Motocross Enduro - Sonderausgabe Tests 2014-Free Version

TEST
Speedbrain 450 Rally Production Racer
WÜSTENDAMPFER
mit Straßenzulassung
Sie ist das erste große Offroadevent in jedem Jahr, gefahren werden mehrere tausend Wüstenkilometer
innerhalb kürzester Zeit. Mensch und Material kommen an die absolute Belastungsgrenze
– die Rede ist von der Rallye Dakar. Vielen noch als Rallye Paris-Dakar bekannt, findet
die Mutter aller Wüstenrallyes seit 2009 in Südamerika statt und wird seither als Rallye Dakar
bezeichnet. Heuer führte sie vom 5. bis 18. Januar von Argentinien über Bolivien bis nach Chile.
Dabei wurde eine Gesamtdistanz von 8734 Kilometern zurückgelegt! Wer nun denkt, das ist alles
weit weg, hat nur im ersten Moment recht. Es gibt auch auf unserem Kontinent Rallye-
Events! Doch scheiterte solch ein Vorhaben (bisher) meist am passenden Rallye-Bike. Zu kostspielig
und vor allem aufwändig gestalteten sich die Umbaumaßnahmen eines herkömmlichen
Enduro- oder MX-Bikes zu einem Rallye-tauglichen Motorrad. Ein Team, beheimatet im bayerischen
Stephanskirchen nahe Rosenheim, mischt seit 2011 kräftig mit im Rallyezirkus! Gemeint
ist die Truppe um Wolfgang Fischer, bekannt unter dem klangvollen Namen – Speedbrain. Die
bayerische Rallyeschmiede sorgt mit ihrer straßenzugelassenen „Speedbrain Rallye 450“ für
mächtig Wirbel in der Szene. Dieses Bike ist ein kompromissloser Racer und darf völlig legal auf
der Straße bewegt werden. Noch nie hatte es einen echten Dakar-Etappensieger (!) als rennfertigen
Straßenableger gegeben. Für uns natürlich ein Grund, das Wüstenschiff genauer unter die
Lupe zu nehmen und der 450er ein wenig Auslauf zu gönnen.
Bizarr, ein Rallye-Bike auf deutschen Straßen ist zugegebenermaßen
ein seltenes Bild. Recht schnell
fühlt man sich extrem beobachtet, wenn man mit
der Speedbrain 450 wie jeder Normalbürger an die
Tankstelle des Vertrauens rollt, um das Spritfass
aufzufüllen. Ungläubig beäugt, als habe man sein
Roadbook falsch geschrieben und sich irrtümlicherweise
auf befestigtem Terrain verirrt. Ganz Mutige
sprechen einen direkt an und fragen, was das für ein
Motorrad sei!
Doch zunächst etwas zur Geschichte dieses Bikes.
Bei der 2013er Ausgabe der Rallye Dakar hieß dieses
Bike noch Husqvarna TE 449 RR by Speedbrain.
Insider vermuten an dieser Stelle vollkommen richtig
– in diesem Bike steckt Technik von BMW. Denn
damals gehörte Husqvarna noch zum BMW-Konzern
und lieferte die rennfertigen Motoren an Speedbrain.
Der Motor der damaligen 450er stammte aus
der BMW-Sportenduro und wurde fast 1 zu 1 übernommen.
Vorteil – dieser Motor ist ganz im Gegenteil
zu anderen Artgenossen auch mit 41 PS zulassungsfähig.
Der Rest des Bikes stammt aus der
Feder der Speedbrain-Truppe. Wobei mit „Rest“ eigentlich
alles, angefangen vom Rahmenkonzept
über Elektronik bis hin zur aus Carbon-Kevlar-Verbund
gefertigten Verkleidung, gemeint ist. Mit diesem
Bike gerüstet, zogen die Bayern los, um sich
2013 ihre Portion Wüstensand abzuholen. Mit Erfolg,
vier Etappensiege holte man 2013 mit der
Husqvarna TE 449 RR by Speedbrain. Selbst der Verkauf
von Husqvarna an KTM hatte keine Auswirkungen
auf die Erfolge mit dem ab diesem Zeitpunkt als
„Speedbrain 450 Rallye“ bezeichneten Bike. In der
Rallye-WM fuhr Paulo Goncalves stets an vorderster
Front absolut erfolgreich mit und holte am Ende den
FIM-Weltmeistertitel! Sensationell auch der Erfolg
im Kundensportbereich. Hier gewann Juan Carlos
Salvatierra aus dem Kundensportteam den Weltcup
in der Klasse über 450 ccm.
Um auch den normalsterblichen ambitionierten
Rallye-Sportfahrer mit dem nötigen Kleingeld an
dieser Erfolgsgeschichte teilhaben zu lassen, hat
man sich bei Speedbrain entschieden, einen straßenzugelassenen
Ableger dieses Werksmotorrades
zu bauen. Herausgekommen ist ein vollkommen
renntaugliches Rallye-Bike, das unter dem Namen
„Speedbrain 450 Rally Production Racer“ geführt
wird. Hat man dieses Edelgeschoss vor sich stehen,
merkt man erst einmal, wie hoch solch ein Wüstendampfer
wirklich ist, stolze 98 Zentimeter (!) Sitzbankhöhe
nämlich. Bei dieser Höhe ist eines klar,
am Federweg scheitert es bei der 450er definitiv
nicht! Vorn sorgt eine Kayaba-48-mm-USD-Gabel
mit 300 mm Federweg und hinten ein WP-Trax-Zentralfederbein
mit Hebelsystem und 320 mm Federweg
für ausreichend Luft unter dem Bike. Gerade
das WP-TRAX ist ein sehr kompaktes mechanisches
System, das im Unterteil des Federbeins integriert
ist. Es erkennt den Druckverlust am Hinterrad, beispielsweise
bei Bodenwellen, und aktiviert den Mechanismus,
der das Hinterrad blitzschnell zurück
auf den Boden drückt. Dies gewährt eine bessere
Traktion als ein herkömmliches Dämpfersystem.
Das braucht es auch, um im Sand und im oft schroffen
Untergrund stets genug Vortrieb zu bekommen.
Der WP-TRAX-Dämpfer
An vorderster Front ragt die Verkleidung des
„Towers“ aus feinstem Carbon-Kevlar-Verbund steil
in die Höhe und lässt das gesamte Bike noch einmal
deutlich wuchtiger wirken. Dort sind im Ernstfall
sämtliche Navigationseinheiten wie Roadbook und
GPS untergebracht. Aber wuchtig ist im Falle der
Speedbrain eigentlich das falsche Wort, denn sie
wiegt ohne Benzin lediglich 133 Kilogramm! Konsequenter
Leichtbau macht dies möglich. Mit
vollen Tanks, 19 Liter fasst der im Heck befindliche
und 10 Liter der mittige Tank, hat die
Rally ihr Kampfgewicht von 159 Kilogramm
erreicht.