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Von der Wehnacht zur Weihnacht - Triangelis.de

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<strong>Von</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Wehnacht</strong> <strong>zur</strong> <strong>Weihnacht</strong><br />

Predigt zum Heiligen Abend 2010 von Pfarrerin Clarissa Graz<br />

Liebe Gemein<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Heiligen Nacht!<br />

Warum aus <strong>Wehnacht</strong> <strong>Weihnacht</strong> wird – so möchte ich meine Predigt heute <strong>zur</strong> Heiligen<br />

Nacht nennen.<br />

<strong>Wehnacht</strong> – dieses Wort hat mich berührt.<br />

Unfreiwillige, aber tiefsinnige Wortschöpfung eines Jungen, <strong><strong>de</strong>r</strong> ein „i“ vergisst. Diesen<br />

kleinsten unter <strong>de</strong>n Buchstaben, von <strong>de</strong>m schon in <strong><strong>de</strong>r</strong> Bibel steht, dass kein Iota<br />

fallen soll.<br />

Der Lehrer lässt kurz vor <strong>de</strong>m <strong>Weihnacht</strong>sfest noch ein Diktat schreiben. Um ein wenig<br />

vorweihnachtliche Stimmung in <strong>de</strong>n Schulalltag zu bringen, wählt er einen <strong>Weihnacht</strong>stext.<br />

Beim Korrigieren bleibt sein Blick an einem Fehler hängen. Einer seiner<br />

Schüler hat im Wort <strong>Weihnacht</strong> das „i“ vergessen. O weh! Aus <strong>Weihnacht</strong> wird <strong>Wehnacht</strong>.<br />

Das macht <strong>de</strong>n Lehrer nach<strong>de</strong>nklich, fast ein bisschen wehmütig– und nicht<br />

nur ihn.<br />

Ja, das wäre doch was. <strong>Weihnacht</strong>en <strong>de</strong>m Sinn nach wie<strong><strong>de</strong>r</strong> zu ent<strong>de</strong>cken. Ruhig<br />

falsch geschrieben, aber <strong>de</strong>nnoch tief empfun<strong>de</strong>n. Dem Sinn auf <strong><strong>de</strong>r</strong> Spur und nicht<br />

blos <strong><strong>de</strong>r</strong> Richtigkeit.<br />

<strong>Weihnacht</strong> und <strong>Wehnacht</strong> – das eine geht nicht ohne das an<strong><strong>de</strong>r</strong>e. Denn es ist doch<br />

offenkundig eine <strong>Wehnacht</strong> gewesen, damals in dieser Nacht in Bethlehem. Als eine<br />

junge Frau in <strong>de</strong>n Wehen liegt und Kaiser Augustus diktiert. Leben nach Diktat. Vieles<br />

kommt uns da bekannt vor:<br />

Das Diktat <strong><strong>de</strong>r</strong> Listen und Steuerbeschei<strong>de</strong>,<br />

das Diktat, sich or<strong>de</strong>ntlich zu führen und ausweisen zu können,<br />

das Diktat, doch gefälligst dorthin zu gehen, wo man herkommt,<br />

das Diktat, alles richtig machen zu wollen und keine Fehler zu machen, angepasst zu<br />

leben an das, was die Welt diktiert.<br />

Das Diktat, sich schätzen zu lassen.<br />

1


Das Diktat, <strong>de</strong>n Schatz seines eigenen Lebens womöglich preiszugeben an das, was<br />

einem an<strong><strong>de</strong>r</strong>e an Wertschätzung entgegen bringen o<strong><strong>de</strong>r</strong> eben auch nicht.<br />

Wer <strong>de</strong>m Sinn von <strong>Weihnacht</strong>en auf die Spur kommen will, fragt sich: Wer diktiert<br />

eigentlich mein Leben?<br />

Wer sagt eigentlich, was richtig ist?<br />

Und ist das Richtige immer auch das Sinnvolle?<br />

Wer diktiert <strong>de</strong>n Lauf <strong><strong>de</strong>r</strong> Welt?<br />

Und wer behauptet, dass das so in Ordnung ist?<br />

Wer diktiert, was oben und unten ist, was zählt und was nicht, wer wieviel wert ist<br />

o<strong><strong>de</strong>r</strong> noch weniger? Womit wollen wir uns abgeben: mit nackten Tatsachen o<strong><strong>de</strong>r</strong> mit<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> nackten Wahrheit? Das sind die Fragen dieser Nacht.<br />

Der Kaiser in <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Weihnacht</strong>sgeschichte ist an<strong><strong>de</strong>r</strong>s als bei An<strong><strong>de</strong>r</strong>sen nicht nackt – <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

trägt tatsächlich prächtige Klei<strong><strong>de</strong>r</strong> – nackt hingegen ist das Kind in <strong><strong>de</strong>r</strong> Krippe. Und es<br />

liegt damals und heute dort, weil an<strong><strong>de</strong>r</strong>e diktieren: kein Raum in <strong><strong>de</strong>r</strong> Herberge. Nackte<br />

Tatsache und nackte Wahrheit.<br />

Ja, so ist das in dieser Nacht. Eine aufwühlen<strong>de</strong> und auch beunruhigen<strong>de</strong> Nacht für<br />

alle, die ihr Leben nicht nur richtig, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n sinnvoll schreiben wollen. Für alle, die<br />

wehmütig spüren, <strong>Weihnacht</strong>en verloren zu haben, und sich entschie<strong>de</strong>n wünschen,<br />

sich <strong>Weihnacht</strong>en neu schenken zu lassen. Die zu Gott sagen: schenk mir was Sinnvolles!<br />

Denn mir ist weh und <strong><strong>de</strong>r</strong> Welt auch. Wehmut als Ausdruck menschlicher Regung<br />

für das Eigentliche, für das, wie es eigentlich gemeint ist, wie es sein könnte, ja,<br />

wie Gott es beschlossen hat, als aus <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Wehnacht</strong> <strong>Weihnacht</strong> wur<strong>de</strong>.<br />

Der <strong>Wehnacht</strong> entkommt niemand. Und in dieser Nacht re<strong>de</strong>t man <strong>de</strong>shalb auch<br />

nicht vom Wetter o<strong><strong>de</strong>r</strong> alltäglichem Kleinkram. In dieser Nacht gehen die Gedanken<br />

auf <strong>de</strong>n Grund. In <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Wehnacht</strong> lassen sich Liebe und Leid, Lust und Schmerz nicht<br />

mehr vertagen. In <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Wehnacht</strong> spürt <strong><strong>de</strong>r</strong> Mensch – gottlob – Sein o<strong><strong>de</strong>r</strong> Nichtsein,<br />

Leben und Tod, Liebe und Leid. Gewaltig ist diese Nacht. Und gewalttätig. Heute<br />

Nacht kann sich keiner vertagen. Und <strong>de</strong>shalb fin<strong>de</strong>t in dieser Nacht Klärung statt:<br />

wer mit wem? Wozu?<br />

2


Schieben wir also die Wehmut nicht weg. Nicht heute Nacht. Lassen wir sie uns gefallen.<br />

Blicken wir nicht nur wehmütig <strong>zur</strong>ück, so als wäre es damals besser gewesen,<br />

nein. Son<strong><strong>de</strong>r</strong>n: Nehmen wir unser Weh und Ach im eigenen Herzen und bringen`s<br />

<strong>de</strong>m, <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Weihnacht</strong> wer<strong>de</strong>n lässt. Der mitten im „Wehe, wehe, wenn ich auf<br />

das En<strong>de</strong> sehe“, einen neuen Anfang wagt, unter Wehen geboren wird und zu <strong>de</strong>nen<br />

kommt und geht, <strong>de</strong>nen es weh ist ums Herz und an Leib und Leben. Nehmen wir<br />

<strong>Wehnacht</strong> ernst. Und <strong>Weihnacht</strong> erst recht. Fangen wir am Anfang an, dort, wo die<br />

Menschen am En<strong>de</strong> sind: bei <strong>de</strong>n Wehen Mariens und bei <strong>de</strong>n Wehen <strong><strong>de</strong>r</strong> Welt.<br />

Beim Weh <strong>de</strong>s eigenen Herzens, das eben nicht aus Stein ist, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n empfin<strong>de</strong>n<br />

kann und fühlen. In dieser Nacht ganz beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s.<br />

Aus <strong>Wehnacht</strong> wird <strong>Weihnacht</strong>, damit neuer Mut weht.<br />

Für die, die ihre Wehmut in Wehrmut ertrinken.<br />

Für die, die wie die Hirten frieren in <strong><strong>de</strong>r</strong> Nacht.<br />

Für die, die keinen Raum haben in <strong><strong>de</strong>r</strong> Herberge.<br />

Für die, <strong>de</strong>nen ein Verschlag als gute Stube reichen muss.<br />

Für die Traurigen und Verletzten, für die am Rand, für die, die mit großen Träumen<br />

aufgebrochen sind und jetzt die Drecksarbeit machen müssen.<br />

Aus <strong>Wehnacht</strong> wird <strong>Weihnacht</strong>, damit neuer Mut weht<br />

für die, die am En<strong>de</strong> sind, die Abschied nehmen mussten,<br />

für die, die insgeheim spüren: eigentlich wollte ich an<strong><strong>de</strong>r</strong>s leben. Und jetzt mach ich<br />

voll mit beim Diktat <strong><strong>de</strong>r</strong> Welt, damit hinterher alle klatschen und sagen: kein Fehler,<br />

sehr gut, eins. Aufstiegschancen durchaus möglich.<br />

Aus <strong>Wehnacht</strong> wird <strong>Weihnacht</strong>, damit neuer Mut weht für die, die unten sind, für die<br />

armen Kin<strong><strong>de</strong>r</strong> und für die reichen, für die, die schon da sind und die noch kommen<br />

wer<strong>de</strong>n. Das ist sinnvoll! Das ist ein Wort! Sein Wort! <strong>Weihnacht</strong>en!<br />

Der Lehrer vom Anfang war ein kluger Mann. Er schreibt das Wort <strong>Wehnacht</strong> an die<br />

Tafel und lässt die Kin<strong><strong>de</strong>r</strong> zu sich kommen. Was macht euer Herz weh, fragt er. Und<br />

da ist ganz viel, was ihm die Kin<strong><strong>de</strong>r</strong> erzählen können. Dann malt <strong><strong>de</strong>r</strong> Lehrer das „i“<br />

als kleine Kerze in die Mitte. Eine schöne I<strong>de</strong>e. Genau: I<strong>de</strong>en braucht <strong><strong>de</strong>r</strong> Mensch!<br />

So wie Gott die I<strong>de</strong>e hatte, <strong>zur</strong> Welt zu kommen, damit aus <strong>Wehnacht</strong> <strong>Weihnacht</strong><br />

3


wird, damit neuer Mut weht. Auch im Herzen hoch fliegen<strong>de</strong>n Klassenzimmer. Manches<br />

Kin<strong><strong>de</strong>r</strong>herz leuchtet, und mancher Mund ist voll von <strong>de</strong>m, was einst die Alten<br />

sungen und die Kin<strong><strong>de</strong>r</strong> von heute ebenso. Nein, <strong>Wehnacht</strong> ist kein Fehler. Son<strong><strong>de</strong>r</strong>n<br />

Ernstnahme <strong>de</strong>ssen, was ist. Aber <strong>Wehnacht</strong> drängt zum Licht, das im Dunkeln<br />

leuchtet, zum Schein, <strong><strong>de</strong>r</strong> klärt, vom Schein zum Sein.<br />

„Lasset die Kindlein zu mir kommen“, sagt das Kind in <strong><strong>de</strong>r</strong> Krippe auch, als es später<br />

für viele zum guten Lehrer <strong>de</strong>s Lebens gewor<strong>de</strong>n ist. Weil Gott ihnen von Anfang an<br />

ins Herz geschrieben hat: du bist mir wert, auch wenn du Fehler machst. Lass <strong>de</strong>in<br />

Licht leuchten vor <strong>de</strong>n Menschen. Und trage <strong>de</strong>inen kleinen Teil dazu bei, dass aus<br />

<strong>Wehnacht</strong> <strong>Weihnacht</strong> wird!<br />

Die Erwachsenen mögen sich vielleicht an<strong><strong>de</strong>r</strong>s auf das Wortspiel einlassen. Und<br />

mancher <strong>de</strong>nkt vielleicht schon seit Beginn: „Ich kaufe ein „i“!“ „Nein“, sagt Gott, „lass<br />

stecken, ich schenke es dir: diesen kleinsten aller Buchstaben, dieses Iota, das nicht<br />

fallen soll. Ich schenke es euch. Dieses I für Jesus, für Immanuel, das heißt: Gott mit<br />

dir, in <strong><strong>de</strong>r</strong> Tiefe <strong><strong>de</strong>r</strong> Nacht.“<br />

Der Lehrer hat eine Kerze gemalt. Vielleicht haben auch alle noch zusammen gesungen:<br />

tragt in die Welt nun ein Licht. Vielleicht haben Lehrer und Schüler Kerzen<br />

genommen und überlegt, wem sie dieses Licht bringen können. Und da ist man dann<br />

doch bis heute immer wie<strong><strong>de</strong>r</strong> bei <strong>de</strong>nen, die Jesus nicht vergessen hat. Die er tatkräftig<br />

hat spüren lassen: Immanuel – Gott mir dir. Für die er nicht nur wehmütige Gedanken,<br />

son<strong><strong>de</strong>r</strong>n erst recht mutige Taten übrig hatte. Denen er Licht gebracht hat:<br />

Licht auf <strong>de</strong>m Weg, Licht in die Dunkelheit, Augenlicht und Gotteslicht. Denen er vorgelebt<br />

hat: Mache auch du dich auf und wer<strong>de</strong> Licht, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>in Licht kommt und die<br />

Herrlichkeit Gottes gehe auf über dir.<br />

Weil <strong><strong>de</strong>r</strong> Lehrer ein kluger ist, hat er vielleicht auch noch eine an<strong><strong>de</strong>r</strong>e I<strong>de</strong>e und mit<br />

<strong>de</strong>n Kin<strong><strong>de</strong>r</strong>n ein Ründchen i-Schreiben geübt. Für alle Fälle. Der Bewegung wegen.<br />

So, wie je<strong>de</strong>s Kind weiß, dass ein i geschrieben wird. <strong>Von</strong> oben nach unten. Punkt.<br />

Die Bewegung Gottes, in unserer <strong>Wehnacht</strong> bei uns zu sein. <strong>Von</strong> oben nach unten:<br />

Ehre sei Gott in <strong><strong>de</strong>r</strong> Höhe und Frie<strong>de</strong>n auf Er<strong>de</strong>n! Punkt. Und ebenso: Ehre dir<br />

Mensch in <strong><strong>de</strong>r</strong> Tiefe und Frie<strong>de</strong>n in <strong><strong>de</strong>r</strong> Höh. Punkt. Immanuel! Gott mit dir.<br />

4


Für alle, die meinen, ach so ein I-Tüpfelchen Christsein, das kann ja an <strong>Weihnacht</strong>en<br />

nicht scha<strong>de</strong>n, will ich noch eins drauf setzen. Wer die <strong>Wehnacht</strong> ernst nimmt und es<br />

<strong>Weihnacht</strong>en wer<strong>de</strong>n lässt, <strong><strong>de</strong>r</strong> spürt nämlich schon, dass da manches auf <strong>de</strong>n Kopf<br />

gestellt wird in dieser Nacht: Nicht <strong><strong>de</strong>r</strong> Kaiser, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n das Kind, nicht im Palast,<br />

son<strong><strong>de</strong>r</strong>n im Stall, nicht die Wür<strong>de</strong>nträger, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n die Hirten, nicht die Macht <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Menschen, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n Gottes Macht, nicht Diktatur, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n herrliche Freiheit <strong><strong>de</strong>r</strong> Kin<strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Gottes, nicht Gewalt, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n Frie<strong>de</strong>, nichts Riesiges, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n ein Winzling –<br />

mein Herr und mein Gott. Nein, kein Unsinn, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n Sinn. Sinn, <strong><strong>de</strong>r</strong> in <strong><strong>de</strong>r</strong> Umkehr<br />

steckt.<br />

So ein umgekehrtes i kann ja auch durchaus Sinn machen. Ausrufezeichen. Immanuel<br />

– Gott mit uns – und wir mit ihm. Gott wird Mensch, damit wir menschlich wer<strong>de</strong>n!<br />

Ausrufezeichen! Aus <strong>Wehnacht</strong> wird <strong>Weihnacht</strong>, aus O Weh wird O Wie. Und<br />

„Owi“ lacht. Nämlich Lieb aus seinem göttlichen Kin<strong><strong>de</strong>r</strong>mund. Amen.<br />

Und <strong><strong>de</strong>r</strong> Frie<strong>de</strong> Gottes, <strong><strong>de</strong>r</strong> höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und<br />

Sinne in Jesus Christus. Amen.<br />

5

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