«Love songs» - Philharmonie
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<strong>«Love</strong> <strong>songs»</strong><br />
Vendredi / Freitag / Friday<br />
29.11.2013 21:30<br />
Salle de Musique de Chambre<br />
ensemble recherche<br />
Melise Mellinger violon<br />
Barbara Maurer alto<br />
Åsa Åkerberg violoncelle<br />
Martin Fahlenbock flûte<br />
Jaime González hautbois<br />
Shizuyo Oka clarinette<br />
Christian Dierstein percussion<br />
Klaus Steffes-Holländer, Jean-Pierre Collot piano<br />
Richard Wagner: Tristan und Isolde (1857–1859)<br />
Vorspiel (instr. für Klavier zu 4 Händen von Josef Venantius von Wöss,<br />
nachbearbeitet von Jean-Pierre Collot)<br />
Liebestod (instr. für Klavier solo von Franz Liszt)<br />
18’<br />
François Sarhan: scènes d’amour pour 1 à n instruments et fichier son (2010)<br />
Carola Bauckholt: Liebeslied (2010)<br />
Wolfgang A. Mozart: Adagio für Glasharmonika KV 617a (1791)<br />
(arr. Salvatore Sciarrino)<br />
Lucia Ronchetti: Rosso pompeiano. Scherzo for ensemble (2010)<br />
18’<br />
Claude Debussy: Prélude à l’après-midi d’un faune (1891–1894)<br />
(arr. pour flûte et piano par Gustave Samazeuilh)<br />
12’<br />
Hans Abrahamsen: Liebeslied (2010)<br />
Enno Poppe: Schweiß (2007–2010)<br />
Fabio Nieder: Der SCHUH auf dem WEG zum SATURNIO.<br />
Ein Liebesgesang in drei Bildern (2010)<br />
17’<br />
Franz Liszt: Orpheus (1853–1854, instr. für sieben Instrumente<br />
von Pierre Strauch)<br />
12’<br />
75’ sans entracte / ohne Pause<br />
122
«Liebeslieder gibt es wieder»<br />
Wie das ensemble recherche einer ganzen Gattung zum Aufleben half<br />
Kornelia Bittmann (2012)<br />
«Es gibt keine Liebeslieder mehr!» Diese Feststellung war Anfang und Ende zugleich.<br />
Sie stand am Ende der Überlegungen, die die Musiker des ensemble recherche<br />
zusammen mit ihrer Dramaturgin Sabine Franz im Vorfeld des 25-jährigen<br />
Ensemblejubiläums 2010 angestellt hatten: «Was könnten wir uns zum Geburtstag<br />
wünschen? – Was hat uns in den letzten fünfundzwanzig Jahren gefehlt?» Und<br />
sie stand am Anfang eines Projekts, das noch längst nicht abgeschlossen ist und<br />
ganz offensichtlich eine neue «Welle» in der neuen Musik ausgelöst hat: die<br />
Komposition zeitgenössischer Liebeslieder. In den vergangenen Jahren haben<br />
befreundete Komponistinnen und Komponisten rund dreißig neue Liebeslieder<br />
für das Ensemble geschrieben, weitere sind in Arbeit.<br />
Tabu-Thema?<br />
Aber warum gibt es keine Liebeslieder mehr? Man muss die Aussage eingrenzen.<br />
In der neuen Musik gibt – oder gab – es keine. Das Thema schien ein Tabu zu<br />
sein: Liebe, damit assoziiert man gemeinhin Harmonie, Wohlklang, Happy End.<br />
Als die musikalische Avantgarde nach dem Zweiten Weltkrieg antrat, die Opernhäuser<br />
in die Luft zu sprengen und zum Nullpunkt des Schreibens zu gelangen,<br />
hätten Gefühle nur gestört. Die Liebe in Zeiten des Serialismus? Schwer vorstellbar,<br />
dass sich zwischen der vollständigen Beherrschung aller Parameter, zwischen<br />
Fibonacci-Reihe und Klangsynthese die wohl irrationalste aller menschlichen<br />
Regungen hätte breit machen können.<br />
Stattdessen ist das Terrain der Pop-, Rock- und Schlagermusik überlassen worden.<br />
Hier geht ohne Liebe fast nichts, gleichzeitig sorgt die reflexhafte Beschwörung<br />
der Liebe in der sogenannten U-Musik für eine Abstumpfung beim Hörer. «This is<br />
not a love song», musste die britische Post-Punk-Band Public Image Ltd. Anfang<br />
der 1980er Jahre texten, damit mal wieder jemand aufmerkte. Die zeitgenössische<br />
Musik hingegen hatte die Gelegenheit verpasst, sich zum Sprachrohr der Gefühle<br />
zu machen.<br />
Ganz anders als Literatur und Lyrik, die auch in den äußersten Positionen der<br />
Avantgarde immer wieder um dieses Menschheitsthema par excellence kreisten.<br />
Dabei hatte alles mit der Liebe angefangen. Sieht man die Ursprünge der abendländischen<br />
Musik nicht allein im Gregorianischen Choral, sondern auch in der<br />
Kunst der Troubadoure, so war Liebe das beherrschende, ja sogar das einzige<br />
Thema der ersten – anonymen – Komponisten.<br />
Ausnahme: Karlheinz Stockhausen – ausgerechnet<br />
Gewiss, es gab Ausnahmen. Ausgerechnet Karlheinz Stockhausen, der als einer der<br />
radikalsten Vertreter der Nachkriegs-Avantgarde auftrat, entdeckte in den 1970er<br />
Jahren die Liebe als treibende Kraft, die Privates und Künstlerisches verband. Sie<br />
durchzog seine Werke bis zu seinem Tod, und auch jenseits der Opernhandlung<br />
der Licht-Heptalogie taucht sie als Topos auf, beispielsweise im Zyklus Amour<br />
für Klarinette. Auch Stockhausens Schüler Claude Vivier – ein Waise, dessen biographisch<br />
begründeter Hunger nach Liebe zum zentralen Thema seiner Arbeiten<br />
wurde – hat die Welt der Gefühle für die zeitgenössische Musik erschlossen – und<br />
dabei eine Klangsinnlichkeit entwickelt, die bis heute ihresgleichen sucht.<br />
123
Trotz dieser Gegenbeispiele ist die Unvereinbarkeit von neuer Musik und Liebe<br />
bis heute quasi reflexhaft verankert – auch in den Köpfen führender Vertreter der<br />
Zunft. Als das ensemble recherche in einem Brief an befreundete Komponisten<br />
den Wunsch nach Liebesliedern aussprach, war die erste Reaktion von Hans<br />
Zender – wie sich Flötist Martin Fahlenbock erinnert – fast abweisend: «Liebeslieder,<br />
das ist doch schon dreimal durchgeixt, die gibt’s doch gar nicht mehr.»<br />
Fahlenbocks Antwort ist programmatisch für das ganze Projekt: «Genau das, lieber<br />
Hans, ist der Grund, warum wir euch Komponisten, die wir schätzen und mit<br />
denen wir zusammenarbeiten, um so etwas bitten.» Schließlich hat Zender mitgemacht,<br />
ebenso wie viele seiner Kollegen unterschiedlicher Generationen – das<br />
Komponistenverzeichnis des Liebeslieder-Zyklus liest sich wie ein «Who is Who»<br />
der neuen Musik. Abgesehen von einzelnen Zweiflern – wie Hans Zender – und<br />
einigen Verweigerern – aus Zeitgründen oder weil sie grundsätzlich keine «Gelegenheitswerke»<br />
schreiben – war die Resonanz bei den befragten Komponisten groß.<br />
Viele sahen den Auftrag als willkommene Herausforderung, da das Thema erklärtermaßen<br />
völlig außerhalb ihres – zumindest künstlerischen – Denkens stand, was<br />
ja schon bezeichnend ist.<br />
Dass so viele Komponisten mitgemacht haben, wirft auch ein Licht auf eine Beziehung,<br />
die sich vom Konzertbesucher weitgehend unbeachtet vollzieht: das symbiotische<br />
Verhältnis zwischen Komponist und Ensemble. Die Musiker verleihen<br />
den Ideen des Komponisten klangliche Gestalt, umgekehrt «füttert» der Komponist<br />
das Ensemble mit immer neuem Spielmaterial. Die Beiträge zur Liebeslieder-<br />
Sammlung waren in diesem Sinne tatsächlich Geburtstagsgeschenk und Liebesgabe<br />
zugleich – ein Honorar wurde nicht gezahlt.<br />
Wie nun haben die Komponistinnen und Komponisten<br />
das Thema angepackt?<br />
Es fällt auf, dass die Ergebnisse so vielfältig sind wie die Persönlichkeiten der vertretenen<br />
Künstler. Das beginnt schon mit den unterschiedlichen Spielarten von<br />
Liebe, die hier «besungen» werden. Von Agape, der selbstlosen Hingabe, bis hin<br />
zum Eros, für den durchaus nachvollziehbare musikalische Entsprechungen gefunden<br />
wurden. Mal ist die Zuneigung des Komponisten oder der Komponistin zum<br />
befreundeten Ensemble gemeint, mal dringen wir in die – auch körperlichen – Leidenschaften<br />
eines komponierenden Subjekts ein, verlassen den Pfad der Diskretion<br />
und Objektivität und begleiten Komponist und Ensemble in die Welt der Triebe.<br />
«Lieder ohne Worte»<br />
So unterschiedlich die Liebeslieder stilistisch auch ausgefallen sind, es gibt doch<br />
einige strukturelle Gemeinsamkeiten. Auffällig ist eine Bevorzugung des Melodischen.<br />
Die Vorgabe, «Lieder ohne Worte» zu schreiben, hat eine Fülle instrumentaler<br />
Gesänge hervorgebracht, mal solistisch, mal im Duett oder in noch größeren<br />
Formationen. Einander «umschlingende» Melodien sind dabei nicht selten, aber<br />
auch kein Grundprinzip. Auch Dreiklänge und tonale Harmonien schleichen sich<br />
bisweilen ein; die Zeiten, als solches in der neuen Musik verpönt war, scheinen<br />
überwunden.<br />
Den Musikern des ensemble recherche fiel überdies auf, dass gerade Komponisten,<br />
die sonst mit tiefgründiger Reflexion und hoher Komplexität ans Werk gehen, bei<br />
ihren Liebesliedern geradezu von einer neuen Leichtigkeit beseelt schienen. Auch<br />
klanglich scheint die Thematik das Feld geöffnet zu haben für Zartes, Wohltönendes.<br />
Mit dem gleichen Recht aber sind auch die Vertreter einer schrofferen Klangsprache<br />
bei ihren ästhetischen Prinzipien geblieben – in der Liebe, so könnte man<br />
folgern, kann man sich auf Dauer nicht verstellen. Und gerade das Widerborstige<br />
vermag, durch die Liebe «gezähmt», einen besonderen Charme zu entfalten.<br />
Rund drei Jahre nach dem mutigen Liebeswunsch des ensemble recherche und im<br />
Angesicht einer wachsenden Flut unterschiedlichster Kompositionen zum Thema<br />
kann man jetzt schon mit Fug und Recht behaupten: «Liebeslieder gibt es wieder.»<br />
124
Liebeslieder & L’Amour-Hatscher<br />
Die Programmzusammenstellung des heutigen Late-Night-Konzerts des ensemble<br />
recherche im Festival rainy days 2013 nahm ihren Ausgang bei einer Bitte des<br />
<strong>Philharmonie</strong>-Dramaturgen: Ob es möglich sei – ausgehend von Lieblingsstücken<br />
aus dem wachsenden «Liebeslieder»-Repertoire des Ensembles und bereichert<br />
um berühmte ‹Schmachtfetzen› der Musikgeschichte – einen Abend lang einmal<br />
deutlich tiefer in die Kitsch-Kiste zu greifen als man das sich sonst bei Neue-<br />
Musik-Festivals gestattet? Denn schließlich dürfe bei einem Festival mit dem Titel<br />
«take your time» ja auf keinen Fall jener Bereich fehlen, der im Wiener Dialekt<br />
unter dem unnachahmlichen Begriff «L’Amour-Hatscher» zusammengefasst wird –<br />
langsame Liebeslieder zum Engtanzen, Kuscheln und sich die Brille beschlagen<br />
lassen. Denn schon lange, bevor die Popmusik sich in die Tabuzone zwischen<br />
«Kuschelrock», «Sie spielen unser Lied» und «Was Sie schon immer über Sex wissen<br />
wollten» begab, watete die klassische Musik mit nichts als «einem durchsichtigen<br />
Gewand unsäglichen mysteriösen Wohllauts» (Liszt) bekleidet in einem «Meer<br />
unendlicher Liebeswonne» (Wagner). Nach leidenschaftlicher Recherche zu den<br />
verführerischsten Arrangements präsentiert das ensemble recherche nun ein Programm,<br />
das die Musik von einer ihrer ältesten langsamen Seiten zeigt.<br />
(Bernhard Günther)<br />
Richard Wagner: Tristan und Isolde: Einleitung und Liebestod<br />
Prinz Tristan wird als Kind «in fremde Länder» geschickt, damit er deren Sprachen<br />
lernt. Als junger Mann reist er nach Irland, um dort für seinen Onkel, König<br />
Marke von Cornwall, die Hand der schönen Prinzessin Isolde zu erbitten. Auf der<br />
Rückreise trinken Tristan und Isolde – versehentlich oder mit Absicht? – von dem<br />
Liebestrank, der eigentlich für Isolde und Marke bestimmt war. So nimmt das<br />
Schicksal seinen Lauf: Die beiden verlieben sich unsterblich ineinander und müssen,<br />
da die Hochzeit mit dem König nicht mehr zu verhindern ist, in einer heimlichen,<br />
ehebrecherischen Beziehung leben. Tristan wird nach vielen Abenteuern und Intrigen<br />
gezwungen, England zu verlassen. Nach einem letzten vergeblichen Versuch,<br />
sich mit Isolde zu vereinen, stirbt er in der Fremde – je nach Version in Frankreich<br />
oder Deutschland.<br />
Wenn das tragische Paar Tristan und Isolde die Leser und Hörer aller Zeiten und<br />
Länder faszinierte, dann liegt das zweifellos daran, dass ihre Geschichte ein universelles<br />
Thema auf den Punkt bringt: den Konflikt zwischen Loyalität und Leidenschaft.<br />
Die Liebe als Elementarmacht, die sich nicht von Gesetz und Moral einschränken<br />
lässt. Ganz persönliche Erfahrungen damit waren es wohl, die den<br />
Komponisten zur Beschäftigung mit dem Stoff anregten. Richard Wagner lebte<br />
1857, als er die Arbeit an seinem Tristan begann, in einem Landhaus auf dem<br />
Grundstück des Zürcher Industriellen Otto Wesendonck. In der Villa seines Wohltäters<br />
ging er ein und aus, und Wesendoncks junge Gattin Mathilde wurde seine<br />
Muse, womöglich seine Geliebte. Im folgenden Jahr kam es zum Eklat; Wagner<br />
trennte sich von seiner Frau Minna und flüchtete nach Venedig, wo er den zweiten<br />
Akt des Tristan komponierte. In seiner Adaption des Stoffs bezog er sich vor allem<br />
auf den um 1210 entstandenen Versroman Gottfrieds von Straßburg, doch dessen<br />
überreiche äußere Handlung reduzierte er radikal. Im Grunde geht es nur noch<br />
um das Gefühlsleben der beiden Hauptpersonen – es geht, in Wagners Worten,<br />
um «die Liebe als furchtbare Qual», um Sehnsucht, die unerfüllt bleibt und deshalb<br />
zur Todessehnsucht wird.<br />
Uraufgeführt wurde das vollständige, viereinhalb Stunden dauernde Musikdrama<br />
erst 1865 in München. Das Vorspiel dagegen stellte Wagner bereits am 12. März<br />
1859 in Prag der Öffentlichkeit vor. Und bei einem St. Petersburger Konzert am<br />
26. Februar 1863 begründete er die Tradition, das Vorspiel mit einer instrumentalen<br />
Fassung der Schlussszene zu koppeln. Aufgrund der dichten Struktur des Orchestersatzes<br />
ist es ohne Weiteres möglich, die Gesangsstimme in Isoldes Liebestod wegzulassen,<br />
ohne dass die Musik ihren Sinn verliert. Zwar sind Vorspiel und Liebestod<br />
125
126
letztlich Teile eines Gesamtkunstwerks, das neben musikalischen auch literarische<br />
und szenische Komponenten enthält. Doch als instrumentales Konzentrat der<br />
Oper sind die beiden Sätze in gewissem Sinne Programmmusik. Und Wagner gab<br />
ihnen, wohl um sich vor Fehldeutungen seiner revolutionär neuen Klänge zu<br />
schützen, tatsächlich programmatische Erläuterungen mit auf den Weg.<br />
So hören wir, nach seinen Worten, im Vorspiel das «unersättliche Verlangen anschwellen,<br />
von dem schüchternsten Bekenntnis, der zartesten Hingezogenheit an, durch banges Seufzen,<br />
Hoffen und Zagen, Klagen und Wünschen, Wonnen und Qualen, bis zum mächtigsten<br />
Andrang, zur gewaltsamsten Mühe, den Durchbruch zu finden, der dem grenzenlos begehrlichen<br />
Herzen den Weg in das Meer unendlicher Liebeswonne eröffne. Umsonst! Ohnmächtig<br />
sinkt das Herz zurück, um in Sehnsucht zu verschmachten». Wagners unaufgelöste Dissonanzen<br />
– unter ihnen der berühmte, harmonisch äußerst vieldeutige Tristan-<br />
Akkord des zweiten Takts – stellen also das Drama der beiden Liebenden dar, denen<br />
die Erfüllung im Leben versagt bleibt. Diesen Dissonanzen stehen in der Schlussszene<br />
ekstatische, jedoch harmonisch stabilere Klänge gegenüber.<br />
Wagner selbst bezeichnete den sogenannten «Liebestod» lieber als «Isoldes Verklärung».<br />
Dazu bemerkte er: «Was das Schicksal trennte, lebt nun verklärt im Tode auf;<br />
die Pforte der Vereinigung ist geöffnet. Über Tristans Leiche gewahrt die sterbende Isolde die<br />
seligste Erfüllung des glühenden Sehnens, ewige Vereinigung in ungemessenen Räumen, ohne<br />
Schranken, ohne Banden, unzertrennbar!»<br />
(Jürgen Ostmann)<br />
Wolfgang A. Mozart / Salvatore Sciarrino: Adagio für Glasharmonika<br />
Die Glasharmonika wurde im Jahr 1761 von Benjamin Franklin entwickelt.<br />
Marianne Davies, eine Verwandte des berühmten Erfinders, sorgte mit Konzertreisen<br />
und geschicktem Networking in den Kreisen des Hochadels für die rasche<br />
Verbreitung des Instruments – sie wurde sogar zur Musiklehrerin von Marie<br />
Antoinette. Schon als Kind lernte Mozart die Glasharmonika im Haus des «Magnetiseurs»<br />
Franz Anton Messmer kennen, der die ätherischen Klänge des hochmodernen<br />
Instruments in seinen Therapiesitzungen zum Einsatz brachte. Sein Vater<br />
Leopold schrieb in einem Brief an seine Frau: «weist du das der herr v Messmer recht<br />
gut die Harmonica der Miss Devis spielt? er ist der einzige der es in Wien gelernt hat, und<br />
hat eine viel schönere Gläser Machine als die Miss Devis hatte. der Wolfgang hat auch schon<br />
darauf gespielt, wen wir nur eine hätten.»<br />
Erst wenige Monate vor seinem Tod ergriff Mozart die Gelegenheit, endlich Musik<br />
für jenes Instrument zu komponieren, das ihn als Kind begeistert hatte. Die blinde<br />
Glasharmonika-Virtuosin Marianne Kirchgessner bat Mozart um Musik für ihren<br />
ersten großen Wiener Auftritt im Sommer 1791; er schrieb zu diesem Anlass ein<br />
Quintett für Harmonika, Flöte, Oboe, Viola und Cello (KV 617) und eben das<br />
Adagio KV 617a (auch unter der Nummer KV 356 geführt) für Glasharmonika solo.<br />
Angeblich soll Mozart sogar selbst bei diesem Konzert Bratsche gespielt haben.<br />
Mit Franz Anton Messmer und seinen ungewöhnlichen Therapiepraktiken geriet<br />
im 19. Jahrhundert auch die Glasharmonika in Verruf; eine gewisse Nähe zum<br />
Übernatürlichen, ja Wahnsinnigen haftet ihr und ihrem seltsamen prä-elektronischen<br />
Klang noch immer an. Es ist durchaus möglich, dass es gerade diese zwielichtige<br />
Seite des Instruments war, die den Sizilianer Salvatore Sciarrino gereizt<br />
hat, sich mit Mozarts spätem Solo auseinanderzusetzen – schließlich hat er sich<br />
mit Werken wie der Oper Luci mie traditrici als subtiler Meister im Themenbereich<br />
Wahnsinn & Liebestod erwiesen.<br />
(Bernhard Günther)<br />
Page de gauche / Linke Seite:<br />
«Rosso pompeiano»<br />
HEX #D21F1B<br />
RGB 210, 31, 27<br />
CMYK 0, 85, 87, 18<br />
HSV 1°, 87%, 82%<br />
127
Claude Debussy: Prélude à l’après-midi d’un faune<br />
Als Claude Debussys Prélude à l’après-midi d’un faune am 22. Dezember 1894 in<br />
Paris erstmals aufgeführt wurde, war im Programmheft zu lesen: «Die Musik dieses<br />
Vorspiels ist eine sehr freie Illustration des schönen Gedichtes von Mallarmé. Sie<br />
will nicht dessen Synthese sein. Es handelt sich eher um aufeinanderfolgende<br />
Stimmungsbilder, durch die sich die Begierden und Träume des Fauns während<br />
der Hitze dieses Nachmittags bewegen. Dann, der Verfolgung müde, überlässt<br />
er sich dem betäubenden Schlummer, gesättigt von endlich erfüllten Träumen,<br />
von totaler Herrschaft in der allumfassenden Natur.» Später erschien Debussy<br />
offenbar selbst dieses relativ vage Programm noch zu greifbar, zu gegenständlich:<br />
«Das Prélude à l’après-midi d’un faune ist vielleicht der Traumüberrest, der in der Flöte<br />
des Fauns steckengeblieben ist. Genauer gesagt, es ist die Gesamtstimmung des Gedichts,<br />
denn wollte man ihm auf den Fersen bleiben, so ginge der Musik der Atem aus wie einem<br />
alten Droschkengaul, der sich mit einem Vollblutpferd auf das Rennen um den großen Preis<br />
einließe.»<br />
1<br />
«Dada in Ireland centered<br />
around the activities of<br />
Dermot O’Reilly, Kevin<br />
Leeson and Brian Sheridan.<br />
All three worked at the<br />
Guinness brewery in<br />
Dublin – for this reason<br />
the Irish Dadaists are<br />
usually referred to as<br />
the ‹Guinness Dadaists.›<br />
They were most active<br />
between 1920 and 1922,<br />
during the period of the<br />
Irish War of Independence.<br />
Led by O’Reilly, the<br />
Guinness Dadaists put on<br />
performances and created<br />
sculptures, wall hangings<br />
and sound poetry. The latter<br />
was composed using the<br />
rules of pronunciation of the<br />
Irish language and as such<br />
is extremely difficult for<br />
non-Irish speakers to read or<br />
perform.»<br />
http://en.wikipedia.org/wiki/<br />
Dada#Ireland (02.11.2012)<br />
Debussys Erkenntnis, dass man Inhalte nicht ohne Weiteres von einer Kunst auf<br />
die andere übertragen kann, ist zweifellos richtig, und sie gilt auch für das Verhältnis<br />
zwischen Dichtung und Malerei: Stephane Mallarmé (1842–1898) ließ sich<br />
zu dem Gedicht L’après-midi d’un faune seinerseits durch ein Gemälde des Rokoko-<br />
Malers François Boucher (1703–1770) inspirieren. Dessen Titel lautet Pan et Syrinx –<br />
Pan ist die griechische Entsprechung zum römischen Waldgott Faunus; Syrinx<br />
war eine Nymphe, die sich auf der Flucht vor Pan in ein Schilfrohr verwandeln<br />
ließ, aus dem dieser wiederum das Syrinx oder Panflöte genannte Instrument fertigte.<br />
Allerdings ging es Mallarmé in seinem Gedicht nicht darum, den Inhalt des<br />
Gemäldes oder gar die mythische Handlung nachzuerzählen. Er wollte vielmehr<br />
die berauschende, flimmernde Atmosphäre eines arkadischen Sommertages poetisch<br />
erfassen, die erotischen Assoziationen und vielfältigen Farbnuancierungen<br />
des Bildes in Worten widerspiegeln.<br />
Im allgemeinen lehnte Mallarmé Vertonungen seiner Gedichte ab, doch von<br />
Debussy ließ er sich schließlich überreden, eine Klavierfassung des Werks anzuhören:<br />
«Mallarmé kam zu mir, mit vielsagender Miene und in einem schottischen Plaid»,<br />
berichtete der Komponist in einem Brief. «Nachdem er gehört hatte, blieb er eine ganze<br />
Zeit lang schweigend sitzen und sagte mir dann: ‹Etwas Derartiges hatte ich nicht erwartet!<br />
Diese Musik setzt die Stimmung meines Gedichtes fort und schafft ein noch herrlicheres<br />
Dekor als es die Farbe könnte.›»<br />
(Jürgen Ostmann)<br />
Franz Liszt: Orpheus<br />
Als wir vor einigen Jahren den Orpheus von Gluck einstudierten, konnten wir während<br />
der Proben unsere Phantasie nicht verhindern, von dem in seiner Einfachheit<br />
ergreifenden Standpunkt des großen Meisters zu abstrahieren und sich jenem<br />
Orpheus zuzuwenden, dessen Name so majestätisch und voll Harmonie über den<br />
poetischen Mythen der Griechen schwebt. Es ward dabei das Andenken an eine<br />
etrurische Vase in der Sammlung des Louvre in uns wieder lebendig, auf welcher<br />
jener erste Dichter-Musiker dargestellt ist, mit dem mystischen königlichen Reif<br />
um die Schläfe, von einem sternbesäten Mantel umwallt, die Lippen zu göttlichen<br />
Worten und Gesängen geöffnet und mit mächtigem Griff der feingeformten,<br />
schlanken Finger die Saiten der Lyra schlagend. Da scheinen die Steine gerührt zu<br />
lauschen und aus versteinerten Herzen lösen sich karge brennende Tränen.<br />
Entzückt aufhorchend stehen die Tiere des Waldes, besiegt verstummen die rohen<br />
Triebe der Menschen. Es schweigt der Vögel Gesang, der Bach hält ein mit seinem<br />
melodischen Rauschen, das laute Lachen der Lust weicht einem zuckenden Schauer<br />
vor diesen Klängen, welche der Menschheit die milde Gewalt der Kunst, den<br />
Glanz ihrer Glorie, ihre völkererziehende Harmonie offenbaren.<br />
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Heute noch sprosst aus dem Herzen der Menschheit, wie auch die lauterste Moral<br />
ihr verkündet ward, wie sie belehrt ist durch die erhabensten Dogmen, erhellt von<br />
Leuchten der Wissenschaft, aufgeklärt durch die philosophischen Forschungen des<br />
Geistes und umgeben von der verfeinertsten Zivilisation, heute noch wie ehemals<br />
und immer sprosst aus ihrem Herzen der Trieb zur Wildheit, Begier, Sinnlichkeit,<br />
und es ist die Mission der Kunst, diesen Trieb zu besänftigen, zu veredeln.<br />
Heute wie ehemals und immer ist es Orpheus, ist es die Kunst, welche ihre melodischen<br />
Wogen, ihre gewaltigen Akkorde wie ein mildes, unwiderstehliches Licht<br />
über die widerstrebenden Elemente ergießt, die sich in der Seele jedes Menschen,<br />
und im Innersten jeder Gesellschaft in blutigem Kampfe befehden. Orpheus beweint<br />
Eurydike, das Symbol des im Übel und im Schmerz untergegangenen Ideals.<br />
Es ist ihm vergönnt, sie den Dämonen des Erebus zu entreißen, sie heraufzubeschwören<br />
aus den Finsternissen der Unterwelt, nicht aber, sie im Leben zu erhalten.<br />
Möchten mindestens nie jene Zeiten der Barbarei wiederkehren, wo, trunkene,<br />
zügellose Mänade, wilde Leidenschaften die Kunst erliegen machen unter mörderischen<br />
Thysusstäben, indem sie in fiebertollem Wahn sich rächen für die Verachtung,<br />
mit welcher jene auf ihre rohen Gelüste herabsieht.<br />
Wäre es uns gelungen, unseren Gedanken vollständig zu verkörpern, so hätten<br />
wir gewünscht, den verklärten ethischen Charakter der Harmonien, welche von<br />
jedem Kunstwerk ausstrahlen, zu vergegenwärtigen, die Zauber und die Fülle<br />
zu schildern, womit sie die Seele überwältigen, wie sie wogen gleich elysischen<br />
Lüften, Weihrauchwolken ähnlich mählich sich verbreiten, den lichtblauen Äther,<br />
womit sie die Erde und das ganze Weltall wie mit einer Atmosphäre, wie mit<br />
einem durchsichtigen Gewand unsäglichen mysteriösen Wohllauts umgeben.<br />
(Franz Liszt, Deutsch von Peter Cornelius)<br />
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