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openEHR - Peter L. Reichertz Institut für Medizinische Informatik ...

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Fachbeiträge<br />

<strong>openEHR</strong><br />

<strong>openEHR</strong> – Die Geschichte eines<br />

Baukastensystems für eine gemeinsame<br />

Elektronische Gesundheitsakte<br />

Dipl.-Inform.<br />

Joachim Bergmann<br />

Technische Universität<br />

Braunschweig<br />

<strong>Institut</strong> für <strong>Medizinische</strong><br />

<strong>Informatik</strong><br />

Mühlenpfordtstr. 23<br />

D-38106 Braunschweig<br />

Tel.: +49(0)531/391-9506<br />

Fax: +49(0)531/391-<br />

9502<br />

E-Mail:<br />

J.Bergmann@<br />

mi.tu-bs.de<br />

http://www.mi.tu-bs.de<br />

Aufgrund einer zunehmend besseren technischen<br />

Infrastruktur bieten sich für die Rechnerunterstützung<br />

der Kooperation von Ärzten und anderen<br />

Leistungserbringern in der Patientenversorgung immer<br />

mehr sinnvolle Szenarien an. Die gemeinsame Elektronische<br />

Gesundheitsakte ist ein zentrales Werkzeug, um allen<br />

an der Versorgung Beteiligten den Zugriff auf notwendige<br />

Informationen zum Patienten zu ermöglichen. Allerdings<br />

wirft die einrichtungs- und fachbereichsübergreifende<br />

elektronische Repräsentation und Kommunikation<br />

medizinischer Begriffe viele Fragen auf. Der vorliegende<br />

Artikel stellt den <strong>openEHR</strong>-Ansatz vor, der Beiträge zu<br />

diesem Gebiet geleistet und den korrespondierenden europäischen<br />

Standard maßgeblich beeinflusst hat. Die Darstellung<br />

von Geschichte, Architektur und Potenzial des<br />

<strong>openEHR</strong>-Ansatzes stützt sich auf die online verfügbare<br />

<strong>openEHR</strong>-Dokumentation [1] sowie Publikationen zu Projekten<br />

und Studien.<br />

Eine gemeinsame elektronische<br />

Gesundheitsakte erfordert ein<br />

gemeinsames Begriffssystem<br />

Für eine effiziente und qualitativ hochwertige Patientenversorgung<br />

ist eine aktuelle und vollständige Dokumentation<br />

zum Patienten von großer Bedeutung. Aufgrund<br />

der sehr arbeitsteiligen Organisation der Gesundheitsversorgung<br />

sind jedoch Informationsdefizite ein häufiges<br />

und zentrales Problem. Mit neuen Versorgungsmodellen<br />

wie Integrated Care oder Shared Care soll eine bessere<br />

Kooperation bei der Behandlung erreicht werden,<br />

jedoch ist hierzu der einrichtungsübergreifende Zugriff<br />

auf medizinische Dokumentation zum Patienten wichtig.<br />

In Anlehnung an den Begriff des Shared Care kann diese<br />

Form der Dokumentation als Shared EHR (Shared Electronic<br />

Health Record) bezeichnet werden [2]. Bei der<br />

Patientenversorgung werden zwar auch zukünftig die<br />

eigenen Aufzeichnungen einer Einrichtung die primäre<br />

Informationsquelle sein, aber mit einer zunehmenden<br />

Bereitstellung relevanter Informationen zum Patienten<br />

durch andere Einrichtungen wird die Bedeutung des<br />

Shared EHR als sekundäre Informationsquelle wachsen<br />

[2]. Zukunftsvision ist ein Virtual EHR, der vor dem Nutzer<br />

vollständig verbirgt, welche Teile der präsentierten<br />

Patientendaten aus der eigenen Datenbank vor Ort stammen<br />

und welche von entfernten Quellen anderer Einrichtungen<br />

abgerufen werden.<br />

Die Verarbeitung medizinischer Daten erfolgt im Kontext<br />

des Wissens, das sich in den Köpfen der Mediziner,<br />

in ihren Aufzeichnungen, in Forschung, Literatur etc. manifestiert.<br />

Eine Abbildung dieses Wissens in ein Computersystem<br />

gehört zu den intensiv beforschten Gebieten der<br />

<strong>Medizinische</strong>n <strong>Informatik</strong> und Künstlichen Intelligenz und<br />

ist als ein eher ungelöstes Problem anzusehen, obgleich<br />

viele erfolgreiche Ergebnisse vorliegen (z.B. GALEN [3],<br />

OWL [4], SKIF [5,6]). Innerhalb einer Abteilung oder einer<br />

Einrichtung funktioniert die medizinische Dokumentation<br />

normalerweise gut, da ein lokaler Konsens bzgl. der verwendeten<br />

Datenstrukturen und deren Interpretation vorliegt.<br />

Sobald medizinische Daten über die Fachabteilung<br />

hinaus möglicherweise fachbereichsübergreifend und vielleicht<br />

sogar länderübergreifend auszutauschen sind, wird<br />

das zugrunde liegende Begriffssystem sehr bedeutsam.<br />

Es ist sicherzustellen, dass die Interpretation einer Nachricht<br />

durch den Empfänger in dessen Kontext zur<br />

gewünschten Information führt. Daraus lassen sich leicht<br />

Eigenschaften für einen Shared EHR folgern:<br />

˜ Neben den Nutzdaten müssen die zu ihrer Darstellung<br />

verwendete Symbolik und die Bedeutung dieser<br />

Symbolik elektronisch kommunizierbar sein.<br />

Diese nahe liegende Forderung stellt ein großes<br />

Problem dar.<br />

˜ Die Terminologie des Begriffssystems und auch das<br />

Begriffssystem selbst wandeln sich im Laufe der<br />

Zeit, z.B. durch neue Erkenntnisse der medizinischen<br />

Forschung. Die elektronische Repräsentation<br />

des Begriffssystems muss also anpassbar sein.<br />

˜ Das Wissen über das Begriffssystem liegt bei den<br />

Spezialisten des Fachgebiets vor und sollte also<br />

durch diese wartbar sein. Eine Erweiterung oder<br />

Anpassung der verwendeten Symbolik und die Formulierung<br />

ihrer Bedeutung müssen daher ohne<br />

Änderung der Programme möglich sein.<br />

Die existierenden EHR-Implementierungen können<br />

hinsichtlich der Art, wie eine »Bindung zwischen Datenstruktur<br />

und Begriff« erfolgt, drei Klassen zugeordnet<br />

8 Forum der Medizin_Dokumentation und Medizin_<strong>Informatik</strong> 1/2005


Fachbeiträge<br />

<strong>openEHR</strong><br />

werden [2]. Abbildung 1 illustriert die jeweils resultierende<br />

Datenstruktur am Beispiel.<br />

˜ Unstrukturierte Daten: Der EHR ist eine Sammlung<br />

unstrukturierter oder nicht einheitlich strukturierter<br />

Datencontainer (Blackbox), deren Interpretation<br />

davon abhängt, dass der jeweilige Nutzer mit<br />

den zur Niederschrift verwendeten Konventionen<br />

vertraut ist und dem proprietär kodierten Inhalt<br />

Bedeutung zumessen kann.<br />

˜ Gesamtmodell-Ansatz: Alle verwendbaren<br />

Begriffe, Konzepte und Strukturelemente eines EHR<br />

sind in einem einzigen Klassenmodell definiert und<br />

allen nutzenden Parteien bekannt. Ein solches<br />

Modell kann bereits für kleine Begriffssysteme sehr<br />

groß und damit unhandlich sein. Darüber hinaus<br />

muss das Modell bereits zum Zeitpunkt der Entwicklung<br />

eines rechnergestützten Informationssystems<br />

berücksichtigt und in die Software implementiert<br />

werden, so dass eine spätere Änderung oder<br />

Erweiterung des Modells zu Änderungen an der<br />

Software führen muss.<br />

˜ Instanziierung eines generischen Modells: Ein<br />

generisches Modell definiert nur wenige allgemein<br />

gültige Objektklassen, deren Instanzen sich zu allen<br />

notwendigen Objektmodellen kombinieren lassen.<br />

Je abstrakter das generische Modell bleibt, desto<br />

allgemein gültiger ist es und desto geringer wird<br />

die Wahrscheinlichkeit der Notwendigkeit einer<br />

späteren Änderung. Allerdings steigt mit der<br />

Abstraktion auch der Interpretationsspielraum<br />

bezüglich der in einem Modell enthaltenen Elemente,<br />

wobei im Extremfall der Abstraktion die<br />

bereits vorgestellten unstrukturierten Datencontainer<br />

vorlägen.<br />

Mit der als »<strong>openEHR</strong>« [7] durch die <strong>openEHR</strong> Foundation<br />

publizierten Architektur wird der beschriebene<br />

generische Modellansatz um zusätzliche, außerhalb des<br />

Modells formulierte Strukturen zur Definition eines<br />

Begriffssystems erweitert. Dieser Ansatz ist nicht neu,<br />

aufgrund seiner zumindest konzeptuellen Einfachheit<br />

aber bewiesenermaßen realisierbar und nicht zuletzt durch<br />

die Aufmerksamkeit, die ihm aktuell geschenkt wird, relevant.<br />

<strong>openEHR</strong> realisiert flexible, aber<br />

eindeutig definierte Begriffssysteme<br />

Ziel des <strong>openEHR</strong>-Ansatzes ist die Entwicklung rechnerbasierter<br />

Informationssysteme, die Informationen korrespondierend<br />

zu einem Begriffssystem speichern können,<br />

ohne dass die Struktur des Begriffssystems fest in<br />

den Programmen kodiert werden muss. Dadurch sollen<br />

die Fachbenutzer vor Ort in der Lage sein, zur Laufzeit<br />

das den verarbeiteten Daten zugrunde liegende Begriffssystem<br />

anpassen zu können. Darüber hinaus müssen die<br />

gespeicherten Informationen einrichtungsübergreifend<br />

kommunizierbar sein. Um dies zu erreichen, ist das grundlegende<br />

Prinzip des <strong>openEHR</strong>-Ansatzes eine als Trennung<br />

von »Wissen« und »Information« bezeichnete Architektur<br />

[7], die auf den im Folgenden beschriebenen Konzepten<br />

Referenzmodell und Archetyp basiert.<br />

Das Referenzmodell legt den Raum möglicher Objektmodelle<br />

fest, indem verwendbare Objektklassen und deren<br />

Beziehungen zueinander definiert werden. Dadurch werden<br />

im Sinne einer »harten« Definition sowohl der Aufbau<br />

eines jeden Objekts, insbesondere Objektname, Eigenschaften<br />

und Funktionen festgelegt als auch die Kombinationsmöglichkeiten<br />

mit anderen Objekten durch Beziehungstyp,<br />

Multiplizität etc. beschrieben. In diesem schlank<br />

gehaltenen Referenzmodell sind ausdrücklich nur solche<br />

Objektklassen enthalten, die übergreifend gültig sind und<br />

kein fachspezifisches Wissen darstellen, wie z.B. Data-<br />

Value als Container für Informationen oder das Strukturelement<br />

ItemList zur Zusammenfassung von Elementen<br />

Abbildung 1:<br />

Abbildung des Begriffs<br />

Blutdruck auf<br />

Datenstrukturen in<br />

verschiedener Form [2]:<br />

a) Unstrukturierte Daten<br />

b) Gesamtmodell-Ansatz<br />

c) Generisches Modell<br />

Abbildung 2:<br />

Übersicht über die<br />

<strong>openEHR</strong>-Architektur<br />

Forum der Medizin_Dokumentation und Medizin_<strong>Informatik</strong> 1/2005<br />

9


Fachbeiträge<br />

<strong>openEHR</strong><br />

eine Interessengemeinschaft internationaler Fachleute<br />

weitergeführt werden. Ziel ist es, durch öffentliche, aber<br />

zugleich konsolidierte Aktivitäten den <strong>openEHR</strong>-Ansatz<br />

gemeinschaftlich auszufeilen und durch OpenSource-Software<br />

allgemein nutzbar zu machen. Ein Online-Repository<br />

ermöglicht Zugriff auf den jeweils aktuellen Stand<br />

von Architektur, Spezifikationsdokumenten und Software,<br />

während Forum und E-Mail-Listen intensiv zur konstruktiven<br />

Diskussion genutzt werden. Aufgrund des (unbezahlten)<br />

Engagements der Beteiligten wurde der Ansatz<br />

in verschiedenen Projekten erprobt und hat wesentlichen<br />

Einfluss auf europäische Standardisierungsaktivitäten<br />

sowie die Planung der Gesundheitstelematikplattform in<br />

Australien.<br />

Abbildung 3:<br />

Screenshot der ADL<br />

Workbench<br />

zu einer Liste. Durch Instanziierung der Klassen des Referenzmodells,<br />

also durch Erstellen konkreter Objekte, Füllen<br />

mit Daten und Verknüpfen von Objekten untereinander,<br />

wird Information kodiert. Nur eine kleine Anzahl der<br />

nach dem Referenzmodell erstellbaren Objektmodelle<br />

ergibt jedoch im klinischen Kontext einen Sinn. Daher<br />

wird mit Hilfe von Archetypen (Urbilder, Grundmuster) in<br />

Form einer »weichen« Definition beschrieben, welche<br />

Objektinhalte und -kombinationen sinnvoll sind. Ein Archetyp<br />

ist eine Menge von Regeln, die für bestimmte Objekte<br />

den Wertebereich ihrer Attribute einschränken und<br />

erlaubte Beziehungen zu anderen Objekten definieren.<br />

Abbildung 2 stellt das Verhältnis zwischen Referenzmodell,<br />

Archetyp und Information grafisch dar.<br />

Für die Beschreibung der Archetypen ist mit der Archetype<br />

Definition Language ADL eine Sprache definiert.<br />

Alternativ können Archetypen als Instanzmodell des Archetype<br />

Object Model AOM dargestellt werden, indem<br />

erlaubte Objektkombinationen modelliert werden, ohne<br />

die Attribute mit Werten zu füllen oder Objektbeziehungen<br />

darzustellen. ADL und AOM sind hinsichtlich ihrer<br />

Mächtigkeit äquivalent.<br />

<strong>openEHR</strong> im Detail<br />

Mit der Gründung der <strong>openEHR</strong> Foundation im Jahre<br />

2000 sollten die Forschungsaktivitäten zur Architektur<br />

elektronischer Gesundheitsakten im Umfeld des britischen<br />

Centre for Health Informatics and Multiprofessional Education<br />

(CHIME) am Londoner University College durch<br />

Die bisherigen <strong>openEHR</strong>-Aktivitäten lassen sich entsprechend<br />

der Organisation des Projekts folgenden Bereichen<br />

zuordnen:<br />

˜ Anforderungsermittlung: Basierend auf den Erfahrungen<br />

aus dem <strong>openEHR</strong>-Vorläuferprojekt GEHR (s.u.)<br />

sollen Anforderungen an einen verteilten offenen<br />

Standard für elektronische Gesundheitsakten untersucht<br />

und definiert werden. Anhand der online verfügbaren<br />

<strong>openEHR</strong>-Dokumentation ist zu erkennen,<br />

dass in diesem Arbeitsbereich zuletzt wenig Aktivität<br />

stattgefunden hat.<br />

˜ Spezifikation der Architektur: Im Rahmen dieses<br />

Arbeitsbereichs wird die <strong>openEHR</strong>-Architektur spezifiziert.<br />

Die Architektur umfasst ein Referenzmodell,<br />

eine Sprache und ein Objektmodell zur Beschreibung<br />

von Archetypen sowie ein System modellierter und<br />

anerkannter Archetypen selbst. Zu jedem Bestandteil<br />

der Architektur liegt ein ausführliches, beschreibendes<br />

Dokument vor. Jüngste Aktivitäten beschäftigen<br />

sich vor allem mit der Spezifikation der Archetype<br />

Definition Language. Der jeweils aktuelle genehmigte<br />

Zustand des Referenzmodells ist auf den <strong>openEHR</strong>-<br />

Webseiten in Form eines automatisch generierten<br />

HTML-Exports aus der Programmiersprache Eiffel einzusehen.<br />

˜ Realisierung der abstrakten Architekturspezifikationen:<br />

Zur produktiven Nutzung der <strong>openEHR</strong>-<br />

Konzepte sollen für verschiedene Programmiersprachen<br />

die abstrakten Spezifikationen zu so genannten<br />

Implementation Technology Specifications (ITS)<br />

konkretisiert werden, wie z.B. für Java, XML-Schema,<br />

IDL und Python.<br />

˜ Implementierung: Die bei der Durchführung von Studien<br />

und Pilotprojekten entstehenden Programme und<br />

Werkzeuge werden auf OpenSource-Basis zur Verfügung<br />

gestellt, wie z.B. Programmierschnittstellen für<br />

Java und .NET sowie einige Tools. Die ADL Workbench<br />

10 Forum der Medizin_Dokumentation und Medizin_<strong>Informatik</strong> 1/2005


Fachbeiträge<br />

<strong>openEHR</strong><br />

(siehe Abbildung 3) dient der Exploration vorhandener<br />

Archetyp-Definitionen und unterstützt den Entwickler<br />

durch den Referenz-Parser bei Fehlersuche und Format-Konvertierung.<br />

Ein in ADL vorliegender, geparster<br />

Archetyp kann in XML-, OWL- oder HTML-Form<br />

ausgegeben werden. Der Archetype Editor richtet sich<br />

an die Spezialisten des Fachgebiets und ermöglicht<br />

die Erstellung und Bearbeitung von Archetypen zur<br />

Realisierung einer Terminologie. Das Programm ist<br />

allerdings nicht ganz einfach zu bedienen.<br />

Darüber hinaus ist mit den Werkzeugen eine kleine<br />

Bibliothek von Archetypen verfügbar. Das jüngste Paket<br />

enthält bereits 44 modellierte klinische Konzepte, wie<br />

z.B. Anamnese, Medikation, Pathologiebefund, Schilddrüsen-Laboranalytik<br />

etc.<br />

Referenzmodell<br />

Das <strong>openEHR</strong>-Referenzmodell stellt eine Weiterentwicklung<br />

des GEHR Object Model GOM dar und befindet<br />

sich in fortlaufender Überarbeitung. Auffallender Unterschied<br />

zum GOM ist die Migration vom Konzept der Transaction<br />

zu Composition zugunsten einer Konformität mit<br />

dem ENV 13606. Hintergrund ist der Wunsch, mit einem<br />

Objekt sowohl transaktionsorientierte Ereignisse als auch<br />

feststehende (longitudinale) Fakten kodieren zu können.<br />

Abbildung 4 zeigt eine Grafik aus der <strong>openEHR</strong>-Architektur-Spezifikation.<br />

Abgebildet ist mit den Teilmodellen EHR<br />

und Composition der zentrale Part des <strong>openEHR</strong>-Referenzmodells,<br />

das Reference Information Model, zum besseren<br />

Verständnis ergänzt durch verknüpfte Teilmodelle.<br />

Grundsätzlich werden Datenobjekte (Text, Messwert<br />

etc.) aus dem Teilmodell Data Types unter Verwendung<br />

der Strukturelemente aus dem Teilmodell Data Structures<br />

zu »speicherbaren« Informationseinheiten kombiniert<br />

und fachlich einer Ordnung durch Elemente aus Composition<br />

unterzogen. Welche Kombinationen von Objekten<br />

erlaubt sind, beschreibt ein in ADL oder durch AOM-Klassen<br />

formulierter Archetyp. Die Informationseinheiten werden<br />

durch Gruppierungselemente aus dem Teilmodell EHR<br />

zu einer Gesundheitsakte arrangiert, wobei durch den<br />

zwischengeschalteten Container Versioned Composition<br />

die Verwaltung versionierter Informationseinheiten ermöglicht<br />

wird. Zentrale Teilmodelle des Referenzmodells werden<br />

im Folgenden beschrieben.<br />

EHR Enthält die aggregierenden Strukturen zur Repräsentation<br />

einer <strong>openEHR</strong>-Gesundheitsakte. Dieses Teilmodell<br />

stellt zusammen mit dem Teilmodell Composition<br />

das EHR Information Model dar. Insbesondere werden in<br />

diesem Modellteil die Folder definiert, um die Informationseinheiten<br />

einer Gesundheitsakte zu gliedern und die<br />

Navigation zu ermöglichen. Eine übliche, bereits im GEHR-<br />

Projekt formulierte Gliederung ist die Zuordnung von<br />

Informationen zu folgenden Ordnern:<br />

˜ Persönliche Daten (Name, Geburtsort, Adresse etc.)<br />

˜ Persistente Daten (Diagnosen, Dauermedikation,<br />

Familienanamnese etc.)<br />

˜ Ereignisse<br />

˜ Episoden<br />

Die Ordner Ereignisse und Episoden stellen dabei keine<br />

disjunkten Mengen dar. Ein Beispiel einer Ordnerstruktur<br />

zeigt die Abbildung 5.<br />

Composition Das Paket definiert die zur Speicherung<br />

von Informationseinheiten erforderlichen Strukturelemente.<br />

Eine Composition ist Bestandteil eines EHR und<br />

stellt die Instanziierung eines Archetypen und damit dessen<br />

Ausprägung zu einer konkreten Informationseinheit<br />

dar. Eine Composition enthält Sections zur logischen Gruppierung,<br />

die weitere Sections oder zur fachlichen Zuordnung<br />

Entrys enthalten können. Dabei werden im Kontext<br />

dieses Teilmodells nur fachliche Aussagen getroffen, während<br />

die Komposition komplexer Datenstrukturen im Teilmodell<br />

Data Structures erfolgt. Composition, Section und<br />

Entry können die Wurzeln eines Archetypen sein und werden<br />

daher als »archetypable« bezeichnet. Beispiel: Der<br />

Archetyp blood pressure measurement ist vom Typ Observation<br />

und damit Unterklasse von Entry.<br />

Data Structures Enthält Strukturen zur Definition<br />

komplexer Datenstrukturen wie z.B. Liste und Tabelle. Ein<br />

Zeit-Konzept (History) ermöglicht die Verknüpfung von<br />

Datenstrukturen mit Ereignissen auf der Zeitachse. Auch<br />

Datenstrukturen sind »archetypable«. Beispiel: Im Arche-<br />

Abbildung 4:<br />

<strong>openEHR</strong> Reference<br />

Information Model<br />

(Teilmodelle EHR und<br />

Composition) sowie<br />

verknüpfte Teilmodelle.<br />

Forum der Medizin_Dokumentation und Medizin_<strong>Informatik</strong> 1/2005<br />

11


Fachbeiträge<br />

<strong>openEHR</strong><br />

als ADL-Sprachkonstrukt oder als Instanz des AOM vorliegen.<br />

ADL und AOM sind hinsichtlich ihrer Ausdrucksstärke<br />

äquivalent zueinander.<br />

ADL ist in zwei weitere Sprachen dADL sowie cADL für<br />

unterschiedliche Anwendungsfälle aufgeteilt und verbindet<br />

deren Ausdrücke zu einer kompakten Archetypbeschreibung.<br />

Die Sprache dADL dient der Definition einer<br />

konkreten Objektinstanz, während in cADL Regeln bzgl.<br />

Typ und Attributen einer Objektinstanz formuliert werden.<br />

ADL und damit implizit auch eine Instanz des AOM<br />

beschreiben einen Archetyp in den vier Abschnitten Identifikation,<br />

Beschreibung, Definition und Ontologie.<br />

Identifikation Jeder Archetyp wird durch einen<br />

Identifikator eindeutig bestimmt und ggf. von einem<br />

anderen Archetypen abgeleitet. Folgendes Statement<br />

stellt eine eindeutige Benennung des Archetypen blood<br />

pressure dar.<br />

archetype (adl_version=1.2)<br />

<strong>openEHR</strong>-EHR-OBSERVATION.blood_pressure.v1<br />

Abbildung 5:<br />

Beispiel für eine<br />

Ordnerstruktur, die<br />

durch Objekte aus dem<br />

EHR-Teilmodell realisiert<br />

werden kann.<br />

Die dunkelgrauen<br />

Rechtecke stellen<br />

Instanzen der<br />

Referenzmodell-Klasse<br />

Folder dar und dienen<br />

der nicht notwendigerweise<br />

disjunkten<br />

Einordnung von<br />

Informationseinheiten.<br />

typ blood pressure measurement ist das Messergebnis<br />

blood pressure einem Ereignis (dem Messvorgang baseline<br />

reading) untergeordnet. Aber auch das Messergebnis<br />

selbst ist ein eigenständiger Archetyp.<br />

Data Types Beschreibt grundlegende »fortgeschrittene«<br />

Datentypen wie (kodierbarer) Text, allgemeine Messgröße,<br />

Datum etc. Die verschiedenen Messgrößen sind<br />

detailliert modelliert (z.B. dimensionslose Größe, Wert<br />

mit Maßeinheit, Intervall, Verhältnis etc.). Beispiel: Der<br />

systolische Blutdruck ist eine einfache Messgröße bestehend<br />

aus Messwert und Maßeinheit.<br />

EHR Extract Beschreibt zum EHR-Teilmodell korrespondierende<br />

Klassen, um ein Teilsystem eines EHR zu<br />

einem »Extrakt« zu isolieren und beispielsweise im Rahmen<br />

eines Kommunikationsvorgangs zu versenden.<br />

Archetype Definition Language<br />

und Archetypobjektmodell<br />

Die als <strong>openEHR</strong>-Spezifikation vorliegende Archetype<br />

Definition Language ADL ist eine formale Sprache zur<br />

Beschreibung von Archetypen. Sie legt fest, wie Klassen<br />

des Referenzmodells zu einem fachlichen Begriff kombiniert<br />

werden müssen und welche elementaren Daten sie<br />

enthalten dürfen. Für jeden Archetyp wird ein ADL-Konstrukt<br />

in Textform angegeben, das analog zu XML/DOM<br />

auch als hierarchische Objektstruktur interpretiert werden<br />

kann. Diese Objektstruktur stellt eine Instanziierung<br />

des Archetypobjektmodells AOM dar, welches ebenfalls als<br />

Spezifikationsdokument vorliegt. Ein Archetyp kann somit<br />

Eine Verbindung des Archetypen mit einem Begriff<br />

wird durch das Concept-Statement hergestellt. Im folgenden<br />

Beispiel wird dazu mit der lokalen Referenz<br />

at0000 auf einen Eintrag im Ontologie-Abschnitt (s.u.)<br />

verwiesen.<br />

concept<br />

[at0000] -- blood pressure<br />

Beschreibung Dieser Abschnitt enthält die Meta-<br />

Daten eines Archetypen und umfasst Details zu Zweck,<br />

Anwendungsgebiet und Ersteller des Archetypen sowie<br />

Informationen zum Revisionsverfahren im Rahmen der<br />

Aufnahme in eine global verfügbare Archetyp-Bibliothek.<br />

Die Beschreibungsdetails können in verschiedenen Sprachen<br />

enthalten sein. Die Beschreibung wird in dADL<br />

kodiert:<br />

description<br />

original_author = <br />

description("de") = <<br />

purpose = <br />

[...]<br />

Definition In Form von Einschränkungsregeln (constraints)<br />

werden erlaubte Objektstrukturen formuliert. Dazu<br />

wird für einen Archetypen im Detail festgelegt, welche<br />

Klassen des Referenzmodells instanziiert werden, wie sie<br />

hierarchisch gruppiert sind und welche Attributwerte bzw.<br />

Assoziationen erlaubt sind. Für jede Instanziierung einer<br />

Referenzmodellklasse muss eine eigene Einschränkungsregel<br />

angegeben werden.<br />

12 Forum der Medizin_Dokumentation und Medizin_<strong>Informatik</strong> 1/2005


Fachbeiträge<br />

<strong>openEHR</strong><br />

Der Definitionsabschnitt wird in der Sprache cADL verfasst.<br />

Das folgende Beispiel zeigt einen Ausdruck für den<br />

diastolischen Blutdruck.<br />

ELEMENT[at00005] matches { -- diastolic blood pressure<br />

value matches {<br />

QUANTITY matches {<br />

magnitude matches {0..1000}<br />

property matches {"pressure"}<br />

units matches {"mm[Hg]"}<br />

}<br />

}<br />

}<br />

Der Ausdruck legt unter Verwendung einer lokal gültigen<br />

ID (archetype term) fest, dass zur Erstellung einer Informationseinheit<br />

für den diastolischen Blutdruck die Klasse<br />

Element aus dem Referenzmodell instanziiert werden<br />

muss und die Assoziation value auf eine weitere Instanz<br />

vom Typ Quantity zeigen muss, für die Einschränkungen<br />

bzgl. der Attribute definiert sind.<br />

Ontologie Der Ontologie-Abschnitt fügt der Objektstruktur<br />

des Archetypen eine Semantik hinzu. Dazu können<br />

für verschiedene Sprachen textuelle Beschreibungen<br />

des Archetypen und der einzelnen Informationseinheiten<br />

hinterlegt werden (term definition) und Verknüpfungen<br />

zu einer Terminologie hergestellt werden (term binding).<br />

Ein in dADL kodiertes Beispiel sieht wie folgt aus:<br />

term_definitions("en") = <<br />

items("at0005") = <<br />

text = <br />

description = <br />

><br />

><br />

term_binding("SNOMED-CT") = <<br />

items("at0005") = <br />

><br />

Der Ontologie-Abschnitt stellt keine Definition einer Ontologie<br />

dar. Vielmehr erfolgt hier die Verknüpfung mit einer<br />

Ontologie (oder mehreren).<br />

Templates<br />

Archetypen beschreiben die Struktur von Informationseinheiten<br />

zur Darstellung von Begriffen im Informationssystem,<br />

nicht jedoch deren Repräsentation oder Nutzungskontext.<br />

Zur Laufzeit ist es aber erforderlich, Archetypen<br />

zu kombinieren, um sie z.B. dem Nutzer in einem Bildschirmformular<br />

zu präsentieren, Archetypen bei der Erzeugung<br />

mit Default-Werten zu versehen oder Archetypen je<br />

nach Anwendungssituation weiter einzuschränken. Dazu<br />

sieht <strong>openEHR</strong> das Konzept der Templates vor, die zukünftig<br />

mit Hilfe der Sprache tADL beschrieben werden sollen.<br />

Einrichtungen und Beteiligte der <strong>openEHR</strong>-Initiative<br />

CHIME/UCL<br />

Das Centre for Health Informatics and Multiprofessional<br />

Education am University College London war<br />

federführend im GEHR-Projekt und hat die open-<br />

EHR-Initiative begründet. Sehr aktive Beteiligte<br />

sind David Lloyd (Koordinator des GEHR-Projekts),<br />

Dr. Dipak Kalra und Prof. David Ingram.<br />

http://www.chime.ucl.ac.uk/<br />

Ocean Informatics<br />

Die australische Firma Ocean Informatics entstand<br />

im Rahmen der <strong>openEHR</strong>-Gründung und möchte<br />

die Konzepte dieses Ansatzes und die OpenSource-<br />

Software kommerziell einsetzen. Bekannt als open-<br />

EHR-Mitbegründer sind Dr. <strong>Peter</strong> Schloeffel,<br />

Dr. Sam Heard und Thomas Beale.<br />

http://www.oceaninformatics.biz/<br />

DSTC<br />

Das Distributed Systems Technology Centre ist ein<br />

australisches Joint Venture aus Industrie, Regierung<br />

und Forschungseinrichtungen zur Erforschung und<br />

Entwicklung sicherer verteilter Systeme. Langjährig<br />

Erläuterung von Begriffen im <strong>openEHR</strong>-Kontext<br />

Eine Entität ist ein in der realen Welt eindeutig<br />

identifizierbares Objekt, das entweder materiell<br />

existiert, wie z.B. ein Messgerät, oder ein immaterielles<br />

Konzept darstellt, wie z.B. eine Krankheit. In<br />

der Regel ist eine Klasse hinsichtlich bestimmter<br />

Eigenschaften gleicher Objekte gemeint (z.B. Person)<br />

und nicht eine spezielle<br />

Ausprägung/Instanz dieser Klasse<br />

(z.B. »Herr Meier«).<br />

Begriff meint das gedankliche Konzept eines<br />

möglicherweise komplexen Sachverhalts. Das DIN<br />

definiert Begriff als Denkeinheit, die aus einer<br />

Menge von Gegenständen unter Ermittlung der<br />

diesen Gegenständen gemeinsamen Eigenschaften<br />

mittels Abstraktion gebildet wird. Ein Bezeichner<br />

ist die Repräsentation des Begriffs in einer<br />

Sprache.<br />

Ein Referenzmodell ist ein Modell, das als<br />

idealtypisch für die Klasse der zu modellierenden<br />

Sachverhalte betrachtet werden kann. Im <strong>openEHR</strong>-<br />

Ansatz beschreibt das Referenzmodell Bausteine,<br />

die instanziiert, mit Daten gefüllt und zu den<br />

eigentlichen Informationseinheiten zusammengesetzt<br />

werden können.<br />

Archetyp bedeutet Urform oder Musterbild und<br />

meint hier die Beschreibung des Aufbaus einer<br />

Informationseinheit. Ein Archetyp legt fest, wie<br />

Objekte des Referenzmodells zur Darstellung eines<br />

Begriffs im Computersystem miteinander kombiniert<br />

und welche Werte darin gespeichert werden<br />

dürfen. Ein Archetyp ist unabhängig von Terminologie<br />

und Sprache, da er den Begriff, das gedankliche<br />

Konzept, repräsentiert. Im Ontologieabschnitt einer<br />

aktiv im <strong>openEHR</strong>-Projekt sind Dr. Linda Bird und<br />

Dr. Andrew Goodchild.<br />

http://www.dstc.edu.au/<br />

<strong>openEHR</strong> Foundation<br />

Die <strong>openEHR</strong> Foundation wurde zur Weiterentwicklung<br />

der GEHR- und CEN EN 13606-Konzepte im<br />

Jahre 2000 gegründet und sieht ihre Arbeit als<br />

unabhängig und nichtkommerziell orientiert. Die<br />

Gründungsmitglieder sind Prof. David Ingram,<br />

Dr. <strong>Peter</strong> Schloeffel, Dr. Sam Heard, Dr. Dipak Kalra,<br />

David Lloyd und Thomas Beale. Ein Architecture<br />

Review Board unter der Leitung von Thomas Beale<br />

und mit Mitgliedern der Universitäten Aalborg und<br />

Tromsø, der Firma Ocean Informatics, dem CHIME<br />

sowie dem autralischen Department of Health and<br />

Ageing wacht über die <strong>openEHR</strong>-Architektur.<br />

http://www.openehr.org/<br />

Über die genannten Einrichtungen hinaus haben<br />

viele weitere Beteiligte zur <strong>openEHR</strong>-Architektur,<br />

der Software und der Archetypen-Bibliothek<br />

beigetragen.<br />

Archetyp-Definition sind Hinweise enthalten, die es<br />

im idealen Fall jedem Nutzer auf der Welt ermöglichen<br />

sollen, mit dem Archetypen einen Begriff zu<br />

verbinden. So könnte ein Archetyp für den Begriff<br />

Blutdruck dort Übersetzungen in verschiedene<br />

Sprachen (z.B. blood pressure, pression artérielle,<br />

pressão arterial) und Codes von Terminologiesystemen<br />

(z.B. MeSH: G09.330.553.400.114) enthalten.<br />

In <strong>openEHR</strong> werden Archetypen in der<br />

Sprache ADL verfasst.<br />

Eine Terminologie ist die Gesamtheit der in<br />

einem Fachgebiet üblichen Fachwörter und -ausdrücke.<br />

Sie umfasst also eine Menge von Bezeichnern,<br />

mit denen man etwas benennen kann.<br />

Eine Ontologie ist ein formal definiertes System<br />

von Entitäten (Dingen, Konzepten) und ihren<br />

Beziehungen zueinander. Sie beschreibt also, wie<br />

etwas ist.<br />

Mit Semantik ist hier die Bedeutung einer vorliegenden<br />

Dateneinheit für einen Betrachter<br />

gemeint. Kann der Betrachter mit den Zeichenfolgen<br />

der Dateneinheit einen Begriff verbinden, so<br />

haben sie für ihn eine Bedeutung.<br />

Eiffel ist eine objektorientierte Programmiersprache,<br />

die um 1985 entstanden ist. Sie realisiert<br />

fortgeschrittene Merkmale des objektorientierten<br />

Paradigmas wie z.B. multiple Vererbung. Als Erfinder<br />

des »Design by contract«-Prinzips gilt Eiffel als<br />

Entwicklungsmethode für saubere und stabile Software<br />

und wird von den <strong>openEHR</strong>-Entwicklern für<br />

die Implementierung des Referenzmodells<br />

geschätzt.<br />

Forum der Medizin_Dokumentation und Medizin_<strong>Informatik</strong> 1/2005<br />

13


Fachbeiträge<br />

<strong>openEHR</strong><br />

Ausgewählte<br />

<strong>openEHR</strong>-Projekte<br />

Archetyp-System<br />

Für den institutionsübergreifenden Informationsaustausch<br />

muss der jeweilige Empfänger eines Datenpakets<br />

(z.B. eines EHR Extracts, siehe Referenzmodell) diese<br />

Daten interpretieren und daher die verwendeten Begriffsstrukturen<br />

kennen. <strong>openEHR</strong> sieht in Form des Archetype-<br />

Systems den Aufbau einer gemeinsam genutzten und<br />

gemeinsam erweiterbaren globalen Bibliothek von Archetypen<br />

vor, indem Geschäftsprozesse und Schnittstellen<br />

für dieses System spezifiziert werden. Im Authoring Network<br />

wird der Erstellungs- und Revisionsprozess für Archetypen<br />

festgelegt, während im Dissemination Network die<br />

gemeinsame Nutzung dieser Bibliothek beschrieben ist.<br />

Von GEHR über <strong>openEHR</strong><br />

zum europäischen Standard<br />

Die <strong>openEHR</strong> zugrunde liegenden Konzepte wurden im<br />

europäisch geförderten Projekt GEHR (Good European<br />

Health Record, 1992–1995) entwickelt und realisieren<br />

im Wesentlichen den bereits beschriebenen Ansatz des<br />

generischen Modells eines EHR. Im so genannten GEHR<br />

Object Model GOM wird die Gesundheitsakte als eine<br />

Menge erbrachter Leistungen (Transactions) angesehen,<br />

zu jeder Leistung wiederum eine Menge von Ergebnissen<br />

(Observations) gehörend. Die Resultate dieses Projekts<br />

flossen zu einem großen Teil in den europäischen Standard<br />

ENV 12265 Electronic Healthcare Record Architecture<br />

(1995) und damit auch in die Nachfolgerversion ENV<br />

13606 (1999) ein, dort bereits ergänzt um ein Begriffssystem<br />

zum Füllen der generischen Datencontainer. Die<br />

Spezifikation des CEN-Standards wurde begleitet durch<br />

die EHCR-SupA (Electronic Healthcare Record Support<br />

Action, ca. 1997–2000) unter Federführung des CHIME<br />

(Centre for Health Informatics and Multiprofessional Education)<br />

am University College London.<br />

Der ENV 12265 und damit die GEHR-Architektur wurden<br />

in den Synapses/SynEx-Projekten (1996–2000) verwendet,<br />

um klinische Datenbanken zu einem verteilten<br />

System zu vernetzen. GEHR fand auch außerhalb Europas<br />

Interesse und wurde zur Fortführung dieser Arbeiten<br />

insbesondere in Australien in Good Electronic Health<br />

Record umbenannt (1998–2001). Der originale GEHR-<br />

Ansatz eines generischen Modells wurde in Anlehnung<br />

an den ENV 13606 um ein ausgefeiltes Archetypen-Modell<br />

ergänzt und das Referenzmodell in verschiedenen Iterationen<br />

überarbeitet. Das resultierende Konzept stellt eine<br />

Verschmelzung von GEHR, Synapses/SynEx und Teilen des<br />

ENV 13606 von 1999 dar. Die im Jahre 2000 durch Initiative<br />

des CHIME gegründete <strong>openEHR</strong> Foundation propagiert<br />

dieses Konzept als Open-Source-Ansatz für elektronische<br />

Gesundheitsakten unter dem Namen <strong>openEHR</strong>.<br />

Der Ansatz hat nicht zuletzt durch das Engagement der<br />

Beteiligten großen Einfluss auf den in Abstimmung befindlichen<br />

neuen CEN-Standard prEN 13606 ausgeübt, der<br />

seit 2001 durch die unter wesentlicher Beteiligung ehemaliger<br />

GEHR-Mitglieder im CEN TC/251 gebildete Task<br />

Force EHRcom fortgeschrieben wird. Im 2nd Working Draft<br />

wird der bisherige Teil 1 Extended Architecture durch<br />

einen überarbeiteten Teil 1 Reference Model ersetzt und<br />

ein neuer Teil 2 Archetype Interchange Specification für<br />

die Archetype Language und das Archetype Model hinzugefügt.<br />

Diskussion<br />

Die <strong>openEHR</strong>-Architektur ermöglicht es, klinische<br />

Informationen einrichtungsübergreifend austauschbar<br />

zu machen. Ein allen Nutzern zugängliches (und lokal<br />

GEHR<br />

Das EU-Projekt Good European Health Record (1992–<br />

1995) aus dem 3. Rahmenprogramm Advanced Informatics<br />

in Medicine AIM bildete mit seinen Ergebnissen die<br />

Basis für die Weiterentwicklung zum <strong>openEHR</strong>-Konzept.<br />

Hier entstand das GEHR Object Model als Vorläufer des<br />

<strong>openEHR</strong>-Referenzmodells.<br />

Synapses/SynEx<br />

Ziel der EU-Projekte Synapses und nachfolgend SynEx<br />

(1996-2000) [9] war Spezifikation und Entwicklung einer<br />

Architektur zur Verbindung klinischer Informationssysteme<br />

zu einem Federated Healthcare Record. Der Synapses-Server<br />

kapselt die so genannten Feeder Systems vergleichbar<br />

einer verteilten Datenbank. Die verwendeten Konzepte<br />

basieren auf dem ENV 12265 und damit auf GEHR. Die<br />

Synapses-Projekte dienten der grundsätzlichen Exploration<br />

der Architektur und realisierten kein produktiv einsetzbares<br />

System.<br />

GPCG-Projekte<br />

In Australien wurden Versuche zum automatischen Export<br />

aus proprietären Informationssystemen in eine Patientenakte<br />

nach GEHR-Struktur durchgeführt [2]. Unter der<br />

Bezeichnung Open Architecture Clinical Information<br />

System (OACIS) wurde ein Informationssystem erprobt, um<br />

medizinische Daten vom Krankenhaus zu niedergelassenen<br />

Ärzten zu kommunizieren. Das GP Software Integration<br />

Project beschäftigte sich mit dem Transfer Diabetesrelvanter<br />

Informationen (Diagnose, Medikation, Therapieplan<br />

etc.) zwischen niedergelassenen Einrichtungen.<br />

HealthConnect<br />

HealthConnect ist die Initiative der australischen Regierung<br />

für eine nationale Gesundheitsplattform. Für jeden<br />

Patienten, der seine Zustimmung zur Teilnahme gegeben<br />

hat, soll ein HealthConnect EHR angelegt werden, dem<br />

durch medizinische Leistungserbringer nach einem<br />

Patientenkontakt eine Zusammenfassung über erbrachte<br />

Leistungen und Ergebnisse (event summary) hinzugefügt<br />

werden kann. Die HealthConnect Business Architecture<br />

nimmt in der aktuellen Version 1.9 Bezug auf das neue<br />

Referenzmodell des prEN 13606 und den Archetypansatz.<br />

Nach einer Vorlaufzeit werden seit 2002 zur Erprobung<br />

verschiedener Technologie-Alternativen in einigen australischen<br />

Provinzen geförderte Pilotstudien durchgeführt,<br />

wobei in der Region Brisbane Southside seit 2004 die<br />

<strong>openEHR</strong>-Software zum Einsatz kommt und damit erstmalig<br />

einer klinischen Eignungsprüfung unterzogen wird<br />

[10].<br />

Aktuelle Entwicklungsprojekte können auf der <strong>openEHR</strong>-<br />

Webseite eingesehen werden:<br />

http://www.openehr.org/projects/t_projects.htm<br />

14 Forum der Medizin_Dokumentation und Medizin_<strong>Informatik</strong> 1/2005


Fachbeiträge<br />

<strong>openEHR</strong><br />

erweiterbares) Begriffssystem wird getrennt von den<br />

Nutzdaten verwaltet und kann durch einen gemeinsamen,<br />

kontrollierten Prozess angepasst und erweitert werden,<br />

ohne dass Softwareänderungen nötig sind. Aufgrund<br />

eines langjährigen konsequenten Verbesserungsprozesses,<br />

eines kontinuierlichen Abgleichs mit den relevanten<br />

internationalen Standards und des Engagements<br />

der beteiligten Forscher liegt ein weit fortgeschrittenes<br />

Konzept vor, das den aktuellen prEN 13606 wesentlich<br />

geprägt hat und darüber hinaus Potenzial für einen ISO-<br />

Standard besitzt. Obgleich der <strong>openEHR</strong>-Ansatz und dessen<br />

Vorläufer im vergangenen Jahrzehnt mehrfach im<br />

klinischen Bereich erprobt wurden, konnte jedoch bisher<br />

eine Eignung für den produktiven Einsatz nicht nachgewiesen,<br />

allerdings auch nicht widerlegt werden. Die<br />

nicht unerhebliche Überarbeitung des ursprünglichen<br />

ENV 13606 in Richtung <strong>openEHR</strong>-Konzept stellt darüber<br />

hinaus die Abwärtskompatibilität des zukünftigen EN<br />

13606 in Frage.<br />

Die Modellierung von Archetypen und damit die Erstellung<br />

einer gemeinsamen Begriffsbibliothek ist aufwändig.<br />

Der Archetyp für das vergleichsweise einfache Konzept<br />

einer Blutdruckmessung umfasst in der derzeitigen<br />

Form bereits 529 Codezeilen. Eine umfangreiche Archetypen-Bibliothek<br />

ist aber für den produktiven klinischen<br />

Einsatz notwendig und erfordert also zunächst aufwändige<br />

Vorleistungen. Mit <strong>openEHR</strong> soll allerdings keine<br />

Ontologie erstellt werden. Vielmehr sieht die Architektur<br />

vor, die modellierten Datenstrukturen mit Ontologien zu<br />

verknüpfen.<br />

Vergleicht man <strong>openEHR</strong> mit dem Ansatz der HL7 Clinical<br />

Document Architecture [8], erscheint Letzterer intuitiv<br />

besser fassbar. Im klinischen Bereich wird seit jeher<br />

dokumentenorientiert gedacht und gearbeitet, während<br />

sich Begriffe und Wissen nur schwer greifbar allein in den<br />

Köpfen manifestieren. Erstellung und Handhabung von<br />

Archetypen durch den Kliniker würde daher ein Umdenken<br />

erfordern, aber möglicherweise auch die Reflexion<br />

über das eigene Begriffssystem anregen und vielleicht<br />

auch dadurch zu einer besseren Dokumentation führen.<br />

Weiterhin muss man sich die Frage stellen, ob Informationen<br />

der Patientenakte wirklich auf internationaler<br />

Ebene austauschbar, ja sogar an jedem Ort der Welt durch<br />

die Verknüpfungen zu Ontologien interpretierbar sein<br />

müssen. Grundsätzliche Fragen zum Informationsaustausch<br />

auf regionaler Ebene, wie z.B. Sicherheit, Patientenvertrag,<br />

eindeutige Patientenidentifikation und klinische<br />

Pfade, werden durch <strong>openEHR</strong> nur am Rande oder<br />

gar nicht betrachtet. Von der Beantwortung derartiger<br />

Fragen hängt aber der Aufbau einer Informationsinfrastruktur<br />

im Gesundheitswesen zurzeit vorrangig ab. Auch<br />

der angestrebte OpenSource-Charakter des <strong>openEHR</strong>-<br />

Ansatzes widerspricht der Realität heutiger klinischer<br />

Informationssysteme, deren Landschaft dominiert wird<br />

durch wenige große Firmen, die zwar nicht unbedingt<br />

innovative Lösungen schaffen, dafür aber einen effektiven<br />

Einsatz ihrer Software garantieren.<br />

Die Plattform der <strong>openEHR</strong> Community bietet jedoch<br />

das Potenzial, auch im Bereich der Gesundheitssoftware<br />

von der Produktivität und dem Engagement eines Open-<br />

Source-Projekts zu profitieren. Schließlich beteiligen sich<br />

über diese Plattform an der Entwicklung viele renommierte<br />

Spezialisten mit langjähriger Erfahrung, und auch<br />

die Nutzer erhalten die Möglichkeit zur Einflussnahme.<br />

Für die Modellierung klinischer Terminologie gibt es keine<br />

bessere Alternative, als sie durch die klinischen Nutzer<br />

selbst durchführen zu lassen und die resultierenden Konzepte<br />

der Gemeinschaft zur Diskussion zu stellen. Es bleibt<br />

allerdings abzuwarten, ob die <strong>openEHR</strong>-Konzepte einerseits<br />

ausreichen, um in Ansätzen komplexes medizinisches<br />

Wissen auf Datenstrukturen abzubilden und andererseits<br />

einfach genug sind, um implementierbar und<br />

nutzbar zu bleiben.<br />

Literatur<br />

[1] <strong>openEHR</strong>-Architekturspezifikation: http://www.openehr.org/<br />

[2] Bird L., Goodchild A., Tun Z. Experiences with a Two-Level Modelling<br />

Approach to Electronic Health Records. J Res Prac Inf Tech. 2003; 35:<br />

121–38.<br />

[3] Rogers J, Roberts A, Solomon D, van der Haring E, Wroe C, Zanstra P,<br />

Rector A. GALEN ten years on: tasks and supporting tools. Medinfo. 2001;<br />

10(Pt 1): 256–60.<br />

[4] Dean M, Connolly D, van Harmelen F, Hendler J, Horrocks I, McGuinness<br />

DL, Patel-Schneider PF, Stein LA. OWL Web Ontology Language 1.0<br />

Reference, July 2002. http://www.w3.org/TR/owl-ref/.<br />

[5] Genesereth, M. et. al. (1998), »Knowledge Interchange Format« Draft<br />

proposed American National Standard (dpANS), NCITS.T2/98-004.<br />

[6] Hayes P, Menzel C. A semantics for the knowledge interchange format.<br />

Proceedings of IJCAI 2001 Workshop on the IEEE Standard Upper<br />

Ontology, Aug. 2001.<br />

[7] Beale T. Archetypes and the EHR. Stud Health Technol Inform. 2003;<br />

96: 238–44.<br />

[8] Dolin RH, Alschuler L, Beebe C et al. The HL7 Clinical Document<br />

Architecture. J Am Med Inform Assoc. 2001; 8: 552–69.<br />

[9] Grimson J, Stephens G, Jung B, Grimson W, Berry D, Pardon S. Sharing<br />

Health-Care Records over the Internet. IEEE Internet Computing. 2001;<br />

5: 49–58.<br />

[10] Goodchild A, Gibson K, Anderson L, Bird L. The Brisbane Southside<br />

HealthConnect Trial: Preliminary Results. HIC. 2004.<br />

Forum der Medizin_Dokumentation und Medizin_<strong>Informatik</strong> 1/2005<br />

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