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Ataxie - Engelhardt Lexikon Orthopädie und Unfallchirurgie

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PDF 00294<br />

<strong>Engelhardt</strong> (Hrsg.)<br />

<strong>Lexikon</strong> Orthopädie <strong>und</strong> <strong>Unfallchirurgie</strong><br />

<strong>Ataxie</strong><br />

Englischer Begriff<br />

Ataxia<br />

Definition<br />

Störung der Bewegungskoordination infolge Erkrankung zentralnervöser oder peripherer Strukturen.<br />

Pathogenese<br />

<strong>Ataxie</strong>n werden in erbliche, welche autosomal-dominant oder autosomal-rezessiv vererbt werden, <strong>und</strong> nichterbliche<br />

unterteilt. Bei den sporadischen <strong>Ataxie</strong>n kann weiter zwischen symptomatischen <strong>Ataxie</strong>n, die infolge<br />

einer bekannten Ursache bzw. Primärerkrankung auftreten wie z. B. bei alkoholbedingter<br />

Kleinhirnrindenatrophie, Enzephalitis, Vitaminmangelerkrankungen, immunvermittelten <strong>Ataxie</strong>n,<br />

paraneoplastischer Kleinhirndegeneration, degenerativen zerebellären <strong>Ataxie</strong>n (MSA-C, sporadische <strong>Ataxie</strong><br />

unklarer Genese), <strong>und</strong> idiopathischen oder sporadischen <strong>Ataxie</strong>n unterschieden werden.<br />

Symptome<br />

Bewegungen werden ataktisch genannt, wenn sie mit falschem Ausmaß, also dysmetrisch, <strong>und</strong> im<br />

Bewegungsablauf nicht flüssig, sondern asynergisch, d. h. verwackelt, ausgeführt werden.<br />

Man kann die verschiedenen Formen der <strong>Ataxie</strong> unterscheiden:<br />

1. Nach der Art der <strong>Ataxie</strong> unterscheidet man Rumpf-, Stand- <strong>und</strong> Gangataxie, lokomotorische <strong>Ataxie</strong> <strong>und</strong><br />

Dysdiadochokinese. Bei der Rumpfataxie kann der Patient nicht gerade sitzen, sondern fällt nach einer<br />

Seite oder nach hinten. Bei der Standataxie schwankt der Patient im Stehen, insbesondere bei Einnahme<br />

der Romberg-Stellung mit paralleler Bein- <strong>und</strong> Fußstellung, beim Gehen weicht der Patient zur Seite ab.<br />

Bei der Gangataxie ist der Gang breitbeinig, der Seiltänzergang nicht möglich. Von einer lokomotorischen<br />

<strong>Ataxie</strong> spricht man, wenn die Störungen vor allem bei Bewegung auftreten, nicht jedoch in Ruhe.<br />

Unter Dysdiadochokinese versteht man die Störung der Feinkoordination, alternierende Bewegungen werden<br />

nicht fließend durchgeführt, das Schriftbild ist gestört.<br />

1. Nach dem Ort der Schädigung unterscheidet man: zerebelläre <strong>Ataxie</strong>, afferente <strong>Ataxie</strong> bei Läsionen der<br />

Hinterstränge im Rückenmark (spinale <strong>Ataxie</strong>) oder Störung des peripheren Nervs (sensorische <strong>Ataxie</strong>),<br />

spinozerebelläre <strong>Ataxie</strong>, vestibuläre <strong>Ataxie</strong> durch Störung des Gleichgewichtssinns.<br />

Bei der zerebellären <strong>Ataxie</strong> liegt die Läsion im Kleinhirn, <strong>und</strong> es können eine Stand-, Gang- <strong>und</strong> Rumpfataxie<br />

auftreten. Bei einer Erkrankung des Archizerebellums haben die Patienten eine Rumpf-, Stand-<strong>und</strong> Gangataxie.<br />

Die Patienten können die Bewegungsstörung nicht mithilfe visueller Kontrolle kompensieren. Es besteht keine<br />

Extremitätenataxie. Eine Störung des Palaeozerebellums erzeugt eine Stand- <strong>und</strong> Gangatxie, die Stabilisation<br />

des Rumpfs ist möglich. Die Patienten stürzen im Allgemeinen nicht. Bei Erkrankungen des Neozerebellums sind<br />

Extremitäten- <strong>und</strong> Augenbewegungen dysmetrisch.<br />

Bei der afferenten <strong>Ataxie</strong> handelt es sich vorwiegend um eine lokomotorische <strong>Ataxie</strong>, die bei Bewegung auftritt<br />

<strong>und</strong> sich bei Dunkelheit oder geschlossenen Augen verschlechtert. Visuelle Kontrolle kann die ataktische<br />

Störung bessern.<br />

Bei vestibulären Erkrankungen tritt eine Rumpfataxie auf, es besteht keine Zeigeataxie.<br />

1. Weiterhin werden Gruppen neurodegenerativer Erkrankungen als <strong>Ataxie</strong>n bezeichnet <strong>und</strong> z. B. je nach<br />

der Erkrankungsart in spinozerebelläre <strong>und</strong> autosomal-dominant vererbte <strong>Ataxie</strong>n unterschieden.<br />

a. Neurodegenerative Erkrankungen: Spinozerebelläre <strong>Ataxie</strong> bezeichnet eine Gruppe neurodegenerativer<br />

erblicher Erkrankungen, die mit Gangunsicherheit, Gleichgewichtsstörungen <strong>und</strong> Dysarthrie einhergehen<br />

<strong>und</strong> gleichzeitig im Namen den Läsionsort angeben.<br />

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Bisher konnten 13 verschiedene Typen genetisch identifiziert werden. Die beiden wichtigsten sind 1.)<br />

autosomal-dominant vererbt (Genlokus 6p23), Beginn zwischen 30. <strong>und</strong> 40. Lebensjahr, Optikusatrophie,<br />

Störungen der Augenmuskulatur bis zur Ophtalmoplegie, Schluckstörungen, mehr als 40 Cytosin-Adenin-<br />

Guanin-Kopien, <strong>und</strong> die 2.) Friedreich-<strong>Ataxie</strong>, autosomal-rezessiv vererbt (Mutation des Trinukleotidrepeats GAA<br />

im Genlokus 9q13), Beginn späte Kindheit, frühes Erwachsenenalter, schwere Stand-, Gang- <strong>und</strong><br />

Extremitätenataxie, Areflexie, sensible Störungen, Dysarthrie, gelegentlich Paraspastik, häufig<br />

Skelettdeformitäten, Friedreich-Fuß, Kardiomyopathie <strong>und</strong> Diabetes mellitus, progredient, keine Remission, aber<br />

stabile Phasen möglich.<br />

a. Autosomal-dominante zerebellare <strong>Ataxie</strong> (ADCA; Nonne-Marie-Krankheit): autosomal-dominant vererbt,<br />

Erkrankungsbeginn 30. bis 50. Lebensjahr, spinozerebelläre Atrophie mit Degeneration von Kleinhirn,<br />

Pons, spinalen Bahnen, Vorderhörnern, Substantia nigra, Großhirnkortex, oder auch reine zerebellare<br />

Formen. Es werden vier verschiedene Typen unterschieden, denen unterschiedliche Genloki zugeordnet<br />

werden (siehe Tabelle 1).<br />

b. Idiopathische zerebelläre <strong>Ataxie</strong> (IDCA): sporadisch auftretende progressive <strong>Ataxie</strong> im Erwachsenenalter;<br />

es können eine olivopontozerebelläre von einer rein zerebellären Form unterschieden werden.<br />

Tabelle 1.<br />

Autosomal-dominante <strong>Ataxie</strong>n.<br />

Typ Symptome<br />

Bezeichnung Genort<br />

I<br />

progressive <strong>Ataxie</strong> mit Sakkadenverlangsamung,<br />

Pyramidenbahnzeichen, Muskelatrophien,<br />

Sensibilitätsstörungen, Optikusatrophie, Demenz<br />

SCA1<br />

Chromosom<br />

6<br />

SCA2<br />

Chromosom<br />

12<br />

SCA3<br />

Chromosom<br />

14<br />

SCA4<br />

Chromosom<br />

16<br />

SCA6<br />

Chromosom<br />

19<br />

II progressive <strong>Ataxie</strong> mit pigmentärer Retinadegeneration SCA7 Chromosom<br />

3<br />

III rein zerebelläre <strong>Ataxie</strong> SCA5 Chromosom<br />

11<br />

IV<br />

zerebelläre <strong>Ataxie</strong> mit Myoklonien <strong>und</strong> Taubheit<br />

Diagnostik<br />

Klinische Untersuchung: Standversuche (Romberg-Test), Gangprüfungen mit offenen <strong>und</strong> geschlossenen Augen,<br />

Seiltänzergang; Zeigeversuche: Knie-Hacken-Versuch, Finger-Nase-Versuch, Zielbewegungen.<br />

Zusatzdiagnostik: Kernspintomographie von Kopf <strong>und</strong> Rückenmark zur Darstellung von Kleinhirnprozessen bzw.<br />

-atrophie <strong>und</strong> Rückenmarkläsionen bzw. –atrophie; Nervenleitgeschwindigkeitsmessung: Nachweis einer<br />

Polyneuropathie; genetische Tests (Molekulargenetik) zum Nachweis <strong>und</strong> zur Klassifikation erblicher <strong>Ataxie</strong>n.<br />

Differenzialdiagnose<br />

Hemiparesennachweis der Parese, Bewegungsstörung nur auf gelähmte Seite begrenzt; bei choreatischen<br />

Syndromen Nachweis weiterer Zeichen einer Basalganglienerkrankung <strong>und</strong> niedriger Muskeltonus.<br />

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Therapie<br />

Symptomatische <strong>Ataxie</strong>: je nach Gr<strong>und</strong>erkrankung; erbliche <strong>und</strong> sporadische <strong>Ataxie</strong>n: meist nur symptomatisch<br />

Krankengymnastik <strong>und</strong> Ergotherapie.<br />

Medikamentöse Therapie<br />

Spinozerebelläre <strong>Ataxie</strong>n: 5-HT1A-Rezeptorantagonist Buspiron; Friedreich-<strong>Ataxie</strong>: Ibenone; episodische<br />

<strong>Ataxie</strong>n: Azetazolamid; MSA-C: Amantadin, Versuch mit L-Dopa; paraneoplastische zerebelläre Degeneration:<br />

Immunglobuline, Immunsuppressiva.<br />

Bewertung<br />

Symptomatische <strong>Ataxie</strong>n erholen sich entsprechend der Gr<strong>und</strong>erkrankung, z. B. bei Kleinhirninfarkt <strong>und</strong><br />

paraneoplastischem Prozess, oder sind progredient wie bei den neurodegenerativen Erkrankungen.<br />

Nachsorge<br />

Logopädie, Physiotherapie.<br />

Autor<br />

Iris Reuter<br />

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