Politische Nibelungenliedrezeption im zwanzigsten Jahrhundert

Politische Nibelungenliedrezeption im zwanzigsten Jahrhundert Politische Nibelungenliedrezeption im zwanzigsten Jahrhundert

02.09.2014 Aufrufe

Mag Max Brauns Roman die kitschig-reaktionären Hoffnungen der Enttäuschten widerspiegeln, war diese Werk bei weitem nicht die einzige Form der Popularisierung der 'Nibelungen': Eine 'Nibelungisierung' des Reiches schlug sich in Straßen, Platz und Gebäudebenennungen nieder. Aber auch die Käufer und Nutzer von Konsumartikeln blieben hiervon nicht verschont - so trug etwa eine Automarke den Namen "Fafnir"! Einen wesentlichen Anteil an der Vergegenwärtigung des Nibelungenstoffes nach dem Ersten Weltkrieg hatte jedoch die in zahlreichen Aufführungen bzw. Einspielungen nahezu allgegenwärtige Musik Richard Wagners, die sozusagen im Sinne eines Katalysators des Nationalisierungsprozesses in wesentlich höherem Maße als zuvor instrumentalisiert wurde! Wie bereits angedeutet, brachte der Nationalsozialismus die Nibelungen in Zusammenhang mit Rassismus und Antisemitismus. Jordan und andere hatten hierzu bereits die Vorarbeit geleistet. Kurt Gerlach-Berau konnte dann 1933 in seinem Buch "Der Nibelungen-Leich" die These vertreten, Siegfried sei letztlich daran gescheitert, daß er seine Rassereinheit verletzt habe. Der 'reinrassige Nordländer' sei auf die offenbar schon durch Kontakte mit Kelten und anderen 'Südrassen' verdorbenen, d.h. 'minderrassigen' Burgunden gestoßen. Während er zuvor, gewissermaßen den Gesetzen des Blutes adäquat die gänzlich minderrassigen Alben problemlos besiegen konnte - und jeden Kontakt mit ihnen von sich wies! - versippte er sich ahnungslos mit den nur scheinbar gleichwertigen Burgunden und verletzte dadurch in gröbster Weise das 'Artengesetz'! 15 Wilhelm Hunnisch ging im Jahre 1939 in seinem "Unterrichtshandbuch für Volksschulen" einen anderen Interpretationsweg. Der 'rassische Erziehungswert' wird in diesem Zusammenhang aus dem Antagonismus zwischen Siegfried un Hagen hergeleitet. Der blonde, heldenhafte und jugendliche Siegfried ist in diesem Kontext natürlich die positive Identifikationsfigur, während sein Mörder, der dunkelhaarige, alternde Hagen, von den Kindern gehaßt werden soll! Diese Positionierung solle, so Hunnisch, für die rassische Erziehung eingesetzt und ausgenutzt werden! 16 Diese Methode jedoch beschränkte sich auf jüngere Jahrgänge; für ältere, vielleicht bereits mehr technologisch orientierte bzw. in 'Liebesdingen aufgeschlossenere' Jahrgänge waren Methoden bzw. Interpretationen im Sinne von Max Brauns "Nibelungenland" vermutlich wesentlich effektiver. Herbert Erich Buhl beschritt in seinem Roman "Krone der Frauen" den 'erotischen' Weg; eine kitschige Liebesszene zwischen Brunhilde und Siegfried bringt in diesem Zusammenhang einen dezenten erotischen Einschlag. 17 Die Verbindung bzw. Thematischer von Rassemerkmalen und politischer Ideologie dient hier zur Bewältigung von privaten Problemen und Beziehungsängsten. Die national bzw. nationalistisch orientierte Nibelungenliedrezeption hatte, wie wir sehen konnten, bereits in ihrer Frühzeit eine starke Akzentuierung des Militärischen. Daher nimmt es nicht wunder, daß der Nibelungenstoff nach den Befreiungskriegen, den Kriegen zur Konsolidierung des Deutschen Reiches und dem Ersten Weltkrieg zur ideologischen Mobilisierungshilfe für einen weiteren Krieg herangezogen werden konnte. Hierbei wurde von Seiten der NSDAP zunächst insbesondere Wert auf die Adaption des 'germanischen Gefolgschaftswesens' gelegt: 15 vgl. WERNER WUNDERLICH, Der Schatz des Drachentöters, S. 85; vgl. auch KLAUS VON SEE, Das Nibelungenlied, ein Nationalepos, S. 79ff. 16 vgl. WERNER WUNDERLICH, Der Schatz des Drachentöters, S. 88ff.; vgl. ders. Ein Hauptbuch bey der Erziehung der deutschen Jugend..., S. 130ff. 17 vgl. WERNER WUNDERLICH, Der Schatz des Drachentöters, S. 93

"Aus Führertum, Gefolgschaft und Freiheit wächst das Reich, das der Führer seinem Volke schmiedet. Gefolgschaft und Freiheit sind je die eisernen Gesetzestafeln germanisch-deutschen Heldentums gewesen. Sein Mythus verwirklicht sich aufs neue in der feldgrauen Gefolgschaft an den Grenzen des Reichs. Die Gestalten Siegfrieds und Dietrichs von Bern, Hagens und Gunthers leben heute wieder unter uns. Das Heldentum des Gefolgsmannes, sein bedingungsloser Einsatz für den Führer prägt unsere Zeit, zeichnet das Bild des deutschen Menschen!" 18 Die Nibelungen waren als Protagonisten der Kriegsverherrlichung vor allem deshalb so brauchbar, weil sich an ihrem Beispiel nicht nur Kampf und Krieg verherrlichen ließen, sondern die Anonymität und Grausamkeit des Vernichtungskrieges mit der Hilfe ihrer positiven Stereotypisierungen aus dem Bewußtsein verdrängt werden konnten: Die Trostlosigkeit der Gegenwart wurde zum naturmystischen Ereignis hochstilisiert; Heroisches Schicksalsdenken bot überdies die Möglichkeit, sich der ethischen Verantwortung zu entziehen und diese der anonymen Gewalt de Geschichte zu übertragen! DAS NIBELUNGENLIED - DOCH KEIN DEUTSCHES NATIONALEPOS? Nach all dem eben ausgeführten ist es erstaunlich, daß - wohlgemerkt aus nationalistischer Sichtweise heraus - das Nibelungenlied nicht von allen 'Intellektuellen' nationalistischer bzw. nationalsozialistischer Prägung unumschränkt begrüßt wurde. In seiner Schrift "Nibelungenlied, staufische Elegie oder Nationaldichtung?" 19 verfolgt der Verfasser Hans Naumann die Absicht, germanistische Erkenntnisse über das Epos allgemeinverständlich nahezubringen. Ein wesentliches Element dieses 'Kriegsvortrages' ist die Klärung der Frage nach der Definition eines Nationalepos. Nach Naumann muß ein solches Werk ein "wichtiges völkisches Geschehen" zum Hauptinhalt haben; das Volk muß überdies in die Lage versetzt werden, in den Hauptpersonen bzw. Helden der Dichtung sein eigenes, besseres Ich wiederzuerkennen! Das entsprechende literarische Werk müsse demnach als ewiger Besitz empfunden werden, der quasi unveräußerlich an das Volk gebunden sei. Vor allem aber muß das Nationalepos "erzieherisch" sein - und zwar mit einem durchaus optimistischen Grundton, der trotz der zu durchlaufenden Leiden und Widrigkeiten am Ende Glück und Hoffnung verheißen solle! 20 Gerade dieses Element gehe trotz einer Bezüge zum Deutschtum jedoch dem staufischen Epos, d.h. dem Nibelungenlied, ab, so daß Naumann zu der nach dem bisher Gesagten merkwürdigen Schlußfolgerung kommen konnte, das Werk sei, obwohl es geographisch alles ins Deutsch verlagere undeutsch! Es spiegele vielmehr eine antik-germanische Sicht der Dinge wider; in diesem Kontext kategorisiert Naumann das Nibelungenlied als "nationalgermanisch". In der Dichtung finde sich eine Wiedergeburt des alten Mythos der Götterdämmerung, was als Hinweis auf eine germanische Wurzel der Dichtung des 12. Jahrhunderts sei. In diesem Kontext passe auch die Rolle Hagens, der ein typischer germanischer Gefolgschaftsmann sei, was sich in seinem 18 zitiert nach WERNER WUNDERLICH, Der Schatz des Drachentöters, S. 94f. 19 HANS NAUMANN, Das Nibelungenlied - eine staufische Elegie oder ein deutsches Nationalepos, Bonn 1942; erschienen als Heft 100 der Reihe 'Kriegsvorträge der Universität Bonn. 20 vgl. HANS NAUMANN, Das Nibelungenlied - eine staufische Elegie oder ein deutsches Nationalepos, S. 5ff.

"Aus Führertum, Gefolgschaft und Freiheit wächst das Reich, das der Führer seinem Volke<br />

schmiedet. Gefolgschaft und Freiheit sind je die eisernen Gesetzestafeln germanisch-deutschen<br />

Heldentums gewesen. Sein Mythus verwirklicht sich aufs neue in der feldgrauen Gefolgschaft an<br />

den Grenzen des Reichs. Die Gestalten Siegfrieds und Dietrichs von Bern, Hagens und Gunthers<br />

leben heute wieder unter uns. Das Heldentum des Gefolgsmannes, sein bedingungsloser Einsatz für<br />

den Führer prägt unsere Zeit, zeichnet das Bild des deutschen Menschen!" 18<br />

Die Nibelungen waren als Protagonisten der Kriegsverherrlichung vor allem deshalb so brauchbar,<br />

weil sich an ihrem Beispiel nicht nur Kampf und Krieg verherrlichen ließen, sondern die<br />

Anonymität und Grausamkeit des Vernichtungskrieges mit der Hilfe ihrer positiven<br />

Stereotypisierungen aus dem Bewußtsein verdrängt werden konnten: Die Trostlosigkeit der<br />

Gegenwart wurde zum naturmystischen Ereignis hochstilisiert; Heroisches Schicksalsdenken bot<br />

überdies die Möglichkeit, sich der ethischen Verantwortung zu entziehen und diese der anonymen<br />

Gewalt de Geschichte zu übertragen!<br />

DAS NIBELUNGENLIED - DOCH KEIN DEUTSCHES NATIONALEPOS?<br />

Nach all dem eben ausgeführten ist es erstaunlich, daß - wohlgemerkt aus nationalistischer<br />

Sichtweise heraus - das Nibelungenlied nicht von allen 'Intellektuellen' nationalistischer bzw.<br />

nationalsozialistischer Prägung unumschränkt begrüßt wurde. In seiner Schrift "Nibelungenlied,<br />

staufische Elegie oder Nationaldichtung?" 19 verfolgt der Verfasser Hans Naumann die Absicht,<br />

germanistische Erkenntnisse über das Epos allgemeinverständlich nahezubringen. Ein wesentliches<br />

Element dieses 'Kriegsvortrages' ist die Klärung der Frage nach der Definition eines Nationalepos.<br />

Nach Naumann muß ein solches Werk ein "wichtiges völkisches Geschehen" zum Hauptinhalt<br />

haben; das Volk muß überdies in die Lage versetzt werden, in den Hauptpersonen bzw. Helden der<br />

Dichtung sein eigenes, besseres Ich wiederzuerkennen! Das entsprechende literarische Werk müsse<br />

demnach als ewiger Besitz empfunden werden, der quasi unveräußerlich an das Volk gebunden sei.<br />

Vor allem aber muß das Nationalepos "erzieherisch" sein - und zwar mit einem durchaus<br />

opt<strong>im</strong>istischen Grundton, der trotz der zu durchlaufenden Leiden und Widrigkeiten am Ende Glück<br />

und Hoffnung verheißen solle! 20<br />

Gerade dieses Element gehe trotz einer Bezüge zum Deutschtum jedoch dem staufischen Epos, d.h.<br />

dem Nibelungenlied, ab, so daß Naumann zu der nach dem bisher Gesagten merkwürdigen<br />

Schlußfolgerung kommen konnte, das Werk sei, obwohl es geographisch alles ins Deutsch<br />

verlagere undeutsch! Es spiegele vielmehr eine antik-germanische Sicht der Dinge wider; in<br />

diesem Kontext kategorisiert Naumann das Nibelungenlied als "nationalgermanisch". In der<br />

Dichtung finde sich eine Wiedergeburt des alten Mythos der Götterdämmerung, was als Hinweis<br />

auf eine germanische Wurzel der Dichtung des 12. <strong>Jahrhundert</strong>s sei. In diesem Kontext passe auch<br />

die Rolle Hagens, der ein typischer germanischer Gefolgschaftsmann sei, was sich in seinem<br />

18 zitiert nach WERNER WUNDERLICH, Der Schatz des Drachentöters, S. 94f.<br />

19 HANS NAUMANN, Das Nibelungenlied - eine staufische Elegie oder ein deutsches Nationalepos,<br />

Bonn 1942; erschienen als Heft 100 der Reihe 'Kriegsvorträge der Universität Bonn.<br />

20 vgl. HANS NAUMANN, Das Nibelungenlied - eine staufische Elegie oder ein deutsches<br />

Nationalepos, S. 5ff.

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