Arbeitsrecht und Konfliktstrukturen im Betrieb am Beispiel Mobbing

Arbeitsrecht und Konfliktstrukturen im Betrieb am Beispiel Mobbing Arbeitsrecht und Konfliktstrukturen im Betrieb am Beispiel Mobbing

02.09.2014 Aufrufe

“Arbeitgeber und Betriebsrat haben die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern. Sie haben die Selbstständigkeit und Eigeninitiative der Arbeitnehmer und Arbeitsgruppen zu fördern.“ Die §§ 74, 75 BetrVG sind an Geschäftsleitung und Betriebsrat adressiert und geben deshalb dem einzelnen Arbeitnehmer keine Möglichkeit einen Rechtsanspruch, im Falle von Mobbing eine Beschwerde geltend zu machen. Ein individuelles Beschwerderecht hingegen sieht § 84 BetrVG vor. Dort heißt es in Absatz 1: “Jeder Arbeitnehmer hat das Recht, sich bei den zuständigen Stellen des Betriebs zu beschweren, wenn er sich vom Arbeitgeber oder von Arbeitnehmern des Betriebs benachteiligt oder ungerecht behandelt oder in sonstiger Weise beeinträchtigt fühlt. Er kann ein Mitglied des Betriebsrats zur Unterstützung oder Vermittlung heranziehen.“ Damit der Arbeitnehmer sieht, dass seine Beschwerde vom Arbeitgeber behandelt worden ist, verpflichtet diesen das Gesetz (Absatz 2), „den Arbeitnehmer über die Behandlung der Beschwerde zu bescheiden und, soweit er die Beschwerde für berechtigt erachtet, ihr abzuhelfen.“ Zum Schutz des sich beschwerenden Arbeitnehmers sieht Absatz 3 schließlich vor, dass diesem „wegen der Erhebung einer Beschwerde ... keine Nachteile entstehen (dürfen)“. Das individuelle Beschwerderecht des § 84 BetrVG wird durch § 85 BetrVG ergänzt, der ein Beschwerderecht des Arbeitnehmers an den Betriebsrat vorsieht. Hat der einzelne Arbeitnehmer im Rahmen von § 84 BetrVG nach Ablehnung seiner Beschwerde durch den Arbeitgeber gegen diesen kein unmittelbares Rechtsmittel mehr, so gewährt § 85 dem Betriebsrat die Möglichkeit, in Mobbingfällen die Einigungsstelle anzurufen, deren Spruch die Einigung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber ersetzt. 3. 1 Innerbetriebliche Möglichkeiten: die Einigungsstelle Was ist die Einigungsstelle und welche Rolle kann sie in Mobbingverfahren spielen ? - Die Einigungsstelle verfolgt das Ziel, betriebliche Konflikte nicht vor den Arbeitsgerichten, sondern innerhalb eines Betriebs auszutragen. Die innerbetriebliche Konflikterledigung ist nicht nur zeit- und geldsparender als ein Gerichtsverfahren, sondern auch sachnäher. Gesetzlich trägt dem die Formulierung in § 76 Abs. 5 Satz 3 Rechnung. Dort wird verlangt, dass die Einigungsstelle die „Belange des Betriebs und der betroffenen Arbeitnehmer“ berücksichtigen soll. Die in § 2 Abs. 1 BetrVG festgeschriebene Idee einer „vertrauensvollen Zusammenarbeit“ zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat findet sich in den Regeln für die Einigungsstelle wieder. Eine Garantie dafür, dass es stets zu einer innerbetrieblichen Lösung kommt, ist das Verfahren vor der Einigungsstelle allerdings nicht. Deshalb sieht das Gesetz in § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG die Möglichkeit der Einschaltung eines Arbeitsgerichts für den Fall vor, dass Arbeitgeber oder Betriebsrat die Grenzen ihres Ermessens überschritten haben. Auch § 76 Abs. 7 BetrVG eröffnet den Weg zu den Arbeitsgerichten. Die Einigungsstelle ist grundsätzlich keine Dauereinrichtung, sondern wird bei Bedarf gebildet. Der unparteiische Vorsitzende soll neben den Vertretern der Parteien Arbeitgeber und Betriebsrat dafür sorgen, dass keine der beiden streitenden Parteien benachteiligt wird. Deshalb besteht auch über die Bestellung des Unparteiischen ein Einigungszwang. Notfalls kann die Einigung gerichtlich im Wege des Beschlussverfahrens erzwungen werden, § 76 Abs. 2 S. 2 und 3 BetrVG, § 98 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG). Der Spruch der Einigungsstelle ist für die Betriebsparteien bindend, weil er wie eine Betriebsvereinbarung angesehen wird. Al- 4

lerdings gilt dies nur dann, wenn eine Form der erzwingbaren Mitbestimmung, wie in § 85 BetrVG, vorliegt. Für die Einigungsstelle besteht ein Entscheidungszwang, d. h. es genügt nicht, dass der Antrag einer Partei zurückgewiesen wird. Es muss eine positive Entscheidung getroffen werden. Grundsätzlich entscheidet die Einigungsstelle nur bei sog. Regelungsstreitigkeiten, während die Arbeitsgerichte für Rechtsstreitigkeiten zuständig sind. Hat die Einigungsstelle eine Entscheidung getroffen, vertritt aber einer der beiden Betriebsparteien die Auffassung, der Spruch berücksichtige nicht angemessen die Belange des Betriebs oder der betroffenen Arbeitnehmer, so kann er binnen einer Frist von zwei Wochen beim Arbeitsgericht die Überprüfung beantragen, § 76 Abs. 5 S. 4 BetrVG. Das Arbeitsgericht kann die Nichtigkeit des Spruch der Einigungsstelle feststellen, ihn aber nicht abändern oder eine eigene Regelung treffen. Haben Arbeitgeber und Betriebsrat im Rahmen der gesetzlichen Mitbestimmung eine Einigung erzielt, dann legen sie diese in einer Betriebsvereinbarung nieder. Betriebsvereinbarungen können durch Spruch der Einigungsstelle oder gemeinsamen Beschluss der Betriebsparteien zustande kommen. Durch eine Betriebsvereinbarung kann alles geregelt werden, was in den Aufgabenbereich des Betriebsrats fällt. Verstößt eine Betriebsvereinbarung gegen höherrangige rechtliche Regelungen, ist sie nichtig. Betriebsvereinbarungen wirken unmittelbar und zwingend wie ein Gesetz auf die Arbeitsverhältnisse ein. Eine Betriebsvereinbarung erfasst alle Arbeitsverhältnisse innerhalb eines Betriebs mit Ausnahme der leitenden Angestellten. Eingeschränkt wird die Wirkung nur durch den Vorrang des Tarifvertrags, § 77 Abs. 3 BetrVG. Was bereits in einem Tarifvertrag geregelt ist, kann nicht noch einmal Gegenstand einer Betriebsvereinbarung werden. Sinn dieser gesetzlichen Vorschrift ist es, den Gewerkschaften („Tarifvertrag“) Vorrang vor den Betriebsräten (BV) zu geben. Üblicherweise können Betriebsvereinbarungen ohne Angaben von Gründen mit einer Frist von drei Monaten gekündigt werden. Ist eine erzwingbare Betriebsvereinbarung (wie in den Fällen der Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten, § 87 BetrVG) abgeschlossen worden, dann entfaltet sie nach Zeitablauf Nachwirkungen bis zum Abschluss einer neuen. Bei freiwillig abgeschlossenen Vereinbarungen gibt es eine solche Nachwirkung nicht. Weil Betriebsvereinbarungen schriftlich vereinbart werden müssen, fehlt allen mündlichen Vereinbarungen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber der Charakter einer rechtsgültigen Vereinbarung. In einer Betriebsvereinbarung können auch Regelungen getroffen werden, die das soziale Verhalten im Betrieb betreffen („Mobbingprävention“). So heißt es beispielsweise in der Präambel einer von der Gewerkschaft IG Metall konzipierten Muster-Betriebsvereinbarung: “Arbeitgeber und Betriebsrat sind sich bewusst, dass fehlerhafter sozialer Umgang, unsoziale Verhaltensweisen und nicht gelöste Konflikte das Betriebsklima nachhaltig beeinflussen, den Arbeitsprozess stören, die Produktivität des Betriebes sowie die Qualität des Arbeitsergebnisses vermindern und vielfache negative Auswirkungen für den Betrieb sowie für die Belegschaft mit sich bringen. Psychosomatische Beschwerden und Erkrankungen, Depressionen, Erschöpfungszustände, Folgeerkrankungen infolge mangelnder Abwehrkräfte, Verzweiflung, Angstzustände und vieles mehr können Folge von Mobbing sein. Anliegen dieser Betriebsvereinbarung ist es insbesondere, das Betriebsklima und den sozialen Umgang aller im Betrieb tätigen Personen zu verbessern.“ (Mobbing wirkungsvoll begegnen – ein Ratgeber der IG Metall, Frankfurt am Main 2003) 5

“Arbeitgeber <strong>und</strong> <strong>Betrieb</strong>srat haben die freie Entfaltung der Persönlichkeit der <strong>im</strong> <strong>Betrieb</strong> beschäftigten<br />

Arbeitnehmer zu schützen <strong>und</strong> zu fördern. Sie haben die Selbstständigkeit <strong>und</strong><br />

Eigeninitiative der Arbeitnehmer <strong>und</strong> Arbeitsgruppen zu fördern.“<br />

Die §§ 74, 75 BetrVG sind an Geschäftsleitung <strong>und</strong> <strong>Betrieb</strong>srat adressiert <strong>und</strong> geben deshalb<br />

dem einzelnen Arbeitnehmer keine Möglichkeit einen Rechtsanspruch, <strong>im</strong> Falle von<br />

<strong>Mobbing</strong> eine Beschwerde geltend zu machen. Ein individuelles Beschwerderecht hingegen<br />

sieht § 84 BetrVG vor. Dort heißt es in Absatz 1: “Jeder Arbeitnehmer hat das Recht, sich bei<br />

den zuständigen Stellen des <strong>Betrieb</strong>s zu beschweren, wenn er sich vom Arbeitgeber oder<br />

von Arbeitnehmern des <strong>Betrieb</strong>s benachteiligt oder ungerecht behandelt oder in sonstiger<br />

Weise beeinträchtigt fühlt. Er kann ein Mitglied des <strong>Betrieb</strong>srats zur Unterstützung oder Vermittlung<br />

heranziehen.“ D<strong>am</strong>it der Arbeitnehmer sieht, dass seine Beschwerde vom Arbeitgeber<br />

behandelt worden ist, verpflichtet diesen das Gesetz (Absatz 2), „den Arbeitnehmer über<br />

die Behandlung der Beschwerde zu bescheiden <strong>und</strong>, soweit er die Beschwerde für berechtigt<br />

erachtet, ihr abzuhelfen.“ Zum Schutz des sich beschwerenden Arbeitnehmers sieht Absatz<br />

3 schließlich vor, dass diesem „wegen der Erhebung einer Beschwerde ... keine Nachteile<br />

entstehen (dürfen)“.<br />

Das individuelle Beschwerderecht des § 84 BetrVG wird durch § 85 BetrVG ergänzt, der ein<br />

Beschwerderecht des Arbeitnehmers an den <strong>Betrieb</strong>srat vorsieht. Hat der einzelne Arbeitnehmer<br />

<strong>im</strong> Rahmen von § 84 BetrVG nach Ablehnung seiner Beschwerde durch den Arbeitgeber<br />

gegen diesen kein unmittelbares Rechtsmittel mehr, so gewährt § 85 dem <strong>Betrieb</strong>srat<br />

die Möglichkeit, in <strong>Mobbing</strong>fällen die Einigungsstelle anzurufen, deren Spruch die Einigung<br />

zwischen <strong>Betrieb</strong>srat <strong>und</strong> Arbeitgeber ersetzt.<br />

3. 1 Innerbetriebliche Möglichkeiten: die Einigungsstelle<br />

Was ist die Einigungsstelle <strong>und</strong> welche Rolle kann sie in <strong>Mobbing</strong>verfahren spielen ? - Die<br />

Einigungsstelle verfolgt das Ziel, betriebliche Konflikte nicht vor den Arbeitsgerichten, sondern<br />

innerhalb eines <strong>Betrieb</strong>s auszutragen. Die innerbetriebliche Konflikterledigung ist nicht<br />

nur zeit- <strong>und</strong> geldsparender als ein Gerichtsverfahren, sondern auch sachnäher. Gesetzlich<br />

trägt dem die Formulierung in § 76 Abs. 5 Satz 3 Rechnung. Dort wird verlangt, dass die Einigungsstelle<br />

die „Belange des <strong>Betrieb</strong>s <strong>und</strong> der betroffenen Arbeitnehmer“ berücksichtigen<br />

soll. Die in § 2 Abs. 1 BetrVG festgeschriebene Idee einer „vertrauensvollen Zus<strong>am</strong>menarbeit“<br />

zwischen Arbeitgeber <strong>und</strong> <strong>Betrieb</strong>srat findet sich in den Regeln für die Einigungsstelle<br />

wieder. Eine Garantie dafür, dass es stets zu einer innerbetrieblichen Lösung kommt, ist das<br />

Verfahren vor der Einigungsstelle allerdings nicht. Deshalb sieht das Gesetz in § 76 Abs. 5<br />

Satz 4 BetrVG die Möglichkeit der Einschaltung eines Arbeitsgerichts für den Fall vor, dass<br />

Arbeitgeber oder <strong>Betrieb</strong>srat die Grenzen ihres Ermessens überschritten haben. Auch § 76<br />

Abs. 7 BetrVG eröffnet den Weg zu den Arbeitsgerichten.<br />

Die Einigungsstelle ist gr<strong>und</strong>sätzlich keine Dauereinrichtung, sondern wird bei Bedarf gebildet.<br />

Der unparteiische Vorsitzende soll neben den Vertretern der Parteien Arbeitgeber <strong>und</strong><br />

<strong>Betrieb</strong>srat dafür sorgen, dass keine der beiden streitenden Parteien benachteiligt wird. Deshalb<br />

besteht auch über die Bestellung des Unparteiischen ein Einigungszwang. Notfalls kann<br />

die Einigung gerichtlich <strong>im</strong> Wege des Beschlussverfahrens erzwungen werden, § 76 Abs. 2<br />

S. 2 <strong>und</strong> 3 BetrVG, § 98 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG). Der Spruch der Einigungsstelle ist<br />

für die <strong>Betrieb</strong>sparteien bindend, weil er wie eine <strong>Betrieb</strong>svereinbarung angesehen wird. Al-<br />

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