Politische Nibelungenliedrezeption im zwanzigsten Jahrhundert
Politische Nibelungenliedrezeption im zwanzigsten Jahrhundert
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Österreich-Ungarn nicht ausschalten (...) damit aber ängstlichen Gemütern nicht Bilder blutigen<br />
Kampfes emporsteigen, beeile ich mich, hinzuzufügen, daß ich gerade in unserem festen<br />
Zusammenstehen mit Österreich-Ungarn eine eminente Friedenssicherung erblicke!" 3<br />
Auch in dieser sozusagen friedlichen Ansprache wurde das Nibelungenlied als Assoziationsmotiv<br />
genutzt, aus dm best<strong>im</strong>mte Muster je nach Bedarf und Belieben entnommen werden konnten. Die<br />
Popularität der Dichtung wird in diesem Kontext - wie so oft bei ihrer politischen<br />
Instrumentalisierung - in dem Wissen darum benutzt, daß es sich bei den "volkstümlichen"<br />
Kenntnissen über das Epos in der Regel lediglich nur um vermittelte, indirekte handelte, bei denen<br />
keine wirklich Beschäftigung mit dem Werk oder seinen Protagonisten vorausgesetzt werden<br />
konnten bzw. zu befürchten waren. Genau hierdurch wird jedoch eine einfache "Nutzung" <strong>im</strong> Sinne<br />
einer 'Interpretation nach Bedarf' erst ermöglicht; Halbkenntnisse waren jedoch bei dieser Art von<br />
Umsetzung des Nibelungenliedes Voraussetzung, da absolute Unkenntnis des Stoffes keine der so<br />
dringend benötigten Assoziationen zuließe.<br />
Der Berliner Strafrechtler Franz Liszt griff - als Verfechter eines mitteleuropäischen Staatenbundes<br />
- das Stichwort von der Nibelungentreue in einer Kriegsrede <strong>im</strong> November des Jahres 1914 unter<br />
dem Titel "Von der Nibelungentreue" auf. Hier wird das Nibelungenlied als "Hohelied des<br />
deutschen Helden und der deutschen Treue" bezeichnet. n der 30. Aventiure der Dichtung, in der<br />
beschrieben wird, wie Hagen und Volker Schildwache halten, sah Liszt ein Synonym für das<br />
Verhältnis zwischen dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn. Der "waffengewaltige, stolze,<br />
gr<strong>im</strong>mige Hagen" entspricht in der Liszt'schen Interpretation dem Deutschen Reich, der "heitere<br />
Spielmann", der "in Kampf und Lied gewandte Volker" dem Sinnbild der sangesfrohen und<br />
kampfeslustigen Donaumonarchie. 4 Gegenüber der fast ängstlichen Relativierung die Reichskanzler<br />
von Bülow in seinen Erläuterungen der 'Nibelungentreue' geübt hatte, um jeglichen Assoziationen<br />
in Hinblick auf einen bevorstehenden Krieg zu vermeiden, kommen hier deutlichere Verweise auf<br />
das Kriegsgeschehen vor, wenngleich sich diese zunächst noch nachgerade spielerisch-harmlos<br />
ausnahmen.<br />
Entschiedenere Töne erklangen mit dem Fortschreiten des Krieges. In seiner "Nibelungentreue,<br />
Kriegsgesänge" läßt Wilhelm Scherer die Nibelungen sich - sozusagen als Reaktion auf die<br />
Ermordung des österreichischen Thronfolgerpaares - aus den Gräbern erheben:<br />
"Die Schreckensmäre eilt die Lande auf und ab,<br />
Sie dringt auch an des toten Siegfried Heldengrab.<br />
Und plötzlich tritt hervor der Held <strong>im</strong> Waffenschein,<br />
Verkörpernd deutsche Treue, tief und rein.<br />
(...)<br />
Und mit ihm steigt Kriemhilde aus der Modergruft,<br />
Der heilige deutsche Zorn, den Siegfrieds St<strong>im</strong>me ruft". 5<br />
3 WERNER WUNDERLICH, Der Schatz des Drachentöters, S. 63<br />
4 Werner Wunderlich, Der Schatz des Drachentöters, S. 64<br />
5 zitiert nach Werner Wunderlich, Der Schatz des Drachentöters, S. 65f.