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Der vierfache Schriftsinn im Mittelalter - Sunderhaus.de

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Grundkurs-Tutorium: "Einführung<br />

in die Literaturwissenschaft"<br />

WS 1998/99<br />

unter: Prof ;<br />

Die vier Schriftbe<strong>de</strong>utungen<br />

- in <strong>de</strong>m Verständnis <strong>de</strong>s <strong>Mittelalter</strong>s<br />

Abgabetermin:21.12.98<br />

HAUSAUFGABE<br />

1


1.Inhaltsverzeichnis<br />

2.<strong>Der</strong> <strong>vierfache</strong> <strong>Schriftsinn</strong> (Lexikonartikel)______________________________Seite:3<br />

3. Literaturverzeichnis___________________________________________________4<br />

2


2. <strong>Der</strong> <strong>vierfache</strong> <strong>Schriftsinn</strong> (in <strong>de</strong>m Verständnis <strong>de</strong>s<br />

<strong>Mittelalter</strong>s)<br />

<strong>Der</strong> <strong>vierfache</strong> <strong>Schriftsinn</strong> war die <strong>im</strong> <strong>Mittelalter</strong> festgelegte Interpretationshorizonte<br />

eines Wortes (o<strong>de</strong>r Textes), wobei natürlicherweise davon ausgegangen wur<strong>de</strong>, dass<br />

<strong>de</strong>ssen Autor mehrere Hintergrün<strong>de</strong> in seinen Text eingebaut hat.<br />

Bereits Origines (185-255 n. Chr.) Distichon-Lehre legte die Interpretationsschienen auf<br />

drei Bereiche fest: <strong>de</strong>n somatischen Sinn eines Textes, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m historisch nachweisbaren<br />

Gehalt an Fakten entsprach, <strong>de</strong>n psychischen Sinn als moralisches Postulat <strong>de</strong>s Textes und<br />

<strong>de</strong>n pneumatischen Sinninhalt, welcher eine allegorische Be<strong>de</strong>utung über die bei<strong>de</strong>n<br />

geschil<strong>de</strong>rten Inhalte hinaus hatte.<br />

Das Distichon wur<strong>de</strong> <strong>im</strong> frühen <strong>Mittelalter</strong> übernommen, mehrfach verän<strong>de</strong>rt o<strong>de</strong>r ergänzt<br />

und <strong>im</strong> 5. Jahrhun<strong>de</strong>rt setzt sich das Mo<strong>de</strong>ll durch, welches Origines Distichon erweitert<br />

und unter <strong>de</strong>m Aspekt christlicher Mystik zu vier Verstehensansätzen geprägt:<br />

<strong>Der</strong> historische Sinn meint wie<strong>de</strong>r die faktische o<strong>de</strong>r wörtliche Be<strong>de</strong>utung. <strong>Der</strong> allegorische<br />

Sinn meint die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s Begriffs innerhalb <strong>de</strong>s (christlichen) Symbolikfel<strong>de</strong>s<br />

o<strong>de</strong>r die Be<strong>de</strong>utung <strong>im</strong> Kontext <strong>de</strong>s Lebens Christi (sog. christologische Be<strong>de</strong>utung).<br />

Die tropologische Be<strong>de</strong>utung fasst einen Begriff als moralischen auf. Entwe<strong>de</strong>r er ist<br />

verschlüsselt o<strong>de</strong>r offen moralisch zu <strong>de</strong>uten.<br />

Über diese Verstehensansätze hinaus offenbart <strong>de</strong>r anagogische Sinn die Be<strong>de</strong>utung eines<br />

Begriffes in Bezug auf die Erlösungshandlung 1 .<br />

Von Johannes Cassianus (+ 420) ist <strong>de</strong>r populärste Merksatz und auch das<br />

populärste Beispiel „Jerusalem“ überliefert:<br />

„littera gesta docet, quid credas allegoria, moralis quid agas, quo tendas anagogia.“<br />

(<strong>Der</strong> buchstäbliche Sinn lehrt, was geschehen ist, <strong>de</strong>r allegorische, was man glauben, <strong>de</strong>r<br />

moralische, was man tun und <strong>de</strong>r anagogische, wohin man streben soll.)<br />

Begriffs-/Wortbeispiel „JERUSALEM“:<br />

1.) historisch: Stadt auf <strong>de</strong>m Ölberg, Lebensstätte Jesu, (heute: israelische Hauptstadt).<br />

2.) allegorisch: Gegenwartssinnbild für Christus und die Sakramente.<br />

3.) tropologisch: Jerusalem als Bild für die Seele <strong>de</strong>s Menschen.<br />

4.) anagogisch: Jerusalem als „h<strong>im</strong>mlische Stadt“, als Sinnbild für das Reich Gottes.<br />

Diese Festlegung auf die vier <strong>Schriftsinn</strong>e hat sich bis weit in die Neuzeit gehalten<br />

und bezog sich nicht nur auf Texte, son<strong>de</strong>rn fast alle Kunstsymbolik, die <strong>im</strong><br />

Umfeld christlicher Mythologie stand 2 .<br />

1<br />

Dass je<strong>de</strong>r Begriff, je<strong>de</strong>r Text einen (möglichen) anagogische Interpretationsansatz nach dieser Metho<strong>de</strong><br />

bietet, zeigt, wie stark die mittelalterliche Wissenschaft an einer Jenseitsvorstellung haftete.<br />

2<br />

<strong>Der</strong> barocke Hang zu Allegorien in Literatur (Schäferdichtungen) o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Kunst (z.B.<br />

„vanitas-Allegorie“) ist eine <strong>de</strong>r Nachwirkungen dieses festgelegten Interpretationsschlüssels.<br />

3


5. Literaturverzeichnis:<br />

-J. Retter/K. Grün<strong>de</strong>r (Hrsg.): Historisches Wörterbuch <strong>de</strong>r Philosophie. (Bd.9)<br />

Wissenschaftliche Buchgemeinschaft Darmstadt.<br />

-Prof. Dr. Manfred Schnei<strong>de</strong>r: Grundkursvorlesung „Germanistische<br />

Literaturwissenschaft“ WS 1998/99. Universität-GH Essen. 1998<br />

4

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