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Politische Nibelungenliedrezeption im zwanzigsten Jahrhundert

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Die Realität des Ersten Weltkriegs ließ allerdings nicht die Nibelungen aus ihren Gräbern stiegen,<br />

dafür aber Opfer <strong>im</strong> Übermaß in ihre Gräber sinken! Die Geschehnisse hatten die schaurig-schönen<br />

Programme Lügen gestraft; am Ende hatte die vielbeschworene Nibelungentreue zwischen dem<br />

Deutschen Reich und Österreich-Ungarn eine Niederlage und die daraus resultierenden Folgen nicht<br />

abwenden können. Der erwartete Triumph '<strong>im</strong> Felde' war ausgeblieben.<br />

DIE ZEIT NACH DEM ERSTEN WELTKRIEG<br />

Nach dem Ersten Weltkrieg herrschte jedoch in den entsprechenden Kreisen nicht etwa Trauer und<br />

Selbstreflexion angesichts des offensichtlich verfehlten Weges einer 'Nibelungenfront', sondern<br />

Rechtfertigungsversuche der eigenen katastrophalen Verhaltensweisen und Klagen über diejenigen,<br />

die den krieg beendet hatten - also liberale und sozialdemokratische Kreise. Statt eines Umdenkens<br />

erfolgten demnach Schuldzuweisungen an die Adresse derjenigen, die als einzig ein einigermaßen<br />

vernünftiges Verhalten gezeigt hatten. der Lehrer Eugen Eibner etwa glaubte "Gesinnungslumperei"<br />

konstatieren zu müssen und wußte dies auch zu begründen. Man habe es während der langen, dem<br />

Weltkrieg vorausgehenden Friedenszeit verabsäumt, in den Schulen alle Mittel auszuschöpfen, um<br />

den Heranwachsenden ein tiefes Volksgefühl einzupflanzen. Dementsprechend könne die<br />

Forderung nur lauten, "deutscher" zu werden. 6 Diese Verkennung der Tatsachen bzw. der<br />

Geschehnisse und ihrer wahren Ursachen mußte zwangsläufig in die nächste Katastrophe führen,<br />

die sich nach dem nu zunächst hoffnungsfrohen und ziemlich bald sehr turbulenten Intermezzo der<br />

We<strong>im</strong>arer Republik <strong>im</strong> Zuge der nationalsozialistischen Herrschaft einstellte.<br />

So n<strong>im</strong>mt es auch nicht wunder, daß die sich aus den Unzufriedenen vor allem äußerst<br />

nationalistischer Prägung rekrutierende nationalsozialistische Bewegung die<br />

<strong>Nibelungenliedrezeption</strong> in ihrem eigenen Sinne betrieb. Bruno Tanzmann etwa forderte in seinen<br />

"Blättern vom Hakenkreuz" die Auferstehung der germanischen Rasse - repräsentiert durch ein<br />

Wiederaufleben des nibelungischen Heldengeistes:<br />

"Dann wird die Seele des Deutsch-Germanentums den Balmung erfassen, daß er sich von selber<br />

schwingt und durch die Drachenfeindschaft der Welt blitzt. Der Schmach- und Mordfrieden, in den<br />

uns sent<strong>im</strong>entale Pazifisten und Fremdgeistige und -blütige hineingeredet haben, wird dann die<br />

lebendige Auferstehung des Niblungenliedes sein." 7<br />

Die Gedankengänge, die Tanzmann hier entwickelte führen geradewegs in das ideologische<br />

Gebäude der Nationalsozialisten - wobei diesen Ideen durchaus auch 'lediglich' reaktionäre<br />

nationalkonservative Kreise zust<strong>im</strong>men konnten!<br />

Der Marburger Germanist Friedrich Vogt führte in seinem Vortrag "Französischer und deutscher<br />

Nationalismus <strong>im</strong> Rolandslied und Nibelungenlied" die die wirkliche Kriegsschuld verdrängende<br />

These von der 'verratenen Front' aus. Seine Vorschläge zur Zukunftsbewältigung waren diesen<br />

Thesen adäquat; nicht Trauer, sondern Stolz seien angebracht, Nationalismus müsse als<br />

Richtschnur allen Handelns angesehen werden. Soziale Konflikte und ökonomische<br />

Interessenkämpfe wurden von Vogt verleugnet bzw. auf unselige Einflüsse zurückgeführt,<br />

Vorstellungen wie die der Selbstverwirklichung bzw. der Ausformung des Individuums prangert<br />

6 vgl. OTFRID EHRISMANN, Nibelungenlied und Nationalgedanke, S. 116; vgl. auch WERNER<br />

WUNDERLICH, "Ein Hauptbuch bey der Erziehung der deutschen Jugend...", S. 126ff.l<br />

7 zitiert nach OTFRID EHRISMANN, Das Nibelungenlied in Deutschland, S. 211

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