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Polizei- und Ordnungsrecht - Philipps-Universität Marburg

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<strong>Philipps</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Marburg</strong> WS 2013/2014<br />

<strong>Polizei</strong>- <strong>und</strong> <strong>Ordnungsrecht</strong><br />

- 14 Doppelst<strong>und</strong>en -<br />

Lehrbeauftragter RVGH i.R. Falko Jeuthe<br />

Donnerstag, 16. Januar 2014<br />

(2 Doppelst<strong>und</strong>en)<br />

IX. Verwaltungszwang<br />

1. Allgemeines<br />

Mit dem Erlass einer Gefahrenabwehrverfügung verschafft sich die Behörde selbst<br />

einen vollstreckbaren Titel, mit dem sie ihre Gebote <strong>und</strong> Verbote zur Gefahrenabwehr<br />

im Einzelfall zwangsweise durchsetzen kann. Die Anwendung behördlichen<br />

Zwangs, besonders auch durch die polizeiliche Vollzugshilfe gemäß<br />

§ 44 HSOG für andere Behörden <strong>und</strong> durch unmittelbaren polizeilichen Zwang bis<br />

hin zum Schusswaffengebrauch, ist eine klassische Erscheinungsform des „Gewaltmonopols<br />

des Staates“ <strong>und</strong> bedarf der engen rechtsstaatlichen Einbindung <strong>und</strong><br />

Kontrolle in Form besonderer Ermächtigungsgr<strong>und</strong>lagen. Aus dem Übermaßverbot,<br />

dem Rechtsstaatsprinzip <strong>und</strong> dem Gesetzesvorbehalt ergibt sich eine Form- <strong>und</strong><br />

Regelungsstrenge des Verwaltungsvollstreckungsrechts.<br />

Die Vollstreckungsvorschriften des Hessischen Gefahrenabwehrrechts sind recht<br />

unübersichtlich.<br />

Die in Gefahrenabwehrverfügungen enthaltenen Gebote <strong>und</strong> Verbote, mit denen<br />

eine Handlung, Duldung oder Unterlassung gefordert wird, werden – neben dem für<br />

B<strong>und</strong>esbehörden maßgeblichen VwVG – für hessische Behörden nach den<br />

§§ 47 ff. HSOG durchgesetzt, wenn sie von Ordnungs- oder <strong>Polizei</strong>behörden erlassen<br />

werden, <strong>und</strong> nach den §§ 1 bis 14 <strong>und</strong> §§ 68 ff. HVwVG wenn sie von allgemeinen<br />

Verwaltungsbehörden erlassen werden. Die Vollstreckung wegen Geldforderungen<br />

erfolgt stets gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 HVwVG, also auch dann nach<br />

diesem Gesetz, wenn es sich um Leistungsbescheide der Ordnungs- oder <strong>Polizei</strong>behörden<br />

handelt.


2<br />

Die Standardbefugnisse der §§ 12 bis 43 HSOG beinhalten zwar teilweise Vollstreckungselemente<br />

(Anhalten, Festhalten, Durchsuchung oder Wegnahme), deren<br />

zwangsweise Durchsetzung bei Widerstand richtet sich aber auch nach den allgemeinen<br />

Vollstreckungsvorschriften.<br />

Wichtig für Verständnis <strong>und</strong> Anwendung des Verwaltungszwanges ist, dass es sich<br />

entsprechend seinem Präventivcharakter nicht um Sanktionen für begangenes Unrecht,<br />

sondern allein um Beugemittel handelt, die in erster Linie den Pflichtigen zur<br />

freiwilligen Erfüllung der ihm zum Zwecke der Gefahrenabwehr auferlegten Gebote<br />

oder Verbote zwingen sollen. Zwangsmittel können deshalb etwa gemäß § 48 Abs. 3<br />

HSOG bzw. § 71 Abs. 1 bis 3 HVwVG – ohne Verstoß gegen Art. 103 Abs. 3 GG o-<br />

der Art. 22 Abs. 3 HV – auch neben einer Strafe oder Geldbuße angewandt <strong>und</strong><br />

solange wiederholt <strong>und</strong> gewechselt werden, bis der Verwaltungsakt befolgt wird,<br />

der angestrebte Erfolg auf andere Weise eintritt oder sich der Verwaltungsakt auf<br />

andere Weise erledigt. Zwangsmittel dürfen gemäß § 48 Abs. 4 HSOG bzw. § 71<br />

Abs. 4 HVwVG nicht zur Erzwingung einer unmöglichen Leistung eingesetzt werden.<br />

Ein privatrechtlicher Hinderungsgr<strong>und</strong>, wie etwa Miteigentum oder ein Besitzrecht,<br />

stellt deshalb ein Vollstreckungshindernis dar, das durch eine unwiderrufliche<br />

Einverständniserklärung des Berechtigten oder eine an ihn gerichtete sofort vollziehbare<br />

Duldungs- oder Vornahmeverfügung beseitigt werden kann. Wenn der Erfolg<br />

erreicht ist oder nicht mehr erreicht werden kann, ist die Vollstreckung gemäß<br />

§ 3 HVwVG einzustellen <strong>und</strong> sind die Vollstreckungsmaßnahmen aufzuheben.<br />

Gr<strong>und</strong>sätzlich ist die Behörde, die den zu vollstreckenden Verwaltungsakt erlassen<br />

hat, gemäß § 47 Abs. 3 HSOG bzw. § 68 Abs. 1 HVwVG als Vollstreckungsbehörde<br />

auch für die Durchführung des Verwaltungszwangs zuständig. Da § 47 Abs. 1 <strong>und</strong><br />

2 HSOG keine Vollstreckungspflicht begründet, steht die Entscheidung über die<br />

Zwangsanwendung nach dem das Gefahrenabwehrrecht beherrschenden Opportunitätsprinzip<br />

im pflichtgemäßen Entschließungs- <strong>und</strong> eingeschränktem Auswahlermessen<br />

der Vollstreckungsbehörde.<br />

2. Vollstreckungsverfahren<br />

a) Das vom Gesetz für den Normalfall vorgesehene Verfahren wird als sog. gestrecktes<br />

Vollstreckungsverfahren bezeichnet.


3<br />

(1) Als Vollstreckungsgr<strong>und</strong>lage bedarf es zunächst eines vollstreckungsfähigen<br />

Gr<strong>und</strong>verwaltungsaktes.<br />

Dieser muss seinem Regelungsinhalt nach als Ge- oder Verbot auf die Vornahme einer<br />

Handlung, Duldung oder Unterlassung gerichtet sein; feststellende <strong>und</strong> gestaltende Verwaltungsakte<br />

sind nicht vollstreckbar, weil sie die angestrebte Rechtswirkung unmittelbar<br />

selbst herbeiführen.<br />

Die Vollstreckungsfähigkeit eines Ge- oder Verbotes setzt die hinreichende Bestimmtheit<br />

der getroffenen Regelung voraus; es muss für den Pflichtigen eindeutig erkennbar<br />

sein, welches Handeln, Dulden oder Unterlassen von ihm verlangt wird.<br />

Schließlich setzt die Vollstreckungsfähigkeit eines gemäß § 43 Abs. 1 <strong>und</strong> 3<br />

HVwVfG wirksamen <strong>und</strong> nicht nichtigen Gr<strong>und</strong>verwaltungsaktes gemäß § 47 Abs. 1<br />

HSOG bzw. § 2 HVwVG voraus, dass er unanfechtbar ist oder dass ein Rechtsbehelf<br />

keine aufschiebende Wirkung hat, er also gemäß § 80 Abs. 2 VwGO sofort vollziehbar<br />

ist. Das gilt etwa nach Satz 1 Nr. 4 dieser Vorschrift, wenn die Behörde „die<br />

sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines<br />

Beteiligten“ ausdrücklich anordnet; das muss sie nach Abs. 3 gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

schriftlich besonders begründen. Nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO sind auch<br />

„unaufschiebbare Anordnungen von <strong>Polizei</strong>vollzugsbeamten“ schon kraft Gesetzes<br />

sofort vollziehbar (i.d.R. bei Eilzuständigkeit nach § 2 Satz 1 HSOG); zu beachten ist,<br />

dass diese Regelung sich nicht auf Anordnungen der Ordnungsbehörden <strong>und</strong> der<br />

allgemeinen Verwaltungsbehörden bezieht, auch wenn sie (unaufschiebbare) Gefahrenabwehraufgaben<br />

wahrnehmen. Für Letztere sieht allerdings § 72 Abs. 1 HVwVG<br />

für Fälle einer gegenwärtigen Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung eine<br />

Vollziehung unter Abweichung u.a. von § 2 Nr. 1 HVwVG, also vor Unanfechtbarkeit<br />

des Gr<strong>und</strong>verwaltungsakts vor. Da eine entsprechende Regelung im HSOG fehlt,<br />

sind Ordnungsbehörden auf eine Vollziehungsanordnung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1<br />

Nr. 4 VwGO angewiesen.<br />

Eine danach „verfrühte“ Vollsteckungshandlung ist rechtswidrig.<br />

Obwohl nach dem eindeutigen Wortlaut der vollstreckungsrechtlichen Vorschriften<br />

die Rechtmäßigkeit des zu vollstreckenden Gr<strong>und</strong>verwaltungsaktes keine Vollstreckungsvoraussetzung<br />

ist, wird dies in der Literatur teilweise angenommen. Es wird<br />

ein sog. Rechtmäßigkeitszusammenhang hergestellt, wonach die Rechtmäßigkeit<br />

der Gr<strong>und</strong>verfügung gr<strong>und</strong>sätzlich Rechtmäßigkeitsvoraussetzung der Zwangsan-


4<br />

wendung sei. Dabei ist allerdings zu beachten, dass den dafür sprechenden Gr<strong>und</strong>sätzen<br />

der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung <strong>und</strong> des effektiven Rechtsschutzes neben<br />

dem Gesetzeswortlaut auch die Gr<strong>und</strong>sätze der Rechtssicherheit <strong>und</strong> der Effizienz<br />

der Verwaltung gegenüberstehen.<br />

Danach besteht Einigkeit, dass aus Rechtssicherheitsgründen bei Unanfechtbarkeit,<br />

also bei Bestandskraft des Gr<strong>und</strong>verwaltungsaktes dessen Rechtmäßigkeit in der<br />

Vollstreckung <strong>und</strong> der gerichtlichen Kontrolle nicht mehr in Frage gestellt wird. Beim<br />

Sofortvollzug gemäß § 47 Abs. 2 HSOG bzw. § 72 Abs. 2 HVwVG <strong>und</strong> bei der unmittelbaren<br />

Ausführung einer Maßnahme gemäß § 8 Abs. 1 HSOG (dazu weiter<br />

unten), die ohne Gr<strong>und</strong>verwaltungsakt ergehen, erstreckt sich dagegen die Prüfung<br />

der Vollzugsmaßnahme auf die Rechtmäßigkeit eines „hypothetischen“ Gr<strong>und</strong>verwaltungsakts.<br />

Problematisch ist lediglich der Fall, dass ein sofort vollziehbarer Verwaltungsakt vor<br />

Eintritt seiner Unanfechtbarkeit vollzogen wird. Nach den gesetzlichen Regelungen<br />

ist dies zwar unabhängig von seiner Rechtmäßigkeit rechtlich zulässig, allerdings mit<br />

dem Risiko für die Behörde, dass vom Verwaltungsgericht die sofortige Vollziehbarkeit<br />

<strong>und</strong>/oder der Verwaltungsakt selbst rückwirkend aufgehoben <strong>und</strong> die erfolgte<br />

Vollziehung rückabgewickelt wird. Der Betroffene kann nämlich gegen den Vollzug<br />

zunächst einstweiligen Rechtsschutz gemäß § 80 Abs. 5 VwGO in Anspruch nehmen.<br />

Dabei wird die Rechtmäßigkeit des sofort vollziehbaren Verwaltungsakts als<br />

Teil der gerichtlichen Interessabwägung jedenfalls summarisch geprüft <strong>und</strong> verneinendenfalls<br />

seine Vollstreckbarkeit rückwirkend beseitigt. Das setzt die fristgerechte<br />

Einlegung eines Rechtsbehelfs in der Hauptsache, also Widerspruch <strong>und</strong>/oder Anfechtungsklage<br />

gegen den Gr<strong>und</strong>verwaltungsakt voraus, der letztlich zur Aufhebung<br />

eines rechtswidrigen Gr<strong>und</strong>verwaltungsaktes führen kann. Das wäre nicht möglich,<br />

wenn er sich vorher durch eine irreversible Vollstreckung im Wege der Ersatzvornahme<br />

oder des unmittelbaren Zwangs erledigt hätte. Für diesen Fall vertritt ein Teil<br />

der Literatur die Auffassung, dass seine Rechtswidrigkeit – wie bei einer (Fortsetzungs-)<br />

Feststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 bzw. § 43 VwGO – auch gegen<br />

einen nachfolgenden Bescheid auf Erstattung der Vollstreckungskosten geltend<br />

gemacht werden kann, obwohl die Rechtmäßigkeit des Gr<strong>und</strong>verwaltungsaktes keine<br />

gesetzliche Vollstreckungsvoraussetzung ist. Das B<strong>und</strong>esverwaltungsgericht hat jedoch<br />

mit Urteil vom 25. Sept. 2008 (NVwZ 2009 S. 122) in einem solchen Fall die<br />

Erledigung des Gr<strong>und</strong>verwaltungsaktes verneint, weil zwar nicht seine Rechtmäßig-


5<br />

keit, wohl aber seine Wirksamkeit für das Vollstreckungsverfahren von rechtlicher<br />

Bedeutung bleibt, seine nachträgliche Aufhebung also der Vollstreckung die Gr<strong>und</strong>lage<br />

entzieht. Deshalb kann er trotz seines Vollzugs bestandskräftig werden, so dass<br />

der Betroffene gegen ihn rechtzeitig Widerspruch <strong>und</strong>/oder Klage erheben muss, um<br />

sich den Einwand seiner Rechtswidrigkeit zu erhalten. In der Literatur wird deshalb<br />

eine entsprechend erweiterte Rechtsbehelfsbelehrung bzw. die Anwendung des § 58<br />

Abs. 2 VwGO (Jahresfrist) vorgeschlagen. Hier sind viele Fragen streitig.<br />

(2) Vor Einleitung des Vollstreckungsverfahrens hat die Vollstreckungsbehörde nach<br />

pflichtgemäßem Ermessen unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgr<strong>und</strong>satzes<br />

gemäß § 4 HSOG bzw. § 70 HVwVG eine Auswahl unter den in § 48 Abs. 1 HSOG<br />

bzw. den in den §§ 74 ff. HVwVG abschließend aufgeführten (drei) Zwangsmitteln<br />

zu treffen.<br />

Dem Zwangsmittel der Ersatzvornahme gemäß § 49 HSOG bzw. § 74 HVwVG<br />

kommt unter dem Gesichtspunkt der Willensbeugung des Pflichtigen die geringste<br />

Eingriffsintensität zu. Dabei wird eine vertretbare Handlung auf Kosten des Pflichtigen,<br />

die auch im Voraus verlangt werden können, durch die Vollstreckungsbehörde<br />

selbst (Selbstvornahme) oder durch eine beauftragten Dritten (Fremdvornahme)<br />

ausgeführt.<br />

Duldungs- <strong>und</strong> Unterlassungspflichten sind nicht vertretbar <strong>und</strong> deshalb nicht im Wege<br />

der Ersatzvornahme durchsetzbar.<br />

Für diese <strong>und</strong> auch für andere unvertretbare Handlungen kommt das in seinem<br />

Beugecharakter stärkere Zwangsgeld gemäß § 50 HSOG bzw. § 76 HVwVG in Betracht,<br />

das nach § 76 Abs. 1 Satz 2 HVwVG auch zur Erzwingung einer vertretbaren<br />

Handlung eingesetzt werden kann. Die Auswahl ist dann unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten<br />

nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu treffen. Einzelne<br />

vollstreckungsrechtliche Regelungen, die den Vorrang eines Zwangsmittels statuieren,<br />

wie etwa § 11 Abs. 1 VwVG (B<strong>und</strong>) für die Ersatzvornahme, sind nicht verallgemeinerungsfähig.<br />

Die auf Antrag vom Verwaltungsgericht anzuordnende Ersatzzwangshaft<br />

gemäß § 51 HSOG bzw. § 76 a HVwVG ist kein eigenständiges<br />

Zwangsmittel, sondern stellt die Fortsetzung der auf Willensbeugung gerichteten<br />

Vollstreckung mittels Zwangsgeldes dar, wenn dieses uneinbringlich ist.<br />

Ein Zwangsgeld kann nach dem Tod des Pflichtigen nicht im Wege der Rechts-


6<br />

nachfolge gegen dessen Erben beigetrieben werden, weil seine Zahlung wegen seines<br />

Beugecharakters als höchstpersönliche Pflicht anzusehen ist.<br />

Streitig ist, ob ein Zwangsgeld noch festgesetzt <strong>und</strong> beigetrieben werden kann, wenn<br />

gegen ein unter Zwangsgeldandrohung ausgesprochenes Verbot verstoßen wurde,<br />

ein weiterer Verstoß – etwa wegen Befristung des Verbots – aber nicht mehr möglich<br />

ist; einerseits wäre die Zwangsgeldandrohung ohne nachfolgende Durchsetzung<br />

als Beugemittel untauglich, andererseits enthielte das Zwangsgeld dadurch einen<br />

spezial- bzw. general-präventiven Strafcharakter.<br />

Das „schärfste“ Zwangsmittel des unmittelbaren Zwanges ist in dem für die Vollstreckung<br />

durch allgemeine Verwaltungsbehörden anwendbaren HVwVG nicht vorgesehen,<br />

hier sind lediglich einzelne Befugnisse geregelt, nämlich für die Wegnahme<br />

beweglicher Sachen gemäß § 77 HVwVG, die Zwangsräumung unbeweglicher Sachen,<br />

Räume oder Schiffe gemäß § 78 HVwVG <strong>und</strong> die Vorführung gemäß § 79<br />

HVwVG. Unmittelbarer Zwang darf gemäß § 52 Abs. 1 HSOG nur von <strong>Polizei</strong>behörden<br />

oder bestimmten Vollzugsbediensten oder sonstigen Berechtigten gemäß § 63<br />

HSOG <strong>und</strong> nur als „ultima ratio“ angewandt werden, „wenn andere Zwangsmittel<br />

nicht in Betracht kommen oder keinen Erfolg versprechen oder unzweckmäßig sind“;<br />

zur Erzwingung einer Erklärung ist unmittelbarer Zwang nicht zulässig. Nach der Legaldefinition<br />

in § 55 Abs. 1 HSOG ist unmittelbarer Zwang „die Einwirkung auf Personen<br />

oder Sachen durch körperliche Gewalt, durch ihre Hilfsmittel <strong>und</strong> durch Waffen„;<br />

diese Aufzählung ist abschließend, so dass eine psychische Einwirkung durch<br />

Drogen oder Hypnose nicht zulässig ist.<br />

Bei der Einwirkung auf Sachen ist der unmittelbare Zwang gr<strong>und</strong>sätzlich zur Ersatzvornahme<br />

in Form der Selbstvornahme abzugrenzen, <strong>und</strong> zwar dahin, dass bei<br />

unmittelbarem Zwang nicht genau die dem Pflichtigen auferlegte Handlung ausgeführt,<br />

sondern der Erfolg auf anderem Wege herbeigeführt wird. Diese Unterscheidung<br />

ist aber nicht immer von relevanter Bedeutung. Die <strong>Polizei</strong> muss die Kosten<br />

unmittelbaren Zwangs im allgemeinen selbst tragen, dies gilt auch für die Selbstvornahme,<br />

wenn diese - wie etwa gemäß § 10 VwVG (B<strong>und</strong>) - nicht als (kostenpflichtige)<br />

Ersatzvornahme geregelt ist. In Hessen verweist dagegen § 52 Abs. 1 Satz 3<br />

HSOG für die Kosten des unmittelbaren Zwangs auf die Kostenregelung für die unmittelbare<br />

Ausführung gemäß § 8 Abs. 2 HSOG, so dass sie hier ebenfalls kostenpflichtig<br />

ist.


7<br />

Die Aufzählung der Hilfsmittel körperlicher Gewalt in § 55 Abs. 3 HSOG ist nicht<br />

abschließend, wohl aber die der Waffen in Absatz 4; sie kann aber nach Satz 2<br />

durch Verwaltungsvorschriften erweitert werden.<br />

In den §§ 60 ff. HSOG sind Voraussetzungen bzw. Einschränkungen des (gestuften)<br />

Schusswaffengebrauchs abschließend geregelt; die zivil- <strong>und</strong> strafrechtlichen<br />

Rechtfertigungsgründe (Notwehr, Nothilfe <strong>und</strong> Notstand) begründen keine polizeilichen<br />

Zwangsanwendungsbefugnisse. Für den äußersten Fall „einer gegenwärtigen<br />

Lebensgefahr oder einer gegenwärtigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung<br />

der körperlichen Unversehrtheit“ ist mit Änderungsgesetz vom 15. Dezember 2004<br />

der sog. finale Rettungsschuss gemäß § 60 Abs. 2 Satz 2 HSOG zugelassen worden,<br />

wenn er das einzige Abwehrmittel ist.<br />

(3) Nach der Auswahl des Zwangsmittels wird das gestreckte Verfahren in drei Vollstreckungsstufen<br />

durchgeführt.<br />

Der erste Vollstreckungsschritt ist die Zwangsmittelandrohung, die das ausgewählte<br />

Zwangsmittel <strong>und</strong> das „Programm“ der Vollstreckung dem Pflichtigen gegenüber<br />

festlegt. Die Zwangsmittelandrohung stellt das Kernstück des auf Willensbeugung<br />

gerichteten Vollstreckungsverfahrens dar. Der Pflichtige wird in aller Klarheit <strong>und</strong> Unzweideutigkeit<br />

unter Fristsetzung zur freiwilligen Erfüllung aufgefordert <strong>und</strong> ihm wird<br />

deutlich vor Augen geführt werden, mit welchem konkreten Zwangsmittel er andernfalls<br />

zu rechnen hat. Im Wesentlichen durch diese Warnung bzw. Drohung soll er zur<br />

Erfüllung seiner Verpflichtung gezwungen werden. Deshalb ist ein bestimmtes<br />

Zwangsmittel gemäß § 53 HSOG bzw. § 69 HVwVG für jede einzelne Handlungs-,<br />

Duldungs- oder Unterlassungspflicht gesondert schriftlich anzudrohen; dabei sollen<br />

für eine angedrohte Ersatzvornahme deren voraussichtliche Kosten <strong>und</strong> für ein<br />

Zwangsgeld ein bestimmter Betrag angegeben werden. Nach § 53 Abs. 3 Satz 2<br />

HSOG können mehrere Zwangsmittel zwar gleichzeitig angedroht werden, vorab ist<br />

aber die Reihenfolge ihrer Anwendung zu bestimmen. Nach § 76 Abs. 3 HVwVG<br />

kann mit entsprechendem Hinweis die erneute Festsetzung eines weiteren, gleich<br />

hohen Zwangsgeldes für den Fall angedroht werden, dass dessen Vollstreckung wirkungslos<br />

geblieben ist. Die früher im preußischen <strong>Polizei</strong>verwaltungsgesetz für Verbote<br />

enthaltene Androhung eines Zwangsmittels „für jeden Fall der Nichtbefolgung“<br />

ist nach der Rechtslage in Hessen nicht (mehr) vorgesehen <strong>und</strong> deshalb unzulässig.


8<br />

Die Zwangsmittelandrohung ist zuzustellen <strong>und</strong> kann bzw. soll im Falle der sofortigen<br />

Vollziehbarkeit des Gr<strong>und</strong>verwaltungsaktes mit diesem verb<strong>und</strong>en werden. Die<br />

Verbindung mit einem nicht sofort vollziehbaren Verwaltungsakt ist zwar zulässig,<br />

birgt aber für die Behörde die Gefahr, dass durch die bloße Einlegung eines Rechtsbehelfs<br />

wegen seiner rückwirkenden aufschiebenden Wirkung auch die Vollstreckungsgr<strong>und</strong>lage<br />

rückwirkend entfällt.<br />

Nach dem Wortlaut des § 53 Abs. 1 Satz 2 HSOG ist „in der Androhung“ (selbst) eine<br />

angemessene Frist zur Erfüllung der Verpflichtung zu bestimmen, nach § 69 Abs. 1<br />

Nr. 2 HVwVG ist die Frist „verb<strong>und</strong>en mit der Androhung“ zu setzen. Es kann deshalb<br />

fraglich sein, ob eine nicht in der Androhung, sondern in der Gr<strong>und</strong>verfügung eingeräumte<br />

„Erledigungsfrist“ als eine solche „Erzwingungsfrist“ angesehen werden kann.<br />

Die Zwangsmittelandrohung ist ein selbständiger Verwaltungsakt, der als Maßnahmen<br />

der Verwaltungsvollstreckung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m.<br />

§ 16 Satz 1 HAGVwGO sofort vollziehbar ist.<br />

Nach erfolgloser Androhung folgt als nächster Schritt die Festsetzung des Zwangsmittels,<br />

die sich im Rahmen der Androhung halten muss. Die Zwangsmittelfestsetzung<br />

ist ausdrücklich nur für das Zwangsgeld (Leistungsbescheid) in § 50 Abs. 2<br />

HSOG geregelt <strong>und</strong> in § 76 HVwVG vorausgesetzt, ihr wird aber auch im Übrigen<br />

Verwaltungsaktscharakter zuerkannt.<br />

Die letzte Vollstreckungsstufe in Form der Zwangsmittelanwendung erfolgt beim<br />

Zwangsgeld durch dessen Beitreibung nach den §§ 15 ff. HVwVG. Fraglich ist, ob die<br />

Anwendung der Ersatzvornahme oder des unmittelbaren Zwanges ebenfalls als Verwaltungsakt<br />

(konkludente Duldungsverfügung) oder bloß als Realakt einzuordnen ist.<br />

b) Dieses „gestreckte Vollstreckungsverfahren“ ist wegen des notwendigen Zeitaufwands<br />

in Fällen einer akuten Gefahr zur effektiven Gefahrenabwehr nicht geeignet.<br />

Wenn zur Abwehr einer Gefahr, „insbesondere weil Maßnahmen gegen Personen<br />

nach den §§ 6 bis 9 (HSOG) nicht rechtzeitig möglich sind oder keinen Erfolg versprechen“,<br />

ein sofortiges behördliches Einschreiten erforderlich ist, lässt der Gesetzgeber<br />

ein sog. „einstufiges Verfahren“ zu.<br />

(1) Dazu ermöglichen § 47 Abs. 2 HSOG <strong>und</strong> § 72 Abs. 2 HVwVG bei Gefahrenabwehrmaßnahmen<br />

eine unmittelbare Zwangsanwendung ohne vorausgehende Gefahrenabwehrverfügung<br />

<strong>und</strong> gemäß § 53 Abs. 1 Satz 4 HSOG bzw. § 72 Abs. 1


9<br />

HVwVG auch ohne Zwangsmittelandrohung. Dieser sog. „Sofortvollzug“ ist nicht zu<br />

verwechseln mit der sofortigen Vollziehbarkeit eines Gr<strong>und</strong>verwaltungsaktes gemäß<br />

§ 80 Abs. 2 VwGO, der in diesen Fällen gerade entbehrlich ist.<br />

Bei der unmittelbaren Zwangsanwendung in Form des „Sofortvollzugs“ muss die Behörde<br />

„innerhalb ihrer (gesetzlichen) Befugnisse“ handeln. Das bedeutet, dass die<br />

formellen <strong>und</strong> materiellen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen für den Erlass eines (fiktiven)<br />

Gr<strong>und</strong>verwaltungsaktes vorliegen müssen <strong>und</strong> dass das Zwangsmittel selbst<br />

rechtmäßig angewandt wird. Entsprechend dem aus § 18 Abs. 2 VwVG (B<strong>und</strong>) zu<br />

entnehmenden allgemeinen Rechtsgr<strong>und</strong>satz sind gegen die Anwendung eines<br />

Zwangsmittels ohne vorausgehenden Verwaltungsakt dieselben Rechtsmittel zulässig,<br />

die gegen Verwaltungsakte allgemein gegeben sind.<br />

(2) Angesichts der weitgehend identischen Voraussetzungen <strong>und</strong> Rechtsfolgen im<br />

Verhältnis zur unmittelbaren Ausführung einer Maßnahme gemäß § 8 Abs. 1<br />

HSOG, bei der ebenfalls wegen einer akuten Gefahrensituation ein vollziehbarer<br />

Gr<strong>und</strong>verwaltungsakt <strong>und</strong> Zwangsmittelandrohung <strong>und</strong> -festsetzung nicht ergehen<br />

müssen, aber dogmatisch teilweise zu einem fiktiven Verwaltungsakt zusammengefasst<br />

werden, bereitet die Abgrenzung dieser beiden polizei- <strong>und</strong> ordnungsrechtlichen<br />

Rechtsinstitute erhebliche Schwierigkeiten.<br />

Teilweise wird eine der beiden Regelungen für überflüssig gehalten, teilweise wird<br />

in § 47 Abs. 2 HSOG eine Ergänzung zu § 8 Abs. 1 HSOG gesehen, teilweise wird<br />

- auch vom Hess.VGH - ein Anwendungsvorrang des § 8 Abs. 1 HSOG angenommen<br />

(Primärmaßnahme der Gefahrenabwehr) <strong>und</strong> teilweise wird danach abgegrenzt,<br />

dass § 47 Abs. 2 HSOG Fälle zwangsweiser Willensbeugung (insbesondere<br />

bei der Durchführung unvertretbarer Handlungen) erfasse, während die unmittelbare<br />

Ausführung gemäß § 8 Abs. 1 HSOG bei nicht anwesendem, nicht willensbildungsfähigem<br />

oder nicht erreichbarem Verantwortlichen der Durchführung<br />

einer vertretbaren Handlung entsprechend seinem tatsächlichen oder mutmaßlichen<br />

Willen, also ohne Willensbeugung diene.<br />

(3) Diese Rechtsfiguren <strong>und</strong> Abgrenzungsschwierigkeiten sind von besonderer Bedeutung<br />

in den Fällen des Abschleppens abgestellter Fahrzeuge.<br />

Die rechtliche Einordnung des Abschleppvorgangs ist nicht generell möglich, sondern<br />

von der jeweiligen Fallkonstellation abhängig.


10<br />

Zunächst kommt es auf die behördliche Zielrichtung an.<br />

So kann die <strong>Polizei</strong> repressiv im Zusammenhang mit einer Strafverfolgung im Wege<br />

einer strafprozessualen Beschlagnahme, z.B. zur Spuren- bzw. Beweissicherung<br />

vorgehen. Sie kann aber auch präventiv zur Gefahrenabwehr handeln, was hier allein<br />

zu behandeln ist. In einer Gemengelage genügt es, wenn sie überwiegend präventiv<br />

vorgeht.<br />

Im Rahmen der Gefahrenabwehr ist weiter danach zu differenzieren, ob das Kfz wegen<br />

einer von ihm selbst ausgehenden Gefahr abgeschleppt <strong>und</strong> in amtlichen Gewahrsam<br />

genommen werden soll, etwa weil es ungesichert ist <strong>und</strong> vor dem Zugriff<br />

Dritter geschützt, einem notorischen Raser entzogen oder als Gefahrenquelle wegen<br />

eines mangelhaften bzw. schrottreifen Zustands entfernt werden soll; dann kommt<br />

eine Sicherstellung gemäß § 40 HSOG in Betracht.<br />

Fall: Ein unversteuerter Pkw ohne TÜV <strong>und</strong> Profil<br />

Eine Sonderregelung dazu enthält § 17 a Abs. 1 des Hessischen Straßengesetzes,<br />

wonach ein ohne Erlaubnis bzw. verbotswidrig abgestelltes Autowrack durch die für<br />

die Sondernutzungserlaubnis zuständige Behörde selbst oder durch beauftragte Dritte<br />

auf Kosten des Pflichtigen abgeschleppt werden kann.<br />

In der Mehrzahl der Abschleppfälle geht es aber den Gefahrabwehrbehörden darum,<br />

die von dem verkehrswidrigen Abstellen eines Kfz wegen seiner „Lage im Raum“<br />

ausgehende Gefahr bzw. Störung für den Straßenverkehr zu beseitigen.<br />

Als Ersatzvornahme gemäß § 49 HSOG sind Abschleppvorgänge zu qualifizieren,<br />

die der Durchsetzung eines auf Beseitigung gerichteten Gr<strong>und</strong>verwaltungsaktes<br />

dienen.<br />

Unproblematisch sind Fälle, in denen der Fahrer bzw. Halter anwesend ist <strong>und</strong> einer<br />

behördlichen Beseitigungsanordnung nicht nachkommt.<br />

Die Beseitigungsanordnung kann mündlich erfolgen, sie ist als unaufschiebbare<br />

Maßnahme von <strong>Polizei</strong>vollzugsbeamten oder nach einer ausdrücklichen mündlichen<br />

Vollziehungsanordnung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 oder 4 VwGO sofort vollziehbar<br />

<strong>und</strong> bei der Notwendigkeit eines sofortigen Abschleppens kann gemäß § 53<br />

Abs. 1 Satz 4 HSOG von einer Zwangsmittelandrohung abgesehen werden.


11<br />

Ähnliches gilt trotz Abwesenheit des Fahrers bzw. Halters nach der sog. Verkehrszeichenrechtsprechung,<br />

wenn das Kfz unter Verstoß gegen ein durch ein Verkehrsschild<br />

oder eine Verkehrseinrichtung (z.B. Parkuhr) angeordnetes Halte- oder<br />

Parkverbot abgestellt ist. Nach dieser Rechtsprechung, die Verkehrszeichen als<br />

Verwaltungsakte in Form von Allgemeinverfügungen gemäß § 35 Satz 2 (H)VwVfG<br />

ansieht, ist darin zugleich ein Wegfahrgebot enthalten, das in Analogie zu § 80<br />

Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO sofort vollziehbar ist <strong>und</strong> durch das Abschleppen im Wege<br />

der Ersatzvornahme ohne vorherige Androhung gemäß § 53 Abs. 1 Satz 4 HSOG<br />

durchgesetzt wird.<br />

Teilweise wird diese Konstruktion dann nicht für anwendbar gehalten, wenn das Halteverbotsschild<br />

nach einem zunächst erlaubten Abstellen des Kfz nachträglich<br />

aufgestellt wird, der Fahrer es also deshalb nicht wahrnehmen konnte <strong>und</strong> ihm gegenüber<br />

kein Wegfahrgebot ergangen sei. Nach der neueren Rechtsprechung des<br />

BVerwG (vgl. Urteil vom 11.12.1996, BVerwGE 102 S. 316 ff.) wird ein Verkehrszeichen<br />

gemäß § 41 Abs. 3 (H)VwVfG <strong>und</strong> § 45 Abs. 4 StVO aber durch Aufstellen oder<br />

Anbringen öffentlich bekannt gemacht <strong>und</strong> dadurch unabhängig von der subjektiven<br />

Kenntnisnahme als verkehrsrechtliche Regelung eines bestimmten Straßenabschnitts<br />

(sog. dinglicher Verwaltungsakt) gegenüber allen Verkehrsteilnehmern<br />

wirksam, zu denen auch der Halter eines am Straßenrand geparkten Fahrzeugs gehört,<br />

solange er Inhaber der tatsächlichen Gewalt über das Fahrzeug ist.<br />

Nach dieser Rechtsprechung stellt der Abschleppvorgang auch gegenüber dem Halter<br />

eine Ersatzvornahme zur Durchsetzung des in dem später aufgestellten Verkehrszeichen<br />

verkörperten Wegfahrgebots dar. Die Anfechtungsfrist, die mangels<br />

schriftlicher Rechtsbehelfsbelehrung gemäß § 58 Abs. 2 VwGO ein Jahr beträgt, beginnt<br />

aber im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG erst zu laufen, wenn er zum ersten Mal<br />

auf das Verkehrszeichen trifft; sie wird allerdings nicht erneut ausgelöst, wenn er sich<br />

dem Verkehrszeichen später ein weiteres Mal gegenübersieht.<br />

Kaum überwindbare Schwierigkeiten für die sog. Verkehrszeichenrechtsprechung<br />

bestehen aber dann, wenn nicht die für das Aufstellen der Verkehrszeichen als Straßenverkehrsbehörde<br />

zuständige Ordnungsbehörde, sondern die (Vollzugs-) <strong>Polizei</strong>behörde<br />

das verkehrswidrig abgestellte Kfz abschleppt bzw. abschleppen lässt,<br />

denn nach § 47 Abs. 3 HSOG ist nur die Behörde für die Anwendung von Zwangsmitteln<br />

zuständig, die den ordnungsbehördlichen oder polizeilichen Verwaltungsakt<br />

erlassen hat. Mangels Identität von Ausgangs- <strong>und</strong> Vollstreckungsbehörde wäre das


12<br />

polizeiliche Abschleppen keine rechtmäßige Ersatzvornahme.<br />

Teilweise wird zur Entkräftung des Einwands der polizeilichen Unzuständigkeit auf<br />

ihre Eilzuständigkeit gemäß § 2 Satz 1 HSOG <strong>und</strong> teilweise darauf verwiesen, das<br />

Verkehrszeichen sei auch der <strong>Polizei</strong> zuzurechnen, weil es der Anordnung eines <strong>Polizei</strong>vollzugsbeamten<br />

gleichgestellt sei.<br />

In der Rechtsprechung des Hess.VGH wird in diesen Fällen eine unmittelbare Ausführung<br />

durch die <strong>Polizei</strong> gemäß § 8 Abs. 1 HSOG angenommen, wobei der Verstoß<br />

gegen die verkehrsrechtliche Regelung wegen der Verletzung der Rechtsordnung<br />

als eine Störung der öffentlichen Sicherheit gewertet wird.<br />

Dasselbe gilt nach allgemeiner Auffassung, wenn sich das Halte- <strong>und</strong> Parkverbot<br />

nicht aus einem Verkehrszeichen, sondern unmittelbar aus der StVO ergibt, wie<br />

etwa auf Gehwegen, vor Kreuzungen <strong>und</strong> Einmündungen oder in Kurven. Dann lässt<br />

sich bei Abwesenheit von Fahrer bzw. Halter keine vollstreckbare Beseitigungsanordnung<br />

konstruieren, so dass eine unmittelbare Ausführung gemäß § 8 Abs. 1<br />

HSOG vorliegt.<br />

Unter dem Gesichtspunkt des Übermaßverbotes bzw. Verhältnismäßigkeitsgr<strong>und</strong>satzes<br />

werden zu den Abschleppfällen u.a. folgende Fallgruppen <strong>und</strong> Fragen<br />

diskutiert:<br />

Dazu, ob allein der straßenverkehrsrechtliche Verstoß zur Rechtfertigung des Abschleppens<br />

ausreicht oder ob zusätzlich eine konkrete Verkehrsbehinderung erforderlich<br />

ist, hat sich die Rechtsprechung auch unter Einbeziehung spezial- <strong>und</strong> generalpräventiver<br />

Überlegungen (negative Vorbildwirkung) mehr zu einer „abschleppfre<strong>und</strong>lichen“<br />

Einstellung entwickelt.<br />

Zunehmend wird die bloße Möglichkeit einer Behinderung durch die eingetretene<br />

Funktionsbeeinträchtigung der Verkehrsregelung für ausreichend erachtet, so für<br />

verbotswidriges Parken im absoluten Halteverbot, an einer abgelaufenen Parkuhr,<br />

auf einem Behinderten-, Bus- oder Anwohnerparkplatz, in Fußgänger- <strong>und</strong> Sicherheitszonen<br />

oder in einer Feuerwehreinfahrt.<br />

Beim Halten an unübersichtlichen Straßenstellen, in scharfen Kurven, in Einmündungs-<br />

<strong>und</strong> Kreuzungsbereichen oder vor bzw. gegenüber Gr<strong>und</strong>stücksein- <strong>und</strong><br />

-ausfahrten ist bei Bejahung eines verkehrsrechtlichen Verstoßes i.d.R. wegen der<br />

dadurch indizierten Gefährdung bzw. Behinderung des Straßenverkehrs ein sofortiges<br />

Abschleppen erforderlich.


13<br />

Neben einer „Wartefrist“ etwa vor einer abgelaufenen Parkuhr oder an einem Taxenstand<br />

stellt sich weiter die Frage, ob vor dem Abschleppen bei abwesendem Fahrer<br />

bzw. Halter eine Nachforschungspflicht nach deren Verbleib besteht.<br />

Das wird wegen der geringen Erfolgsaussicht <strong>und</strong> der zusätzlichen Verzögerung<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich verneint, es sei denn, wegen der besonderen Umstände des konkreten<br />

Falles wäre mit einem schnellen <strong>und</strong> sicheren Erfolg zu rechnen. Eine Halteranfrage<br />

wird generell nicht gefordert. Auch eine Anwohnerparkberechtigung soll nicht zu<br />

einer erhöhten Schutzwürdigkeit führen.<br />

Eine im Kfz sichtbare Erreichbarkeits- <strong>und</strong> Bereitschaftserklärung muss eine<br />

kurzfristige <strong>und</strong> zuverlässige Störungsbeseitigung ohne unzumutbaren Behördenaufwand<br />

gewährleisten; die Angabe des nahe gelegenen Aufenthaltsortes des Fahrers<br />

oder das bloße Hinterlassen einer Tel.- oder handy-Nr. ohne konkret nachvollziehbaren<br />

Situationsbezug wird wegen des spezial- <strong>und</strong> generalpräventiven Zwecks<br />

der Abschlepppraxis als nicht ausreichend angesehen.<br />

Besonders problematisch sind die Fälle der mobilen Halteverbotsschilder, die etwa<br />

zur Einrichtung einer Baustelle, für einen Wohnungsumzug, für ein privates Straßenfest<br />

oder für Faschingsumzüge an Stellen aufgestellt werden, an denen bereits Fahrzeuge<br />

erlaubtermaßen parken. Das Abschleppen – als Vollzug des jetzt bestehenden<br />

Wegfahrgebots – einschließlich der Kostenbelastung soll nach der Rechtsprechung<br />

zulässig sein, wenn seit dem Aufstellen der Verkehrszeichen eine Vorlaufzeit<br />

von zwei bis vier Tagen vergangen ist. Dies wird mit einer Art Obliegenheit des Fahrers<br />

bzw. Halters begründet, bei einem Dauerparken regelmäßig, spätestens alle vier<br />

Tage „nach dem Rechten“ zu sehen.<br />

Auf der „Sek<strong>und</strong>ärebene“ sollten für die Auferlegung der Abschleppkosten im Sinne<br />

einer angemessenen Risikoverteilung in solchen Fällen folgende Gesichtspunkte<br />

einbezogen werden: Vorhersehbarkeit der Verkehrsregelung, Bekanntmachung der<br />

auslösenden Veranstaltung, Information an die Fahrzeughalter <strong>und</strong> eine erhöhte behördliche<br />

Nachforschungspflicht.<br />

Fall: Der traditionelle Fastnachtumzug<br />

Schließlich kann auch allein ein geringfügiges Umsetzen eines verbotswidrig abgestellten<br />

Kfz auf eine Fläche in der Nähe angemessen sein, wenn die Gefahrenlage<br />

dadurch beseitigt wird, das Fahrzeug dort nicht gefährdet <strong>und</strong> für den Fahrer leicht<br />

auffindbar ist.


14<br />

D. Entschädigung <strong>und</strong> Kosten<br />

I. Entschädigungsansprüche<br />

Die Frage, ob dem Bürger aufgr<strong>und</strong> von Beeinträchtigungen durch behördliche Gefahrenabwehrmaßnahmen<br />

Entschädigungsansprüche zustehen, betrifft im weitesten<br />

Sinne den Bereich der „Staatshaftung“, also Amtshaftung, enteignungsgleicher bzw.<br />

enteignender Eingriff oder Aufopferung; daneben enthält das Gefahrenabwehrrecht<br />

eigene Ausgleichsregelungen in den §§ 64 ff. HSOG. Dabei ist zwischen rechtmäßigen<br />

<strong>und</strong> rechtswidrigen Maßnahmen zu unterscheiden.<br />

1. Rechtmäßige Maßnahmen<br />

Den rechtmäßig nach den §§ 6 oder 7 HSOG in Anspruch genommenen Verantwortlichen<br />

stehen gr<strong>und</strong>sätzlich keine Entschädigungs- oder Ersatzansprüche<br />

zu; teilweise anders gesehen wird dies etwa für Gr<strong>und</strong>stückseigentümer, die z. B.<br />

wegen eines Tankwagenunfalls „selbst Opfer“ sind.<br />

a) Dagegen gewährt § 64 Abs. 1 Satz 1 HSOG dem im Rahmen eines polizeilichen<br />

Notstands rechtmäßig gemäß § 9 HSOG in Anspruch genommenen Nichtstörer,<br />

etwa dem Vermieter bei einer Obdachloseneinweisung, einen Ausgleichsanspruch,<br />

der eine gesetzliche Ausgestaltung des allgemeinen Aufopferungsgedankens wegen<br />

eines Sonderopfers darstellt. Diese Regelung bezieht sich aber nur auf eine gezielte<br />

hoheitliche Inanspruchnahme.<br />

b) Einem unbeabsichtigt geschädigten unbeteiligten Dritten, etwa einem durch eine<br />

verirrte <strong>Polizei</strong>kugel Getroffenen, steht in Hessen mangels einer ausdrücklichen gesetzlichen<br />

Regelung ein Entschädigungsanspruch allenfalls in entsprechender Anwendung<br />

des § 64 Abs. 1 Satz 1 HSOG oder aus dem allgemeinen Aufopferungsanspruch<br />

zu.


15<br />

c) Demgegenüber besteht für den sog. freiwilligen Nothelfer ein Ausgleichsanspruch<br />

gemäß § 64 Abs. 3 HSOG; ohne diese gesetzliche Regelung hätte er keinen<br />

Anspruch, weil er sich nicht in einer „Sonderopfer-Situation“ befindet.<br />

d) Noch umstritten ist die Entschädigung aufgr<strong>und</strong> der Inanspruchnahme eines sog.<br />

Anscheinsstörers oder nach einem Gefahrenerforschungseingriff wegen eines Gefahrenverdachtes.<br />

Im Wesen der Anscheinsgefahr liegt es, dass nach einer ex-post-<br />

Betrachtung objektiv keine Gefahr vorlag <strong>und</strong> auch der Gefahrenverdacht kann sich<br />

als unbegründet erweisen, obwohl beide Eingriffe nach der dafür erforderlichen exante-Sicht<br />

gerechtfertigt waren. In diesen Fällen wird von der inzwischen wohl h. M.<br />

den Betroffenen in entsprechender Anwendung des § 64 Abs. 1 Satz 1 HSOG ein<br />

Ausgleichsanspruch zugebilligt, wenn sie die Anscheinsgefahr bzw. den Gefahrenverdacht<br />

nach der ex-post-Beurteilung nicht in zurechenbarer Art <strong>und</strong> Weise gesetzt<br />

<strong>und</strong> deshalb nicht zu verantworten haben. Die Differenzierung zwischen der<br />

Primärebene der Gefahrenabwehr <strong>und</strong> der Sek<strong>und</strong>ärebene der gerechten Lastenverteilung<br />

erscheint auch sachgerecht; diese Auffassung hat in § 24 Abs. 1<br />

BBodSchG ihren gesetzlichen Niederschlag gef<strong>und</strong>en.<br />

2. Rechtswidrige Maßnahmen<br />

a) Bei rechtswidrigen Maßnahmen zur konkreten Gefahrenabwehr durch Gefahrabwehr-<br />

oder <strong>Polizei</strong>behörden gewährt § 64 Abs. 1 Satz 2 HSOG einen verschuldensunabhängigen<br />

Schadensausgleichsanspruch. Der Begriff „Maßnahmen“ erfasst<br />

sowohl Verwaltungsakte als auch Realakte; es spricht einiges dafür, dass entgegen<br />

der wohl h. M. darunter auch pflichtwidriges behördliches Unterlassen im Falle einer<br />

bestehenden Garantenpflicht fällt.<br />

Für die haftungsbegründende Rechtswidrigkeit der Maßnahme dürfte wohl nur auf<br />

das sog. Handlungsunrecht, nicht aber auf ein etwa zufällig eingetretenes sog. Erfolgsunrecht<br />

abzustellen sein (z. B. verirrte <strong>Polizei</strong>kugel nach rechtmäßigem<br />

Schusswaffengebrauch).


16<br />

b) Bei schuldhaft rechtswidrigem Verwaltungshandeln kommen Amtshaftungsansprüche<br />

gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG in Betracht, die gemäß § 64 Abs. 4<br />

HSOG in Anspruchskonkurrenz zur Haftung aus Absatz 1 Satz 2 dieser Vorschrift<br />

stehen.<br />

3. Art <strong>und</strong> Umfang<br />

Inhalt, Art <strong>und</strong> Umfang des Ausgleichsanspruchs gemäß § 64 HSOG sind in den<br />

§§ 65 ff. HSOG geregelt. Neben dem unmittelbaren Vermögensschaden können<br />

unter bestimmten Voraussetzungen auch mittelbare Schäden, wie etwa entgangener<br />

Gewinn <strong>und</strong> Nutzungsausfall berücksichtigt <strong>und</strong> kann bei Körper- oder Ges<strong>und</strong>heitsverletzungen<br />

oder Freiheitsentziehung Schmerzensgeld gewährt werden.<br />

Der Anspruch ist nach § 64 Abs. 2 HSOG ausgeschlossen, soweit die – dazu objektiv<br />

geeignete <strong>und</strong> rechtmäßige – Maßnahme zum Schutz der Person oder des Vermögens<br />

des Geschädigten selbst getroffen wurde.<br />

Der Ausgleichsanspruch richtet sich gemäß § 68 Abs. 1 HSOG gr<strong>und</strong>sätzlich gegen<br />

die Anstellungskörperschaft, also bei Handlungen der <strong>Polizei</strong>behörden gegen das<br />

Land Hessen <strong>und</strong> bei Handlungen der Gefahrenabwehrbehörden gegen die jeweilige<br />

Kommune. Bei Vollzugshilfe gemäß § 44 HSOG ist die Körperschaft der ersuchenden<br />

Behörde ausgleichspflichtig; sie hat gemäß § 68 Abs. 3 HSOG ggf. einen Erstattungsanspruch<br />

gegen das Land als Anstellungskörperschaft, wie auch generell gemäß<br />

§ 69 HSOG ein – ggf. gesamtschuldnerischer – Ersatzanspruch der ausgleichspflichtigen<br />

Körperschaft gegen die Verantwortlichen nach § 6 oder 7 HSOG<br />

besteht.<br />

Der Schadensausgleichsanspruch gemäß §§ 64 bis 68 Abs. 1 <strong>und</strong> 2 HSOG ist gemäß<br />

§ 70 HSOG im ordentlichen Rechtsweg vor den Zivilgerichten geltend zu machen,<br />

der Erstattungs- oder Rückgriffsanspruch gemäß § 68 Abs. 3 bzw. § 69 HSOG<br />

gehört dagegen vor die Verwaltungsgerichte.


17<br />

II. Gefahrenabwehrkosten<br />

1. öffentliche Kostentragung<br />

Die allgemeinen Kosten für die dem Land Hessen gemäß § 81 HSOG obliegende<br />

staatliche Aufgabe der Gefahrenabwehr tragen gemäß §§ 104 ff. HSOG gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

die öffentlich-rechtlichen Aufgabenträger (Land <strong>und</strong> Kommunen), denen gemäß<br />

§ 109 HSOG – unabhängig vom Finanzausgleich – auch die mit der Tätigkeit der <strong>Polizei</strong>behörden<br />

verb<strong>und</strong>enen Einnahmen zufließen.<br />

Die öffentliche Kostentragung entspricht dem Umstand, dass die Gewährleistung<br />

öffentlicher Sicherheit den aus den Freiheitsgr<strong>und</strong>rechten folgenden verfassungsrechtlichen<br />

Schutzpflichten des Staates <strong>und</strong> seiner rechtsstaatlichen Verpflichtung<br />

aus Art. 20 Abs. 3 GG entspringt, das staatliche Gewaltmonopol legitimiert <strong>und</strong> im<br />

Kernbereich der Maßnahmen mit Sicherheitsfunktion <strong>und</strong> Sanktionscharakter zu den<br />

nach Art. 33 Abs. 4 GG unverzichtbaren Staatsaufgaben gehört. Diese sind nach<br />

dem finanzverfassungsrechtlichen Steuerstaatsprinzip gr<strong>und</strong>sätzlich durch allgemeine<br />

Steuern zu finanzieren.<br />

Wenn aber ein Verantwortlicher gemäß §§ 6 oder 7 HSOG eine Gefahr mit eigenen<br />

Mitteln beseitigt hat, bleibt die Kostenlast trotzdem bei ihm, weil sie die Konsequenz<br />

aus seiner Verantwortlichkeit ist.<br />

2. Kostenerstattung<br />

In gewissem Umfang können aber die dem Staat für Gefahrenabwehrmaßnahmen<br />

entstandenen Kosten einfachgesetzlich einzelnen Betroffenen auferlegt werden,<br />

wenn ihnen eine solche behördliche Tätigkeit individuell zurechenbar ist.<br />

Dabei muss unterschieden werden zwischen der „Primärebene“ des polizeilichen<br />

Eingriffs mit dem öffentlichen Interesse an einer schnellen <strong>und</strong> effektiven Gefahrenabwehr<br />

bzw. Störungsbeseitigung einerseits <strong>und</strong> der „Sek<strong>und</strong>ärebene“ der Kostenhaftung<br />

mit dem Gebot einer gerechten Lastenverteilung andererseits.<br />

Nach diesen Gr<strong>und</strong>sätzen kann die Kostenpflicht bei einer Anscheinsstörung oder<br />

bei Gefahrenverdacht davon abhängig gemacht werden, ob bei einer ex-post-<br />

Betrachtung eine individuell zurechenbare Verursachung anzunehmen ist.


18<br />

Bei Großveranstaltungen, wie etwa B<strong>und</strong>esliga-Fußballspielen, Pop-Konzerten,<br />

politischen K<strong>und</strong>gebungen, Castor-Transporten, könnte eine Zurechnung über die<br />

Figur des sog. Zweckveranlassers erfolgen, weil die zu erwartenden Störungen billigend<br />

in Kauf genommen werden. Zweifelhaft ist aber, ob der Veranstalter zu den<br />

konkreten Schutzmaßnahmen, die die <strong>Polizei</strong> durchführt, selbst hätte verpflichtet<br />

werden können; nur dann könnte er auch zur Erstattung der der <strong>Polizei</strong> dafür entstandenen<br />

Kosten herangezogen werden. Es käme deshalb nur eine gesetzliche<br />

Kostenhaftung des Veranstalters nach Gebührenrecht in Frage, die aber für politische,<br />

gewerkschaftliche oder religiöse Veranstaltungen verfassungsrechtlich ausgeschlossen<br />

<strong>und</strong> allenfalls für kommerzielle Veranstaltungen zu erwägen sein dürfte.<br />

Ähnliches gilt für den Anmelder oder Veranstalter von Demonstrationen. Wenn diese<br />

verboten oder aufgelöst werden, kommt eine Kostenhaftung von Teilnehmern in<br />

Betracht, die einen <strong>Polizei</strong>einsatz verursachen.<br />

Beim polizeilichen Einschreiten im Zusammenhang mit Hausbesetzungen zum<br />

Schutz privater Rechte des Hauseigentümers kann dieser bei entsprechenden landesrechtlichen<br />

Regelungen erstattungs- bzw. gebühren- <strong>und</strong> auslagenpflichtig sein.<br />

Wird ein Einschreiten im öffentlichen Interesse zur Gefahrenabwehr erforderlich, sind<br />

die Hausbesetzer als Störer kostenpflichtig.<br />

Die gebührenrechtliche Auferlegung von <strong>Polizei</strong>kosten aufgr<strong>und</strong> von Fehlalarmen<br />

privater Alarmanlagen ist unter den Gesichtspunkten der Privatnützigkeit <strong>und</strong> der Zuordnung<br />

des Fehlfunktionsrisikos in die Sphäre des Betreibers gerechtfertigt.<br />

Da in Hessen das HSOG für die Erhebung allgemeiner Verwaltungskosten in Form<br />

von Gebühren <strong>und</strong> Auslagen keine Gr<strong>und</strong>lage bietet, können die öffentlichen Kostenträger<br />

der Gefahrenabwehr diese nur insoweit geltend machen, als in dem auch für<br />

Amtshandlungen von Landes- <strong>und</strong> kommunalen Gefahrenabwehrbehörden geltenden<br />

Hessichen Verwaltungskostengesetz gebührenpflichtige Tatbestände enthalten<br />

sind. Gr<strong>und</strong>lage bietet die für Gefahrenabwehrbehörden entsprechend anwendbare<br />

Verwaltungskostenordnung für Amtshandlungen im Geschäftsbereich des Hessischen<br />

Ministeriums des Innern <strong>und</strong> für Sport mit einem Verwaltungskostenverzeichnis.<br />

Für die Durchführung bestimmter Maßnahmen finden sich dagegen Kostenregelungen<br />

im HSOG, nämlich für die unmittelbare Ausführung in § 8 Abs. 2 HSOG, der<br />

gemäß § 52 Abs. 1 Satz 3 HSOG auch für die Kosten unmittelbaren Zwangs entsprechend<br />

anwendbar ist, für die Ersatzvornahme in § 49 HSOG <strong>und</strong> für die Si-


19<br />

cherstellung einschließlich Verwahrung <strong>und</strong> Verwertung in § 43 Abs. 3 HSOG.<br />

Die gesetzlichen Kostenregelungen sind abschließend, so dass danach nicht erstattungsfähige<br />

Kosten nicht auf einer anderen Gr<strong>und</strong>lage, etwa nach den Gr<strong>und</strong>sätzen<br />

der Geschäftsführung ohne Auftrag, geltend gemacht werden können.<br />

3. Beispiel: Kfz-Abschleppkosten<br />

Die Anwendung der im HSOG besonders geregelten Kostenerstattungsvorschriften<br />

wird insbesondere im Fall der Kfz-Abschleppkosten praxisrelevant.<br />

Nach allen Vorschriften ist die Rechtmäßigkeit der Abschleppmaßnahme Voraussetzung<br />

des Kostenerstattungsanspruchs.<br />

Bei einer unmittelbaren Ausführung sind dabei neben den Dringlichkeitsgründen<br />

gemäß § 8 Abs. 1 HSOG auch die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen für einen fiktiven<br />

Gr<strong>und</strong>verwaltungsakt in Form einer Beseitigungsanordnung gegen den abwesenden<br />

Betroffenen zu prüfen.<br />

Bei einer Ersatzvornahme zur Vollstreckung eines Gr<strong>und</strong>verwaltungsaktes in Form<br />

einer Beseitigungsanordnung gegenüber dem anwesenden Fahrer bzw. Halter oder<br />

eines Wegfahrgebots aufgr<strong>und</strong> eines Verkehrszeichens stellt sich auch hier die Frage,<br />

ob über die Vollstreckbarkeit des vollzogenen Verwaltungsaktes hinaus auch<br />

dessen Rechtmäßigkeit Prüfungsgegenstand im Kostenverfahren ist.<br />

Zu den unmittelbar durch die Maßnahme verursachten Kosten gehören die an den<br />

beauftragten Unternehmer zu zahlenden Abschleppkosten, die auch die gemäß<br />

§ 53 Abs. 4 bzw. § 49 Abs. 2 HSOG vorläufig veranschlagten Kosten der Ersatzvornahme<br />

übersteigen können.<br />

Zu den Erstattungskosten gehört auch ein besonderer, über den allgemeinen Verwaltungsaufwand<br />

hinausgehender behördlicher Personal- <strong>und</strong> Sachaufwand, etwa<br />

durch Überst<strong>und</strong>en oder Gutachterkosten.<br />

Durch die Verweisungen in § 49 Abs. 1 <strong>und</strong> § 8 Abs. 2 HSOG auf § 43 Abs. 3 HSOG<br />

ist klargestellt, dass auch Verwahrungs- <strong>und</strong> ggfs. Verwertungskosten verlangt<br />

werden können. Aufgr<strong>und</strong> dieser Verweisungen kann unabhängig von der rechtlichen<br />

Einordnung der Abschleppmaßnahme die Herausgabe eines abgeschleppten <strong>und</strong><br />

verwahrten Fahrzeugs von der Zahlung der Abschleppkosten abhängig gemacht


20<br />

werden. Ob danach Dritten nicht nur die Verwahrung <strong>und</strong> die Einziehung der Kosten,<br />

sondern auch das behördliche Zurückbehaltungsrecht übertragen werden kann,<br />

erscheint allerdings zweifelhaft, weil dessen Ausübung im behördlichen Ermessen<br />

liegt. Dem kann dadurch Rechnung getragen werden, dass ein beauftragtes Abschleppunternehmen<br />

jederzeit – ggfs. telefonisch – eine Behördenentscheidung über<br />

die Herausgabe des abgeschleppten Fahrzeugs einholen kann.<br />

Der Erstattungsanspruch kann gemäß § 8 Abs. 2, § 43 Abs. 3 <strong>und</strong> § 49 Abs. 2<br />

HSOG gegenüber den nach §§ 6 oder 7 HSOG Verantwortlichen „ im Verwaltungsvollstreckungsverfahren<br />

(gemäß §§ 15 ff. HVwVG) beigetrieben“, also durch Leistungsbescheid<br />

in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens geltend gemacht werden.<br />

Zuständig für die „Erhebung der Kosten von Maßnahmen der <strong>Polizei</strong>behörden“ ist<br />

gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 HSOG-DVO das Präsidium für Technik, Logistik <strong>und</strong> Verwaltung.<br />

Der Kostenerstattungsbescheid stellt nach herrschender – aber bestrittener – Auffassung<br />

keine gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO sofort vollziehbare „Anforderung<br />

von öffentlichen Abgaben <strong>und</strong> Kosten“ dar, weil er nicht der Deckung des (haushaltsmäßig<br />

erfassten) allgemeinen staatlichen Finanzbedarfs dient.<br />

Soweit der Abschleppvorgang vollstreckungsrechtlich eingeordnet wird, ist der Erstattungsbescheid<br />

in Hessen nach der 2008 erfolgten Neufassung des § 16 Satz 1<br />

HAGVwGO i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO als „’Anforderung von Kosten oder<br />

voraussichtlichen Kosten der Verwaltungsvollstreckung einschließlich Zinsen“<br />

sofort vollziehbar. Damit sollte nach der Gesetzesbegründung (LT/Ds 17/368 S. 31)<br />

der Streit in der Rechtsprechung hinsichtlich der Ersatzvornahmekosten für die<br />

Vollstreckungspraxis im Sinne der Rechtssicherheit <strong>und</strong> Rechtsklarheit geklärt werden,<br />

weil vor dem Hintergr<strong>und</strong> knapper Haushaltsmittel auf eine sofortige Vollziehbarkeit<br />

der Kostenbescheide nicht verzichtet werden könne. Fraglich ist, ob dies auch<br />

für die Kosten einer unmittelbaren Ausführung gemäß § 8 Abs. 2 HSOG gilt.<br />

Kostenschuldner des Erstattungsanspruchs ist in erster Linie der gemäß § 6 HSOG<br />

verantwortliche Fahrer des verbotswidrig abgestellten Kfz. Die Kosten können aber in<br />

Ausübung des Auswahlermessens unter Berücksichtigung einer gerechten Lastenverteilung<br />

ggfs. auch gemäß § 7 HSOG dem Halter <strong>und</strong> Eigentümer auferlegt werden.<br />

Dessen Haftung endet allerdings mit Veräußerung <strong>und</strong> Besitz- <strong>und</strong> Eigentumsübertragung.


21<br />

Letzteres gilt nach der – bestrittenen – Rechtsprechung des Hess.VGH auch dann,<br />

wenn der Veräußerer unter Verstoß gegen § 27 Abs. 3 StVZO Name <strong>und</strong> Anschrift<br />

des Erwerbers nicht (richtig) an die Zulassungsstelle gemeldet hat <strong>und</strong> deshalb die<br />

Kosten für das Abschleppen des später „wild“ abgelagerten Autowracks vom Erwerber<br />

nicht erhoben werden können; es besteht nämlich kein polizeirechtlicher Verursachungszusammenhang<br />

zwischen diesem Pflichtverstoß des Veräußerers <strong>und</strong> der<br />

beseitigten Störung.

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