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Das Schlusswort von Prof. Dr. Gerd-E. Famulla, wiss. Begleitung des ...

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<strong>Gerd</strong>-E. <strong>Famulla</strong><br />

<strong>Schlusswort</strong> auf der Abschlusstagung <strong>des</strong><br />

SWA-Programms am 05./06.06.2007 in Berlin:<br />

„Lessons learned?“<br />

„Wo sehen wir klarer, was haben wir gelernt?“<br />

Meine sehr geehrten Damen und Herren,<br />

wir befinden uns am Ende dieser Abschlusstagung, aber noch nicht am Ende<br />

der Laufzeit <strong>des</strong> SWA-Programms. Seitens der <strong>wiss</strong>enschaftlichen <strong>Begleitung</strong><br />

wird es jetzt darum gehen, neben den Projektergebnissen auch diese Tagung<br />

für den Schlussbericht auszuwerten. Insbesondere werden wir die hier<br />

erarbeiteten bildungspolitischen Empfehlungen sorgfältig aufbereiten und dem<br />

Lenkungsausschuss <strong>des</strong> Programms in seiner letzten Sitzung im September<br />

2007 zur weiteren Behandlung vorlegen.<br />

Gestatten Sie mir an dieser Stelle abschließend und mit Rückblick auf mehr<br />

als sieben Jahre Programmlaufzeit aus Sicht der <strong>wiss</strong>enschaftlichen<br />

<strong>Begleitung</strong> <strong>des</strong> Programms noch einige wenige Schlaglichter auf den Stand<br />

und die Perspektiven der Berufsorientierung in unserem Lande zu werfen.<br />

Festzustellen ist zunächst und das zeigt auch diese Tagung, dass das<br />

Übergangsthema, also die Frage eines gelingenden Übergangs <strong>von</strong> der<br />

Schule in die Arbeitswelt, erheblich an öffentlichem Interesse gewonnen hat.<br />

So werden seit der PISA-Studie schulische Leistungen verstärkt unter dem<br />

Aspekt der Verbesserung der Ausbildungsfähigkeit <strong>von</strong> Jugendlichen erörtert.<br />

Mit Verweis auf die demographische Entwicklung wird schon jetzt für mehr<br />

Engagement bei der Ausbildung geworben und seitens der Wirtschaft wird<br />

verstärkt auf fehlenden Nachwuchs und Fachkräftemangel vor allem in einer<br />

Reihe <strong>von</strong> technischen Berufen verwiesen. Die Bildungsforschung hebt den<br />

Zusammenhang <strong>von</strong> Bildung, Innovation und wirtschaftlicher Entwicklung<br />

hervor und reklamiert die ungenutzten Bildungspotentiale in Deutschland, die<br />

sich etwa in der Zahl <strong>von</strong> 1,3 Mio. junger Menschen bis 29 Jahren ohne<br />

Berufsabschluss (vgl. BMBF-PM 041/2007 vom 28.02.2007) bzw. einer<br />

wachsenden Zahl <strong>von</strong> Jugendlichen im Übergangssektor ausdrücken. Dieser<br />

nimmt vor allem diejenigen Jugendlichen eines Jahrgangs auf, die im dualen<br />

System oder dem Schulberufssystem keinen Ausbildungsplatz gefunden<br />

1


haben (zum Übergangssystem gehören BVJ, BGJ, BFS und die<br />

Berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen der BA). Der Anteil <strong>von</strong><br />

Jugendlichen, der ins Übergangssystem geht, beläuft sich mittlerweile auf 40<br />

% eines Jahrgangs (488.000 Jugendliche), was das Konsortium<br />

Bildungsberichterstattung in seinem Bildungsbericht 2006 dazu veranlasst,<br />

<strong>von</strong> der möglicherweise „folgenreichsten und auch problematischsten<br />

Strukturverschiebung“ im Ausbildungssystem zu sprechen (2006: 80). Hier<br />

besteht offenbar ein eklatanter Widerspruch zwischen der allseits als dringend<br />

notwendig erkannten Steigerung <strong>des</strong> Bildungs- oder Qualifikationspotentials<br />

(Bildungsökonomen sprechen hier vom Humanvermögen oder vom<br />

Humankapital) und dem tatsächlich realisierten Umfang an Ausbildung, der<br />

einem Geburtsjahrgang heute in Deutschland tatsächlich zuteil wird.<br />

Über die Ursachen dieses Widerspruchs wird gestritten: Sehen die einen hier<br />

eher eine Krise <strong>des</strong> Ausbildungsmarktes, also einen Lehrstellenmangel, sehen<br />

andere eher Defizite der Schulen, wenn es um die Ausbildungsfähigkeit geht.<br />

Wie das Konsortium Bildungsberichterstattung in seinem Bericht über „Bildung<br />

in Deutschland“ weiter feststellt, scheint es „gegenwärtig nicht entscheidbar,<br />

wie weit der eine oder der andere Ursachenkomplex wirksam ist“ (ebd.: 82).<br />

In Bezug auf den „Ursachenkomplex Schule“ hat die verstärkte<br />

bildungspolitische Wahrnehmung <strong>des</strong> Übergangsproblems immerhin dazu<br />

geführt, dass eine ganze Reihe <strong>von</strong> öffentlich und privat geförderten Projekten<br />

und Maßnahmen durchgeführt wurden und werden – wozu auch das SWA-<br />

Programm gehört –, deren positive Wirkungen nicht zu übersehen sind. So hat<br />

das SWA-Programm sicher dazu beigetragen, dass sich in den aktuellen<br />

Lehrplänen in einigen Bun<strong>des</strong>ländern in Fragen der Berufsorientierung ein<br />

neuer „Geist“ widerspiegelt. Zunehmend wird in Schulgesetzen die<br />

Entwicklung <strong>von</strong> Schulprogrammen festgelegt. Hier ist viel <strong>von</strong> Vorbereitung<br />

auf die Arbeitswelt und Berufsorientierung die Rede. An den Schulen werden,<br />

vielfach angestoßen durch SWA-Projekte und wahrgenommen durch<br />

engagierte Lehrkräfte, neue Praktikums- und Kooperationsformen<br />

angewendet, Bildungsangebote für besondere Gruppen entwickelt, es werden<br />

die neuen Möglichkeiten <strong>des</strong> Multimediums Internet stärker genutzt und<br />

systematisch Schulentwicklung auch mit dem Ziel der Verbesserung der<br />

Berufsorientierung betrieben.<br />

Allerdings – und das ist die Kehrseite und entscheidend für den aktuellen<br />

Stand – haben diese Maßnahmen, Projekte oder guten Beispiele bislang<br />

2


selten Einzug in den Alltag ihrer Herkunftsschule oder gar anderer Schulen<br />

gefunden, weil sie in der Regel vom Engagement Einzelner abhängig sind.<br />

Selten konnten sie auch ihr volles Leistungspotenzial entfalten, weil sie weder<br />

mit dem übrigen Unterricht verbunden noch in ein Konzept integriert waren.<br />

Wie sich dieser noch überwiegend unbefriedigende Zustand an Schulen in<br />

Richtung auf das Leitbild einer berufsorientierenden Schule zu bewegen kann,<br />

lässt sich auf dem Hintergrund der Erkenntnisse und Erfahrungen <strong>des</strong> SWA-<br />

Programms näher angeben. Ich möchte hierzu, knapp gefasst, fünf<br />

Orientierungspunkte benennen:<br />

1. E r s t e n s ist der Begriff Berufsorientierung gegenüber seiner<br />

Verengung auf bloßen Berufswahlunterricht zu erweitern. Ging es bis in<br />

die 1970er Jahre noch vorrangig um die Stärkung der<br />

Berufswahlfähigkeit am Ende der Sekundarstufe I, so ist<br />

Berufsorientierung heute angesichts <strong>des</strong> permanenten Strukturwandels<br />

in Arbeitsmarkt und Beruf zu einer lebensbegleitenden Aufgabe<br />

geworden. Der Lebensberuf wird durch berufliche Tätigkeit ersetzt,<br />

Erwerbsarbeit wird um Tätigkeiten wie Eigenarbeit oder Bürgerarbeit<br />

ergänzt, der Qualifikationsbegriff wird zunehmend vom<br />

Kompetenzbegriff abgelöst. Wir sprechen <strong>des</strong>halb auch eher <strong>von</strong><br />

Arbeits- und Berufsorientierung und sehen hier vorrangig eine<br />

Bildungsaufgabe, die auf Persönlichkeitsentwicklung und<br />

Kompetenzerwerb gerichtet ist. Zentrale Aufgabe der Berufsorientierung<br />

ist die Befähigung zur Gestaltung der eigenen Bildungs- und<br />

Berufsbiographie, die man treffend auch als „autobiographische<br />

Kompetenz“ bezeichnet.<br />

2. Z w e i t e n wäre die Arbeits- und Berufsorientierung bzw. das<br />

Übergangsmanagement – durchaus in Kooperation mit<br />

Arbeitsagenturen und Betrieben – stärker in die Schulen zu verlagern<br />

und dort auszubauen, um dadurch die hohe Anzahl teurer,<br />

nachschulischer Maßnahmen zu verringern. <strong>Das</strong> heißt, eindeutig zu<br />

bejahen ist die Frage, die die ehemalige Direktorin <strong>des</strong> Instituts für<br />

Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Jutta Allmendinger, stellte, „ob eine<br />

nachbessernde Arbeitsmarktpolitik nicht durch eine vorsorgende<br />

Bildungspolitik ersetzt werden solle?“ (vgl. Allmendinger/Ebner 2005, S.<br />

14). Als beispielhaft hierfür betrachten wir jene Projekte, die eine<br />

Verknüpfung der drei Komponenten: vermehrter Praxisbezug,<br />

3


sozialpädagogische Betreuung und veränderte Lern- und Lehrformen in<br />

einem möglichst früh anzusetzenden schulischen Rahmen anstreben.<br />

Hierfür wäre allerdings ein Umlenken eines Teils der eingesparten Mittel<br />

zur Finanzierung dieser schulischen Maßnahmen erforderlich, weil ein<br />

anderer Personalschlüssel notwendig ist.<br />

3. D r i t t e n s ist darauf zu verweisen, dass Arbeits- und<br />

Berufsorientierung in dem einleitend genannten erweiterten Sinne nur<br />

gelingen kann, wenn sie als Aufgabe der ganzen Schule begriffen<br />

wird. Mit dem Ziel der Kompetenzstärkung <strong>von</strong> Jugendlichen wird<br />

Arbeits- und Berufsorientierung nicht nur zur Angelegenheit eines jeden<br />

Faches, sondern wird durch die Praktizierung <strong>von</strong> anderen Lehr- und<br />

Lernformen (Stichwort: Projektlernen) zu einer fachübergreifenden<br />

Aufgabe. Durch die stärkere Verbindung mit der außerschulischen<br />

Praxis wird sie darüber hinaus zu einer schulübergreifenden Aufgabe.<br />

[Auf dem Hintergrund <strong>des</strong> umfassenden Bildungsauftrags <strong>von</strong> Schule,<br />

wie er vom Forum Bildung im Hinblick auf die drei Elemente<br />

Persönlichkeitsbildung, gesellschaftliche Teilhabe und Vorbereitung auf<br />

die Arbeitswelt formuliert wurde, können wir nun auch näher bestimmen,<br />

wann man <strong>von</strong> einer berufsorientierenden Schule sprechen kann.] Vom<br />

<strong>Prof</strong>il einer berufsorientierenden Schule sprechen wir, wenn die<br />

Berufsorientierung als didaktisches Grundprinzip im Schulleitbild fest<br />

verankert ist, wenn dies <strong>von</strong> der Schulleitung nachdrücklich vertreten<br />

wird und wenn sich diese Denkhaltung in einem fächer- und<br />

jahrgangsübergreifenden Konzept manifestiert. In einer Reihe <strong>von</strong> SWA-<br />

Projekten – ich verweise hier ausdrücklich auf das Projekt EBISS und<br />

die AG 1 –, ist man auf diesem Weg zu einer berufsorientierenden<br />

Schule ein ganzes Stück vorangekommen. <strong>Das</strong>s das hier skizzierte<br />

Leitbild einer berufsorientierenden Schule seinen Niederschlag auch in<br />

der Lehreraus- und -weiterbildung finden sollte, will ich hier ausdrücklich<br />

betonen.<br />

4. V i e r t e n s ist festzustellen, dass seit Beginn im SWA-Programm<br />

Arbeits- und Berufsorientierung als eine genuin kooperative<br />

Bildungsaufgabe verstanden wird und dass vor allem direkte<br />

betriebliche Kontakte und praktische Erfahrungen ein unverzichtbares<br />

Kernstück der Berufsvorbereitung darstellen. Dieser Einsicht wurde in<br />

verschiedenen Projekten und Praktikumsformen beispielhaft Rechnung<br />

4


getragen. Darüber hinaus können wir feststellen, dass<br />

Berufsorientierung besonders günstige Voraussetzungen in einem<br />

Konzept <strong>von</strong> Ganztagsschule vorfindet (siehe Empfehlungen der AG 3)<br />

und am besten in einem Netzwerk mit externen Partnern wie Betrieben,<br />

Arbeitsagenturen, Eltern und Sozialpartnern und Hochschulen zu<br />

bewältigen ist. Als beispielhaft lassen sich hierfür jene Ansätze im SWA-<br />

Programm bezeichnen, die systematische und auf Dauer angelegte<br />

Kooperationen zwischen allen für die Berufsorientierung Jugendlicher<br />

bedeutsamen Stellen und Personengruppen anstreben. Ich verweise<br />

hierzu ausdrücklich auch auf den „Handlungsleitfaden“ der Pakt–<br />

Arbeitsgruppe, der gestern in der AG 4 vorgestellt und diskutiert wurde.<br />

5. F ü n f t e n s lässt sich die Erkenntnis festhalten, dass auch gute<br />

Beispiele <strong>von</strong> Arbeits- und Berufsorientierung sich nicht <strong>von</strong> allein<br />

verstetigen und in der Fläche ausbreiten, sondern dafür Konzepte zu<br />

erarbeiten und Ressourcen vorzusehen sind. Auch der nachgewiesene<br />

und nachhaltige Erfolg am Projektstandort ersetzt nicht die gezielte<br />

Ausarbeitung eines Transferkonzepts sowie die adressatengerechte<br />

Aufbereitung der Projektergebnisse und professionelle<br />

Öffentlichkeitsarbeit. Zur Stützung der lan<strong>des</strong>weiten Verbreitung <strong>von</strong><br />

Projektergebnissen wurden in einer Reihe <strong>von</strong> Ländern<br />

Transferagenturen eingerichtet, doch ist deren Ausstattung noch relativ<br />

bescheiden und ihre Fortexistenz ist nicht durchweg gesichert. Auch gibt<br />

es in den übrigen Ländern nicht schon verlässliche Anzeichen dafür,<br />

entsprechende Agenturen einzurichten.<br />

Anknüpfend an diesen fünften und letzten Punkt gestatten Sie mir ein<br />

knappes Fazit: Erfolgreiche Arbeits- und Berufsorientierung bemisst sich<br />

nach wie vor und primär an der Integration je<strong>des</strong> einzelnen Jugendlichen in<br />

die Arbeits- und Berufswelt. Damit die hierzu innerhalb und außerhalb <strong>des</strong><br />

SWA-Programms gewonnenen wichtigen Erfahrungen und Erkenntnisse<br />

auch verstärkt in der Fläche Früchte tragen, verweise ich ausdrücklich auf<br />

drei auch während dieser Tagung genannte eher organisatorische oder<br />

institutionelle Vorschläge bzw. Bedarfsanmeldungen:<br />

Wir benötigen e r s t e n s ein geeignetes Dokumentations- und<br />

Informationssystem, das die in den Ländern vorfindliche große Vielfalt an<br />

Richtlinien, Projekten und Maßnahmen zur Vorbereitung auf die Berufs-<br />

5


und Arbeitswelt möglichst unter dem jeweiligen Verständnis <strong>von</strong><br />

Berufsorientierung erfasst und zur Nutzung zugänglich macht.<br />

Wir benötigen z w e i t e n s ein bedarfsorientiertes und auf Dauer<br />

angelegtes Unterstützungssystem bzw. regionales<br />

Übergangsmanagement, das die verschiedenen regionalen Akteure für<br />

eine gemeinsame Umsetzung <strong>des</strong> formulierten Leitbil<strong>des</strong> koordiniert und<br />

moderiert und einen länderübergreifenden Austausch sichert.<br />

Wir benötigen d r i t t e n s eine zentrale Arbeitsstelle oder Agentur, in<br />

der fach<strong>wiss</strong>enschaftliche Expertise zur Gewinnung <strong>von</strong> abgesicherten<br />

Erkenntnissen zum Übergang Schule-Arbeitswelt konzentriert wird und zur<br />

Beratungs- und Informationsarbeit in Richtung Öffentlichkeit und Politik<br />

tätig wird.<br />

Mit diesen Bedarfsanmeldungen oder Vorschlägen möchte ich schließen<br />

und an dieser Stelle ausdrücklich allen Projektverantwortlichen für ihr<br />

hohes Engagement und die gute Kooperation im Verlaufe der<br />

Programmlaufzeit danken. Allen gestern und heute Beteiligten möchte ich<br />

für die aktive Mitwirkung an dieser Abschlusstagung <strong>des</strong> SWA-Programms<br />

danken und Ihnen allen einen guten Heimweg wünschen.<br />

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