahnden.<br />

Wie sollten sie sich gegen ihre eigenen Worte wenden?<br />

Ich wollte sie mit ihren eigenen Waffen schlagen. Eine<br />

ganze Weile ging auch das gut, obwohl die DDR die<br />

Solidarność zu einer „konterrevolutionären Gruppierung“<br />

erklärt hatte. Doch dann wurde mir eines dieser Fähnchen<br />

am Fahrrad zum Verhängnis. Die Stasi verhaftete mich<br />

wegen „Missachtung staatlicher Symbole“. Die deutschpolnische<br />

Freundschaft hatte mich nicht vor dem Zugriff<br />

des SED-Staates bewahrt.<br />

Als ich während der U-Haft meine<br />

Entlassung aus meiner Arbeitsstelle<br />

vor einem Arbeitsgericht anfechten<br />

wollte, wurde mir völlig klar,<br />

wie ein System funktioniert, das Menschenrechte<br />

und Rechtsstaatlichkeit nicht achtet. Und dass meine<br />

kleinen Strategien der Subversion eben doch<br />

auch naiv waren, weil sie im Grunde davon ausgingen,<br />

dass DDR-Recht und -Gesetz für alle galten,<br />

egal wie eingeschränkt sie formuliert waren. Denn<br />

auch nach DDR-Gesetzen durfte ein Untersuchungshäftling<br />

eigentlich nicht von seinem Arbeitgeber entlassen<br />

werden, bis nicht ein Urteil in der Anklagesache gesprochen<br />

war. Doch der Richter entschied gegen mich. Und mein<br />

Stasi-Vernehmer sagte mir siegesgewiss lächelnd nach dem<br />

Urteilsspruch: „Sehen Sie Herr Jahn, es kommt nicht darauf<br />

an, wer Recht hat, sondern wer die Macht hat.“<br />

Das hat mein Vertrauen in die Kraft der Subversion<br />

dennoch nicht erschüttert. So deutlich<br />

vermittelt zu bekommen, dass Unrecht<br />

von Staats wegen begangen wurde, hat die<br />

Notwendigkeit dagegen anzugehen, weiter begründet.<br />

m<br />

Juni 1983 wurde ich dann gegen meinen<br />

Willen aus der DDR geworfen und<br />

landete in West-Berlin. Meine Kontakte<br />

zu den Freunden hinter der Mauer, aber<br />

auch zu bereits ausgereisten und ausgebürgerten Freunden<br />

im Westen intensivierten sich. So entstand ein sehr<br />

lebendiges Informationsnetzwerk zwischen Ost und West,<br />

das auf eine neue Art zu einer Quelle der Subversion der<br />

Verhältnisse in der DDR wurde. Es war der besonderen<br />

Situation des geteilten Deutschlands zu verdanken, dass<br />

die Unterdrückung der Meinungsfreiheit in der DDR durch<br />

die Berichterstattung in den Medien der Bundesrepublik<br />

stetig und dauerhaft konterkariert wurde. ARD und ZDF<br />

(bis in die Mitte der Achtzigerjahre gab es noch keine<br />

Privatsender) waren in Sachen Informationsversorgung<br />

der DDR quasi subversive Medien. Sie sendeten Nachrichten,<br />

Unterhaltung und Informationen aus einem anderen<br />

Deutschland und immer wieder auch andere Informationen<br />

aus und über die DDR. Gegen diesen steten Strom<br />

an journalistisch vielfältigen, kritischen und streitbaren<br />

Informationen konnte die DDR nur mit Propaganda und<br />

Verboten angehen, die jedoch ihre Wirkung mit jedem<br />

Jahrzehnt ihrer Existenz verloren. Einzig die Bevölkerung<br />

der Region Dresden war von diesem Informationsfluss<br />

technisch abgeschnitten. Im „Tal der Ahnungslosen“ konnten<br />

die Antennen die terrestrischen Fernsehwellen nicht<br />

mehr wirklich einfangen.<br />

Als am 9. Oktober 1989 in Leipzig 70.000<br />

Menschen bei der Montags-Demo auf die<br />

Straße gingen, waren es die leicht verwackelten<br />

Videoaufnahmen auf grobkörnigem<br />

VHS-Material, die den Mut der Menschen dokumentierten.<br />

Es waren zwei kühne Aktivisten, Aram Radomski und Siegbert<br />

Schefke, die sich an jenem Abend auf einen<br />

Kirchturm geschlichen hatten, um diese verbotenen<br />

Aufnahmen zu machen. Es war ein beherzter Pfarrer,<br />

der ihnen den Turm aufschloss. Mutige Politiker<br />

und Diplomaten hatten dafür gesorgt, dass die<br />

Kamera in die DDR geschmuggelt worden war. Ein<br />

kühner Spiegel-Korrespondent hatte das gedrehte<br />

Material schließlich von Leipzig über Ost-Berlin<br />

heimlich nach Berlin-Charlottenburg gebracht, wo<br />

es im Sender Freies Berlin einen Tag später via<br />

Tagesschau und andere Nachrichtensendungen<br />

verbreitet wurde.<br />

Diese Bilder im West-Fernsehen wurden<br />

zum Signal für den Rest der DDR. Der<br />

Mut der Bürger war stärker als die Macht<br />

der Partei. Es war ein Signal dafür, dass<br />

man die Angst vor den Folgen des eigenen Handelns verloren<br />

hatte. Die Angst, das war der Kitt der Diktatur. Als<br />

sie verschwand, wie es überwältigend auf der Straße<br />

demonstriert wurde, da verloren die Mächtigen die Kontrolle<br />

über die Menschen.<br />

Das ist für mich die zentrale Erkenntnis, die<br />

die Erinnerung an die Friedliche Revolution<br />

so wichtig macht: Diktatur ist überwindbar.<br />

Die bestehenden Verhältnisse zu verändern,<br />

wenn ihre Ignoranz gegen die Menschenrechte es<br />

notwendig macht, kann gelingen. Selbst wenn es lange<br />

dauert, bis es soweit ist. Viele kleine Schritte, viele kleine<br />

Subversionen ergeben irgendwann den Durchbruch, einen<br />

Wandel ohne Gewalt, eine Friedliche Revolution.<br />


SuBve<br />

rsive<br />

Reprod<br />

uction<br />

O<br />

o<br />

A new approach to teach and<br />

learn entrepreneurship


T: Sylvain Bureau & Pierre Tectin<br />

67<br />

Introduction<br />

A large part of the American entrepreneurial elite studied<br />

at top Universities: Larry Page (Google), Jerry Yank (Yahoo!)<br />

and Peter Thiel (Paypal) were at Stanford; Richard Stallman<br />

(GNU), Bill Gates (Microsoft), Mark Zuckerberg (Facebook)<br />

and Salman Khan (Khan University) were at Harvard; Jeff<br />

Bezos (Amazon) was at Princeton; Pierre Omidyar (Ebay)<br />

was at Tufts and so on and so forth. Instead of reproducing<br />

society through traditional careers, these entrepreneurs<br />

develop subversive projects which challenge rules and<br />

values related to privacy, propriety rights, education or<br />

commerce. We define this double process as the subversive<br />

reproduction: the reproduction of an elite which subverts<br />

our society to create new social dynamics. After a brief<br />

overview of the subversive dynamics of entrepreneurship,<br />

we explain how we try to support the process of subver sive<br />

reproduction at the oldest Business School in the world,<br />

ESCP Europe.<br />

What is subversion?<br />

“That which comes into the world to disturb<br />

nothing deserves neither respect nor patience.”<br />

(René Char, 1948)<br />

In old French, the word subvertisseoir designates<br />

the person who overthrows; in other words,<br />

someone who destroys the established order.<br />

More generally, we can define subversion as an<br />

interplay between three actors: some activists, a system<br />

and the masses. In this game, the activists intend to destroy<br />

a system using efficient techniques. Eventually, the subversive<br />

activities provoke various scandals among public<br />

opinion. In the 20th century, the term was used in a variety<br />

of historical contexts: the Cold War, decolonization,<br />

May ‘68 in France, the sexual revolution, or avant-garde<br />

artistic movements.<br />

Subversion: from art to<br />

entrepreneurship<br />

The word subversion is largely diffused in the<br />

art world and barely used in the business<br />

world. This situation is quite surprising regarding<br />

the subversive potential of each context.<br />

We have listed below three necessary conditions and one<br />

sufficient condition for art and entrepreneurship to be<br />

subversive:


<strong>Geheimsache</strong> #8<br />

68<br />

Many entrepreneurs use the media not only to challenge<br />

competitors but also to explain how their business<br />

changes the world. They tend to generate cleavages<br />

within society, with some people strongly in favour or<br />

against them (which is propitious to launch a buzz).<br />

Peter Thiel and Larry Flint are typical examples of these<br />

Larry Flint, Vice meets Larry Flint<br />

Drawn by Pierre Tectin


SuBversive Reproduction<br />

69<br />

Conditions<br />

Art<br />

Entrepreneurship<br />

Not totally autonomous<br />

New representations<br />

and emotional perceptions<br />

Behavioural impact beyond<br />

own field<br />

Weakly connected<br />

to society<br />

Frequently<br />

Occasionally<br />

Firmly connected<br />

to society<br />

Frequently<br />

Typically<br />

Activism Frequently Occasionally<br />

Dynamics<br />

Triad of actors<br />

Artist, institution,<br />

masses<br />

Intent to destroy Frequently Occasionally<br />

Action with limited<br />

Frequently<br />

Frequently<br />

resources<br />

Scandals Frequently Occasionally<br />

Table 1: Subversion in art and entrepreneurship<br />

Entrepreneur, established<br />

firms/ institutions, clients<br />

Based on this comparison, it seems that the<br />

potential for subversion is high in the two<br />

contexts. Both creative artists and entrepreneurs<br />

tend to alter and transgress many<br />

operating rules of a field so as to change the status quo.<br />

Among artists, this is especially true in the case of groundbreaking<br />

ideas that challenge contemporary conventions.<br />

The Situationists International (SI), for instance,<br />

developed a radical critical outlook with a<br />

form of juxtaposition of Rimbaud’s search<br />

to “change life” and Marx’s wish to “transform<br />

the world”1. In this perspective, the members of SI,<br />

called Situs, wanted to impact events and participate in<br />

the transformation of the Real. According to them, life is<br />

a series of fortuitous situations that are for the greatest<br />

majority so indistinguishable and so dull that they give off<br />

a perfect impression of resemblance. When that is not the<br />

case, when finally a situation gets a little out of the ordinary,<br />

then these rare captivating situations withhold and<br />

progressively limit the rest of life. To overcome this dilemma,<br />

Situs put forward an efficient technique of construction<br />

of situations, whose purpose was to disrupt everyday<br />

life. This technique involved the construction of “moments”<br />

of life that generated new desires and new emotions through<br />

a play on events and the collective organization of a unified<br />

atmosphere. These situations were subversive by definition,<br />

and scandalous: shouting out that “God is dead” in<br />

a cathedral, for example. By doing so, they challenged the<br />

system (e.g. the Catholic Church) and created a cleavage<br />

between those who were against these attacks and those<br />

who were in favor. The Russian art movement Voïna and<br />

the Chinese artist Ai Weiwei are contemporary examples<br />

of activism in art. Similarly, the entrepreneur engaging in<br />

creative destruction must be prepared to take on the role<br />

of the diverging figure.<br />

Entrepreneurial<br />

subversion: illustrations<br />

In the 1960s, entrepreneurs illegally developed<br />

private radio stations in the United Kingdom.<br />

The State’s authority was challenged with extremely<br />

limited resources. Each party attempted<br />

to seduce the population, and the famous Caroline Radio<br />

was particularly successful in that endeavor, contributing<br />

to the legitimization of rock-and-roll and to new forms of<br />

radio broadcasting.<br />

In the mid-70s, Larry Flynt founded Hustler magazine.<br />

At that time, Playboy was the dominant<br />

actor in an industry which had made significant<br />

changes to increase its respectability. In 1976,<br />

for instance, the very religious presidential candidate Jimmy<br />

Carter agreed to do an interview with this erotic magazine.<br />

Hustler’s editorial policy was deliberately on the<br />

opposite end of Playboy’s: instead of seeking the approval<br />

of institutions, Hustler proclaimed its independence<br />

and flaunted its image as unapologetically pornographic.<br />

Everything in Hustler’s story evokes the idea of subversion.<br />

The context brought together three actors: a system<br />

(Puritan values and American obscenity laws), the masses<br />

(American citizens), and a group of activists (the Hustler<br />

start-up). Their message was radical in nature and sought<br />

to destroy the puritan morals of the time. Twisting the spirit<br />

behind the First Amendment to the American Constitution<br />

that guaranties freedom of expression, Larry Flynt<br />

defended his right to publish pornography as a form of<br />

expression and demanded the abolition of censorship.<br />

Finally, despite depending on resources that were extremely<br />

limited at first, the magazine provoked such scandals<br />

and high-publicity trials that it was soon known across<br />

the country and financially very lucrative.


<strong>Geheimsache</strong> #8<br />

A<br />

famous example is also The Free Software<br />

Movement, whose leader, Richard<br />

Stallman, has been trying to provide free<br />

and open access to software source<br />

codes since the early 1980’s. Stallman’s core beliefs are<br />

best summed up in this sentence of his 1985 Manifesto:<br />

“Proprietary modifications will not be allowed.”2<br />

Thus, this project challenges one of the central<br />

founding blocks of capitalism: intellectual property<br />

rights.Worth mentioning are also the<br />

American entrepreneurs who<br />

are Libertarians and whose<br />

ambition is to destroy the<br />

power of the State, or at least to limit it significantly. Peter<br />

Thiel, for instance, who founded Paypal in the late 1990’s<br />

with the initial objective to create a private international<br />

currency that would undermine the State’s monopoly on<br />

issuing money. This project was met with great hostility<br />

and led to several lawsuits, preventing it from attaining<br />

its original goal. Nevertheless, it now generates extremely<br />

high revenues that reach several billion dollars.<br />

In these examples, there is more than just a<br />

competition between economic players. There<br />

are some subversive dynamics initiated by entrepreneurs<br />

trying to diffuse their innovations.<br />

Learning subversion in a Business<br />

School?<br />

If entrepreneurs challenge the status quo, break<br />

the rules, and subvert systems; as a professor<br />

at ESCP Europe, how can I teach such a thing?<br />

The problem I have to answer this question is<br />

that I am teaching in top ranked programs at ESCP Europe.<br />

I am not in a garage somewhere planning to change<br />

the world. I am part of the most established business<br />

schools in Europe. I am part of this system of reproduction<br />

described by Pierre Bourdieu.<br />

Trying to solve the dilemma, I started to explore<br />

the art scene and the theories about art.<br />

This approach is not unusual. Art-based learning<br />

in business schools is a common practice.<br />

Art is used as an illustration for case studies. Art is<br />

also used as an analogy to develop business skills through<br />

an instrumental perspective: art can help to leverage your<br />

leadership or your creativity through practicing theater for<br />

example. All of that makes a lot of sense but there is one<br />

thing missing when people use art for business purposes:<br />

subversion. Subversion in art is a common practice. You<br />

can find many texts and references about art and subversion.<br />

If we want to develop analogies and metaphors with<br />

art in education; we should consider that very key aspect.<br />

Eventually, I started to collaborate with Pierre Tectin, an<br />

artist working in squats in Paris and its suburbs; a sort of<br />

subversive artist doing weird things according to a guy<br />

like me. Eventually, after some (situationist) drifts, we developed<br />

an experiment: Improbable.<br />

Improbable is a creative method to learn and<br />

experience entrepreneurship through art.<br />

Courses do not only take place in classrooms<br />

but also in museums, studios and other unusual<br />

spaces. Participants do not only have to write business<br />

plans but are also asked to create (subversive) artistic<br />

prototypes. Key resources are not only<br />

investors but also artists and encounters<br />

of all sorts. Conceived as a 4-day workshop,<br />

Improbable creates an extreme<br />

setting with no pre-assigned artefacts<br />

and routines, no hierarchy in teams, a<br />

diversity of the participants’ backgrounds,<br />

a highly compressed time frame<br />

and total freedom to choose the form and content of<br />

the final output.<br />

Improbable: a dialogical pedagogy<br />

To enable the students to let go of their preconceptions<br />

and create, we designed various<br />

heteropias and developed a dialogical<br />

pedagogy. According to Michel Foucault, contrary<br />

to utopias, heterotopias are physical spaces but they<br />

are spaces where you can rethink about the world as if you<br />

were outside it. To explore, imagine and challenge the status<br />

quos, our students have to experience new roles, time<br />

and spaces. During Improbable, participants work at night,<br />

discuss with people in the streets, collect garbage, barter<br />

various material and immaterial objects… They do a list of<br />

things that they never do or that they never even imagine<br />

they could do in a professional environment. Thus, traditional<br />

business schools students act as entrepreneurial apprentices<br />

taking a transitory role such as that of an artist<br />

within a transitory environment such as La Cartonnerie (one<br />

of the studios where these workshops take place in Paris).<br />

Although ephemeral, these experiences generated intense<br />

feelings in so far as it involved a disruption in the form of<br />

the challenging task of ‘having to let go’ of a ‘stable state’<br />

in order to ‘move to’ a new one.<br />

Moreover, during the process, we continuously<br />

support (contradictory)<br />

dialogues of all sorts: dialogues<br />

between students and the academic<br />

team, but also among students, between students and<br />

unknown people in the street… This process enables what<br />

Michael Bakhtin names the dialogical process which is key<br />

to challenge the taken for granted.<br />

Among the 300 people who attended the<br />

last opening exhibition, there were some<br />

recognized artists and curators. They were<br />

quite amazed by the quality of the work<br />

as well as the presentations and discussions they had<br />

with the students.<br />

Improbable and its subversive outputs<br />

70<br />

The works of art created by the students challenged<br />

the perceived status quo in different<br />

ways. These physical outputs seem to help<br />

students to explicit their vision of the world;


SuBversive Reproduction<br />

71<br />

entrepreneurs who challenge the status quo and are<br />

“ideal characters” for TV shows. Far from only being<br />

mediatised heroes, these entrepreneurs know very well<br />

how political activism can be integrated into their<br />

(subversive) marketing strategies.<br />

Peter Thiel, Has America lost its ability to dream big? (CNN)<br />

Drawn by Pierre Tectin


<strong>Geheimsache</strong> #8<br />

72<br />

Illustrations<br />

for the work of art<br />

Illustrations<br />

for the events<br />

Finance Group: two juxtaposed<br />

videos presenting<br />

parallel realities of the<br />

world of finance. One<br />

showing the time/space<br />

disconnections of dominant<br />

market finance from the<br />

real world entrepreneurs,<br />

and another recording the<br />

entrepreneurial aspects of<br />

this video-development<br />

process itself during the<br />

Improbable workshop.<br />

Finance Group: creation of<br />

an event to raise awareness<br />

about Crowdfunding.<br />

To do so, students organized<br />

a live event and a<br />

conference of entrepreneurs<br />

involved in Crowdfunding,<br />

including an open<br />

debate on the value of<br />

this emergent domain in<br />

addressing inherent inefficiencies<br />

of traditional<br />

finance.<br />

Entrepreneurial Festival<br />

Group: a yellow jacket was<br />

given to audience members<br />

who had to wear it and<br />

pass it onto each other.<br />

Through this process,<br />

unexpected discussions and<br />

interactions were developed<br />

on the day of the<br />

exhibition opening.<br />

Entrepreneurial Festival<br />

Group: a ‘Human Shaker<br />

Experience’ was designed<br />

to develop new ways of<br />

networking to enable<br />

improbable encounters<br />

during an event; instead<br />

of a traditional cocktail<br />

where people tend to engage<br />

with people they already<br />

know and within hierarchical<br />

limits.<br />

TABLE 2: Examples from<br />

Improbable 2012, Paris<br />

in other words, to form their own ideologies.<br />

starting with these artistic productions, students<br />

develop entrepreneurial projects which go far<br />

beyond the art world. This detour in art makes<br />

them not only practice creation but also helps<br />

them realize better what they want to fight for/<br />

against and why.<br />

Beyond these examples, Improbable<br />

was described by the students as<br />

an intense and memorable experience<br />

in itself. A moment of emancipation,<br />

about doing things in life that you don’t know you<br />

can do. Improbable is not only a tool, an instrument, a detour.<br />

Art cannot be just a detour. Art is also valuable in itself in<br />

this context. Improbable might be very useful because it<br />

seems a priori useless to ask business school students to<br />

create a contemporary piece of art.<br />

Conclusion: from subversion to a<br />

subversive reproduction<br />

ESCP Europe offers more and more programmes<br />

addressing subversion. By deviating techniques<br />

designed by the Situationists (e.g. the drift<br />

described by Guy-Ernest Debord) or concepts<br />

like heterotopias (e.g. Foucault), we<br />

try to infuse these subversive dynamics.<br />

Even though Improbable is an<br />

on-going research project related to<br />

several topics (subversion, leadership,<br />

effectuation, informal practices<br />

in entrepreneurship, dialogism,<br />

enactment…), we still know very little<br />

about these questions and more<br />

needs to be done to assess the<br />

impacts and understand the dynamics<br />

of such workshops. At least, we know what we would<br />

like to achieve. We hope that these methods help to disrupt<br />

the infinite reproduction of our elites. We hope that these<br />

programs help to create new territories where people from<br />

various social and cultural backgrounds can become actors<br />

and play, invent, work with more capabilities than today. We<br />

hope that we won’t reproduce an elite but support a subversive<br />

reproduction…<br />

•<br />

www.improbable.strikingly.com


Related publications of the authors<br />

Bureau, Sylvain (2014) “Piracy as an avant-garde deviance: how do entrepreneurial<br />

pirates contribute to the wealth or misery of nations?”, International Journal<br />

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Bureau, Sylvain & Zander, Ivo (2014) “Entrepreneurship as an Art of Suver sion”,<br />

Scandinavian Journal of Management, Vol. 30, n°1, pp. 124-133<br />

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Effectual Art”, EFMD Entrepreneurship Conference, Babson College, Boston, Feb.<br />

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Becoming: Insights from the Entrepreneurial Processes”, OLAP, Roma, Italy, June<br />

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Verzat, Caroline; O’Shea, Noreen; Bureau, Sylvain (2014) “Apprendre à entreprendre<br />

en équipe, le rôle du leadership distribué”, 5èmes Journées Georges Doriot, Rabat,<br />

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system reproduce an elite who subverts our society? The case of a subversive<br />

reproduction within a European Business School”, AoMo, Copenhaguen, Aug. 28-31<br />

Bureau, Sylvain (2013) “Entrepreneurship as a Subversive Activity: How Can<br />

Entrepreneurs Destroy in the Process of Creative Destruction?”, M@n@gement,<br />

Vol. 16, n°3, pp. 204-237<br />

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Revue Internationale de Psychosociologie et de gestion des Comportements Organisationnels,<br />

Vol. 19, n°47<br />

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Business School: an ‘improbable’ encounter”, European Group of Organization<br />

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court chemin pour apprendre à entreprendre ? ”, Revue Française de Gestion,<br />

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Bureau, Sylvain; Koufaris, Marios (2012) “How to Teach Effectuation: The<br />

situationist Dérive as a Solution?”, Academy of Management, Boston, MA., Aug. 3-7<br />

Bureau, Sylvain (2012) “Bringing the Informal Economy into the Classroom:<br />

A Barter Experiment”, Symposium Aesthetic Marketplaces in Informal Economies:<br />

An Artifactual Experience, Ed. S. Sarasvathy, Academy of Management, Boston, MA.,<br />

Aug. 3-7<br />

Bureau, Sylvain; Fendt, Jacqueline (2011) “Entrepreneurship and Situationism:<br />

A Détournement”, European Group of Organization Studies, Gothenburg, Sweden,<br />

June 6-9


JeNseits<br />

von Sub<br />

Für eine neue Bewegung<br />

der Befrei-<br />

Ver<br />

ung (von) der Arbeit<br />

sionund<br />

SoziaL<br />

darWin<br />

ismus<br />

74


T: Michael Hirsch<br />

Kapitalismus als Subversionsmaschine<br />

Die Frage nach der Emanzipation ist die<br />

nach einem fortschrittlichen Zusammenhang<br />

von vier Elementen des Sozialen:<br />

von Subjektbildung und subjektivem<br />

Begehren, der Gewalt von Staat und Ökonomie<br />

über unser Leben, dem Befreiungspotenzial und<br />

den Organisationsformen sozialer Bewegungen<br />

und sozialen Ideen. Die Frage ist bis heute offen,<br />

und zwar ebenso auf der intellektuell-kulturellen<br />

wie auf der politischen und individuellen Ebene.<br />

Wir sind in den letzten zwei Jahrzehnten Zeugen<br />

des Niedergangs von gewerkschaftlicher und sozialdemokratischer<br />

Organisationsmacht und ihrer<br />

strategischen Intelligenz gewesen; Zeugen vom<br />

Verlust eines allgemeinen politischen Fortschrittsprojekts<br />

der Linken bereits auf der intellektuellen<br />

Ebene und der Herausbildung neuer Subjektivitätsformen,<br />

welche sich in der Zeit weniger<br />

als emanzipatorisch als vielmehr dem post-fordistischen<br />

Arbeitsregime und seinen Zwängen angepasst<br />

erweisen.<br />

Die Figur der Subversion ist ein Symptom<br />

für diese mehrfache Krise<br />

des Emanzipationsgedankens; für eine<br />

Krise des politischen, politökonomischen<br />

und kulturellen Freiheitsgedankens zugleich. Konnte die<br />

kulturelle Linke noch eine Zeitlang davon träumen, dass<br />

Subversion eine machtvolle Figur nicht nur des Ausdrucks<br />

individuellen Freiheitsstrebens, sondern auch der effektiven<br />

emanzipatorischen Umwandlung der herrschenden<br />

wirtschaftlichen und staatlichen Systeme, ihrer Konformitätszwänge<br />

und ihres Machtpotenzials sein könnte, so<br />

zeigt sich seit knapp zwei Jahrzehnten: Der zeitgenössische<br />

Kapitalismus selbst ist der absolute Meister der Subversion.<br />

Er eignet sich alle gegen ihn gerichteten Wünsche<br />

und Energien an, programmiert sie um und unterwirft sie<br />

seinen Zwecken. So hat er es geschafft, im Verbund mit<br />

dem neoliberalen Staat die Arbeitsverhältnisse in einer<br />

Weise zu deregulieren, dass zuletzt die ökonomische Herrschaft,<br />

das Kommando zunehmend in den Subjekten selbst<br />

verankert und die Fremdzwänge zunehmend in Selbstzwänge<br />

überführt wurden. Er hat es geschafft, den Kampf<br />

gegen kapitalistische Lohnarbeit und Entfremdung immer<br />

mehr umzufunktionieren in einen Imperativ der Selbstverwertung<br />

des Subjekts und der sozialen Entsolidarisierung.<br />

Der sogenannte Arbeitskraftunternehmer scheint mittlerweile<br />

bereit zur freiwilligen Selbstausbeutung. Dies war<br />

schon Maurizio Lazzaratos These in seinem Beitrag „Immaterielle<br />

Arbeit“ in dem Buch „Umherschweifende Produzenten.<br />

Immaterielle Arbeit und Subversion“, das 1998 in<br />

Deutschland erschien. Der Befund lautet: Der zeitgenössische<br />

Kapitalismus ist die gerissenste Maschine zur kreativen<br />

Aneignung aller gegen ihn gerichteten Bestrebungen.<br />

Resignative Leitideologie<br />

An diesem Stand der Dinge hat sich bis<br />

heute nichts geändert. Seitdem sind einige<br />

schlaue soziologische Veröffentlichungen<br />

hinzugekommen, welche diese Thesen<br />

en détail entfalten. Die bekanntesten sind „Der neue<br />

Geist des Kapitalismus“ von Luc Boltanski und Ève Chiapello;<br />

„Das erschöpfte Selbst. Depression und Gesellschaft<br />

in der Gegenwart“ von Alain Ehrenberg; „Das unternehmerische<br />

Selbst. Zur Soziologie einer Subjektivierungsform“<br />

von Ulrich Bröckling. Alle<br />

diese Bücher sind Teil und Symptom<br />

einer resignativen gesellschaftlich-kulturellen<br />

Grundstimmung;<br />

einer Gesellschaft,<br />

die zur Gestaltung der Geschichte<br />

nicht mehr die Phantasie hat,<br />

sondern ihre Kraft aufzehrt in<br />

der Anpassung an die als naturgegeben<br />

erscheinende Evolution<br />

von Kapital, Ökonomie und<br />

Technologie. Unsere Gegenwart<br />

hat einige Züge der Spätphase<br />

der DDR, in der allen Beobachtern<br />

das herrschende System<br />

als unveränderlich erschien,<br />

während es innerlich unmerklich<br />

zerfiel. Und in der den einzelnen<br />

Subjekten mangels Alternative<br />

kleine subversive Gesten und<br />

Ausbrüche aus dem erlaubten Korridor des Normalen wie<br />

das höchste der Gefühle in Sachen Freiheit erschien. Denn<br />

Subversion ist ein Zeichen von Schwäche. Wenn wir der<br />

Ansicht sind, dass die herrschenden Lebensbedingungen<br />

uns weder auf der individuellen noch auf der kollektiven<br />

Ebene Raum für autonome Neugestaltungen lassen, dann<br />

trösten wir uns mit kleinen Gesten des Widerstands. Dann<br />

geht es fast nur noch um die subjektiven Effekte der (vermeintlichen)<br />

Unterwanderung eines herrschenden Regimes.<br />

Wenn alle, auch die Herrschenden selbst,<br />

zunehmend nur noch Getriebene einer<br />

als übermächtig und unbeherrschbar<br />

empfundenen Struktur sind; wenn<br />

sowohl die kollektive Handlungsfähigkeit als auch die<br />

individuellen Alternativen zu den bestehenden Formen<br />

des Arbeitens und Wirtschaftens kleiner werden, dann<br />

bemächtigt sich eine tiefe Resignation der Menschen.<br />

Dann bleibt nur noch der Trost kleiner Praktiken der Verweigerung.<br />

Subversion ist die Leitideologie einer unfreien<br />

Gesellschaftsordnung. Sie sagt: Ich kann nichts machen,<br />

mir bleibt nichts anderes übrig, als so zu handeln wie ich<br />

handle, wie wir alle handeln; es ist letztlich gar nicht ich<br />

selbst, der hier handelt, sondern das herrschende Regime<br />

der Arbeitsorganisation und Regulierung des Sozialen. Die<br />

Subversion erzeugt einen imaginären Abstand zum eigenen<br />

Tun. Sie verbirgt die Tatsache, dass unter den bestehenden<br />

Bedingungen die Einzelnen immer mehr zu Mitläufern<br />

werden, in den Schulen und Hochschulen, in den<br />

Familien, in den Parteien und Gewerkschaften, in Behörden,<br />

Betrieben und Unternehmen.<br />

Die Ausnahme als Normalzustand<br />

75<br />

Wenn die Ausnahme zum Normalzustand<br />

wird; wenn die Herausforderungen an<br />

Einzelne und Kollektive chronisch<br />

immer ein wenig über deren Kapazität


<strong>Geheimsache</strong> #8<br />

zu Leistung und Problemlösung liegen – dann leben die<br />

Menschen im Neoliberalismus. Man kann diesen Herrschaftstyp<br />

so definieren: Die Menschen gewöhnen sich<br />

zunehmend an irreguläre Zustände und Anforderungen.<br />

Die Krise in Permanenz ist unser Lebensgefühl geworden.<br />

Das ist keine besonders originelle Einsicht mehr. Indessen<br />

ist es intellektuell von großer Bedeutung, sich die Folgen<br />

dieser Konstellation vor Augen zu führen. Sie liegen zunächst<br />

einmal auf der Ebene der Lebensformen und Gewohnheiten,<br />

im privaten wie im beruflichen Umfeld gleichermaßen.<br />

Und sie liegen auf der Ebene der Frage nach demjenigen<br />

Menschentyp, der sich in solch einer Situation durchsetzen<br />

kann. Wenn die Kämpfe ums Überleben heftiger werden,<br />

dann wird sich ein ganz bestimmter Menschentyp durchsetzen:<br />

ein vitaler Typ von Mensch, der sich der Situation<br />

des permanenten Kampfes ums Dasein anpassen kann.<br />

Es gehört nicht viel Scharfsinn dazu zu sehen, dass dies<br />

ein durchsetzungsstarker, aber nicht gerade besonnener,<br />

nachdenklicher, rücksichtsvoller, um die zukünftigen Bedingungen<br />

der sozialen, kulturellen und ökologischen Reproduktion<br />

der Gesellschaft besorgter Menschentyp sein wird.<br />

Die soziale, kulturelle und ökologische Qualität der Praxis<br />

ist für ihn kein Kriterium. Er ist nur darum besorgt, dass<br />

es „so weiter“ geht wie bisher. Von Walter Benjamin stammt<br />

der schöne Satz: „Daß es ‚so weiter‘ geht, ist die Katastrophe.“<br />

Dass das Weiter-So möglicherweise nicht nur in<br />

eine Katastrophe führt, sondern bereits der Anfang einer<br />

Katastrophe sein könnte – diese Möglichkeit existiert im<br />

Bewusstsein des neoliberalen Kraftmenschen nicht. Der<br />

praktische Sozialdarwinist ist viel zu sehr mit dem Kampf<br />

ums Überleben beschäftigt. Seine ganze Kraft wird von<br />

der Anstrengung aufgezehrt, die es kostet, dafür zu sorgen,<br />

dass es erst einmal „so weiter“ geht. Die neuen Eliten im<br />

Staat und in der Wirtschaft, in Schulen und Hochschulen,<br />

im sozialen wie im kulturellen Bereich – sie sind kampfbereite<br />

Sozialdarwinisten. Sie sind die Klonkrieger des<br />

Neoliberalismus.<br />

Irreguläre Arbeitsbedingungen<br />

– freiwillige Mehrarbeit<br />

Wir leben heute in einer Dystopie. Ihr<br />

Merkmal ist die allgemeine Über-Identifikation<br />

des Subjekts mit seiner<br />

Arbeit. Sie entspricht der Schließung<br />

des gesellschaftlichen Zukunftshorizonts. Es handelt sich<br />

dabei nicht nur um ein Regime der allgemeinen erzwungenen<br />

Mehrarbeit und der wachsenden Ungleichheiten<br />

von Einkommen und Anerkennung,<br />

sondern eben auch um<br />

eines der extremen libidinösen<br />

Besetzung von Arbeit. Waren bis<br />

vor kurzem die normalen Arbeitszeiten<br />

und Arbeitsanforderungen<br />

noch an einer tariflich vereinbarten<br />

und an einem hypothetischen<br />

Gesellschaftsvertrag abgelesenen<br />

Norm orientiert, so scheint<br />

die neue Norm eben die zur<br />

Regel gewordene Ausnahme geworden zu sein: permanente<br />

Mehrarbeit, Überstunden, Deregulierungen und<br />

Intensivierungen der Arbeit in allen möglichen Formen.<br />

Die neue Arbeitsnorm in den avancierten Professionssystemen<br />

der Wirtschaft, aber auch der Kultur ist auf einer<br />

prinzipiellen Ebene irregulär. Es gibt nunmehr nicht mehr<br />

da und dort Abweichungen von der Norm; die Abweichung<br />

ist zur neuen Norm geworden. Man kann sich kaum noch<br />

auf einen geltenden Standard berufen, um sie zu kritisieren<br />

und gegebenenfalls zu verändern.<br />

Das aber bedeutet, dass sich der klassische<br />

Gesellschaftsvertrag aufgelöst hat. Er war<br />

um das Normalarbeitsverhältnis herum<br />

organisiert – letztlich um die Idee einer<br />

normativ aufgeladenen Grenze zwischen Arbeit und Nichtarbeit,<br />

mit einer klaren Fortschrittsachse: als fortschrittlich<br />

galt – analog zur Steigerung wirtschaftlicher Produktivität<br />

– das Ziel der Verringerung der Gesamtarbeitsmenge und<br />

entsprechend das Ziel der Verringerung und sozial gerechten<br />

Verteilung von Arbeitszeiten und Arbeitsarten (1.); das<br />

Ziel der möglichst egalitären Verteilung von Löhnen und<br />

Gehältern (2.); schließlich das Ziel der möglichst weitgehenden<br />

Mitbestimmung oder demokratischen Verfügung<br />

der Arbeitenden über die Prozesse ihrer Produktion und<br />

Zusammenarbeit (3.).<br />

Neue Regelungen – gegen die<br />

Überidentifikation mit der Arbeit<br />

Wenn dieser Gesellschaftsvertrag aufgegeben<br />

wird und (implizit) durch<br />

einen der permanenten Steigerung<br />

von wirtschaftlicher Produktivität<br />

ohne die Perspektive der „Vermeidung nutzloser Arbeit“<br />

(Karl Marx) ersetzt wird, dann ist die Folge die Implosion<br />

des Arbeitsprozesses in die Gesellschaft: die Kolonialisierung<br />

der Lebenswelt durch die Imperative wirtschaftlicher<br />

Rationalität. Dies ist wiederum auch kein sonderlich<br />

neuer Gedanke. Aber er wird aktuell und wichtig<br />

dadurch, dass wir verstehen, dass die „Norm der Abweichung“<br />

ein ästhetisch-kreatives Paradigma in die Prozesse<br />

wirtschaftlicher Arbeit einführt. Damit aber wird die<br />

Grenze zwischen Freiheit und Notwendigkeit verwischt:<br />

Die erzwungene Über-Identifikation mit der Arbeit bedeutet<br />

auf der Ebene der Subjekte und ihrer psychischen<br />

Ökonomie eben die libidinöse Besetzung der (Mehr-)<br />

Arbeit. Anstelle der klassischen Differenz zwischen Freiheit<br />

und Notwendigkeit oder Freiheit und Zwang tritt<br />

eine neue Anweisung, ein neues gesellschaftliches Über-<br />

Ich: Das wollen, was ich muss!<br />

Eine solche Ordnung kann eigentlich nicht<br />

subversiv unterwandert werden. Wie sollte<br />

man von einer Norm abweichen, die selbst<br />

irregulär ist? Sie kann letztlich nur durch<br />

die Aufrichtung einer neuen Norm transformiert werden.<br />

Subversion läuft leer wegen der systematischen affirmativen<br />

Besetzung des herrschenden Systems durch die<br />

eigene Arbeit. Produktiv im Sinne der Erzeugung einer<br />

kritischen inneren Distanz zum herrschenden System sind<br />

subversive Strategien nur in politischen Systemen wie<br />

dem der DDR. Hier gibt es eine offiziell herrschende Doktrin,<br />

die aber im Alltag überall kreativ unterwandert und<br />

angeeignet wird. Nicht so in der heutigen Gesellschaft,<br />

wo die Subjekte mit all ihren Energien und Eigenheiten<br />

in das Wirtschaftssystem (sowohl als Produzenten wie<br />

76


JENSEITS VON SUBVERSION UND SOZIALDARWINISMUS<br />

77<br />

als Konsumenten) eingesogen werden. Für uns kommt<br />

deswegen alles darauf an, neue Regeln des Sozialen,<br />

neue Regeln der Arbeit aufzustellen: neue Definitionen<br />

des Normalen.<br />

Ein neuer Gesellschaftsvertrag<br />

Der Widerstand gegen die Kontrollgesellschaften,<br />

von denen zeitgenössische<br />

Unternehmen wohl der Prototyp sind, hat<br />

sich in den letzten 20 Jahren als völlig<br />

wirkungslos herausgestellt. Er wird zerrieben im neuen<br />

deregulierten Arbeitsregime der Individualisierung und<br />

der Steuerung weniger<br />

über kollektive<br />

Normen als über<br />

individuelle Leistungsanreize.<br />

Man<br />

wird daraus folgern<br />

müssen, dass dies<br />

ohne neue Formen<br />

der kollektiven Organisation<br />

der Arbeitenden<br />

auch so bleiben<br />

wird. Ohne eine<br />

neue, fundamentale<br />

Artikulation der Interessen<br />

der Beschäftigten<br />

an sozialer<br />

Sicherheit, ausreichendem<br />

Einkommen<br />

und guten<br />

Arbeitsbedingungen<br />

wird es weder sozialen<br />

Frieden noch<br />

individuelle Zufriedenheit, noch gute Arbeit auch im Sinne<br />

langfristiger wirtschaftlicher und gesellschaftlicher<br />

Entwicklungsziele geben. Ziel sind mithin neue soziale<br />

Vereinbarungen über die Normalitäten der Arbeitswelt.<br />

An die Stelle irregulärer Arbeitsverhältnisse<br />

und erzwungener Identifikationen mit<br />

vorgegebenen Produktions- und Unternehmenszielen<br />

wird ein neuer Gesellschaftsvertrag<br />

treten müssen, der die Lebenswelt und die<br />

Wünsche der Beschäftigten ebenso wie die sozialen, ökologischen<br />

und kulturellen Entwicklungsziele der Gesellschaft<br />

berücksichtigt. Formen der unternehmerischen Organisation<br />

und der Arbeitsorganisation, die das missachten, werden<br />

verschwinden müssen. Das Leiden der Einzelnen an<br />

den Verhältnissen, die sie durch ihr Handeln reproduzieren<br />

– es darf nicht privat bleiben. Die Sehnsucht der Einzelnen<br />

nach Emanzipation und Sinn darf nicht individuell bleiben;<br />

das darf sich nicht in kleinen subversiven Praktiken und<br />

Zeichen von zweifelhafter Effektivität erschöpfen. Es muss<br />

die Schwelle der Kollektivität überschreiten und in kollektiven<br />

Neuschöpfungen von Regeln über das Normale und<br />

das Unnormale, das Nützliche und das Schädliche, das<br />

Gute und das Schlechte Form annehmen. Ob die Subjekte<br />

solcher Neuschöpfungen kleinere Zusammenschlüsse in<br />

Betrieben oder Berufsgruppen oder größere gewerkschaftliche<br />

Organisationen oder demokratische nationale Kollektive<br />

sein werden, kann erst einmal dahingestellt bleiben.<br />

Weniger arbeiten – besser leben<br />

In der Zeit, die es dauern wird, bis solche kollektiven<br />

fortschrittlichen Verbindungen entstehen,<br />

werden die Einzelnen sich in der Tat in<br />

subversiven Übungen und ihrer Darstellung<br />

betätigen müssen. Die Hauptoperation wird der Widerstand<br />

gegen die Mehrarbeit sein; die Verweigerung gegenüber<br />

dem Imperativ der Überidentifikation mit der Erwerbsarbeit.<br />

Weniger tun und arbeiten, als es eigentlich heute<br />

„normal“ ist, das wäre die subversive Geste par excellence.<br />

Es wäre die Grundthese einer neuen Avantgarde. Und<br />

dabei geht es nicht darum, individuell als heroische Ausnahme<br />

zu erscheinen, sondern eher darum, ein anderes<br />

Modell, einen anderen Maßstab des Normalen zu behaupten.<br />

Das Unnormale, das Irreguläre sind diese Verhältnisse<br />

hier, und wir richten ein anderes Modell des Normalen<br />

auf, indem wir jetzt schon nach einer Norm leben, von der<br />

wir hoffen, dass sie in Zukunft für alle gilt. Damit tun wir<br />

zweierlei. Zum einen versuchen wir, als Einzelne jetzt schon<br />

so zu leben, wie es eigentlich richtig wäre. Zum anderen<br />

stellen wir damit ein allgemeines Modell auf. Die bloß<br />

negative Funktion des Subversiven versucht der Avantgardist<br />

der Zukunft zu überwinden in einer Bejahung, die<br />

allgemeine Gültigkeit beansprucht. Die Fortschrittshoffnung<br />

der Emanzipationsidee jenseits bloßer Subversion<br />

lautet: Dass Arbeit (in ihren verschiedenen Formen als<br />

Erwerbsarbeit, familiäre und soziale Sorgearbeit, Gemeinwesenarbeit<br />

und politisches Engagement, kulturelle und<br />

Bildungsarbeit) einmal Teil eines guten Lebens für alle<br />

sein wird – und nicht mehr das Symptom einer schlechten,<br />

einer ungesunden Überschätzung des Wertes der<br />

Erwerbsarbeit.<br />


EARNEST & ALGERNON #8 SUBVERSION 104<br />

<strong>Geheimsache</strong> #8<br />

104<br />

Leipzig!<br />

kein Warten mehr,<br />

kein Moment der Geduld,<br />

freie Sicht auf die Welt,<br />

kein Systemzwang,<br />

Bilder einer Stadt,<br />

Bilder eines Auges,<br />

Stadt ohne Angst,<br />

kein zwanghafter Blick,<br />

keine Blickdoktrin,<br />

freie Menschen,<br />

freie Welt?<br />

eine Stadt mit Mut,<br />

1989?<br />

Leipzig!<br />

Der von Mischa Kuball entwickelte Beitrag „Leipzig!“ für <strong>Earnest</strong> & <strong>Algernon</strong> ist ein<br />

performativ überarbeiteter Gedanke zur ehemaligen DDR mit Auszügen aus dem handgemachten<br />

Künstlerbuch „Mischa Kuball, Leipzig!“, Juni Verlag, Mönchengladbach 1990 in<br />

einer Auflage von 16 Exemplaren.


StRAte<br />

gische<br />

SubV<br />

ersion:<br />

WofUr?<br />

–Woge<br />

gen?


T: Franz Liebl<br />

107<br />

Versteht man Subversion ganz allgemein<br />

als ein Vorgehen, welches die Regeln und<br />

Mechanismen eines Systems so nutzt, dass<br />

sie sich gegen das System selbst wenden,<br />

so lässt sich diese Denkfigur sicherlich bis in die Antike<br />

zurückverfolgen. Doch selbst, wenn der Betrachtungshorizont<br />

auf die letzten Jahrzehnte begrenzt wird, zeigt sich<br />

ein bemerkenswerter, auch verschlungener, Karrierepfad<br />

der Subversion. Daniels (2014) resümiert, dass sich der<br />

Terminus „Subversion“ über diese Periode hinweg erheblich<br />

in seinen Konnotationen verändert habe. Während<br />

damit ursprünglich destruktive Aktionen bezeichnet worden<br />

seien, habe sich das Bedeutungsspektrum mit den Sechzigerjahren<br />

ins Positive gewandelt; und diese Entwicklung<br />

habe sich bis heute fortgesetzt: „Subversion wurde nun<br />

als politischer, strategischer, künstlerischer und programmatischer<br />

Begriff benutzt. … ehemals subversive künstlerische<br />

Strategien des Détournement, der Appropriation<br />

und des Culture Jamming [sind nunmehr] zu universellen<br />

Kulturtechniken der Massenmedien geworden.“ Mit anderen<br />

Worten, der Diskreditierung folgte eine Art emanzipativer<br />

Schub, der in eine Begeisterung darüber mündete,<br />

dass heute jeder alles subvertiert; aber auch gepaart mit<br />

der Enttäuschung darüber, dass Subversion zum Produktivfaktor<br />

insbesondere in Marketingkontexten geworden ist<br />

(z. B. Frank 1997; Heath/Potter 2005; Doll 2008).<br />

Damit einher geht die Multiplikation von<br />

Begrifflichkeiten, die Subversives bezeichnen,<br />

etwa „Hacking“. Im Kielwasser<br />

unserer Metapher bzw. des Neologismus<br />

„Cultural Hacking“ zur Bezeichnung subversiver Strategien<br />

kultureller Innovation (Liebl 2001; Düllo/Liebl 2005) folgte<br />

beispielsweise eine Begriffswelle von „Bindestrich-<br />

Hackings“, die bis in die jüngste Zeit anhielt: Reality<br />

Hacking, Ikea-Hacking, Gender Hacking, Design Hacking,<br />

Urban Hacking, Planet Hacking, Biohacking und so weiter<br />

und so fort (Liebl/Düllo 2014). In dem Maße, wie alles<br />

und jedes gehackt werden konnte und schließlich auch<br />

gehackt wurde, geriet jedoch der Grundgedanke immer<br />

weiter aus dem Blickfeld. Das primäre Interesse, das uns<br />

zum Begriff bzw. zur Denkfigur des „Cultural Hacking“<br />

geführt hatte, war im Rückgriff auf Groys und de Certeau<br />

die Frage nach der Innovation sowie den damit verbundenen<br />

Praktiken und Strategien. Hierzu gehören insbesondere<br />

(künstlerische) Positionen, welche etablierte Konfliktlinien<br />

bzw. Oppositionen ignorieren und mit komplexeren<br />

Zugriffen operieren – vorzufinden etwa bei Dunne + Raby,<br />

Human Beans und einer Reihe anderer Künstler und Designer.<br />

Sie alle lassen ein bestimmtes Grundmuster erkennen:<br />

Zweifellos kritisch in der Diagnose herrschender<br />

Bedingungen, sind sie aber dennoch bereit, mit Unternehmen<br />

zu kooperieren, dabei in den Mitteln subversiv<br />

und spielerisch, teils auch parasitär und viral vorgehend.<br />

Es existiert also ein wesentlicher – und oftmals nicht verstandener<br />

– Unterschied zum Komplex des sogenannten<br />

„Culture Jamming“ und der „Kommunikationsguerilla“, welche<br />

sich noch an althergebrachten Konfliktlinien abarbeiten:<br />

Es geht nicht darum, lediglich Kritik zu formulieren,<br />

Widerstand zu leisten oder den Gegner bloßzustellen,<br />

sondern das Ziel besteht in der Schaffung einer Innovation.<br />

Die Rolle von Subversion sehen wir daher nicht als<br />

Ziel, sondern als Mittel – genauer gesagt, als gegebenenfalls<br />

nützliches Mittel – zur Realisierung notwendiger oder<br />

wünschenswerter Innovationen.<br />

Die Quantität von Subversionen schlug um<br />

in eine veränderte Qualität: Ist Subversion<br />

mit einem Mal ubiquitär und alltäglich,<br />

wird ihre Mechanik nicht nur leichter<br />

durchschaubar, sondern auch Teil der Erwartungshaltung<br />

des Publikums: „Nun unterwandert und überrascht uns<br />

mal schön …“ An solch einer Messlatte können Akteure<br />

nur scheitern, wenn die „Drehung an der Détournement-<br />

Schraube“ (Edlinger 2006) häufig genug vollzogen wurde.<br />

Und schließlich existiert insbesondere im Kulturbetrieb<br />

– namentlich im Bereich der Bildenden Kunst, der Architektur<br />

und der Darstellenden Künste – eine neuartige<br />

Rhetorik der „Intervention“, die vorwiegend als pure Behauptung<br />

einer Subversion operiert. Mit Schäfer/Bernhard<br />

(2008) lässt sich folglich feststellen: „Subversion erweist<br />

sich oft mehr als Zuschreibung denn als Effekt.“ Und Hiller/Kerber/Borries/Wegner/Wenzel<br />

(2012) kommen zu<br />

dem Resümee, dass es sich bei „Intervention“ um einen<br />

„überverwendeten, aber unterbestimmten“ Begriff handelt.<br />

Von dieser Inflationierung und Banalisierung<br />

der Begriffswolke Subversion – Intervention<br />

– Hacking sind Managementwissenschaft<br />

und -praxis weitgehend unberührt<br />

geblieben. Gleichwohl lauert das Thema Subversion in diesen<br />

Bereichen unausgesprochen an allen Ecken und Enden.<br />

Es war vor allem Mintzberg (1994), der ins Bewusstsein<br />

gerückt hat, wie wenig die ursprünglich geplanten Strategien<br />

von Unternehmen mit den letztendlich realisierten zu<br />

tun haben. Umgehend deutete die Beraterzunft diese<br />

Be obachtung als ein „Implementierungsproblem“; dass<br />

nämlich angeblich subversive Mitarbeiter im Mittelmanagement<br />

es verhindern würden, dass für sie unliebsame, weil<br />

unbequeme Strategien umgesetzt würden. So genanntes<br />

„Change Management“ wurde zur präferierten Sozialtechnologie<br />

der Überwindung solcher Implementierungswiderstände<br />

gegen Strategien, sofern nicht ohnehin die martialische<br />

Rhetorik aus dem Business Process Re-engineering<br />

Verwendung fand; angefangen von der „Implementierung<br />

mit harter Hand“ bis hin zu Slogans des Typs „strike hard,<br />

cut deep“. Insofern herrscht – ob absichtlich oder nicht –<br />

mit diesem Generalverdacht gegen das Mittelmanagement<br />

als „subversives Element“ ein Subversionsverständnis vor,<br />

das aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts datiert.<br />

Gleichzeitig spiegelt sich hierin der Gedanke der asymmetrischen<br />

Kriegsführung wider, den man bei de Certeau<br />

(1980) als modus operandi zwischen Strategen und (subversiven)<br />

Taktikern beschrieben findet. Allerdings mit dem<br />

feinen Unterschied, dass beide Parteien sich in ein und<br />

derselben Organisation befinden, von deren Erfolg sie existenziell<br />

abhängig sind. Angesichts dieser unübersichtlichen<br />

Gemengelage stellt sich die Frage: Warum und zu welchem<br />

Ende braucht es also Subversion in Führungskontexten?<br />

Und was ist eigentlich das strategische Problem, für das<br />

Subversion eine Lösung sein kann?<br />

Um sich einer Beantwortung dieser Frage<br />

zu nähern, lohnt eine genauere Betrachtung<br />

des Phänomens emergenter Strategien.<br />

Die Lesart, die gemeinhin Mintzbergs


<strong>Geheimsache</strong> #8<br />

Beobachtungen unterlegt wird, lässt sich folgendermaßen<br />

charakterisieren: Strategie ist das, was im Nachhinein als<br />

Strategie ausgegeben wird. Natürlich ist eine solche Schlaumeierei<br />

nicht ganz verkehrt, aber als strategischer Nihilismus<br />

– ja, gar Zynismus – nicht hilfreich, wenn eine<br />

Organisation an strategischer Handlungsfähigkeit dazugewinnen<br />

will. Für Mintzbergs Beobachtungen bietet sich<br />

indes eine alternative Lesart an, die man wie folgt beschreiben<br />

könnte: Emergente Strategien verkörpern keineswegs<br />

nur Störfeuer, um in böswilliger Weise strategische Intentionen<br />

zu Fall zu bringen. Im Gegenteil, so legen Mintzbergs<br />

Ausführungen und Beispiele nahe, befinden sich<br />

darunter häufig unerwartete, gute Ideen aus dem Kreis<br />

der Mitarbeiter oder überraschende Umfeldentwicklungen,<br />

aus denen wichtige Opportunitäten und „strategische<br />

Fenster“ erwachsen. Sie unrealisiert zu lassen, wäre unklug,<br />

ja gar fahrlässig. Die Frage ist also nicht, wie derartige<br />

Unterwanderungen intendierter Strategien zu vermeiden<br />

wären, sondern im Gegenteil, wie solch „emergentes Strategisieren“<br />

(emergent strategizing) in einer Organisation<br />

kultiviert – d. h. stimuliert, kanalisiert und wertgeschätzt<br />

– werden kann. Dies stellt einen zentralen Aspekt dessen<br />

dar, was wir bereits in <strong>Earnest</strong> & <strong>Algernon</strong>, Heft 2/2012<br />

(„Laugh & Cry“), als „Strategische Mobilisierung“ beschrieben<br />

haben. Daraus resultiert ein verändertes Verständnis<br />

von Strategischem Management, das nicht mehr aus dem<br />

ebenso technokratischen wie anfälligen Hintereinander<br />

von Planung und Umsetzung besteht, sondern als ein<br />

Ineinandergreifen von emergenter Strategisierung und<br />

strategischer Mobilisierung verstanden werden kann (siehe<br />

hierzu ausführlich Liebl/Düllo 2014).<br />

Wenn also in einem solchen prozessorientierten<br />

Strategieverständnis Subversion<br />

überhaupt eine zielführende<br />

Funktion einnehmen kann, dann wohl<br />

primär die, die Aktivitäten emergenter Strategisierung zu<br />

stimulieren bzw. zu mobilisieren. Was dann, paradox genug,<br />

eine „Subversion von oben“ wäre, welche die Führungsaufgabe,<br />

einen angemessenen Strategieprozess aufzusetzen,<br />

erfüllt. Wie aber ist so etwas vorstellbar, wenn Subversion<br />

von oben offenbar gerade nicht bedeuten soll, mit<br />

„harter Hand, gepaart mit Hinterlist“ gegen den Willen der<br />

Mitarbeiter intendierte Strategien durchzusetzen? Wo also<br />

gerade nicht das Bonmot gilt: „Subversion ist Schnellbeton“<br />

(Schäfer/Bernhard 2008)? Und die Subversion nicht<br />

gegen etwas, sondern für etwas operiert? Das heißt: Ähnlich<br />

wie im Kontext des Hacking stellt ein strategischer<br />

Zugang zu Subversion die Zielsetzung der Innovation in<br />

den Vordergrund. Überträgt man Barthes’ (1971, 127)<br />

Diktum, dass die beste Subversion darin bestehe, die<br />

Codes zu entstellen, auf den Strategieprozess, so bedeutet<br />

das beispielsweise, diesen Prozess gerade nicht als<br />

strategisch zu markieren. Aber warum sollte man das tun,<br />

wo doch das Attribut „strategisch“ so gerne verwendet<br />

wird, um Nichtigkeiten zu adeln? Erstens genau deshalb.<br />

Denn mit der (Zwangs-)Rekrutierung von Mitarbeitern zu<br />

angeblichen Strategieworkshops und -klausurtagungen,<br />

deren Ergebnisse in der Wahrnehmung der Teilnehmer<br />

ebenso unstrategisch ausfallen wie folgenlos bleiben, wird<br />

in Organisationen nicht nur Zeit vergeudet, sondern auch<br />

unnötig Frustration erzeugt. Sinnfällig ist die Vermeidung<br />

des Etiketts „strategisch“ für Strategieprozesse zudem,<br />

wenn die Organisation bereits eine mehr oder weniger<br />

lange Leidensgeschichte durch erfolglose (Strategie-)Beratungsprojekte<br />

oder strategisch verbrämte Kostensenkungsrunden<br />

hinter sich gebracht hat. Mit anderen Worten, wenn<br />

also niemand mehr unterhalb der Geschäftsleitung das<br />

Wort Strategie hören mag, aber die Organisation gleichzeitig<br />

nichts dringender braucht als die emergenten Strategiebeiträge<br />

aus dem Kreis der Mitarbeiterschaft.<br />

Bei Voigt (2003) findet sich für einen derartigen<br />

Fall die folgende Form der Subversion<br />

beschrieben: Es sei nämlich unter solchen<br />

Voraussetzungen nicht gleich wieder<br />

ein sogenanntes „Strategie-Projekt“ aufzusetzen, sondern<br />

der konkrete Leidensdruck an der operativen Basis zum<br />

Ausgangspunkt zu nehmen und die Verbesserungsvorschläge<br />

der betroffenen Abteilungen so zu orchestrieren,<br />

dass eine strategische Neuausrichtung daraus resultiert.<br />

Ganz im Sinne von Porter (1996), der die detailgenaue<br />

Abstimmung der Prozesse als wesentlich für die Wettbewerbsfähigkeit<br />

des Geschäftsmodells als Ganzes ansieht:<br />

„The correct answer is that everything matters.“ Voigt schildert,<br />

wie in dem von ihm betrachteten Fall eine unschuldig<br />

klingende, weil scheinbar operative Fragestellung –<br />

Wie optimieren wir als Handelsunternehmen die Arbeit<br />

unseres Vertriebs-Call-Centers? – als Hebel für eine strategische<br />

Neukonfiguration genutzt wurde. Voraussetzung<br />

hierfür ist, den „archimedischen Punkt“ in Form einer<br />

geeigneten Fragestellung zu finden. Dies ist dann gegeben,<br />

wenn sich in dem betreffenden Unternehmensbereich<br />

der komplette Satz verdrängter bzw. unerkannter strategischer<br />

Fragen wie in einem Hologramm abbildet. Im Fall<br />

des betreffenden Unternehmens waren das Fragen des<br />

Typs: Wie segmentieren wir unsere Kundenbasis? Wie<br />

gestalten wir unser Beziehungsmarketing? Müssen wir<br />

das Kundenportfolio bereinigen? Müssen Konditionenpolitik<br />

und Lieferrhythmen neu überdacht werden? Welche<br />

Anreizstruktur soll im Vertrieb herrschen? All diese Fragen<br />

waren in den Call-Center-Operationen implizit oder explizit<br />

miteinander verknüpft. Die betrachteten, scheinbar<br />

operativen Problemlagen der Call-Center-Agenten wirkten<br />

wie ein loser Faden, anhand dessen sich nach und nach<br />

ein gordischer Knoten auflösen ließ. Strategische Subversion<br />

bedeutet insofern nicht die Unterwanderung des<br />

Systems, sondern das Aushebeln der Systemblockade.<br />

Porter (1996) schreibt über die Quintessenz<br />

von Strategie: „The essence of strategy is<br />

choosing what not to do.“ Da ist es nur<br />

konsequent, bei strategischer Subversion<br />

nicht von Strategie zu reden.<br />

•<br />

108


Literatur<br />

Barthes, Roland, Sade, Fourier, Loyola, Paris 1971<br />

Daniels, Donna, Subversion als Strategie heute?, in: Landwehr, Dominik (Hg.),<br />

Political Interventions, Zürich 2014<br />

de Certeau, Michel, L’invention du quotidien: 1. arts de faire, Paris 1980<br />

Doll, Martin, Für eine Subversion der Subversion: Über die Widersprüche eines<br />

politischen Individualismus, in: Ernst, Thomas; Cantó, Patricia Gozalbez; Richter,<br />

Sebastian; Sennewald, Patricia; Tieke, Julia (Hg.), Zum Verhältnis von Politik<br />

und Ästhetik in der Gegenwart, Bielefeld 2008, S. 47–68<br />

Düllo, Thomas; Liebl, Franz (Hg.), Cultural Hacking: Kunst des Strategischen<br />

Handelns, Wien 2005<br />

Edlinger, Thomas, Alphabet des Abfalls: C – wie Comme des Garçons, in: The Gap,<br />

#072, Dezember 2006/Jänner 2007, S. 24<br />

Frank, Thomas, The Conquest of Cool: Business Culture, Counterculture, and the<br />

Rise of Hip Consumerism, Chicago, IL 1997<br />

Groys, Boris, Über das Neue – Versuch einer Kulturökonomie, München 1992<br />

Heath, Joseph; Potter, Andrew, The Rebel Sell: How the Counterculture Became<br />

Consumer Culture, Chichester 2005<br />

Hiller, Christian; Kerber, Daniel; Borries, Friedrich von; Wegner, Friederike;<br />

Wenzel, Anna-Lena (HG.), Glossar der Interventionen: Annäherung an einen überverwendeten,<br />

aber unterbestimmten Begriff, Berlin 2012<br />

Liebl, Franz, Wege aus der Retro-Schleife, in: brand eins, Vol. 3, #09, November,<br />

2001, S. 110–111<br />

Liebl, Franz, Mobilisierung: Strategische Nutzung emotionaler Ressourcen; in:<br />

earnest & <strong>Algernon</strong>, #2: “Laugh & Cry”, 2012, S. 134–136<br />

Liebl, Franz; Düllo, Thomas, Strategie als Kultivierung (erscheint 2014)<br />

Mintzberg, Henry, The Rise and Fall of Strategic Planning, New York 1994<br />

Porter, Michael E., What Is Strategy?, in: Harvard Business Review, Vol. 74, #6,<br />

1996, S. 61–78<br />

Schäfer, Mirko Tobias; Bernhard, Hans, Subversion ist Schnellbeton! Zur Ambivalenz<br />

des “Subversiven” in Medienproduktionen, in: Ernst, Thomas; Cantó, Patricia<br />

Gozalbez; Richter, Sebastian; Sennewald, Patricia; Tieke, Julia (Hg.),<br />

SUBversionen: Zum Verhältnis von Politik und Ästhetik in der Gegenwart, Bielefeld<br />

2008, S. 69–87<br />

Voigt, Thorsten, Just implement it? Strategische Kräfte im Unternehmen mobilisieren,<br />

Berlin 2003


weitblick<br />

statt<br />

fernsehen<br />

Juliane Stiegele<br />

Utopia Toolbox


HoLLyWOOdschAu<br />

kel oDEr der GA<br />

Rten des AnDEren<br />

T: Hans-Georg Wegner<br />

Das Gegenteil von Macht ist ja<br />

nicht Ohnmacht. Sondern?<br />

Das Gegenteil von Autoritätshörigkeit ist ja<br />

nicht Selbstbestimmtheit. Oder?<br />

Das Gegenteil von Hierarchie ist ja<br />

nicht Freiheit. Sicher?<br />

Aber was ist dann das Gegenteil von all dem,<br />

was wir mit Macht verbinden?<br />

Es wird den Ostdeutschen ja gerne bescheinigt,<br />

sie seien a) autoritätshörig, hätten b)<br />

eine Vorliebe für autoritäre Strukturen, also<br />

strenge Hierarchien, und c) bewunderten<br />

Menschen mit Macht. Woher diese Wessi-Meinung über<br />

die Ostdeutschen kommt, ist klar: Sie waren es ja nicht<br />

anders gewohnt im Osten, wo ein straff organisierter Parteiapparat<br />

das Leben der Staatsbürger bis in jedes Alltagsdetail<br />

hinein geplant und geregelt hatte. Selbstbestimmung<br />

kam in dieser Diktatur der Avantgarde, wie sich<br />

die DDR-Führung auch gerne bezeichnete, offiziell nicht<br />

vor. Das Ich sollte sich im Wir verwirklichen. Der Blick<br />

über die Mauer aus westlicher Sicht hinein in den DDR-<br />

Zoo ergab dann logisch, dass diese Fremdbestimmtheit,<br />

unter der die DDR-Bürger scheinbar so sehr litten, zu<br />

enorm hohem Druck geführt hätte, der sich dann in der<br />

Wende 1989 entlud und zur befreienden Sprengung der<br />

Grenzen hinein in die Wessi-Freiheit führte. Das Mythen-<br />

Muster dieser Geschichtssicht erfüllt sich wunderbar: Eine<br />

privilegierte, machtvolle Elite beutet die Bevölkerung aus,<br />

knechtet sie so lange, bis sie es nicht mehr aushält, die<br />

Sklaven rebellieren und jagen die Unterdrücker zum Teufel.<br />

Doch dieser Mythos trifft auf das, was während der<br />

Wende vorging, leider nicht zu.


Hollywoodschaukel oder der Garten des anderen<br />

113<br />

Ich kann an dieser Stelle natürlich nicht die absolute<br />

Wahrheit über die Wende erzählen. Niemand<br />

kann das, klar. Und auch klar: „Den Ostdeutschen“<br />

gibt es nicht. Aber meiner Meinung<br />

nach stimmt das Klischee über das Verhältnis der Ostdeutschen<br />

zur Macht nicht. Ich möchte hier eine subjektive These<br />

zur Erklärung vorlegen.<br />

Die Wirtschaft der DDR war geprägt von<br />

Volkseigenen Betrieben, den berühmten<br />

VEB’s. Die Idee dahinter ist eigentlich<br />

bestechend: Wenn der Arbeiter weiß,<br />

dass er nicht für den Besitzer des Betriebes arbeitet,<br />

sondern dass er selbst der Besitzer ist, arbeitet er für<br />

sich selbst und identifiziert sich viel mehr mit der Arbeit,<br />

wird also produktiver. Da man aber aus ideologischen<br />

Gründen nicht gewillt war, jeden Arbeiter zugleich zum<br />

Unternehmer zu machen – also sowohl an der Verantwortung<br />

wie auch am Risiko und am Gewinn zu beteiligen<br />

– war diese schöne Idee zum Scheitern verurteilt.<br />

Die unternehmerische Leitung behielt nach wie vor<br />

die Partei, und damit blieb das Machtverhältnis das<br />

für den Arbeiter gewohnte: „Die da oben“ sagen, was<br />

gemacht wird, und ich führe es aus.<br />

Da die unternehmerischen Qualitäten<br />

der DDR-Eliten allerdings nicht besonders<br />

groß waren und auch solch ein<br />

Wirtschaftssystem zunächst völlig unerprobt,<br />

tat sich an unerwarteter Stelle der Himmel des<br />

selbstbestimmten Arbeitens auf: Ging das Material zu<br />

Ende, das für den eigentlichen Zweck des Betriebes<br />

nötig gewesen wäre, begann man mit dem noch verfügbaren<br />

Material andere Dinge zu produzieren. Zum<br />

Beispiel Hollywoodschaukeln für den Garten des Anderen.<br />

Niemand langweilt sich gerne bei der Arbeit.<br />

Absoluter Machtanspruch kann nicht<br />

gelingen. Es wird immer unerreichbare<br />

Nischen geben. In diesen Nischen entwickelt<br />

sich dann Freiheit, ja Anarchie.<br />

Insofern können Hierarchien für den Arbeitnehmer auch<br />

etwas sehr Verlockendes haben. Dass die Ostdeutschen<br />

sich so sehr nach Autorität sehnen, hat mehr damit zu tun,<br />

dass sie im Schatten dieser Autorität ihre Freiräume finden<br />

und lieben, in denen sie selbstbestimmt ihren Bedürfnissen<br />

nachgehen können. Es hat nichts damit zu tun, dass<br />

sie sich nach autoritären Ansagen sehnen würden. Macht<br />

wird sehr gerne unterlaufen. Die Erfahrung des Ostens mit<br />

Macht ist die, dass Machtansprüche nur zum Schein bedient<br />

und in der Praxis einfach unterlaufen werden.<br />

Entsprechend wurde der Bereich des Privaten<br />

so wichtig. Das Private stand für den Einzelnen<br />

absolut im Zentrum des Lebens. Nicht,<br />

wie so gerne geglaubt wird, „weil es ja nix<br />

anderes gab, womit man sich beschäftigen konnte“, sondern<br />

weil das Private einerseits den Geschmack der Rebellion<br />

gegen den autoritären Anspruch des Allgemeinwohls<br />

hatte, andererseits, weil – geben wir es zu – das Private<br />

einfach das ist, worum es geht im Leben. Es hatte noch<br />

nicht den Beigeschmack des Peinlichen, Kleinlichen, der<br />

ihm im heutigen Wirtschaftsleben anhaftet. Heute ist das<br />

Private nur als Statussymbol (Kinder) oder zur Rekreation<br />

der Arbeitskraft erlaubt („Quality-Time“).<br />

Wenn man genauer hinschaut, war es<br />

auch der Bereich des Privaten, der<br />

1989 den entscheidenden Boost zur<br />

Wende gab. Die Ostdeutschen wollten<br />

besseres Essen, schönere Urlaube, komfortablere Autos<br />

etc. Die Zahl der wahren Rebellen, die wirklich gesellschaftliche<br />

Freiheit wollten, war verhältnismäßig klein. Sie<br />

wurden zuletzt schwer enttäuscht von der Entwicklung<br />

der sogenannten Revolution von 1989. Ihre Ideen und<br />

Gedanken hätten das Zeug zu einer wirklichen Revolution<br />

gehabt, an der weder Ost noch West gesteigertes Interesse<br />

zeigten.<br />

Die Wende war das Produkt des expansiven<br />

Privatbereichs der Ostdeutschen, nicht<br />

das einer politischen Revolte. Im Schatten<br />

des großen Wir, inmitten der volkseigenen<br />

Produktionsmittel, vor allem total gegen den Anspruch<br />

der SED, hat sich in der DDR ein faszinierendes Biotop<br />

des Privaten ausgebreitet, dessen Sinnerfahrung stärker<br />

wirkte als die öffentlich propagierte Ansicht, dass die Welt<br />

den Sozialismus braucht, um menschlicher zu werden.<br />

Wenn der Ostdeutsche sich heute nach<br />

mächtigen Hierarchien sehnen sollte,<br />

dann in der Regel deshalb, weil er<br />

geschult ist, diese zu unterlaufen und<br />

sich darin seine Freiräume zu suchen. Und wenn er nostalgisch<br />

sein sollte, dann deshalb, weil er dem riesigen<br />

Bereich des privaten Lebens nachtrauert, den er exzessiv<br />

beackern durfte. Für beides steht die Hollywoodschaukel:<br />

Sie wurde in der Schlosserei des Volkseigenen Chemiekombinates<br />

Bitterfeld gebaut und wurde schaukelnd genossen<br />

beim Grillen mit einem in der Filmfabrik Wolfen<br />

gebauten Grill. Eingeladen waren Freunde, von denen<br />

man ein paar Sack Zement und Steine für die neu zu bauende<br />

Datsche erwartete, vorausgesetzt, man konnte den<br />

Bitterfelder Kollegen überreden, eine weitere Hollywood-<br />

Schaukel zu bauen, für die er dann einen super Grill Marke<br />

Eigenbau bekommen würde.<br />


SubVer<br />

sion<br />

iST ein<br />

FlUid<br />

uM<br />

Ich habe den Eindruck, dass diese Epoche ein Verlangen<br />

hat zu trennen, ein Verlangen nach Apartheid. Wir werden<br />

uns damit auseinandersetzen müssen, was Teilen bedeutet.<br />

Achille Mbeme


T: Nina Gühlstorff 115<br />

Meine Herkunft<br />

Meine Lehrer waren Achtundsechziger,<br />

und ich habe von Ihnen alle kritischen<br />

Instrumente an die Hand bekommen,<br />

um die Gesellschaft, die Kunstproduktion<br />

und – dann später im Studium der Theaterregie –<br />

Inszenierungen und Texte zu analysieren. Ich bin, wie viele<br />

meiner Generation, bestens ausgebildet „subversives“ Theater<br />

zu machen, einen Text gegen den Strich zu lesen und<br />

sein gesellschaftskritisches Potenzial herauszuarbeiten.<br />

Nach der Ausbildung dachten wir: Es<br />

muss doch möglich sein, die Gesellschaft<br />

mittels Theater auf neue Gedanken<br />

zu bringen!<br />

Aber es kam anders: Unsere subversiven<br />

Strategien wurden als Attitüde gelesen.<br />

Wir stellten fest, dass die rebellische<br />

Pose auf der Bühne Teil des Marktes ist.<br />

Sie fand in der Arena statt und hatte einfach nichts zu<br />

tun mit der Wirklichkeit. Wir mussten feststellen, dass<br />

die Dekonstruktion des bürgerlichen Stückekanons als<br />

Event rezipiert wurde. Bis heute ist es so: Manche feiern<br />

das Hinterfragen des Bekannten, andere regen sich darüber<br />

auf und kehren dem Theater den Rücken zu. Rebellion<br />

gehört zum Geschäft, und das aufregende Infragestellen<br />

des Repertoires steigert den Marktwert der<br />

Regisseure. Zu politischen oder gesellschaftlich relevanten<br />

Auseinandersetzungen im Publikum führt der Aufstand<br />

jedenfalls äußerst selten. Ein weiteres Problem tat sich<br />

bei subversiven Aufführungen auf: Sie waren ziemlich<br />

elitäre Veranstaltungen. Der Zugang zur Gruppe der Theatergänger<br />

ist begrenzt. Die Besucher müssen nicht nur<br />

das Geld für einen Theaterbesuch übrig haben, sondern<br />

auch die Sozialisation, die sie überhaupt dazu veranlasst,<br />

ins Theater zu gehen, die Zeit, die literarische Vorbildung<br />

– ach, einfach das Selbstverständnis, Bürger oder Bürgerin<br />

zu sein.<br />

Uns dämmerte es: Die nächste Theaterrevolution<br />

musste nicht auf der Bühne stattfinden,<br />

sondern im Foyer oder gleich auf<br />

der Straße. Die Herausforderung heute ist<br />

doch, dass wir in einer heterogenen Gesellschaft eine<br />

heterogene Gemeinschaft sein können – mit dem Mut zur<br />

komplexen Ausdifferenziertheit, aber in einem gemeinsamen<br />

Lebensraum. Dafür muss man sich treffen, reden,<br />

hören, live, in ungesicherten Kontexten und nicht im abgeschirmten<br />

Kunstkontext des Theatersaals.<br />

Jedenfalls reicht es nicht mehr aus, die Klassiker<br />

noch einmal neu zu lesen und dem<br />

immer gleichen Publikum anzubieten. Subversive<br />

Strategien sind wie ein Fluidum und<br />

ändern sich mit der Zeit.<br />

Der dritte Weg – Ein Projekt anlässlich<br />

des 20-jährigen Mauerfalls<br />

Der Dritte Weg, Eine theatrale<br />

Demonstration, Jena 2009<br />

Ein in dieser Hinsicht entscheidender Versuch<br />

war „Der dritte Weg“: Ausgehend von Interviews<br />

mit DDR-Oppositionellen, die über<br />

ihren Antrieb berichteten, sich für Veränderung<br />

einzusetzen, die ihren „dritten Weg“ zwischen den<br />

zwei Systemen beschrieben, entstand eine theatrale<br />

Demonstration, ein dokumentarisches Theaterstück im<br />

öffentlichen Raum.<br />

Lothar Probst, Politikwissenschaftler an der<br />

Universität Bremen, sieht in dem Aufbruch<br />

von 1989 die Merkmale jener Bürgergesellschaft,<br />

von der heute so viel die Rede ist:<br />

„Zivilcourage, Initiative, Spontanität. Engagement, Lust am<br />

politischen Handeln, Übernahme von Verantwortung, Selbstorganisation<br />

– diese Eigenschaften, die in der Diskussion<br />

über die Bürgergesellschaft jetzt so oft beschworen werden,<br />

haben damals das politische Geschehen geprägt.“<br />

Diese Lebenshaltung machten wir am Beispiel sichtbar:<br />

Ausgehend von der Stadtkirche, dem Ort der Montagsdemonstrationen<br />

in Jena, initiierten wir einen Marsch in die<br />

Stadt. Was zunächst als Spaziergang begann, bei dem das<br />

Publikum nur unbeschriftete Plakate trug, verwandelte sich<br />

in eine Demonstration. Am Ende des Abends wurden die<br />

Banner mit Inhalten versehen, und das Publikum wie bei<br />

einer echten Demonstration von der Polizei durch die Innenstadt<br />

bis zum Theaterhaus eskortiert. Kunst? Re-Enactment<br />

einer historischen Situation? Eine reale Demo? Die Grenzen<br />

hatten sich verschoben. Abschluss des Abends bildeten<br />

Work-Shops zu gegenwärtigen Formen zivilen Ungehorsams.<br />

Mitglieder der Piratenpartei waren zu Gast, die das<br />

Publikum darin schulten, sich unerkannt im Internet zu<br />

bewegen. Sitzblockade-Techniken wurden geübt. Thema<br />

dieses Abends war ohne Zweifel politische Subversion –<br />

aber war dieser Abend selbst subversiv?<br />

1986 fand auf dem „Platz der Kosmonauten“<br />

das 1. Spontane Jenaer Open-Air-Frühstück<br />

statt, eine Gruppe junger, langhaariger Oppositioneller<br />

verlegte ihr Frühstück an einem<br />

Sonntag auf einen öffentlichen Platz, ein paar Wolf-Biermann-Lieder<br />

wurden gesungen. Der Staat reagierte mit<br />

Verhaftungen und Repressalien. Das 2. Open-Air-Frühstück,<br />

veranstaltet im Herbst 2010 im Vorfeld unseres Projekts<br />

an gleicher Stelle, war ein nettes Picknick. Subversion ist<br />

zeitgebunden.


<strong>Geheimsache</strong> #8<br />

116<br />

„Was ich mir damals gewünscht habe? … Äh … was haben<br />

wir denn auf diese Flugblätter gedruckt? … Freiheit<br />

wahrscheinlich … Irgendwas zwischen Jesus und Bakunin!<br />

… Auf jeden Fall keine Wiedervereinigung!“<br />

SCHWARZWEISS –<br />

Projekt am Theater Dessau<br />

Wer in Dessau aus dem Zug steigt,<br />

kann sich entscheiden: Der Westausgang<br />

führt Richtung Bauhaus<br />

in ein modernes Univiertel. In der<br />

Nähe sitzt das Umweltbundesamt in einem tollen Neubau.<br />

Oder man nimmt den Ostausgang: vorbei an einem der<br />

größten Theaterbauten der Nazis, dem Anhaltischen Theater<br />

Dessau, ins Stadtzentrum, das hauptsächlich aus<br />

tristen Wohnblocks und einer Rathauspassage mit den<br />

üblichen austauschbaren Einkaufslandschaften besteht.<br />

2005 ist in der Gewahrsamszelle der Dessauer<br />

Polizei ein Mann zu Tode gekommen. Die<br />

Umstände sind bis heute nur unbefriedigend<br />

aufgeklärt. Der Mann hieß Oury Jalloh, seine<br />

Biografie klingt geläufig: Er kam aus Sierra Leone, sein<br />

Asylverfahren wurde abgelehnt, er lebte im Duldungsstatus<br />

und wurde wegen Drogendelikten angeklagt. Eine Story<br />

also, die in meinem Segment der Gesellschaft eine klare<br />

Haltung hervorruft: Wie konnte das nur passieren! Eine<br />

Schande – oder wie es einer der Polizisten, die wir interviewten,<br />

formulierte: Die „Zelle ist das Herz des Staates“.<br />

Darin darf so etwas nicht passieren, weil es das gesamte<br />

Gewaltmonopol des Staates in Frage stellt.<br />

Von diesem Fall ausgehend entwickelten<br />

wir gemeinsam mit dem Künstlerpaar<br />

Annette Schemmel und Paul Huf einen<br />

Parcours im öffentlichen Raum. Er begann<br />

im Stadtpark, führte durch die Dessauer Moschee, in das<br />

von Afrikanern genutzte Call-Center, über eine Turnhalle bis<br />

auf einen öffentlichen Platz in der Nähe der Rathauspassage.<br />

So wurde der Stadtraum im Zuge der Stadtbegehung<br />

– wie in Jena – selbst zur Bühne, das Publikum zu Akteuren:<br />

Zu Beginn bekam jeder der Teilnehmer anstelle eines Programmheftes<br />

ein Kostüm, das aus scheinbar afrikanischem<br />

Stoff geschneidert zum Träger einer Botschaft und zum<br />

Diskussionsangebot wurde. Annette Schemmel und Paul<br />

Huf hatten, einer west-afrikanischen Tradition folgend, einen<br />

narrativen Stoff entworfen, der Aspekte des Falls Oury Jalloh<br />

beleuchtete. So markiert gingen die Zuschauer durch<br />

den bekannten Stadtraum, bewegten sich an Orten, die sie<br />

normalerweise nicht aufsuchen würden, und Passanten, die<br />

normalerweise nicht ins Theater gehen würden, wurden zu<br />

Zeugen des Theatergeschehens. Was der öffentliche Raum<br />

hier bewirkte, war eine Egalisierung der Zuschauer. Ob man<br />

nun da war, weil man ins Theater wollte, ob man zufällig<br />

Zeuge wurde oder sich aus Neugier eingeschlichen hatte:<br />

Es bildete sich eine verschworene Gemeinschaft, eine<br />

Gemeinschaft mit ganz unterschiedlichen Haltungen. Jedem<br />

in Dessau, wie sehr er auch versuchen mochte, das Thema<br />

SCHWARZWEISS, Stadtbegehung, Dessau 2011<br />

zu vermeiden, fiel die Publikumsprozession auf. Sie wurde<br />

zu einem Zug gegen das Vergessen. Nicht zuletzt deshalb<br />

war auch die Polizei bei jeder Vorstellung anwesend: Weil<br />

dieser Zug sich angreifbar gemacht hatte, verletzlich war.<br />

Teilhabe<br />

Ohne dass wir in „gated communities“<br />

leben, werden die mentalen Mauern zwischen<br />

einzelnen Bevölkerungsgruppen<br />

immer größer. Wir vernetzen uns im Internet<br />

mit Gleichgesinnten und können damit unsere Peer-<br />

Group immer genauer ausdifferenzieren. Ziel der Web-<br />

Analyse ist es letztlich immer, sich selbst mit Ähnlichen zu<br />

vernetzen. Amazon bietet uns die Produkte an, die uns<br />

gefallen, Facebook schlägt uns Freunde vor, die gut zu uns<br />

passen. Kurz, wir lernen immer nur uns selbst kennen. Subversion<br />

könnte heute heißen, für die Dauer eines Abends<br />

Gemeinschaften herzustellen, die sich sonst nicht begegnet<br />

wären, die aber auf diese Weise ins Gespräch kommen.<br />

Wenn es keine gemeinsam genutzten Räume mehr gibt,<br />

entsolidarisiert sich eine Gesellschaft. Die neue Subversion<br />

begreift sich also als Abweichung von der vorherrschenden<br />

Norm, setzt sich selbst aber wieder ein normatives Ziel.<br />

Insofern war das 2. Jenaer Open-Air-Frühstück<br />

vielleicht nicht mehr subversiv in seinem ursprünglichen<br />

Verständnis, aber auch hier wurde eine<br />

neue Gemeinschaft erschaffen: Wir kamen mit<br />

Unbekannten ins Gespräch, die Stadt wurde zur Bühne und<br />

damit wurde die Bühne wieder zu einem Ort der neuen<br />

Subversivität.<br />

•<br />

Dokumentation<br />

SCHWARZWEISS – Eine theatrale Stadtbegehung<br />

des Anhaltischen Theaters Dessau um<br />

den Fall Oury Jalloh, Textem Verlag,<br />

Hamburg 2012


Performance<br />

as technology of<br />

other-worlding<br />

118<br />

A conversation with<br />

Alexander<br />

Baczyński-Jenkins<br />

It was in the very final phase of my research for this issue’s<br />

guiding topic – subversion – that I travelled to Basel Art Week<br />

this year. At the centre of this event there is Art Basel, one of<br />

the world’s most important fairs for showing and, above all,<br />

for selling contemporary art. Against this background, I wasn’t<br />

expecting to encounter much<br />

that would have proved to<br />

be fruitful from the perspective<br />

of subversive practices.<br />

At the same time, however,<br />

I wasn’t disposed to join in<br />

the sense of resignation that<br />

art has lost all its subversive<br />

potential in favour of becoming<br />

a commodity like any


T: Kina Deimel<br />

119<br />

other. Indeed, many of the works presented at the show stands<br />

appeared as subjects to the primacy of complaisance and<br />

salability in terms of format, to an aesthetics that often drifted<br />

towards the realm of decoration. But despite the difficulties<br />

that many young artists face in this overwhelmingly commercialized<br />

art world, the context in Basel left, if not opened up<br />

a space for some subversive experiments.<br />

During my stay in Basel my attention was drawn to the work<br />

of Alexander<br />

Baczyński-Jenkins,<br />

a young British-<br />

Polish artist one<br />

of whose cho-<br />

reographies was<br />

enacted as<br />

part of this year’s<br />

performance<br />

project at LISTE.<br />

Concurrently<br />

taking place to Art<br />

Basel every<br />

year since its<br />

inauguration<br />

in 1996, LISTE<br />

brands itself as<br />

“the world’s most<br />

important fair<br />

for young and<br />

emerging art,” a complement to the established artistic positions<br />

that Art Basel presents. Though this might sound promising<br />

in terms of subversion, much of what was presented<br />

ultimately revealed a reproduction of the very same logic that<br />

dominated the mass-attracting partner event. I interviewed<br />

Alexander about the ideas behind his work, about what it<br />

means to present performance work in such a context, the<br />

reasons for his decision for this processual form of expression,<br />

and about the platform that LISTE provides for his work.<br />

Maybe, what’s left to be subversive in such contexts lies in<br />

the engagement with what we tend to consider as the banal,<br />

the most fundamental and simple elements, encounters and<br />

experiences of everyday life.


- and Frank?<br />

- I’ve never been to San Sebastian, Irun, Hendaye, Biarritz,<br />

Bayonne, I don’t know how to pronounce the names<br />

- she’s a basic bitch<br />

Dedication Schwester Schwester, Basel LISTE 2014. Alexander Baczyński-Jenkins,<br />

in collaboration with and performed by: Karl Fagerlund, Zachariah Fletcher, Imma Mess


- but having a coke with you is definitely even more fun<br />

than going to all those places<br />

- having a coke with you is even more fun than …<br />

- being sick to my stomach on meth in east block …


<strong>Geheimsache</strong> #8<br />

122<br />

Kina Deimel<br />

(K. D.)<br />

To begin maybe, could you<br />

say a few words about your<br />

work in general? What are<br />

you mainly concerned with,<br />

what kind of questions<br />

trigger your artistic<br />

practice, and why do you<br />

choose performance – a<br />

relatively young and experimental<br />

artistic field<br />

– as a means of expression?<br />

Alexander Baczyński-<br />

Jenkins (A. B.-J.)<br />

I make choreographies.<br />

There is this track by<br />

Throbbing Gristle that I<br />

love, probably their most<br />

famous track, which is<br />

called Discipline. Genesis<br />

P-Orridge wilds out on the<br />

commands: “I want discipline!<br />

I need some discipline<br />

in here! We need<br />

some discipline!” Genesis<br />

trips on these words and<br />

h/er voice is in overkill…<br />

h/er voice is in total<br />

excess,<br />

what’s<br />

so<br />

strong<br />

about<br />

what’s<br />

happening<br />

is<br />

that s/<br />

he’s<br />

undoing the command<br />

through the voice, through<br />

its affect. S/he’s taking<br />

discipline and fucking<br />

with it, putting it in<br />

motion, letting it fill<br />

with desire and un-disciplining<br />

it. So it’s about<br />

un-disciplining as a practice<br />

and how to do through<br />

affect and affection. In<br />

Desire in Language, Julia<br />

Kristeva writes about<br />

un-disciplining as play, a<br />

poetic practice and experience<br />

– escaping that<br />

attempt to close things<br />

down and make them seem<br />

stable. I choose performance<br />

because it is the<br />

medium of emergence and<br />

contingency, and I also<br />

like the instance of the<br />

gathering. I like to think<br />

of performance as an<br />

ubiquitous technology of<br />

other-worlding. I am particularly<br />

interested with<br />

the other-worlding that<br />

happens in the everyday<br />

through desire, play,<br />

friendship, love. You<br />

re-imagine, you make a<br />

shared fantasy, it produces<br />

a space between you<br />

and affects you… it’s the<br />

capacity of bodies in<br />

alliance to make poetic,<br />

un-disciplined experiences;<br />

the pleasure of<br />

being together and performing<br />

with/for one another.<br />

To perform as making<br />

anOther present.<br />

K. D.<br />

How does Dedication Schwester<br />

Schwester, a poetry<br />

recital and choreography<br />

performed by three rollerbladers,<br />

fit into your<br />

practice? Was it commissioned<br />

by LISTE or why did<br />

you decide to do the<br />

performance there?<br />

A. B.-J.<br />

As a kind of urban choreography,<br />

it has a lot to<br />

do with my previous project<br />

Yet, see him through<br />

my eyes. I lived in Beirut<br />

for a year, to take<br />

part in the Home Workspace<br />

Program with Ashkal<br />

Alwan. In Lebanon, due to<br />

the law of “sexual acts<br />

against nature” – a colonial<br />

hangover – homosexual<br />

sex is illegal and so<br />

you have these old cinemas<br />

that screen straight<br />

erotica/porn, but are<br />

actually cruising places<br />

for men who have sex with<br />

men. Just before I arrived,<br />

two such cinemas<br />

were raided by the<br />

police. As part of the<br />

X-apartments project,<br />

Matthias Lilienthal’s<br />

curatorial format to<br />

develop site-specific<br />

performance works around<br />

the private/public, I<br />

began to look into queer<br />

presences and the Arab<br />

celluloid screen. This<br />

largely amounted to<br />

Egyptian cinema as comparatively<br />

speaking, for<br />

the Arabic-speaking film<br />

industry, Hollywood is<br />

the Cairo of the West.<br />

What came out of the<br />

research was a collection<br />

of scenes from Egyptian<br />

cinema that represent<br />

non-hetero-normative<br />

narratives. The resulting<br />

work was a 30-minute<br />

montage that was then<br />

screened on a loop for<br />

four days in a cruising<br />

cinema in Beirut’s<br />

district of Bourj Hammoud.<br />

In the cine-performance<br />

Yet, see him<br />

through my eyes, the<br />

screen of the cinema,<br />

usually operating in<br />

straight-drag, performs<br />

itself - the queer<br />

desires that are acted on<br />

in the audience are given<br />

their cinematic luminous<br />

presence.<br />

Dedication Schwester<br />

Schwester was commissioned<br />

by LISTE, but the concept<br />

also came out of my<br />

research in Beirut. I<br />

lived right next to the<br />

Corniche – the sea front,<br />

which is<br />

one of<br />

the few<br />

public<br />

spaces in<br />

Beirut.<br />

It's<br />

popular<br />

with<br />

rollerbladers,<br />

and is<br />

also a<br />

cruising<br />

area. I<br />

started<br />

roller-


PErformance as technology of other-Worlding<br />

123<br />

blading there. At the same<br />

time, I was looking into<br />

queer love in Arabic<br />

literature, of which there<br />

is a lot of material. I<br />

came across this medieval<br />

study of love practices by<br />

Ahmad Al-Tifashi – The<br />

Delight of Hearts or What<br />

you will not find in any<br />

book – with one chapter<br />

dedicated to poetry written<br />

on men loving men.<br />

While getting into rollerblading<br />

and reading poetry,<br />

the complicity between<br />

these became<br />

apparent. I started working<br />

with the idea of a<br />

rollerblade poetry practice.<br />

K. D.<br />

Can you specify what you<br />

mean with complicity,<br />

especially with regards to<br />

the poems you selected for<br />

the performance? One of<br />

them is Frank O’Hara’s<br />

Having a Coke With You…<br />

A. B.-J.<br />

For the iteration in<br />

Basel, the poets we sampled<br />

from included Frank<br />

O’Hara, Eileen Myles and<br />

Langston Hughes. The chosen<br />

poems orbit around<br />

desire/pleasure/love. What<br />

I really connect with in<br />

Frank O’Hara’s work is how<br />

he made sure to take<br />

poetry off any pedestal<br />

and include it as part of<br />

everydayness. Frank<br />

O’Hara’s poetry isn’t<br />

sheltered from the mundane,<br />

but in it and<br />

through it. He doesn’t<br />

make a distinction between<br />

the banal experience and<br />

high art, the pursued<br />

marvelous experience can<br />

be just having a coke with<br />

someone that you feel for.<br />

In making the poetry into<br />

a conversation, a joint<br />

practice, how the text is<br />

owned and lived by the<br />

performers is really<br />

important. The piece is a<br />

collaboration with Karl<br />

Fagerlund, Zachariah Fletcher<br />

and Imma Mess. The<br />

poetry functions as a<br />

shared pretext for a<br />

meeting. I choreograph the<br />

conditions for hanging out<br />

together, but it is really<br />

about how the performers<br />

engage with<br />

that – hanging<br />

out on<br />

rollerblades<br />

with each<br />

other and<br />

the text as<br />

a way to<br />

have fun<br />

and take<br />

pleasure<br />

– this is<br />

where the<br />

piece happens.<br />

There<br />

is both a<br />

strong<br />

choreographic<br />

framing<br />

and an<br />

out-of-controlness<br />

in how they move<br />

through that, live it.<br />

It’s therefore as much<br />

about the poetry as how<br />

they play with it.<br />

K. D.<br />

And what about the relationship<br />

to your audience?<br />

Within this constellation<br />

you describe, how do you<br />

see the viewer’s role?<br />

A. B.-J.<br />

I like to think of<br />

audience as an implicated<br />

voyeur. Jean Rouch spoke<br />

about the role of the<br />

camera participating in<br />

the rituals he filmed as<br />

cine-trance, the observing<br />

camera is a catalyst – the<br />

ritual would have happened<br />

anyway, but the camera’s<br />

attention makes the performers<br />

go further into<br />

it. A gathering of bodies<br />

with a directed attention<br />

often heightens an experience,<br />

both for the<br />

performers and for the<br />

audience. This context of<br />

people doing something<br />

together amplifies sensation…<br />

And then there is<br />

the dimension of making a<br />

public experience of performances<br />

that might usually<br />

be invisible.<br />

K. D.<br />

I know that<br />

you rehearsed<br />

the<br />

performance<br />

in front of<br />

some friends<br />

at Dalston<br />

Square in<br />

London<br />

shortly<br />

before<br />

coming to<br />

Basel. What<br />

was different<br />

there<br />

and in Basel<br />

at Theodorkirchsplatz?<br />

A. B.-J.<br />

We rehearsed in various<br />

places in London: Dalston<br />

Square, Hyde Park, the<br />

skate park at South Bank,<br />

outside a shopping mall<br />

next to Russell Square and<br />

in my flat. The sharing of<br />

the practice with friends<br />

is part of the work both<br />

because of the dialogue<br />

this generates and also<br />

because it provides the<br />

opportunity to practice<br />

how to keep the performance<br />

intimate and lucid,<br />

to practice keeping the<br />

performance as a practice.<br />

I liked that the performance<br />

in Basel happened<br />

outside a church.<br />

K. D.<br />

Was that your idea? What<br />

did you like so much about<br />

that setting?<br />

A. B.-J.<br />

The location was proposed<br />

by Fabian Schoeneich, the<br />

curator of LISTE, and my


eaction was – yes let’s<br />

take this to church. To<br />

unpack that: when you say,<br />

"I’m going to take that to<br />

church", it either means<br />

that you’re going to<br />

school it, or, when you<br />

really like someone or<br />

something, as an expression<br />

of conviction. The<br />

second meaning is what<br />

interests me. Church is<br />

both the old power that<br />

did and does a lot of<br />

damage and that represents<br />

ideas that really need to<br />

go and at the same time it<br />

stands for what’s still<br />

relevant: conviction and<br />

love. I don’t agree with<br />

conservative Christian<br />

morals, but I respect the<br />

sense of acting on a set<br />

of beliefs with the idea<br />

that they can have an<br />

efficacy. The combination<br />

of profanation and conviction<br />

is why I think Christian<br />

aesthetics have been<br />

appropriated a lot in<br />

queerings and camp. And<br />

then Stuart Hall says<br />

about critical practice:<br />

“You have to be a pessimist<br />

intellectually and an<br />

optimist with your will.”<br />

I would say being an optimist<br />

with your will is<br />

being a believer. Not in<br />

the protestant neo-liberal<br />

individualist sense – if<br />

you work hard enough you<br />

can make it – but as an<br />

affirmative ethics: small<br />

acts matter.<br />

K. D.<br />

Considering its taking<br />

place simultaneously to<br />

Art Basel, one of the<br />

world’s biggest and most<br />

important fairs for showing<br />

and selling contemporary<br />

art: What kind<br />

of platform does LISTE<br />

provide for you as a<br />

young, emerging artist?<br />

And what does it mean<br />

to present a processual<br />

and ephe meral work in<br />

such a context?<br />

A. B.-J.<br />

LISTE has a history of<br />

showing strong new directions<br />

in performance. Like<br />

any respected platform, as<br />

a young artist it gives<br />

your work visibility and<br />

gives cultural capital to<br />

what you are doing. It’s<br />

not that I seek institutional<br />

validation, but as<br />

the way things are now, it<br />

gives one's work a wider<br />

reach.<br />

There is an infatuation of<br />

the art world with performance,<br />

and a definite<br />

surge in the commercial<br />

art world’s interest.<br />

What’s not clear is how<br />

performance will challenge<br />

that economy and its modes<br />

of circulation. The question<br />

is: Will it re-order<br />

ways of thinking, presenting,<br />

and owning art?<br />


T: Wolfgang Müller<br />

127<br />

Der Begriff der Subversion kommt aus dem Lateinischen, subversor<br />

bedeutet „Umstürzer“ und bezieht sich allgemein auf<br />

Vorgänge, Bestrebungen oder Darstellungen, welche die bestehende<br />

soziale Ordnung, also Autoritäten, gesellschaftliche<br />

Zugehörigkeiten und Hierarchien, Ausbeutung von Gruppen,<br />

Machtkonzentrationen und so weiter in Frage stellen, irritieren<br />

bzw. verändern wollen.<br />

Subversion als Gegenmacht<br />

Claudia Reichert aka Wanda:<br />

Destabilisierungsstrategien und<br />

Raumöffnungen.<br />

Auf der unerquicklichen Suche nach einem<br />

Wohnraum stößt die DDR-Bürgerin Claudia<br />

Reichardt Anfang der Achtzigerjahre<br />

in Dresden auf eine dreistöckige alte Villa.<br />

Diese wird „Villa Marie“ genannt, ist umgeben von Streuobstwiesen<br />

und liegt malerisch am Ufer der Elbe. Es be ginnt<br />

eine Liebesgeschichte, die gleichzeitig zur Lebens- und<br />

Kunstgeschichte ihrer Entdeckerin wird. Fasziniert untersucht<br />

Claudia Reichardt alias Wanda die Historie des<br />

Hauses, sie lernt Bewohner, Orte und Zeiten kennen, die<br />

mit diesem verbunden sind oder waren. Im Jahr 1982 zieht<br />

sie in die „Villa Marie“ und eröffnet 1986 dort eine Galerie<br />

namens „fotogen“, aus der sich eine unabhängige Galerie<br />

entwickelt. Keine professionelle, kommerziell orientierte<br />

Galerie in der DDR, weder ein staatlich organisierter Kunsthandel,<br />

noch eine vom Staat anerkannte Privatgalerie. Das<br />

unabhängige, undefinierte, souveräne Territorium wächst,<br />

und wird von Wanda gegen alle Widerstände verteidigt.<br />

Irgendwann wird die<br />

marode Villa vom alten<br />

Eigentümer der Stadt<br />

Dresden geschenkt. Nun<br />

kleben die Behörden<br />

regelmäßig Räumungsbefehle<br />

an die Türen –<br />

kein Bewohner der Villa<br />

nimmt das ernst. Aus<br />

den Hausbewohnern werden so unvermittelt Hausbesetzer.<br />

Bei Elbehochwasser werden die Bewohner einschließlich<br />

der Galeristin mit dem Hubschrauber der Nationalen Volksarmee<br />

in Sicherheit gebracht. Wandas Galerie „fotogen“<br />

wird in der Folge zu einer Attraktion in der DDR. Auch<br />

Kunstinteressierte aus der BRD kommen regelmäßig zu<br />

Wandas Ausstellungen, wie beispielsweise der Kurator<br />

Eckart Gillen aus Karlsruhe. Mehr als zwanzig Jahre später<br />

wird er zusammen mit Stephanie Barron aus Los Angeles<br />

zum Kurator der Ausstellung „Kunst und Kalter Krieg. Deutsche<br />

Positionen 1945–1989 Art of Two Germanys / Cold<br />

War Cultures“, die im LACMA Los Angeles, dem Deutschen<br />

Historischen Museum Berlin (2009/2010) und im Germanischen<br />

Nationalmuseum Nürnberg zu sehen ist.


<strong>Geheimsache</strong> #8<br />

Den DDR-Behörden werden die Ausstellungsaktivitäten<br />

von Wanda irgendwann<br />

unheimlich. Sie verlangen von der Galeristin<br />

eine Liste der Vernissage-Gäste – im<br />

Voraus. Artig schreibt Wanda die Namen von zwanzig Personen<br />

auf – allesamt Vertreter des offiziellen Kulturlebens<br />

von Dresden und als solche sowieso dienstlich tätig. Ein<br />

von den Behörden übermitteltes Ausstellungsverbot kontert<br />

Wanda mit der Aktion „Die Galerie bleibt während der<br />

128<br />

abstoßend – und zieht doch zugleich ein bis dato unbekanntes<br />

Publikum magisch an.<br />

Wie sich seine Stimme entwickelt hat,<br />

erläutert John Lydon alias Johnny<br />

Rotten in einem Interview mit dem<br />

Berliner Stadtmagazin TIP 15/2012:<br />

„Wir wollten unter gar keinen Umständen in den [katholischen<br />

Knaben] Chor. […] Die Älteren warnten uns. Wir<br />

haben dann instinktiv gelernt, dieser Institution zu begegnen;<br />

und zwar, indem wir lernten, nicht<br />

zu singen. Oder nicht richtig. Denn wenn<br />

du singen konntest, kamst du in den<br />

Chor. Warst du im Chor, hatte der Priester<br />

Zugriff auf dich.“<br />

Er habe sich nie erlaubt, zum<br />

Opfer zu werden, sagt John<br />

Lydon und weiter: „Genau<br />

darauf aber spekulierten<br />

die Priester, das war eine Schande.“<br />

Übersetzt bedeutet das: Sie lernten,<br />

schrill und abstoßend zu singen, um sich<br />

vor den sexuellen Übergriffen von Autoritäten<br />

zu schützen.<br />

Subversion als Dynamisierung<br />

Öffnungszeit geschlossen“. Als der Galeriebetrieb am Ende<br />

doch noch verboten wird, stellt Wanda keine Bilder oder<br />

Skulpturen aus – stattdessen präsentiert sie hundert diverse<br />

Gerüche auf verschiedenen Stoffen in verschiedensten<br />

Flakons: „Es stinkt – wir riechen – wir stinken – es riecht.“<br />

Dass der Staatssicherheitsdienst der DDR<br />

zeitgleich ein Archiv mit Geruchsproben<br />

Tausender politisch verdächtiger Personen<br />

in Einweckgläsern angelegt hat, wird<br />

beliebtes Thema von SPIEGEL-TV-Reportagen ab Sommer<br />

1990. Mit diesem Archiv kann der Begriff des „Schnüffelstaates“<br />

besonders anschaulich verbildlicht werden.<br />

Später sagt Wanda, dass Beuys’ Idee eines<br />

erweiterten Kunstbegriffes sie zur Idee einer<br />

Geruchsausstellung angeregt habe. Die<br />

Geschichte der „Villa Marie“ endet 1990.<br />

Aus dem Westen kommend, übernehmen Immobilienspekulanten<br />

und Glücksritter des Geldes das Terrain.<br />

Subversion als Aggression<br />

Johnny Rotten aka John Lydon:<br />

Destruktion und Raumexpansion<br />

Im Jahr 1977 veröffentlichen die Sex Pistols aus<br />

England ihr legendäres Album „Never Mind The<br />

Bollocks“ – und bereiten damit den Weg zur<br />

Popularisierung von Punk vor. Der quäkendnervenzerreibende<br />

schrille Gesang von Johnny Rotten,<br />

Sänger dieser Punkband, wird zum Markenzeichen. Sein<br />

Gesang will offensichtlich niemanden gefallen, er wirkt<br />

Kannibalistische Integration und<br />

Mainstream. Stefan Marquardt,<br />

Sascha Lobo und Gerald Hörhan:<br />

Punkköche und Punkbörsianer.<br />

Worte wie Subversion, Subkultur und<br />

Punk erfuhren nach 1990, den Jahrzehnten<br />

der Auflösung von Ost- und<br />

Westblock, eine radikale Umwertung.<br />

Sie entledigten sich ihrer negativen Konnotation und<br />

entwickelten sich zu positiv aufgeladenen Begriffen. Nun<br />

kündeten sie von der<br />

Dynamik des Kapitalismus<br />

und dessen unbegrenzter<br />

Wandlungsfähigkeit.<br />

Die verkündete<br />

Alternativlosigkeit des<br />

kapitalistischen Systems<br />

bewies sich durch seine<br />

Integrationskraft, die<br />

selbst vor Ausdrücken<br />

wie „Punk“ und „Subversion“<br />

nicht haltmachte.<br />

Punk ist gegenwärtig<br />

positiv konnotiert.<br />

Im Jahr 2008<br />

warb die Autofirma<br />

Honda<br />

mit dem Slogan<br />

„Vernunft ist der neue<br />

Punk“. Gemeint ist Rationalität,<br />

kombiniert mit der<br />

Art von Freiheit, Grenzüberschreitung und Dynamisierung,<br />

für die der Begriff Punk aktuell steht. Die Deutsche Bahn<br />

lockte 2010 ihre Fahrgäste mit einem Menü, welches, so


Subversion ist auch nicht mehr das, was sie einmal war<br />

129<br />

die Speisekarte, ein „Punk-Koch“ zubereitet habe. In den<br />

Achtzigerjahren hätte eine solche Ankündigung die Restaurantgäste<br />

mit Sicherheit zur panischen Flucht aus dem<br />

Speisewagen veranlasst. Der DB-Punk-Koch Stefan Marquardt<br />

kochte vier Jahre später, im Jahr 2014 gemeinsam<br />

mit dem CSU-Kandidaten Christian Ebele, in dessen Familien-Gasthof<br />

Eberle unter dem Motto : „Der Koch und der<br />

Kandidat – Politik mit Geschmack“. Ein Investmentbanker<br />

namens Gerald Hörhan aus Österreich tritt mit sogenannter<br />

Irokesenfrisur in TV-Talkshows auf und wird von den<br />

Fahrradtour zu Nicos Grab.<br />

Links: Wolfgang Müller; Rechts: Akwiratékha;<br />

Auf den T-Shirts ein Satz in Kanien’keha-Sprache:<br />

„Ich kenne keine Tabus.“<br />

Medien als Investment-Punk bezeichnet, ähnliches gilt für<br />

den Journalisten und Werbetexter Sascha Lobo. Eher<br />

gewöhnlich gekleidet, sticht sein rotgefärbter, sogenannter<br />

Irokese hervor, der zu seinem Markenzeichen wurde.<br />

Für die von heftigen Protesten der lokalen<br />

Bevölkerung wegen Korruption und sozialen<br />

Missständen begleitete Fußballweltmeisterschaft<br />

in Brasilien wirbt im Juni des Jahres<br />

2014 ein überdimensionales Plakat am Potsdamer Platz<br />

in Berlin. Zu sehen ist der Kopf eines jubelnden Mannes,<br />

welcher einen Fußballfan darstellen soll. Als Frisur trägt<br />

er einen schwarz-rot-goldenen, in den deutschen Nationalfarben<br />

gefärbten, sogenannten Irokesenschnitt …<br />

Irritierte Subversion<br />

Modern Colonial Primitives or what? Mazahuacholoskatopunks,<br />

Indiopunks. Sphärenschwingungen<br />

und Grenzmanöver.<br />

Während die Begriffe Punk und Subkultur<br />

heute in der eurozentrischen<br />

weißen Welt allgemeine Wertschätzung<br />

erlangt haben, verschwindet<br />

dieser Respekt schlagartig, sobald es sich um nichtweiße<br />

Punks handelt, beispielsweise um amerikanische<br />

Erstbewohner. Von „Entwurzelung“ ist dann die Rede und<br />

vom „Verleugnen der Herkunft“. Als Diagnose gilt: Identitätslosigkeit.<br />

Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) untertitelt<br />

am 26. März 2010, Nr. 71, ein Foto auf<br />

ihrer Titelseite mit folgendem Satz: „Immer<br />

mehr Stadtindianer in Mexiko“. Zu sehen<br />

sind drei junge Männer mit sogenannter Irokesenfrisur,<br />

eine davon grün gefärbt. Sie tragen nietenverzierte Lederjacken,<br />

T-Shirts und Bluejeans. Weiter heißt es: „Manche<br />

der jungen Indigenen, die in die Hauptstadt Mexikos ziehen,<br />

verleugnen ihre Herkunft und übernehmen die Verhaltens-<br />

und Konsumgewohnheiten urbaner Subkultur. Oft<br />

genug versuchen sie so, der rassistischen Diskriminierung<br />

zu entkommen.“ Der Fotograf Federico Gama habe nun<br />

das Leben „entwurzelter Stadtindianer“ dokumentiert.<br />

Die neuen jungen Stadtbewohner werden<br />

als „Mazahuacholoskatopunks“ bezeichnet.<br />

Ein weiterer Grund, warum sie ihre Dörfer<br />

verlassen, wird im Folgenden geschildert:<br />

„… weil das städtische Leben fernab jeglicher sozialen<br />

Kontrolle seine Reize entfaltet: Ob Piercings, ungenierter<br />

Sex, Drogenkonsum oder eine punkige Frisur – alles ist<br />

möglich und damit erlaubt, was im Dorf verboten oder<br />

schlicht undenkbar war.“<br />

Diese Beschreibung eines reizvollen urbanen<br />

Lebens passt genauso auf die europäischen<br />

und nordamerikanischen weißen<br />

Punks vom Ende der Siebzigerjahre, die<br />

ebenfalls oft aus kleinen Dörfern der ländlich-konservativen<br />

Provinz kommend, sich in Richtung der Metropolen, nach<br />

London, (West)-Berlin oder New York bewegten. Auch für<br />

sie wäre die Erklärung zutreffend: „Ob Piercings, ungenierter<br />

Sex, Drogenkonsum oder eine punkige Frisur –<br />

alles ist möglich und damit erlaubt, was im Dorf verboten<br />

oder schlicht undenkbar war.“ Von „Entwurzelung“ wäre<br />

dann allerdings wohl nicht die Rede gewesen, vielleicht<br />

eher von „Dekadenz“.<br />

(Re)Konstruktion als Subversion<br />

und Gestaltung?<br />

Die transatlantische Spiegelschule –<br />

Melancholie und Exotismus. Die Sehnsucht nach<br />

Präsenz. Akwiratékha Martin, Nico und der Autor.


130<br />

Im Jahr<br />

2002 fliege<br />

ich<br />

von Berlin<br />

nach Island. In Reykjavík<br />

mache ich die<br />

Bekanntschaft mit<br />

Akwiratékha Martin.<br />

Sein Wohnort ist das<br />

Kahnawa:ke Mohawk-<br />

Territory. Akwiratékha<br />

ist Besucher in<br />

Island wie ich. Im<br />

Gespräch entdecken<br />

wir unsere gemeinsame<br />

Faszination für<br />

Nico, alias Christa<br />

Paeffgen, der in<br />

Lübbenau an der<br />

Spree aufgewachsenen<br />

Sängerin von<br />

Velvet Underground. Die von Andy Warhol produzierte Band<br />

wird heute zusammen mit den Stooges von Iggy Pop als<br />

die bedeutendste Prä-Punkband bezeichnet. Akwiratékha<br />

interessiert sich für Nicos letztes Konzert im Westberliner<br />

Planetarium 1988, und ich erzähle ihm davon aus<br />

meiner Erinnerung. Wenn er mal Lust<br />

habe, nach Berlin zu kommen, könnten<br />

wir dort gemeinsam das Grab von Nico<br />

besuchen.Akwiratékha fliegt vier<br />

Jahre später über den<br />

Atlantik. Zusammen<br />

radeln wir zu Nicos<br />

Grab im Forst Berlin-Grunewald, hinter<br />

dem Teufelssee, auf dem Friedhof der<br />

Namenlosen in einer Waldlichtung der<br />

Havel. Akwiratékha pflückt einige Efeublätter<br />

an Nicos Grab, übersetzt den<br />

von ihr gesungenen Velvet-Underground-Klassiker „All<br />

Tomorrows Parties“ in die Sprache der Mohawk, ins<br />

Kanien’kéha, und singt ihn.<br />

Drei Jahre später verabreden wir uns im<br />

Kahnawà:ke Mohawk Territory, einer Siedlung<br />

am Südufer des St. Lorenz-Stroms<br />

gegenüber Montreal. Akwiratékha erwirbt<br />

ein elektrisches Harmonium, übersetzt und singt weitere<br />

Songs von Nico auf Kanien’kéha – einer Sprache, die heute<br />

nur noch etwa zweitausend überwiegend ältere Menschen<br />

beherrschen. Aber auch eine Sprache, die seit einigen<br />

Jahren wieder zunehmend jüngere Menschen erlernen.<br />

Die Selbstbezeichnung der Mohawk ist Kanien’kehá:ka.<br />

Die Sprache der Kanien’kehá:ka nennt sich Kanien’kéha.<br />

Mohawk sind also Kanien’kehá:ka, die die Kanien’kéha<br />

sprechen. Viele Kanien’kehá:ka sprechen Englisch, sind<br />

englischsprachig in einem französisch(sprachig) dominierten<br />

Umfeld aufgewachsen. Die deutsche Sprache heißt auf<br />

Kanien’kéha: Tehotinontsistokerón:te raotiwén:na. Die Deutschen<br />

werden genannt: Tehotinontsistokerón:te. Wörtlich<br />

übersetzt: Quadratköpfe.<br />

Learning Mohawk in fifty-five minutes; Wísk<br />

niwáhsen wísk nikahseriiè:take kanien’kéha<br />

wa’katéweienste, übersetzt: Mohawk lernen<br />

in 55 Minuten.<br />

Die Stimmen sollen den Raum öffnen für<br />

eine transatlantische Spiegelschule, die<br />

Raumsynergien erfahren lässt. Der Lernprozess<br />

ist schmerzhaft. Das Büffeln der<br />

Lektionen wird qualvoll, der Unterricht zur Marter.<br />

Die transatlantische Spiegelschule kennt den<br />

Schmerz, aber sie spürt ihn nicht.<br />

Die transatlantische Spiegelschule kennt keinen<br />

Schmerz, sie spürt ihn.<br />

Die transatlantische Spiegelschule kennt den Schmerz,<br />

sie spürt ihn.<br />

Die transatlantische Spiegelschule kennt den Schmerz,<br />

aber sie spürt ihn nicht.<br />

Die transatlantische Spiegelschule spürt den Schmerz,<br />

aber sie kennt ihn nicht.<br />

•<br />

Buch<br />

Reichardt, Claudia,<br />

Die Galerie bleibt während der<br />

Öffnungszeit geschlossen,<br />

102 Seiten, Abbildungen,<br />

Martin Schmitz Verlag, Berlin 2010<br />

CD<br />

Müller, Wolfgang,<br />

„Séance Vocibus Avium“<br />

& „Wísk niwáhsen wísk<br />

nikahseriiè:take kanien’kéha<br />

wa’katéweienste“ oder<br />

"Learning Mohawk in fifty-five<br />

minutes", 2 CD-Box & 112 S.<br />

Booklet. Intermedium, Belleville<br />

Verlag, München 2012


I’ll be your mirror<br />

I’ll be your mirror,<br />

Ich werde dein Spiegel,<br />

Satátken enká:ton,<br />

Reflect what you are<br />

Der zeigt, was du bist<br />

Ienhsatátken ó:nen<br />

In case you don’t know<br />

Falls du es nicht weißt,<br />

iah tehsatatienté:ri<br />

I’ll be the wind<br />

Ich werde der Wind<br />

Ówera enká:ton<br />

The rain and the sunset<br />

Regen und Abendrot<br />

Ohné:ka tánon’ karáhkwa<br />

The light on your door<br />

Das Licht an deiner Tür<br />

Sahnhóha tenkhswáthe’te<br />

To show that you’re home<br />

Das zeigt, du bist da<br />

Nó:nen ienséhsewe.<br />

When you think the night<br />

has seen your mind<br />

Wenn du denkst, die Nacht<br />

kommt,<br />

überwältigt dich<br />

Nó:nen íhsehre<br />

tetisa’nikonhrà:karas<br />

That inside you’re twisted<br />

and unkind<br />

Dass du verquer und dass<br />

du lieblos bist<br />

Tánon’ io’táksen serià:ne<br />

Let me stand to show that<br />

you are blind<br />

Lass mich dann ertragen,<br />

dich blind – zu sehen<br />

Tó: konna’tón:hahs tsi<br />

tehseron’wé:kon<br />

Please put down your hands<br />

Senke deine Hand<br />

Tóhsa satatkonhsáhseht<br />

‘cause I see you<br />

weil ich dich seh’<br />

né: tsi kón:kens


I’ll find it hard<br />

Es fällt mir schwer<br />

Wakentorà:se<br />

To believe you don’t know<br />

Zu glauben, dass du nicht<br />

weißt,<br />

Aontakéhtahkwe tsi<br />

That beauty you are<br />

Wie schön du nur bist<br />

Iah tesaterièn:tare<br />

But if you don’t<br />

Aber falls nicht<br />

Tsi sonkwe’tí:io<br />

Let me be your eyes<br />

Lass mich dein Auge sein<br />

Tó: sakà:ra ká:ton<br />

A hand to your darkness<br />

Eine Hand in deinem Dunkel<br />

Tenkonhswathè:ten<br />

So you won’t be afraid<br />

so dass du dich nicht fürchtest<br />

ne tóhsa aonsasáhteron’ne<br />

the night has seen your<br />

mind<br />

die Nacht hat deinen Geist<br />

gesehen<br />

tetisa’nikonhrà:karas<br />

That you’re twisted and<br />

unkind,<br />

Dass du verquer und lieblos<br />

bist<br />

Tánon’ io’táksen serià:ne<br />

Please put down your hands<br />

Bitte senk die Hand<br />

Tóhsa satatkonhsáhseht<br />

Cause I see you<br />

Weil ich dich seh’<br />

Né: tsi kón:kens<br />

I’ll be your mirror<br />

Ich werde dein Spiegel<br />

Satátken enká:ton<br />

Reflect what you are<br />

Der zeigt, was du bist<br />

Ienhsatátken ó:nen<br />

When you think<br />

Wenn du glaubst,<br />

Nó:nen íhsehre


AUTOPORTRät<br />

134<br />

Geburtshelferin Zensur –<br />

Warum ich nicht Verleger<br />

werden wollte und es<br />

dann doch geworden bin *<br />

* Erschienen als Beitrag für:<br />

„Ausgerechnet Bücher. 31 verlegerische<br />

Selbstporträts“, hg.<br />

von Rita Galli, Ch. Links Verlag,<br />

Berlin 1998<br />

Eigentlich wollte ich nie<br />

Verleger werden. Das Beispiel<br />

meiner Eltern<br />

schreckte zu sehr. Im Monat<br />

meiner Geburt, im September<br />

1954, begann mein Vater als<br />

frisch diplomierter Germanist<br />

im Verlag Volk und<br />

Welt Berlin, als Lektor zu<br />

arbeiten. In meiner Kindheit<br />

sah ich ihn vergleichsweise<br />

wenig, und<br />

wenn, dann in Begleitung<br />

von Autoren, Fotografen<br />

oder Gestaltern. Ob sie<br />

Bobrowski, Hochhuth oder<br />

Frisch hießen, interessierte<br />

mich wenig. Meine Mutter,<br />

zunächst Deutschlehrerin,<br />

wechselte bald auch<br />

ins Verlagsgeschäft und<br />

landete im Philosophie-Lektorat<br />

des Deutschen Verlages<br />

der Wissenschaften. Die<br />

Gespräche am Familientisch<br />

lassen sich erahnen. Mit<br />

dieser Welt, die einen<br />

Menschen so ganz mit Haut<br />

und Haaren fraß, daß Arbeit<br />

und Privatleben nicht mehr<br />

auseinanderzuhalten waren,<br />

wollte ich nun wirklich<br />

nichts zu tun haben. Außerdem<br />

galt es, etwas Eigenes<br />

zu finden, das sich erkennbar<br />

von den vorgezeichneten<br />

Familienwegen absetzte. In<br />

den frühen siebziger Jahren<br />

entbrannte mein Interesse<br />

für Lateinamerika. Nach dem<br />

Tod von Che und dem gescheiterten<br />

Umgestaltungsversuch<br />

in Chile<br />

empörte mich das<br />

Wüten der südamerikanischen<br />

Militärs.<br />

Emotional<br />

gestärkt wurde ich<br />

dabei durch die<br />

Auftritte der<br />

exilierten Musiker<br />

beim alljährlichen<br />

„Festival des<br />

politischen Liedes“<br />

in Ost-Berlin,<br />

an dem ich<br />

begeistert mitarbeitete. So<br />

entstand mein Wunsch,<br />

Lateinamerikanist zu werden<br />

und etwas gegen die Ungerechtigkeit<br />

in diesem Teil<br />

der Welt zu unternehmen. Da<br />

die wenigen Studienplätze<br />

für dieses Fach in der DDR<br />

bereits alle vergeben<br />

waren, entschloß ich mich,<br />

in Berlin Philosophie zu<br />

studieren und parallel dazu<br />

in Leipzig eine Zweitausbildung<br />

am dortigen Lateinamerika-Seminar<br />

aufzunehmen.<br />

Hier konnte ich mich<br />

auch politisch relativ<br />

identisch bewegen, denn die<br />

Vorgänge in Lateinamerika<br />

waren nicht mit derart<br />

vielen Tabus blockiert wie<br />

etwa die Kulturpolitik der<br />

DDR oder die Entwicklung in<br />

den anderen osteuropäischen<br />

Ländern. Doch meine unbewußte<br />

Flucht vor den erstarrten<br />

Verhältnissen zu<br />

Hause in ferne abenteuerliche<br />

Welten wurde relativ<br />

bald auf den Boden der<br />

Realitäten zurückgeholt.<br />

Nachdem ich 1980 mit der<br />

„Berliner Zeitung“ als<br />

Lateinamerika-Redakteur<br />

angefangen hatte, war ich<br />

schnell in die Zwänge des<br />

journalistischen Alltags<br />

eingebunden und hatte auf<br />

alle taktischen Winkelzüge<br />

der Partei- und Staatspresse<br />

Rücksicht zu nehmen.


T: Christoph Links<br />

135<br />

Diese machten auch vor<br />

entfernten Kontinenten<br />

nicht halt, galt es doch<br />

allerorten, die außenwirtschaftlichen<br />

Interessen der<br />

angeschlagenen DDR-Wirtschaft<br />

zu fördern. So<br />

wurden monatelang kritische<br />

Artikel über die argentinischen<br />

Militärs auf Eis<br />

gelegt, wenn die Hoffnung<br />

auf den Verkauf von zwei<br />

Hafenkränen für Buenos<br />

Aires bestand. Den Einengungen<br />

der Tagespresse<br />

versuchte ich nun, durch<br />

Buchprojekte zu entkommen,<br />

denn Verlage wurden bekanntlich<br />

an einer längeren<br />

Leine als die Tagespresse<br />

geführt. Während die erste<br />

Publikation „Contras contra<br />

Nicaragua“ im Berliner<br />

Dietz-Verlag 1985 problemlos<br />

über die Bühne ging,<br />

gab es beim zweiten Buch<br />

über die politische Geschichte<br />

Mittelamerikas<br />

schon spürbar Ärger. Wie<br />

ich im Vorfeld der Veröffentlichung<br />

erfuhr, mußte<br />

jedes Buchmanuskript in der<br />

DDR, das sich mit einem<br />

außenpolitischen Thema<br />

beschäftigte, zunächst von<br />

einer Fachabteilung des<br />

Zentralkomitees der SED<br />

oder des Außenministeriums<br />

begutachtet werden. Erst<br />

wenn diese Prüfung positiv<br />

ausgefallen war, gab es die<br />

erforderliche Druckgenehmigung<br />

des Kulturministeriums,<br />

ohne die kein Buch<br />

veröffentlicht werden<br />

durfte, nicht mal Goethe<br />

oder Shakespeare. Im konkreten<br />

Fall mißfiel dem<br />

Zensor in „Sechsmal Mittelamerika<br />

– Konflikte einer<br />

Region“ eine Passage über<br />

die direkte Demokratie im<br />

revolutionären Nicaragua,<br />

wo sich jeden Monat ein<br />

Regierungsvertreter oder<br />

Parteifunktionär öffentlich<br />

den kritischen<br />

Fragen der Bevölkerung<br />

stellt und dies auch<br />

vom Fernsehen übertragen<br />

wurde. Da die<br />

Altherrenriege des<br />

SED-Politbüros schon<br />

längst nicht mehr<br />

irgendwelche Fragen an<br />

sich heran ließ, sollte<br />

nun auch nicht über<br />

derartige Vorgänge in<br />

anderen Ländern berichtet<br />

werden. Die eigene<br />

Bevölkerung hätte ja<br />

auf dumme Gedanken<br />

kommen können. Also mußte<br />

ich die entsprechende<br />

Stelle umschreiben. Derart<br />

frustriert, sann ich nach<br />

Möglichkeiten, dieses<br />

Procedere zu umgehen und<br />

träumte von einem unabhängigen<br />

Sachbuch-Verlag, in<br />

dem ich ungestört veröffentlichen<br />

konnte, was ich<br />

tatsächlich dachte. Auch<br />

meinen Freunden, denen es<br />

mit ihren kritischen Texten<br />

ähnlich ging, wollte ich<br />

ein entsprechendes Podium<br />

bieten. Der Weg dorthin<br />

schien allerdings unendlich<br />

weit. Doch die Staatssicherheit<br />

stand mir auf ihre<br />

Weise hilfreich zur Seite.<br />

1986 beschloß sie, mich als<br />

politischen Redakteur aus<br />

der „Berliner Zeitung“ zu<br />

entfernen, da meine anhaltenden<br />

Kontakte zum Rudi-<br />

Bahro-Kreis mich als „Träger<br />

revisionistischen<br />

Gedankengutes“ ausweisen<br />

würden. Um öffentlichen<br />

Ärger zu vermeiden, suchte<br />

man nach einem möglichst<br />

unspektakulären Abgang und<br />

delegierte mich zu einem<br />

Promotionsstudium der<br />

Lateinamerikanistik, unter<br />

der Voraussetzung, daß ich<br />

niemals in die Redaktion<br />

zurückkehren würde. Da mir<br />

jedoch nichts an einer<br />

reinen Wissenschaftskarriere<br />

lag, versuchte ich,<br />

einen Betrieb vom Modell<br />

einer „außerplanmäßigen<br />

Aspirantur“ zu überzeugen,<br />

um mit dem praktischen<br />

Berufsleben verbunden zu<br />

bleiben. Danach wurde man<br />

zwei bis drei Monate im<br />

Jahr bezahlt freigestellt,<br />

um die Dissertation voranzubringen,<br />

arbeitete ansonsten<br />

aber normal. Auf<br />

eine solche Variante ließ<br />

sich der Aufbau-Verlag ein,<br />

da Verleger Elmar Faber zu<br />

diesem Zeitpunkt dringend<br />

einen Assistenten der<br />

Geschäftsleitung suchte.<br />

(Der vorige hatte wegen<br />

fortgesetzter<br />

Trunkenheit<br />

am Schreibtisch<br />

gerade<br />

den Verlag<br />

verlassen.)<br />

So war ich<br />

nun doch in<br />

einem Verlag<br />

gelandet,<br />

wenn auch in<br />

einem rein<br />

belletristischen.<br />

Hier<br />

lernte ich<br />

von der Pieke<br />

auf, durchlief<br />

die verschiedenen<br />

Abteilungen des Hauses und<br />

hospitierte in Setzereien<br />

wie Druckereien. Meinen<br />

Sachbuchambitionen zeigte<br />

man jedoch stets die kalte<br />

Schulter. Das zugeteilte<br />

Papier reichte nicht einmal,<br />

um Christa Wolf oder<br />

Christoph Hein ausreichend<br />

zu drucken. Was wollte ich<br />

da mit der ohnehin politisch<br />

schwierigen Zeitgeschichte?<br />

Anfang 1989<br />

stellte ich daraufhin den<br />

Antrag an das DDR-Kulturministerium<br />

zur Gründung<br />

eines von Parteien und


politischen Organisationen<br />

unabhängigen Sachbuchverlages,<br />

der ein eigenes Papierkontingent<br />

und entsprechende<br />

Druckereikapazitäten<br />

erhalten sollte, die damals<br />

von der staatlichen Plankommission<br />

zugeteilt werden<br />

mußten. Ohne sogenannten<br />

Bilanzanteil funktionierte<br />

nämlich gar nichts. Obwohl<br />

mich alle wegen dieser<br />

Windmühlen-Kämpfe nur<br />

mitleidig belächelten,<br />

wurde ich immerhin zum<br />

Gespräch beim Leiter der<br />

Hauptverwaltung Verlage und<br />

Buchhandel gebeten. Dort<br />

allerdings verkündete man<br />

mir scheinheilig, daß<br />

dieser Initiative<br />

grundsätzlich<br />

nichts im Wege<br />

stehe, nur leider<br />

fehle es an Kontingent<br />

und Kapazität.<br />

Die sozialistische<br />

Planwirtschaft sei<br />

mit ihren 78 Verlagen<br />

völlig ausbilanziert<br />

und würde<br />

beim besten Willen<br />

keinen weiteren<br />

mehr verkraften.<br />

Von der Gefahr<br />

„unkontrollierten Agierens“<br />

war natürlich keine Rede.<br />

Es dauerte nur noch wenige<br />

Monate, bis die verknöcherten<br />

Verhältnisse zu wanken<br />

begannen. Am 18. Oktober<br />

1989 mußte der für<br />

die Pressezensur<br />

zuständige ZK-Sekretär<br />

Joachim<br />

Herrmann gemeinsam<br />

mit Erich Honecker<br />

und Wirtschaftschef<br />

Günter Mittag<br />

abdanken. Am 4.<br />

November 1989 fand<br />

in Berlin die<br />

größte unabhängige<br />

Demonstration der<br />

DDR-Geschichte<br />

statt, deren zentrale<br />

Forderung<br />

Presse- und Versammlungsfreiheit<br />

war. Am 9. November<br />

fiel die Mauer<br />

und drei Wochen<br />

später, am 1. Dezember<br />

1989, die Zensur. Fortan<br />

sollte es keine Druckgenehmigungen<br />

mehr geben. Nachdem<br />

ich in den Wochen zuvor<br />

mehr Zeit auf Demonstrationen<br />

und in Kirchen als an<br />

meiner fast vollendeten<br />

Doktorarbeit über das<br />

Theoriekonzept der Sandinisten<br />

verbracht hatte –<br />

sie erschien zwei Jahre<br />

später als Buch unter dem<br />

Titel „Sandinismus – Ein<br />

Versuch mittelamerikanischer<br />

Emanzipation“ in<br />

einem kleinen Kölner Verlag<br />

–, entschloß ich mich an<br />

jenem 1. Dezember, sofort<br />

einen Antrag für einen<br />

zeitgeschichtlichen<br />

Sachbuchverlag<br />

zu stellen.<br />

Die Geschichte des<br />

eigenen Landes war<br />

mir plötzlich viel<br />

näher als das<br />

ferne Lateinamerika,<br />

in das ich<br />

mich so viele<br />

Jahre geflüchtet<br />

hatte. Doch die<br />

zuständige Verlagsabteilung<br />

im<br />

Kulturministerium<br />

befand sich bereits in<br />

Auflösung und erteilte<br />

keine Lizenzen mehr. Sie<br />

würden ab 1. Januar 1990<br />

generell nicht mehr gebraucht,<br />

hieß es. Was also<br />

136<br />

lag näher, als am 5. Januar<br />

1990 beim Notar eine Verlags-GmbH<br />

zu gründen, auch<br />

wenn noch völlig unklar<br />

war, wie das Unternehmen<br />

künftig finanziert werden<br />

sollte, denn außer einigen<br />

gesparten Honoraren besaß<br />

ich nichts. Die Aufbruchstimmung<br />

im<br />

Land war<br />

aber so<br />

groß, daß<br />

sich nach<br />

den ersten<br />

Zeitungsberichten<br />

über<br />

unsere<br />

Gründung<br />

spontan<br />

völlig<br />

unbekannte<br />

Menschen aus<br />

verschiedenen<br />

Bezirken<br />

der DDR<br />

meldeten,<br />

die mit einer Einlage als<br />

stille Teilhaber das Projekt<br />

fördern wollten. Lange<br />

genug waren wichtige historische<br />

Themen tabuisiert<br />

gewesen, hatte es an einer<br />

kritischen Aufarbeitung<br />

gemangelt.<br />

So fand ich mich plötzlich<br />

im eigenen Verlag wieder,<br />

also an einer Stelle, die<br />

ich immer umgehen wollte.<br />

Nicht nur das. Auch meine<br />

Frau Christina arbeitete<br />

nach anfänglicher Tätigkeit<br />

als Slawistik-Dozentin<br />

inzwischen als Lektorin in<br />

einem Verlag, und zwar bei<br />

„Volk und Welt“, den mein<br />

Vater Ende der siebziger<br />

Jahre in Richtung Leipzig<br />

verlassen hatte, weil er<br />

dort die Leitung der Verlagsgruppe<br />

Insel/Kiepenheuer<br />

übernahm. Was also erklären<br />

meine beiden Töchter<br />

kategorisch? Niemals wollen<br />

sie in einem Verlag arbeiten,<br />

denn dann hätten ihre<br />

Kinder wieder Eltern, die<br />

selten greifbar sind und am<br />

Abendbrottisch womöglich<br />

nur über das eine reden.<br />


Eine Sinn-stiftende<br />

Unternehmenskultur und<br />

Wert-volles Wirtschaften<br />

bilden das Fundament<br />

für überdurchschnittlichen<br />

Erfolg.<br />

Christine Kienhöfer<br />

Vorsitzende des Verwaltungsrates<br />

Felss Holding GmbH


Subversion als Keim<br />

für Innovation?<br />

138<br />

T: Melanie Torney<br />

Ich bin Designerin. Das<br />

Thema Innovation ist für<br />

mich also zwangsläufig von<br />

großem Interesse. Bestehendes<br />

zu hinterfragen, zu<br />

verändern und zu verbessern,<br />

um daraus etwas<br />

Neues zu erschaffen,<br />

gehört zum Selbstverständnis<br />

meines Berufes. Die<br />

Frage ist, wie man neue,<br />

unpopuläre Wege gehen und<br />

dabei trotzdem erfolgreich<br />

sein kann. In meinem Buch<br />

„Innovation durch Subversion“<br />

habe ich mich mit<br />

Menschen beschäftigt,<br />

denen das gelungen ist.<br />

Menschen wie die Modeschöpferin<br />

Vivienne Westwood<br />

oder die Band Einstürzende<br />

Neubauten. Sie<br />

haben durch eine Verkehrung<br />

der Ordnung, durch<br />

Zweckentfremdung und<br />

Umnutzung von Funktionen<br />

oder Materialien Neues<br />

entstehen lassen. Subversion<br />

steht hier für ein<br />

großes dynamisches und<br />

positives Potenzial. Auch<br />

Designer können sich Dekodierung<br />

zunutze machen, um<br />

neue Wege zu gehen und<br />

einem starren Diktat zu<br />

trotzen. Das Thema Subversion<br />

hat mich inspiriert<br />

und die Edition ANFANG<br />

ENDE angeregt, deren Mitbegründerin<br />

ich bin.<br />

Dahinter steht die Idee,<br />

Design für eine moderne<br />

Trauerkultur anzubieten,<br />

aber auch das Bedürfnis,<br />

Kritik an bestehenden<br />

Produkten der Trauerkommunikation<br />

hinsichtlich<br />

Symbolik, Materialität,<br />

Produktionstechniken und<br />

Weiterverarbeitung zu<br />

üben. Und darüber hinaus:<br />

Einen Diskurs zu den<br />

tabuisierten Themen Tod<br />

und Trauer in die Öffentlichkeit<br />

zu tragen. Mir<br />

geht es darum, historischtraditionelle<br />

Symbole<br />

sowie Rituale neu zu<br />

interpretieren und dem<br />

heutigen Zeitgeist gemäß<br />

neu zu gestalten. Das<br />

heißt konkret, dass ich<br />

die lebensbejahende Philosophie<br />

der Hospizbewegung<br />

aufgreife und Trauernde in<br />

den Prozess bewusst<br />

miteinbeziehe. Transparente<br />

Produktionswege sind<br />

mir dabei ebenso wichtig<br />

wie Nachhaltigkeit, Regionalität<br />

und eine faire<br />

Zusammenarbeit mit unseren<br />

Partnern.<br />

•<br />

BUCH<br />

Torney, Melanie,<br />

Innovation durch<br />

Subversion, LIT-<br />

Verlag, Köln 2008<br />

(= Kölner Internationale<br />

Schriften zum<br />

Design)


Partizipation als<br />

subversive Kunstform<br />

139<br />

T: Katja ASSmann<br />

Urbane<br />

Künste Ruhr<br />

und die<br />

Neudefinition<br />

von<br />

Kunst im<br />

urbanen<br />

Raum<br />

Kunst im öffentlichen Raum<br />

markiert oftmals den Endpunkt<br />

einer gesellschaftlichen<br />

Entwicklung. Revolutionen<br />

erreichen ihren<br />

Höhepunkt mit dem Sturz<br />

alter Denkmale und enden<br />

mit dem Errichten von<br />

neuen – als Ausdruck einer<br />

Erstarrung der Verhältnisse.<br />

Die Kunstorganisation<br />

Urbane Künste Ruhr<br />

unterläuft bewusst diese<br />

Bedeutung von Kunst im<br />

öffentlichen Raum, indem<br />

sie den Begriff als<br />

öffentliche Kunst neu<br />

definiert. Im Vordergrund<br />

steht das Prozesshafte,<br />

oftmals Performative und<br />

Partizipative. Das Ruhrgebiet<br />

bietet hierfür ein<br />

besonders geeignetes<br />

Arbeitsfeld, da unterschiedlichste<br />

Formen des<br />

Wandels – und insbesondere<br />

des Wandels durch Kultur<br />

– hier bereits mit wechselndem<br />

Erfolg erprobt<br />

Gabriela Oberkofler, BRUGGELKRAXE<br />

wurden. Bei sowohl zeitlich<br />

wie auch räumlich<br />

ausgedehnten Projekten wie<br />

„DAS DETROIT-PROJEKT“<br />

(2013–14) oder „A40|B1 –<br />

Die Schönheit der großen<br />

Straße“ (2010/2013–14)<br />

entwickeln Künstler und<br />

Künstlerinnen sowie Kunstkollektive<br />

gemeinsam mit<br />

der Bevölkerung vor Ort<br />

ihre Arbeiten. Thema des<br />

„DETROIT-PROJEKTES“ ist<br />

die Entwicklung einer<br />

postindustriellen Zukunft<br />

der Stadt Bochum nach der<br />

Schließung des Opel-Werkes<br />

durch künstlerische Interventionen.<br />

„A40|B1 – Die<br />

Schönheit der großen Straße“<br />

erforscht Lebensbedingungen<br />

in unmittelbarer<br />

Nähe der das Ruhrgebiet<br />

prägenden Stadtautobahnen,<br />

fördert und inszeniert die<br />

Nutzung von durch die<br />

automobile Infrastruktur<br />

entstandenen urbanen Unorten.<br />

Oftmals bleibt kein<br />

Artefakt dieser Arbeit<br />

nach Abschluss der Projekte<br />

zurück. Nachhaltigkeit<br />

entsteht hier durch<br />

die aktive Teilnahme der<br />

Bevölkerung, insbesondere<br />

auch von gelegentlich als<br />

„kulturfern“ bezeichneten<br />

Gruppen. Sie entsteht auch<br />

durch die Implementierung<br />

neuer Ideen und Bilder vom<br />

eigenen Lebensumfeld in<br />

die Stadtgesellschaft des<br />

Ruhrgebietes. Der Begriff<br />

von der Kulturmetropole<br />

Ruhr erhält so eine neue<br />

Bedeutung jenseits von<br />

Opernhäusern, Museen und<br />

Festivals – als eine<br />

Region, in der kulturelle<br />

Prozesse langfristig als<br />

Möglichkeit des Wandels<br />

und der selbstbestimmten<br />

Veränderung in der gesamten<br />

Bevölkerung aktiv sind.<br />


<strong>Algernon</strong>’s Truth<br />

T: Ingo Arend<br />

142<br />

„Wir müssen in einer Sprache<br />

sprechen, die Hass unter den<br />

Massen sät, Ekel denjenigen<br />

gegenüber, die nicht mit<br />

uns über-<br />

einstimmen“.<br />

Was Wladi- mir Iljitsch<br />

Lenin einst seinen Bolschewiki<br />

einschärfte,<br />

prägte lan- ge das Bild<br />

von Subversion. Bei der Vokabel<br />

denkt man an die klandestine<br />

Wühlarbeit revolutionärer Zellen:<br />

In düsteren Katakomben bereiten<br />

Männer mit Bomben und Bärten<br />

den Staatsumsturz vor. Wo man<br />

von „Subversion“ sprach, lag ein<br />

Hauch von Sarajewo in der Luft.


Das verführerisch schillernde<br />

Wort Subversion<br />

hat heute ideologischen<br />

Rost angesetzt. Die sozialen<br />

Fronten von heute sind<br />

unübersichtlich geworden.<br />

Subversive Arbeit findet<br />

da nur noch mühsam ihren<br />

Ansatzpunkt. Schon Gilles<br />

Deleuze vermochte es nicht<br />

mehr, den „Windungen der<br />

Schlange“ zu folgen. So<br />

lautlos, wie dieses Reptil<br />

durch das Gelände mäandert,<br />

camoufliere sich Macht in<br />

den subtilen Kontrollgesellschaften<br />

der Gegenwart.<br />

Die Akzelerationisten haben<br />

deswegen die Subversions-<br />

Segel gestrichen. Diese<br />

neue Philosophie-Bewegung<br />

will den Kapitalismus nicht<br />

mehr unterwandern, sondern<br />

beschleunigen. Ganz in die<br />

Mottenkiste der Revolutionsgeschichte<br />

gehört die<br />

Subversion freilich noch<br />

nicht.<br />

Auf dem Höhepunkt der Gezi-<br />

Kämpfe in der Türkei legten<br />

die RedHacker in der Türkei<br />

das Netz von Staatsbank,<br />

AK-Partei und des größten<br />

Mobilfunkanbieters lahm.<br />

Ausgerechnet im friedlichen<br />

Linz startete vor ein<br />

paar Jahren eine Subversiv-<br />

Messe für Gegenkultur und<br />

Widerstandstechnologie. Um<br />

dem widerstandsunerfahrenen<br />

Publikum einen „niederschwelligen<br />

Zugang“ zu Idee<br />

und Praxis der Subversion<br />

bieten, konnte man sich<br />

Radio-Störsender basteln,<br />

im Guerilla-Gardening üben<br />

oder von den Sizzy Boys<br />

lernen, wie man falsche<br />

Bärte klebt. Wie Subversion<br />

gründlich schiefgehen kann,<br />

zeigte dagegen der deutsche<br />

Verfassungsschutz, als er<br />

die rassistische Mörderbande<br />

des „Nationalsozialistischen<br />

Untergrunds“( NSU)<br />

„unterwanderte“.<br />

Doch was lässt sich mit<br />

derlei<br />

Techniken<br />

eigentlich<br />

noch<br />

ausrichten,<br />

wenn sie<br />

längst<br />

zur<br />

Produktivkräften<br />

der<br />

globalen<br />

Kulturindustrie<br />

avanciert<br />

sind? Die trainiert die<br />

Generation Praktikum im<br />

Guerilla-Marketing und ruft<br />

ihnen mit zynischer Vernunft<br />

„Sei der Revolutionär<br />

Deiner selbst!“ zu. Das<br />

Berliner Designerkollektiv<br />

anschlaege verdient seine<br />

Brötchen mit einer Rebel<br />

Academy. Auf deren Lehrplan<br />

stehen so subversive Praktiken<br />

wie der Barrikadenbau,<br />

die Einrichtung einer<br />

Volxküche oder die Anleitung,<br />

wie man mit Videobotschaften<br />

eine Revolution<br />

anzettelt. Zwei US-Nerds<br />

haben ihre neueste Software,<br />

mit denen sich Dateiversionen<br />

verwalten lassen,<br />

Subversion genannt.<br />

143<br />

Natürlich gibt es verblüffende<br />

Beispiele für die<br />

Soft-Power-Subversion.<br />

Die DDR-Opposition unterlief<br />

ihre real existierende<br />

Gerontokratie mit<br />

dem Rückzug in den Alltag<br />

und in ästhetische Nischen<br />

unendlich wirksamer als<br />

mit Bombenwerfen und Sabotage.<br />

Und die britische<br />

Rebel Clown Army stellt<br />

die Sicherheitskräfte mit<br />

Wasserpistolen, Staubwedel<br />

und Pappnasen womöglich<br />

überzeugender bloß<br />

als der Schwarze Block das<br />

Schweinesystem mit Chaostagen.<br />

Aber selbst die<br />

letzte große Subversion,<br />

der Punk, firmiert heute<br />

als Label der Modeindustrie.<br />

Da bleibt nur noch die<br />

höchste Form der Subversion<br />

– das scharfe Denken.<br />

Dieser „Wirbelsturm, der<br />

alle herkömmlichen Wegweiser<br />

umweht“ (Hannah Arendt)<br />

schien schon den alten<br />

Athenern so gefährlich,<br />

dass sie Sokrates, seinen<br />

hervorragendsten Entfacher,<br />

zum Tode verurteilten.<br />


Wahnmoching 144<br />

1844<br />

2 Tote, über 100 Verletze<br />

und fast 150 Festnahmen,<br />

weil der Bierpreis erhöht<br />

werden soll. In München regt<br />

sich Widerstand, wenn es um<br />

existenzielle Fragen geht.<br />

1893 — 1909<br />

Franziska von Reventlow<br />

lebt zwischen 1893 und 1909<br />

in Schwabing und ist bis<br />

heute eine der schillerndsten<br />

Figuren des Münchner<br />

Undergrounds. Sie prägt<br />

den Begriff „Wahnmoching“,<br />

praktiziert die freie Liebe<br />

und ist eine der ersten<br />

Frauen, die in Deutschland<br />

für ihre Unabhängigkeit<br />

eintritt. 1910 übersiedelt<br />

sie auf den Monte Verità,<br />

das europäische Zentrum für<br />

eine Welt von Übermorgen.<br />

Presseball, München 1968<br />

1900 — 1902<br />

Etwa zur selben Zeit lebt<br />

Lenin in München! 1900<br />

bis 1902 wohnt Wladimir<br />

Iljitsch Uljanow unter dem<br />

Namen Meyer in der Kaiserstraße<br />

53 – illegal. In<br />

München entsteht die erste<br />

gesamtrussische Zeitung:<br />

Iskra. Lenin liebt Spaziergänge<br />

im Englischen Garten.<br />

PARTEI DER SPAZIERGÄNGER.<br />

Und eigentlich ist die<br />

Räterepublik das Fundament<br />

des Freistaats Bayern.<br />

ERINNERN.<br />

Citta 2000, München 1970<br />

1896<br />

Der Simplicissimus ist eine<br />

satirische Wochenzeitschrift,<br />

die von 1896 an<br />

fast 50 Jahre lang in München<br />

publiziert wird und<br />

bis heute weltweites Ansehen<br />

genießt. Die Bulldogge,<br />

die britische, von Thomas<br />

Theodor Heine ist ihr Markenzeichen.<br />

1882 — 1948<br />

Herbert Achternbusch und<br />

Christoph Schlingensief<br />

bewundern Karl Valentin. Er<br />

ist der erste deutschsprachige<br />

POPKÜNSTLER: 1882<br />

bis 1948.<br />

HANS UND SOPHIE SCHOLL,<br />

1943:<br />

FLUGBLÄTTER<br />

BRINGEN DEN TOD.


Wahnmoching – DIe MÜNCHENSEITE<br />

145<br />

1957<br />

1957 stellt die Künstlergruppe<br />

S.P.U.R. im Pavillon<br />

des Alten Botanischen<br />

Gartens aus.<br />

1959<br />

1959 wird die Gruppe zur<br />

Repräsentanz der Situationistischen<br />

Internationale.<br />

ENTTRÜMMERER DER WELT.<br />

Dieter Kunzelmann ist das<br />

Gehirn.<br />

1962<br />

1962 kommt es in der Feilitzschstraße<br />

1 in Schwabing<br />

zu einer viertägigen<br />

Straßenschlacht. Einige<br />

meinen bis heute, dass die<br />

Schwabinger Krawalle der<br />

Beginn der 68er-Bewegung<br />

sind.<br />

ANDREAS BAADER<br />

WAR AUCH DABEI.<br />

1963 — 1966<br />

Subversive Aktion… 1963<br />

bis 1966 in München… liefert<br />

maßgebliche Impulse<br />

in die Subkultur der APO…<br />

Adorno… Freud… Horkheimer…<br />

Marcuse… Marx… Reich…<br />

Situationisten:<br />

Straßentheater, Derivé…<br />

1966<br />

Uschi Obermaier und die<br />

Kommune 1: SEX SYMBOL<br />

Blinky Palermo 1966 in der<br />

Galerie Friedrich und Dahlem,<br />

München<br />

BIG APPLE DISKOTHEK<br />

BERLIN MÜNCHEN<br />

„A HARD DAYS NIGHT“ von<br />

den Beatles ist in München<br />

sofort beliebt.<br />

Hauptbahnhof, München 1973<br />

1976<br />

Zu dieser Zeit studiert<br />

Wim Wenders in München, er<br />

schreibt. Ist im Gefängnis,<br />

dreht wunderbare Filme und<br />

zieht 1976 nach Berlin.<br />

Monopteros im Englischen<br />

Garten:<br />

KIFFEN IN MÜNCHEN<br />

Klaus Lemke porträtiert<br />

in hinreißenden Filmen<br />

die Außenseiter.<br />

Er ist der König von Schwabing.<br />

Rainer Werner Fassbinder,<br />

der in München beerdigt<br />

ist, bewundert ihn.<br />

Das Grab erkennt jeder an<br />

der roten Rose.<br />

Joachim Lottmann … Bei mir<br />

war Liebeskummer immer<br />

besonders schlimm …<br />

1976<br />

Werkstattkino e.V.: Trash,<br />

Monster-Movies, Siebziger-<br />

Sex-Streifen, Dokus sowie<br />

Experimentalfilme in der<br />

Tradition des undependent<br />

film center. Jährlich: Kurzfilmfest<br />

Bunter Hund.<br />

1981<br />

Andreas Dorau und sein<br />

Lied: „FRED VOM JUPITER“.<br />

THOMAS MEINECKE: Hellblau<br />

2010<br />

Florian Süssmayr, Teilnehmer<br />

der Punkbewegung, Fußballer<br />

und ab 2010 ein vom Kunstmarkt<br />

entdeckter Maler<br />

www.suessmayr.de<br />

Puerto Giesing… leider Geschichte<br />

und wo bleibt der<br />

Underground?<br />

BergWolf Late Night<br />

Restaurant… Glück Auf…<br />

Favoritbar… Unaufgeregt…<br />

Room Lothringer 13…<br />

entfernte Gedanken…<br />

www.diehonigpumpe.de<br />

Stadtteilhonig und Beuys<br />

feiern<br />

2014<br />

Milla Club hier am<br />

14.11.2014, das Konzert von<br />

Mutter „Texte und Musik“<br />

Goldene Bar … von hier kann<br />

es wieder losgehen …<br />


Horoskop<br />

146<br />

T: Alexander Graf von Schlieffen<br />

Die astrologischen<br />

Konstellationen der<br />

kommenden Monate<br />

Der Begriff Subversion bezieht sich<br />

auf Vorgänge, Bestrebungen oder<br />

Darstellungen, welche die bestehende<br />

soziale Ordnung<br />

(Autoritäten, gesellschaftliche<br />

Zugehörigkeiten<br />

und Hierarchien,<br />

Ausbeutung<br />

von Gruppen, Machtkonzentrationen<br />

usw.) in Frage stellen bzw. verändern<br />

wollen. *<br />

* Quelle: Wikipedia


Horoskop<br />

147<br />

Wie ist es denn, wenn<br />

wir in einer Zeit, in<br />

der wir das Bedürfnis<br />

haben, das Leben aus<br />

uns heraus zu gestalten,<br />

uns auf die natürlichen<br />

Zeitzyklen des<br />

Universums beziehen und<br />

sie, entgegen der eingebildeten<br />

Omnipotenz<br />

des eigenen Handelns,<br />

in unsere Entscheidungsfindungen<br />

miteinbeziehen?<br />

Jeder Planet entspricht<br />

einer Wesenskraft, und<br />

die sich verändernden<br />

Beziehungen der verschiedenen<br />

Himmelskörper<br />

unseres Universums<br />

zueinander beschreiben<br />

die Energiemuster der<br />

jeweiligen Zeit.<br />

Mars symbolisiert das<br />

Handeln, die Tatkraft<br />

und auch die Aggression.<br />

Er lief einige<br />

Monate lang durch das<br />

Zeichen der Waage, in<br />

dem er sehr schwach<br />

ist. Mars möchte seinem<br />

Naturell gemäß handeln,<br />

bevor die bleierne<br />

Schwere des Gedankens<br />

seine Spannkraft lähmt.<br />

Er betrachtet und beurteilt<br />

das Resultat nach<br />

der Tat, das entspricht<br />

seinem Charakter. Dann<br />

erst blickt er weiter<br />

und reflektiert unter<br />

Umständen sogar.<br />

Das Zeichen Waage aber<br />

steht für das Einbeziehen<br />

des Standpunktes<br />

eines Gegenübers.<br />

Dadurch wird der Handlungsimpuls<br />

gebremst.<br />

Seine Energie wird<br />

nicht durch Tätigkeit<br />

kanalisiert, sondern<br />

sie bleibt im Kopf. Die<br />

folglich nicht ausgelebte<br />

Aggression beherrscht<br />

das Denken und<br />

auch das Fühlen und<br />

Wahrnehmen. Aus aggressiven<br />

Denkstrukturen<br />

werden dann Systeme<br />

entwickelt, deren Ursprung<br />

die Verdrängung<br />

des nicht Ausgelebten<br />

ist.<br />

In den zurückliegenden<br />

Monaten sind in der<br />

politischen Welt Dinge<br />

geschehen, die uns in<br />

einen Zustand der Wut,<br />

Fassungslosigkeit und<br />

Verzweiflung versetzt<br />

haben, ob in der Ukraine,<br />

in Venezuela oder<br />

im Gaza-Streifen, um<br />

nur einige zu nennen.<br />

Die Verzweiflung resultierte<br />

vor allem aus<br />

dem Gefühl heraus, dass<br />

bei jedem Einschreiten<br />

die totale Eskalation<br />

zu befürchten ist,<br />

die sich zur empfundenen<br />

Wut disproportional<br />

verhält.<br />

Am 26.07.2014 wandert<br />

Mars in das Zeichen des<br />

Skorpion, wo er bis zum<br />

13.09. bleibt. Skorpion<br />

steht für strategische<br />

Machtergreifung.<br />

Wenn man die<br />

Macht ergreifen will,<br />

ist es wenig geschickt,<br />

das offensichtlich zu<br />

tun, sonst könnte der<br />

Noch-Machtinhaber seinem<br />

Nichteinverständnis<br />

Ausdruck verleihen.<br />

Also bedeutet die Konstellation<br />

Mars im Skorpion<br />

die verborgene,<br />

aber zielstrebige Art,<br />

seinen Willen zu behaupten.<br />

Das Thema ist<br />

Kontrolle oder Macht.<br />

So manch ein Politiker<br />

wird versuchen, sich<br />

diese Energie zunutze<br />

zu machen. Motto: Mit<br />

Zähigkeit kommt man zum<br />

Ziel.<br />

Diese Energien können<br />

im persönlichen<br />

Leben zu Klärungsprozessen<br />

genutzt werden,<br />

wenn man seiner eigenen<br />

Wahrheit auf der Spur<br />

sein möchte, was auch<br />

immer diese sei. Falls<br />

man die Wahrheit verdrängen<br />

möchte, dann<br />

könnte es besonders um<br />

den 25.08. herum zu<br />

zähen Machtkämpfen mit<br />

dem eigenen Innenleben<br />

und seinen unbewusst in<br />

die unmittelbare Umwelt<br />

projizierten Statthaltern<br />

kommen.<br />

Vom 13.09. geht Mars<br />

bis zum 26.10. in das<br />

Zeichen Schütze. Aussichtsreiche<br />

Perspektiven<br />

stimulieren die<br />

Handlungsimpulse, gern<br />

wird Gegenwart schon<br />

mit Zukunft verwechselt.<br />

Um den 08.10.<br />

könnte die Euphorie gar<br />

so ansteigen, dass weit<br />

über das Ziel hinaus<br />

geschossen wird, bevor<br />

man überhaupt richtig<br />

angefangen hat.<br />

Das ändert sich schlagartig,<br />

wenn Mars ab dem<br />

26.10. in das Zeichen<br />

Steinbock läuft. Jetzt<br />

zählen Resultate, und<br />

die Kraft soll dosiert<br />

im Dienst langfristiger<br />

Ziele eingesetzt<br />

werden. Wer allerdings<br />

am 11.11. zu verbohrt<br />

zu Werke geht, könnte<br />

dabei auf Granit stoßen.<br />

Zwei Tage später<br />

empfiehlt es sich, auf<br />

seine innere Zentrierung<br />

zu achten, sonst<br />

könnten einen abrupt<br />

auftretende Handlungsimpulse<br />

jäh vom Weg<br />

abbringen. Am 01.12.<br />

zeigen sich die ersten<br />

Früchte harter Arbeit.<br />

Bereits vier Tage später<br />

wandert Mars in den<br />

Wassermann, dem Zeichen,<br />

in dem sich die<br />

instinktiven Triebkräfte<br />

in größter Erdferne<br />

befinden, also geradezu<br />

abgekuppelt sind.<br />

Das ist nicht immer so<br />

einfach, denn es ist ja<br />

ganz hilfreich, seinen


<strong>Geheimsache</strong> #8<br />

148<br />

Feind verorten zu können.<br />

Das alles geschieht vor<br />

dem Hintergrund langfristiger<br />

planetarischer<br />

Zyklen, die zum<br />

Teil bereits seit zwei<br />

Jahren das große Panorama<br />

thematisch spiegeln.<br />

Hier steht der Planet<br />

Jupiter traditionell<br />

für Glück, Sinn, Wachstum<br />

und Perspektive. Am<br />

16.07. wechselte er in<br />

das Zeichen Löwe, nachdem<br />

er zuvor etwa zwei<br />

Jahre durch den Krebs<br />

gelaufen ist. Im Zeichen<br />

Krebs stand die<br />

erfüllte Zukunft in<br />

unmittelbarem Zusammenhang<br />

mit dem Aufgreifen<br />

liegengebliebener Themen<br />

aus der Vergangenheit.<br />

Mit ihnen konnte<br />

aber aussichtsreich und<br />

beseelt abgeschlossen<br />

werden, was beste<br />

Startbedingung für das<br />

Morgen bot.<br />

Nun, im Löwen, geht es<br />

darum, die Konsequenzen<br />

aus den inneren<br />

Versöhnungen zu ziehen<br />

und selbsttätig das<br />

große Glück zu schaffen.<br />

Diese Chance ist<br />

gekoppelt an gigantische<br />

Hoffnungen, die<br />

vor allem dann berechtigt<br />

sind, wenn die<br />

Vorhaben oder Projekte<br />

einer Herzensangelegenheit<br />

entsprechen.<br />

Nur was authentisch<br />

ist, hat Erfolg. Bei<br />

lediglich großen Versprechungen<br />

überdreht<br />

diese Energie<br />

die Selbsteinschätzung<br />

und bläht das Ego wie<br />

einen Luftballon auf.<br />

Das kann besonders in<br />

der Wirtschaft und in<br />

der Politik so manchen<br />

selbsternannten Heilsbringer<br />

hervorrufen.<br />

Saturn steht für Realitätsbeherrschung,<br />

für<br />

Ordnung und Struktur.<br />

Er durchläuft das Zeichen<br />

Skorpion, in dem<br />

es um die Bedingungen<br />

für gemeinsame Investitionen<br />

geht. Das bedeutet<br />

auch eine bremsende<br />

Gegenenergie zum<br />

Aufbruch verheißenden<br />

Jupiter. Diese Konstellation<br />

eignet sich<br />

hervorragend dazu, um<br />

Klarheit in gegenseitige<br />

Verstrickungen zu<br />

bringen. Dazu gehört<br />

die wirtschaftliche<br />

und psychologische Bestandsaufnahme<br />

der eigenen<br />

Bindungsmuster.<br />

Ab 2015 wandert Saturn<br />

in den Schützen, und<br />

dann geht es innerhalb<br />

der Bündnisse um das<br />

Konkretisieren der gemeinsamen<br />

Wege in die<br />

Zukunft.<br />

Pluto steht für das<br />

Vertrauen oder die Kontrolle.<br />

Er steht im<br />

Zeichen des Steinbocks.<br />

Da bestimmen Regelwerke<br />

die Bindungen, ob<br />

persönlicher, politischer<br />

oder vor allem<br />

wirtschaftlicher Art.<br />

Reglementierung bedeutet<br />

Kontrolle, aber<br />

auch Verlust von Freiheit<br />

und Vertrauen. Das<br />

nimmt den meisten Prozessen<br />

etwas an spielerischer<br />

Leichtigkeit.<br />

Wer die Regeln nicht<br />

einhält, der fliegt<br />

raus. Eine geeignete<br />

Zeit, um Ordnung zu<br />

schaffen.<br />

Diesen etwas rigiden<br />

Energiemustern stehen<br />

nun noch zwei ganz<br />

andersartige entgegen.<br />

Veränderung und Umbrüche<br />

symbolisiert der<br />

Planet Uranus. Er steht<br />

im durchsetzungsbetonten<br />

Zeichen Widder, das<br />

heißt, „er“ ist sehr<br />

ungeduldig und impulsiv,<br />

vor allem dann,<br />

wenn man „ihn“ an seinen<br />

Vorhaben hindert.<br />

Das geschieht vor allem<br />

durch Pluto. Der<br />

sich gegenseitig ausschließende<br />

Winkel in<br />

ihrer Konstellation<br />

bewirkt maximale Spannung.<br />

Veränderung und<br />

Neuanfang vertragen<br />

sich nicht mit zunehmender<br />

Kontrolle durch<br />

Reglementierungen. Die<br />

Auswirkungen dieser<br />

Konstellation kann man<br />

seit 2012 weltweit beobachten.<br />

Einen Ausweg<br />

gibt es nicht, aber man<br />

kann ein Verständnis<br />

dafür entwickeln, warum<br />

es zu diesen Extremen<br />

im weltpolitischen<br />

wie persönlichen<br />

Leben gekommen ist. Ab<br />

der zweiten Jahreshälfte<br />

ergeben sich für die<br />

Zeit danach die Konsequenzen<br />

und ermöglichen<br />

eine Art Neustart 2015.<br />

Damit das alles<br />

nicht ganz<br />

so unmenschlich<br />

wird, gibt es<br />

noch Neptun.<br />

Er ist in seinem<br />

eigenen<br />

Zeichen Fische<br />

stark und symbolisiert<br />

die<br />

Wirklichkeit jenseits<br />

der gesellschaftlich<br />

normierten und zur Zeit<br />

diskutierten Übereinkünfte<br />

über das, was<br />

wir Realität nennen<br />

wollen – eine Wirklichkeit<br />

jenseits der Simulation,<br />

die viel größer<br />

sein kann, als all das,<br />

was wir begreifen und<br />

erfassen können. Allein<br />

die Bereitschaft der<br />

Akzeptanz, dass es so<br />

sein könnte, verändert<br />

bereits das Bewusstsein.<br />


Spotlights 150<br />

LITERATUR<br />

Srecko Horvat,<br />

Nach dem Ende der<br />

Geschichte – Vom<br />

arabischen<br />

Frühling zur Occupy-<br />

Bewegung,<br />

Laika, Hamburg 2013<br />

In Interviews befragt der<br />

junge kroatische Philosoph<br />

Srecko Horvat intelligent<br />

die Größen des Geistes, um<br />

herauszufinden, ob es eine<br />

tragfähige Alternative zum<br />

Kapitalismus gibt und wir<br />

die Welt nicht insgesamt<br />

neu und damit besser ordnen<br />

können.<br />

Anonymus,<br />

Deep Web – DIE DUNKLE<br />

SEITE DES INTERNETS,<br />

Blumenbar, München<br />

2014<br />

„Wir müssen uns fragen, warum<br />

wir im echten Leben die<br />

Tür hinter uns schließen,<br />

wenn wir auf die Toilette<br />

gehen. Und warum wir das<br />

im Internet nicht tun“,<br />

schreibt Anonymus auf den<br />

letzten Seiten seines faszinierenden<br />

Berichtes über<br />

die sogenannte dunkle Seite<br />

des Internets: deep web<br />

oder darknet. Ein exzellente<br />

Einführung in die Bedeutung<br />

des Internets, sowohl<br />

der hellen als auch der<br />

dunklen Seite.<br />

P.M.,<br />

Manetti lesen oder<br />

vom guten Leben,<br />

Edition Nautilus,<br />

Hamburg 2012<br />

Wenn jemand wissen möchte,<br />

wie eine gelungene Zukunft<br />

aussehen könnte, kann er<br />

diesen Roman lesen und das<br />

sogar mit viel Freude,<br />

da er einfach gute Laune<br />

macht. Die Lösung für eine<br />

bessere Welt lauert überall.<br />

Ken Goffman & Dan Joy,<br />

Counterculture through<br />

the ages. Villard Books,<br />

New York 2005<br />

Ist das Buch über die Geschichte<br />

der Subkultur. Neben<br />

einer guten Definition,<br />

was „counterculture“ im 21.<br />

Jahrhundert und über die<br />

Jahrtausende ist, erfahren<br />

wir viel über Menschen, die<br />

die Welt maßgeblich beeinflusst<br />

haben.<br />

Bertram Weisshaar (Hg.),<br />

Spaziergangswissenschaft<br />

in Praxis.<br />

Jovis, Berlin 2013<br />

Der Spaziergang gehört<br />

sicher seit der Situationistischen<br />

Internationale<br />

zu den<br />

subversiven Praktiken<br />

von Stadt- und Landaneignung.<br />

Lucius<br />

Burckhardt begründete<br />

eine Wissenschaft<br />

des Spaziergangs und<br />

Bertram Weisshaar<br />

sammelt in seinem<br />

klugen Buch Theorie<br />

und Praxis. Unbedingt<br />

gehend lesen.<br />

Louis Aragon,<br />

Pariser Landleben.<br />

Rogner & Bernhard,<br />

München 1969<br />

Die Phantasie und den Traum<br />

in die Moderne gerettet. Was<br />

für ein Vergnügen Paris so<br />

zu begehen. Tatsächlich ein<br />

Reiseführer für viele Städte<br />

der Welt, wenn ich mir die<br />

Mysterien erschließen will.<br />

FILM<br />

Henrike Sandner,<br />

Dolce vita in der DDR<br />

(2013)<br />

Inspiriert von Fellinis<br />

Film „Schiff der Träume“<br />

mietet Kristian Wegscheider<br />

1986 das Boot „Weltfrieden“,<br />

um mit etwa 200<br />

Verrückten eine Reise von<br />

Dresden in die Sächsische<br />

Schweiz zu unternehmen. Auf<br />

dem Schiff wird in Kostümen<br />

das dolce vita gefeiert.<br />

Selbstverständlich fand die<br />

Bootsfahrt unter genauer<br />

Beobachtung der Staatssicherheit<br />

statt. Der Film<br />

von Henrike Sandner ist<br />

eine poetische Würdigung<br />

einer ganz und gar phantastischen<br />

Aktion.<br />

Renzo Martens,<br />

Episode III: Enjoy Poverty<br />

(2008)<br />

Spektakuläre Bilder aus der<br />

sogenannten Dritten Welt,<br />

Bilder von unvorstellbarer<br />

Armut und grenzenlosem<br />

Leid<br />

zirkulieren in<br />

unserer Gesellschaft<br />

mit dem<br />

vermeintlichen<br />

Anliegen, Impulse<br />

für eine<br />

Veränderung der<br />

bestehenden<br />

Verhältnisse zu<br />

setzen. In den<br />

meisten Fällen jedoch sind<br />

sie wenig mehr als eine<br />

lukrative Einkommensquelle<br />

für Fotografen aus entwickelten<br />

Ländern. Was aber,<br />

wenn die Subjekte jener<br />

Bilder sich diese Mechanismen<br />

zunutze machen, die<br />

Logik der Zahlungsflüsse<br />

verkehren und die Prekarität<br />

ihrer Verhältnisse<br />

selbst als Einkommensquelle<br />

nutzen?<br />

Pier Paolo Pasolini,<br />

Teorema – Geometrie der<br />

Liebe (1968)<br />

Das bürgerliche Leben<br />

versucht, durch klare<br />

Regeln zu überleben. Pasolini<br />

zeigt, dass das Leben<br />

so nicht zu halten ist und<br />

dass in der Sexualität eine<br />

große transformatorische


Spotlights<br />

151<br />

Kraft steckt. Und nebenbei<br />

beginnt der Film mit einer<br />

unternehmerischen Alternative<br />

und deren Risiko.<br />

Pasolini unbedingt wieder<br />

sehen.<br />

Harun Farocki,<br />

Ein neues Produkt (2012)<br />

In der Dokumentation eines<br />

zunächst banal erscheinenden<br />

Brainstorm-<br />

Meetings werden wir Zeuge,<br />

wie Unternehmensberater<br />

der Hamburger<br />

Agentur Quickborner<br />

Team<br />

unter Verwendung<br />

religiös<br />

besetzter<br />

Begriffe<br />

wie Sinn<br />

und Ewigkeit<br />

neue Entwürfe<br />

für Büroinneneinrichtungskonzepte<br />

entwickeln.<br />

Wo ein geradezu<br />

esoterisches<br />

Gedankenkonstrukt<br />

zu entstehen<br />

erscheint,<br />

die Vision<br />

eines anderen<br />

Lebensentwurfs,<br />

lässt<br />

die Sachlichkeit, mit der<br />

Harun Farocki das Geschehen<br />

kommentarlos festhält, uns<br />

mit einem Gefühl von Bedeutungslosigkeit<br />

zurück.<br />

Anton Corbijn,<br />

Control<br />

(2007)<br />

Der Film vom Meisterfotografen<br />

zeigt das wunderbare<br />

und tragische Leben des Ian<br />

Curtis. Er war der Kopf der<br />

ikonografischen Punkband<br />

Joy Division und beendete<br />

sein Leben am Abend vor<br />

der ersten Amerikatournee.<br />

Bilder und Musik laden zum<br />

Fest im Underground ein.<br />

DIGITALES<br />

Antoni Abad,<br />

megafone.net<br />

(2004 – laufend)<br />

Ob politische Flüchtlinge,<br />

Personen mit eingeschränkter<br />

Mobilität, illegale<br />

Einwanderer, Prostituierte<br />

oder Berufsgruppen wie Taxifahrer<br />

und Motorradkuriere:<br />

Antonio Abads Projekt<br />

fungiert als Sprachrohr<br />

für soziale Gruppen, deren<br />

Existenz<br />

und Realitäten<br />

oftmals<br />

von<br />

Stereotypen<br />

überlagert,<br />

wenn nicht<br />

vollständig<br />

ignoriert<br />

werden. Wo<br />

vorherrschende<br />

gesellschaftliche,<br />

politische,<br />

wirtschaftliche<br />

und<br />

kulturelle<br />

Strukturen<br />

sie an den<br />

Rand unserer<br />

Gesellschaft<br />

drängen,<br />

bietet megafone.net diesen<br />

Gruppen durch die Veröffentlichung<br />

alltäglicher<br />

Audio-, Video- und Fotoaufnahmen<br />

einen Raum.<br />

www.megafone.net<br />

sub-bavaria<br />

sub-bavaria, ein bayerisches<br />

Underground-Wiki.<br />

Menschen in der ganzen Welt<br />

denken immer wieder, Bayern<br />

ist schön und die Welt<br />

ist in Ordnung. Erfreulicherweise<br />

gibt es auch das<br />

Leben am Rande der Gesellschaft<br />

oder auch das Leben<br />

im Underground. Bayern<br />

kommt weiter.<br />

www.sub-bavaria.de<br />

Chaos Computer Club<br />

„Der Chaos Computer Club<br />

e. V. (CCC)<br />

ist die<br />

größte europäische<br />

Hackervereinigung<br />

und seit<br />

über dreißig<br />

Jahren<br />

Vermittler<br />

im Spannungsfeld<br />

technischer<br />

und sozialer<br />

Entwicklungen. Die Aktivitäten<br />

des Clubs reichen<br />

von technischer Forschung<br />

und Erkundung am Rande des<br />

Technologieuniversums über<br />

Kampagnen, Veranstaltungen,<br />

Politikberatung, Pressemitteilungen<br />

und Publikationen<br />

bis zum Betrieb von<br />

Anonymisierungsdiensten und<br />

Kommunikationsmitteln …“<br />

www.ccc.de<br />

Alain Bieber,<br />

rebel:art<br />

(2004)<br />

Wenn wir die besonderen<br />

Aktionen und Ideen finden<br />

wollen, die unsere Welt in<br />

den Städten und auf dem<br />

Land humaner, lebenswerter,<br />

kreativer und widerständiger<br />

machen, dann haben wir<br />

hier eine der besten Seiten<br />

im www. Gratulation Alain<br />

Bieber.<br />

www.rebelart.net<br />

ALLTÄGLICHE PRAKTIKEN<br />

Paul Huf,<br />

You have to be as cool as<br />

Alain Delon<br />

Seit 2009 arbeitet der<br />

Berliner Künstler Paul Huf<br />

mit unbegleiteten minderjährigen<br />

Flüchtlingen, die<br />

nach München kommen. Sein<br />

Ansatz, den Jugendlichen<br />

grundlegende Kenntnisse der


<strong>Geheimsache</strong> #8<br />

Fotografie zu vermitteln<br />

und das Medium zu nutzen,<br />

ihre eigenen Stärken zu<br />

porträtieren und zu entdecken,<br />

unterläuft dominante<br />

Logiken, nach denen Bilder<br />

solcher Flüchtlinge Hilflosigkeit<br />

und Ohnmacht vermitteln<br />

sollen. Die entstehenden<br />

Arbeiten schaffen<br />

Räume und öffnen Möglichkeiten,<br />

die übliche Opfer-<br />

Helfer-Dualität zu überwinden<br />

und an unseren Sinn für<br />

Solidarität zu appellieren,<br />

nicht für Mitleid.<br />

Liam Barrington-Bush,<br />

Constructive Subversion:<br />

A Guide to Organizational<br />

Change (2013)<br />

Gibt es eine Möglichkeit,<br />

sich in die hierarchischen<br />

Strukturen traditioneller<br />

Organisationen zu hacken<br />

und sie durch Raum für mehr<br />

Autonomie und Demokratie<br />

zu ersetzen? „Maybe, maybe<br />

not“ – vielleicht, vielleicht<br />

nicht, meint Aktivist<br />

und Autor Liam Barrington-Bush.<br />

Wo wir aber<br />

ansetzen könnten, und warum<br />

wir es versuchen sollten –<br />

das erläutert er in seinem<br />

Online-Handbuch: www.<br />

roarmag.org/2013/12/<br />

constructive-subversive-guide-change<br />

Atelier für Sonderaufgaben<br />

1999 gründeten die<br />

Zwillinge Frank und<br />

Patrik Riklin das<br />

„Atelier für Sonderaufgaben.“<br />

Seitdem<br />

sorgen sie mit spektakulären<br />

Interventionen für die Auseinandersetzung<br />

mit gesellschaftlich<br />

relevanten Inhalten.<br />

Meist groß und frech.<br />

www.sonderaufgaben.ch<br />

go.stop.act!<br />

Städten, und damit unserer<br />

Gesellschaft muss unbedingt<br />

in kreativer Form neues Leben<br />

eingehaucht werden, und<br />

wen die Stadtgärten schon<br />

nicht mehr wirklich bezaubern,<br />

findet hier Material<br />

für unendlich viel Spaß in<br />

der Stadt, mit sich und der<br />

Gemeinschaft.<br />

www.go-stop-act.de<br />

Berliner Unterwelten E.V.<br />

Ganz praktisch und immer<br />

aufregend hinab in unserer<br />

Hauptstadt. Unzählige<br />

Touren der ganz besonderen<br />

Art führen in die Unterwelt<br />

Berlins und lassen besondere<br />

und vergangene Ereignisse<br />

wieder sehr lebendig<br />

werden. „Innen wie Außen“<br />

(Goethe) sind diese Touren<br />

immer Reisen in unsere kollektiven<br />

und individuellen<br />

Seelenräume.<br />

www.berliner-unterwelten.de<br />

MUSIK<br />

Erik Satie<br />

3 Sonneries de la Rose<br />

+ Croix (1892)<br />

Marlene Dietrich<br />

Lili Marleen<br />

Elvis Presley<br />

Jailhouse Rock 1957<br />

The Beatles<br />

“Help”, live<br />

1965<br />

Sex Pistols<br />

God Save The Queen<br />

1976/77<br />

Heroes / Helden<br />

Christiane F<br />

David Bowie<br />

1978/79<br />

Prince<br />

Purple Rain 1984<br />

Amy Winehouse<br />

Rehab<br />

Tom Waits<br />

Long Way Home<br />

Antony & The Johnsons<br />

The Life and Death of<br />

Marina Abramovic 2011<br />

Michael Nyma<br />

Panzerkreuzer Potemkin 2013<br />

Mutter<br />

Text und Musik 2014<br />

VERANSTALTUNGEN<br />

Subversive Festival<br />

Ist in diesem Jahr leider<br />

schon vorbei und findet<br />

erfreulicherweise jedes<br />

Jahr in Zagreb statt. Neben<br />

einem Filmfestival finden<br />

Vorträge, Diskussionen,<br />

etc. statt. Und es versammeln<br />

sich die Denker und<br />

Akteure der subversiven<br />

Weltsicht.<br />

www.subversivefestival.com<br />

Leipzigparcours<br />

Genau wenn sich der Mauerfall<br />

und der Erfolg der<br />

friedlichen Revolution zum<br />

25-sten Mal jähren (09.-<br />

11.10.2014), gehen der<br />

Künstler Paul Huf und der<br />

Kulturarchitekt Christian<br />

Jacobs 3 Tage zu Fuß durch<br />

Leipzig und begegnen Menschen<br />

und Orten, die das<br />

Subversive und vielleicht<br />

Zukünftige leben. Gehen Sie<br />

mit.<br />

www.earnestalgernon.de/<br />

goesout<br />

Jugendkultur<br />

Freetekno ist die subversive<br />

Form der Techno- und<br />

Raverszene. Teknivals<br />

werden kurzfristig, anonym<br />

und unangemeldet über<br />

das Internet bzw. Flyer<br />

kommuniziert und dann<br />

ist mehrtägige Party. Die<br />

schnellen Beats, bewusstseinserweiternden<br />

Drogen<br />

und ritualisierten Tänze<br />

versetzen in Hypnose. Ganz<br />

ähnlich den traditionellen<br />

Stammesriten von Urkulturen.<br />

www.freetekno.de


E&A goes out im<br />

Herbst 2014<br />

154<br />

Unsere Kulturereignisse tragen im<br />

Wesentlichen dazu bei, dass das<br />

Alltägliche neu erlebt werden kann<br />

und wir den Alltag als Ausgangspunkt<br />

für die Revolution verstehen.<br />

Wenn wir jetzt mit der | Revolution:<br />

nachhaltiger und struktureller<br />

Wandel | beginnen, erhalten wir die<br />

Chance, im Paradies<br />

zu leben.<br />

Stadtparcours Leipzig<br />

„Vom Nutzen des<br />

subversiven Lebens“<br />

Datum: 09.–11.10.2014<br />

Ort: Leipzig<br />

Kulturbegleiter: Paul<br />

Huf und Christian Jacobs<br />

Vor 25 Jahren beendete eine<br />

friedliche Revolution die<br />

Herrschaft der SED, und die<br />

DDR war in Auflösung. Ein<br />

zentraler Ort für die<br />

Entstehung der friedlichen<br />

Revolution war die Nikolaikirche<br />

in Leipzig. Wir<br />

werden uns auf unserem Weg<br />

durch Leipzig auch an<br />

diesem historischen Ort<br />

wiederfinden und uns mit<br />

den Praktiken der friedlichen<br />

Revolution auseinandersetzen.<br />

2.5 Tage<br />

gehen wir zu Fuß kreuz<br />

und quer durch Leipzig<br />

und begegnen Menschen<br />

und Institutionen, die<br />

am Rande des Mainstreams<br />

auf unterschiedlichste<br />

Art und<br />

Weise das andere Leben<br />

ausprobieren, experimentieren<br />

und realisieren.<br />

Für uns steht<br />

die Auseinandersetzung<br />

mit subversiven Praktiken<br />

und Strategien<br />

im Mittelpunkt des<br />

Parcours. Wir leben<br />

selbst auf der Straße<br />

und in einfachen<br />

Verhältnisse und<br />

dennoch wird es schön.<br />

Wer mitgeht, kommt<br />

weiter.


155<br />

Architekturpassage<br />

Biennale di Venezia<br />

Datum: 13.–15.11.2014<br />

Ort: Venedig<br />

Kulturbegleiter: Kina<br />

Deimel und Christian<br />

Jacobs<br />

Die Architekturbiennale<br />

in Venedig hat von ihrem<br />

diesjährigen Leiter Rem<br />

Koolhaas gleich 3 Themen<br />

bekommen, mit denen wir<br />

auf wunderbare Weise spielen<br />

können und die wir auf<br />

unsere jeweilige Arbeitsund<br />

Lebenssituation anwenden<br />

werden. Im Rahmen der<br />

„Fundamentals“ beschäftigt<br />

er sich mit den Basiselementen<br />

der Architektur und<br />

konzentriert sie auf das<br />

Wesentlichste. Was sind die<br />

Wurzeln und wesentliche<br />

Elemente unserer Arbeit?<br />

Worauf kommt es an?<br />

Mit dem Thema „Absorbing<br />

Modernity 1914–2014“ hat<br />

Rem Koolhaas zum ersten<br />

Mal allen Länderpavillons<br />

das gleiche Thema gestellt.<br />

65 Länder zeigen, was ihre<br />

Moderne ausmacht und wie<br />

sie sich in der Architektur<br />

manifestiert. Alltägliche,<br />

besondere, unglaubliche<br />

und verzaubernde Weltsichten<br />

werden erlebbar.<br />

Wie sieht Ihre<br />

Moderne aus? Wie<br />

kann sie sichtbar<br />

werden?<br />

Und auf dem Arsenale-Gelände<br />

begegnen<br />

wir in „Monditalia“<br />

dem Land Italien<br />

und seiner Entwicklung<br />

in Architekturprojekten,<br />

Filmen, Tanz und<br />

weiteren kulturellen<br />

Praktiken. So<br />

wird Italien in<br />

seiner Besonderheit<br />

sichtbar, und<br />

gleichzeitig dient<br />

es uns als Spiegel<br />

einer Welt in<br />

der in zunehmendem<br />

Chaos immer wieder Neues<br />

und Schönes entstehen kann.<br />

Welche „Schönheit“ verwirklichen<br />

Sie?<br />

Wir erkunden die Themen anhand<br />

ausgewählter Projekte<br />

und dem Besuch von Pavillons,<br />

und wir sprechen mit<br />

Repräsentanten. Gemeinsam<br />

entwickeln wir Ideen, wie<br />

wir das Erkundete für unseren<br />

Alltag nützlich machen.<br />

Was fremd ist, wird hilfreich<br />

werden.<br />

Strategieparcours 2014<br />

Datum: 31.10.–01.11.2014<br />

Ort: Jakobsweg<br />

Kulturbegleiter:<br />

Christian Jacobs<br />

Den frühen und frischen<br />

November werden wir nutzen,<br />

um uns auf dem Weg zum<br />

Jakobsweg die guten Inspirationen<br />

für das Jahr 2015<br />

zu ergehen. Die Jahres- und<br />

Strategieplanungen, die<br />

ja vor allen Dingen immer<br />

auch Lebensplanungen sind,<br />

bereiten unsere Zukunft in<br />

bestimmter Weise vor. Wir<br />

werden in ganz individueller<br />

und persönlicher Art<br />

die Jahresplanung für 2015<br />

vorbereiten und für uns die<br />

Welt gestalten, die wir<br />

erleben wollen. In diesem<br />

Jahr werden wir das mit<br />

der besonderen Perspektive<br />

auf den Nutzen „subversiver<br />

Strategien und Methoden“<br />

verstärken, derer wir<br />

einige auf dem Weg finden<br />

werden.<br />

In einem kleinen Kreis<br />

von Führungsverantwortlichen<br />

gehen wir gemeinsam<br />

schweigend, sprechend und<br />

genießend 2 Tage zu Fuß<br />

vom Kloster Wessobrunn bis<br />

Lechbruck, der alten Flößerstadt,<br />

auf dem Weg, der<br />

bis nach Santiago de Compostela<br />

führt.<br />

Organisation<br />

Wenn Sie an einem Parcours<br />

oder der Passage teilnehmen<br />

wollen, melden Sie sich<br />

einfach bei uns. Sie erhalten<br />

dann sehr gerne die<br />

Informationen, die Sie sich<br />

wünschen.<br />

Gerne unterstützen wir Sie<br />

auch bei der Reiseplanung.<br />

Bitte wenden Sie sich diesbezüglich<br />

an Kina Deimel,<br />

T +49 89 / 21 21 84 12<br />

events@earnestalgernon.de<br />


Autoren & KÜNSTLER 156<br />

Konstantin<br />

Adamopoulos<br />

ist Kunsthistoriker, ​Kulturvermittler<br />

und Coach.<br />

Sein Schwerpunkt liegt im<br />

Bereich Kunst und Unternehmen.<br />

Seit 2005 leitet er<br />

als freiberuflicher Kurator<br />

das Bronnbacher Stipendium<br />

– Kulturelle Kompetenz<br />

für künftige Führungskräfte<br />

des Kulturkreises der<br />

deutschen Wirtschaft an der<br />

Universität Mannheim. Er​<br />

unterrichtet regelmäßig als<br />

Dozent zum Thema Kunst und<br />

Gesellschaft. 2013 war er<br />

als Curator in Residency des<br />

Goethe-Instituts in<br />

Detroit/Michigan.<br />

Ingo Arend<br />

studierte Politik, Geschichte<br />

und Publizistik in Bonn<br />

und Köln. Seit 1990 arbeitet<br />

er als Kulturjournalist<br />

und Essayist für Bildende<br />

Kunst, Literatur und Politisches<br />

Feuilleton. Von 1996<br />

bis 2010 war er Kulturredakteur<br />

der Wochenzeitung<br />

Freitag, von 2007 bis 2009<br />

ihr Redaktionsleiter. Seit<br />

2010 arbeitet er wieder als<br />

freier Kritiker für Hörfunk<br />

und Print. Seit rund zehn<br />

Jahren beschäftigt Arend<br />

sich mit Kunst, Kultur und<br />

Geschichte der Türkei. 2010<br />

war er Mitbegründer des<br />

Literaturfestivals DilDile.<br />

Er lebt in Berlin.<br />

Katja ASSmann<br />

ist Architektin und Kuratorin<br />

und hat seit Anfang<br />

2012 die künstlerische Leitung<br />

von Urbane Künste Ruhr<br />

inne. Zuvor war sie Leiterin<br />

des Programmbereichs<br />

Stadt der Möglichkeiten<br />

der Kulturhauptstadt Europas<br />

RUHR.2010 und verantwortete<br />

dort alle Projekte<br />

im Bereich Bildende Kunst,<br />

Architektur und Städtebau.<br />

Gleichzeitig arbeitete sie<br />

als Projektleiterin und<br />

später als Geschäftsführerin<br />

für die Landesinitiative<br />

StadtBauKultur NRW. Als<br />

freie Kulturmanagerin hat<br />

Aßmann außerdem zahlreiche<br />

Ausstellungen, u.a. im<br />

Lehmbruck Museum Duisburg<br />

und in Kooperation mit dem<br />

MoMA New York und dem Vitra<br />

Design Museum Weil am Rhein<br />

organisiert und kuratiert.<br />

Armen Avanessian<br />

ist in Deutschland sowohl<br />

mit eigenen Schriften als<br />

auch als Herausgeber einer<br />

Buchreihe im Merve Verlag<br />

hervorgetreten, die sich<br />

Texten aus dem Umkreis des<br />

Spekulativen Realismus und<br />

Akzelerationismus widmet.<br />

Nach dem Studium der Philosophie,<br />

Politikwissenschaft<br />

und Literaturwissenschaft<br />

in Wien, Paris und Bielefeld<br />

arbeitete er einige<br />

Jahre als freier Journalist,<br />

Redakteur und im<br />

Verlagswesen in Paris und<br />

London. Seit 2007 arbeitet<br />

Avanessian am Peter Szondi-<br />

Institut für Allgemeine und<br />

Vergleichende Literaturwissenschaft<br />

der Freien Universität<br />

Berlin.<br />

www.spekulative-poetik.de<br />

Alexander<br />

Baczyński-Jenkins<br />

is a Polish-British artist<br />

who makes choreographies.<br />

With a background in dance<br />

and performance, he appropriates<br />

and mutates everyday<br />

practices of desire. His<br />

work is inclined towards a<br />

sense of queer fantasy. He<br />

currently lives in London.<br />

Andreas Graf<br />

von Bernstorff<br />

lebt und arbeitet als<br />

selbständiger Berater und<br />

Dozent für Campaigning und<br />

Strategische Kommunikation<br />

in Heidelberg. Nach dem<br />

Studium der Geschichte und<br />

der Politikwissenschaft<br />

arbeitete er als Lehrer,<br />

Journalist, Landtagsabgeordneter<br />

und Parlamentarischer<br />

Berater für die Grünen<br />

in Baden-Württemberg.<br />

Von 1989 bis 2005 führte er<br />

internationale und globale<br />

Kampagnen für Greenpeace.<br />

www.bernstorff-camp.de<br />

Ayzit Bostan<br />

lebt und arbeitet in München.<br />

Sie ist Designerin,<br />

Künstlerin und Professorin<br />

für Produktdesign an der<br />

Kunsthochschule in Kassel.<br />

Ihre nicht kommerziellen,<br />

aber tragbaren, minimalistisch<br />

und zugleich komplexen<br />

Kreationen zeigt Ayzit<br />

Bostan mit Vorliebe in<br />

Ausstellungen, Performances


157<br />

und Installationen. Damit<br />

bewegt sie sich an der an<br />

der Schnittstelle zwischen<br />

Design und Kunst. Neben<br />

ihrer eigenen Kollektion<br />

entwirft sie Taschen für<br />

das junge Label PB 0110 von<br />

Philipp Bree.<br />

Sylvain Bureau<br />

holds a PhD in Management<br />

Science and is an Associate<br />

Professor at ESCP<br />

Europe and Ecole Polytechnique.<br />

His research and<br />

classes focus on entrepreneurship,<br />

mingling various<br />

disciplines like Humanities<br />

and Art. For several<br />

years, he has been developing<br />

innovative experiments<br />

to teach entrepreneurship.<br />

One of the main<br />

projects is Improbable,<br />

which helps to experience<br />

and learn entrepreneurial<br />

practices through art<br />

practices. Sylvain is also<br />

co-founder of United Donations,<br />

a crowdfunding<br />

platform for recurring<br />

donations.<br />

Kina Deimel<br />

aufgewachsen in Deutschland<br />

und Frankreich, studierte<br />

an der Zeppelin Universität<br />

in Friedrichshafen<br />

Kultur- und Kommunikationsmanagement<br />

und absolvierte<br />

anschließend einen Master<br />

in Kunstgeschichte am<br />

University College London.<br />

Während des Studiums legte<br />

sie Ihren Schwerpunkt auf<br />

die Schnittstelle zwischen<br />

Kunst und Wirtschaft und<br />

sammelte Arbeitserfahrungen<br />

in Ländern wie Spanien,<br />

Argentinien und den USA.<br />

Seit März 2012 ist sie als<br />

Projektleiterin an der Entwicklung<br />

des „cultural companions“<br />

<strong>Earnest</strong> & <strong>Algernon</strong><br />

beteiligt und für die<br />

Redaktion des gleichnamigen<br />

Magazins verantwortlich.<br />

Ludwig Engel<br />

lebt und arbeitet als Zukunfts-<br />

und Stadtforscher<br />

in Berlin. Seit 2006 übernimmt<br />

er Lehrtätigkeiten<br />

an verschiedenen Institutionen,<br />

aktuell an der<br />

Universität der Künste<br />

Berlin im Bereich strategische<br />

Zukunftsplanung und<br />

an der Technischen Universität<br />

Berlin im Bereich<br />

Stadtentwicklung/-planung,<br />

urbane Zukünfte. Von 2005<br />

bis 2011 war Engel Mitarbeiter<br />

des Daimler AG Think<br />

Tanks für Zukunftsfragen,<br />

seit 2012 ist er Partner<br />

im Büro raumtaktik – office<br />

from a better future.<br />

Sein Arbeitsschwerpunkt<br />

liegt in der Entwicklung<br />

von Zukunftsszenarien und<br />

strategischen Handlungsempfehlungen,<br />

insbesondere im<br />

urbanen Kontext.<br />

www.ludwigengel.net<br />

Fabian Frinzel<br />

absolvierte nach seiner<br />

Fotografenausbildung in<br />

der Oberpfalz zunächst ein<br />

Studium an der Staatlichen<br />

Fachakademie für Fotodesign<br />

München. Es folgten<br />

ein Master in Fine Arts an<br />

der Züricher Hochschule der<br />

Künste, verschiedene Assistenzen<br />

und freie Projekte.<br />

Heute lebt und arbeitet<br />

er als freier Fotograf in<br />

München.<br />

Nina Gühlstorff<br />

studierte an der Bayerischen<br />

Theaterakademie<br />

August Everding Musik- und<br />

Sprechtheaterregie und<br />

lebt heute in Weimar. Neben<br />

ihrer Tätigkeit als<br />

Musiktheaterregisseurin<br />

hat sie sich in den letzten<br />

Jahren immer mehr auf<br />

Stückentwicklungen auf<br />

Basis von dokumentarischem<br />

Material spezialisiert.<br />

Ihre Schwerpunkte sind die<br />

Themenkomplexe Migration,<br />

DDR-Geschichte und Postkolonialismus.<br />

Für die Projekte<br />

„SCHWARZWEISS“ (2011)<br />

und „Die Verdammten dieser<br />

Erde“ (2013) am Anhaltischen<br />

Theater Dessau erhielt<br />

sie Reisestipendien<br />

des Goethe-Instituts in den<br />

Senegal bzw. nach Namibia.<br />

Dr. Michael Hirsch<br />

ist Philosoph und Politikwissenschaftler.<br />

Er lebt<br />

als freier Autor und Dozent<br />

in München und ist als<br />

Privatdozent für Politische<br />

Theorie und Ideengeschichte<br />

an der Universität Siegen<br />

tätig. Als Autor beschäftigt<br />

Hirsch sich vor allem<br />

mit Ideen für eine fortschrittliche<br />

Überwindung<br />

der Arbeitsgesellschaft,<br />

wie wir sie kennen, für<br />

eine Neuordnung der Geschlechterverhältnisse<br />

und für Kulturideen eines<br />

gelungenen Lebens. Zuletzt<br />

erschienen seine Publikationen<br />

„Warum wir eine<br />

andere Gesellschaft brauchen“<br />

(Louisoder, 2013) und


<strong>Geheimsache</strong> #8<br />

158<br />

„Utopien des Überflusses.<br />

Über künstlerische Arbeit<br />

und Bildung in den Zeiten<br />

der Krise“ (Franz Steiner<br />

Verlag, 2014).<br />

Christian Jacobs<br />

geboren im Ruhrgebiet, lebt<br />

mit seiner Frau und den<br />

vier Kindern in München,<br />

Venedig und unterwegs.<br />

Geschäftsführender Gesellschafter<br />

der J&P GmbH und<br />

damit beschäftigt, Organisationen<br />

mit strategischer<br />

und kultureller Mobilisierung<br />

dabei zu unterstützen,<br />

erfolgreich zu sein. Gründet<br />

gemeinsam mit seiner<br />

Frau <strong>Earnest</strong> & <strong>Algernon</strong>,<br />

einen „cultural companion“,<br />

der an der Gestaltung einer<br />

nächsten Gesellschaft arbeitet.<br />

Elisabeth Helena<br />

Jacobs-JahrreiSS<br />

geschäftsführende Gesellschafterin<br />

der J&P GmbH,<br />

hat Rechtswissenschaften,<br />

Japanologie und Französisch<br />

studiert. Sie berät den<br />

Mittelstand und ausgewählte<br />

Konzerne bei der Besetzung<br />

von Führungskräften<br />

und Spezialisten sowie der<br />

Entwicklung nachhaltiger<br />

HR-Prozesse. Sie ist lösungsfokussierter<br />

Coach und<br />

begleitet erfahrene Führungskräfte<br />

in persönlichen<br />

Wechselsituationen und ihrer<br />

Führungsrolle. Mutter,<br />

Köchin und Erfinderin des<br />

GehWegs. Lebt und arbeitet<br />

mit Christian Jacobs und<br />

ihren vier Kindern in München<br />

und Venedig.<br />

Roland Jahn<br />

ist seit 2011 Bundesbeauftragter<br />

für die Stasi-<br />

Unterlagen. Aufgewachsen<br />

in der DDR wurde Jahn 1977<br />

nach seiner Kritik an der<br />

Ausbürgerung Wolf Biermanns<br />

vom Studium exmatrikuliert.<br />

Er protestierte<br />

weiter gegen fehlende<br />

Meinungsfreiheit und die<br />

zunehmende Militarisierung.<br />

1983 wurde er von der Stasi<br />

gegen seinen Willen aus der<br />

DDR geworfen. Von West-<br />

Berlin aus hielt er Kontakt<br />

zur DDR-Opposition und<br />

berichtete als Journalist<br />

in ARD und ZDF über Menschenrechtsverletzungen<br />

und<br />

Umweltzerstörung in der DDR<br />

sowie später über den Vereinigungsprozess<br />

und viele<br />

weitere Themen.<br />

Mischa Kuball<br />

arbeitet seit 1984 als<br />

Künstler im öffentlichen<br />

und institutionellen Raum.<br />

Mit Hilfe des Mediums Licht<br />

– in Installationen und<br />

Fotografie – erforscht er<br />

architektonische Räume und<br />

deren soziale und politische<br />

Diskurse. Er reflektiert<br />

die unterschiedlichen<br />

Facetten, von kulturellen<br />

Sozialstrukturen bis hin zu<br />

architektonischen Eingriffen,<br />

die den Wahrzeichencharakter<br />

und den architekturgeschichtlichen<br />

Kontext<br />

betonen oder neu kodieren.<br />

Seit 2007 ist Mischa Kuball<br />

Professor an der Kunsthochschule<br />

für Medien, Köln.<br />

Dort gründete er auch das<br />

-1/MinusEins Experimentallabor.<br />

Er lebt und arbeitet<br />

in Düsseldorf.<br />

www.mischakuball.com<br />

ProF. Dr. Franz Liebl<br />

geb. 1960, Dipl.-Kfm.,<br />

Dr. oec. publ., Dr. rer<br />

pol. habil., Professor für<br />

Strategisches Marketing an<br />

der Universität der Künste<br />

Berlin. Vorher von 1994<br />

bis 1998 Inhaber des Lehrstuhls<br />

für Allgemeine und<br />

Quantitative Betriebswirtschaftslehre<br />

an der Universität<br />

Witten/Herdecke und<br />

sodann bis 2005 dort Inhaber<br />

des Aral Stiftungslehrstuhls<br />

für Strategisches<br />

Marketing. Forschungs- und<br />

Beratungsschwerpunkte:<br />

Strategisches Management,<br />

Issue-Management,<br />

Geschäftsmodell-Innovation<br />

sowie Marketing unter Bedingungen<br />

gesellschaftlicher<br />

Individualisierung.<br />

Letzte Bücher: „Cultural<br />

Hacking: Kunst des Strategischen<br />

Handelns“ (2005),<br />

„Strategie als Kultivierung“<br />

(im Erscheinen; beide<br />

Bücher zusammen mit Thomas<br />

Düllo).<br />

Robert Misik<br />

lebt als Publizist und<br />

Sachbuchautor in Wien. Er<br />

schreibt für eine Vielzahl<br />

deutschsprachiger Tageszeitungen<br />

und Zeitschriften.<br />

Zu seinen Buchveröffentlichungen<br />

gehören u. a.<br />

„Genial dagegen. Kritisches<br />

Denken von Marx bis Michael<br />

Moore“ (Aufbau-Verlag,<br />

2005) und „Halbe Freiheit.<br />

Warum Freiheit und Gleichheit<br />

zusammen gehören“


Autoren & KÜNSTLER<br />

159<br />

(Suhrkamp-Verlag, 2012).<br />

Träger des österreichischen<br />

Staatspreises für Kulturpublizistik.<br />

Wolfgang Müller<br />

lebt und arbeitet als<br />

Künstler, Musiker und Autor<br />

in Berlin. Er ist Mitbegründer<br />

der Künstlergruppe<br />

Die Tödliche Doris und<br />

prägte mit der Herausgabe<br />

des Manifests „Geniale<br />

Dilletanten“ (Merve Verlag,<br />

1981) den Begriff für die<br />

subkulturelle Kulturszene<br />

Westberlins. Für sein<br />

Audiowerk „Séance Vocibus<br />

Avium“ erhielt er 2009 den<br />

Karl-Sczuka-Preis. Neben<br />

diversen Lehraufträgen, unter<br />

anderem in Österreich,<br />

Island und Deutschland, war<br />

er 2001/2002 an der Hochschule<br />

für bildende Künste<br />

Hamburg Professor für<br />

experimentelle Plastik. Im<br />

vergangenen Jahr erschien<br />

sein aktuelles Buch „Subkultur<br />

Westberlin 1979–<br />

1989. Freizeit“ (Philo Fine<br />

Arts, 2013).<br />

www.die-toedliche-doris.de<br />

Alexander Graf<br />

von Schlieffen<br />

studierte Malerei an der<br />

Kunstakademie Düsseldorf<br />

bei Prof. A. R. Penck<br />

mit dem Schwerpunkt Porträt.<br />

Nach Ausstellungen in<br />

Deutschland und der Schweiz<br />

begann er sich 1991 zusätzlich<br />

der Astrologie zu<br />

widmen. Seit 1996 bildet er<br />

Astrologen europaweit aus,<br />

seit 2001 ist er Dozent<br />

am Liz Greene Centre for<br />

Psychological Astrology in<br />

London. Neben zahlreichen<br />

Veröffentlichungen schrieb<br />

er die Horoskope für die<br />

deutsche Ausgabe der Vanity<br />

Fair und ist Hausastrologe<br />

der Freundin. Zuletzt<br />

erschien sein Buch „When<br />

chimpanzees dream astrology“<br />

(CPA Press, 2004).<br />

www.schlieffen-astrologie.de<br />

www.schlieffen.eu<br />

Pierre Tectin<br />

is an artist who lives and<br />

works in Paris. By using<br />

collages of drawings and<br />

objects, he tries to define<br />

new meanings as visual haïkus.<br />

After having studied<br />

design and art, he expanded<br />

his practice through organising<br />

exhibitions, working<br />

on editions and through<br />

creating artistic workspaces.<br />

Melanie Torney<br />

arbeitet als selbständige<br />

Diplom-Designerin mit<br />

Schwerpunkt in den Bereichen<br />

Corporate Design,<br />

Unternehmenskommunikation,<br />

Informationsdesign sowie<br />

Buch- und Magazingestaltung.<br />

Zudem hat sie sich<br />

auf Designprodukte für eine<br />

moderne Trauerkultur spezialisiert<br />

und ist Mitbegründerin<br />

der „Edition<br />

ANFANG ENDE“. Die Edition<br />

entwickelt, produziert und<br />

vertreibt hochwertige Trauerkarten,<br />

die nach eigenen<br />

Wünschen gestaltet werden<br />

können, edle Kondolenzkarten<br />

exklusiv für Geschäftskunden<br />

sowie maßgeschneiderte<br />

Papeterieprodukte und<br />

hochwertige Kunstfotografien.<br />

www.torney-design.de<br />

Odilo Weber<br />

lebt, schreibt und hört in<br />

Köln und Münster.<br />

Hans-Georg Wegner<br />

ist seit der Spielzeit<br />

2013/2014 Operndirektor am<br />

Deutschen Nationaltheater<br />

Weimar. Aufgewachsen in<br />

einem Pfarrhaus in Wolfen,<br />

Sachsen-Anhalt, studierte<br />

er nach der Wende in Erlangen<br />

und Berlin. 2000 ging<br />

er zunächst als Dramaturg<br />

an die Semperoper Dresden,<br />

ab 2007 als Chefdramaturg<br />

an das Theater Bremen. Von<br />

2010 bis 2012 war er Künstlerischer<br />

Geschäftsführer<br />

am Theater Bremen. Diverse<br />

Lehrtätigkeiten, unter<br />

anderem an der Technischen<br />

Universität Dresden und der<br />

Hochschule für Musik Franz<br />

Liszt Weimar, ermöglichten<br />

ihm darüber hinaus, sein<br />

Wissen und seine Begeisterung<br />

für das Musiktheater<br />

an Studierende weiterzugeben.


EARNEST<br />

&ALGERNOn<br />

Herausgeber Elisabeth Jacobs-Jahrreiß und<br />

Christian Jacobs<br />

Redaktion Kina Deimel, Christian Jacobs und<br />

Benjamin Maierhofer<br />

Lektorat Katrin Pollems-Braunfels<br />

Creative Director Mirko Borsche<br />

Design Gian Gisiger, Marius Jopen,<br />

Florian Mecklenburg, Sophie Schultz<br />

Illustrationen Gian Gisiger<br />

Druck und Verarbeitung DruckVerlag Kettler<br />

Umschlagpapier Gmund, Cement Grey<br />

Papier Inhalt Gmund, Blocker<br />

Schneider & Söhne, LuxoMagic<br />

Spinnenpapier<br />

Anschrift der Redaktion<br />

Königinstr. 11a RGB, 80539 München<br />

Tel +49 89 / 21 21 84 0<br />

Fax +49 89 / 21 21 84 50<br />

www.earnestalgernon.de<br />

www.facebook.com/<strong>Earnest</strong><strong>Algernon</strong><br />

Email: kontakt@earnestalgernon.de<br />

Copyrights<br />

Anonymous, Deep Web – Die dunkle Seite des Internets, Blumenbar, Berlin 2014<br />

S. 33: D.Vennemann/Greenpeace<br />

S. 33: Greenpeace<br />

S. 34: Courtesy of The Yes Men<br />

S. 36: Peng! Collective<br />

S. 115: Joachim Dette<br />

S. 116: Paul Huf<br />

S. 133: Picture Press<br />

S. 139: Urbane Künste Ruhr und MAP Markus Ambach Projekte<br />

S. 144, 145: Dimitri Soulas, www.dimitrisoulas.com<br />

Autorenbilder<br />

Roland Jahn: Ronny Rozum, Katja Aßmann: Roman Mensing,<br />

Mischa Kuball: Yun Lee, Düsseldorf, Wolfgang Müller: Malte Ludwigs<br />

Diese Ausgabe ist ein Kunstwerk, entstanden in Kooperation zwischen der J&P<br />

GmbH, dem Bureau Mirko Borsche und den beteiligten Künstler/-innen und<br />

Autor/-innen.


BUNBURY<br />

How to become a friend of our companion<br />

<strong>Earnest</strong> & <strong>Algernon</strong> hat sich zu einem „cultural companion“ entwickelt, der<br />

sich aktiv an der kulturellen Mobilisierung unserer Gesellschaft beteiligt.<br />

Wir machen Aktionen, begleiten auf Architektur- und Kunstpassagen und gehen<br />

unsere spektakulären Parcours. Und wir bleiben unserem Anfang treu und<br />

machen unser Magazin. Mittlerweile erscheint die 8. Ausgabe, die 9. folgt<br />

noch vor Weihnachten und wird das Thema der Postindustriellen Zeit behandeln.<br />

Unseren Werten Innovation Leidenschaft Qualität bleiben wir auch<br />

treu, die haben uns schließlich unsere Leser zugeschrieben.<br />

Jetzt können Sie companion werden!<br />

# Anstatt unser Magazin im ausgewählten Handel für 14 Euro zu erwerben,<br />

werden Sie Abonnent und zahlen jährlich 56 Euro für 2 Ausgaben und<br />

2 Spezialausgaben.<br />

# Sie werden Förder-Abonnent und zahlen als Schüler und Student, was Sie<br />

können und wollen. Und so machen Sie das auch, wenn Sie kein Schüler<br />

und Student sind, geben nur eben ein bisschen mehr.<br />

# Sie übernehmen die Patenschaft für einen Beitrag und werden dann auch<br />

in diesem Zusammenhang erwähnt. Die Höhe der Investition für eine<br />

Patenschaft richtet sich immer nach den konkreten Erwartungen der<br />

Autor/-innen bzw. Künstler/-innen.<br />

# Sie machen uns noch deutlicher, wie sehr Sie uns mögen, und unterstützen<br />

uns mit Ihrem cultural statement in einer Ausgabe. Das bekommen Sie<br />

schon ab 2.500 Euro und wir beraten gerne Ihren starken Auftritt.<br />

# Sie möchten eine Ausgabe für sich personalisieren und Ihren Stakeholdern<br />

eine Freude machen, dann sprechen Sie mit uns, und wir haben<br />

viele Ideen, wie das gehen kann.<br />

Und Sie können natürlich auch Bunbury werden und damit an der gesamten<br />

kulturellen Mobilisierung teilhaben. Dann sprechen Sie bitte persönlich mit<br />

Christian Jacobs: +49 89 / 21 21 84 70<br />

Die Bunburys freuen sich auf jeden Fall auf Sie!<br />

<strong>Earnest</strong> & <strong>Algernon</strong> proudly presents the Bunburys:<br />

Guido Dermann, Livingpage Münster E&A Webseite<br />

Gmund Papier<br />

Gunnar Kettler, DruckVerlag Kettler E&A Druck und Verarbeitung<br />

Jens Petershagen, Petershagen Kommunikation Gründerunterstützung<br />

Pater Georg Maria Roers

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