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04.09.2014 Aufrufe

Essen und Trinken Essen und Trinken Wann genau und durch wen es über den Alpenhauptkamm nach Deutschland kam, weiß man nicht, aber in den Siebzigern war es auf einmal da und jeder wollte es essen: das Carpaccio. Klassisch wird es aus Rindfleisch zubereitet, doch mittlerweile pflegt nahezu jeder Koch seine spezielle Variante. Im „Landhaus Bacher“ in der Wachau hat Lisl Wagner, die geniale Köchin, ihre Gäste kürzlich sogar mit einem Austern-Carpaccio entzückt, hauchdünn geschnitten, wie es sich gehört. Die Phantasie darf ja mitspielen, nur: Ein Carpaccio muss immer zart bleiben, immer mehr Poesie als Prosa sein; wer es überwürzt oder gar mit Beilagen befrachtet, missversteht die Idee des Carpaccios. Carpaccio Cipriani Entstanden ist dieses delikate Hors d’oevre 1950 in Venedig, in „Harry’s Bar“. Wie so oft, wenn Großes sich entwickelt, spielt der Zufall mit. Giuseppe Cipriano, der Chef von „Harry’s Bar“ und Gentleman-Wirt der alten Schule, hat es erfunden, ohne sich viel dabei zu denken. Weil die Contessa Amalia Nani-Mocenigo, ein Stammgast und übrigens eine erstklassige Contessa mit Dogen unter den Ahnen, einen sensiblen Magen hatte und laut ärztlichem Rat im Rahmen ihrer Diät kein gekochtes Fleisch essen durfte, servierte ihr Signore Cipriani feinstblättrig geschnittenes Ochsenfilet, beträufelt mit einer pikanten Tunke, die immer vorrätig war und den klangvollen Namen „Salsa universale“ hatte. Das ist eine Mayonnaise, angereichert mit etwas Worcestershiresauce, Milch, Zitronensaft, Salz, weißem Pfeffer sowie - nach persönlichem Geschmack - einem guten Spritzer Cognac. Das Ur-Carpaccio ist demnach als diätetischer Gaumenletzen auf die Welt gekommen. Am feinsten lässt sich das Fleisch schneiden, wenn es leicht angefroren ist - wie überhaupt jedes fischige oder fleischige Produkt, aus dem ein Carpaccio werden soll, gerade so lange ins Tiefkühlfach kommt, bis es genügend angehärtet ist. Es empfiehlt sich, das Fleisch mit Zitronensaft, Meersalz und weißem Pfeffer ein wenig zu marinieren, bevor man die „Salsa universale“ darüber träufelt, kreuz und quer, spiralenförmig oder wie es einem gefällt. Anstelle der Mayonnaise kann man selbstverständlich auch eine Vinaigrette aus feinstem Weinessig und Olivenöl nehmen. Weil außer der Contessa immer mehr Gäste an dem frugalen Gericht ihren Gefallen hatten, setzte Cipriani es auf die Speisekarte. Nun musste ein Name her. Wieder spielte der Zufall sein Solo. Im Dogenpalast ist damals eine große Ausstellung von Carpaccio gezeigt worden. Jener Vittore Carpaccio (cirka 1465 bis 1525), als dessen Spezialität große Bildfolgen mit erzählendem Charakter gelten, soll von Bellini malerisch beeinflusst worden sein. Und einen „Bellini“ gab es in „Harry’s Bar“ bereits; es war der Haustrunk aus Pfirsichsaft mit Sekt oder Champagner. Also wurde das marinierte Contrefilet – so nennen Gastronomen das Roastbeef – zum Carpaccio. Heute verstehen Köche unter „Carpaccio“ auch eine vom Erstlingswerk unabhängige Art der Zubereitung. Im kulinarischen Lexikon „Die Sprache der Küche“ definiert Herbert Birle das Carpaccio bereits neutral als „hauchdünn geschnittene Scheiben von Fleisch oder Fisch in einer leicht sauren Marinade oder mit einer Sauce“. In diesem Sinne können kreative Köche ihren Einfallsreichtum beweisen. In der modernen Küchenliteratur finden sich Gerichte „à la carpaccio“ mit Spargel, Gänseleber, Hirschkalbsrücken, Langustinen, Wolfsbarsch, Steinbutt und so weiter. Sinnenbetörend schmeckt beispielsweise das Steinpilz-Carpaccio von Helmut Österreicher, dem Wiener Koch: Feinblättrig geschnittene Steinpilze werden auf blanchierte Würfelchen von Sellerie, Karotten und gelben Rüben gelegt, gewürzt mit Olivenöl, Salz und gemahlenem Kümmel. Die Pilze dann mit einer dünn angelegten Sauce hollandaise plus Petersilie, Estragon, Trüffelöl und ein wenig Fenchelkraut begießen, mit Sesam bestreuen und kurz im Rohr überbacken. Rühmenswert ist das Carpaccio von der Jakobsmuschel, das der geniale Heinz Winkler in seiner „Residenz“ zu Aschau im Chiemgau nebst Sauerrahm mit einem anständigen Klacks Kaviar auf einer Kartoffel der edlen Rasse namens La Ratte (Kipfler oder Bamberger bzw. Pfälzer Hörnchen im Deutschen) würzt. Das sind Kompositionen, die es verdienen, nach einem Mann der venezianischen Renaissancemalerei benannt zu werden. Problematisch wird‘s bei einem Spargel-Carpaccio, und ein Erbsen-Carpaccio, an dem ein bekannter Koch seit langem tüftelt, fällt ebenfalls eher ins surreale Küchenfach. Salsa Carpaccio Das authentische Rezept von Arrigo Cipriani (für etwa einen Viertelliter): 185 ml Mayonnaise in einer Schüssel mit 1 bis 2 Tl Worcestershiresauce sowie einem Tl frisch gepreßtem Zitronensaft gut durchmischen. Mit 2 bis 3 El Milch so weit verdünnen, dass die Sauce gerade mal den Löffelrücken samten überzieht. Schließlich mit Salz, frisch gemahlenem weißem Pfeffer, Worcestershiresauc oder Zitronensaft abschmecken. Ein Schuss Cognac gehört nicht zum originalen Rezept, kann die Sauce freilich geschmacklich anreichern. Carpaccio: Tellerpoesie aus Fleisch, Fisch oder Gemüse von August F. Winkler 34 Von hier von dort und anderen guten Dingen fink Das Freisinger Stadtmagazin Juli 2013 Von hier von dort und anderen guten Dingen 35

Essen und Trinken<br />

Essen und Trinken<br />

Wann genau und durch wen es über den<br />

Alpenhauptkamm nach Deutschland kam,<br />

weiß man nicht, aber in den Siebzigern war<br />

es auf einmal da und jeder wollte es essen:<br />

das Carpaccio. Klassisch wird es aus Rindfleisch<br />

zubereitet, doch mittlerweile pflegt<br />

nahezu jeder Koch seine spezielle Variante.<br />

Im „Landhaus Bacher“ in der Wachau hat<br />

Lisl Wagner, die geniale Köchin, ihre Gäste<br />

kürzlich sogar mit einem Austern-Carpaccio<br />

entzückt, hauchdünn geschnitten, wie es sich<br />

gehört. Die Phantasie darf ja mitspielen, nur:<br />

Ein Carpaccio muss immer zart bleiben, immer<br />

mehr Poesie als Prosa sein; wer es überwürzt<br />

oder gar mit Beilagen befrachtet, missversteht<br />

die Idee des Carpaccios.<br />

Carpaccio Cipriani<br />

Entstanden ist dieses delikate Hors d’oevre<br />

1950 in Venedig, in „Harry’s Bar“. Wie so<br />

oft, wenn Großes sich entwickelt, spielt der<br />

Zufall mit. Giuseppe Cipriano, der Chef<br />

von „Harry’s Bar“ und Gentleman-Wirt der<br />

alten Schule, hat es erfunden, ohne sich viel<br />

dabei zu denken. Weil die Contessa Amalia<br />

Nani-Mocenigo, ein Stammgast und übrigens<br />

eine erstklassige Contessa mit Dogen<br />

unter den Ahnen, einen sensiblen Magen<br />

hatte und laut ärztlichem Rat im Rahmen<br />

ihrer Diät kein gekochtes Fleisch essen durfte,<br />

servierte ihr Signore Cipriani feinstblättrig<br />

geschnittenes Ochsenfilet, beträufelt mit<br />

einer pikanten Tunke, die immer vorrätig<br />

war und den klangvollen Namen „Salsa<br />

universale“ hatte. Das ist eine Mayonnaise,<br />

angereichert mit etwas Worcestershiresauce,<br />

Milch, Zitronensaft, Salz, weißem Pfeffer sowie<br />

- nach persönlichem Geschmack - einem<br />

guten Spritzer Cognac. Das Ur-Carpaccio ist<br />

demnach als diätetischer Gaumenletzen auf<br />

die Welt gekommen. Am feinsten lässt sich<br />

das Fleisch schneiden, wenn es leicht angefroren<br />

ist - wie überhaupt jedes fischige oder<br />

fleischige Produkt, aus dem ein Carpaccio<br />

werden soll, gerade so lange ins Tiefkühlfach<br />

kommt, bis es genügend angehärtet ist. Es<br />

empfiehlt sich, das Fleisch mit Zitronensaft,<br />

Meersalz und weißem Pfeffer ein wenig zu<br />

marinieren, bevor man die „Salsa universale“<br />

darüber träufelt, kreuz und quer, spiralenförmig<br />

oder wie es einem gefällt. Anstelle der<br />

Mayonnaise kann man selbstverständlich<br />

auch eine Vinaigrette aus feinstem Weinessig<br />

und Olivenöl nehmen. Weil außer der<br />

Contessa immer mehr Gäste an dem frugalen<br />

Gericht ihren Gefallen hatten, setzte<br />

Cipriani es auf die Speisekarte. Nun musste<br />

ein Name her. Wieder spielte der Zufall sein<br />

Solo. Im Dogenpalast ist damals eine große<br />

Ausstellung von Carpaccio gezeigt worden.<br />

Jener Vittore Carpaccio (cirka 1465 bis<br />

1525), als dessen Spezialität große Bildfolgen<br />

mit erzählendem Charakter gelten, soll von<br />

Bellini malerisch beeinflusst worden sein.<br />

Und einen „Bellini“ gab es in „Harry’s Bar“<br />

bereits; es war der Haustrunk aus Pfirsichsaft<br />

mit Sekt oder Champagner. Also wurde<br />

das marinierte Contrefilet – so nennen Gastronomen<br />

das Roastbeef – zum Carpaccio.<br />

Heute verstehen Köche unter „Carpaccio“<br />

auch eine vom Erstlingswerk unabhängige<br />

Art der Zubereitung. Im kulinarischen Lexikon<br />

„Die Sprache der Küche“ definiert<br />

Herbert Birle das Carpaccio bereits neutral<br />

als „hauchdünn geschnittene Scheiben von<br />

Fleisch oder Fisch in einer leicht sauren Marinade<br />

oder mit einer Sauce“. In diesem Sinne<br />

können kreative Köche ihren Einfallsreichtum<br />

beweisen. In der modernen Küchenliteratur<br />

finden sich Gerichte „à la carpaccio“<br />

mit Spargel, Gänseleber, Hirschkalbsrücken,<br />

Langustinen, Wolfsbarsch, Steinbutt und so<br />

weiter. Sinnenbetörend schmeckt beispielsweise<br />

das Steinpilz-Carpaccio von Helmut<br />

Österreicher, dem Wiener Koch: Feinblättrig<br />

geschnittene Steinpilze werden auf blanchierte<br />

Würfelchen von Sellerie, Karotten<br />

und gelben Rüben gelegt, gewürzt mit Olivenöl,<br />

Salz und gemahlenem Kümmel. Die<br />

Pilze dann mit einer dünn angelegten Sauce<br />

hollandaise plus Petersilie, Estragon, Trüffelöl<br />

und ein wenig Fenchelkraut begießen, mit<br />

Sesam bestreuen und kurz im Rohr überbacken.<br />

Rühmenswert ist das Carpaccio von<br />

der Jakobsmuschel, das der geniale Heinz<br />

Winkler in seiner „Residenz“ zu Aschau im<br />

Chiemgau nebst Sauerrahm mit einem anständigen<br />

Klacks Kaviar auf einer Kartoffel<br />

der edlen Rasse namens La Ratte (Kipfler<br />

oder Bamberger bzw. Pfälzer Hörnchen im<br />

Deutschen) würzt. Das sind Kompositionen,<br />

die es verdienen, nach einem Mann der venezianischen<br />

Renaissancemalerei benannt zu<br />

werden. Problematisch wird‘s bei einem Spargel-Carpaccio,<br />

und ein Erbsen-Carpaccio, an<br />

dem ein bekannter Koch seit langem tüftelt,<br />

fällt ebenfalls eher ins surreale Küchenfach.<br />

Salsa Carpaccio<br />

Das authentische Rezept von Arrigo Cipriani<br />

(für etwa einen Viertelliter):<br />

185 ml Mayonnaise in einer Schüssel mit 1<br />

bis 2 Tl Worcestershiresauce sowie einem<br />

Tl frisch gepreßtem Zitronensaft gut<br />

durchmischen. Mit 2 bis 3 El Milch so weit<br />

verdünnen, dass die Sauce gerade mal den<br />

Löffelrücken samten überzieht. Schließlich<br />

mit Salz, frisch gemahlenem weißem Pfeffer,<br />

Worcestershiresauc oder Zitronensaft<br />

abschmecken. Ein Schuss Cognac gehört<br />

nicht zum originalen Rezept, kann die Sauce<br />

freilich geschmacklich anreichern.<br />

Carpaccio:<br />

Tellerpoesie aus Fleisch,<br />

Fisch oder Gemüse<br />

von August F. Winkler<br />

34 Von hier von dort und anderen guten Dingen fink Das Freisinger Stadtmagazin<br />

Juli 2013<br />

Von hier von dort und anderen guten Dingen 35

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