Programmheft - 4. Sinfoniekonzert - Theater Nordhausen
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<strong>4.</strong> <strong>Sinfoniekonzert</strong>
15. Januar 2011, 19.30 Uhr, Haus der Kunst Sondershausen<br />
16. Januar 2011, 19.30 Uhr, <strong>Theater</strong> <strong>Nordhausen</strong>
PROGRAMM<br />
Lev Vinocour, geboren 1970 in Russland, begann im Alter von sechs Jahren<br />
Franz Liszt (1811–1886)<br />
2 mit dem Klavierunterricht an der Musikschule von St. Petersburg (damals<br />
Orpheus. Symphonische Dichtung Nr. 4<br />
3<br />
Leningrad). Mit dreizehn Jahren gab er sein Konzertdebüt mit den Leningrader<br />
Komponiert 1853/1854, uraufgeführt am 16. Februar 1854 in Weimar als Vorspiel zu Glucks<br />
Philharmonikern unter Jewgenij Mrawinsky. Nach dem Studium am Moskauer<br />
Oper „Orpheus und Eurydike“; am 10. November 1854 erstmals als separates Werk in Weimar<br />
gespielt.<br />
Konservatorium unter Lev Vlasenko und Mikhail Pletnev begann eine imposante<br />
internationale Karriere. Lev Vinocour gewann zahlreiche internationale Preise<br />
Felix Draeseke (1835–1913)<br />
(etwa beim Feruccio-Busoni- und Gina-Bachauer-Wettbewerb) und eroberte<br />
<strong>4.</strong> Sinfonie („Symphonia comica“) e-Moll<br />
anschließend die Konzertsäle seiner Heimat und des westlichen Auslandes in<br />
I. Bewegt, feurig<br />
Windeseile. Heute zählt der Künstler zu den meistgeachteten Pianisten seiner<br />
II. Langsam, ruhig (Fliegenkrieg)<br />
Generation und hat sich in den vergangenen Jahren u. a. durch die Interpretation<br />
III. Scherzo. Lebendig, flott<br />
zahlreicher Werke Liszts einen Namen gemacht.<br />
IV. Lebhaft, schnell<br />
Komponiert 1912, vollendet am 22. August 1912, uraufgeführt am 6. Februar 1914 in Dresden.<br />
Markus L. Frank, geboren in Schwäbisch Hall, begann seine Musikerlaufbahn<br />
zunächst als Hornist. Nach seinem Studium an der Musikhochschule in Detmold<br />
und erfolgreicher Teilnahme an mehreren internationalen Wettbewerben war er<br />
Hornist beim NDR-Symphonieorchester Hamburg und spielte als Hornsolist bei<br />
vielen bedeutenden Orchestern. Parallel dazu beendete er sein Dirigierstudium<br />
bei Prof. Klauspeter Seibel an der Musikhochschule Hamburg mit Auszeichnung.<br />
1998 wurde er als 2. Kapellmeister an die Oper Kiel engagiert. Im Herbst 2003<br />
wechselte Markus L. Frank als 1. Kapellmeister und Stellvertretender GMD an<br />
das Anhaltische <strong>Theater</strong> in Dessau. Neben seinen vielfältigen Aufgaben im<br />
Musiktheater und Konzertwesen widmete er sich mit besonderer Hingabe der<br />
Jugendarbeit. Zahlreiche Gastverpflichtungen führten ihn darüber hinaus u. a.<br />
immer wieder an die Staatsoper Hannover sowie an die Deutsche Oper Berlin,<br />
wo er 2005 mit „Hänsel und Gretel“ debütierte. Seit Beginn der Spielzeit<br />
2008/2009 ist Markus L. Frank Generalmusikdirektor der <strong>Theater</strong> <strong>Nordhausen</strong>/<br />
Loh-Orchester Sondershausen GmbH.<br />
– Pause –<br />
Johannes Brahms (1833–1897)<br />
Tragische Ouvertüre op. 81<br />
Komponiert 1880, uraufgeführt am 26. Dezember 1880 in Wien.<br />
Franz Liszt<br />
Mephisto-Walzer Nr. 1, „Der Tanz in der Dorfschenke“<br />
Komponiert 1857–1861 für Orchester, uraufgeführt am 8. März 1861 in Weimar; Klavierfassung<br />
von Franz Liszt.<br />
Totentanz. Paraphrase über „Dies irae“ für Klavier und Orchester<br />
Komponiert 1849, mehrmals umgearbeitet; uraufgeführt am 15. April 1865 in Den Haag.<br />
Loh-Orchester Sondershausen<br />
Lev Vinocour Klavier<br />
Musikalische Leitung: Markus L. Frank<br />
Lev Vinocour<br />
Markus L. Frank
LISZT, BRAHMS UND DRAESEKE IN Doch auch andere Künstler waren in<br />
LISZTS ORPHEUS, MEPHISTO UND<br />
4 SONDERSHAUSEN<br />
diesen Tagen von Bedeutung, und sie<br />
TOTENTANZ<br />
von Juliane Hirschmann<br />
gehörten längst nicht alle der „Neudeutschen<br />
von Juliane Hirschmann<br />
5<br />
Schule“, d. h. den Verfechtern<br />
u. a. von Programmmusik, an. Von<br />
Johannes Brahms etwa, dem erklärten<br />
Gegner Liszts, für den Programmmusik<br />
keine Bedeutung hatte, spielte man im<br />
Abschlusskonzert das 2. Klavierkonzert.<br />
Brahms hatte sich einst für die Stelle<br />
des Hofkapellmeisters in Sondershausen<br />
interessiert und sich im Juni 1870<br />
bei seinem Freund und dem damaligen<br />
Hofkapellmeister Max Bruch nach den<br />
Konditionen erkundigt. Eine Bewerbung<br />
um die Nachfolge Bruchs hat er später<br />
jedoch nicht weiter verfolgt.<br />
Schließlich brachte die Hofkapelle wäh-<br />
Franz Liszt, Fotografie von Pierre Petit<br />
rend der Tonkünstlerversammlung das<br />
(1860er oder 1870er Jahre)<br />
Klavierkonzert von Felix Draeseke zur<br />
Uraufführung. Draeseke war in jungen<br />
Jahren glühender Anhänger Franz Liszts<br />
gewesen und hatte eine aufsehenerregende<br />
Artikelserie über dessen Symphonische<br />
Dichtungen verfasst. Brahms<br />
fürchtete ihn als Konkurrenz auf sinfonischem<br />
Gebiet. In Sondershausen begegneten<br />
sich Liszt und Draeseke zum<br />
letzten Mal.<br />
Vom 3. bis 6. Juni 1886 trafen sich namhafte<br />
Größen des zeitgenössischen Musiklebens<br />
in Sondershausen. Anlass war<br />
die 23. Tonkünstlerversammlung des<br />
Allgemeinen Deutschen Musikvereins<br />
(ADMV), und sie stand unter einem ganz<br />
besonderen Vorzeichen. Denn diese<br />
Versammlung des 1861 von Liszt gegründeten<br />
Musikvereins sollte zugleich eine<br />
Vorfeier sein zu Liszts 75. Geburtstag am<br />
22. Oktober. Es wurde die letzte große<br />
Ehrung für den Komponisten. Er verstarb<br />
noch vor seinem Geburtstag am 31. Juli<br />
in Bayreuth.<br />
Der Versammlungsort Sondershausen<br />
hatte Symbolcharakter. Denn die thüringische<br />
Kleinstadt war seit den 1850er<br />
Jahren zu einem wichtigen Zentrum zeitgenössischer<br />
Musik, insbesondere derjenigen<br />
Liszts geworden. Wohl aufgrund<br />
vieler persönlicher Begegnungen hatte<br />
die Hofkapelle unter dem musikalischen<br />
Leiter Eduard Stein und später unter Max<br />
Erdmannsdörfer ein besonderes Verhältnis<br />
zu dem Komponisten, der seit<br />
1856 regelmäßig von Weimar nach Sondershausen<br />
gereist kam. Vor allem aber<br />
schätzte die Kapelle seine Musik, die<br />
andernorts vielfach auf Widerspruch<br />
stieß, und führte sie immer wieder auf.<br />
Liszt äußerte sich mehrfach begeistert<br />
über die Qualität der Sondershäuser<br />
Hofkapelle.<br />
Auf dem Programm der zahlreichen<br />
Konzerte, die im Juni 1886 in Sondershausen<br />
zu hören waren, stand natürlich<br />
viel Musik von Franz Liszt, zwei Konzerte<br />
waren ganz ihm gewidmet; in dem<br />
ersten der beiden spielte das Orchester<br />
ausschließlich instrumentale Werke,<br />
darunter auch Liszts „Totentanz“.<br />
Tonkünstlerversammlung, 3.–6. Juni 1886 in Sondershausen<br />
mit Franz Liszt (2. Reihe Mitte) (Ausschnitt)<br />
„In den vielen Anregungen, die er den<br />
Nachfolgern hinterließ, ist seine Wirkung<br />
vielleicht größer als die Wagners, der ein<br />
zu vollendetes Werk gab, als dass Spätere<br />
dem noch etwas hätten hinzufügen<br />
können“ ist Arnold Schönbergs Sicht auf<br />
Franz Liszt, einen der bedeutendsten<br />
und vielseitigsten Künstler des 19. Jahrhunderts.<br />
Franz Liszt genoss schon zu<br />
Lebzeiten einen legendären Ruf als Klaviervirtuose.<br />
Als Komponist stand er an<br />
vorderster Front einer musikalischen<br />
Avantgarde, die vom Fortschritt in der<br />
Musik überzeugt war und die Musikwelt<br />
polarisierte. Es gibt kaum eine<br />
Gattung, die Liszt nicht bediente. Mehr<br />
als die Hälfte seines Schaffens nimmt<br />
die Klaviermusik ein, und mit seinen 13<br />
Symphonischen Dichtungen schuf er<br />
eine neue und folgenreiche Gattung. Zu<br />
ihrer Zeit gleichermaßen bewundert wie<br />
gescholten wurde sie zum Inbegriff der<br />
„Neudeutschen Schule“. Liszt provozierte,<br />
und das nicht allein durch seine<br />
Musik; er war ein großer Schreiber, verfasste<br />
Essays, Aufsätze und Bücher.<br />
Nach 25 Jahren als gefeierter Pianist auf<br />
den Konzertpodien Europas ließ er sich<br />
1848 in Weimar als Hofkapellmeister<br />
nieder.<br />
Die Verbindung von Musik und Literatur<br />
zieht sich wie ein roter Faden durch sein<br />
Schaffen. Liszts Gattungsbegriff „Symphonische<br />
Dichtung“ verrät, worum<br />
es ihm ging. Er wollte die Gattung der<br />
Sinfonie fortführen, jedoch in einer Verschmelzung<br />
mit der Dichtung. Die Idee,<br />
solcherart eine Synthese von Musik und<br />
Dichtung anzustreben, war radikal neu.<br />
Die Symphonische Dichtung „Orpheus“<br />
entstand als Ouvertüre zur Christoph<br />
Willibald Glucks Oper „Orpheus und Eurydike“<br />
und kam am 16. Februar 1854<br />
zum Geburtstag der Großherzogin<br />
Maria Pawlowna erstmals in Weimar zur<br />
Aufführung.<br />
Liszt griff in diesem Werk nicht die<br />
Handlung des antiken Mythos auf; für<br />
ihn war der Sänger Orpheus in erster<br />
Linie Symbol für die veredelnde und die<br />
wilden Triebe bändigende Kunst. „Heute,<br />
wie ehemals“, schreibt er in seinem<br />
programmatischen Vorwort, „ist es<br />
Orpheus, ist es die Kunst, welche ihre<br />
melodischen Wogen, ihre gewaltigen<br />
Akkorde wie ein mildes, unwiderstehliches<br />
Licht über die widerstrebenden<br />
Elemente ergießt, die sich in der Seele<br />
jedes Menschen und im Innersten jeder<br />
Gesellschaft in blutigem Kampfe befehden.“<br />
Der für seine Symphonischen<br />
Dichtungen sonst eher herbe Klangcharakter<br />
weicht hier einer weichen, fast<br />
kontemplativen Klangwelt. Die Musik<br />
entspricht so dem veredelnden und<br />
sänftigenden Orpheus. Prominentes<br />
Instrument ist die Harfe, das Instru-
ment des Sängers. „Die ersten Tacte, Mephisto betritt mit Faust ein Wirtshaus,<br />
1848 und schloss ihn 1864 in seiner Zeit dem am Ende, nach dem unerbittlichen<br />
6 in dem eine bäuerliche Hochzeit<br />
im italienischen Kloster Madonna del Cantus firmus der Posaunen der Absturz<br />
feierliche Harfen-Arpeggios, lassen<br />
uns den königlichen Sänger inmitten mit Gesang und Tanz gefeiert wird. Me-<br />
Rosario schließlich ab.<br />
folgt“ (Barbara Meier). Liszt schuf mit<br />
7<br />
der Natur und ihrer Bewohner erschauen<br />
und die Kraft des Tones suchen“<br />
schrieb Felix Draeseke 1858 in seiner<br />
Abhandlung über Liszts „Orpheus“. „Er<br />
hat gesiegt der göttliche Klang, gerührt<br />
und erweicht horchen Steine, Pflanzen<br />
und Thiere dem Verkünder der heiligen<br />
Kunst, der mit milder Hoheit jetzt einherschreitet,<br />
seine Bahn zu erweitern.“<br />
In den Celli und Hörnern ist das lyrische<br />
Hauptthema zu vernehmen. Den Mittelteil<br />
beherrschen Soli in den Streichern<br />
mit einer klagenden, zwischen Dur und<br />
Moll wechselnden Melodie. Ob Orpheus<br />
hier, wie Draeseke vermutet, den Verlust<br />
seiner Eurydike beweint? Das Werk<br />
schließt völlig entrückt immer leiser<br />
werdend in chromatisch aufsteigenden<br />
Akkorden bis zum reinen C-Dur. Hier<br />
mag Orpheus’ Entschwinden zum Ausdruck<br />
gebracht sein, der es fortan den<br />
Menschen überlässt, seine Lehren ohne<br />
ihn zu verbreiten. Ganz im Sinne des<br />
Philosophen und Schriftstellers Pierre-<br />
Simon Ballanche, von dessen „Orpheé“<br />
(1829) sich Liszts Orpheus-Bild ableitete.<br />
In eine gänzlich andere Welt, ins Diabolische,<br />
Wilde und Ungebändigte, führen<br />
der Mephisto-Walzer Nr. 1 und der „Totentanz“.<br />
In Weimar schrieb Liszt neben<br />
seinen Symphonischen Dichtungen zwei<br />
Sinfonien und kleinere Orchesterwerke,<br />
darunter 1857–1861 „Zwei Episoden aus<br />
Lenaus Faust“. Daraus bearbeitete er<br />
den „Tanz in der Dorfschenke“ für Klavier<br />
(Mephisto-Walzer Nr. 1). Faust faszinierte<br />
Liszt, in seiner „Faust-Sinfonie“<br />
war es der Faust Goethes. Nikolaus<br />
Lenau (1802–1850) griff Aspekte der<br />
phisto nimmt dem Geiger sein Instrument<br />
aus der Hand, um eine Musik „voll<br />
Blut und Brand“ anzustimmen, wie es<br />
in Lenaus Faust-Dichtung heißt, diabolisch<br />
und zügellos. Chromatische Vorschlagsnoten<br />
nehmen das Diabolische<br />
vorweg, in den leeren Quinten des Klaviers<br />
tönen die leeren Saiten der Geige.<br />
Weicher klingt das Thema Fausts. „In<br />
atemberaubendem Tempo wirbelt das<br />
Thema durch alle Lagen (…). Aus dem<br />
‚bacchantischen Kreisen‘ entfernt sich<br />
Faust mit seiner Tänzerin, wie die intime<br />
Themenvariante mit den verführerischen<br />
Trillern der Nachtigall zeigt – eine<br />
trügerische Szene, der ein wilder Presto-<br />
Schluss ein Ende setzt.“ (Barbara Meier)<br />
Den „Totentanz. Paraphrase über Dies<br />
irae“ für Klavier und Orchester komponierte<br />
Liszt in mehreren Phasen, immer<br />
wieder etwas daran verändernd seit<br />
Liszt griff hier ein altes Thema auf, das<br />
zunächst über viele Jahrhunderte hinweg<br />
diverse bildliche Darstellungen erfuhr:<br />
die Gewalt des Todes über das<br />
Menschenleben. Berühmt wurde der<br />
Holzschnitt von Hans Holbein dem Jüngeren;<br />
auf über 30 Bildern zeigte der<br />
Künstler in seinem „Totentanz“ nicht<br />
nur, dass der Tod kein Alter und Stand<br />
verschont, sondern völlig unerwartet<br />
mitten hinein ins Leben treten kann.<br />
Holbeins Holzschnitt inspirierte Liszt<br />
ebenso wie ein Fresko aus Pisa „Trionfo<br />
della Morte“ (13. Jahrhundert). Die Sequenz<br />
„Dies irae“ („Tag des Zorns“) aus<br />
der Totenmesse kehrt in Variationen immer<br />
wieder und ist musikalische Grundlage<br />
für eine aufreibende Musik, die<br />
einen düsteren Blick auf die Menschheit<br />
und deren Schicksal wirft.<br />
Unheilvoll ist der Anfang. Dissonante<br />
und hart stampfende Akkorde aus Sekunden<br />
und dem Teufelsintervall Tritonus<br />
(„Diabolus in musicae“) im Klavier<br />
leiten das Werk ein. Dazu entfaltet sich<br />
das Dies-irae-Thema in ruhiger Bewegung<br />
in den tiefen Streichern, Blechund<br />
Holzbläsern. Kühne harmonische<br />
Verbindungen, peitschende Klavierklänge<br />
und wie Hohngelächter anmutende<br />
hohe Triller und Glissandi beherrschen<br />
das Klangbild im weiteren Verlauf. Nur<br />
an wenigen Stellen kehrt etwa Ruhe ein.<br />
Marschartig erscheinen Variation eins<br />
und zwei. Im „Fugato“ (Variation V) löst<br />
sich die zunächst streng anmutende<br />
Schreibweise nach und nach auf in<br />
wilde Akkordjagd und tosende Läufe.<br />
Im gesamten Klavierpart „von geradezu<br />
expressiver Virtuosität ist die diabolische<br />
dem „Totentanz“ ein klanglich weit in<br />
das 20. Jahrhundert vorausweisendes<br />
Werk.<br />
„DIE EINE WEINT, DIE ANDRE LACHT“ –<br />
BRAHMS’ OUVERTÜREN<br />
von Harald Hodeige<br />
Dass in der Brahms-Literatur die „Akademische<br />
Festouvertüre“ c-Moll op. 80<br />
und die „Tragische Ouvertüre“ d-Moll<br />
op. 81 als zwei zusammengehörige Werke<br />
behandelt werden, hat mehrere gute<br />
Gründe: Beide Stücke entstanden in enger<br />
zeitlicher Abfolge im Sommer 1880<br />
in Bad Ischl, erschienen zusammen im<br />
Druck und wurden von Brahms selbst in<br />
Konzerten gemeinsam aufgeführt.<br />
Die „Akademische Festouvertüre“<br />
schrieb Brahms für die Promotionsfeier<br />
anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde<br />
durch die Universität Breslau.<br />
Inwieweit die „Tragische Ouvertüre“ im<br />
Zusammenhang mit einer geplanten<br />
Aufführung von Goethes „Faust“ am<br />
Wiener Burgtheater entstanden ist, wie<br />
der Brahms-Biograf Max Kalbeck vermutete,<br />
lässt sich heute nicht mehr<br />
klären. Neben diesen eher äußerlichen<br />
Bezugspunkten stehen die Stücke in<br />
einem engen inhaltlichen Zusammenhang,<br />
da sie ein für Brahms’ Schaffen<br />
typisches komplementäres Werkpaar<br />
bilden: „Die eine weint, die andre<br />
lacht“, schrieb der Komponist lapidar<br />
an den Komponisten, Pianisten<br />
und Dirigenten Carl Reinecke. Am 6.<br />
September 1880 schrieb der Komponist<br />
mit der ihm eigenen Ironie an seinen<br />
Lust zu spüren, mit welcher der Verleger Simrock: „Ich habe nicht umhin<br />
Faust-Sage auf, die Goethe nicht berücksichtigt<br />
hatte.<br />
„Totentanz“ (um 1525)<br />
Tanz über dem Abgrund vorgeführt wird, können, eine sehr lustige<br />
Ausschnitt aus Hans Holbeins Holzschnitt<br />
Akademische
Im Jahre 1912 leitete Bruno Kittel die<br />
ersten beiden Gesamtaufführungen<br />
des Mysteriums „Christus“ von Felix<br />
Draeseke, jener einzigartigen Orato-<br />
Fest-Ouvertüre zu schreiben, mit Gaudeamus<br />
rien-Tetralogie, in Berlin und Dresden.<br />
Komponist schon hier seinen Schaber-<br />
8<br />
und allem möglichen. Und bei Die begeisterte Aufnahme des Riesennack<br />
treiben? Denn mit den den Satz<br />
lancholischen Gemüt die Genugtuung<br />
nicht versagen – auch eine Trauerspiel-<br />
Ouvertüre zu schreiben.“<br />
Tatsächlich ist Brahms’ „Tragische Ouvertüre“<br />
ein Werk voller innerer Spannungen<br />
und Dramatik: Den Beginn markieren<br />
zwei Akkordschläge, gefolgt von<br />
einem Streichermotiv, das harmonisch<br />
diffus und ziellos zwischen Dur und<br />
Moll changiert. Bald danach nimmt die<br />
Musik jedoch einen für Brahms’ Schaffen<br />
singulären koloristischen Tonfall<br />
der Gelegenheit konnte ich meinem me-<br />
9<br />
an, der einem nächtlichen „Naturbild“<br />
gleicht. Wohl deshalb sah sich der mit<br />
Felix Draeseke<br />
Brahms befreundete Kritiker Eduard<br />
Hanslick genötigt, darauf hinzuweisen,<br />
dass das Werk keine konkrete Programmatik<br />
aufweise. „Brahms hat für seine<br />
‚Tragische Ouvertüre‘ kein bestimmtes<br />
Trauerspiel als ‚Sujet‘ im Sinne gehabt,<br />
sondern einen ‚Actus tragicus‘ (…)<br />
überhaupt.“ Dessen ungeachtet lässt<br />
sich Hanslick wenige Zeilen später<br />
zu einem konkreten Vergleich hinreißen:<br />
„Wenn wir uns durchaus für eine<br />
Tragödie entscheiden müßten, welche<br />
mit Brahms’ Ouvertüre einzuleiten wäre,<br />
so würden wir wohl ‚Hamlet‘ nennen“ –<br />
jenes Shakespeare’sche Drama, dessen<br />
Handlung überwiegend von den inneren<br />
Konflikten seines Protagonisten<br />
bestimmt wird.<br />
„DEN HUMOR HABE ICH MIR NICHT<br />
VERDERBEN LASSEN“ – DRAESEKES<br />
KOMISCHE SINFONIE<br />
von Udo-Rainer Follert<br />
werkes ebenso wie die einsetzende Anerkennung<br />
durch weite Kreise gewährte<br />
dem fast ertaubten Altmeister tiefe Genugtuung<br />
nach einem an vielerlei Enttäuschungen<br />
reichen Leben.<br />
Während der Wochen und Monate dieses<br />
sicher größten Triumphes in seiner<br />
Musikerlaufbahn entstand die letzte<br />
große Schöpfung des 77-Jährigen, seine<br />
„Symphonia Comica“. Ein halbes Jahr vor<br />
seinem Tode am 26. Februar 1913 verabschiedete<br />
sich Draeseke quasi mit einem<br />
genialen Scherzando-Zyklus und lieferte<br />
damit nicht nur den heiteren Schlussakkord<br />
zu seinem eigenen Gesamtschaffen,<br />
dem es an hervorragenden Beispielen<br />
in fast allen Gattungen wahrlich nicht<br />
mangelt, sondern ging wohl auch auf<br />
humoristische Distanz zu einer ästhetischen<br />
Anschauung, die Musik als das<br />
Allerernsthafteste (Schopenhauer) verstand<br />
und die Tonkunst zu einer Art<br />
Ersatzreligion stilisierte.<br />
Ein „Leitmotiv“ in diesem Künstlerleben<br />
war das fortwährende Ringen um<br />
Anerkennung und Verständnis für eine<br />
ganz und gar eigengeprägte musikalische<br />
Ausdrucksweise. „Nur den Kopf<br />
hoch behalten und über das Beweinenswerte<br />
lachen!“ schrieb Felix Draeseke<br />
an Bruno Kittel – und die vier Sätze<br />
seiner „Symphonia Comica“ drücken<br />
diesen sympathischen Grundzug seines<br />
Wesens in Tönen aus.<br />
Der erste Satz präsentiert sich in seiner<br />
äußeren Form geradezu als klassizistisch<br />
ausgewogener Sonatenhauptsatz.<br />
Vordergründige Späße allerdings sucht<br />
man hier vergebens. Freilich gibt die<br />
anscheinend von Draeseke selbst stammende<br />
Tonartenbezeichnung der „Comica“<br />
als „Symphonie in e-Moll“ Anlass<br />
zu „heiterer“ Spekulation! Will der<br />
eröffnenden drei Einleitungsakkorden<br />
scheint er nichts Eiligeres vorzuhaben,<br />
um sich mehr oder weniger überall<br />
zu tummeln, nur kaum in der angeblichen<br />
Haupttonart. Das Kopfmotiv des<br />
1. Themas zeigt eindeutig G-Dur, und<br />
mit ihm führt Draeseke auch unisono<br />
den Schluss des Satzes herbei.<br />
Wie um der traditionellen Schule eine<br />
artige Verbeugung zu erweisen, schließt<br />
die Exposition natürlich auf der Dominante<br />
der angeblichen Haupttonart,<br />
nämlich in H-Dur. Dann aber treibt Draeseke<br />
sein heiter-unbekümmertes Spiel<br />
in der Durchführung mit allen musikalischen<br />
Mitteln. Man hat von Anfang<br />
an den Eindruck, dass der Komponist<br />
seiner aufmerksamen und „andachtsvollen“<br />
Zuhörerschar hier die Sonatenform<br />
mit all ihren Möglichkeiten erläutern<br />
und dies und jenes zeigen will –<br />
und sein Zeigestab dabei ist – die<br />
Fliegenklatsche! Diese nämlich spielt<br />
im langsamen 2. Satz eine wichtige<br />
Rolle – wenn man dem überlieferten<br />
Programm vom im Lehnstuhl ausruhenden<br />
Großvater, der mit seinen hinzustürmenden<br />
Enkeln lästige Insekten im<br />
spannenden „Fliegenkrieg“ abwehrt<br />
und besiegt, glauben darf. Man kann<br />
sich aber auch sehr gut vorstellen, dass<br />
mit dem „Fliegenkrieg“ ganz anderes<br />
gemeint ist! Ist der 2. Satz etwa eine<br />
heiter schmunzelnde Erinnerung an Erlebtes?<br />
Wie oft musste sich Draeseke<br />
in seinem langen Künstlerleben gegen<br />
penetrante Sticheleien und bösartige<br />
Angriffe wehren, die genauso wie die<br />
Solo-Violine im 2. Satz unbeirrt auf<br />
einer Meinung, d. h. immer auf dem<br />
gleichen Ton beharren – wenn es auch<br />
noch so weh tut! Die Abwehr mit der<br />
– verbalen – „Fliegenklatsche“ wirkt<br />
denn auch wirklich wie ein derber Spaß.<br />
Das eigentliche Scherzo der Symphonie<br />
ist ein virtuoser Orchestersatz, in dem<br />
Draeseke seine farbige Instrumentationskunst<br />
ausbreitet. Ob er mit den<br />
schauerlichen Tonwiederholungen der<br />
Trompeten nochmals an jene „Sticheleien“<br />
erinnert, sei dahingestellt!<br />
Auch im Finale treibt Draeseke in vieler<br />
Hinsicht sein närrisches Spiel mit witzigen<br />
Verzierungen des Hauptthemas,<br />
unerwarteten rhythmischen Akzenten<br />
und äußeren dynamischen Gegensätzen.<br />
Mag auch die Haupttonart e-Moll<br />
genannt sein – der musikalische Ulk<br />
findet in (fast) allen Tonarten statt und<br />
endet schließlich eindeutig im gesamten<br />
Orchester auf einem G – ohne Terz und<br />
ohne Quinte. Draeseke hatte wohl doch<br />
zu den pseudoreligiösen Tendenzen der<br />
romantischen Kunstauffassung ausreichend<br />
Abstand gewonnen, dass er nun<br />
seinerseits mittels seiner „Comica“ sich<br />
selbst und anderen zurufen konnte:<br />
„Plaudite, amici, comedia finita est!“<br />
Und genau das scheinen die witzigen<br />
Schlussfloskeln in allen Sätzen außer<br />
dem langsamen ausdrücken zu wollen.
einblicke<br />
VORSCHAU<br />
An dieser Stelle möchten wir Ihnen die Musiker des Loh-Orchesters vorstellen.<br />
5. SINFONIEKONZERT<br />
10 11<br />
Igor Shchepetov (* in Potsdam) lebte seit dem 5. Lebensjahr in Russland und<br />
erhielt dort ersten Geigenunterricht. An der Hochschule für Musik „A.W. Nezhdanowa“<br />
in Odessa begann er sein Studium, das er 1998 abschloss. In den Jahren<br />
1996 bis 2001 war er als ständiges Mitglied im Kammerorchester der Staatlichen<br />
12. Februar 2011, 19.30 Uhr, Haus der Kunst Sondershausen<br />
Philharmonie Odessa sowie als Aushilfe im Staatlichen Operntheater Odessa tätig.<br />
2001 ergänzte er seine Ausbildung an der Hochschule für Musik „Franz Liszt“<br />
13. Februar 2011, 19.30 Uhr, <strong>Theater</strong> <strong>Nordhausen</strong><br />
in Weimar im Fach Kammermusik.<br />
Josef Strauß<br />
Seit 2003 ist Igor Shchepetov, zunächst als Praktikant und seit 2007 als ständiges<br />
Mitglied, in der 2. Geigengruppe des Loh-Orchesters beschäftigt.<br />
Sphärenklänge. Walzer op. 235<br />
Ilias Rachaniotis<br />
Kosmophonia (Uraufführung)<br />
Neu im Loh-Orchester<br />
Tao Song stammt aus Peking, China. Dort erhielt er Cellounterricht zunächst an<br />
der Musikschule und später am Central Conservatory of Music. 2005 gewann<br />
er den ersten Preis beim Wettbewerb für junge Cellisten in Peking und kam im<br />
gleichen Jahr für sein Studium nach Deutschland. Bis 2008 studierte er an der<br />
Hochschule für Künste in Bremen. In Peking war er Mitglied im Landesjugendorchester<br />
und Aushilfe im Philharmonischen Orchester, in Bremen 2005–2007<br />
Stimmführer beim Landesjugendorchester. Bevor er im Herbst 2010 zum Loh-Orchester<br />
Sondershausen kam, war Tao Song bei den Bremer Philharmonikern und<br />
dem Oldenburgischen Staatstheater beschäftigt.<br />
Gustav Holst<br />
Die Planeten op. 32<br />
Im 5. <strong>Sinfoniekonzert</strong> ist der junge Grieche Ilias Rachaniotis zu Gast, der eigens<br />
für das Loh-Orchester ein Stück komponiert hat und auf dem Konzertpodium in<br />
sein Werk einführen wird. Sein Thema sind die Sphärenklänge, ihnen spürt er in<br />
seiner Musik nach. Schon die alten Griechen glaubten, dass bei den Bewegungen<br />
der Himmelskörper Töne entstehen. Diese Vorstellung hat bis heute nichts an<br />
Faszination eingebüßt. Selbst Josef Strauß inspirierte die Idee der Sphärenklänge<br />
zu einem schwungvollen Walzer. Zum Leben erweckte der Engländer Gustav Holst<br />
in seinem opulenten Werk sieben Planeten und ihre Eigenschaften, wie sie ihnen<br />
Menschen seit jeher zuschreiben. Dabei entstanden großartige, oft an Filmmusik<br />
erinnernde Klanggemälde. Die Aufführung dieses Werks wird unterstützt vom Förderverein<br />
Loh-Orchester Sondershausen e. V.<br />
Damen des Opernchors<br />
Musikalische Leitung: Markus L. Frank<br />
Igor Shchepetov<br />
Tao Song
12<br />
Textquellen:<br />
S. 7/8: Harald Hodeige, „Die eine weint, die andre lacht“ – Brahms’ Ouvertüren, in: <strong>Programmheft</strong> zum<br />
Konzert des NDR-Sinfonieorchesters am 17., 18., 19. Januar 2009, S. 7–9; S. 8/9: „Den Humor habe ich mir<br />
nicht verderben lassen“ – Draesekes komische Sinfonie, in: Vorwort zu der Partitur der Sinfonie nach dem<br />
Autograph des Komponisten hrsg. von Udo-Rainer Follert, Edition Nordstern, Stuttgart 1996 (=Internationale<br />
Draeseke Gesellschaft. Draeseke Musikwerke, Bd. 10), S. iii–v.<br />
Beide Texte werden hier gekürzt abgedruckt.<br />
Die Artikel „Liszt, Brahms und Draeseke in Sondershausen“ und „Liszts Orpheus, Mephisto und Totentanz“<br />
auf S. 4–7 sind Originalbeiträge von Juliane Hirschmann für dieses <strong>Programmheft</strong>.<br />
Bildquellen:<br />
S. 4: Tonkünstlerversammlung, 3.–6. Juni 1886 in Sondershausen mit Franz Liszt (2. Reihe Mitte), aus dem<br />
Archivbestand des Loh-Orchesters Sondershausen; S. 5: Franz Liszt, Fotografie von Pierre Petit (1860er oder<br />
1870er Jahre), auf: http://en.wikipedia.org/wiki/Franz_Liszt; S. 6: Ausschnitt aus Hans Holbeins Holzschnitt<br />
„Totentanz“, um 1525, auf: http://fr.wikipedia.org/wiki/Danse_macabre; S. 9: Felix Draeseke, auf:<br />
http://www.bach-cantatas.com/Lib/Draeseke-Felix.htm.<br />
Impressum:<br />
Herausgeber: <strong>Theater</strong> <strong>Nordhausen</strong>/Loh-Orchester Sondershausen GmbH Spielzeit<br />
2010/2011, Intendant: Lars Tietje, Redaktion und Gestaltung: Dr. Juliane Hirschmann,<br />
Layout: Landsiedel | Müller | Flagmeyer, <strong>Nordhausen</strong>. Konzert-<strong>Programmheft</strong><br />
Nr. 7 der Spielzeit 2010/2011.<br />
Wir danken für die großzügigen Blumenspenden der Stadtwerke Sondershausen<br />
und des Fördervereins Loh-Orchester Sondershausen e. V. sowie der Floristin<br />
C. Hahnemann, Blumengeschäft Fantasia im Herkulesmarkt <strong>Nordhausen</strong>.